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Die Hochzeit des Freundes

Fridolin war jung, lang und hellblond. Etwas Ruhiges war in seinem Wesen. Er war zu besonnen, um sich von einer Leidenschaft knechten zu lassen, und zu leichten Sinnes, um sich über eine Torheit zu erregen, die er begangen hatte.

Auf das engste vertraut fühlte er sich mit der Schönheit des Meeres. Er meinte, daß es nichts Größeres, Rätselvolleres und doch dem Fühlen des Menschen Vertrauteres gäbe als diese in ewigem Wechsel sich erneuende Bewegung, und daß es nichts gäbe, was einen tieferen Frieden und zugleich eine so herrliche Lust an der Fülle des Daseins verliehe. Am Meere trieb er sich oft herum. Hier schien ihm alles verklärt von einem unbeschreiblichen Glanz: der spritzende Gischt wie das wehende Dünengras und die unheimlichen Vögel, die den Strand bevölkern; der scharfe Geruch von Salz und trocknenden Fischen, der Strandhafer und die Disteln, mit denen der Westwind spielt; das Mondlicht, das über das dunkle Wasser hinschillert, mit unzähligen blitzenden Klecksen; und jene göttlich faulen Stunden, da man, die brennende Pfeife im Munde, in einsamen Booten liegt, ziellos dahintreibt und mit wunschlosen Augen in den Himmel schaut.

Was die Liebe anlangt, so ist zu sagen, daß ihn am ehesten jene Mädchen entzündeten, aus deren gerade erwachenden Augen das blaue Frühlingsleuchten strahlt, das von den Blüten des Sommers noch nichts weiß; jene, deren zaghaft gegebene Hand ein reicheres Geschenk bedeutet als das Glühen der Wissenden, und die, wenn sie tanzen, wie junge, im Wind bewegte Zweige sind. Das Ende seiner Neigungen freilich war immer bitter, denn es war die Entsagung. Er hatte noch keinen Sinn dafür, daß es hold sei, das eigene Leben mit einem andern dauernd zu verketten. Er war zu sehr in seine Jugend verstrickt, und sein Freiheitsgefühl war viel zu groß, als daß er sich schon hätte entschließen können, einen mit Obacht vorgeschriebenen Weg zu gehen.

 

Er hatte einen Jugendfreund mit Namen Wilibald. Dieser war jetzt Leutnant in einem pommerschen Infanterieregiment und hatte sich mit der Tochter eines hinterpommerschen Gutsbesitzers verlobt. Die Hochzeit stand nahe bevor. Fridolin erinnerte sich einer hübschen Szene aus der Kindheit, wo er mit dem Freunde in einem blühenden Hollunderbusch gesessen hatte, in dem sie, mit ernster Miene Zigaretten aus Kartoffelkraut rauchend, und unendlich wichtige Gespräche über die Zukunft führend, sich das Wort gegeben hatten, daß einst der eine auf der Hochzeit des andern zugegen sein werde. Nun machte sich Fridolin auf, um an der Hochzeitsfeier seines Freundes teilzunehmen.

Er reiste mit einem andern Jugendgenossen, Paul, der auch geladen war. Es war im März, und nach langen Regentagen waltete der Vorfrühling in seiner ganzen Schönheit. Die Luft war erfüllt von Sonne und lausend seltsamen süßen Ahnungen. Die werdende Natur schien mit Schleiern von Gold behangen zu sein, nachdem das Auge sie wochenlang nur in Grau gesehen hatte. Paul und Fridolin saßen plaudernd im Zuge, der sie nach Norden trug. Sie ergingen sich in bunten Erinnerungen, und die Tage ihrer Kindheit standen so klar vor ihnen auf, als hätten sie sie gestern erst preisgegeben.

Fridolin blickte durch das geöffnete Fenster des Zuges, durch das die Sonne hereinkam, in die vorüberfliegende Landschaft. Er war überrascht von dem, was er sah. Er hatte gemeint, auf dieser Reise in die ödesten Bezirke zu geraten, und nun sah er sich unvermutet von einer Natur umgeben, die mit seinem landschaftlichen Fühlen im schönsten Einklang stand. Ein wundervoll blauer Himmel lag über der Erde, und die Strahlen der lange entbehrten Sonne umwoben jedes Ding mit einem goldhaltigen Schimmer. Braune Heideflächen, aus denen einzelne Birken, von dem ersten Glanz des kommenden Laubes verklärt, hervorragten, wechselten mit kleinen Nadelwäldern, Ackerstreifen und fetten Wiesen ab. Dann flog der Zug an Mooren vorbei, in deren schwarzen Lachen die Sonne wie bleiches Silber lag. Aufgeschichtete Torfhaufen sah man, und die vereinzelten Bäume, die sich aus dem Moor aufreckten, waren verkrüppelte Wesen von spukhafter Form, die, so dachte Fridolin, wenn man sie im Mondlicht sähe, etwas Furchterregendes haben müßten. Hier und da stand ein bemooster, grünlich schimmernder Windbock und ließ seine Flügel treiben. Über die Wiesen schritt der Storch. Einzelne Gehöfte, von Linden oder Eschen umgeben, die sie gegen die Winde schützten, lagen malerisch durch das Land verstreut. Verblüffend waren die kleinen Seen, die zuweilen auftauchten. Ihr Wasser war so märchenhaft blau, daß es schien, ein Stück des Himmels sei in sie hineingefallen.

Blau und Gold waren die herrschenden Farben in der Landschaft. Die Höhen, die in der Ferne auftauchten, waren ultramarin. Fridolin war es, er schaue in eine Wunderwelt.

Am späten Nachmittag, als die Farben matter wurden und sich ein feines, langsam zunehmendes Grau überall einzumischen begann, kam die kleine Station, auf der man aussteigen mußte. Fridolin lehnte, als der Zug einlief, aus dem Fenster, um Auslug zu halten. Der Bräutigam, in Uniform mit Pelzkragen, stand auf dem Bahnsteig und winkte. Die beiden Freunde waren nicht die einzigen, die den Zug verließen. Noch etwa fünf, sechs andre Wagentüren öffneten sich, und Herren mit Hut- und Helmschachteln, auch mehrere Damen stiegen aus. Wilibald begrüßte die einzelnen, stellte vor und überwies das Gepäck an die Diener. Dann ordnete sich die kleine, bunt zusammengewürfelte Kolonne in einer Reihe draußen wartender Landauer, die sie dem ungefähr eine Stunde entfernt liegenden Gutshof zuführen sollte.

Die Führung übernahm eine Jagdkalesche. Ein Paar schwarzbrauner Traber zog sie. Wilibald saß auf dem Bock und hatte die Zügel in Händen. Neben ihm saß Fridolin. Hinter ihnen ein Bruder der Braut, Paul und eine Reihe Leutnants.

Erst kam eine Pappelchaussee. Rechts und links, auf hügeligem Gelände, dehnte sich Feld und Heide. Ein kräftiger Wind strich von den Feldern her. Wilibalds Augen glänzten. Er knallte die Peitsche über die Gäule hin, sah zwischen den nickenden Köpfen durch und schien an etwas Fernes zu denken, plötzlich kehrte er das Gesicht zu dem neben ihm sitzenden Freunde und blitzte ihn mit goldenen Augen an.

Da sprach Fridolin:

»Sie hat blaue Augen, und in ihrem Haar ist ein Ton wie Bernstein. Habe ich recht?«

Wilibald nickte.

»Das Schönste ist ihr Lachen«, erwiderte er, »Es ist wie ein Quell unter Blumen. In einer halben Stunde sind wir bei ihr.«

Der Wagen bog in einen sandigen Feldweg ein, um einen Hügel herum, und nun fuhr man auf einmal mitten in die untergehende Sonne hinein. Sie ging ganz ohne Strahlen hinüber, gleich einem riesigen Blutstropfen, der in einer bläulich dunstigen Atmosphäre hing. Auf einer Höhe rechts von dem roten Gestirn türmte sich ein armseliges Dorf empor, in wilden Linien. Weiße Häuser und hochragende Dächer aus Stroh. Eine alte, dickköpfige Kirche krönte das Ganze.

»Das ist Garzigar«, erklärte Wilibald, indem er mit der Peitsche hinüberwies. »In der Kirche findet morgen die Trauung statt. Heute machen wir noch einen Bogen darum.«

Fridolin war entzückt von diesem alten, hochgebauten Nest, das, die mächtige Sonne zur Linken, wie eine trotzige Faust aus der Einsamkeit der Heide ragte.

»Ich bin starr«, sagte er, »Ihr habt Punkte in diesem Lande, die unbeschreiblich sind. Wenn ich Maler wäre, hier ließe ich mich nieder.«

Wilibald nickte. »Das Land ist schöner als man ahnt. Sind Dir die blauen Töne der Ferne aufgefallen? Sie verschwinden fast nie.«

»Wie Ultramarin«, sagte Fridolin.

»Die Farbe kommt von der Feuchtigkeit der Moore und von der Nähe des Meeres. ›Das blaue Ländchen‹ heißt die Gegend im Munde der Leute. An manchen Tagen ist das Blau so fabelhaft, daß man mit dem Finger hineintauchen möchte, in der Meinung, daß es abfärben müßte.«

»Sieh jetzt die Sonne hinter den Birken. Wundervoll.«

»Gleich ist sie hinüber. Jetzt taucht auch Obliwitz auf, unser einsamer Gutshof. Dort neben dem Wäldchen die weißlichen Häuser. Auf dem höchsten weht eine Fahne.«

Ein Hohlweg kam. Hinter ihm tat sich ein Moor auf, mit verkrüppelten Kiefernbeständen und halb verfallenen Hütten. In den schwarzen Pfützen blänkerte die Abendröte.

Ein Volk Avosetten fuhr auf und stürmte über das Moor in die Dämmerung. Ein Hund schlug an und hörte nicht mehr aus mit Belfern. Man fuhr an kleinen, strohgedeckten Arbeiterhäusern vorüber, die etwas abseits von dem Gutshof lagen. Die feiernden Leute standen vor den Türen und zogen die Mützen. Eine mit Tannengrün und Feldblumen umwundene Ehrenpforte wölbte sich über den Weg. In großen bunten Lettern trug sie die Inschrift: »Willkommen«. Mit Hurrarufen fuhr man darunter hinweg. Wenige Minuten später bog man rasselnd in den weitläufigen Gutshof ein.

Im Herrenhause brannten schon die Lichter. Der Vater der Braut stand vor der Tür und begrüßte die Ankommenden. Sein Verwalter, ein junger, blonder Mensch, stand neben ihm. Im Hause wimmelte es schon von Gästen. Während Paul und Fridolin den Korridor des Seitenflügels passierten, rauschte eine Wolke junger Mädchen in hellen Kleidern an ihnen vorüber. Die Freunde nahmen ein gemeinsames Zimmer in Beschlag, säuberten sich und zogen sich um.

Während Paul sich rasierte, klopfte es.

Fridolin öffnete, der Bräutigam trat herein, im Überrock.

»Ihr müßt so fürlieb nehmen«, sagte er, »Es sind der Gäste zuviel. Wenn Ihr Wünsche habt, wendet Euch an meinen Burschen. Morgen spielt Ihr Brautführer. Paul ist für diesen Zweck ein Fräulein Gleiß zugefallen, braunhaarig und lustig, mit hübschen Augen. Du, Fridolin, führst eine große, blonde. Heute erkennst Du sie an einem blauen Kleid. Asta von Sebnitz heißt sie.«

»Oho!« machte Fridolin, »das klingt ja ganz feudal.«

»Ist es auch«, entgegnete Wilibald, »Ostpreußischer Adel, kühl und hochmütig. Du wirst ja sehen. Jetzt muß ich weiter. Macht schnell und erscheint bald. Adio!«

Er stieß ein übermütiges Gejubel aus und verschwand.

Bald darauf begaben sich Paul und Fridolin in die Gesellschaftsräume. Wilibald führte sie erst zu seiner Braut hinüber, die ein taubengraues, mit rosa Seide durchsetztes Kleid angelegt hatte und, indem sie sich sicher, aber durchaus mädchenhaft bewegte, ungemein reizend aussah.

Dann wurde weiter vorgestellt. Den Verwandten, den älteren Herrschaften, den jungen Mädchen. Als alles vorüber war, zog sich Fridolin in eine Fensternische zurück. Er sah durch die unverhüllten Scheiben auf den dunkelnden Hof, wo ein Knecht ein paar Pferde in den Stall führte und zwei Frauen blanke Eimer mit Milch trugen. Dann hielt er im Zimmer Umschau. Von den Namen hatte er so viel wie nichts verstanden. Gern hätte er gewußt, wo die Dame sei, die er morgen zu Tisch führen sollte. Ein blaues Kleid sollte sie tragen. Er sah keins.

Paul trat zu ihm, nahm seinen Arm, und sie gingen ins Nebenzimmer. Hier schien der Tummelplatz der Jugend zu sein. Man lachte, plauderte, und kleine Gläser mit Sherry wurden herumgereicht. Die Freunde nahmen an dem Tischchen Platz, an dem die Braut und der Bräutigam saßen. Ein Diener bot Zigaretten an. Fridolin nahm eine zwischen die Lippen, beugte sich zu Wilibald hinüber und fragte:

»Du, wo ist eigentlich dies Fräulein Asta?«

Wilibald sah sich um, dann sagte er:

»Dort drüben. Die Schlanke in Blau.«

Fridolin sah hinüber. In demselben Augenblick berührten sich Astas Augen mit den seinigen. Aber nur flüchtig und offenbar zufällig. Sie blieb dabei im Gespräch mit den andern.

Sie saß auf einem niedrigen englischen Lehnstuhl, in etwas lässiger Haltung. Ihr Haar, von einem eigentümlich silberigen Aschblond, hing ihr, zu einem dicken Knoten geordnet, im Nacken. Sie trug ein einfaches blaues Kleid, ohne Schmuck. Die Bewegungen ihrer Glieder zeigten eine vornehme Ruhe, und um den feinen Mund, dem man es ansah, daß er viel und gern zu schweigen pflegte, lag ein stiller Ausdruck des Stolzes und eine süße, seltsame Herbheit.

Fridolin sah sie im Profil, und zwar fast die ganze Gestalt. Sie schien schlank zu sein wie eine Gerte und zerbrechlich wie Glas. In der einen Hand, die schmal und matt über die Lehne des Stuhles hing, hielt sie eine Rose von dunkler Glut. Sie paßte nicht zu ihr. Fridolin hatte das Gefühl, als hätte diese Blüte von dem zartesten Gelb sein müssen.

Er folgte jeder Linie ihres Körpers mit Obacht und bemühte sich, jede Einzelheit ihres äußeren Wesens in den Schatz seiner Erinnerung aufzunehmen. Plötzlich wurde er verwirrt. Es war ihm auf einmal ganz deutlich, als schöbe sich etwas in die Luft, das seine Fäden zwischen ihm und jenem Mädchen zu spinnen begann. Er machte eine kleine, verlegene Bewegung, errötete ein wenig, sah schnell fort und wandte sich plaudernd an den Bräutigam. Dann mußte er doch wieder hinüberblicken. Sie hörte mit Lächeln einem älteren Herrn zu und roch zuweilen vergnüglich an der Rose. Fridolin wollte durchaus, daß sie ihn ansah. Sie tat ihm den Willen nicht. Er versuchte es mit aller Gewalt durch die Energie seines Blickes zu erzwingen. Sie dachte gar nicht daran, zu ihm hinüberzusehen.

Ein Diener meldete, daß serviert sei. Alles erhob sich. Zwei große, mit Blumen überschüttete Tafeln waren gedeckt, eine für die Jugend, eine für das Alter. Man setzte sich. Fridolin kam an die Seite eines älteren Mädchens. Er suchte nach Asta und fand sie am andern Ende des Tisches. Sie streifte ihn während der Dauer des Mahles mit keinem Blick. Er hatte das Gefühl, daß es Absicht sei. Sie hatte hin und wieder ein reizendes Lächeln über die Dinge des Gesprächs, wobei der eigentümlich herbe Zug um ihre Lippen nicht verschwand. Sonst war ihr Wesen Ruhe und Gelassenheit. »Du sollst mich noch ansehen«, dachte Fridolin voll Trotz, »Du sollst es noch spüren, wie der Stolz und die Ruhe in Deiner Brust zerbrechen gleich einem Gebäude aus Glas.«

Nach Tisch verteilte man sich wieder in den verschiedenen Zimmern. Als Kaffee herumgereicht wurde, trat Fridolin kurz entschlossen auf Asta zu und sprach:

»Ich werde das Vergnügen haben, Sie morgen zu Tisch zu führen.«

Sie maß ihn etwas verwundert mit den Augen.

»Ah –« machte sie, ohne daß sie Lust zu haben schien, sich in eine Unterhaltung mit ihm einzulassen. Sie roch an der Rose in ihrer Hand, blickte an ihm vorüber und nickte dem Bräutchen zu, das drüben in einem Ring junger Mädchen saß.

Fridolin schwieg absichtlich. Da sah sie ihn wieder mit ihren ruhigen Augen an, und in diesem Blick lag die Frage: Weißt Du sonst nichts zu sagen?

Fridolin dachte: Das ist doch stark. Dann fing er mit Absicht vom Wetter zu sprechen an, was sie mit Gleichgültigkeit über sich ergehen ließ.

Während der kleinen szenischen Aufführungen, wie sie an Polterabenden üblich sind, stand er im Hintergrund, kaute nervös an seinem Schnurrbart und hatte ungleich mehr auf die Schönheit eines blassen Profiles acht als auf die dargestellten Dinge, welche die andern belachten. Astas fein geäderte Schläfen fielen ihm auf. Es war ihm ein wohliges Gefühl, zu verfolgen, wie sich ihr matter Glanz langsam in das üppige Haar verlor.

Nachher kam er noch einmal in ihre Nähe. Ein kleiner Kreis hatte sich auf niedrigen Polsterstühlen zusammen getan, und einige Mädchen pafften Zigaretten in die Luft. Die Braut hatte einen braunen Jagdhund hereingelassen, ihren Liebling, den jeder zu verhätscheln bestrebt war. Am meisten schien er sich zu Asta hingezogen zu fühlen, die auch am besten mit ihm umzugehen wußte. Während sie ihm freundlich über Kopf und Rücken fuhr, griff auch Fridolin nach ihm. Er tat es zu lebhaft, und das Tier stieß einen Kleffer aus. Asta sah den Ungeschickten strafend an, stieß seine Hand fort und sagte barsch:

»Lassen Sie den Hund.«

Fridolin richtete sich auf und maß sie mit kühlem Auge. Er fühlte sich nicht veranlaßt, irgend etwas zu entgegnen. Es reizte ihn und wurde ihm bald eine heimliche Freude, sie ebenso rauh und abweisend zu behandeln, wie sie ihn.

Die Damen zogen sich zur Ruhe zurück. Die Herren gruppierten sich noch um eine gemeinsame Tafel, rauchten und tranken Bier, russischen Kümmel und Danziger Goldwasser. Als es eins schlug, gingen auch sie auseinander, um sich für den folgenden Tag ihre Frische zu bewahren.

Fridolin wurde, während er zu Bett lag, das Gefühl von Astas heftig stoßender Hand nicht los. Es war klar, sie hatte es mit Absicht vermieden, freundlich zu ihm zu sein. Er sah nachdenklich einem viereckigen silbernen Flecken zu, der langsam über die Tapete wanderte, ein Stück von dem Mondlicht, das durch die unverhangenen Scheiben fiel. Dann lächelte er, schloß die Augen und schlief langsam ein.

Nicht weit von ihm war das Zimmer, in dem Asta schlief. Sie war voll Unruhe, wachte mehrmals auf, sah immer dieselbe lange, biegsame Gestalt mit den ruhigen Augen, wollte sie nicht sehen, biß sich die Lippen wund und lauschte auf den Frühjahrswind, der draußen in kurzen Stößen durch den Garten fuhr.

 

Für den Mittag des nächsten Tages war die Trauung angesagt. Asta erschien in rosa Seide. Sie sah blasser aus als gestern. Um den Ausschnitt der Brust zog sich ein feiner Gazeschleier, und ein Hals kam zum Vorschein, schlank und zart wie der Stengel einer Blüte. Fridolin trat zu ihr und reichte ihr einen Strauß aus weißen Rosen. Sie drückte ihn wohlig an ihr Gesicht und warf Fridolin einen Blick entgegen, über den er erschrak. So hatte sie ihn noch nicht angesehen.

»Welch schöne Blumen«, sagte sie. Sie vergrub sich ganz hinein und sog den Duft auf.

Fridolin schwieg. Sie warf einen Pelz über, und er half ihr in einen der Landauer, die zur Kirche fuhren. Noch ein andres Paar saß mit in dem Wagen. Sie waren ziemlich die letzten, die in der kleinen Kirche anlangten. Bald kam das Brautpaar, man ordnete sich, und während die Orgel einsetzte und die Kinder auf dem Chore sangen, schritt man langsam nach vorn an den Altar. Asta hing am Arme Fridolins. Er fühlte sie kaum. Sie ging gerade aufgerichtet, sehr stolz und sehr ruhig. Er sah mit flüchtigem Blick ihr Profil, das feine Kinn, die süßen Schläfen, den Hals. Da erlaubte er sich, ihren Arm ein wenig fester an sich zu drücken. Sofort fühlte er, daß der Zug um ihre Lippen noch herber wurde.

Dann standen sie am Altar nebeneinander. Das Gefühl, sie so dicht an seiner Seite zu haben, beglückte ihn. Nach einer Weile flüsterte sie: »Mich friert.« Fridolin sah sich um, bemerkte einen Offiziersmantel über einem Stuhl, nahm ihn und legte ihn um Astas Schultern. Nun war es reizend zu sehen, wie sie in diesem Mantel, der sie so gut kleidete, dastand, gerade und schlank, blauen Auges, jung, schön, einer spröden Knospe vergleichbar.

»Schöner als jetzt«, sagte Fridolin leise, »können Sie niemals sein.«

Sie tat, als höre sie ihn nicht. Doch rieselte etwas durch sie hin, lau und wohlig, und sie fühlte, es drohte etwas umzukippen in ihr. Für einen Augenblick freilich nur.

Der Prediger sprach und die Orgel klang; und die Kinder sangen mit hellen Stimmen, und die goldne Sonne fiel durch die bunten Scheiben auf die Fliesen um den Altar her, und dann fuhr man lachend, von jagenden Pferden gezogen, nach Hause zurück, und durch dies alles hindurch brauste es in Fridolin: Asta, Asta, Asta!

In ihr war alles wieder aufgerichtet, stolz und still.

 

Als sie nachher bei Tisch nebeneinander saßen, quälten sie sich mit Worten ab, von denen sie beide fühlten, daß sie klanglos, leer und nur gesprochen waren, um ein gänzliches Schweigen zu verhindern. Er beobachtete ihre feinen, zerbrechlichen Handgelenke und dachte dabei an Porzellan. Auch an den Vorfrühling mußte er denken, der draußen sein Wesen trieb. Dann nahm er sein Glas und hob es ihr entgegen.

»Auf unsere Jugend!« sagte er.

»Ja, Jugend,« erwiderte Asta, »es klingt wie Reichtum und Sehnsucht. Heut sind wir traurig und voll unklarer Wünsche, und morgen möchten wir mit den Lerchen in den Himmel steigen, möchten umarmen und zerdrücken, was um uns ist, – und unser Übermut ist grenzenlos.«

»Ich kenne diese Stimmung«, sprach Fridolin, »wenn ich sie habe, laufe ich zu meinem Freund, rüttle ihn und brülle ihn an, daß er meint, ich sei irrsinnig. Es ist wie eine Befreiung.«

»Und dann die Stunden des Hochmuts ...«

»So waren Sie gestern abend.«

»Das ist nicht wahr«, sagte sie ernst. Dann, nach einer Pause: »Ich wollte Ihnen nur die Richtung geben, wie Sie sich zu mir verhalten sollten.«

»Sie waren schrecklich. Habe ich das verdient?«

»Ja. Vielleicht sollte ich auch jetzt nicht anders zu Ihnen sein.«

»Warum?«

»Weil ich zu wissen glaube, wer Sie sind. Ich glaube, es sind Mauern, die sich zwischen meinem und Ihrem Gefühl erheben. Sie verstehen die Mädchen vielleicht zu lieben, – ihre Liebe zu achten verstehen Sie nicht.«

Fridolin war erstaunt. So offen hatte man noch nicht zu ihm gesprochen. Eine Pause trat in der Unterhaltung ein. Sie sah ihn an und mußte lächeln.

Der Jagdhund war wieder im Zimmer, strich zu Asta hin und schmiegte sich an ihre Füße. Sie neigte sich und fuhr mit der Hand liebkosend über sein Fell. Auch Fridolin tat, als streichle er das Tier. In Wirklichkeit aber griff er nach Astas Hand, löste sie energisch von dem Fell des Tieres los und hielt sie fest. Sie ließ es geschehen, ihr war, als müßte sie ihm wehren, aber ein schlaffes, willenloses Gefühl beherrschte sie. So saßen sie eine Weile, schweigend, Hand in Hand, während die andern meinten, daß sie mit dem Hunde beschäftigt seien. Fridolin sprach leise durch die Zähne hin: »Asta«. Da war es, als besänne sie sich wieder; als bäume sich etwas in ihr auf. »Lassen sie mich los!« flüsterte sie energisch, indem sie sich aufreckte. Und als Fridolin sich nicht bequemte, ihrem Verlangen nachzukommen, noch einmal und heftiger: »Lassen Sie mich los!«

Fridolin gab die Hand frei. Sie sahen sich nicht an, und eine Weile sprachen sie nichts. Dann kamen wieder die gleichgültigen Worte. Hinter diesen aber brannte es rot in Fridolin: Ich liebe Dich! – und sein Gefühl war wirr und dunkel. Er wußte, hier war etwas seltsam Hohes und Keusches, etwas, von dem er fühlte, daß man es lieben könnte sein Leben lang; dann aber sah er blitzschnell Fesseln und enge Wege vor sich, und »Freiheit! Freiheit!« sang sein Herz. Und auch in Asta sah es wirr aus. Wie ein Bach im Frühling rauschte es in ihr; aber machtvoll trotzte sie dagegen auf: »Ich will nicht!«

Den Kaffee nahm man im Gartenzimmer, jetzt einer Art Wintergarten, in dem Palmen und Oleanderbäume standen. Es war fast dunkel geworden. Für eine Weile öffnete man die Glasflügeltür, und nun konnte man über dem Garten das Licht der ersten Sterne funkeln sehen. Der kühle Geruch taugenäßter Wiesen drang herein. Eine Wiesenschnarre lärmte in der Ferne, in harten, unmelodischen Lauten. Dann lauschte man einem Schwarm unsichtbarer, schnellfliegender Kraniche, die aus der dunkeln Luft herunterschrien.

»Welch schöner Abend«, sagte Asta, »später werden wir Mondschein haben.«

Fridolin saß neben ihr, an einem Tischchen, hielt eine Tasse Kaffee in der Hand und sah hinaus.

»Ja«, sagte er, scheinbar abwesend.

Dann, als man in der Nähe lauter wurde und lachte, neigte er sich plötzlich zu dem Mädchen und sprach leis, aber heftig:

»Sie sind hart zu mir –«

»Wie können Sie das sagen –«

»Asta –«

»Nennen Sie mich nicht so. Sie haben kein Recht dazu. Was wünschen Sie?«

»Ich will –«, er schwieg und biß sich auf die Lippen.

Sie lächelte und zuckte die Achseln. Dann schüttelte sie nachdenklich das Haupt. Dann sah sie ihn an, mit dem Ausdruck stiller Innigkeit. Ein Wort sagte sie nicht. Aber Fridolin war es, als sollte er jetzt niederknien, um ihre Hände zu küssen und seinen Kopf in ihren Schoß zu legen. Doch er beherrschte sich, und schon eine Sekunde später hatten die dunkeln, sich widersprechenden Gefühle wieder Raum in seiner Brust.

Gerade während diese stummen Wogen zwischen den beiden jungen Menschen hin und wieder fluteten, trat der Brautvater in den Türrahmen, klatschte in die Hände und rief: »Bitte tanzen!«

Man hörte schon den Flügel und einige Geigen herüberklingen. Alles stand auf und begab sich in die größeren Zimmer zurück, wo die Tafeln fortgeräumt waren. Einige Paare tanzten schon. Bald entfaltete sich ein buntes Gewirbel. Fridolin lehnte dumpf an einem Türpfosten und sah dem Treiben zu. Er sah Asta am Arm eines Leutnants vorüberschweben, blaß, mit niedergeschlagenen Wimpern. Dann tanzte sie mit andern. Später, als sie einmal ruhte, trat er vor sie hin, verbeugte sich und gab ihr den Arm. Sie umschritten den kleinen Saal ein paarmal, darauf tanzten sie. Sie tanzte leicht und lässig. Fridolin meinte, lausend blaue Blumen blühten unter seinen Füßen. Nun war er in den matten Duft ihrer Haare eingehüllt und hörte ihr weiches Atmen und fühlte die kleine schlanke Hand in seiner liegen.

Er drückte sie an sich, mit Macht. Sie fühlte, daß ihr Stolz nahe daran war, jämmerlich zu zerschellen, wie ein Kahn in der Brandung der See. Zugleich aber lohte wieder die Empörung in ihr auf, und wieder siegte dieses Gefühl, und sie sagte mit hartem Klang:

»Sie sind kühn, ich wünsche, daß wir aufhören mit tanzen.«

»Nein.«

»Sofort.«

»Ich will nicht.«

»Ich schreie, wenn Sie nicht aufhören.«

Er ließ ab, führte sie auf ihren Platz, verneigte sich und verließ dann, ohne daß es auffiel, das Zimmer. Er warf sich einen Pelz über und ging hinaus in die Mondnacht.

Die Gebäude des Gutshofes lagen weiß wie Milch in der kühlen Luft. Aus der Ferne konnte man, wenn gerade ein Windhauch herüberwehte, die Musik hören, zu der die Knechte und Mägde tanzten, denen dieser Tag auch ein Festtag war. Fridolin schritt über den leeren, gepflasterten Hof und sah seinen Schatten neben sich wandern. Er ging durch eine Pforte in das Feld und auf ein kleines Gehölz von ragenden Kiefern zu, die sich wie drohende Recken gegen den hellen Himmel abhoben. Unter diesen Kiefern lag ein kleiner Friedhof, den verstorbenen Mitgliedern der Gutsfamilie als Ruhestätte dienend. Das letzte der Gräber, das einige frische Kränze trug, war noch ziemlich jung, hier hatte man die Mutter der Braut vor nicht viel mehr als einem Jahre eingegraben. Hohe Eisenkreuze mit gepreßten Goldlettern standen auf den Gräbern, überall wucherte Epheu, und auch an manchen Kreuzen strebte er mit wilder Umarmung empor.

Fridolin schritt den schmalen Weg zwischen den Gräbern hin. Er empfand den wundersamen Frieden dieser Stätte und sah vertraulich zum Mond auf, der mit ihm langsam durch die Kronen der Kiefern schlenderte. Dann blieb er am Rande des Gehölzes vor einem der Hügel stehen, und nun waren es die Schatten ringsum, die ihn seltsam erfüllten. Welche Schatten! Da waren zunächst, von übertriebener Länge und Geradheit, die Schatten der Kiefernstämme, die sich fest und sicher weit über das Feld hinlegten, wie Mastbäume oder wie schwarze Furchen; endlich verloren sie sich in einem eigentümlichen Gewirr von Dunkelheit: das waren die Schatten der Kronen. Viel unheimlicher als diese langen, toten Kiefernschatten aber waren die Schatten der Kreuze. In ihnen nämlich schien ein verstecktes Leben zu schlummern und nur darauf zu warten, daß es in einer geheimnisvollen Stunde auferstünde, doch nicht ein frohes Leben, sondern ein Leben voll düsteren Ernstes und gewaltsamer Entbehrung, ohne Lachen und ohne Licht. Und dann glitt sein Auge auf seinen eigenen, kleinen, harmlosen Schatten über, und er dachte daran, daß dieser Schatten ihm im Grunde ebenso fremd sei wie die Schatten der Kiefern und Kreuze um ihn her, denn er hatte nicht den geringsten lebendigen Teil an ihm. Und doch vermochte nur er ihm Bewegung zu verleihen, wenn auch kein Leben, und wäre dieser Schatten nicht, so wäre er nicht. Und wenn man jetzt, so dachte er, dorthin, wo er selbst gerade stand, einen andern Menschen stellen würde, einen von ihm gänzlich verschiedenen, der nur ungefähr die gleichen Formen des Körpers hatte (oder auch eine leblose Puppe dieser Art), so würde der Schatten, der dort läge, dem seinen zum Verwechseln ähnlich sein, so wie die Schatten der Kreuze einander glichen, ohne daß man den einen vom andern hätte unterscheiden können. Während Fridolin dies bedachte, wurde ihm auf einmal siedend heiß. Gleich darauf breitete er beide Arme aus, so daß auch sein eigener Schatten dem eines Kreuzes glich. Wenn jetzt hier jemand käme, dachte er, dessen Auge nicht die Dinge, sondern nur die Schatten der Dinge zu sehen vermöchte, so würde er nicht ahnen können, daß hier ein Mensch stünde, sondern er würde wähnen, zwischen lauter Kreuzen zu wandern.

Er ließ die Arme wieder sinken, sah sein Abbild mit einem heimlichen Mißtrauen an und wurde unwillig über die Unruhe und das törichte Spiel dieses Bildes, während ihn die unveränderliche Hoheit der übrigen Schattenbilder mit Neid und Sehnsucht erfüllte. Er nahm sie noch einmal alle in sich auf, dann aber hatte er der Schatten genug. Er schritt in das freie Feld hinüber, das so hell vom Mondlicht übergossen war, als stünde es voll weißer Blüten, und wanderte auf einem Rain entlang, indem seine Füße den Tau von unzähligen Gräsern streiften. Die Felder und Wiesen schliefen, nicht eine Grille war wach. Der Mond hing zwischen großen, silberumrandeten Wolken. Jetzt tauchte eine die Wiesen durchquerende, endlose Schlangenlinie niedriger Bäume auf, in deren Zweigen das Mondlicht wie ein silberner Schleier hing. Fridolin unterschied, daß es Weiden waren, und als er sie erreicht hatte, sah er, daß sie den Ufern eines lautlos gleitenden Flüßchens folgten. Eine Holzbrücke führte über dieses hinweg; Fridolin lehnte an das Geländer und sah in das Wasser, das schwarz wie Tinte erschien, während es ein Ende weiter abwärts von einem weißlichen Glanz überleuchtet war. Er suchte erst die kaum hörbar flüsternden Weiden und dann das geheimnisvoll fließende Wasser mit den Augen zu durchdringen, fühlte das lautlose Leben und die unaufhörlich ziehende Veränderung, die unter ihm war, und der unbeschreibliche Zauber, der über nächtlichen Flüssen liegt, trat auf einmal mit solcher Gewalt vor ihn hin, daß ihm sein eigenes klopfendes Herz inmitten dieses großen, unbegreiflichen Webens nur wie ein nichtiger Spuk erschien.

Als er jenseits über die Felder weiterschritt, tauchten ein paar Arbeiterhäuser, hingeduckt wie schlafende Tiere, vor ihm auf; aber ehe er sie erreichte, kam er an einen kleinen, etwas tiefer gelegenen, eirunden Teich. Er schritt an seinen Rand hinab und streckte sich in das Heidekraut. In der Mitte des Teiches lag der Mond, eine silberne Kugel. Wenn ein Windhauch kräuselnd über die Wasserfläche fuhr, wurde aus der Kugel ein breites Gitter von endlosen Silberstrichen. Drüben, nicht weit vom anderen Ufer entfernt, reckte sich ein Ziehbrunnen schräg und schwarz gegen den Himmel und schien die Einsamkeit dieser Stätte noch zu erhöhen. Fridolin nahm ein Zweiglein Heidekraut zwischen die Lippen, sah in den Teich und nach dem Ziehbrunnen hinüber und dachte an Asta.

Es war eine sinnlose Quälerei für sie beide, und es schien ihm klar, daß es seine Pflicht war, ein Ende zu machen. Aber wie? Er fing an, seinen Gefühlen mit Sorgfalt nachzugehen, und glaubte zu finden, daß er dieses stolze Mädchen heftiger liebe als irgendein anderes zuvor. Dann aber dachte er über die vergangenen Erlebnisse nach, dachte an die Unzuverlässigkeit menschlicher Gefühle und besonders der seinigen, dachte vor allem an die unerschütterte Freude am Erleben, die noch in ihm war und die er als einen köstlichen Besitz empfand, und schließlich sagte er sich mit aller Bestimmtheit: Preisgeben, preisgeben, Fridolin, es ist die einzige Möglichkeit. Sei klug, du kennst dich ja, bleib einsam, das Leben ist weit, und es blühen der Rosen viele; geh fort, sei traurig und klage; aber bleibe einsam, unbeständiger Fridolin!

Er sprang auf, riß einen kleinen Kieselstein mit hoch und warf ihn ärgerlich in den Teich, daß es plumpste und eine Garbe silberner Tropfen aufsprang.

»Preisgeben,« murmelte er, – und dann fing er an, sich selber gröblich zu belügen, indem er sich vormachte, daß er vollkommen ausgesöhnt mit diesem klugen Entschlusse sei, indem er ihn vor sich selber als den einzig sinngemäßen pries und so tat, als wäre diese ganze Angelegenheit in ihm klipp und klar.

Er schritt den Uferrand hinauf, blickte noch einmal auf den Teich zurück, ging an den Ziehbrunnen, betastete ihn, machte einen Bogen um die Arbeiterhäuser herum und sah, wie drüben auf dem Hauptweg ein sich umarmendes Paar hinschritt, das sich wahrscheinlich aus der Schenke fortgestohlen hatte, um einen heimlicheren Winkel für seine Liebe aufzusuchen.

Auf mehreren Umwegen gelangte er in den Gutspark, blieb einen Augenblick vor dem verödeten Sandsteinbecken des großen Springbrunnens stehen, blickte zum Mond und den phantastischen Wolkenformen des Himmels auf und sah dann die rötlich erleuchteten Fenster des Herrenhauses wieder vor sich liegen. Er trat ganz dicht unter eins der Fenster und lauschte. Ein unbestimmtes Surren von Stimmen schlug an sein Ohr, die Musik schwieg. Man hatte aufgehört zu tanzen und vergnügte sich offenbar mit allerlei zeitvertreibenden Spielen. Er schritt um das Haus herum, kam an das dunkle Fenster seines Zimmers, stieß den Fensterflügel zurück und schwang sich über das Gesims in die Stube. Er entkleidete sich im Dunkeln und legte sich hin. Schlafen konnte er nicht; sein Blut wallte ruhelos hin und her. Mitunter wurde ihm so heiß, daß er am liebsten aufgesprungen und ans offene Fenster getreten wäre, um sich zu kühlen. Er sah Asta, hörte ihre Stimme, fühlte ihre kleine weiße Hand, sah sich selber neben ihr, heftig bewegt und unfähig, die Worte zu finden, die er suchte, fühlte den Stolz ihres Auges, und einmal war er nahe daran, laut loszubrüllen wie ein verzogenes Kind.

Lange lag er so. Endlich hörte er ein schnell anschwellendes Getümmel aus den Korridoren und wußte, daß die Gäste sich jetzt zur Ruhe begaben. Hier und da klappte eine Tür, Geträller war zu hören, ein feines Lachen, ein Zuruf, ein Gähnen, dann wurde es wieder still. Eine Stunde später öffnete man ungeschickt laut die Tür zu seinem Zimmer. Fridolin tat, als schliefe er, aber durch die Wimpern hindurch beobachtete er genau, was vorging. Zwei Leutnants, lachend und mit geröteten Gesichtern, schleppten Paul herein, der völlig betrunken war. Der eine Leutnant, auffallend durch abstehende Ohren und einen riesigen blonden Schnurrbart, trug einen brennenden Leuchter in der Hand, den er schief hielt und von dem infolgedessen das Wachs fortwährend auf die Dielen tropfte. Paul, der nicht das geringste mehr von sich wußte, ließ alles mit sich geschehen. Die Leutnants setzten ihn aufs Bett, zogen ihm allmählich sämtliche Kleidungsstücke aus, nannten ihn eigentümlicher Weise immer »Majestät« und lachten unmäßig dabei. Als ihr Opfer bis auf das Hemd entkleidet war, schleppten sie es an den Waschtisch und gossen ihm eine Kanne Wasser über den Kopf. Paul gab nicht einen Mucks von sich und hielt auch meistens die Augen geschlossen, die so klein schienen wie die eines Ferkelchens. Die Leutnants packten ihn ins Bett, deckten ihn zu, legten mit eigentümlich pathetischen Gebärden einen Rosenstrauß auf seine Bettdecke, warfen einen scheuen Blick auf Fridolin, nahmen den Leuchter und verließen dann, nachdem sie erst so unnötig laut gewesen waren, merkwürdigerweise auf Zehenspitzen und mit leisem Flüstern das Zimmer.

Paul schlief sofort und fing an zu schnarchen. Fridolin war erst belustigt durch die groteske Szene, deren Zeuge er gewesen war, dann gewannen die tieferen Bilder des verflossenen Tages wieder Raum in ihm, und er hörte Asta immer von neuem mit der ganzen Energie ihrer Stimme zu ihm sprechen: »Ich wünsche, daß wir aufhören mit tanzen. Sofort.«

Es währte lange, ehe er Schlaf fand. Er schlief leis und unruhig.

 

Am nächsten Vormittag sollte Asta reisen. Sie sahen sich noch beim Frühstück, doch saßen sie so weit voneinander ab, daß sie kein Wort miteinander wechseln konnten. Fridolin empfand es eigentlich als eine Wohltat. Ihre Augen berührten sich mitunter. Asta schien ganz lustig zu sein; die Bewegungen ihrer Hände und ihres Kopfes waren viel lebhafter als gestern. Der Leutnant an ihrer Seite, es war der mit den abstehenden Ohren, zog sie in eine Unterhaltung, die ihr volles Interesse zu haben schien. Aber einmal bemerkte Fridolin, daß sie auf einen Augenblick die Augen schloß, wie in einem starken nervösen Gefühl oder von einer heftigen Ermattung ergriffen. Nach dem Frühstück trat er zu ihr, sah sie an, nahm lächelnd ihre Hand und sagte leise: »Leben Sie wohl«. Dann führte er die Hand an den Mund und biß hinein. Aber die Hand schien fühllos zu sein, denn sie zuckte nicht einmal. »Leben Sie wohl!« sagte Asta und lachte. Fridolin merkte trotz alledem, daß dieses Lachen nicht ehrlich war.

Er wollte den Abschied am Reisewagen nicht miterleben. Er ließ sich ein Pferd aus dem Stall ziehen, einen jungen Rappen, und stieg in den Sattel. Als er eben den Hof verlassen hatte, bemerkte er an seinem Ärmel einen goldigen Blitz. Er sah nach und fand, daß es ein langes, aschblondes Haar war, das nur von Asta stammen konnte. Die ganze Schönheit des blassen Mädchens trat mit einem so wehmütigen Schimmer und so überwältigend vor ihn hin, daß ihm war, er müsse liebkosend ihren Namen nennen und für alles um Verzeihung bitten. Er gab das Haar dem Winde preis, biß die Lippen zusammen, stach die Sporen mit unsinniger Heftigkeit in die Seiten des Pferdes, so daß es sich bäumte, und jagte über Feld und Gräben, gleich einem Besessenen.

Nachdem er auch die Heide durchquert hatte, wurde der Boden moorig, und er mußte abbiegen. Er ritt in ein Wäldchen junger Birken ein, deren weiße Stämme in der blauen, sonnigen Luft wie reines Silber glänzten, während das Zweigwerk, braunrot und voll keimenden Saftes, von einem violetten Duft durchwoben war. Dunkelgrüne Wacholderbüsche waren über den Waldboden hin verstreut. Fridolin machte einigemal halt, um schöne Durchblicke durch die hellen Stämme auf das Moor und die roten Dächer eines fernen Dorfes zu genießen.

Draußen kam er auf eine sandige Höhe. Nahe dem Horizont erkannte er das Dunkelblau eines kommenden Regens. Plötzlich drang ein Lärmen aus der Luft. Er sah empor. Zwei große, weiße Vögel, blendend von der Sonne beschienen, stürmten mit vorgereckten Hälsen durch die Luft und schrieen. Als er weiter Umschau hielt, auf das Wäldchen zu seinen Füßen, auf das rote Dorf, auf ein paar blaue, moorige Teiche und die Wege ringsher, sah er in der Richtung nach Garzigar den Reisewagen mit den beiden Braunen. Und wieder spornte er den Gaul und flog über Moor und Heide und Feld, und als er dann endlich in Obliwitz einritt, ermattet und triefend gleich dem Tier, auf dem er saß, rief ihm der Brautvater, der gerade aus dem Schafstall kam, mit deutlicher Stimme entgegen:

»Wenn Sie glauben, junger Mann, daß ich noch einmal die Dummheit begehe, Ihnen ein Pferd aus meinem Stall zu geben, irren Sie sich!«

 

Fridolin fuhr von Obliwitz direkt ans Meer. Er kletterte auf den Dünen herum, legte sich an den Strand, trieb in Booten durch das sonnige Wasser, das er selten so blau gesehen zu haben meinte, pflückte sich Sträuße von Leberblümchen, die auf einigen Hügeln in blauen Mengen standen, und fühlte, daß er an der See noch niemals so unruhig und verstört gewesen war. Aus jedem Raunen des Wassers hörte er die Stimme eines Mädchens, das blonde Haare hatte; wo er einen wehenden Halm sah, dachte er an dünne Handgelenke, und die Bläue des Himmels sah er nur als Vergleich mit dem Blau zweier jugendlicher Augen. Endlich hielt er es nicht mehr aus. Er setzte sich hin und schrieb an Asta, daß er am nächsten Tage auf der Heimreise um eine bestimmte Zeit mit dem Schnellzuge durch S. kommen werde, der Stadt, wo sie bei Verwandten zu Besuch war. Er schrieb, der sehnlichste Wunsch, den er habe, sei, sie am Bahnhof noch einmal wiederzusehen.

Er fuhr, und als er sich S. näherte, stürmte sein Blut vor Erregung. Er stand, als der Zug einlief, am Fenster und erkannte sie sogleich. Sie trug ein schwarzes Kleid, einen schwarzen Federhut und an den Händen gelbe dänische Handschuhe. Merkwürdig, sobald er sie sah, hatte er seine Ruhe wiedergefunden. Sie winkte ihm zu, er sprang, als der Zug hielt, herab, ging ihr entgegen, nahm ihre Hand und küßte sie.

Was sie hierauf miteinander sprachen, war sehr einfach: Erkundigungen nach ihrem Befinden, wie es ihm am Meere gefallen habe, wie ihr die Hochzeitsfeier bekommen sei, wie lange sie noch bei ihren Verwandten zu bleiben gedenke. Sie sagte, daß sie noch etwa vierzehn Tage in S. zu bleiben gedenke, und er, daß er die See nie so schön gesehen habe, daß er aber nicht in der richtigen Stimmung gewesen sei, sie zu genießen. Dann hieß es »Einsteigen!«, sie gab ihm schnell die Hand, er küßte sie, indem er den Handschuh zurückstreifte, auf den Puls. Dann bestieg er den Wagen, der Zug setzte sich in Bewegung, und langsam verschwand ihre dunkle Gestalt, während er winkte und noch bis zuletzt den herben Zug um ihre Lippen sah.

Sie hatten nichts mehr gemein in ihrem späteren Leben. Wenn sie einst sterben werden, wird keiner ahnen, daß sie in den Tagen ihrer Jugend voneinander wußten.

*

 

Die Bücher von Hans Bethge:

Satuila oder Vom Zauber der Südsee, ein Idyll; Gyldendalscher Verlag, Berlin.

Tagebuch am Meer; ebenda.

Der gelbe Kater, Novellen; ebenda.

Lieder an eine Kunstreiterin; ebenda.

Saitenspiel, Gedichte; ebenda.

Sonnenuntergang, eine Dichtung; ebenda.

Jens Peter Jacobsen, ein Versuch, mit einer Steinzeichnung von Fr. Ahlers-Hestermann; bei Axel Juncker, Berlin.

Wilhelm Lehmbruck zum Gedächtnis; bei A. R. Meyer, Berlin-Wilmersdorf.

Orientalische Versbücher von Hans Bethge:

Die indische Harfe; Gyldendalscher Verlag, Berlin.

Das türkische Liederbuch; ebenda.

Omar Khayam; ebenda.

Die chinesische Flöte; Inselverlag, Leipzig.

Hafis; ebenda.

Japanischer Frühling; ebenda.

Arabische Nächte; ebenda.

Pfirsichblüten aus China; bei Ernst Rowohlt, Berlin.

 

Der Druck des Buches erfolgte in der Druckerei von Gebr. Mann zu Berlin.
Die Einbandzeichnung ist von Walter Tiemann.

 


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