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Claudine

Und Sie wollen mich wirklich nicht begleiten? sagte das entzückende kleine Mädchen, das ich vor einem Schaufenster der Rue de Rivoli nachts um ein Uhr zufällig getroffen hatte …

– Nein, mein Kind. Das will ich wirklich nicht, so gern ich es auch möchte.

– Ja, aber warum denn nicht? Gefalle ich Ihnen nicht? Finden Sie mich denn gar nicht hübsch?

– Ich finde Sie durchaus reizend. Ich finde Sie so graziös und so hübsch, wie ich seit langer Zeit kein kleines Fräulein in Paris gesehen habe.

– Ist das ehrlich?

– Aber warum sollte ich es Ihnen sagen, wenn es nicht ehrlich gemeint wäre?

– Um mir Spaß zu machen …

– Machen Lügen Spaß?

– Uns Frauen immer! Das wissen Sie doch genau so gut wie ich … Sie sind wohl verheiratet?

– Nein. Zum Glück der Ehe habe ich es nicht gebracht. Werde ich es auch nicht bringen.

– Warum nicht?

– Gott – weil ich kein Talent zu diesem Glück habe …

– Sie sind ein kluger Mann …

– Warum?

– Weil Sie sich nicht drankriegen lassen … Wir wollen die Männer doch alle drankriegen …

– Sie auch?

– Und wie!

– Wissen Sie schon, wen Sie heiraten möchten?

– »Möchten« ist gut! Die ich heiraten möchte, möchten mich nicht heiraten … Aber einmal wird ja ein anständiger Mann mich heiraten …

– Was sind Sie denn?

– Fabrikarbeiterin.

– Wo?

– In der Strumpffabrik von Grosmangin … Sie kennen doch die Strümpfe Grosmangin? Haben sie sicher schon Ihren Freundinnen gekauft … Gute, haltbare Ware … Aber jetzt habe ich Ferien – und deswegen finden Sie mich noch so spät hier … Wissen Sie, ich gehe gerne nachts in Paris spazieren.

– Genau wie ich!

– Ach, Sie auch? Es freut mich, daß Sie denselben Geschmack haben wie ich … Man kann sich in Ruhe die Läden betrachten, es ist kein Gerase von Wagen um einen her, man kann die Straßen überqueren wie man will, die Luft ist nicht staubig … ach, und manchmal trifft man einen hübschen Mann … Neulich habe ich einen Schweden getroffen, einen jungen Waldbesitzer, hat er mir erzählt … So etwas Bezauberndes können Sie sich gar nicht vorstellen! Zähne hatte dieser Junge, na, Zähne, sage ich Ihnen! Es hat einem leid getan, daß man nicht ein Pfirsich war … Immer trifft man diese Ausländer gerade dann, wenn sie abreisen müssen … Ich habe ihn an den Nordbahnhof gebracht. Er kommt im Herbst wieder. Er muß aus sehr vermögendem Hause sein. Er wohnt ganz im Norden, in einer großen Einsamkeit … Sagen Sie, wo gehen Sie eigentlich hin?

– Nach Hause … Ich wohne drüben, auf der andern Seite …

– Ach, ich ja auch. Dann können wir also doch ein Stück zusammengehen, wenn es Ihnen recht ist.

– Aber gerne.

– Und wo kommen Sie jetzt her? Oder ist es unverschämt, so neugierig zu sein?

– Ganz und gar nicht. Ich komme aus dem Théâtre Pigalle. Ein Freund von mir ist Schauspieler Nach der Aufführung haben wir noch ein wenig zusammengesessen – und dann bin ich zu Fuß hierhergegangen … Übrigens, wie heißen Sie eigentlich?

– Claudine.

– Wirklich?

– Auf mein Wort! Claudine ist mein richtiger Taufname. Und mein Familienname ist Renaudel. Aber mit dem berühmten Abgeordneten bin ich nicht verwandt. Wenn Sie meine Adresse wollen …

Wir waren gerade vor einem kleinen Café auf dem linken Seineufer angekommen, das erst um zwei schließt.

– Wie wäre es? fragte ich. Wollen wir noch einen Kaffee trinken?

– Ob, mit dem größten Vergnügen …

Wir setzten uns auf eine der Strohbänke vor dem Hause.

– Wollen Sie einen Likör zum Kaffee?

– O nein. Tausend Dank. Ich trinke sehr wenig Likör.

– Wollen Sie Wein?

– Nein, nein! Sie sind zu liebenswürdig! Ein Kaffee ist mir gerade recht …

– Aber eine Brioche oder einen Croissant nehmen Sie, oder eine Gaufrette Plouvier?

– Am liebsten eine Brioche.

– Und eine Zigarette?

– Die ganz bestimmt. O Gott, haben Sie gute Zigaretten … Echte Ägypter … Sind die nicht furchtbar teuer? Nein? Herrlich! Es geht nichts über eine gute Zigarette … Kann ich Sie einmal wiedersehen?

– Mit dem größten Vergnügen! Geben Sie mir Ihre Adresse. Ich schreibe Ihnen dieser Tage. Wir gehen zusammen aus. Wo Sie hin wollen. Ins Theater oder ins Kino oder ins Empire.

– Bestimmt?

– Ganz bestimmt …

Sie schrieb die Adresse auf, puderte sich, sah mich an und lachte.

– Ich muß jetzt schlafen gehen, sagte ich. Und Sie sind mir nicht böse, daß ich Sie verlasse? Und ich habe Sie nicht um Ihre Zeit betrogen?

– Wie können Sie so etwas sagen! Das ist ja fast beleidigend! Es war doch reizend, mit Ihnen zusammen ein Stück Weges zu gehen und zu plaudern …

Was würdest du gesagt haben, Mädchen von …?


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