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Es ist für die Beurteilung der kommenden Ereignisse und unsere Stellung zu denselben notwendig, eine summarische Uebersicht der Vorgänge zu geben, die schließlich die langen diplomatischen Kämpfe, die Oesterreich und Preußen um die Vorherrschaft in Deutschland führten, auf dem Schlachtfeld zur Entscheidung brachten.
Durch den Tod des Dänenkönigs Friedrich VII., November 1863, tauchte von neuem die schleswig-holsteinsche Frage auf, da mit dem Tode des Königs die Oldenburger Linie erloschen war. Den neuen Dänenkönig Christian IX. erkannten die Schleswig-Holsteiner als erbberechtigten Herzog nicht an, sondern entschieden sich für den Prinzen Friedrich von Augustenburg, der denn auch seinen Regierungsantritt als Herzog Friedrich VIII. verkündete. Damit war die Zugehörigkeit der beiden Herzogtümer zu Deutschland ausgesprochen, was allgemein große Genugtuung hervorrief. Dänemark widerstand dieser Lösung. Der Bundestag mußte sich also für die Bundesexekution gegen Dänemark entscheiden, deren Ausführung er Sachsen und Hannover übertrug. Aber sie paßte nicht in Bismarcks Pläne. Er ließ durch seine Kronjuristen nachweisen, daß der Augustenburger nicht erbberechtigt sei, eine Entscheidung, die die öffentliche Meinung gegen die Bismarcksche Politik aufs äußerste erregte. Man sah in Bismarck, dem Manne des preußischen Verfassungsbruchs, nicht denjenigen, der die Frage im Sinne der Bevölkerung von Schleswig-Holstein lösen würde, man erinnerte sich auch wieder, daß es Preußen war, das an dem schmählichen Ausgang des ersten Schleswig-Holsteinschen Krieges gegen Dänemark, 1851, die Hauptschuld trug.
Der Vorstand des Nationalvereins fand daher lebhafte Zustimmung, als er bereits im Spätherbst 1863 in einem Aufruf, unterzeichnet von Rudolf v. Bennigsen als Präsident, das Volk zur Selbsthilfe aufrief. In dem betreffenden Aufruf hieß es: »Der Nationalverein fordert alle Gemeinden, Korporationen, Vereine, Genossenschaften, fordert alle Vaterlandsfreunde, die sich mit ihm zu dem großen Werke verbinden wollen, auf, ungesäumt Geld herbeizuschaffen – und Mannschaften, Waffen und alle Mittel bereitzuhalten, die zur Befreiung unserer Brüder in Schleswig-Holstein erforderlich sein werden.«
Dieser Aufruf verstieß zweifellos gegen eine Reihe Gesetze in den Einzelstaaten, aber kein öffentlicher Ankläger rührte sich. Die Volksstimmung sympathisierte mit diesem Vorgehen.
Kurz nachher veröffentlichte der Ausschuß des Nationalvereins für Schleswig-Holstein einen Aufruf, in dem es hieß:
»Wohlan! rüsten wir uns, auf daß, wenn der Augenblick zum Handeln gekommen ist, die deutsche Jugend kampfbereit zu den Waffen greifen kann.... Die vielleicht nur sehr kurze Zwischenzeit möge sie benutzen zur Uebung in den Waffen und zur taktischen Ausbildung.«
Man sieht, wie damals die liberalen Wortführer die Durchführung der Volksbewaffnung in kurzer Zeit für möglich hielten. Wehe dem Sozialdemokraten, der heute einen ähnlichen Aufruf erlassen wollte. Das ist der Fortschritt seit jener Zeit! –
Hier möchte ich einfügen, daß mit Beginn der sechziger Jahre neben der massenhaften Gründung von Arbeitervereinen auch die massenhafte Gründung von Turn- und Schützenvereinen vorgenommen wurde, die in der nationalen Bewegung jener Tage eine große Rolle spielten. Bismarck sah diesem Treiben sehr mißmutig zu. Die großen Feste, die jene Vereinigungen für ganz Deutschland abwechselnd veranstalteten, waren Massenvereinigungen, die sich in der Hauptsache mit der deutschen Frage beschäftigten. In Leipzig fand im August 1863 das allgemeine deutsche Turnfest statt, dem selbst Herr v. Beust seine Reverenz machte. Aber während dieser eine patriotische Rede auf dem Turnplatz hielt, verbot die Leipziger Polizei den Verkauf der Reichsverfassungsurkunde von 1849 an öffentlichen Orten. Ich nahm ebenfalls insofern an jenem Feste teil, als unsere Sängerabteilung, deren Vorsitzender ich nach dem Austritt Fritzsches geworden war, mit den übrigen Gesangvereinen Leipzigs die Gesangsaufführungen in der Festhalle ausführte. Im Oktober desselben Jahres fand auch die fünfzigjährige Feier der Schlacht bei Leipzig statt. Dieses Fest war in seiner Art noch weit großartiger als das Turnfest. Es wurde ebenfalls zu großen politischen Demonstrationen benutzt. Ich wirkte hier gleichfalls als Angehöriger unserer Sängerschar mit.
Es wurden von jetzt ab in ganz Deutschland Versammlungen zugunsten der Unabhängigkeit Schleswig-Holsteins veranstaltet. In Leipzig beschloß eine Arbeiterversammlung, in der alle Richtungen vertreten waren: »sie betrachte es als die Pflicht der deutschen Arbeiter, der Ehre, dem Rechte und der Freiheit des Vaterlandes in allen Fällen, wo diese bedroht seien, ihren Arm zur Verfügung zu stellen«. Im gleichen Sinne wurde in anderen Städten resolviert. Der in Frankfurt a. M. Ende 1863 abgehaltene Abgeordnetentag, der von 500 Abgeordneten besucht war, erklärte sich gegen die Annexion von Schleswig-Holstein an irgend einen deutschen Staat. Der Beschluß zielte gegen Preußen und Bismarck, für dessen Politik damals selbst diejenigen Liberalen nicht einzutreten wagten, die innerlich für eine Annexion an Preußen waren.
Natürlich war Bismarck über diese seiner Politik bereiteten Hindernisse aufs höchste aufgebracht. Er verlangte vom Frankfurter Senat die Auflösung des Sechsunddreißiger-Ausschusses des Abgeordnetentags, dessen Vorsitzender der Stadtrat Siegmund Müller in Frankfurt war. Ferner verlangte er vom Senat das Verbot der Wehrübungen der Frankfurter Jugend. Mit beiden Anträgen fiel er ab. Aber er vergaß dieses Frankfurt nicht. 1866 mußte das »Demokratennest« dafür büßen, indem er es erst drangsalierte und dann annektierte. Schließlich fand die schleswig-holsteinsche Frage doch die von Bismarck geplante Lösung. Es gelang ihm, den Leiter der österreichischen Politik, Graf Rechberg, gründlich einzuseifen und für seine nächsten Pläne zu gewinnen. Statt der Bundestruppen, die mittlerweile in Schleswig-Holstein eingerückt waren, führten jetzt Preußen und Oesterreich den Krieg gegen die Dänen, die ihnen gegenüber bald unterlagen und genötigt wurden, im Friedensschluß Schleswig-Holstein und Lauenburg an Preußen und Oesterreich abzutreten. Oesterreich machte schließlich mit Preußen noch ein Handelsgeschäft, indem es seinen Anteil an Lauenburg für 2-½ Millionen Taler an Preußen verkaufte. Der Krieg war von Bismarck gegen den Willen der Abgeordnetenkammer geführt worden, die mit 275 gegen 80 Stimmen die geforderte Kriegsanleihe verweigert hatte. Man kann sich vorstellen, daß diese Art zu regieren die Stimmung für Preußen nicht stärkte, die im übrigen Deutschland noch verschlimmert wurde, als nach langen Verhandlungen zwischen Preußen und Oesterreich der Vertrag von Gastein, 14. August 1865, bekannt wurde, nach dem die Verwaltung von Schleswig an Preußen und jene von Holstein an Oesterreich fiel. Das war der zweite Meisterstreich Bismarcks, der damit den Keil zwischen Oesterreich und dem Bunde immer tiefer trieb. Allerdings bot sich jetzt der Welt das heitere Schauspiel, daß die Preußen unter Manteuffel alle Demonstrationen zugunsten des Augustenburgers in Schleswig rücksichtslos unterdrückten und überhaupt ein sehr strenges Regiment führten, wohingegen die Oesterreicher unter dem General v. Gablenz in Holstein allem freien Lauf ließen. Wie Gablenz seine Aufgabe auffaßte, zeigt seine Aeußerung: »Ich werde die bestehenden Landesgesetze beachten, damit kein Holsteiner bei meinem eventuellen Wegziehen von hier sagen kann, ich habe rechtlos regiert. Ich will hier im Lande nicht als türkischer Pascha regieren.« Das war eine moralische Ohrfeige für Herrn v. Manteuffel.
Daß die neue Ordnung in den Herzogtümern nur ein Provisorium sein konnte, war klar. Diese Lösung war keine. Schließlich mußte die Auseinandersetzung zwischen Preußen und Oesterreich kommen, und die konnte, nachdem alle übrigen Faktoren ausgeschaltet waren, nach Bismarcks Ansicht nur durch einen Krieg erfolgen. Auf diesen arbeitete er nun systematisch hin. Auf der einen Seite suchte er sich durch dilatorische Verhandlungen, wie er sie später nannte, Napoleons Neutralität durch Versprechungen auf eventuelle Abtretung deutschen Gebiets an Frankreich zu sichern – die Rheinpfalz und das preußische Saarrevier standen bei den Unterhandlungen in Frage – , andererseits schloß er mit Italien ein Abkommen, wonach es im gegebenen Falle Oesterreich im Süden angreifen sollte, sobald Preußen von Norden losschlagen würde. Bezeichnend für die Art, wie Bismarck seine »nationale« Politik durchzusetzen suchte, sind die Verhandlungen mit den italienischen Staatsmännern, die später der italienische Ministerpräsident La Marmora in seinem Buche »Mehr Licht« veröffentlichte. Im März äußerte Bismarck gegen den italienischen außerordentlichen Militärbevollmächtigten in Berlin: der König habe die allzu ängstlichen legitimistischen Skrupel aufgegeben. Er hatte Bedenken, sich mit dem durch Kronenraub und Annexionen groß gewordenen Italien zu verbinden, auch wollte er aus legitimistischen Bedenken keinen Krieg gegen Oesterreich führen. In einigen Monaten, so fuhr Bismarck fort, werde er die Frage der deutschen Reform, verziert mit einem Parlament, aufs Tapet bringen, mit diesem Vorschlag Wirren hervorrufen, die dann Preußen in Gegnerschaft mit Oesterreich bringen würden, worauf es zwischen beiden zum Kriege kommen werde.
Dieses Programm wurde prompt ausgeführt.
Am 3. Juni berichtete der italienische Gesandte in Berlin, Govone, seiner Regierung, Bismarck habe ihm gegenüber geäußert: »Ich bin viel weniger Deutscher als Preuße und würde kein Bedenken tragen, die Abtretung des ganzen Landes zwischen dem Rheinufer und der Mosel an Frankreich zu unterschreiben: Pfalz, Oldenburg, einen Teil des preußischen Gebiets.« ... »Sorge mache ihm der König, der das religiöse, ja abergläubische Bedenken habe, er dürfe die Verantwortung für einen europäischen Krieg nicht auf sich laden.«
Die Darlegung der Zettelungen, die Bismarck mit Italien führte, um durch Anstiftung revolutionärer Erhebungen in Ungarn und Kroatien Oesterreich zu schwächen und die Heeresteile aus den erwähnten Ländern zum Abfall von der österreichischen Armee zu bringen, will ich im einzelnen nicht schildern. Diese Vorgänge zeigen, daß hoch- und landesverräterische Unternehmungen gerade gut genug waren, um Bismarck zum Ziele zu führen, und Hoch- und Landesverrat nur dann Verbrechen sind, wenn sie von unten ausgehen. Preußen und Italien verständigten sich, daß die Kosten für diese revolutionären Erhebungen von ihnen gemeinsam getragen werden sollten. Ueberflüssig zu sagen, daß Oesterreich nunmehr seine Lage erkannt hatte und Gegenmaßregeln traf. Gegen Ende März begann das diplomatische Spiel lebhaft zu werden. Man begann sich beiderseitig mit Vorwürfen zu traktieren und – rüstete. Am 9. April stellte Preußen seinen Bundesreformantrag in Frankfurt a.M. Es beantragte, die Bundesversammlung wolle beschließen, eine aus direkten Wahlen und allgemeinem Stimmrecht der ganzen Nation hervorgegangene Versammlung für einen näher zu bestimmenden Tag einzuberufen, in der Zwischenzeit aber, bis zum Zusammentritt derselben, sollten die Regierungen die Vorlagen für eine Reform der Bundesverfassung untereinander feststellen.
Diesem Reformvorschlag wurde erklärlicherweise in weiten Kreisen mit intensivem Mißtrauen begegnet. Man sagte sich: Wie kommt Bismarck dazu, sich für ein deutsches Parlament auf Grund des allgemeinen, direkten Wahlrechts zu erklären und sich als radikalen Reformator aufzuspielen, er, der in Preußen im Widerspruch gegen die klaren Bestimmungen der Verfassung regiert, der die berüchtigten Preßordonnanzen, die Führung des Schleswig-Holsteinschen Krieges wider den Willen der Kammer, die eben erst getroffene Entscheidung des Obertribunals über den Artikel 84 der Verfassung, betreffend die Redefreiheit der Abgeordneten, und vieles andere auf dem Gewissen habe? Der Widerstand, den der preußische Reformvorschlag fand, veranlaßte im April die »Kreuzzeitung«, zu erklären, es bleibe nur eine Alternative: Bundesreform oder Revolution. In Wahrheit war es Bismarck mit seinem Vorschlag eines gesamtdeutschen Parlaments nicht Ernst, wie das sein späterer Parlamentsvorschlag an den Bundestag zeigte. Aber er dachte auch nicht einmal daran, die südwestdeutschen Staaten darin aufzunehmen, wie sich nachher herausstellte, als es sich um die Gründung des Norddeutschen Bundes handelte.
Zum Ueberfluß ist dieses durch die Denkwürdigkeiten des Fürsten Hohenlohe bestätigt worden. Bismarck sah damals in der großen Mehrzahl der Süddeutschen heterogene Elemente, die ihm seine Zirkel stören könnten. Erst die Wahlen zum Zollparlament und die Aufnahme, die der Krieg von 1870/71 in Süddeutschland fand, beseitigten seine Befürchtungen.
Das Vorgehen Bismarcks in der schleswig-holsteinschen und der deutschen Frage wirkte auf die Liberalen zersetzend; sie wurden in zwei Lager getrennt. Die einen sympathisierten mit seinem Vorgehen, die anderen konnten ihm seinen inneren Konflikt in Preußen nicht verzeihen und opponierten. Twesten schrieb Anfang Oktober 1865 an den Vorsitzenden des Sechsunddreißiger-Ausschusses: »Wir – er sprach also im Namen von mehreren – ziehen jede Alternative einer Niederlage des preußischen Staates vor.« Das hieß also: Siegt Preußen im Kampfe um die Vorherrschaft in Deutschland selbst mit Hilfe des Auslandes und unter Preisgabe deutschen Gebiets, wir stehen zu Preußen. Das war das Bismarcksche: »Ich bin mehr Preuße als Deutscher!« Mommsen meinte: Die Differenzen in Freiheitsfragen seien kein Grund, daß man Bismarck nicht in seiner auswärtigen Politik unterstütze. Und Ziegler, der Steuerverweigerer von 1848, der des Hochverrats angeklagt, zu Festung verurteilt und als Oberbürgermeister von Brandenburg gemaßregelt worden war, erklärte kurz vor Ausbruch des Krieges vor seinen Breslauer Wählern: Das Herz der preußischen Demokratie ist, wo die Landesfahnen wehen. Ziegler war ein merkwürdiger Herr. So hatte er einige Monate zuvor in einer Rede im preußischen Abgeordnetenhaus seinen Parteigenossen ein drastisches Zitat aus einer Rede Marrasts, der im Februar 1848 Mitglied der provisorischen Regierung in Paris wurde, an den Kopf geworfen, indem er ihnen zurief: Die Perversität ist euch vom Unterleib ins Gehirn gestiegen, ihr könnt nicht mehr denken.
Der Nationalverein suchte durch eine Generalversammlung, die er für Ende Oktober 1865 nach Frankfurt a.M. berief, in seiner Art ebenfalls der Bismarckschen Politik zu Hilfe zu kommen. Er erntete freilich keinen Dank. Bismarck war über diese Absicht so aufgebracht, daß er die österreichische Regierung veranlaßte, mit ihm eine Note an den Frankfurter Senat zu schicken, in der beide das Verbot der Generalversammlung forderten, ein Schritt, den nur ein Mann unternehmen konnte, der nicht mehr Herr über seine Nerven war. Der Senat lehnte auch diese Forderung ab, und die Generalversammlung fand statt. Die Beschlüsse besagten: Der Nationalverein bestätige seine früheren Beschlüsse, wonach er eine Zentralgewalt und ein Parlament mit der Reichsverfassung von 1849 als Ziel erstrebe und die Zentralgewalt an Preußen übertragen sehen wolle. Für Schleswig-Holstein fordere er das Selbstbestimmungsrecht mit der Einschränkung, daß, solange keine deutsche Zentralgewalt vorhanden sei, es die für eine Zentralgewalt notwendigen Attribute an Preußen übertrage. Ferner solle eine Landesvertretung der Herzogtümer einberufen werden. Nach heftigen Debatten wurden diese Anträge mit großer Mehrheit angenommen. Jedenfalls lag in diesen Beschlüssen ein großes Entgegenkommen gegen Preußen. Weiter konnte vorerst der Nationalverein nicht gehen.
Als dann die Möglichkeit eines Krieges zwischen Oesterreich und Preußen immer mehr in den Vordergrund rückte, ging das Bestreben der Liberalen dahin, die Neutralität der Mittel- und Kleinstaaten durchzusetzen, denn sie sagten sich, daß diese im Kriegsfall wohl in ihrer großen Mehrheit auf österreichischer Seite stehen würden.
In Sachsen drehten die Liberalen sogar den Spieß um und machten die sächsische Regierung für den eventuellen Ausbruch eines Krieges verantwortlich; sie verlangten Abrüstung und Anschluß an Preußen. Die Leipziger städtischen Behörden schlossen sich durch Beschluß vom 5. Mai dieser Auffassung an. Dagegen protestierte eine von 5000 Personen besuchte Volksversammlung, die Professor Wuttke und seine nächsten politischen Freunde, unterstützt von den Lassalleanern Fritzsche usw., für den 8. Mai einberufen hatten, eine Einberufung, der wir uns anschlossen. Der Lassalleaner Steinert präsidierte. Wuttke hielt die erste Rede. Er protestierte gegen das Vorgehen von Stadtrat und Stadtverordneten und forderte in einer Resolution die Regierung auf, die Verteidigungsmaßregeln auszudehnen und allgemeine Volksbewaffnung zum Schutze des Landes einzuführen; ferner solle die Regierung sich schleunigst der Hilfe ihrer Bundesgenossen versichern und beharrlich jeder Sonderstellung Preußens in Schleswig-Holstein wie im übrigen Deutschland entgegentreten.
Diese Resolution war uns zu schwächlich. Ich nahm also das Wort und begründete folgende von Liebknecht und mir vereinbarte Resolution:
Der Stadtverordnetenvorsteher Dr. Joseph versuchte Stadtrat und Stadtverordnete zu rechtfertigen, ihm antworteten scharf Liebknecht und Fritzsche. Die Wuttkesche Resolution wurde gegen eine Minorität, die meinige einstimmig angenommen.
Die Leipziger liberale Presse brachte die verlogensten Berichte über jene Versammlung, was die Arbeiter der Offizin von Giesecke & Devrient so empörte, daß sie die betreffende Nummer der »Mitteldeutschen Volkszeitung« feierlich verbrannten. Das Leipziger Beispiel fand vielfach Nachfolge. So sprach sich unter anderem der Arbeitertag des Maingauverbandes, der am 13. Mai unter Professor Louis Büchners Vorsitz tagte, im gleichen Sinne aus.
In dieser Situation glaubte man im Sechsunddreißiger-Ausschuß des Abgeordnetentages Preußen zu Hilfe kommen zu müssen. Derselbe berief auf den ersten Pfingstfeiertag einen Abgeordnetentag nach Frankfurt a.M. Die Frankfurter Demokratie beschloß, auf denselben Tag eine Gegendemonstration zu veranstalten, zu der aus Sachsen Wuttke und ich eingeladen wurden. Der Abgeordnetentag, von zirka 250 Abgeordneten besucht, wurde vom Vorsitzenden des Sechsunddreißiger-Ausschusses eröffnet. Herr v. Bennigsen wurde Präsident. Unter den Anwesenden war auch Bluntschli, der durch sein Vorgehen in den vierziger Jahren in der Schweiz gegen Weitling keinen guten Namen hatte. Ferner war anwesend der alte Geheimrat Welcker, der, obgleich er für die preußische Spitze schwärmte, über die Bismarcksche Politik so erbittert war, daß er, wie damals die Zeitungen meldeten, die sonderbare Preisfrage gestellt hatte, wie eine verderbliche Regierung ohne das Mittel der Revolution entfernt werden könnte? Die bekannte Frage: Wie wäscht man den Pelz, ohne ihn naß zu machen?
Unter den Zuhörern der Verhandlungen befanden sich unter anderen die Achtundvierziger Amand Goegg, August Ladendorf und Gustav Struve. Letzterer war eine hagere, hoch aufgeschossene Gestalt mit einer Fistelstimme und einer merkwürdig roten Nase, obgleich er ein Gegner des Alkohols war. Ich hatte mir den ehemaligen Führer aus der badischen Revolution etwas anders vorgestellt, machte aber bald die Entdeckung, daß wie es mir mit Struve, es anderen Leuten mit mir erging, die auch ganz andere Vorstellungen von meiner Person hatten.
Dr. Völck-Augsburg, der später den Spitznamen die Frühlingslerche erhielt, weil er im Zollparlament jubilierend verkündete: es will in Deutschland Frühling werden, war Referent. Er begründete folgende Resolution der Mehrheit des Sechsunddreißiger-Ausschusses:
Der Sieg der Waffen hat uns unsere Nordmarken zurückgegeben. Ein solcher Sieg würde in jedem wohlgeordneten Reiche zur Erhöhung des Nationalgefühls gedient haben. In Deutschland führte er durch die Mißachtung des Rechts der wiedergewonnenen Länder, durch das Streben der preußischen Regierung nach gewaltsamer Annexion und infolge der unheilvollen Eifersucht der beiden Großmächte zu einem Zwiespalt, dessen Dimensionen weit über den ursprünglichen Gegenstand des Streites hinausreichen.
Wir verdammen den drohenden Krieg als einen nur dynastischen Zwecken dienenden Kabinettskrieg. Er ist einer zivilisierten Nation unwürdig, gefährdet alle Güter, welche wir in fünfzig Jahren des Friedens errungen haben, und nährt die Gelüste des Auslandes.
Fürsten und Minister, welche diesen unnatürlichen Krieg verschulden oder aus Sonderinteressen die Gefahren desselben erweitern, machen sich eines schweren Verbrechens an der Nation schuldig.
Mit ihrem Fluche und der Strafe des Landesverrats wird die Nation diejenigen treffen, welche in Verhandlungen mit ausländischen Mächten deutsches Gebiet preisgeben.
Sollte es nicht gelingen, den Krieg selbst durch den einmütig ausgesprochenen Willen des Volkes noch in der letzten Stunde zu verhindern, so ist wenigstens dahin zu trachten, daß er nicht ganz Deutschland in zwei große Lager teile, sondern auf den engsten Raum beschränkt werde.
Wir erblicken hierin das wirksamste Mittel, um die Wiederherstellung des Friedens zu beschleunigen, die Einmischung des Auslandes abzuhalten, durch die Heeresmacht der nichtbeteiligten Staaten die Grenzen zu decken und, im Falle der Krieg einen europäischen Charakter annehmen sollte, mit noch frischen Kräften dem äußeren Feind entgegenzutreten.
Diese Staaten haben also die Pflicht, solange ihre Stellung geachtet wird, nicht ohne Not in den Krieg der beiden Großmächte sich zu stürzen. Insbesondere liegt es den Staaten der südwestdeutschen Gruppe ob, ihre Kraft ungeschwächt zu erhalten, um gegebenen Falles für die Integrität des deutschen Gebiets einzustehen.
Es wird Sache der Landesvertretungen sein, wenn sie über Anforderungen zu militärischen Zwecken zu entscheiden haben, diejenigen Garantien von ihren Regierungen zu fordern, welche die Verwendung in der oben ausgesprochenen Richtung und im wahren Interesse des Vaterlandes sichern. Nur hierdurch wird sich die Gefahr abwenden lassen, aus den jetzigen Verwicklungen eine neue Aera allgemeiner deutscher Reaktion entspringen zu sehen.
Wie ein deutsches Parlament allein die Behörde ist, welche über die deutschen Interessen in Schleswig-Holstein zu entscheiden vermag, so ist auch die Erledigung der deutschen Verfassungsfrage durch eine freigewählte deutsche Volksvertretung allein imstande, der Wiederkehr solcher unheilvollen Zustände wirksam zu begegnen. Die schleunige Einberufung eines nach dem Reichswahlgesetz vom 14. April 1849 gewählten Parlaments muß daher von allen Landesvertretungen und von der ganzen Nation gefordert werden.
Der Schwerpunkt dieser Resolution lag in den Abschnitten 5, 6 und 7, nach denen man die Mittel- und Kleinstaaten zur Neutralität in dem Kampfe zwischen Oesterreich und Preußen verpflichten wollte. In einer sehr wirkungsvollen Rede ging der preußische Abgeordnete Julius Freese der Resolution des Ausschusses und den Rednern, die sie verteidigt hatten, zu Leibe, häufig von stürmischem Beifall der Minorität und der Zuhörerschaft im Saale unterbrochen. Ueber die den Mittel- und Kleinstaaten zugemutete Rolle äußerte er:
»Und was würde die Folge sein, wenn die beiden Staaten sich nun gepackt hätten? Wie zwei Hirsche um eine Hirschkuh kämpfen, und die Hirschkuh waffenlos und ruhig dabeisteht, so sollen Oesterreich und Preußen miteinander kämpfen, und das dritte Deutschland soll die milde, sanfte Hirschkuh sein, die dann abwartet, welchem Sieger das Ende des Kampfes sie überweist.... Und er schloß: Nur dann wird Preußen frei, wenn es in Deutschlands Dienste tritt; wenn Sie aber Deutschland in Großpreußen aufgehen lassen, dann sei Gott denen gnädig, die das Regiment sehen, welches dann über Preußen und Deutschland ergehen wird.«
Diese Worte lösten langanhaltenden Beifall aus.
Aber neben der Tragik kam auch die Komik zu ihrem Rechte. Mitten in der Rede Völcks donnerten mehrere Kanonenschläge durch den Saal, so daß alles entsetzt aufsprang und nach der Decke schaute, deren Einsturz man befürchtete. Völck selbst schien zu glauben, es handle sich um ein Attentat auf ihn. Mit einem mächtigen Satze sprang er rückwärts von der Tribüne an die Wand, begleitet von einem lauten Gejohle und Händeklatschen auf der obersten Galerie. Die Frankfurter und Offenbacher Lassalleaner hatten unter Führung Oberwinders die Kanonenschläge gelegt, um auf diese Weise ihre Visitenkarte beim Abgeordnetentag abzugeben. Dem Schrecken folgte allgemeine Heiterkeit.
Selbstverständlich wurden die Resolutionen des Ausschusses mit großer Mehrheit angenommen gegen einen Antrag Müller-Passavant.
Am Nachmittag desselben Tages fand dann im Zirkus die von demokratischer Seite einberufene, von etwa 3000 Personen besuchte Volksversammlung statt. Neben anderen Rednern nahm auch ich das Wort.
In der von uns vorgeschlagenen Resolution wurde gefordert:
Nach Annahme dieser Vorschläge wurde ein Ausschuß niedergesetzt, der ein Programm entwerfen und eine Delegiertenversammlung nach Frankfurt einberufen solle, um endgültig das Programm zu beraten. In den Ausschuß wurden auf Vorschlag von Haußmann-Stuttgart, dem Vater des Reichstagsabgeordneten Konrad Haußmann, gewählt: Bebel, Eichelsdörfer-Mannheim, Goegg-Offenburg, K. Grün-Heidelberg, Kolb-Speier, K. Mayer-Stuttgart, Dr. Morgenstern-Fürth, v. Neergardt-Kiel, Aug. Röckel und Gustav Struve-Frankfurt, Trabert-Hanau, Krämer von Doos, Bayern. Von diesen zwölf bin ich der einzige noch Lebende, allerdings war ich auch der Benjamin der Korona.
Der Ausschuß verfaßte folgendes Programm:
Die Einberufung einer Delegiertenversammlung, der dieses Programm zur Beratung unterbreitet werden sollte, mußte unterbleiben, weil mittlerweile der Krieg ausbrach. Nunmehr erließ der Ausschuß folgende Proklamation:
An das deutsche Volk!
Der deutsche Bruderkrieg ist entbrannt. In die Zeit des rohen Faustrechtes ist Deutschland zurückgeworfen. Dies schwerste Verbrechen an der Nation fällt jener Partei in Preußen zur Last, die ruchlos genug ist, den Bruch des preußischen Volksrechtes und des schleswig-holsteinschen Landesrechtes mit der Vergewaltigung von ganz Deutschland krönen zu wollen. In dem Augenblick, wo die staatliche Zukunft Schleswig-Holsteins endlich auf dem friedlichen Wege deutschen Rechtes und deutscher Ehre entschieden werden sollte, ist diese Partei zum Aeußersten geschritten, den ewigen Bund deutscher Stämme zu sprengen und an die Stelle des öffentlichen Rechtes und des Willens der Gesamtheit das Machtgebot des einzelnen zu setzen. In die deutschen Länder Hannover, Kurhessen, Sachsen ist sie eingebrochen wie in Feindesland, und alle deutschen Staaten, die sich ihr nicht fügen, bedroht sie mit gleicher Gewalt. In Preußen selbst stachelt sie das Volk zum Haß gegen Deutschland und spricht ihm von erdichteten Gefahren, von Demütigung, Erniedrigung, Zerstücklung, womit es von Deutschland bedroht sei.
Noch drohte Preußen keine Gefahr der Erniedrigung, als die es in seinem Innern birgt. Der Sturz der Kriegspartei wäre für Preußen selbst der schönste Sieg. Die Gefahr der Zerstücklung ist gerade durch diese Partei über ganz Deutschland gebracht. Im Süden ist durch ihr Bündnis mit Italien deutsches Bundesland gefährdet. Im Westen hat sie die alte Gefahr heraufbeschworen, die jedesmal droht, wenn Deutschland uneinig ist.
Die deutschen Stämme, welche die Berliner Gewaltpolitik gegen sich in Waffen gerufen hat, ziehen nicht gegen das Volk in Preußen, ziehen nicht für habsburgische Hauspolitik ins Feld; die Nation will so wenig Oesterreich wie Preußen dienen. Frei will sie sein, selbst Herr im eigenen Hause. Gegen ihren Willen verstrickt in das jetzige Unglück, darf und will sie nicht die Folgen desselben untätig abwarten. Wie sie mit richtigem vaterländischen Gefühl die ihr angesonnene Neutralität im Bruderkrieg von sich gewiesen hat, so ist es jetzt ihre Pflicht, mit voller Kraft und einmütiger Entschlossenheit sich die Mitwirkung an der Entscheidung ihrer Geschicke zu sichern durch allgemeine Volksbewaffnung und gemeinsame Volksvertretung.
Auf diese beiden Forderungen ist sofort und allerorten die Tätigkeit des deutschen Volkes zu richten; eine allgemeine Agitation in öffentlichen Volksversammlungen muß schleunigst dafür organisiert werden. Das deutsche Volk allein kann noch das deutsche Vaterland retten.
Frankfurt, 1. Juli 1866.
Der Ausschuß der Frankfurter Volksversammlung vom 20. Mai.
I.d.N.: G.F. Kolb. Aug. Röckel.
Der Aufruf war gut gemeint, aber er kam zu spät. Und was ihm einzig hätte Nachdruck geben können, eine große, geschlossene Organisation, fehlte. –
Den Tag nach den erwähnten Frankfurter Vorgängen, am zweiten Pfingstfeiertag, war ich mit einer Anzahl Herren bei Siegmund Müller zu Tisch geladen. Nach beendetem Essen traten wir an die weit geöffneten Fenster, um den herrlichen Maitag zu genießen. Wie auf Kommando erhoben wir ein homerisches Gelächter. Aus Müllers Wohnung sah man auf den Main und die alte Mainbrücke, auf der in ihren weißen Uniformen Scharen österreichischer Soldaten herüber- und hinüberspazierten, fast ein jeder ein Mädchen am Arme. Dieser Anblick hatte unsere Lachlust erregt. Unser Gastgeber sah die Sache ernster an, in seinem Frankfurter Hochdeutsch äußerte er: »Meine Herrn! Sie hawwe gut lache, die Mädercher krieche alle Kinner, und die misse dann von der Stadt erhalte werrn!« Eine zweite Lachsalve war unsere Antwort. Kurze Zeit nachher, am 10. Juni, verließen die Preußen, die zur Bundesgarnison in Frankfurt gehörten, mit »klingendem Spiel« die Stadt, am 11. folgten in gleicher Weise die Oesterreicher. Diese auf Nimmerwiedersehen. Gar mancher der lustigen Burschen, die an jenem Pfingstfeiertag fröhlich über die Mainbrücke zogen, dürfte später mit seinem Blute das Schlachtfeld gedüngt haben. –
Den 10. Juni trat auch der ständige Ausschuß der Arbeitervereine zu einer Sitzung in Mannheim zusammen, um Stellung zu dem vorhandenen politischen Konflikt zu nehmen. Mit Ausnahme von M. Hirsch war der ganze Ausschuß anwesend, ebenso auf besondere Einladung Streit-Koburg.
In der deutschen Frage kam es zu erregten Auseinandersetzungen. Ein preußisches Mitglied bestritt, daß im preußischen Volke Sympathien für Annexionen vorhanden seien, worin er sich, wie die Folge lehrte, gründlich irrte. Die große Mehrheit des Ausschusses war gegen eine Neutralität der Mittelstaaten. Von einer Seite wurde hervorgehoben, die preußische Hegemonie werde der industriellen Entwicklung förderlich sein, von anderer Seite wurde bestritten, daß die preußische Spitze dazu nötig wäre. Schließlich wurde einstimmig beschlossen, sich der bereits bestehenden Volkspartei und dem von dem Frankfurter Ausschuß aufgestellten Programm anzuschließen. Auch wurde empfohlen, folgenden Kompromißantrag in das Programm der Volkspartei aufzunehmen: Jede volkstümliche Regierung muß die allmähliche Ausgleichung der Klassengegensätze so weit zu fördern suchen, als es irgend mit der Schonung der individuellen Freiheit und den volkswirtschaftlichen Gesamtinteressen vereinbar ist. Die materielle und moralische Hebung des Arbeiterstandes ist ein gemeinsames Interesse aller Klassen, ist eine unentbehrliche Stütze der bürgerlichen Freiheit.
Da die politischen Wirren bereits große Arbeitslosigkeit zur Folge hatten, kam man überein, die Unternehmer aufzufordern, während der Dauer der Arbeitsstockung eine entsprechende Verkürzung der Arbeitszeit eintreten zu lassen, statt Arbeiter zu entlassen; ferner sollten die Staats- und Gemeindebehörden die begonnenen Bauten weiterführen und bereits geplante zur Ausführung bringen. Unerfreulich war der Kassenbericht, nicht minder unerfreulich, was Streit über den Stand der »Arbeiterzeitung« zu berichten hatte. Das Verbot der Zeitung in Preußen, die politischen Differenzen in vielen Vereinen, die Feindseligkeit und die Hindernisse, die der Buchhändlerverband dem Blatte entgegenstellte, hatten den Abonnentenstand sehr herabgedrückt, und der passive Widerstand, den einzelne Mitglieder im Ausschuß Streit und seinem Blatte entgegenstellten, verhinderte, von unserer Seite entsprechende Hilfe zu bringen. Streit sah sich gezwungen, am 8. August das Weitererscheinen des Blattes einzustellen.
Meine erneut eingebrachten Reorganisationsanträge wurden wiederum abgelehnt, dagegen wurde beschlossen, dem Vorsitzenden ein Fixum von 200 Taler im Jahr als Vergütung für Arbeiten zu gewähren. Man verhandelte auch über den Ort des nächsten Vereinstags, für den Chemnitz oder Gera in Aussicht genommen wurde. Der Gang der Ereignisse zwang aber, denselben für 1866 ausfallen zu lassen. Die Verhandlungen wurden alsdann auf einige Stunden unterbrochen, um eine Volksversammlung abzuhalten, die sich mit den alles Interesse beherrschenden politischen Vorgängen beschäftigte.
Von jetzt ab überstürzten sich die Ereignisse und trieben zur Katastrophe. Am 9. Mai hatte Bismarck den Landtag aufgelöst, um durch dessen Opposition nicht in seinen politischen Maßnahmen gestört zu werden. Im Gegensatz zu Preußen beriefen die Mittelstaaten ihre Landtage ein. Am 1. Juni übergab Oesterreich die schleswig-holsteinsche Sache dem Bundestag. Es hatte zu spät den Fehler eingesehen, den es gemacht, als es sich in dieser Angelegenheit von Preußen ins Schlepptau nehmen ließ. Zwei Tage später, am 3. Juni, erklärte Preußen, daß durch den Schritt Oesterreichs der Gasteiner Vertrag hinfällig geworden sei. Am 11. Juni sprengte Preußen mit Militärgewalt die Versammlung der nach Itzehoe einberufenen holsteinschen Stände. Darauf räumten am 12. Juni die Oesterreicher Holstein. Am gleichen Tage rief Oesterreich seinen Gesandten von Berlin ab und stellte dem preußischen Gesandten in Wien seine Pässe zu. Am 14. Juni entschied sich der Bundestag gegen Preußen, worauf der preußische Gesandte den Verfassungsentwurf für einen neuen Bund auf den Tisch des Bundestags niederlegte, dessen erster Artikel lautete:
Das Bundesgebiet besteht aus den seitherigen Staaten, mit Ausnahme der kaiserlich österreichischen und der königlich niederländischen Landesteile (Luxemburg und Limburg).
Also Kleindeutschland. Der Krieg war erklärt. Dieser nahm wider Erwarten vieler einen für Preußen ausnehmend günstigen Verlauf. Binnen wenig Wochen war die österreichische Armee in Böhmen aus allen ihren Positionen geworfen und standen die Preußen vor den Toren Wiens. Die mittelstaatlichen Armeen, mit Ausnahme der sächsischen, die in Böhmen focht, und der hannoverschen, die nach zähem Widerstand den Preußen bei Langensalza erlag, spielten eine klägliche Rolle. Ihr Widerstand war gebrochen, ohne daß es zu einer wirklichen Schlacht kam. In Italien entwickelte sich der Krieg etwas anders. Bismarck war anfangs mißtrauisch, daß Italien den Krieg gegen Oesterreich ernsthaft führen werde. In einer Depesche vom 13. Juni an den preußischen Gesandten v. Usedom empfahl er, energisch darauf zu bestehen, daß sich die italienische Regierung mit dem ungarischen Komitee ins Einvernehmen setze. Die Weigerung La Marmoras könnte bei Preußen den Verdacht erregen, daß Italien nicht die Absicht habe, einen ernsten Krieg gegen Oesterreich zu führen. Er solle mitteilen, daß Preußen nächste Woche die Feindseligkeiten beginne. Aber ein fruchtloser Krieg Italiens im Festungsviereck werde Argwohn erregen. Am 17. Juni sandte Usedom an La Marmora eine lange Depesche, in der er diesem im Namen seiner Regierung Vorschläge über die Kriegführung machte. Der Krieg müsse bis zur Vernichtung des Gegners geführt werden. Ohne Rücksicht auf die zukünftige Gestaltung der Territorien müßten beide Mächte den Krieg endgültig, entscheidend, vollständig und unwiderruflich zu machen suchen. Italien dürfe sich nicht damit begnügen, bis an die nördlichen Grenzen Venetiens vorzudringen: es müsse sich mit Preußen an dem Mittelpunkt der Monarchie selbst begegnen. Um sich den dauernden Besitz Venetiens zu sichern, müsse es die österreichische Monarchie ins Herz treffen.
Das war die berüchtigte Stoß-ins-Herz-Depesche, die, als sie 1868 bekannt wurde, große Aufregung hervorrief. Die Dinge liefen aber anders. Nicht die Italiener, sondern die Oesterreicher siegten. Die Italiener wurden zu Lande in der Schlacht von Custozza und zu Wasser in der Seeschlacht von Lissa besiegt. Trotz dieser Siege trat jetzt Oesterreich Venetien an Napoleon ab, also nicht an Italien, da die Dinge im Norden der Monarchie höchst ungünstig standen. Es hoffte auf eine Intervention Napoleons. Diese neue Situation veranlaßte nunmehr Bismarck, trotz dem großen Unmut, der darüber im Hauptquartier entstand, Oesterreich einen Waffenstillstand zu gewähren, der in Nikolsburg abgeschlossen wurde und an dessen Schluß, 27. Juli, es zu Friedenspräliminarien kam. Im definitiven Friedensvertrag, abgeschlossen in Prag, erhielt Preußen Schleswig-Holstein, Hannover, Nassau, Kurhessen und Frankfurt zugebilligt. Oesterreich selbst kam mit einer mäßigen Kriegsentschädigung davon. Politische Gründe bestimmten Bismarck, Oesterreich glimpflich zu behandeln. Die südwestdeutschen Staaten sollten einen besonderen Bund bilden. Venetien wurde von Napoleon an Italien abgetreten.
Daß Oesterreich Venetien an Napoleon abgetreten hatte, rief bei den deutschen Liberalen einen Sturm der Entrüstung hervor. Das sei Vaterlandsverrat. Eine Anklage, die Preußen mindestens ebenso traf wie Oesterreich. Vertuscht wurde nach Möglichkeit, daß Preußen sich mit Italien, also dem Ausland, zur Vernichtung eines deutschen Staates verbunden hatte; vertuscht wurde, daß Bismarck mit Klapka in Verbindung getreten war, um Ungarn zu insurgieren, der infolgedessen folgenden Ausruf veröffentlicht hatte:
An die ungarischen Soldaten!
Durch das Vertrauen meiner Mitbürger übernehme ich das Oberkommando der gesamten ungarischen Streitkräfte; als Führer spreche ich also zu euch.
Preußens und Italiens mächtige Könige sind unsere Verbündeten. Aus Italien eilt Garibaldi herbei, von der Donau her Türr, aus Siebenbürgen Bethlen, um das Vaterland zu befreien; von hier führe ich die tapfere ungarische Schar ins Land. Ludwig Kossuth wird mit uns sein; so vereint jagen wir die Oesterreicher, die unseres Landes Gut und Blut rauben, hinaus. Wir erobern zurück, was unser ist: den Boden Arpáds; in den Jahren 1848 und 1849 ernteten wir ewigen Ruhm, nun wartet unser der Lorbeer- und der Friedenskranz, wenn wir das Vaterland befreien. Vorwärts also, folget dem ungarischen Banner. Unseres Vaterlandes heilige Erde ist nur wenige Tage weit, dorthin führe ich euch; kommet denn nach Hause, wo Mutter, Geschwister und Braut euch mit offenen Armen erwarten.
Wählet. Wollt ihr erbärmliche Gefangene bleiben oder ruhmvolle Vaterlandsverteidiger werden?
Es lebe hoch das Vaterland!
Klapka m.p., ungarischer General.
Auch daran wollte man nicht erinnern, daß aus dem preußischen Hauptquartier beim Einrücken in Böhmen ein Ausruf »An die Einwohner des glorreichen Königreichs Böhmen« veröffentlicht worden war, der Stellen enthielt wie die folgende:
»Sollte unsere gerechte Sache obsiegen, dann dürfte sich vielleicht auch den Böhmen und Mähren der Augenblick darbieten, in dem sie ihre nationalen Wünsche gleich den Ungarn verwirklichen können. Möge dann ein günstiger Stern ihr Glück auf immerdar begründen!«
Es war das alte Lied von dem Messen mit zweierlei Maß. Wenn zwei dasselben tun, ist es nicht dasselbe. Beging Preußen die größten Niederträchtigkeiten – und als eine loyale Kriegführung konnte man doch die Vorgänge in Böhmen und Ungarn nicht ansehen – , sie wurden entschuldigt, ja gerechtfertigt. Aber wehe seinen Gegnern, die seine Beispiele nachahmten. Was würde man zum Beispiel heute sagen, wenn eine auswärtige Macht eines Tages in die Provinz Posen mit einer ähnlichen Proklamation an die Polen einrückte wie die der Preußen in Böhmen?
Dem Landesverrat im großen, der in den österreichischen Ländern begünstigt wurde, schloß sich der Landesverrat im kleinen in Deutschland an. Anfang August 1866 beschlossen die sächsischen Liberalen unter Führung von Professor Biedermann, Dr. Hans Blum usw. in einer Landesversammlung in Leipzig eine Resolution, in der es hieß: Wir halten die deutschen und sächsischen Interessen am besten gewahrt durch die Einverleibung Sachsens in Preußen. Und noch nachdrücklicher sprach sich Herr v. Treitschke, ein geborener Sachse, aus, der als Redakteur der »Preußischen Jahrbücher« Bismarck aufforderte, die oppositionellen Staaten – Sachsen, Hannover, Kurhessen – zu vernichten:
»Jene drei Dynastien sind reif, überreif für die verdiente Vernichtung; ihre Wiedereinsetzung wäre eine Gefahr für die Sicherheit des neuen deutschen Bundes, eine Versündigung an der Sittlichkeit der Nation.... Nächst dem Hause Habsburg hat kein anderes Fürstengeschlecht die Jahrhunderte hindurch sich schwerer versündigt an der deutschen Nation als das Haus der Albertiner.... König Johann ist unzweifelhaft der achtungswerteste Mann unter den vertriebenen deutschen Fürsten, doch mit einer Fülle gelehrter Kenntnisse ist er ein gewöhnlicher Mensch geblieben, engen Herzens, unfrei, philisterhaft in seinem Urteil über Welt und Zeit. Der Kronprinz, ein Mann nicht ohne derbe Gutmütigkeit, aber roh und jeder politischen Einsicht bar, war von jeher eine Stütze der österreichischen Partei, und von dem Prinzen Georg, dessen Hochmut und Bigotterie selbst in dem zahmen Dresden Anstoß erregen, ist noch weniger zu erwarten.... Vor allem fürchten wir von einer Restauration die Entsittlichung des Volkes durch den Geist der Lüge, durch die Gleißnerei einer Loyalität, welche nach den Ereignissen des Sommers mindestens von dem jüngeren Geschlecht gar nicht mehr gehegt werden kann. Man male sich die Szene aus, wie König Johann einzieht in seine Hauptstadt, wie der allezeit getreue Stadtrat von Dresden den Landverderber mit Worten des Dankes und der Verehrung empfängt, rautenbekränzte weiß und grüne Jungfrauen sich neigen vor der befleckten und entweihten Krone – wahrhaftig, schon der Gedanke ist ekelerregend.«
Und er schloß: »In Tagen wie diesen soll man das Herz haben, die Paragraphen des Albertinischen Strafgesetzbuchs zu mißachten.... Wir wollen nicht, daß ein von Gott und den Menschen gerichtetes Haus zurückkehrt auf den Thron.«
Bismarck sorgte dafür, daß seinen glühenden Verehrern kein Haar gekrümmt wurde. Im Artikel 19 des Friedensvertrags mußte der König von Sachsen zusichern, »daß keiner seiner Untertanen oder wer sonst den sächsischen Gesetzen unterworfen ist, wegen eines in bezug auf die Verhältnisse zwischen Preußen und Sachsen während der Dauer des Kriegszustandes begangenen Vergehens oder Verbrechens gegen die Person Seiner Majestät oder wegen Hochverrats, Staatsverrats oder endlich wegen seines politischen Verhaltens während jener Zeit überhaupt strafrechtlich, polizeilich oder disziplinarisch zur Verantwortung gezogen oder in seinen Ehrenrechten beeinträchtigt werden soll«.
Man hat Liebknecht und mir später öfter die Frage gestellt, was geworden wäre, wenn statt Preußen Oesterreich siegte. Traurig genug, daß nach den damaligen Verhältnissen nur noch diese Alternative vorhanden war, und eine Parteinahme gegen den einen als Parteinahme für den anderen angesehen wurde. Aber die Dinge lagen so. Meine Ansicht ist, daß für ein Volk, das sich in einem unfreien Zustand befindet, eine kriegerische Niederlage seiner inneren Entwicklung eher förderlich als hinderlich ist. Siege machen eine dem Volke gegenüberstehende Regierung hochmütig und anspruchsvoll, Niederlagen zwingen sie, sich dem Volke zu nähern und seine Sympathie zu gewinnen. Das lehrt uns 1806/07 für Preußen, 1866 für Oesterreich, 1870 für Frankreich, die Niederlage Rußlands im Kriege mit Japan 1904. Die russische Revolution wäre ohne jene Niederlage nicht gekommen, ja sie wäre durch einen Sieg des Zarentums auf lange Jahre unmöglich gewesen. Und ist die Revolution auch niederschlagen worden, das alte Rußland ist nicht mehr, sowenig wie das alte Preußen von 1847 noch nach 1849 bestand. Umgekehrt zeigt uns die Geschichte, daß, als das preußische Volk unter Darbringung gewaltiger Opfer an Gut und Blut Napoleons Fremdherrschaft gestürzt und die Dynastie aus der Patsche gerettet, letztere alle schönen Versprechungen vergessen hatte, die sie in der Stunde der Gefahr dem Volke gemacht. Es mußte erst nach langer Reaktionszeit das Jahr 1848 kommen, damit das Volk sich eroberte, was man ihm jahrzehntelang vorenthalten hatte. Und wie hat Bismarck nachher im norddeutschen Reichstag jede wirklich liberale Forderung zurückgewiesen. Er trat als Diktator auf.
Einmal angenommen, Preußen wäre 1866 unterlegen, so wäre das Ministerium Bismarck und die Junkerherrschaft, die noch bis heute wie ein Alp auf Deutschland lastet, fortgefegt worden. Das wußte niemand besser als Bismarck. Die österreichische Regierung wäre nach einem Siege nie so stark geworden, wie das bei der preußischen der Fall war. Oesterreich war und ist nach seiner ganzen Struktur ein innerlich schwacher Staat, ganz anders Preußen. Aber die Regierung eines starken Staates ist für dessen demokratische Entwicklung gefährlicher. In keinem demokratischen Staate gibt es eine sogenannte starke Regierung. Dem Volke gegenüber ist sie ohnmächtig. Höchstwahrscheinlich hätte die österreichische Regierung nach einem Siege versucht, in Deutschland reaktionär zu regieren. Aber sie hätte alsdann nicht nur das gesamte preußische Volk, sondern auch den größten Teil der übrigen Nation, einschließlich eines guten Teiles der österreichischen Bevölkerung, gegen sich gehabt. Wenn eine Revolution sicher war und Aussicht auf Erfolg hatte, so gegen Oesterreich. Die demokratische Einigung des Reiches wäre die Folge gewesen. Der Sieg Preußens schloß das aus. Und noch ein anderes. Der Ausschluß Deutsch-Oesterreichs aus der Reichsgemeinschaft – von der Preisgabe Luxemburgs nicht zu reden – hat zehn Millionen Deutsche in eine fast trostlose Lage versetzt. Unsere »Patrioten« geraten in nationale Raserei, wird irgendwo im Ausland ein Deutscher mißhandelt, aber an dem Stück kulturellen Mords, der an den zehn Millionen Deutschen in Oesterreich begangen wurde, nehmen sie keinen Anstoß.
Uebrigens hatten wenige Jahre vor 1866 ähnliche Erörterungen unter unseren Großen stattgefunden, was erst später zu meiner Kenntnis kam.
In einem Briefe an Lassalle vom 19. Januar 1862 schrieb Lothar Bucher – also zwei Jahre vor seinem Eintritt in Bismarcks Dienste – über den Fall eines Krieges mit Frankreich, in dem Preußen siege: »Ein Sieg der Militärs, das heißt der preußischen Regierung, wäre ein Uebel.«
Mitte Juni 1859 schrieb Lassalle an Marx: »Nur in dem populären Krieg gegen Frankreich ... sehe ich ein Unglück. In dem bei der Nation unpopulären Kriege aber ein immenses Glück für die Revolution....« Lassalle ging noch weiter und führte aus: »Eine Besiegung Frankreichs wäre auf lange Zeit das konterrevolutionäre Ereignis par excellence. Noch immer steht es so, daß Frankreich, trotz aller Napoleons, Europa gegenüber die Revolution, Frankreichs Besiegung ihre Besiegung darstellt.« Und Ende März 1860 schrieb Lassalle an Engels: »Nur zur Vermeidung von Mißverständnissen muß ich bemerken, daß ich übrigens auch im vorigen Jahre, als ich meine Broschüre schrieb (Der italienische Krieg), sehnlichst wünschte, daß Preußen den Krieg gegen Napoleon mache. Aber ich wünschte ihn nur unter der Bedingung, daß die Regierung ihn mache, er aber beim Volke unpopulär und so verhaßt wie möglich sei. Dann freilich wäre er ein großes Glück gewesen.« Briefe von Ferdinand Lassalle an Karl Marx und Friedrich Engels. Stuttgart 1902. (Zugunsten der Revolution.)
Und in seinem Vortrag: Was nun?, den Lassalle im Oktober 1862 hielt, sagt er in der ersten Auflage auf Seite 33 bis 34: »Endlich aber ist die Existenz der Deutschen nicht von so prekärer Natur, daß bei ihnen eine Niederlage ihrer Regierungen eine wirkliche Gefahr für die Existenz der Nation in sich schlösse. Wenn Sie, meine Herren, die Geschichte genau und mit innerem Verständnis betrachten, so werden Sie sehen, daß die Kulturarbeiten, die unser Volk vollbracht hat, so riesenhafte und gewaltige, so bahnbrechende und dem übrigen Europa vorleuchtende sind, daß an der Notwendigkeit und Unveräußerlichkeit unserer nationalen Existenz gar nicht gezweifelt werden kann. Geraten wir also in einen großen äußeren Krieg, so können in demselben wohl unsere einzelnen Regierungen, die sächsische, preußische, bayerische, zusammenbrechen, aber wie ein Phönix würde sich aus der Asche derselben unzerstörbar erheben das, worauf es uns allein ankommen kann – das deutsche Volk.« –
Der Ausgang des Krieges schien uns einen unerwarteten Erfolg in den Schoß werfen zu sollen. Eines Tages erschien Liebknecht freudestrahlend in meiner Werkstatt und teilte mir mit, er habe die »Mitteldeutsche Volkszeitung« gekauft, die die Leipziger Liberalen preisgegeben hatten, weil das Defizit der Zeitung täglich größer wurde. Der Abonnentenstand des Blattes war in wenig Wochen von 2800 auf 1200 gefallen. Mich erschreckte diese Nachricht, denn wir hatten keinen Pfennig Geld, und es war ganz ausgeschlossen, daß wir unter den damaligen Verhältnissen das Blatt in die Höhe bringen konnten. Außerdem hatten wir mit der preußischen Okkupation zu rechnen. Liebknecht suchte mich zu trösten. Geld verlange der Verleger zunächst nicht, und was sonst nötig sei, würden wir schaffen. Er war glücklich, Besitzer eines Blattes zu sein, in dem er seine Ansichten vertreten konnte. Und das tat er weidlich und so gründlich, daß man glauben konnte, nicht die Preußen, sondern er sei Herr in Sachsen. Natürlich dauerte die Freude nicht lange. Das Blatt wurde unterdrückt. Ich war über diese Maßregel nicht erbost, obgleich ich mich hütete, ihm das zu sagen. Wir waren aus einer großen Verlegenheit gerettet worden, denn der kühne Plan, den wir gefaßt hatten, 5000 Anteilscheine à 1 Taler in den deutschen Arbeitervereinen unterzubringen, hätte ein großes Fiasko erlebt.