Ernst Barlach
Protokolle und Porträts
Ernst Barlach

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Diario Däubler

Porträtstudie Theodor Däubler, Taschenbuchblatt aus Güstrow, Bleistiftzeichnung, 1912
16,4 X 9,7 cm
Barlach-Nachlaßverwaltung Güstrow (Heidberg)

Schwungbrettnatur: statt das Sichere, wenn auch Schwankende unter sich festzuhalten, macht er es zum Anlaß, ins Bodenlose zu kommen. Durch den Äther zu schießen ist ihm leichter, wenn auch über Kopf, als nach der Regel auf den Füßen zu stehen. Seine mächtige Leiblichkeit ist bei allem schwebend, nicht lastend.

 

Ziellosigkeit ist sein Wesen, denn eigentlich ist er immer am Ziel, er braucht nicht zu streben. So ist er jedem gut Freund und ausdauernder Genosse im Zeittotschlagen. Denn die Zeit ist seine Krankheit, er ist der Prophet der Zeitlosigkeit.

Sein Fett hängt an ihm wie seine Zeit, er kann es nicht loswerden und sie auch nicht. Und predigt doch immer, es gibt kein Fett und keine Zeit. Und in der Tat, wie er mit seinem Fett schwebt trotz seinem Fett – so ist er trotz seiner Zeit zeitlos.

 

Däubler – zeitig, fettig – ist Däubler, aber unzeitig schwebend – ist Erbrechen seiner selbst, Entleerung, Vernichtung des Viertels, um ein Ganzes zu füllen.

 

Sein Baden ist sein Bestes, er ersäuft seinen fetten Leib im salzigen Überall. Seine Zeit im Unbegrenzten, Reden, Beschwören, Prophezeien ist sein Bestes, gleichsam sein geistiges Baden; er erbricht sein Individuum im Absoluten.

 

Er möchte überall sein, und das heißt nirgendwo sein. Er möchte das Sehen umbringen, weil er weiß, das Licht, das bessere Licht, wird sich Augen schaffen, die ihm angemessener sind. Im Nordlicht schafft sich die Dunkelheit höheres Licht, Erde wird Gott.

 

Am Webstuhl der Zeit reißt er alles entzwei. Da – am Webstuhl – ist Menschentum und Begrenztheit, das lächerliche Gut-Schlecht, der Mensch, dies Wesen Gutböse, dies lächerlich erhabene Stück Natur, das das Gewand der Zeit schmückt, – aber er – Däubler – läßt Gutschlecht gut sein und hält sich ans Kristallisierte, ans Exkarnierte, sein Fleisch möchte sich entfleischen und zum Donner werden, sein Geist sich entzünden und zum Blitz werden. Er möchte sich entladen und entspannen, um an der allgemeinen Ruhe des großen Allglücks teilzuhaben.

 

Seine Predigt ist zugleich Liturgie.

 

Benehmen weltmännisch, mit den empfangenden Gebärden, die wie ein Blanko-Akzept zu sagen scheinen: Sie können schwatzen, wie Sie belieben, ich respektiere Alles. Er horcht zu wie auf Allerweltsweisheit, neigt den Kopf dabei, trinkgelddurstig nach jedem Wortgroschen.

Aber dann ergreift er das Panier mit einer Würde von Gottes Gnaden. Das muß irgendwo auf der Hügelkrone wallen, derweil er selbst Burgen baut und Mauern hochhebt und Altäre untermauert, unterirdische und überhimmlische Gänge anlegt. Er schmeißt die Faust und hämmert einen Zauberschlag in die Luft – und die Welt erstarrt und schrumpft und gestaltet sich zum geometrischen Bild. Das balanciert er nun auf der flachen Hand, und, weil es noch glühend ist vom Schrumpfprozeß, läßt er es zum Abkühlen von der Höhlung der Rechten in die der Linken rollen und nimmt es dann zwischen Daumen und Zeigefinger der Rechten. Daran hindern ihn nicht Hemdsäume, die aus dem Ärmel wulsten, oder Kragenverhältnisse, die ganz aus der Zeit gefallen sind. Dieser Kristall wird nun wie ein rohes Ei gehandhabt, ausgeblasen und wieder vollgedeutet, und Kolumbus-Däubler macht uns die Entdeckung einer neuen Welt handgreiflich vor.

 

Wir marschieren von Florenz bei Mondschein ab, irgendwo wird [die] Marseillaise gesungen, da schwenkt er begeistert den Hut; wir steigen zu Berg im blanken Schimmer, und er gesteht, allein so wäre er nicht ohne Unruhe; wir kommen an die Villa Romana und stehen noch lange im Mondschein spät nachts im Campo und schmausen Trauben.

 

Im Alten Krug in Dahlem sitzen wir mit Moeller-Brucks von vier bis zehn Uhr. Er, zum Entsetzen des Kellners, zermahlt seine Zigarettenasche auf der Untertasse. Merkt auch nicht, daß Kellnersorge über ihm wacht und ihm vergeblich Aschbecher rechts und links anbietet. Dabei wuchtet er auf dem Rückgrat seines Stuhls wie Goliath auf einem Eselein, und seine Stimme wühlt im Raum wie Sturm. Er schlägt auf Orgeltasten und zieht die Register der Heiligkeit, bis die Kaffeetassen auf den Nebentischen anfangen zu klirren.

 

Kolportiert wird die Äußerung, klagend: »Ich muß mir halt meine Freunde daraufhin suchen, ob mir ihre abgelegten Röcke mal passen werden.«

 

Er stürmt durch die Straßen der Städte und saugt sie aus wie ein Vampir: Schönheitsblut. Aus den Menschen zieht er das Ungetümliche, nicht das Eigentümliche. Städte müssen ihre Mythen bluten, Menschen müssen sich zu Gestalten ballen, ihre Massen ins Himmelsbereich hinaufwallen. Er blutet nicht für die Menschen, aber er bläst die Menschheit voll Bedeutung; das Reich, dessen Prophet er ist, ist nicht von dieser Welt. Er sieht eine einzige große Walpurgisnacht. Die Unheimlichkeit des Daseins ist seine Freude.

 

Man muß seine Gebärde malen, seiner Beine, seiner Arme, seines Rumpfes. Wie er stampft übers Feld der Welt, wie sein Brustgebäude und Leibsockel auf Ellbogen-Säulen vom Tischhorizont emporwölken, wie sein mondmildes Gesicht aus Haar- und Bartgestrüpp herausleuchtet. Und auch die Verschmitztheit seines Auges darf man nicht vergessen, denn sein Auge hat viele Jahre hindurch als Wildauge gedient, wenn er im Dschungel großer Städte mit Übeln aller Art verfolgt wurde. Er hat das Auge des Rehs und des Bibers, ja der Ratte, die durch Löcher schlüpft und unterirdisch vor Hunger im Holz nagt. Er hat Gelegenheiten hurtig erfassen gelernt und wurde wachsam und mißtrauisch. Wenn er nicht arbeitet und sich leer und traurig fühlt, ist sein Blick weinerlich, denn die Dinge sind dann wie krank oder tot, und wie kann man mit Lust tote Dinge anschaun? Aber wenn der Dichter-Großalarm bei ihm geblasen wird, dann strotzen die Dinge, dann werden sie zu Trauben der Mystik, dann wittert seine Seele himmlischen und geistigen Vorrat, und der Saft des Geschauten spritzt ihm in die Augen.

 

Seine Umstände mit dem Eigentum. Gott, was muß man zahlen, wenn man seine Koffer, in denen Plunder steckt, von Italien heraufschicken läßt! Und man bloß hundert Mark monats zu vertun hat! Seine Stiefel – Kähne!

Und er schwärmt vom freien Seeräuberleben, wird aber bei jeder Kahnfahrt seekrank. Der Sänger des Meeres bekotzt die blaue Flut!

 

Und er haut ein, es ist eine Freude und eine ganz unmystische. Aber warum nicht? Soll die Mystik in ihn hinein? Genügt es nicht, wenn sie aus ihm herausschwitzt? Ist er nicht voll von ihr und leer sein Magen? Soll Speis und Trank seiner Mystik nicht dienen? Das ist der wahre Prophet, in dem Salat und Braten sich in Prophezeien verwandeln und nicht bloß ihren Durchgang nehmen.

 

Abends, den 21. August 1912, wo mittags Däubler in der Richtung nach Schwerin abreiste:

Lächerliches und Großartiges gemischt. Anspielung im Coupé auf Italien und den Süden. Fremdwörteraussprache: Soßialdemokraßie. Überhaupt ein Drübersein über dem Alltag. Darum, weil er ewig Sonntag hat, wirkt er unzugehörig. Herrisch-herrschaftlich in Fragen an Kellner u. dergl. Ohne »Danke!«, wenn die Speise aufgesetzt wird.

Wir beschauen Kirchen, d. h. wir erheben Häupter und Brüste zum Auffliegen, wir stehen auf den Plätzen herum wie Besucher im siebten Himmel.

Däublers Daherwalzen, mit ihm im Kielwasser ein ganz fremder Äther, aufrührt er Ungewohnheit, reizt mit Ansprüchen: ich Wilder, Besserer, Verbesserer! Das verkehren die Rostocker und Wismaraner in: ich Ungetüm, ich Verbohrter, ich Verkehrter.

Leider zu dick, tanzbärartig, aber immer mit Schulternrücken oder bei Unterhaltung Handgriffen, Handgriffgesten, Demonstrationen wie ein Jongleur mit Glasbällen, daß es ein ewiges Aufzucken in ihm ist, und das reizt die Stralsunder und Neubrandenburgianer! Sie sehen, er ist ein Niedergestiegener, bloß bepackt, angeseilt, Gewichte schleppend, bepackt mit Fett und Erdwulsten, die ihn am Aufsteigen hindern. Also ein gnadenlos Herabschauender. In seinem Blick, bei aller Milde und Versöhntheit, liegt kein Verbrüderungsanerbieten, nicht mehr Frère-et-cochonhaftigkeit, wie wenn er aus der Höhe von dreitausend Metern herunterlugte. Immer: dies Gewimmel, dieses überflüssige Dasein! Er schaut drein wie Li-Tai-Pe, wie ein gewaltiger ungetümlicher Wanderpoet. Der leidet an sich selbst und der Welt wie ein verbannter Gott. Er schaut drein wie ein Gesandter eines barbarischen Kaisers, verächtlich erhaben trotz hereingekrempelter und immer hervorstülpender, knittriger Hemdärmel-Säume. Schaut drein wie Teil, dessen Pfeil irgendwo ein Herz durchbohrt.

 

Wie er am Morgen des 21. August Reisefieber hatte nach Schwerin! Wie er im Portemonnaie nach einem Trinkgeld Umschau hält, als wollte er hineinkriechen; wie er schwitzt, weil er den Koffer drei Meter weit von draußen nach drinnen hinter die Tür setzt!

 

Wie er bei Tisch behend zur Schüssel langt und rechts und links nagt, pflückt, knuspert, teilt und durch den Mund wegeskamotiert! Wie sein Appetit löwenähnlich auf der Lauer liegt und überall lugt, wo er etwas verschlingen könne! Wie er die Pfoten dirigiert zum Heranlangen und Empfangen, wie er den Selbstmord durch Platzen vorbereitet und sorglos, ohne Schuldbewußtsein, nicht furchtsam wie ein Philister, durch die Zeit hindurchschmaust! Und wie er bei allem darübersteht und das alles eigentlich gar nicht an sich hat; er befaßt sich bloß damit, aus Schicksal, aus Langerweile, aus Überdruß an der Zeit, seine Zeit zu mindern und sich die Zeit zu verekeln.

 

Wie er bei Nacht, nach dem Hummermahl in Wismar, auf der Treppe lag und die breite Front des Georgskirchenturms (des Däublerturms!) hinauf starrte und ihn apostrophierte: »Du sollst den Nordturm in den Nordsturm strecken – – –!«

Wie er den Turm vom Scheitel bis zur Sohle mit den Augen maß und mit den schwarzen Seitenschrägen wie mit Keilen sein Inneres aufsprengte und sich zum Turm weitete!

Wie er die erhabene Riesenfront auf sich niederdräuen ließ, vertrauend wie ein Bruder dem andern, daß er ihn nicht zufällig zerträte, von seiner eigenen Kolossalität geschützt!

Wie wir gen Wismar vom Baden zurückdampfen und die drei Riesen daliegen sehen: Den Niko, den Hals hochgereckt und die Seitenflanken wie zwei Beine seitwärts gestemmt, mit den Strebepfeilerrippen, und den Georg, geduckt, kurznackig, däublerhaft, mit gestacheltem Rücken. Ein Stachelschwanz am Leibesende.

 

Im Hotel wirkt er sicher wie ein fahrender Fürst: der Hölle entfahren. Sie staunen ihm nach. Möglicherweise ist er riesig reich, riesig jedenfalls, und da er imponiert und dick ist, so kommen sie eben nur auf riesig reich – nicht auf riesig arm. Im Paletot ist er wie ausgestopft; wenn er übern Markt in Wismar zum Häuschen schreitet, übers holprige Pflaster stampft, und durch den Schlitz des dunklen Überrocks das Jackett gelblich blitzt – muß man an eines Affen fatales Gesäß denken, der, ohne daß ers weiß, nach hinten und von hinten über ihn grinst.

 

Inmitten himmelstürmender Pfeiler und Mauern verbeißen wir uns die Menschlichkeit, aber bei Tisch und wenn wir zu Tisch stürmen, lassen wir sie wieder zu Gnaden kommen. Wieso fühlen wir uns dann zu Hause im Hotel? Fühlten wir uns wirklich zu Hause im Hause Gottes? Na ja, man kann sich nicht auseinanderreißen; wenn es schon nach oben geht, soll man da Magen, Darm und Beinwerk und was dazwischen ist mitfahren lassen? Wozu? Und wenn es zu Tisch geht, meinetwegen tief abwärts in den Stralsunder Ratskeller oder den Rostocker, was tun wir mit der Höhenluft, die noch an uns hängt? Sie macht uns Appetit, das ist es, sie hat unser Unteres mürbe, müde und durstig gemacht – na, da man einmal nicht auseinanderreißen kann, so wird unser Oberes gefälligst gute Miene machen wie ein Pastor beim bäuerlichen Taufschmaus.

 

Aber doch, die Turmvorkirche St. Marien in Stralsund, das Turminnere als Vor- und Sonderkirche eines übergöttlichen Gottes ohne Dogma und Konvention, bloß Gefühl der Gewalt, der Höhe, des Ungeheuerseins, kein Verhältnis zum Menschen wie drinnen mit Chor, Schiff und dem ganzen Herkommen – hier vorne nur ein Bekenntnis des Unbegreiflichen, nicht des Menschenvaters, sondern des Unmenschlichen, den doch auch der Mensch in sich ahnt, den er aber nicht verehrt, sondern gegen den er sich bäumt wie in Verachtung als Entgelt für Verachtung, fürs Über-Sein.

 

Und doch ist im Däublerischen etwas Hochstaplerisches, ein Vormachen, immer hat er eine Schlinge in der Tasche, die er uns überzieht, wenn wir ihm vertraulich den Hals hinhalten. Der Höhenmensch geht in Kähnen und sieht, hört, schmeckt wie andere auch. Manchmal greift er mit den Armen an das himmlische Reck und macht einen Bauchaufschwung, sieht von oben aus der Fülle in unsre Armut herab und macht doch am Ende wieder einen Abschwung. Er möchte aber, wir sollen nicht merken, daß da eine Turnstange ist, und denken, es war Schweben und Entrücktsein. Er winkt anmutig mit den Brauen: es geht, man schwebt, und winkt hochwärts, als wolle er eine Hand in den Wolken schütteln. Er macht aus allem ein geistiges Abenteuer vor, auch wenn er auf einem Heuwagen sitzt wie Jovis oben in den Wolken; dann leugnet er die zwei Pferde und den Kutscher ab und schwebt vorüber; nachher ist er wieder da und macht nur die Mitteilung, daß es ein wenig gehext hätte, er wüßte auch nicht wieso und wozu.

 

So mit Picasso! Das ist psychische Geometrie, Gottes-Denken und Trachten-Mechanik, seelische Winkel und Gefüge geistigen Linien-Gestaues. Ich sage aber prost Mahlzeit dazu; für mich ist das Organische in der Natur der Ausdruck eben des Inneren, die Menschengestalt der Ausdruck Gottes, soweit er im Menschen und hinterm Menschen brütet, steckt, wühlt. Kann man das Innere durch Linien ausdrücken? Durch andres als das Äußere? Kann man, um etwas auszudrücken, etwas Andres geben als den Ausdruck? Kann man inneres Sein abmalen, kann man andeuten »so gehts da her« und stellt sich in Gedanken ins Innere des Innern, stellt sich ein Werk vor, was im Inneren wie ein Uhrwerk steckt? Kann man die Räder und die Mechanik des Uhrwerks darstellen und sagen, das ist die Zeit, statt das Sonnenbild des Zifferblattes und das Geläuf der Zeiger zu zeigen? Psychisches Formen – da müßte man die Freude, den Schmerz, die Rührung, die Hoffnung, die Verzweiflung sehen lassen und wodurch besser als auf dem Zifferblatt des menschlichen Antlitzes mit dem Zeigerspiel der Falten? Er selbst hat doch vier Zeiger im Gesicht, seine zwei Augenbrauenbogen treffen sich an der Nasenwurzel wie an ihrem Ansatz und schwingen sich schräg abwärts zwischen Nase und Backe bis zum Bart hinab, vier Zeiger, die sein psychisches Geschehen abmalen, ein Stern, wie er selbst gefunden hat, der schwingt und zittert. Nein, Däubler, das ist Hochstapelei, wenn auch Picasso mit seinen Ecken und Winkeln der Organisator ihm notwendiger Bildbestandteile sein mag, ein ornamentaler Absolutist. Ich selbst weiß, wie das lockt: bloß Striche und Flächen zu fügen, aber es ist nicht das Ende, sondern vielleicht ein Durchgang, eine Handübung, um aus dem gewohnten Überdruß herauszukommen. Meinem Bedürfnis, Blätter und Leinwand so zu erfüllen, genügt es allenfalls, weil ich mir im stillen Kämmerlein so ganz nach meinem Wesen feste Form geben will, weil ich das Gelernte abstreifen will. Es ist, als mache ich mir für mein Auftreten im Öffentlichen eine bestimmte Gebärde zurecht: so möchte ich mich stilisieren, so und so Charakter annehmen, aber das ist nicht das Ende, sondern Träger und Mittel eines Wesens, das doch einmal da sein muß: schließlich muß ich doch menschliche Angelegenheiten erledigen, und dann tuns nicht die Manieren, sondern doch der »Inhalt«. Am Ende kann ich mir eine Sprache erdenken: solche Töne möchte ich reden, die a's, die b's, die c's so rollen, mit solchen Konsonanten gruppieren, so möchte ich klingen – schön, aber wenn ich damit in der Versammlung auftrete, muß ich Sinn und Seele dazutun, dann mag ich nach Vermögen gern meine Buchstaben ordnen und meine Laute frisieren. Schließlich soll das menschliche Auge, das Ohr, der Sinn befriedigt werden, angeregt, da kann ich keine Welt, die nicht existiert, formen, da muß ich mich mit verständlichen Zeichen ausdrücken. Picasso redet Esperanto eigener Erfindung und beansprucht: der Klang, der Vortrag, die Geste muß wirken. Aber sie wirkt natürlich bloß aufs Auge, ästhetisch. Gefühl, Seele wird nicht bewegt. Es müßte eine Konvention neuer Formen geschaffen werden, die den Inhalt der menschlichen Interessen begreift, eine Notenschrift, eine Zeichensprache müßte verabredet werden.

Kußgruppe II, Bronze, 1921
16,5 X 19,5 X 12 cm
Kunsthistorisches Museum Wien


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