Hermann Bahr
Theater
Hermann Bahr

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Viertes Kapitel

Ich sagte den anderen Tag meiner Frau, daß ich ein neues Stück schreiben wollte. Bei Tag würde ich viel auf der Bibliothek sein, abends Studien machen müssen und so sei es praktischer, mir in der Stadt ein Zimmer zu nehmen; auch würde da nichts meine Stimmung stören. Es wäre mir unmöglich gewesen, jetzt mit ihr zu leben. Ich denke, sie wird es wohl gleich bemerkt haben. Aber in ihrer klugen und behutsamen Art sah sie mich nur traurig an und sagte nichts. Sie war einverstanden.

In der Tat hatte der Direktor ein neues Stück von mir verlangt. »Nützen Sie Ihren Ruhm aus! Jetzt sind Sie in der Mode, also los! Jetzt können Sie den größten Schund schreiben, es wird doch gefallen. Die Karpfen verstehen ja alle miteinander nix. Also machen's keine langen Geschichten und verpassen's die Zeit nicht! Wer weiß, wie lang' es dauern wird!« Er verpflichtete mich kontraktlich, noch in derselben Saison ein neues Stück zu liefern; bis zum Januar sollte er das Manuskript bekommen. Ich war froh; ich redete mir nun vor, ich müßte wirklich in der Stadt wohnen, um ungestört zu sein und Studien zu machen. Ich hatte schon ungefähr einen Plan, es fehlte mir nur noch die »Stimmung«. Nun, Sie wissen ja, wie leicht es einem in unserem Metier wird, sich zu belügen.

Ich suchte eine Wohnung für unser Glück. Sie beschwor mich, es zu verschweigen. Sie hatte eine große Angst, daß ihre Mutter etwas merken könnte. Dann ist es aus, dann ist alles aus, sagte sie mir hundertmal. Ich verstand das damals noch nicht.

Wir fanden endlich ein Versteck in der Salesianergasse. Dort konnten wir sicher sein. Da wohnen Beamte aus dem Ministerium, pensionierte Offiziere, Privatiers, ruhige Leute, die nicht neugierig sind, niemand aus unserer Welt. Ein paar Schritte von dem grauen und traurigen Palais der unseligen Veczera – jetzt wird es renoviert, irgendein Bankier zieht ein, damals lag es wie verwunschen da – ist ein stilles kleines Haus: unten eine Trafik, daneben der Hausmeister; im ersten Stock wohnt ein Hofrat mit seiner Schwester, im zweiten links die Hausfrau, die Witwe eines Obersten, rechts ein alter Reitlehrer, der ein Zimmer mit einem Kabinett und einer kleinen Küche vermietet, meistens an Freiwillige aus der Heumarktkaserne. Das Haus mag aus dem Anfang unseres Jahrhunderts sein, in jener banalen, aber bequemen Art. Da mieteten wir uns ein. Der alte Reitlehrer ging in der Früh fort und kam erst in der Nacht zurück, der genierte uns nicht. Von dem Hofrat hörte und sah man nichts. Hund hatten wir keinen und sonst war der Hausfrau alles recht. Die Hausmeisterin, die uns bediente, die alte Marie, eine brave, gute, dumme Person, machte sich keine Gedanken. Das Zimmer war nicht elegant, wie eben Studenten wohnen: ein Schreibtisch, ein großes rotes Kanapee, zwei rote Fauteuils, schon recht verschossen, eine Hängelampe, eine Bibliothek, an der Wand der Kaiser mit der Kaiserin, ein Gambrinus mit dem Humpen und Faust mit Gretchen, ein paar Photographien von Pferden und eine große Karte von Österreich; im Kabinett ein Bett, ein Waschtisch und zwei Kästen. Da richteten wir uns nun ein. Ich brachte Vasen und Blumen, sie gab Bilder und Teppiche her, wir drapierten Fenster und Türen, ein Pianino kam. Wir hämmerten und klopften, verstaubt, mit schmutzigen Händen, atemlos, daß es eine Lust war. Wenn sie abends nicht spielte, kochte sie bei uns. Das war ihr größtes Vergnügen. Ich ging dann fort und kaufte ein, mit einem großen Korb. Sie zog ein Kostüm an, wie es die Holländerinnen haben, machte Feuer, stellte Wasser zu, ließ es dampfen und las das Kochbuch nach. Sie hatte keine Ahnung vom Kochen, aber eine große Leidenschaft; sie hätte nur noch nicht das richtige Buch gefunden. Ich kaufte nach und nach alle Kochbücher, die es gibt, die ganze Bibliothek war schon voll, aber sie hießen alle nichts. Nun kam ich zurück und packte aus. Wir stritten uns, weil ich immer zu teuer einkaufte und ein Verschwender war, und schließlich dampfte die ganze Wohnung und wir hatten uns die Finger verbrannt und ich ging noch einmal fort, um etwas Schinken und Wurst zu holen, das andere war nicht gelungen. Dann deckte ich für uns und die Puppe, nahm eine Schürze, servierte, band der Puppe ein Tüchel vor, und wir lachten den ganzen Abend. Jedesmal kam es uns immer noch schöner vor und oft haben wir geweint, so selig waren wir.

Wenn ich mich jetzt manchmal erinnere, staune ich selbst, wie genügsam Liebende sind. Wir haben eigentlich die ganze Zeit immer nur Unsinn getrieben. Ein Gespräch konnte man ja mit ihr nicht führen, außer dem gewissen Tratsch vom Theater. Ich habe es anfangs manchmal versucht. Der Direktor gab ihr jetzt klassische Rollen, zuerst jene heiteren und graziösen Frauen der Shakespeareschen Komödien, die Beatrice, die Viola und die Katharina, später auch die sinnenden Gestalten der Porzia und der Imogen. Davon hätte ich nun gern mit ihr gesprochen, aber es war nicht möglich. Sie hatte gar nichts zu sagen und verstand mich nicht. Oft fragte ich sie: »Wie faßt du denn das auf? Du mußt dir doch irgend etwas dabei denken.« Sie sah mich seltsam an und lachte. »Es wird schon gehen«, sagte sie immer. »Abends geht es schon». Wenn ich nur lieber den Text schon kennen möchte!« Das war ihre einzige Sorge. Sah ich sie dann auf der Bühne, so wunderte ich mich, wie sie bei ihrer müden und schmachtenden Poesie doch alle Repliken des Verstandes so fein, so dialektisch bringen konnte, jede List und geheime Schelmerei der Rede wie ein Sophist gewahrend. Aber sie schien gar nicht zu ahnen, was ihr gelang. Wenn ich sie manchmal lobte, wie fein sie oft leise und unscheinbare Züge traf, machte sie große Augen und lachte mich aus. Ich habe es ihr auch nie sagen können, wenn mir etwas an einer Rolle nicht recht war. Sie ließ mich reden und hörte geduldig zu, aber es war umsonst. Durch den Verstand kam man ihr nicht bei. Räsonieren konnte sie gar nicht. Sie konnte es nur machen.

Ich gab es also bald auf. Was kümmerte mich auch das Theater? Was kümmerte mich die ganze Welt? Wenn ich nur bei ihr saß, ihre lieben unruhigen Hände fühlte und in ihre Augen sah, diese tiefen, unerforschlichen, betörenden Augen! Alles andere hatte ich vergessen. Wir spielten wie Kinder. Jetzt war das Kanapee ein Thron und ich war der Sultan; sie kam, scheu und verzagt, in einem langen Schleier, viele Puppen geleiteten sie. Die schönste sollte der Sultan wählen; jede sprach ihn an, sie antwortete für jede, die Stimme verstellend, so ging ich das ganze Serail ab; endlich winkte ich ihr, lud sie ein, sich zu mir auf den Thron zu setzen, und nun bliesen wir in die Hände, trommelten und klopften, um die Festmusik zu machen. Oft kam sie als Page verkleidet, dann wieder als Schäferin und Marquise. Immer mußte sie sich kostümieren; dann war ihr erst wohl. Immer trieben wir uns in einer phantastischen und imaginären Welt herum.

Gern sind wir auch, wenn es dämmerte, im Finsteren gesessen und haben uns erzählt. Sie wollte mein Leben wissen. Mich verlangte, das ihre zu hören. So saßen wir im Finstern da und sagten uns unsere Jugend und es kam uns wie in Märchen vor, daß wir so lange getrennt und allein gewesen. Es dunkelte immer mehr und ich sah nur ihre großen schillernden Augen wie Libellen leuchten. Es war seltsam, wie sie erzählte: ganz einfach, leise, etwas monoton und doch so fremd und schauerlich wie ein Abenteuer, das in einem ganz fernen und anderen Lande geschehen sein müßte.

Ich habe ja dann auch ihre Eltern kennen gelernt und nach und nach alles erfahren. Das Wichtigste davon will ich Ihnen mitteilen, damit Sie auch ihre Geschichte wissen. Freilich, wenn ich sie erzähle, wird sie kein Märchen sein, sondern recht traurig.


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