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»Der bayerische Soldat am Tisch neben der Stubentür gefällt mir nicht,« sagte der Wirt zur »Traube« zu seiner Ehefrau, die neben ihm hinter dem Schenktisch stand und Gläser spülte.
Die »Traube« war damals eine von Leuten aus allen Ständen vielbesuchte Weinwirtschaft an der Frankfurter Landstraße in Hanau. Jetzt, wo so viel bayerisches und österreichisches Militär in der Stadt lag, hatte sie auch einige Soldaten zu Gästen, die sich an billigem Wein gütlich taten.
»Warum gefällt er dir nicht? Was willst du damit sagen?« erkundigte sich, leise redend, die Frau.
»Der rote Kerl gießt den Wein in sich hinein, als ob er Wasser wäre. Er ist schon über der dritten Flasche. Dazu macht er ein ganz sonderbares Gesicht; einmal meint man, er wolle zu flennen anfangen, und gleich darauf lacht er wieder heimlich vor sich hin, als freue er sich über ein Spitzbubenstücklein.«
»Er wird den Wein nicht gewöhnt sein, und der ist ihm, weil er ihn schnell getrunken hat, ein wenig in den Kopf gestiegen,« entschuldigte die Wirtin ihren Gast.
63 »Mag sein; dennoch werde ich ihn im Auge behalten. Mir scheint, er trinkt ohne Geld. Deshalb hat er sich auch so nahe zur Tür gesetzt, um bei günstiger Gelegenheit schnell zu verduften und uns um die Zeche zu prellen.«
»Du bist auf dem Holzweg,« sagte die Frau. »Der Soldat hat jedenfalls Geld bei sich.«
»Woher willst du das wissen? Oder hat er dir den Wein, den er so gierig in sich hineinschüttet, schon bezahlt? Schau nur, jetzt hat er schon wieder ein volles Glas auf einen Zug ausgetrunken. Bei dem Burschen heißt es: ein Schluck – ein Druck.«
»Bezahlt hat er noch nicht. Aber er hat stets die Hände in den Taschen, und so oft ich ihm eine Flasche brachte, hörte ich deutlich das Klingen von Silber. Wie könnte er mit Geld klimpern, wenn er keines hätte?«
»Dann kenne ich mich nicht aus in dem Menschen,« sagte der Wirt kopfschüttelnd. »Er kommt mir ganz anders vor als solche, die einen Trunk zu viel erwischt haben.« –
Der rote Sepp hatte in der Absicht, seine Furcht fortzuschwemmen, des Guten wirklich zu viel getan, und die Folgen des im Übermaß genossenen ungewohnten Getränks ließen nicht lange auf sich warten. Statt Mut in sich hineinzutrinken, soff er sich einen Rausch an, und dieser Rausch wurde sein Verderben.
Im ersten Stadium der Weinseligkeit erschien ihm sein Schicksal noch sehr schwer. Je länger er aber 64 zechte, desto rosiger wurde die Aussicht in die Zukunft. Zuletzt tröstete er sich über den Verlust des Altarkelchs mit der bekannten Weisheit, daß nicht alle Kugeln treffen. Wer weiß, – vielleicht war gar keine für ihn gegossen. In diesem Falle hatte er die Passauer Kunst nicht einmal nötig und konnte den Kelch verschmerzen.
War er nicht überhaupt ein törichter Tropf, daß er sich schon den heutigen Tag durch schwarze Gedanken vergällte? Heute lebte er ja noch und zudem hatte er Geld, so unmenschlich viel Geld, wie er noch niemals besessen. Ganz umsonst hatte er den Einbruch also doch nicht unternommen. Wär' er nicht ein Narr gewesen, wenn er dem toten Bildstock die Taler und Dukaten gelassen hätte? Das geschnitzte Marienbild konnte nichts anfangen damit, während er sich eine lustige Zeit machen wollte.
Drum trank er und trank. Freilich hätte ihm Bier noch besser geschmeckt als dieser fade Wein, der ihm wie gezuckerter Essig vorkam. Aber damals gab es in Hanau nur wenige Bierstuben und diese waren alle überfüllt. Und weil er möglichst allein sein wollte mit den in ihm stürmenden Gedanken, deshalb saß er beim Wein.
Das Geld dazu steckte überreichlich in seinen Taschen. Wieviel war es denn eigentlich? Um den Betrag zusammenzurechnen, fingerte er heimlich an den Münzen herum, ohne sie aus den Taschen herauszunehmen, und sortierte sie nach dem Gefühl. Das 65 da, die ganz großen mußten Kronentaler sein, – sechs, sieben an der Zahl, und die anderen, ebensoviele kleineren waren entweder Zweiguldenstücke oder preußische Taler. Wieviel machten denn diese Silberlinge zusammen aus?
Er bemühte sich das Fazit im Kopf auszurechnen. Wäre ihm dies schon in nüchternem Zustande schwer gefallen, – denn ein Meister in der Arithmetik war er nie gewesen, – so versagte seine Kunst jetzt vollständig. Die Ziffern und Zahlen wirbelten in seinem von Weindunst umnebelten Gehirn schauerlich durch einander und vollführten einen tollen Tanz. Er kam zu keinem Ziel.
»Ach was!« dachte der rote Sepp. »Warum soll ich mich lange mit dem Kopfrechnen plagen? Ich lasse mir ein Stück Papier und einen Bleistift geben. Dann geht es viel besser.«
Gedacht, getan. Sepp klopfte mit der geleerten Flasche auf den Tisch.
»Bringt mir etwas Papier und einen Bleistift,« sagte er zu der auf dieses Zeichen herbeigekommenen Wirtin. »Ich muß etwas aufschreiben. Und reicht mir auch eine frische Flasche Wein!« –
»Was?!« brummte der Wirt mit einem finsteren Blick auf den Soldaten. »Der unheimliche Mensch säuft ja, als wollte er die Stimme eines bösen Gewissens ertränken! – Frau, das sage ich dir: mehr als diese Flasche bekommt er nicht mehr; es ist die letzte. Denn schließlich kann er auf keinem 66 Bein mehr stehen, und wir bekommen Ungelegenheiten mit dem Militär. Und laß dir auch sofort die Zeche bezahlen! Ich borge dem Trunkenbold nicht länger.«
Die Wirtin kam dem Auftrag ihres Mannes nach.
»Hier habt Ihr Papier und eine Bleifeder,« sagte sie, die Sachen vor Sepp auf den Tisch legend. »Und da ist auch der Wein, – die vierte Flasche. Darf ich Euch gleich um Bezahlung bitten?«
»Hoho!« brauste der Soldat auf. »Ihr traut mir nicht? Glaubt Ihr etwa, ich verlange Euer schlechtes Gesöff umsonst? Meint Ihr, ich hätte kein Geld?«
»Das habe ich nicht gesagt,« erwiderte die Frau ruhig. »Aber mein Mann wünscht die Begleichung der Zeche, damit es später zu keinem Irrtum kommt. Der Wein ist stark, und Ihr könntet dann meinen, wir wollen Euch übervorteilen. Also vier Flaschen – wenn ich bitten darf!«
Sepp ärgerte sich gewaltig. Er fühlte, wie sein Blut ins Kochen kam und ihm an die Schläfen pochte.
»Ihr traut mir nicht,« zischte er die Wirtsfrau spinnengiftig an;»das merke ich ganz deutlich. Was bin ich denn schuldig für Euer seifiges Spülwasser?«
»Seid nicht böse, Herr! Aber was Ihr getrunken habt, war kein Spülwasser, sondern guter starker Wein, wenn er auch billig ist. Vier Flaschen kosten einen Gulden zwölf Kreuzer.«
67 »Und wegen eines solchen Bagatellbetrags werde ich gefordert!« fuhr Sepp auf. – »Da habt Ihr Euern Bettel!«
Mit diesen Worten langte er in die Tasche seines Beinkleids, holte daraus ein großes Silberstück hervor und warf es so heftig auf die Tischplatte, daß es klappernd einen Wirbel schlug.
»Ich bekomme heraus,« fügte er bei; »es ist ein Kronentaler.«
Die Wirtin zählte den Überschuß über die Zeche vor den Soldaten hin und griff nach dem Taler.
»Er ist ja gehenkelt!« rief sie.
»Das macht doch nichts; deshalb gilt er nicht weniger,« sagte der rote Sepp. »All mein Geld ist gehenkelt. Es sind lauter Taler und Dukaten, die meine Großmutter von ihrem Festtagsmieder abgeschnitten und mir in die Kaserne nachgeschickt hat. Da schaut nur her!«
Und nun verleitete ihn der Rausch zu einem Schritt, den seine durchtriebene, vorsichtige Schlauheit bei gesunden Sinnen zweifellos niemals zugelassen hätte. Machte ihn der Wein prahlerisch, oder führte ihn der unklare Wunsch, die Wirtin wegen des einen gehenkelten Geldstücks zu beruhigen, dazu, – er leerte den gesamten Inhalt seiner Taschen auf den Tisch und stapelte ein kleines Häufchen silberner und goldener Münzen vor sich auf.
»O Jesu, wie wird mir denn!« schrie die Wirtin plötzlich mit lauter, gellender Stimme. »Jetzt geht 68 mir ein Licht auf. Heute nacht ist die Kirche in Großauheim ausgeraubt und das Geld vom Mantel der Muttergottes abgeschnitten worden! Und da sitzt der Dieb; denn an diesem Dukaten hängt noch ein Stückchen Samt mit Goldflittern. – Mann, komm schnell her und halte die Tür zu! Lauf einer um die Wache! O Jesu, wie recht hatte mein Mann, dem der Bursche von allem Anfang an verdächtig erschien!«
In der Wirtsstube war ein Getümmel entstanden. Die von ihren Sitzen aufgesprungenen Gäste drängten dem Tisch zu, an welchem der aufregende Vorfall sich abspielte.
Sepp besaß trotz seines Rausches noch so viel Besinnung, daß er begriff, in welcher Gefahr er schwebte. Im Nu hatte er Geld, Papier und Bleistift zusammengerafft und in seinen Taschen versenkt. Dann schnellte er von seinem Stuhl in die Höhe, stieß den Wirt mit gewaltiger Wucht vor die Brust, daß er von der Tür zurücktaumelte und diese freigab, riß sie auf und war mit einem Sprung draußen im Freien.
Nach wenigen Minuten hatten ihn seine Verfolger, – bürgerliche Gäste und Soldaten aus der »Traube«, – aus dem Gesicht verloren. Denn er rannte kreuz und quer in rasendem Laufe durch die ihm unbekannte Stadt, und der Mond war noch nicht aufgegangen. – 69