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Ist der Geschlechtsunterschied auch ein seelischer und als solcher ein ewiger, wie er schon in der Zahl angedeutet und vielleicht in den Seraphim, die in Liebe erglühen und in den mächtigen Cherubim, die erkennen und können, ewig währt, so gibt es im Menschen ein Höheres und Geschlechtsloses, den Geist.
Worin besteht der Unterschied zwischen Seele und Geist? – Unter »Seele«, das wird uns sowohl aus der Bibel als aus der Sprache klar, wird mehr die Persönlichkeit des Menschen mit allen ihren Eigentümlichkeiten als Individuum verstanden; spricht man ja überall von so und so viel Seelen als Bewohnern der und der Stadt – heute zählen wir mehr die Leiber. Der Geist im Menschen ist mehr das Göttliche, vom Irdischen unberührt, weshalb man nicht von seelenlosen, wohl aber von geistlosen und geistvollen Menschen spricht. Die Seele ist die weltliche, der Geist die göttliche Persönlichkeit im Menschen. Wie verschieden sie sind, sieht man am Ringen und Kämpfen, wenn die Seele, von ihren Leidenschaften hingerissen, sich im niedrigen Genuß versenken will, der Geist aber in ihr spricht: Thue es nicht, anderswo liegen die Quellen deiner Freuden und deiner Kraft!
Die Seele hat ein gar mannigfaltiges Wollen, Fühlen und Erkennen an sich, wovon die Tausende und aber Tausende von Eigenschaftswörtern zeugen, die die Sprache erfunden. Bald großartig und bald kleinlich, bald schön und hübsch und nett und zierlich, bald häßlich, abscheulich und greulich u. s. w. erscheinen ihr die Dinge und die Wesen. Der Geist fragt wenig nach solchen untergeordneten Merkmalen, sondern wie es von Gott bei der Schöpfung nur heißt: »es war gut; so faßt auch der Geist im Menschen alles von einem einzigen göttlichen Standpunkt aus und spricht: es ist gut! es ist nicht gut! fragt dabei nichts nach Schlüssen und Erkenntnis, und vor seinem Spruch ist keine Appellation.
Die Sprache ist des Geistes; aber die Seele bemächtigt sich ihrer in ihren fast unendlichen Formen. Sache des Geistes hienieden ist ein unaussprechliches Seufzen, Gott allein verständlich. Der Seele eigen sind die Stürme und die Leidenschaften, das Verzagen und das Wanken, das Wogen und Toben des Werdens; der Geist aber ist ein Seiendes, ein Fels im Meer der wechselnden Erscheinungen. Der Geist schaut in Gott und ist gelassen, weiß wohl, daß er einst in Ihm alles schauen darf und harrt der Vollendung. Für die Seele ist der Mensch ein Individuum, eine Persönlichkeit, so und so gestaltet, trägt den und den Namen, sieht leiblich so und so aus, denkt, spricht, handelt so oder so; dem Geist aber ist sowohl die Menschheit im allgemeinen, als auch jeder einzelne ein ewiger Gedanke Gottes, der zwar in dieser Endlichkeit sich so und so und in dem und dem Maß offenbart, aber auch ohne diese Offenbarung eine fest begrenzte, ewige Ichheit und geistige Einheit ist. Als Persönlichkeit kann die Seele nach allen möglichen Richtungen sich ausbilden, vervollkommnen, sich vieles aneignen; in ihr liegt die Intelligenz und der Verstand und die Vernunft, womit der Mensch von Kindesbeinen an die ihn umgebende Welt erfaßt, die Thatsachen ergreift und begreift, sie aneinander reiht, in Bezug auf andre, auf sich und Gott prüft, daraus Schlüsse zieht, zur Erkenntnis gelangt und sich eine Welt- und Gottesanschauung bildet. Dabei kann sie auch irre gehen.
Die ewigen Ideen und Gesetze, denn Idee ist Gesetz, die in Gott von jeher waren und wie sie in der Schöpfung sichtbar geworden sind, im Stein und in der Pflanze, im Tier und im Menschen, das ist des Geistes ewiges Gebiet; die wechselnden Gedanken darüber, die Gefühls- und Sinneseindrücke von denselben, das ist das Leben der Seele. – Ihrer ist das ewige Fragen: Wie? wo? wann? warum? – Sie hat in sich zahlreiche Widersprüche; darum man mit Recht von Seelentäuschungen, von Illusionen spricht. Die Seele erkennt, der Geist schaut; tritt vor die in Not und Angst verwirrte Seele und beherrscht blitzartig den ganzen Menschen; darum sprechen wir richtig von »Geistesgegenwart«. – Braust der Geist wie ein Wetter dahin, dann erwacht der Löwe Gottes im Menschen; er schaut sich nicht lange den Feind an, sondern ergreift das Erstbeste, auch eine Eselskinnlade, und erschlägt damit Tausende. Oder er weht die Seele unwiderstehlich an, nimmt auch sie im Sturm mit, daß sie nicht mehr fragt nach Vernunft und Verstand, sondern wider Vernunft die höchsten Thaten vollbringt. Und das nennt die Sprache treffend ein »Begeistertsein«, eine »Begeisterung« der Seele; Beweis genug, daß der Geist im Menschen als ein Anderer und Höherer über der Seele steht, die er mit seinen Flügeln überschattet, und es wird in ihr ein Höheres empfangen und geboren.
Und ist die Seele stets ein Femininum ( anima, âme), eine schüchterne Psyche, eine neugierige, in diese Welt aus oberen Höhen gestoßene Jungfrau, die erst, wie die Griechen es sinnreich darstellten, durch den Eros, die Liebe, den Geist (Gott ist die Liebe, Gott ist Geist) zum wahren Leben aufgeweckt wird; die ängstlich, bald himmelhoch jauchzend, bald zu Tode betrübt, das um sie brausende Leben neugierig ansieht und von demselben mitgerissen wird; so ist der Geist ein Masculinum ( esprit, spiritus), dem ehernen Greis zu vergleichen, unter dessen Gestalt der Mensch die Zeit und das Schicksal abbildet; der mit mächtigen Flügeln über die Welt dahinfliegt, sich nicht von Vergänglichem, nicht von äußerlicher Schönheit und Anmut bestechen läßt, sondern mit Sichel oder Sense unerbittlich dahinmäht, was nicht vor ihm bestehen kann.
Ein andrer Zug an der Seele ist ihre Furcht vor dem Tode, denn die Seele kann verloren gehen, der Geist nicht. Wohl war diese Seele einst von Gott unsterblich geschaffen, als aber durch die Sünde der Tod, diese uns unergründliche Macht und Gewalt, in die Welt kam, so schauderte es der Seele davor und sie fühlte sich nicht mehr unbezwinglich, und mit Recht; denn es steht geschrieben: »Siehe, alle Seelen, sie sind mein; die Seele, welche sündigt, sie soll sterben« (Hes. 18, 4); nicht also, als ob sie zu sein aufhörte, wohl aber als ein ewiges Sterben, ein Abnehmen und Verkümmern im Gegensatz zum ewigen Leben, das auch nicht ein bloß passives, sondern aktives, sich immer höher und höher Schwingen der Seele, Gott entgegen, ist. So spricht auch Christus: »Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht mögen töten; fürchtet euch vielmehr vor dem, der Leib und Seele verderben mag in die Hölle (Matth. 10, 28). Und was einst der zweite Tod ist, vielleicht ein ewiges Dahinsinken der Seele durch alle Abgründe des Seins und des Werdens hinab, können wir auf Erden nicht ergründen.
Weil aber die Seele mit dem ewigen und zweiten Tod bedroht ist, so kann sie auch von demselben erlöst werden. Dazu ist Jesus Christus in die Welt gekommen und am Kreuz gestorben. Der Geist aber bedarf keiner Erlösung; der Geist sündigt nicht. »Wer aus Gott geboren ist, thut nicht Sünde, denn er ist aus Gott geboren.« Von Gott der Seele auf ihre irdische Pilgerschaft mitgegeben, taucht er nie seine Flügel in den Kot der Erde.
Der Geist weiß nicht, was sterben ist; beim Tode geht er zu Gott zurück, während die Seele an ihren Ort geht, der reiche Mann in die Qual, Lazarus in Abrahams Schoß, der Schächer ins Paradies. »Der Geist,« spricht der Prediger von allen Menschen, »kehrt wieder zu Gott, der ihn gegeben;« kann niemals in die Hölle hinabfallen. Den Gottlosen verläßt nach der Schrift der Geist im Sterben um zu Gott zurückzukehren; dann ist seine Seele geistlos, dem nun entfesselten Toben aller niedrigen und grimmigen Leidenschaften, wie ein steuerloses Schiff aus stürmischem Meer, preisgegeben.
Der Geist im Menschen ist ein Schauender. In dem Wort conscientia ist ausgesprochen, daß der Geist ein Mitwissender der Seele, nicht aber Gott, der nicht Mitwissender, sondern Allwissender ist. Und nicht nur sieht und schaut der Geist alles, was die Seele denkt und spricht und thut; er behält es auch ewig in sich, mit Diamantgriffel auf ehernen Tafeln geschrieben. Gewöhnlich wird das Gedächtnis der Seele zugeschrieben. – Eine wunderbare Macht! Längst Vergangenes wird gegenwärtig, und jetzt, nachdem Fluten des Schmerzes und der Freude oft über sie gegangen, nachdem sie Unzähliges erlebt, gethan, gesprochen und gedacht hat, vielleicht ein ganzes Menschenleben darüber hingegangen ist, steigt ihr aus dem Ocean der Vergangenheit dieses oder jenes, das scheinbar längst verschwunden, wieder herauf. – Wir glauben, daß diese Macht der Seele Vergangenes wieder zu schauen, nur die Macht ist, mehr oder weniger in den Geist hineinzusehen und seines Mitwissens und Gewissens, als eines Gewissen und Absoluten, teilhaftig zu werden. Schon das Schwankende in der Treue und Schärfe der Bilder spricht dafür, daß es nicht ein eigner Besitz der Seele ist, sondern ein Schauen in einen fremden, bald hellen, bald getrübten Spiegel. Sieht man aber, wie oft am Lebensschluß, auch nach langem Irrsinn und in verschiedenen Krankheiten solches, was vollständig aus der Seele verschwunden war, worauf sie sich mit allem Suchen nicht mehr besinnen konnte, ihr plötzlich wie ein Bild an der Wand bis in die kleinsten Einzelheiten klar und plastisch hervortritt, so muß man fragen: woher hat sie jetzt auf einmal das, was sie so lange Jahre hindurch nicht mehr besaß? – Noch klarer wird der Eindruck, daß das eigentliche, alles aufbewahrende, nie etwas vergessende Gedächtnis im Geist liegt, wenn man sieht und hört, wie bei Sterbenden, gerade da, wo die arme Seele, vor der ungewissen Zukunft bangend, verwirrt und ohnmächtig sich in den Tod sinken fühlt, oft klar und scharf das ganze Leben, eine wahre Photographie, sich abspiegelt, mit solchen Nebenumständen, auf die die Seele seiner Zeit gar nicht achtete. So konnten besonders solche, die am Ertrinken waren und noch gerettet wurden, sich nachher nicht genug darüber wundern, wie sie blitzschnell in einem Bild ihr ganzes Leben beschauten.
So zeigt oft bei Annäherung des Todes der Geist seine Überlegenheit über die Seele und spricht über ihr lebenslängliches Thun und Dichten und Trachten richtende und abschließende Worte. So bei einem gottlosen Gelehrten, der, nachdem er für tot gelassen wurde, noch einmal erwachend, auffuhr, und mit schrecklicher Stimme rief: » Justo judicio Dei damnatus sum!« – So als Heinrich VIII. von England, dieser gewaltige, hochmütige und trotzige Mann, den Tod nahen fühlte, da ließ er sich einen Becher Wein reichen, trank ihn aus und sprach: »So, ihr Herren, jetzt ist alles verloren, das Reich, das Leben, die Seele!« – und starb. (Caspari.)
Und daß im Menschen etwas sein muß, das sein gesamtes Thun und Lassen auf ewig verzeichnet, auch ohne Auslassen einer Geberde, eines flüchtigen Einfalls, eines an der Wandtapete im Vorbeigehen betrachteten Schnörkels, eines jeden Traums in der Nacht, ist notwendig. Wie soll denn der Mensch einst mit Gerechtigkeit nach seinen Gedanken, Worten und Werken gerichtet werden, wenn er nichts mehr davon weiß?
Nicht nur ein Schauender, auch ein Richtender ist der Geist. Vor ihm kann kein Böses bestehen, auch ein Beweis dafür, daß der Geist im Menschen nicht sündigt; wie könnte sonst seine Stimme alles Böse richten. Diese Stimme des Geistes, das Gewissen und Mitwissen, das einzige Gewisse in der Welt, hat man schon öfters die Stimme Gottes im Menschen genannt. Aber nirgends weiß die Bibel von einer Stimme Gottes im Menschen, sondern oft und viel spricht sie von einer Stimme Gottes an den Menschen. »So höre nun, Israel, die Worte der Stimme des Herrn!« (1. Sam. 15, 1). Ein greller Widerspruch ist es, daß gerade diejenigen, die das Gewissen die Stimme Gottes im Menschen nennen, auch lehren, daß dieses Gewissen irre geleitet werden könne. Irre geführt werden kann nur die Seelenerkenntnis, nicht aber das Gewissen, wie die Bibel wohl von einem schwachen Gewissen, also wie von einer schwachen Stimme, die man kaum noch hört, redet, nicht aber von einem irrenden und lügenden Gewissen.
Jede Seele fühlt diese Stimme des Geistes in sich und über sich als ein Unerbittliches, das all ihr irdisches Thun und Denken be- und verurteilt, als ein tief im Centrum liegendes Göttliches, ebenso und vielleicht noch mehr über sie erhaben, wie sie über den Körper; nämlich den unvergänglichen Körper der Auferstehung, der in jedem Menschen steckt (Dan. 12, 2). – Daß es Menschen gab und gibt, die ohne irgend welche Gewissensbisse andre mordeten, beruht auf leichtgläubiger Annahme jeder rohen Prahlerei und ist ebenso unerwiesen, als daß es Gottesleugner gäbe, die niemals ein Gefühl noch eine Ahnung von einem höheren Wesen gehabt hätten. Auch sind sie durch die Gewissensangst eines Nero, das furchtbare Ende der Septembristen in der französischen Revolution, die Geständnisse so mancher Wilden und Negerkönige, sowie die des grausamen Räubers Mandrin u. a. widerlegt. Übertäubt kann diese Stimme des Geistes werden, aber niemals ertötet.
»Aber,« sagt man, »mancher Christ macht sich ein Gewissen aus dem, was ein andrer, ebenso gewissenhafter, ohne Gewissensbisse thut, z. B. Blut essen, Sabbath heiligen; somit widerspricht ein Gewissen dem andern.« – Hier wird die Seelenerkenntnis mit dem Gewissen verwechselt. – Darüber, ob Blut essen oder Wein trinken Sünde sei oder nicht, spricht das Gewissen nicht, antwortet überhaupt nicht auf Fragen des Wissens, des Forschens und der Erkenntnis, sondern das und Ähnliches sind Sachen der individuellen und nicht unfehlbaren Erkenntnis der Seele. Glaubt aber ein Christ aus der Bibel zu erkennen, daß er kein Blut essen und nichts thun soll am Sonntag, eine Erkenntnis, die sehr wohl im Laufe der Zeit in die entgegengesetzte umschlagen kann, so spricht die Stimme des Geistes in ihm, der nicht mit vorübergehenden Formen, sondern mit ewigen Prinzipien sich befaßt: »Thue nicht, was du als Unrecht erkennst, sonst bist du schuldig«; und das gleichviel, ob das Ding an sich Sünde ist oder nicht. So spricht auch der Apostel in 1. Kor. 10 und Römer 14. – So verbrannte mancher Inquisitor, seinem Gewissen folgend, Ketzer; denn das sagte ihm sein Gewissen nicht, ob dieser Ketzer im einzelnen die wahre Lehre habe oder nicht; sonst müßte es auch allen Menschen die Erlösung durch Christo bezeugen; sondern das Gewissen hielt ihm die große, vom ersten bis zum letzten Wort der Bibel gültige Wahrheit vor: »Der Böse soll vertilgt werden«; und hat er bona fide nach diesem seinem Gewissen gehandelt, so wird er einst mit dem, den er verbrannte, Gott im Himmel gemeinschaftlich loben. So schrieb ein solcher nach dem Tode eines Ketzers ins Urteilsbuch: »Weil nun dieser mit großer Seelenstärke ( fortitudinem) und Ergebung seine zeitliche Strafe getragen, so möge Gott ihm sein ewiges Licht ewig leuchten lassen!«
Daß das Gewissen übertäubt und insofern gewissermaßen geschwächt und abgestumpft und ebenso ausgebildet werden kann dadurch, daß die Seele mehr und mehr darauf horcht, das ist wahr; gerade wie das Auge in Beziehung auf Farben und das Ohr für Klänge entweder abgestumpft oder ausgebildet wird; deshalb bleiben Farben und Töne, was und wie sie sind. So ist noch nie ein Mensch von seinem Gewissen darüber gelobt worden, daß er seinen Freund heimtückisch verraten oder die Unschuld verführt oder den Armen betrogen, oder um Geschenke willen das Recht gebrochen hat; so hat das Gewissen noch nie einem Menschen darum geschlagen, weil er den Hungrigen gespeist oder den Nackten gekleidet hat, oder weil er seinem Feind verzieh und ihm Gutes that und etwa ihm das Leben mit eigner Gefahr rettete; nie hat einer darüber Gewissensbisse gehabt, daß er den Fleischeslüsten und dem Hochmut, dem Zorn und dem Geiz widerstand, und Gott mehr gehorchte als den Menschen, kurz, Gutes und nicht Böses gethan hat! Sondern wer die Weltgeschichte und die der von uns mit Unrecht verachteten wilden Völker studiert, erstaunt vielmehr ob der Großartigkeit und Sicherheit, mit welcher das Gewissen überall und zu allen Zeiten gesprochen hat. Nicht nur die Gesetzbücher, sondern auch die Sprichwörter aller Völker, auch der Kelten und der Scythen, der Neger und Tungusen zeugen davon; und selbst bei rohen und blutdürstigen Völkern blitzt oft hier eine höhere geistige Stimme überraschend und überwältigend hervor.
Diese Stimme des Geistes, das einzige Gewisse, das Gewissen, kennt kein Erbarmen, weiß nichts von der Gnade; es ist das Gesetz; und eben deshalb ist es die Grundlage der Gesetze aller Völker. Es ist die mächtige Schutzwehr der Welt, der eiserne Bestand des Seelenlebens der Menschheit. Was wäre ohne dasselbe die Welt und die Weltgeschichte? – Eine Arena, wo wilde Tiere sich sinnlos zerfleischten! – Was hülfe da Regierung und Polizei; gute Sitte und öffentliche Ordnung? – Oder vielmehr, was sind sie denn anders als ein Ausfluß, ein Aussprechen des im und durch das Gewissen geschauten göttlichen Gesetzes!
Wie es höchste Gesundheit und Genuß dem Menschen bringt, wenn Leib und Seele so innig ineinander gefügt sind, so harmonisch aufeinander wirken, daß der Mensch nur den Eindruck einer Einheit bekommt, so ist es das Höchste, wenn dazu der Geist kommt und das Ganze sanft, aber stets mächtig durchweht. So tritt der Christ durch diesen seinen Geist in Verbindung mit dem Heiligen Geist Gottes. Dann »gibt der Geist Zeugnis unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind« (Röm. 8. 16), ein Zeugnis, nur dem Geist im Menschen verständlich und das durch Schlüsse und Beweise weder erlangt, noch weggestritten werden kann.
So ist der Mensch eine Dreiheit und Dreieinigkeit von Leib, Seele und Geist, von drei Einheiten, die oft, ja meistens in Kampf mit- und untereinander begriffen sind, und doch in wunderbarem Zusammenwirken das wunderbare Wesen bilden, das ein Bild Gottes ist. Dem Vater und Schöpfer entspricht der einst aus einem Erdenkloß geschaffene Körper; die Seele dem Sohn, der in die Welt kam, um sie zu retten; und der Geist dem Heiligen Geist, der Zeugnis gibt unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind. Wie aber Körper und Seele zusammenhängen, wie weit die Sphäre eines jeden und seine Eingriffe in das Gebiet des andern, warum so schmerzlich ihre Trennung im Tod und welche die Freude der Wiedervereinigung in der Auferstehung, sind Geheimnisse, die weder Wissenschaft noch Offenbarung hienieden lösen. Noch unfaßlicher sind die Bande, womit der individualisierte Geist mit der Seele verknüpft ist, sein Einfluß auf dieselbe und ihre einstige ewige Verbindung. – Unleugbare Thatsache ist es, daß wir eins und doch drei sind. Und dennoch verlacht der Spötter die göttliche Dreieinigkeit, von der er selber ein treffendes Bild ist, und meint klug zu sein, wenn er ausruft, daß drei nicht eins und eins nicht drei sein können!
Auch hier wie in vielem andern wird einst eine höhere und himmlische Algebra hell und klar Probleme lösen, an die wir mit irdischer Arithmetik nicht hinkonnten und die wir deshalb für unlösbar erklärten. – Solange wir über den Begriff der Persönlichkeit so im Unklaren sind, wie an der Pflanze, am Tier und auch an der Frage, was Seele und was Geist ist im Menschen, zu sehen, solange ziemt uns über solche Fragen bescheidene Zurückhaltung. – Soviel ist gewiß: gefiele es dem einigen Gott als höchste, uns unfaßbar hohe Persönlichkeit, sich nicht nur in drei, sondern etwa nach der Zahl seiner Geister in sieben (Off. 4, 5) Personen zu äußern, sich nach sieben Seiten seiner Gottheit zu individualisieren, so müßte sich's der Mensch eben gefallen lassen, gleichviel ob es ihm einleuchtet oder nicht. Wann werden wir aufhören Gott zu meistern und Ihm vorzuschreiben, wie Er sich zu verhalten habe, um Gnade vor unserm Verstand zu finden!
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Geist ist Wehen, Wind, Sturm, Orkan. – Du hörst sein Sausen wohl, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. Frei schaltet und waltet er, säuselt bald leise wie ein Sommerhauch über das Veilchen im Grase, braust bald wie Orgelton und Meeresbrandung daher und entwurzelt die Eichen von Basan. – Wie den einzelnen, so inspiriert dieser Hauch Gottes auch die Völker. Aber ebenso der Geist des Abgrunds. Wie weht der Geist in der Weltgeschichte; wie stürmen da die Geister auf das Meer der Völker und erregen es, daß seine Wellen bis zum Himmel ihren Gischt spritzen. – Geister des Glaubens rufen: Gott will es! und Hunderttausende wogen von Westen nach Osten. Geister der Zucht und Ordnung bauen Staaten und Reiche auf; solche des Kampfes, des Krieges und der Zerstörung reißen sie ein. – Je und je fährt der Odem Gottes von den vier Winden her in die verdorrten Gebeine eines Volkes und sie werden lebendig und stehen auf ihre Füße, und der Zeugen der Wahrheit ist ein überaus großes Heer. – Und wieder ergreift ein Geist des Taumels ein andres Volk, und es zerschlägt eilig seine Hausgötter und seinen tausendjährigen Hausrat, tanzt um schon welkende Freiheitsbäume und trinkt Blut dazu! Und legt sich auf Gottes Befehl der Sturm, so schauen sie einander erstaunt an, und wissen nicht, woher kam der Geist und wo fuhr er hin!
Da zeigt sich, das alles Thun des Menschen Inspiration ist, eine Einhauchung des Geistes oder der Geister. Geist ist Hauch, Ruach. »Er hauchte sie an und sprach: »Empfahet den Heiligen Geist!« Inspiration im weiten Sinne ist Einhauchung des göttlichen und oft gleichzeitig des teuflischen Weltgeistes, eine Anregung und Belebung, eine Befruchtung und ein Besamen des individuellen Geistes, der in sich wohl schöpferische Kraft hat, aber weder Motiv noch Stoff dazu. Selbst Cicero erkennt: »Niemand war je ein großer Mann ohne einen göttlichen Anhauch.« Hätte ein Goethe im engen finsteren Kerker von Geburt an gelebt, so hätte er nie den Faust geschrieben! »Der Mensch kann nichts nehmen, es sei ihm denn von oben gegeben.« Nicht nur durchweht stets, den Winden vergleichbar, der Hauch Gottes seine Schöpfung, und ebenso der Satans, des Fürsten dieser Welt, wie auch die Bibel Versuchungen als Inspirationen des Teufels auffaßt; sondern unzählige Engel des Lichtes und des Abgrundes, ganze himmlische und höllische Vereine inspirieren täglich, nächtlich den Menschen, treiben ihn zum Guten und zum Bösen und von beiden ab, und lassen ihm keine Ruhe. Und wo der Geist und die Geister eine offene Pforte finden, da strömen sie ein und beseelen und begeistern den Menschen und erregen den Geist in ihm; und aus dem Wirken beider geht das hinreißende Wort und die gelungene That hervor, alles, was eine Bedeutung und einen Wert hat, was zum Herzen spricht, was andre wieder begeistert, was das wahre Thun, die wahre Geschichte der Menschheit ausmacht.
Bei dem elementaren Menschen bleibt diese Inspiration eine elementare und nur allgemeine; bewirkt Gefühle, Eindrücke, Stimmungen; aber bringt es nicht zum klaren Ausdruck, zum entsprechenden Wort. – Bei intellektuellen Menschen wird die Inspiration eine intellektuelle, verständnisinnige Bewunderung, ein Sichhineinleben in das Begeisternde, ein begeistertes Wiederholen, Mitsingen, Nachbeten seines Wortes. Bei Geistesreichen endlich wird sie schöpferisch, erzeugt das Machtwort und die große That. Ohne Inspiration keine Kunst. Von solcher Wirkung des Geistes, die den Verstand, die Intelligenz, die Seele des Menschen erleuchtet, daß er heller sieht, schärfer faßt, richtiger urteilt, kurz begabter wird, zeugt 2. Mos. 35, 31-34: »Der Herr erfüllte Bezaleel mit dem Geist Gottes, daß er weise, verständig, geschickt sei zu allerlei Werk, künstlich zu arbeiten an Gold, Silber, Erz und Edelstein.« Auch beim Mann der Wissenschaft ist Inspiration Wurzel und Kraft seines Thuns und Erfindens. Es packt ihn die von oben kommende, aber bei ihm vor andern Eingang findende fruchtbare Idee, der zündende Gedanke; da durchglüht ihn eine große Ahnung einer großen Wahrheit, eines ewigen Gesetzes; es geht in ihm eine Morgendämmerung auf. Da setzt er sich mit Begeisterung hin, kann nicht anders, muß forschen, vergleichen, absondern, ordnen, berechnen, bis die Ahnung zur Gewißheit wird und die Sonne ihm und andern aufgeht! So bei Newton, als er den Apfel fallen sah, und es ihm erst nach Jahren gelang, in diesem großen Moment von mächtiger seelischer und leiblicher Erregung ergriffen, den Beweis für die Wahrheit der geahnten Anziehungsgesetze zu finden. So glaubte zuerst Keppler an seine Gesetze, ehe er sie durch vierundsechzigmal von vorn wieder angefangene Rechnungen bewies.
Und jeder Mensch inspiriert den andern! Tritt einer zur Thür herein, so erfüllt alsbald sein Ruach, sein Geist und Hauch und geistiger Geruch das Zimmer und inspiriert uns auch gegen unsern Willen. Wir schweigen verlegen, werden höflich oder freudig, artig oder vertraut oder geniert, oder steif und kalt, belebt oder gelähmt, an- oder abgestoßen; einer bringt Heiterkeit mit, der andre Dummheit oder Langeweile, ein dritter Ernst und Gehalt, der vierte Wortschwall und Leere. Ein jeder Mensch ist eine Pflanze mit eignem Geruch; sein Äußeres und seine Geberden, seine Stimme und seine Worte duften Geist aus. – Auch jede Blume, bei der du: wie schön! jede ekelhafte Made, bei der du: pfui! ausrufst, inspiriert dich! – Alles strahlt nicht nur Licht, sondern auch Kraft von sich aus, so Anziehung. Alles hat Geschmack und Geruch. Wie wunderbar, daß selbst Metalle einen eignen Geschmack haben, also in wahrnehmbaren, individuellen Beziehungen zu meiner Seele stehen! Die Welt ist eine große Ex- und Inspiration, eine Aus- und Einhauchung des Geistes!
Gesetz der Inspiration ist, daß sie die Individualität erhöht und bereichert; denn sie nimmt ihr nichts, wohl aber gibt sie ihr viel; und zwar das, wonach sich diese Ichheit sehnte, wonach sie hungerte und dürstete. Der Geist geht nur zu seinesgleichen ein, wo er gern gesehen, sehnsüchtig erwartet, zum Bleiben aufgefordert wird, wo er eine offene Pforte findet. »Alles Begehren ist anziehend.« – Doch auch jeder Gegensatz, der dich unwillkommen aufhält, der dir hindernd in den Weg tritt, nur deinen Unwillen, deinen Zorn erregt, bereichert dich, denn es ist eine unbewußte Inspiration, gewisser in dir verborgener Prinzipien, bringt sie zum Vorschein, schon in der Art und Weise, wie du diesen Gegensätzen begegnest, belehrt dich darüber, was du bist. Es kann kein Geist dich anregen, er finde denn in dir seinen Gesellen. Erzürnt dich noch der Hochmut andrer, so bist du noch hochmütig; besudelt dich noch der Schlamm, so bist du noch unrein. Einst aber wird die Seligen kein Zorn Gottes, noch Qual der Verdammten mehr inspirieren, weit in ihnen nicht mehr Zorn noch Qual sein wird. – So ist jede Inspiration eine Vergrößerung und Verstärkung des Geistes im Menschen, eine Vermehrung seines Besitzes und seiner Kraft, eine Erleuchtung seiner Seele.
Daraus ergibt sich das weitere Gesetz der Inspiration, daß sie mit dem Wesen auch Form und Farbe, und mit dem Gedanken auch das Wort gibt. Und zwar je höher und vollkommener sie ist, desto genauer, sicherer, treffender und bis ins Kleinste hinein. – Das weiß und fühlt jeder Redner, Künstler, Dichter, vom Geist irgendwie An- und Durchgewehter und Inspirierter.
Im höchsten Maße gilt das vom Wort. Denn die Sprache ist des Geistes, weshalb Tiere, die die Bibel doch »lebendige Seelen« nennt, nicht sprechen. »Der Geist spricht,« sagt wiederholt die Bibel. Das Wort, wir sehen es an Christo, ist höchste, unmittelbarste That des Geistes. Alle Dinge sind durch das Wort gemacht. Und so ist es heute noch. Das Wort, nicht Dampf und nicht Elektrizität, ist der wahre Motor dieser Weltmaschine. Es gibt nichts so Mächtiges und Ohnmächtiges, so Gewaltiges und so Schwaches, so Kostbares und so Wertloses als so ein Menschenwort. Woher aber hat dies bißchen in Schwingungen versetzte Luft seine Macht? – Vom Geist! – Stetes Streben des Geistes ist, sich voll und ganz auszusprechen; weshalb die Größe eines Menschen an der Größe seines Wortes zu erkennen. Und auch hier hat der Geist nur in dem und kraft des von ihm selbst gesetzten Gesetzes Macht. Er ist es, der von Ewigkeit her – am Anfang war das Wort – die zehn Wortarten aussprach, und damit ein Sein des Hauptwortes und ein Thun in der Zeit des Zeitwortes u. s. w. auf ewig feststellte. Er sprach aus der Gottheit heraus die Gesetze, wonach der Satz in der Rede und das Haus und das himmlische Jerusalem sich aufbauen. Und in diesen und durch diese seine Gesetze ist er groß; in dieser seiner Schöpfung schwelgt er wonnevoll und schöpft Kraft aus selbstgeschaffenen Banden. Während der Geistesschwache die Gesetze des Wortes verkennt, mißachtet und zur Schwächung der eignen Seele mißbraucht, ist es dem Geistesreichen stärkende Freude, diese Gesetze genau zu befolgen, und vermittelst ihrer am schönsten und am besten zu sagen, was er ist und was er will. – Aber wie alle Sprachen der Welt nur ein schlechter Ersatz für die verlorene Ursprache, so ist auch jeder irdische Ausdruck nur ein Surrogat für den wahren in der wahren Himmelssprache, in der es für ein jedes in der Welt, für jeden Gedanken und jedes Gefühl der Seele nur einen völlig adäquaten Ausdruck gibt, in der jeder andre ebenso fehlerhaft ist, wie eine falsche Zahl in einer Rechnung. Höchste Sprache ist höchste Wahrheit, ist unfehlbar. Das haben die Menschen von jeher gefühlt; – daher das Streben gut, schön, richtig, wahr, korrekt zu sprechen und zu schreiben. Je höher ein Volk seine Sprache schätzt, je besser es sie spricht, desto höher steht es geistig, so die Griechen. – Daher auch unsre Verehrung der Klassiker. Sie sind Menschen, die für das, was viele bewegt, das erlösende Wort finden; sie sind die Sprecher der Völker, schenken der Menschheit ihr Denken ausgesprochen zurück, in Worte gegossen, dauerhafter als Erz und Marmor; denn Geist und Wort sind unzertrennlich. Die beliebte Wendung, »man solle nicht am Wort kleben«, sondern bis zum Geist durchdringen, bekundet meist eine große Ignoranz dessen, was Geist und was Wort ist. – Warum kleben wir denn am Wort unsrer Klassiker? Warum so ängstlich nach dem Urtext eines Sophokles, Cicero, Shakespeare oder Goethe forschen? Ist das Wort bloß eine so gleichgültige Hülle, gleichsam nur ein entlehnter Überrock des Geistes, dann kann ich auch Goethes schöne Strophen: »Wer nie sein Brot mit Thränen aß« so ausdrücken: wer nicht oft bei Nacht geweint hat, ist nicht religiös angelegt! – Dann hört überhaupt die Kunst, die Schönheit, der Wert und die Macht des Wortes auf.
Anders redet die Bibel: Hundertfach wiederholt sie: »Das Wort des Herrn«, nicht sein Geist bloß, kam zu … – »Verflucht sei, wer nicht alle Worte dieses Gesetzes erfüllt.« – »Warum hast du des Herrn Wort verachtet?« ¦ – Und so weiter! So spricht Christus: »Die Worte, die ich rede, sind Geist und Leben!« – »Meine Worte werden nicht vergehen!« – Und das Wort Gottes schließt mit der ernsten Mahnung: »Wenn jemand von den Worten des Buches dieser Weissagung wegnimmt, so wird Gott sein Teil am Baume des Lebens wegnehmen!«
Daß Geist und Wort eins sind und man sie nicht trennen kann, noch an einem das Geringste ändern, ohne daß auch das andre leide, diese Wahrheit liegt der Lehre der biblischen Inspiration zu Grunde. – »Aber das Wort Inspiration kommt in der Bibel nicht vor!« sagt heutzutage mancher. – Allerdings nicht. Gerade so wenig wie die Wörter »Religion« und »Christentum«. Willst du deshalb behaupten, die Bibel wisse nichts von Religion noch Christentum? Oder sage uns nicht, was Religion oder Christentum sei?
Wenn es einen Heiligen Geist gibt, eine göttliche Persönlichkeit, die folglich weit höher steht als der allgemeine, nicht individualisierte Geist und Hauch Gottes in der Welt, so muß Ihm in gewaltigster Potenz auch ein Sichaussprechen und ebenso von vornherein die Macht zu inspirieren im höchsten Grade zuerkannt werden. Ja, sein ganzes Wirken muß Inspiration sein; wie soll ein unsichtbarer Geist anders wirken? – Das ist auch biblische Lehre. – »Der Geist der Wahrheit wird euch in alle Welt leiten.« – »Wenn der Tröster, der Heilige Geist kommt, derselbe wird euch alles lehren.« »Eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet.« Und weil der Himmel, von wannen er kommt, so viel höher ist als die Erde, und das Ewige, von dem Er spricht, so viel größer als das Zeitliche, und Er nicht mehr bloß Geist, sondern der Geist ist, so übertrifft auch seine Inspiration weit jede andre, steht unvergleichlich höher als die des Homer durch den homerischen, die des Goethe durch den goetheschen Geist; erfaßt den Menschen mit noch ganz andrer Macht, durchglüht ihn mit Himmelsfeuer, durchleuchtet ihn mit Himmelslicht, daß auch die dunkle Zukunft und die vergessene Vergangenheit hell vor ihm liegen, daß er den geheimsten Zusammenhang und die tiefste Wurzel der Dinge schaut, und vom Geist hingerissen und überwältigt, und doch in höchster persönlicher Kraft, in wonnevoller Extase, mit wahrhaft göttlicher Begeisterung das Geschaute mit treffendem, allein richtigem, völlig entsprechendem und deshalb gewaltigem Geisteswort aussprechen muß, kann und will.
Wie platt und völlig geistlos der Einwand, daß, wenn der Geist den inspirierten Gottesmännern auch das Wort eingab, sie dann nur seine willenlosen Werkzeuge gewesen wären, die Bibel also nur ein »Diktat« des Heiligen Geistes wäre! – Und wenn auch?! Dann wäre sie immer noch unendlich besser als die Einfälle unsres Geistes, und wenn von Gott auch nur mechanisch diktiert, unendlich weiser als unsre Weisheit. – Aber ist denn eine Versammlung, die begeistert die Wacht am Rhein oder Luthers Lied anstimmt, oder ein Christ, der mit brünstiger Andacht das Vaterunser betet, ein willenloses Werkzeug des Dichters oder Christi, weil er ihre Worte genau wiederholt? Ist nicht jeder Geist froh, wenn ein andrer ihm den längst gesuchten, heiß gewünschten Ausdruck seines Sehnens gibt, und spricht man nicht vom offenbarenden und vom erlösenden Wort? – Ist das willenlose Knechtschaft? – Wahrlich, es verstehen diejenigen, die obigen Einwand im Munde führen, wenig genug von der alles Menschliche weit übertreffenden Macht und Kraft und Selbständigkeit einer Begeisterung durch den, mit und in dem Heiligen Geist!
Und diese platten Geister bemerken noch klug, »die Bibel sei nicht fertig vom Himmel gefallen!« – Als ob je ein Christ das behauptet, und sie nicht selber uns eingehend erzählte, wie sie allmählich entstanden; wie auf Gottes Befehl heilige Männer, vom Heiligen Geiste getrieben, sie zu den verschiedensten Zeiten und unter den verschiedensten Umständen geschrieben hätten; und doch ist sie, weil von demselben Geiste inspiriert, eine wunderbare lebendige Einheit! ein schöner, mit der Genesis anfangender und mit der ihr prächtig entsprechenden Offenbarung schließender Bau; ein höchster Organismus!
Nachdem das Kind aus den ersten Büchern der Bibel erfahren, wer sein Vater und wo seine Heimat, und die großen und doch so einfachen Züge der Urgeschichte gelernt, bekommt der Jüngling das starke Gesetz, der Mann macht Hiobs und Davids Seelenkämpfe und Salomos Weisheit mit, und der Greis schaut in den Propheten eine große und schöne Zukunft des Reiches Christi. – Im Neuen Testament fängt mit der Wiedergeburt ein neues Leben an; an der Krippe Jesu wird der Mensch wieder zum Kind, begleitet ihn als Jüngling durch die Welt und bekommt von ihm ein neues Gesetz; predigt als Mann Gottes Wort; wächst durch die Episteln in der Lehre und am inwendigen Menschen und schaut in der Offenbarung eine herrliche und ewige Zukunft, wo Gott alles in allem sein wird.
Das sind die wahren kulturhistorischen Stufen der Menschheit und des Menschen.
Jede Berührung dieses Heiligen Geistes heiligt den Menschen, macht ihn reiner, höher, mächtiger. So wirft Paulus unwillig den Korinthern vor, daß sie in schwierigen Rechtssachen sich an Ungläubige wenden und ruft aus: » Wisset ihr nicht, daß die Heiligen die Welt richten werden? So denn nun die Welt soll von euch gerichtet werden, seid ihr denn nicht gut genug, geringere Sachen zu richten? Wisset ihr nicht, daß wir Engel richten werden? Geschweige denn Dinge dieses Lebens!« (1. Kor. 6, 2 u. 3). – Die Welt, die Engel richten! Das sind freilich andre Ideale von der Erkenntnis, der Weisheit und der Macht eines Kindes Gottes und selbst »der Geringsten in der Gemeinde« (V. 4), als die der meisten Christen heutzutage, die in falscher Demut und im Unglauben an die Verheißung Gottes, er wolle seinen Heiligen Geist der Erkenntnis jedem geben, der ihn darum bittet, sich als Laien für unfähig halten, über die einfachsten Fragen der Lehre und des Glaubens in der Schrift nachzuforschen; weshalb sie nie zu einem klaren und selbständigen Glauben kommen.
Eine und zwar wörtliche Inspiration stellt Christus für die Bibel mit dem Worte fest: Wahrlich, ich sage euch: bis daß Himmel und Erde vergehen, soll auch nicht vergehen ein Jota noch ein Strichlein von dem Gesetz (Matth. 5, 18). – Vom Evangelium aber spricht er: »Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht!« – Und wie wir uns diese Inspiration zu denken haben, sagt die Bibel ebenso klar: »Der Geist des Herrn, spricht David, der Gesalbte des Gottes Jakobs, der liebliche Sänger Israels, hat durch mich geredet, und seine Rede ist durch meine Zunge geschehen!« (2 Sam. 23, 2). – »Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund, spricht Gott zum Propheten« (Jer. 1, 9). Christus selbst sagt von sich: »Die Worte, die ich zu euch rede, rede ich nicht von mir selbst« (Joh. 13, 10); und zu seinen Jüngern spricht er: »Sorget nicht, wie oder was ihr reden sollt. Denn ihr seid es nicht, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der in euch (oder durch euch) redet« (Matth. 10, 19. 20). Also gibt der Geist den heiligen Männern nicht nur was, sondern auch wie sie reden, ein, gibt ihnen das Wort; und das heißt Inspiration. – Oder willst du mir köstlichen Cyperwein ohne Gefäß bieten? – Aber noch inniger als Gefäß und Inhalt sind Wort und Geist verbunden, durchdringen einander wie Seele und Leib. Ohnmächtig ist der Geist ohne Wort, tot das Wort ohne Geist.
Eine nicht wörtliche Inspiration ist eine Inspiration, die, wie oft genug am Menschen zu sehen, das Wort nicht findet, ist nur der Schatten der wahren; ist, wie wir oben sagten, eine elementare, schwache und allgemeine, die wohl ein Gefühl und einen Drang im Menschen erzeugt, aber es nicht bis zum klaren Ausdruck bringt, ist die des Journalisten, der an der Feder kaut und es will kein Leitartikel werden; des Malers, der vor seiner Leinwand sich abquält und findet weder Form noch Farbe; ist von jeher ziemlich wertlos.
Ist die Bibel nicht wörtlich inspiriert, so kann ich, wie oben Goethes Worte, so auch 1. Mos. 1, 1 anders ausdrücken und sagen: »Einst ließ ein höchstes Wesen eine Kraft- und eine Stoffwelt entstehen«; woraus alsbald wird: »Einst entstand aus einer prima causa Kraft und Stoff.« Materialismus statt göttlicher Wahrheit.
Aber der Mensch versteht nur die Prinzipien, die er in sich trägt. Um an die Inspiration durch den Heiligen Geist zu glauben, muß er schon vom Geist inspiriert worden und mit ihm persönlich bekannt sein. – »Alle Geister,« sagt Schopenhauer, »sind dem unsichtbar, der keinen hat!«
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Weil wir die große Wahrheit der Inspiration durch den Heiligen Geist immer mehr leugnen, zieht sich auch der Heilige Geist immer mehr von uns zurück, und ebenso der den Verstand auch in Sachen dieser Welt erleuchtende göttliche Geist, und unser Leben und unser Thun werden immer weniger inspiriert. – Wir haben schon durch die stete Beschäftigung mit dem Stoff und das eifrige Streben, diese Stoffmassen unsrer Genuß- und Geldsucht dienstbar zu machen, an Geist verloren. In einer elektrotechnischen Ausstellung erschrickt man über das geistige Kraftquantum, das zur Erfindung und Vervollkommnung dieser oft so komplizierten Apparate nötig war, und das nun gebannt darin liegt; und die Aufwärter und früheren Arbeiter, soweit sie noch nötig, haben nichts mehr dabei zu denken, dürfen bloß ölen und zusehen. Jede Maschine, sagt man, mache viele Menschen brotlos – sie macht eher viele geist- und gedankenlos. Und so ist es nicht ohne Zusammenhang mit der Maschine, daß wir jetzt so oft nach Rezept und ohne Inspiration im Schulaufsatz und vieler erbaulicher (?) und Kinder-Litteratur arbeiten, und groß sind in der prompten Lieferung auf Bestellung, nach verlangtem Muster und im neuesten Geschmack von Leitartikeln, Fest- und Grabreden, Feuilletons und Revuen, Romanen und Theaterstücken, alles in sauberer, gefälliger und … billiger Arbeit! – Kein Wunder, daß wir nicht mehr an die Inspiration der Bibel glauben. – Aber nicht die Bibel, sondern wir haben den Schaden. Vom Geist Gottes nicht mehr inspiriert, vermögen wir nicht mehr die Urwahrheiten klar zu schauen, und Ja und Nein, Licht und Finsternis, Gutes und Böses zu scheiden. – Wir kennen bald in der Religion wie in der Politik kein Weiß und kein Schwarz mehr, sondern nur ein mildes Grau, von dem wir trefflich verstehen, je nach Bedürfnis und um dem Kampf und dem Bekenntnis auszuweichen, und um uns der neuen Zeit zu accomodieren, klug und weise darzuthun, daß grau an sich nicht schwarz, sondern ein schwächeres Weiß sei; aber ebenso, falls schneidiges Auftreten gewünscht und auf Beifall rechnen kann, daß grau nicht weiß, sondern ein verstecktes und verkapptes Schwarz ist! – Oder wir beweisen überzeugend, daß religiöse Lauheit immer noch besser ist als Kälte, ja in gewisser Hinsicht als eine gar leicht zu Schwärmereien und Mystik führende Wärme oder gar Hitze. Siehe darüber Offenbarung 3, 16. Wir rühmen auf einem Grabe oder im Nachruf an einem frechen Gottesleugner den großen sittlichen Ernst, an einem offenen Feind des Kreuzes Christi die tiefe Religiosität, und wagt noch einer, den Gottlosen gottlos und die Lüge Lüge zu nennen, so verweisen wir ihm ernstlich seinen Fanatismus, seinen Mangel an Weitherzigkeit, Objektivität und Toleranz, ja an Bruderliebe! Als ob der Feind Gottes als solcher mein Bruder wäre! Siehe 2. Joh. 10, 11. –
Wir haben ja herausgebracht, »daß es sich nur für Christum (und wohl auch für David, der es zuerst sagte?) schickt zu sagen: ›Der Eifer um dein Haus hat mich gefressen‹; für uns aber nicht!« (!) Und riefe heute ein Christ wie Moses: »Vergib ihnen ihre Sünde; wo nicht, so tilge auch mich aus deinem Buche!« (2. Mos. 32, 32) oder wie Paulus: » Ich habe gewünscht ein Fluch zu sein vor Christo für meine Brüder« (Röm. 9, 3), so hieße es gleich: »Aber lieber Bruder, nur nüchtern.« Ach! wir sind ja nüchtern! – so nüchtern, daß wir an religiöser Bleichsucht und geistiger Magenschwäche tagtäglich gar sanft und unvermerkt zu Grunde gehen. – Wo ist heute ein schauderndes Entsetzen vor der höllischen Qual? – Wo ein Rieseln durch alle Adern der himmlischen Wonne? – Wo ein Brausen und Rauschen der Kräfte der zukünftigen Welt? – Wo ein verzehrendes Heimweh nach den himmlischen Stätten? – Wo ein Berauschtsein vom Heiligen Geist? – Die Bibel, dieses höchste und tiefste, geheimnisvollste und mystischste aller Bücher, haben uns vernünftige Kommentatoren so nüchtern ausgelegt, daß wir über alle göttlichen Abgründe völlig schwindelfrei, auf korrekten, mit sicheren Geländern versehenen Brücklein laufen; und wäre es nicht das bißchen unverstandene Mystik, das sie noch in die Sakramente, in Taufe und Abendmahl legen, so ließe sich die Religion von Millionen von Protestanten in einen kurzen Leitfaden der christlichen Moral mit etwas kirchlicher Tradition zusammenfassen, so nüchtern und platt und langweilig, wie nur irgend eine Anleitung zur Aufsatzmacherei. Etwas fromme Sittenlehre, ohne göttlichen Geist noch dämonische Gewalten, ohne Wunder, ohne Schrecken, ohne Aufgabe, ohne Lohn, ohne Wonne, ohne Qual. – Was Wunder, wenn die ganze christliche (!) Weltanschauung solcher Menschen beim geringsten Anlauf der Aufklärung oder beim leisesten Hauch der Kritik einem Kartenhaus gleich zusammenfällt! – Und dabei macht sie diese saft- und kraftlose Nüchternheit erst recht intolerant; denn je kleiner und kleinlicher die Denk- und Lebenskreise eines Menschen, desto weniger mag er leiden, daß man daran rührt.
Soweit haben wir es gebracht mit der Scheu vor aller Mystik und aller Theosophie, mit der Sucht, alles Mysterium, alles Wunderbare, Tiefe und Furchtbare aus unsrer Religion auszumerzen und sie ja nüchtern, vernünftig und salonfähig zu machen, damit nicht aufgeklärte Christen sich daran stoßen oder wir gar von der Wissenschaft als mittelalterliche Finsterlinge über die Achsel angesehen werden. – Und wir haben unsern Lohn dafür; anstatt daß die Welt uns wie Christum verachte und kreuzige, läßt sie uns in tolerantester Weise unsre religiösen Schrullen, von denen wir im täglichen Leben doch keinen Gebrauch machen. – Wir strafen sie nicht, und sie haßt uns nicht; wir kommen gut miteinander aus! –
»Ohne Mysterium,« sagt selbst ein David Strauß, »keine Religion.« Religion ohne Mystik und Wunder ist eine leere Hülse. Nur dem geistigtoten Alltagsmenschen ist alles ganz klar, ganz einfach, ganz natürlich; erwacht aber der Mensch geistig, so ist ihm auch das Alltäglichste, und wieviel mehr das Göttliche, Frage, Rätsel, Geheimnis, Mysterium, Abgrund; und durch Schauen in diese göttlichen Abgründe wird er göttlich groß und stark; nicht aber dadurch, daß er sich ein ebenes, gemütliches, sicher eingezäuntes Plätzchen zum Schlummern aussucht. Geist, Feuer und Leben entspringen dem Anschauen des unveränderlichen Gesetzes, des absoluten, unerbittlichen Denken Gottes. Laßt uns davor nicht scheuen, sollte es uns auch noch so manche angenehme, angeerbte, zur allgemeinen modernen Tracht in Kirche und Staat, Salon und Verein gehörige Ansicht und Anschauung kosten.
Wie wird wohl einst diesen nüchternen Christen, diesen gefallenen Göttern und Elohim zu Mute sein, denen es auf Erden zum Siegen über Teufel, Tod und Hölle, zu einem Reifen zu Richtern der Teufel und der Engel, zur innigen Gemeinschaft mit Gott, ja zu einem Sitzen mit Ihm auf seinem Thron ewiglich (Off. 3, 21) vollkommen genügte, allwöchentlich, Sonntags von zehn bis elf Uhr, einen religiösen, auch oft nur moralischen Vortrag mehr oder weniger aufmerksam anzuhören, wenn sie im Tode in eine Welt fallen, wo ihr bisheriges nüchternes, korrektes und respektables Leben und das fleißige Graben und Grübeln dabei im Staub und in der Erde und das Vergnügtsein über jedes Fündlein, Glasscherbe oder Lümpchen, nunmehr auf ewig sinn- und wertlos ist. – Hier hat ihr Geld keinen Kurs; ihr Kleid deckt die Blöße nicht; ihr Wort bedeutet nichts, ihr Wissen ist Thorheit und ihre Klugheit nichtig; nach ihren Ansichten fragt niemand. – Sondern hier wogt und wallt und tobt in Haß und Liebe, für und wider Gott, der große Kampf der Geister um ewige Fragen und ewige Güter; hier fallen die Hüllen und fängt die große Offenbarung durch das Feuer an, die bis auf Mark und Bein läutert. Hier fällt's wie Schuppen von ihren Augen; hier werden sie mit innerstem Erbeben ihrer Seele gewahr, wie sie auf einem Fenerocean sorglos getanzt; wie sie Irrlichtern nach in Sümpfen gewatet, wie leer und hohl und nichtig alles, was sie begierig erstrebt; wie centnerschwer die nun ihr Lebensmark zernagende Sündenschuld, wie noch größer, sie unendlich übertreffend die dargebotene, abgewiesene Vergebung, wie überschwenglich groß das verschmähte Heil, wie unwiderruflich, ewig unabänderlich die Wahl der Grundliebe ihrer Seele, ob sie sich und die Welt oder Gott erwählten. – Und stets vollzieht sich die große Trennung auf Nimmerwiedersehen; immer höher hinauf schweben sie, immer tiefer hinab sinken sie, die einst auf Erden Vater und Sohn, Mann und Frau, Geschwister und gute Freunde, Vereinsmitglieder und Mitbürger waren. – Und immer entfernter tönt die Klage aus dem Flammenmeer und aus der Qual und die Bitte um einen Tropfen des Lebenswassers, und von oben die Antwort: Wir können nicht; es ist eine große Kluft zwischen uns. Und unablässig wirken und weben die seligen und die verdammten Geister, die Engel und die Dämonen und der Heilige Geist am Kleid der Ewigkeit, und Gott selber »vollendet an den Seinen das gute Werk, das Er angefangen hat, bis auf den Tag der Wiederkunft Christi«.
Aber von solchen Realitäten der Religion will der moderne Protestantismus nichts wissen. Er scheut vor allem das persönliche Eingreifen dieses lebendigen Gottes in die Geschicke der Menschen, und ruft stets wie ein moderner Parlamentarismus ängstlich aus: »Zieht die allerhöchste Person nicht in die Debatte hinein!« Und je weiter weg und unerreichbarer dieser Gott, desto lieber ist's ihm. – Das kommt von seiner platten Nüchternheit und diese hinwiederum von mangelnder Bekanntschaft mit eben diesem persönlichen Gott und Quelle aller Wunder und alles Mysteriums her. Gott ist Feuer und Geist. Feuer brennt, stammt, ergreift, verzehrt, vernichtet, schmelzt und reinigt. – Geist ist Wehen, ist Wind, Sturm, Orkan; Geist ist Kampf; haßt die schwüle Windstille und die stehenden Gewässer mit schlammigem Grund; liebt den tiefen Ocean mit den krystallenen, schäumenden Wogen; der Geist lacht der Furcht und erschrickt nicht und kehrt vor dem Schwert nicht um! Er haßt die Halbheit und die Verzagtheit und spricht: »Die Feigen aber, ihr Teil ist der zweite Tod!« (Off. 21, 8).
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Der Geist ist eine Kraft, also eine Überwindung dessen, was nicht Geist ist. So zeigt er sich im Weltall; ja, was wir Natur heißen, ist nichts als die stete, millionenfache Überwindung des Stoffes durch den Geist. Er meistert ihn, gibt ihm Gesetze, und die Kraft sie zu erfüllen. Das that er vom Anfang an, schon als er brütend schwebte über der Tiefe, als Gott dem Meer die Finsternis zu Windeln gab. – Er treibt die Sonnen und die Erden, daß sie nicht stille stehen in ihren Bahnen. Er belebt die Erde, daß sie im Frühling millionenfach Gewächse erzeugt; Er erfüllt mit Kraft die Walfische, daß sie spielend ihre weiten Wasserreiche durchschwimmen. Davon spricht der Seher: »Du sendest deinen Odem aus: sie werden geschaffen; du verbirgst dein Angesicht: sie erschrecken; du nimmst ihren Odem hinweg: sie hauchen aus und kehren zurück zu ihrem Staube!« (Ps. 104, 29). – Dieser Geist bewirkt Leben, ewiges Leben im ewigen Kampf mit dem, der die Gewalt des Todes hat, dessen Leben und Thun ein ewiges Töten ist, dessen Lohn und Reich und Element einst der zweite Tod sein wird.
Wir schreiben hier keine christliche Ethik, und betrachten deshalb nicht die Thätigkeit des Geistes in der Bekehrung und Heiligung, sondern sein Thun nach ewigen Geistesgesetzen in dem Menschen, der dem Zug des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes nicht widerstrebt; und wir sagen: Bei einem solchen besteht das Wesen und das Wehen des Geistes in einer steten Überwindung des Stofflichen, des Seelischen und des Geistigen im alten Adam.
Wie bei den Geysers Islands eine mächtige schäumende, sprudelnde, krystallhelle Wassersäule immer höher über sich strebt, und jede zurückfallende Schaummasse von der nächsten überragt wird, so wogt und wallt immer höher in Gott die triumphierende Freude und seine sieben Geister im ewigen Wechselspiel. Stets überbietet sich der Geist, und wenn Gott uns Menschen sich zu widersprechen scheint, so sagt er dieselbe große schöne Wahrheit noch größer, schöner und wahrer, denn in Ihm ist weder Ende noch Ziel.
So war das Gesetz des Sinai göttlich, vollkommen, und wer es vollkommen gehalten hätte, hätte darin das zeitliche und ewige Leben gefunden. – »Meine Rechte, spricht Jehovah, durch welche der Mensch, wenn er sie thut, leben wird« (3. Mose 18, 5). Dennoch spricht Christus ein noch höheres Gesetz: »Ich aber sage euch!« – So haben wir gesehen, wie die göttlichen Gesetze der Natur zugleich geistige Gesetze sind, in denen wir leben, weben und sind, und deren Beachtung uns leibliche und seelische Gesundheit bringt. Bricht aber dem Menschen ein neuer Tag an, geht ihm eine andre als diese unsre natürliche Sonne auf, und zuerst die Ahnung und bald die Gewißheit, daß diese irdische Existenz nur ein Bild einer ewigen, alle Pracht und Schönheit der Erde nur ein Schatten der zukünftigen Herrlichkeit und selbst unser Geistesleben hienieden nur ein Symbol eines ewigen Lebens in absoluter Geistesfreiheit und Geistesmacht ist, so erschaut er alsbald andre Geistesgesetze, die die bisherigen nicht und doch aufheben, sie bestehen lassen und doch überwinden. Nicht lebt der Christ in einer Verachtung der Natur und in einer Unnatur; sondern in einer überirdischen Natur, im Komparativ, besser, schöner, wahrer, dieser Natur, die an sich und insofern sie noch göttlich, auch gut, schön und wahr ist, bis er einst in den Himmeln der Himmel das Beste, das Schönste und das Wahrste schauen darf.
So ist der Geist Gottes im Menschen ein steter Überwinder seiner eignen Gesetze, und verletzt sie doch niemals. »Wer überwindet!« ruft siebenmal Christus seinen sieben Gemeinden und seiner siebenfachen Gemeinde zu, »dem will ich geben mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch Ich überwunden habe und mich mit meinem Vater gesetzt habe auf seinen Thron.« – Wohl versteht er hier in erster Linie die Überwindung der Sünde in und außer uns, des Todes und der Hölle kraft des Glaubens an sein stellvertretendes, ein für allemal und für alle Menschen dargebrachtes Opfer, dadurch er am Kreuz den Schuldbrief zerrissen, den Gott gegen die Menschheit besaß. Aber auch, weil wir hier von der Natur und ihrem Gesetz sprechen, die Überwindung eben dieser Naturgesetze, davon Er in seinen Wundern ein höchstes Beispiel gab, so als er über das stürmische Meer wandelte. Denn, das Wunder ist eine komparative Erhöhung der Naturgesetze, und der Mensch, dieses Ebenbild Gottes, ist, wie wir anderswo sagten, nicht dazu erschaffen, daß er krank werde und sterbe, daß Wasser ihn ertränke und Feuer ihn verbrenne. Freilich dringen wir nicht bis zu solch völliger Überwindung der irdischen Natur durch, – wäre uns auch hienieden nicht gut. – Wohl aber muß der Christ in Geisteskraft die natürlichen Gesetze der Leiblichkeit, der Seele und des Geistes durch höhere überwinden, wie auch diese Überwindung der Sieg Christi über die drei Versuchungen des Teufels bildete.
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Zuerst ist der Geist eine Überwindung des berechtigten Gesetzes der Selbsterhaltung und der leiblichen Existenzfrage, dessen, was die meisten Menschen ihr »Leben« nennen; von dem in diesem ihrem Sinne Christus spricht: Wer nicht sein Leben hasset, der ist meiner nicht wert!«
Das irdische Leben ist nicht, was wir meinen. Es ist nicht ein langweiliges oder behagliches Bummeln durch die Welt; nicht ein sich eifrig Tummeln in und mit und gegen den Strom der ums Dasein Kämpfenden; auch nicht ein süßer oder schwerer Traum, – sondern es ist die Versuchung Satans. Kaum sind wir in die von ihm in starre Bande des Stoffes und des Todes, in die harte Knechtschaft der Sünde gefesselte Welt, deren grausamer Fürst er ist, gefallen, als er um unsre Seele unverzagt und unverdrossen mit Gott die große Schachpartie wieder anfängt. – Ob er gleich weiß, daß es am Schlusse heißt: Weiß zieht an und setzt matt, so kämpft er doch ohne Rast noch Ruhe, Schritt für Schritt, mit offenem oder verstecktem Angriff, mit lange überlegten, fein ausgesonnenen, oft genialen Zügen um Königin und Bauer, Bischof und Reiter. – Zuerst führt er uns in die Wüste, in das Reich dieser Welt, das sein Reich ist. Da müssen unsre Seelen und unsre Leiber fasten und hungern; denn da sind nur Steine und kein Brot; dann läßt er auf uns, wie der Wüstenwind ihr Haus über Hiobs Söhnen zusammenstürzte, die Existenzfrage anstürmen.
Denn existieren will vor allem der Mensch. – Sonderbar! Existiert doch sonst alles von selber, ohne Sorge noch Mühe; die Sonne am Himmel und der Mond des Nachts, und die Erde durchfliegt ohne Existenz- noch Nahrungssorgen Tag für Tag ihre Bahn, und der Baum und die Blume leben unbekümmert Tag für Tag weiter. »Schaut die Lilien,« sagt Christus, »sie mühen sich nicht!« – Das Fischlein und das Mückchen genießen froh ihre Lebenszeit, und im Ocean schwimmt behaglich der Walfisch und trinkt, um den Morgen unbekümmert, seine Nahrung aus dem mit Millionen von Tierlein erfüllten Weltmeer. Und im Himmel leben Millionen von Engeln und in der Hölle Millionen von Teufeln ohne Existenzsorgen, leben von Gottes Gnade und von Gottes Zorn. – Er allein, der Mensch, von allem, was lebt und sich regt auf Erden, ist stets um seine Existenz besorgt, ärmer noch als der Regenwurm, der in der Erde stets reiche Nahrung findet. Morgens wacht er mit Nahrungssorgen auf, sorgt und plagt sich den Tag über, sich und die Seinen durchzubringen, legt sich abends mit Sorgen nieder, und noch im Traume geht ihm das Geld aus, und er verzweifelt um seine Existenz! Stets lastet auf Neger und Europäer, Chinesen und Indianer, Bauer und Arbeiter diese tägliche Angst, die Tausende schon in den Tod getrieben, die so manchem Familienvater das Herz zernagt, daß er vor der Zeit grau und gebückt ins Grab sinkt. Ach! seit dem Sündenfall ist unser Leben ein stetes Fürchten, daß Gott seine haltende Hand von uns zurückziehe und uns fallen lasse in die Armut, in die Krankheit ( lomber malade, to fall ill) in die Schande, ins Unglück, in den Tod, tief durch das All und die Äonen hindurch bis in die äußerste Finsternis und Leere! Kommt über uns der Schlaf, so fahren wir erschreckt auf, denn es ist uns, als fielen wir in das Nichts. – Das ist die große Symbolik des Sündenfalls. – Satan, sagt die Bibel, fiel vom Himmel herab, ein Urbild und Ursache alles Fallens.
Aber wie die Erde frei und ungetragen ihre göttliche Bahn durchfliegt, wie der Mond am nächtlichen Himmel schwebt und dahinfährt, und bedarf keiner Unterlage, so schwebt und fährt der Christ auf seiner Lebensbahn Tag für Tag weiter, von nichts als von Gottes Willen getragen, schwebt dem Adler gleich über die Hügel und Berge der menschlichen Bedenken, über die Meere menschlicher Weisheit und weiß: ich kann nicht sinken, denn die Hand des Allmächtigen hält mich. – Für den Christen gibt es keine Existenzfrage. » Fraget nicht,« spricht Christus, »was sollen wir essen, was sollen wir trinken, womit sollen wir uns kleiden?« Und fragt uns jemand, was wir täglich, jährlich, monatlich verdienen, so laßt uns frisch und frei antworten: Gottes Zorn und Ungnade! – Und fragt man uns, von was wir denn leben? – Von Gottes Gnade und Barmherzigkeit!
Dieser Gott spricht: Ich ernähre meine Geschöpfe! Wenn Ich lächle, gedeiht die Schöpfung und hat Brot die Fülle, und es triefen von Fett die Auen. Wenn Ich ob ihrer Sünden zürne, hungert sie, verkümmert und verdorrt. – Erkennt es doch, ihr Menschen und Werke meiner Hände! – Wenn Ich meine Sonne nicht über euch scheinen lasse, wenn Ich meinen Regen euch nicht sende, wenn Ich dem Korn und dem Wein und dem Gras meine Kraft zum Wachsen nicht verleihe; was sangt ihr an mit eurem Fleiß und eurer Arbeit, mit eurer Klugheit und eurer Weisheit, mit eurem Welthandel und eurer Industrie? Wollt ihr etwa von euren Goldstücken und Bankcoupons euch und eure Kinder ernähren? – Sondern bittet Mich um euer tägliches Brot, so will Ich dem Segen befehlen, daß er über euch sei, und will euch tragen und versorgen bis ins Alter und bis ihr grau werdet! – Oder bin Ich ein geiziger oder knickeriger Gott, der euch das Essen und das Trinken nicht gönne, da ihr, böse Väter, doch euern Kindern Brot, und auch ein Ei, einen Fisch gebet? Bin Ich ein schwacher Gott, ein ohnmächtiger Gott, der Ich am Himmel Millionen von Sonnen, und in der Luft und in den Meeren Vöglein und Fischlein ohne Zahl täglich versorge? Ich, der ich euch geschaffen, soll ich euch nicht auch erhalten und ernähren können? Sondern bittet Mich um euer Brot, so will ich euch auch darin ein gerechter Gott sein, daß ich euch thue nach eurem Glauben, und euch messe mit welchem Maß ihr mich messet. Trauet ihr mir ein Kleines zu, so sollt ihr wenig haben. Glaubt ihr, ich könne euch auch in Zeiten der Dürre und Hungersnot alles in Hülle und Fülle geben, so soll es euch werden. Ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen. Meine Hand ist nicht verkürzt, daß ich nicht helfen könne!«
»Lieber Christ,« sagt Pastor Zahn, »der gute Samariter, der dich am Weg in deinem Blut liegend fand, in deine Wunden Öl und Wein goß und sie verband, wird auch die paar Heller bezahlen, deren du in der Herberge bedarfst, bis Er wiederkommt und dich heimholt.« – Ach! wer ihn wagte, den Sprung von dem morschen, stets unterwühlten, unter unsern Füßen abbröckelnden Gestade der menschlichen Klugheit und Selbsthilfe, in den krystallhellen, unergründlichen Ocean der göttlichen Liebe! Ertrinken würde er wahrlich nicht!
Wie beschämend, daß ein Säckchen mit einigen Stücken Gold gefüllt den Menschen, diesen König der Schöpfung und Abbild Jehovahs, froh und stolz, glücklich und selbstbewußt macht; und ist seine Tasche leer, so ist's aus mit seinem Glück und seiner Kraft, mit seiner Philosophie und nur zu oft mit seinem Glauben und Gottvertrauen! Von dieser Knechtschaft und ewigen Angst und Sorge um die Existenz macht nur der Geist frei. Zu allen Zeiten hat es der Geist Gottes, der lebenskräftig durch die Welt weht, an einzelnen gethan; von jeher haben die Menschen den, den er davon befreite, bewundert, ob die Priester der Buddhisten oder die Barfüßler, einen Alexander, der seinen ganzen Schatz unter seine Freunde verteilt und sich nur »die Hoffnung« behält, oder einen Diogenes in seinem Faß, oder einen Francesco d'Assisi, der, ein schöner, begabter, adeliger Jüngling, beschließt, die allerschönste Braut, die Armut, zu freien. – Von jeher war es ein wie für den einzelnen, so auch für die Völker verhängnisvoller Fehler, Brot- und Existenzfragen zur Hauptfrage zu machen; und stets waren nur die Menschen und die Nationen groß, die wie die Hansa das Wort des römischen Prokonsuls zu ihrem Wahlspruch nahmen: Navigare necesse est, vivere non necesse! »Schiffen ist notwendig, leben ist nicht notwendig!«
Wo der göttliche Geist den Menschen durchglüht, erstirbt die Sorge ums tägliche Brot, das Bangen um die irdische Existenz derart, daß ihre bloße Erwähnung einem schrillen Mißton gleich klingt. Können wir uns einen Moses vorstellen, wie er durch zuverlässige Freunde sich nach guten ägyptischen Staatspapieren erkundigt, um sein Erspartes für seine Kinder gut anzulegen? – Oder einen Elias, wie er alljährlich etwas aufsteckt für den Fall, daß er alt und arbeitsunfähig wird, ehe der feurige Wagen kommt? – Oder einen Petrus, wie er pünktlich in die Lebensversicherung einzahlt, damit seine Frau etwas zu leben habe, wenn er den Märtyrertod erdulden soll? – Warum nicht? – Waren sie doch Menschen wie wir, mit Frau und Kindern, mußten auch leben mit ihrer Familie, mußten essen, trinken, Kleider, Obdach, Reisegeld und noch vieles andre haben. – »Elias,« sagt die Schrift, »war ein Mensch wie wir.«
Daß man nicht Gott und dem Mammon dienen kann, weiß auch die Welt, und deshalb verlangt sie, die zwar selber das Geld über alles liebt, aber sehr wohl weiß, daß das nicht göttlich ist, von solchen, die sich Kinder Gottes nennen, ein klares, konsequentes Überwundenhaben dieser Knechtschaft des Besitzes. – Darum, solange du auflebst und eifrig und begeistert mitredest, wenn von guten Papieren, brillanten Geschäften oder sechseinhalb Prozent Dividenden bietenden Aktien gesprochen wird; solange du unglücklich und ungenießbar wirst, weil du zu spät erkannt hast, es wäre da und da ein gutes Geschäft zu machen und einige hundert oder tausend Mark zu verdienen gewesen; solange du mit unverhohlener Achtung und kaum verhehltem Neid von einem sprichst, der das große Los gewonnen oder eine Millionenerbschaft gemacht; solange du auf der Badereise hauptsächlich und wichtig von den Hotelpreisen redest und davon, wie man mit dem und dem kombinierten Rundreisebillet drei Mark fünfzig Pfennig ersparen könne und dabei gerade so gut fahren; solange bemühe dich nicht deinen Mitmenschen klar zu machen, daß du nebenbei nach dem oberen Jerusalem pilgerst, daß dein Wandel eigentlich himmelan geht und dein Leben mit Christo in Gott verborgen ist. – Sie würden es dir nicht glauben; und sie hätten recht!
»Der Wandel sei ohne Geldliebe!« (Ebr. 13, 5).
Zur Existenzfrage gehört auch die Erhaltung unsres Lebens dem stets drohenden Tod gegenüber. »Seid nicht besorgt um euer Leben!« ruft Christus. Ach! wir fürchten schon so sehr das Leben, aber noch viel mehr den Tod; klagen über die Not und das Elend des irdischen Daseins und uns ist vor nichts so sehr Angst, als daß wir aus dieser Not und aus diesem Elend zu bald oder gar sofort abgeholt werden. – Du Schildwache in Nacht und kaltem Regen, warum graut dir's so vor der Ablösung? – Du Arbeiter im Weinberg, möchtest du nicht vom Schweiß und Staub ausruhen? Freut es dich nicht, daß schon die Schatten dunkeln? Oder fürchtest du, der Meister werde fragen, was du den langen Tag hindurch gethan?
Es gibt kein so abgedroschenes Wort und keine so furchtbare Wahrheit, nichts was jedes Kind weiß und jedermann so wenig glaubt, was so wichtig und von dem es sich so gar nicht zu reden schickt, als daß wir, du und ich, sterben werden, daß an einem Tage, wie alle andern Tage, unsre Todesanzeige mit »nach langem« oder »nach kurzem Leiden«, oder »unerwartet schnell« im Morgen- oder Abendblatt von den Abonnenten gelesen wird, von einzelnen mit der herkömmlichen teilnehmenden Bemerkung: »Ei, ist der auch gestorben!« von weitaus den meisten mit derselben Gleichgültigkeit wie die Notiz, heute habe es in Haparanda drei Grad Kälte, oder der Mais in Amerika sei etwas flau; denn was fragt diese Welt, deren Tadel du so fürchtest, deren Lob du so schätzest, nach deren Ansichten du dich so richtest, deren gesellschaftliches Komment du so ängstlich befolgst, danach, ob du heute oder morgen auf ewig selig oder verdammt wirst? – Auch hier heißt die Parole: überwinden! Nicht dadurch, daß du nie oder immer an den Tod denkst und wie die Rezepte der Weltweisen lauten; sondern dadurch, daß du dich durch Christo mit Gott versöhnen lässest. – Dann bist du fertig zur Abreise. Welcher Sohn erschräke bei der Nachricht, er solle zu seinem versöhnten, gütigen, geliebten Vater heimreisen?
Es gibt nur eine Lebenskunst, sterben zu können; dazu muß man das eigne Leben überwunden haben. Weiß ich gewiß, das ich nichts bin und nichts habe, nichts weiß und nichts kann, so wandle ich froh im herrlichen Gefühl meiner Nichtigkeit und meines Gottes Allmacht. Denn die Wurzel aller Sorge ist das »Ich«. Thue es aus der Sorge hinaus, so bist du auch ihrer ledig, und kannst sprechen: Weil ich nichts bin, kann ich nicht untergehen; weil ich nichts habe, kann ich nichts verlieren; weil ich nichts weiß, kann ich nicht irren; weil ich nichts kann, sorge ich nicht um mein Thun. – Wer versteht's?
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Hat der Geist Gottes im Menschen die leibliche, materielle Existenzfrage überwunden und den Sturm Satans mit dem freilich nur dem höheren Menschen verständlichen: »Der Mensch lebt nicht von Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das aus dem Mund Gottes geht,« siegreich abgeschlagen, so rückt ihm der Teufel und große Seelenkenner auch auf diesem Gebiet näher; führt ihn von der flachen, platten Wüste dieser Welt mit ihren Brotsorgen, von seinem Broterwerb und seinen Brotkünsten weg auf einen hohen Berg und zeigt ihm alle Reiche dieser Welt.
Von jeher hat auch der Weltmensch, sobald er Brot die Fülle hatte, erkannt, daß er davon allein nicht lebt. Dann steht die seelische Existenzfrage groß und schwer vor ihm. Das Gesetz des geistigen Essens ist noch zwingender als das des leiblichen; denn je und je sind Menschen zur Erhaltung ihrer Seele freiwillig Hungers gestorben, so Märtyrer.
Auf einen hohen Berg! – Von der Ebene der bloß materiellen Sorgen aus überschaut man weder das Gelobte Land jenseits des Jordans, noch die Reiche dieser Welt; kann sich also nicht entscheiden, ob man darum seine arme Seele verkaufen will. – Wie heißen denn diese Reiche, von denen Satan sich rühmt, sie seien ihm gegeben, und er gebe sie, wem er will, – und Christus widerspricht ihm nicht? – Nun, du kennst sie ja, die Wissenschaften und die Künste, die Ästhetik, die Philosophie und die Litteratur, die Pädagogik, Politik und Staatsökonomie, die Religionen und die Moralen und die Philanthropien; waren einst, wie alles Sein göttlich, existierten, ehe Satan darin Kolonisationsversuche anstellte, die so günstig ausfielen, daß Gott ihm unter Vorbehalt aller seiner Hoheitsrechte so ziemlich das ganze Gebiet als stets widerrufliches Lehen überließ.
Warum soll der Christ dieselben nicht in Frieden bebauen und mit gutem Gewissen wie andre vernünftige Menschenkinder genießen? – Weil Gott nicht will, daß er sich lange mit Träbern sättige, sondern er soll aufstehen und zum Vater gehen und seine verspielte und vergeudete Erbschaft wieder antreten. Eben das ist Gesetz des Geistes, dem kein wirklich großer Geist und wenn er auch kein Christ ist, sich zu entziehen vermag, daß er nie und nimmermehr hienieden sich genügen kann; daß, je höher er sich schwingt, desto niedriger er sich vorkommt, je mehr er alle seine Kräfte anstrengt, desto schwächer er sich fühlt; je mehr er forscht, desto schwerer seine Unwissenheit auf ihm lastet, kurz, daß sein ganzes Thun und Sein ihm immer klarer die Ohnmacht seines Thuns und seines Seins enthüllt. – Ein jeder Geist, lehrt I. Böhme, begehrt in den Urgrund wieder zu gehen, aus dem er erboren ist. – Hier fühlt er sich auf der Wanderung, erkennt, daß er vom großen Eins in die Vielheit, von den Prinzipien in die Erscheinungen, vom Wesen in die Formen sich verirrt hat, setzt sich müde am Wege nieder und ruft unmutig aus: Was nützen mir alle Künste, wenn ich nicht die wahre Kunst besitze; was helfen mir alle diese Wissenschaften, wenn ich nicht das wahre Wissen habe; was alle Worte, wenn ich das Wort nicht finde; was alle Kräfte und Naturgesetze, wenn ich in mir keine Kraft und kein Gesetz sehe; was alle Lebenserklärungen, wenn ich in mir das Leben nicht habe!
Auch hier muß etwas da sein, ehe es überwunden werden kann. Ließe Gott täglich dreimal Brot und Fleisch regnen, so gäbe es wie keine Existenzfrage, so auch keine Überwindung derselben. Sondern diese Welt hat er uns gegeben, damit wir sie erkennen, und durch ihre Überwindung eine höhere und bessere gewinnen. Diese Welt ignorieren, vor ihr in die Zelle oder in die Wüste, auch die geistige, fliehen, ängstlich sich vor Wissenschaft und Kritik, Kunst und selbst Natur ins Innere seiner Seele flüchten, heißt nicht überwinden. Sondern der Krieger Gottes geht allem, was in der Welt sich regt, keck und kühn zu Leibe, besieht sich's bei Licht und von allen Seiten und spricht: Ei Freund, laß sehen! was machst du für ein Gesicht? – Bist du Gottes oder des Teufels? ein drittes kenne ich nicht. – Bist du für Gott, so sei mir gegrüßt, hier meine Hand! Bist du gegen Ihn, so haue ich dich doch noch in Gotteskraft zusammen! Denn Er ist stärker als du! – Und erst das Überwundene läßt er liegen.
So sehen wir aus Michel Angelos heißem Flehen im unvergleichlichen Sonett (s. Ed. Paulus, ges. Dichtungen S. 381), wie dieser Mann, der wie vielleicht keiner die Kunst tief und groß erfaßte, sie am Ende seines Lebens als ein Überwundenes liegen läßt, und fühlen es: Der Sieg ist groß! – So überwand schließlich ein Pascal, dieser tiefe Philosoph, die Philosophie und konnte ausrufen: Alle Philosophie ist nicht eine Stunde Studium wert! – So konnte Goethe, der sich alle Reiche der Intelligenz und der Natur mit heißem Bemühen angesehen hatte, in seinem Faust die Eitelkeit alles menschlichen Wissens bitter beklagen.
So auch der Prediger. – Wie fühlt man es diesem Buche und seinen bis ins Herz der Dinge greifenden Klagen an, daß hier ein gewaltiger Geist, ein großer Weltweiser und Natur- und Menschenkenner, ein Idealist und zugleich ein Mann der That, der Kunst, des Luxus und Genusses wie eben nur ein Salomo es war, das gesamte Gebiet seines Lebens und die Reiche dieser Welt überschaut, um in die furchtbaren Worte auszubrechen: Eitelkeit der Eitelkeiten! Es ist alles ganz eitel! – aber auch mit dem noch größeren zu schließen: »Fürchte Gott und halte seine Gebote, denn das ist der ganze Mensch!«
Womit werden diese Reiche in Besitz genommen, bebaut, beherrscht und ausgebeutet? – Mit der Intelligenz, mit der Vernunft. Somit hängt die Frage, ob ich das Leben meiner Seele auf diesen Gebieten suchen will, mit der andern zusammen: Ist meine Intelligenz, meine Vernunft, ein sicherer Führer, ein unzerbrechlicher Stab, auf den ich mich voll und ganz verlassen darf? Denn hier könnte ein Absturz das ewige Leben kosten. – Darauf antwortet der Nichtchrist mit »Ja!« und, fügt er hinzu, wen oder was soll ich denn zum Führer nehmen? sehe ich doch sonst kein Licht um, unter oder über mir! – Der Christ dagegen spricht: Ich fühle und empfinde es tief, und es bewährt sich an meinem und meiner Mitmenschen Leben, daß mein Verstand verfinstert ist; zwar ist er genügend, um die Thatsachen des leiblichen Daseins zu erfassen, bleibt mir aber über alle noch so einfachen, großen, wichtigen Fragen meiner Existenz die Antwort schuldig, und ist dem Unendlichen, in dem ich wie ein Fischlein im Meer schwimme, gegenüber völlig ohnmächtig. Auch sehe ich, daß von jeher mit dieser Vernunft die Menschen alles und nichts bewiesen, für jede Wahrheit und jeden Irrtum Beweise und Gegenbeweise fanden, und ebenso hartnäckig das Ja wie das Nein behaupteten. Da ich also fürchten muß, gerade bei den Fragen, von denen mein ewiges Dasein abhängt (denn ich fühle, daß ich ewig bin), irre zu gehen, wenn ich nur dieser Vernunft mich anvertraue, so will ich lieber dem Gott, den ich ebenso in mir fühle und in der Schöpfung sehe, anrufen, Er möge meinen Geist mit seinem Geist, denn als Gott wird Er wohl einen haben, erleuchten. Wie ich die leibliche Existenzfrage mit und durch den Glauben überwunden habe, so will ich die Intelligenzfrage durch Demut überwinden, und sprechen: »Rede, Herr! dein Knecht höret!« und Er soll mir sagen, wieviel oder wie wenig ich von diesen Reichen der Welt haben soll, und was ihre Herrlichkeit wert ist.
Diesem Überwinden entgegengesetzt ist das Überwundensein von diesen Reichen der Welt, das Anstaunen und heiße Bewundern ihrer Herrlichkeit, der naive Glaube, daß ihr Gold echt, ihr Wissen wahr, ihr Können mächtig, ihre Kunst schön und ihr Bestand ewig ist. So erscheinen sie der endlichen, begrenzten menschlichen Vernunft. Sie lebt sich in sie hinein, macht sie sich zu eigen, bewundert darin wie in einem Spiegel ihr eignes Wissen und Können. Das ist eine Verherrlichung der Ichheit im Äußerlichen, ein Sichfreuen des eignen Lebens in eigner Macht außer Gott und ohne Gott, und ist der korrekte Sinn dieser Welt.
Wie werden die Ausdrücke »Vernunft« und »vernünftig« von denjenigen, die sie stets im Munde führen, mißbraucht und zum bequemen Schild und zur Verdeckung der eignen Gedankenlosigkeit verwendet! Vernunft sollte die schöne Eigenschaft der Seele bedeuten, sowohl die Erscheinungen als die Gesetze klar sich anzusehen, richtig aufzufassen und zu logischen Schlüssen zu ordnen. Aber weil diese Gesetze des Geistes uns gleichgültig geworden, so ist das Wort »vernünftig« zu einem konventionellen Ausdruck geworden für alles Angewohnte, in den kleinen Kreis unsrer alltäglichen Vorstellungen Passende, unsere von Kindesbeinen an angelernten Vorurteile nicht vor den Kopf Stoßende; für alles, was allmählich bei uns zur geistigen Sitte und Usus, zum Denkbrauch geworden, was zur Zeitrichtung und Zeitströmung gehört. Wie dem niedrig stehenden Menschen alles Fremde, noch nie Gesehene, noch nicht von ihm geistig Aufgenommene noch Verarbeitete, eine fremde Sitte, eine fremde Tracht, eine fremde Anschauung oder Ausdruck unvernünftig erscheint, so kommt solchen Vernunftmenschen alles wahrhaft Hohe und Göttliche so unvernünftig vor, wie der Henne das Schweben des Adlers in Höhen, wo es nichts zu picken gibt. Im dunkeln Hause des Leibes und der stofflichen Natur ist die Lampe der Vernunft nötig und willkommen; sobald ich aber in Gottes Welt und hellen Sonnenschein trete, erblaßt ihr Licht und wird überflüssig. Wie thöricht vollends, mit diesem rauchenden Lämplein der Sonne leuchten zu wollen! – Logisch muß die Religion sein, ist aber nicht vernünftig, sondern übervernünftig; sonst ist sie nicht mehr Erkenntnis eines Höheren als wir, sondern Morallehre, Menschenwerk.
Und was verstehen denn diejenigen, die stets den »freien Gedanken« hochpreisen, darunter? »Die Seele eines ernstlich strebenden Jünglings«, schrieb ein Akademiker (Schwäb. Merkur 24. Juli 1896), »kennt nichts Höheres als die Freiheit des eignen Denkens.« – Wie schön und nichtssagend! – Wer hat denn je einem Jüngling oder einem Greis gewehrt zu denken, was er wollte? – Ist dieses freie Denken ein solches, das sich von den Gesetzen des Denkens emanzipiert, so ist es das Denken eines Narren. Bewegt es sich innerhalb dieser Gesetze, so denken wir Christen am logischsten, also am freiesten. Wir erklären die Welt und das Leben und das Sein, wie sie einmal sind, durch zutreffende Annahmen. Wir deduzieren aus dem Guten und Bösen die Existenz von zwei Grundprinzipien. Wir sagen: gibt es einen Gott, so ist er allmächtig, sonst wäre er kein Gott; dann kann er jederzeit Wunder thun oder wie er will sich offenbaren, nach und in drei oder beliebig viel Personen, kann sprechen, sehen, hören und erhören und durch seinen Geist mit meinem Geist verkehren. Wir erklären die Schöpfung durch einen Schöpfer, ihre Zweckmäßigkeit durch seine Weisheit, ihre Gerechtigkeit durch seine Heiligkeit, unser Elend durch den Abfall von Ihm, Gewissensbisse durch die Schuld, den Frieden und das selige Sterben des Christen durch Sündenvergebung und himmlische Seligkeit. – Dazu denken wir erheblich freier als unsre Gegner vom Thun und Treiben der Menschheit, fragen entschieden weniger nach Menschenurteil und öffentlicher Meinung, suchen nicht der Welt Lob und fürchten nicht ihren Tadel; lassen uns nicht durch stets wechselnde, sich unablässig widersprechende Philosophien und Systeme imponieren, sondern schauen in Gott und in seinem Worte klare, ewige Gesetze des Seins, wie sie sich seit sechstausend Jahren in den Geschicken der Menschheit bewahrten. So denken wir frei über die Fragen, die die Menschheit so beschweren; denn unsre Bibel beantwortet sie alle. So die Existenzfrage mit dem Verbote: »Ihr sollt nicht fragen, was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Womit sollen wir uns kleiden?« – So die Socialfrage mit dem Gebote: »Alles nun, was ihr wollt, daß euch andre thun sollen, das thut ihr ihnen; das ist das Gesetz und die Propheten.« So die Frauenfrage mit dem Worte: »Der Mann ist des Weibes Haupt.« – Nur zwei Fragen kennen wir wie sie: die des Menschen an Gott: Was soll ich thun, daß ich selig werde? – Und die daraus antwortende von Gott an den Menschen: »Was dünkt dich von Christo?« Und haben wir diese zwei absolviert, so sind wir der Fragen ledig, denn in unsrer Bibel steht: »Was verlangt nun der Herr, dein Gott von dir, als daß du ihn liebest und ihm dienest von ganzem Herzen und von ganzer Seele? – So sind wir, wenn wir anders sind, wie wir sein sollen, freier denn jemals ein Philosoph und Diogenes in seinem Fasse, sind frei von Ehrgeiz und Geldsucht, von den Sorgen des Lebens und von der Angst des Todes, von der Knechtschaft der Sünde und von dem Fluche der Schuld; erfreuen uns an allem, was auf der weiten Erde gut, schön und wahr; wir »glauben alles, dulden alles, hoffen alles«; kommen von Gott und kehren zu Gott zurück; hinter uns das Paradies, vor uns der Himmel, und der Geist in uns jauchzt und schwelgt schon, frei von allen Fesseln von Zeit und Raum und Stoff, in einem unendlichen, allmächtigen, allwissenden, allgütigen Gott und Vater, der uns geschworen hat, daß wir »alles ererben sollen!« – »Unser ist alles, wir aber sind Christi und Christus ist Gottes!« – Ist das kein freies Denken?
Was lehren dagegen diese Männer des freien Gedankens? – Das alles einst von selbst entstanden sei, aber wie, wozu und warum wisse man nicht; daß alle Formen des Seins und Daseins nur die sinn- und zwecklosen Schnörkel sind, die ein blinder, taubstummer, unbewußter Stoff an die Wand zeichnet, um sich die unbewußte Langeweile seiner unbewußten Ewigkeit zu vertreiben. Dabei widersprechen sie sich stets, verlangen die größte Achtung, ja Verehrung für dieses Treiben und seine »wissenschaftliche« Erforschung, obgleich sie gestehen, dasselbe werde einst spurlos verschwinden; glauben nur an Stoff und Kraft, und wissen nicht, was Kraft und Stoff sind, oder meinen gar, es seien nur Abstraktionen; sagen, daß alles was ist, vernünftig und notwendig ist und leugnen dabei die Zweckmäßigkeit des Weltalls und der Religionen: lehren die Ewigkeit des Stoffs und gleichzeitig die kaum angefangene Evolution; preisen die unumschränkte Weisheit der menschlichen Vernunft und schreiben, ungezählte Jahrtausende hindurch sei es dem Menschen nicht eingefallen einen Stiel an sein Steinbeil zu machen (!); lehren, es gäbe an sich weder ein Gutes noch ein Böses und preisen den sittlich veredelnden Einfluß der Wissenschaft; u. s. w.
Und andre Freidenkende, Naturforscher, Philosophen und Theologen rühmen sich, keine Materialisten zu sein, und lehren einen Gott, – aber was für einen? – Altersschwach und altersmüde sitzt er, ein abstrakter, zum bloßen Begriff abgemagerter Greis, man weiß nicht recht wo, und thut nichts; und ob er noch etwas denkt, ist fraglich. Ihm sind Hände und Füße durch die Naturgesetze gebunden, die er einst erfand; wie der Zauberlehrling hat er das Wort vergessen, das die Besenstiele wieder bannt, und muß die Maschine laufen lassen. Denn dieses höchste Wesen sieht nichts, hört nichts, fühlt nichts, hat keinen Geist und kann nicht sprechen. – Ein Gegenstand inniger Teilnahme! Wer wollte noch um den Preis ein Gott sein?
Darüber aber sind diese Männer alle einig! Ein Wort Gottes, Wunder und Weissagung gibt es nicht, weil … ja nun! weil es eben keine gibt! – Obgleich ein wahrhaft freies Denken und eine höhere Logik uns sagt, daß es andre Gesetze, Formen und Möglichkeiten des Seins und des Daseins geben muß als die, die wir kennen, und ebenso, daß die Zukunft, schon weil im Keim in der Gegenwart enthalten, höheren Geistern erkennbar ist – zeichnet sich doch schon auf Erden jeder große Mann mehr oder weniger durch ein prophetisches Hellsehen aus – sagen sie: Nein! wie die Vergangenheit Märchen und Lüge, so ist die Zukunft undurchdringliche Nacht. Im engen Kreis der Gegenwart gebannt, blinden Naturkräften gehorchend, wird der Mensch vom unerbittlichen Schicksale dem unvermeidlichen Tode zugetrieben, ist ein Sklave der Zeiten und der Umstände, durch erbliche Fatalität schon im Mutterleibe belastet; und es gibt keine andre Lebensweisheit als: kämpfe, weil es doch sein muß, den harten Kampf ums Dasein, und hilf dir selber, denn Gott hilft dir nicht. – Das nennen sie eine freie Weltanschauung.
Fassen wir das Verhältnis solcher Geister zu Gottes Wort näher ins Auge. Hier zeigt sich, wie zu erwarten, am klarsten der Unterschied zwischen Überwinden und Überwundensein, zwischen dem Sieg dessen, der sich und seine Vernunft vor Gott beugt, und der Niederlage desjenigen, der in stolzer eigner Klugheit vermeint Göttliches zu meistern.
Welche gewaltige Täuschung einer modernen Theologie, daß, wenn eine göttliche Offenbarung überhaupt existiert, sie ein Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung sein könne und sein müsse und der kritischen menschlichen Forschung unterliege. Also: » Ein Wort des Ewigen und Allmächtigen Gottes und Vaters an seine Geschöpfe und Kinder zu ihrem Ewigen Heil! Revidiert, korrigiert und approbiert von der wohllöblichen theologischen Fakultät zu X.« – Wenn es wahr ist, daß es, um an die Bibel zu glauben, zuerst lebenslänglicher kritischer Untersuchung bedarf, und um sie zu verstehen, gelehrter theologischer Arbeit, so hat Gott seinen Zweck gründlich verfehlt, hat uns statt einer Offenbarung eine Verdunkelung Seiner gegeben, und die Millionen unwissender Armer und Elender, die doch auch selig werden möchten, sind ihm zu geringem Dank verpflichtet. Hätte Er doch wenigstens für sie eine faßliche und amtlich beglaubigte Volksausgabe herausgegeben! – Aber Christus spricht: So jemand will den Willen dessen thun, der mich gesandt hat, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei (Joh. 7, 17). Also nicht kritisches Forschen, sondern demütiges Thun des göttlichen Willens! Daraus entwickelt sich die innere Erkenntnis.
Die Unzulänglichkeit obigen Standpunktes erweist sich gleich am ersten Wort der Bibel, das zugleich Grundlage aller Religion ist. » Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde!« – Auf und herbei, ihr kritischen Größen! – Und frisch untersucht, wissenschaftlich historisch, ob die Sache wahr ist! Suchet nach Quellen! – Wer hat's gesagt! – Woher wußte er es? – Wo und wann war dieser Anfang? – Wer ist dieser Gott? – Wo kam Er her? – Warum schuf Er? – Kann Er überhaupt schaffen? – Und wenn, warum nicht schon lange vor dem Anfang?
»Wo warest du, als ich die Erde gründete?« ruft mit vernichtendem Spott dieser Gott dem armen Hiob zu: »Thue es kund, wenn du Einsicht besitzest. Du weißt es ja; denn damals wurdest du geboren, und die Zahl deiner Tage ist groß!«
So fängt ferner das Neue Testament mit der wunderbaren Kunde von der wunderbaren Zeugung Christi an. Auch hier, wie will eine noch so scharfsinnige Kritik es angreifen, um nach neunzehnhundert Jahren wissenschaftlich festzustellen, ob das »empfangen vom Heiligen Geist« historisch richtig sei?! Und wenn es doch wahr wäre, und es gäbe wirklich einen Heiligen Geist Gottes, der einst dem Menschen Leben einhauchte und es noch vermag, – wie soll sie es kritisch beweisen? – Ferner basiert die evangelische Lehre auf der von ihm selber behaupteten, von seinen Aposteln geglaubten Sohnschaft und Gottheit Christi. – Wieder eine absolut ununtersuchbare, mit bloßem Verstand unfaßbare Thatsache. – Oder will die Wissenschaft gen Himmel steigen und Gott den Vater darüber befragen? Endlich schließen die Evangelien mit der Himmelfahrt Christi: »Der Herr nun wurde, nachdem er mit ihnen geredet hatte, in den Himmel aufgenommen, und setzte sich zur Rechten Gottes.« »Und zwei Männer in weißem Kleide sprachen: Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird also wieder kommen.« – Auch hier: was thun? und wie sollen wir die Glaubenswürdigkeit dieser Behauptungen prüfen? Obiger Schriftsteller ist schon lange tot und die zwei Männer kann man auch nicht mehr darüber verhören, woher sie wußten, daß Christus wiederkommen wird und wie; und andre Quellen haben wir nicht!
Man sieht, diese Kritik kann nicht einmal an die Thatsachen hin, die sie untersuchen oder leugnen möchte, kann sie ebensowenig greifen wie ein Kind den Mond; sie entziehen sich der wissenschaftlichen Feststellung, weil sie in höheren Sphären vor sich gehen. – Gerade so wenig kann sie an die Lehren der Bibel hin. Wie will sie untersuchen, ob das große Wort wahr ist oder nicht: Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Oder das ebenso große: » Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben! – Hier steht alle Bibelkritik macht- und gegenstandslos da.
Was die Untersuchung der historischen Nebenzüge betrifft, so leugnen wir a priori, auf das Naturgesetz vom Abnehmen der Bildfläche und ihrer Beleuchtung nach dem Quadrat der Entfernung, daß wir jetzt nach achtzehnhundert oder dreitausend Jahren besser übersehen, besser verstehen, richtiger beurteilen können die Verhältnisse und die Menschen jener Zeit, ihre Beweggründe, ihre Charaktere und ihre Glaubwürdigkeit als ihre Zeitgenossen. – Aber mich bei den von den Evangelisten erzählten Begebenheiten, so bei den Wundern, muß die kritische Forschung ihre gänzliche Unfähigkeit, die Wahrheit der Erzählung zu kontrollieren, eingestehen. So erzählt uns Matthäus, daß er und einige Kameraden in stürmischer Nacht Jesum auf dem Meere wandeln sahen, und daß auch Petrus es versuchte. Hier haben wir eine große Lüge oder eine große Wahrheit. Aber wo will die kritische Untersuchung ansetzen? Wo sind andre Quellen zur Diskussion? Oder will sie sich von der Wissenschaft ein physikalisches Gutachten über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Sache holen? – Wir aber sehen uns das ganze Wort und Thun der Erzähler an und sagen: wahrlich, diese Männer sind keine Lügner! Ihr Leben und ihr Zeugnis stimmt überein. Wir schließen aus der göttlichen, wie eine helle Sonne unsern Geist erleuchtenden Wahrheit des Kerns auf die historische Wahrheit der Schale und glauben damit zum mindesten ebenso sicher zu gehen als eine sich beständig widersprechende Kritik.
Gesetzt aber, es würde dieser kritischen Geschichtsforschung gelingen, mit absoluter Sicherheit herauszubringen, daß an dem und dem Tage, da und da ein Mann, Namens Moses, in seinem Zelte die Abfassung der Genesis angefangen habe; daß er dann das an dem und dem Tage vollendete Manuskript dem und dem Priester anvertraut habe u. s. w. – Oder sie entdeckte eine durchaus genaue, ausführliche, unbedingt beglaubigte Biographie von Lukas oder Markus mit unwiderleglichen historischen Beweisen, daß sie jedes Wort des ihnen zugeschriebenen Evangeliums geschrieben haben. – Was wäre damit für die Göttlichkeit der Schrift gewonnen? – Gar nichts! – Denn diese Umstände haben damit noch bedeutend weniger zu thun, als die historische Untersuchung, ob Raphael von Urbino stammt und als Kind in dem und dem Hause wohnte, mit meiner Bewunderung der Sixtinischen Madonna. – Gibt es eine göttliche Offenbarung, so ist sie um nichts göttlicher oder weniger göttlich, ob wir, wie bei der Epistel Petri, wissen, wie der Mann hieß, der sie niederschrieb, oder ob wir es, wie beim Buch Hiob nicht wissen; gibt es aber keine, so mögen alle vier Evangelien noch so historisch echt sein, sie helfen mir zu meinem Seelenheil ebensowenig als der Xenophon oder Titus Livius, und es kann mir höchst gleichgültig sein, was einst ein Mann, Namens Matthäus oder Lukas oder Markus glaubte oder erzählte. Über die Grundfrage aber, ob es eine göttliche Offenbarung gibt oder nicht, ist die gesamte Wissenschaft ebenso unzuständig und urteilsunfähig als über die Frage der Existenz Gottes. Hier hilft mir der Kopf und der Verstand und alle Kritik nichts; sondern der Geist Gottes spricht zu meinem Geist.
Aber, fragt mancher, soll ich denn bloß so ohne weiteres alles glauben was sich für höhere Offenbarung ausgibt? – Keineswegs! – Wie Gott dir einen leiblichen Geschmack gegeben hat, damit du, auch ohne etwas von Botanik zu verstehen, jederzeit prüfen kannst, ob eine Frucht schmackhaft und gesund ist, ebenso im Geistigen. Ja, wie nicht der gelehrte Botaniker durch wissenschaftliche Deduktion feststellen kann, ob eine Frucht gut, nahrhaft und gesund ist, sondern der Mensch dieselbe zuerst essen muß und dann erst der Gelehrte in sein Buch die Resultate schreibt, so heißt es auch bei der Bibel: Nimm und iß! – Oder hat deine Seele keinen Hunger? – Oder keinen Mund, um zu kosten? keinen Geschmack, um zu prüfen? keinen Magen, noch Gefühl, noch Bewußtsein davon, ob dir etwas gesund ist oder nicht, dir Lebenskraft gibt oder dich krank macht? – Bist du tot, ein dürrer Ast, an dem keine Sonnenwärme, noch befruchtender Regen mehr Blätter und Früchte zu erzeugen vermag? Was kann dann Gott mit dir anfangen als dich verbrennen? – Macht aber dieses Wort aus dir einen Gottesmenschen, so ist es Gottes Wort. – Denn dieses Wort ist nicht ein gutes Buch, an dem dies und jenes noch auszusetzen wäre! Es ist eine Macht, die Herzen und Völker zermalmt und aufrichtet, tötet und lebendig macht; »eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben.« »Ist nicht mein Wort wie ein Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?« – Als solches hat es sich von jeher tausendfältig in der Geschichte des einzelnen und der Völker erwiesen, hat während der Reformation, je und je mit wunderbarer, übernatürlicher Macht auch den Lästerer und Flucher ergriffen, daß er wie ein Paulus niederstürzte und rief: Herr, was soll ich thun? Daß er ein Lamm wurde und in seligem Frieden sich binden und auf dem Scheiterhaufen lebendig verbrennen ließ, Gott bis zum letzten Atemzug für sein Wort lobend. – Das ist die göttliche Legitimation dieses Wortes. Was will gegen solche Wunder eine selbstkluge Krittelei besagen? – »O ihr Thoren und trägen Herzens zu glauben an alles, was die Propheten geredet haben!«
Auch wir haben Augen und können Schlüsse ziehen; auch wir haben gezweifelt und etwas Bibelkritik durchgemacht, sind auch über Sandkörner gestrauchelt, und haben Mücken geseiht und Kamele geschluckt. Und nun können wir und danken in Demut Gott dafür, der ganzen und gesamten Bibelkritik von ganzem Herzen spotten, wenn diese kleinliche und nörgelnde, scheelsehende und mißgünstige, unsichere und schwankende, sich stets widersprechende Kunst (?) uns zuflüstert, der und der Vers, und das und das Kapitel sei wahrscheinlich (!) unecht. Wenn aber Bibelkritiker mit der albernen Versicherung uns einschläfern wollen, »die Glaubwürdigkeit der Bibel beruhe ja nicht darauf, daß das erste Kapitel der Genesis wahr sei,« mit andern Worten: Gott fange freilich sein Buch gleich mit einigen kleinen Lügen an, aber das habe ja nichts zu sagen; später sage Er doch viel Schönes und Wahres darin! so rufen wir ihnen warnend zu: Hände weg von der Bundeslade! Rührt sie nicht an, bei Gefahr eurer Seele! Ihr seid unrein! – In uns aber jauchzt der Geist mit großer Freude darüber auf, daß wir an das ganze Wort, von 1. Mos. 1, 1 bis Offenb. 22, 21 voll und ganz glauben können und ein Vers dieses Buches uns mehr gilt als alle Schriften aller Menschen! – Her zu mir! die ihr noch den Herrn fürchtet, und laßt uns seinen Altar wieder aufrichten, der zerbrochen dasteht, verlassen selbst von den Priestern und Dienern seines Wortes! – »Und ihr Fasler, faselt morgen weiter!«
Freie Forschung! – Auf dem Gebiete der Bibelkritik auch ein unwahres Schlagwort! Wo ist denn die? Gerade unter dieser Firma sehen wir nur eine unfreie, voreingenommene; Männer, die bewußt oder unbewußt mit dem Strome schwimmen, die es als »fertige Resultate« bei sich tragen, daß es nie eine Weissagung, noch ein Wunder, noch eine Inspiration, noch ein Wort Gottes gab, die von Jugend auf gelehrt wurden, jede noch so unsichere »historische Quelle«, oder auch bloße Hypothesen als Autorität gegen die Bibel zu verwerten; die sich rot schämen würden, kämen sie in den unwissenschaftlichen Verdacht, irgend ein biblisches Buch für wahr und echt zu halten, oder gar zu glauben, daß es je einen Mann Namens Daniel gab. – Wo bleibt bei solcher Voreingenommenheit und Befangenheit, bei solchem Nachbeten jeder antibiblischen Autorität und Kritik die freie Forschung?
Und wo sind Resultate? Was hat diese freie Forschung für Deutschland und die Kirche Christi gethan? Was hat sie dem deutschen Volke gegeben? Wo hält sie die steigende Flut des Socialismus und Anarchismus auf? wo thut sie dem Verfall der Kirche Einhalt, wo stellt sie den abnehmenden Einfluß und das Ansehen des geistlichen Standes wieder her, wo wärmt sie die zunehmende religiöse Gleichgültigkeit wieder auf, wo verbreitet sie christlichen Glauben, wahre Gottesfurcht, und ein starkes, die Welt überwindendes Geistesleben unter den Menschen? Kurz, wo sind die guten Früchte, daran wir erkennen sollten, daß auch der Baum ein guter ist?
Man kann nicht von jedem Menschen verlangen, daß er ein Christ sei; wohl aber, daß er logisch denke und konsequent handle. Ist die Bibel, nach neuer Kritik, ein nachgemachtes Gewebe von Fabeln, kein Buch davon echt, und kein Verfasser eine historische Persönlichkeit, so erfordert die einfachste Hausiererehrlichkeit, daß man nicht von der Kanzel herunter dem armen Volke eine Ware als echt anpreise, von der man weiß, daß sie falsch ist; daß man nicht sein Brot im Dienste einer Kirche verdiene, die auf diese Bibel als Gottes Wort gegründet ist, sondern offen mit ihr breche und fortan sein Leben nicht mehr dem Christentum, sondern wie ein christlich socialer Theologe es öffentlich erklärt hat, dem Menschentum widme. – So wie so täuscht ihr doch die Menge nicht, und immer mehr erkennt sie euch, Gott sei es geklagt! als Männer, (?) die nicht glauben, was sie sagen, und nicht sagen, was sie glauben.
Ihr armen Christen, die ihr so vielfach heutzutage euch besinnt, wieviel ihr euch von eurem Glauben durch die Kritik rauben lassen wollt, und die Bruchstücke zusammen leset, die ihr euch »mit aller Entschiedenheit« noch retten wollt! – ihr laßt die Flut ein Loch in den schützenden Damm einreißen und meint, später wollt ihr sie schon aufhalten; ihr laßt das Feuer am Gebälk züngeln und wollt erst später löschen; ihr seht gleichgültig zu, wie der Feind die Grundmauer eures Hauses untergräbt und Stein für Stein abträgt, und ihr tröstet euch damit, man lasse euch ja euern Salon mit seinen moralreligiösen Nippsachen und das gemütliche Schlafkämmerchen daneben stehen; bis der Sturm der Not und des Todes hereinbricht und der ganze Bau, gerade wenn ihr Schutz und Obdach sucht, über euch zusammenstürzt und euch unter den Trümmern begräbt! – Oder habt ihr schon einen gesehen, der nach zehn Jahren fleißiger Bibelkritik noch gewußt hätte, was er glaubt, oder ob er noch etwas glaubt? – Wenn der Christ, schrieb einst ein armer, um seines Glaubens willen im Gefängnis sitzender Kesselflicker, auf der Lebensreife vom geraden, steilen, nach der himmlischen Stadt führenden Weg abirrt, und die bequemen, berasten und beblümten Pfade der Vernunft sucht, gerät er auf das Gebiet des Riesen Zweifel; der schleppt ihn nach seiner festen Burg Verzweiflung, sticht ihm die Augen aus und läßt ihn fortan im Schloßhof unter Grabsteinen herumstolpern.
Ei, mein Bruder, willst du nicht auch hier den Sprung in die Arme dieses ewigen Vaters wagen, und dich ein für allemal entschließen, diesem treuen Gott und Schöpfer mehr zu glauben, als dir selber? Glaubst du, Er, der dir das Leben gab und täglich deinen Leib ernährt, könne und wolle nicht auch deinen Geist ernähren? Er, der seine Sonne täglich dir scheinen läßt, gehe darauf aus deine Seele in Finsternis zu lassen? – Kannst du auch nicht, du halbtoter Engel, mit den schweren, von der Sünde gelähmten Gliedern, mit der stammelnden Zunge, dem trüben Blick, der von der Sorge umdüsterten Stirn die leuchtenden Mysterien und die geistigen Kräfte der oberen Welt fassen und begreifen, so traue doch dem Gott, der mit solcher Treue und Geduld dich täglich versorgt und trägt, dessen Güte und Weisheit du in der ganzen Schöpfung siehst, seinem Wort der Liebe und seinen herrlichen, tausendfältigen Verheißungen des Friedens, des herzlichsten Erbarmens, der Vergebung und des ewigen Lebens, in denen Taufende mit Thränen der Wonne Kraft im Leben und Trost im Tode gefunden haben. Sollen sie alle Lügen sein, bloß weil du aus dem vielen einzelnes nicht reimen kannst?
Kannst du aber deinen hochmütigen Sinn vor Gottes Thorheit, die weiser ist denn die Menschenweisheit, beugen, so bist du von der eignen Vernunft emanzipiert, so hast du, wie die Lebenssorge und die Todesangst, auch, was noch mehr ist, die eigne Seele überwunden und kannst, wenn Satan dir alle Reiche dieser Welt und ihre Herrlichkeit zeigt und sie dir verspricht, so du niederfällst und ihn anbetest, ihm antworten: Ich nähme sie nicht umsonst! Habe sie mir angesehen; wüßte nichts damit anzufangen! Behalte dir den Tand und den Betrug, der auch dir kein Glück bringt, mit dem auch du nichts anzufangen weißt, von dem du am besten weißt, wie wertlos er ist, mit dem du nur Seelen lockst und köderst und lachst dann ewig ihrer Thorheit.
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Und zuletzt führt der Teufel den Menschen, der die leibliche und seelische Existenzfrage und alle Herrlichkeit der Reiche dieser Welt überwunden hat, auf die Zinne des Tempels. – Ihr seid der Tempel Gottes, sagt die Schrift. – Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinunter! Bist du ein Elohim, so lebe und wirke in Kraft deiner Gottheit und der Ewigkeit, die du in dir fühlst.
Denn die leibliche wie die Existenzfrage sind wohl Fragen der Ichheit; aber weil nur indirekte und nicht ihr ganzes Dasein involvierend, so können sie auch überwunden sein, ohne daß die prinzipielle Ichheitsfrage erledigt sei. – So haben manche weisen Philosophen und Brahminen die Existenzfrage überwunden und sie zur letzten, statt zur ersten gemacht. So hatte ein Diogenes einigermaßen die Reiche dieser Welt überwunden, so ein Sokrates die Vernunftfrage, als er ausrief: Ich weiß nur, daß ich nichts weiß, und ein Plato, wenn er sagte: Solange nicht ein Bote der Götter von oben uns Wahrheit bringt, werden wir im Irrtum beharren. Dazu gehört nur ein Horchen auf den allgemeinen Geist Gottes in dem und durch den wir leben, weben und sind. Aber dabei, und so sehr und so oft man sich bemüht, die Triebe und Sprossen immer wieder abzuhauen, bleibt die tiefe, verborgene Pfahlwurzel der Ichheit im Herzen. Sie herauszureißen vermag nur der Heilige Geist, und um den zu bekommen, muß der Mensch sich bekehren, oder Gott muß ihn bekehren. Die Frage der Fragen ist für den Geist: existiere ich durch mich allein, selbständig, frei, ewig oder nur durch die Gnade, kraft der Macht und in dem Leben eines Gottes über mir und in mir, der da spricht: Du sollst keinen andern Gott neben mir haben, auch nicht dich selbst; mit einem Worte: habe ich in mir das Leben und das Gesetz?
Das Sichsetzen als Centrum und Mittelpunkt der Welt und des Alls, das ist die große Versuchung; das Sichlieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit allen seinen Gedanken, das ist die Sünde. – Sich durch die Äonen hindurch von seiner Ichzahl aus als Einheit und Maß und Gesetz der Schöpfung zu individualisieren, anstatt sie als ein unendlich kleines Bruchstück des unendlichen Gottes anzuerkennen, das war der Fall Satans. Sich von dieser Ichheit emanzipieren, das ist wahre Freiheit; denn furchtbar ist ihre Tyrannei! Wo du gehst und stehst, beherrscht sie dich mit eiserner Faust, zwingt dich nur an sie zu denken, nur für sie zu leben, will, daß deine Welt sich um sie drehe und macht dich hier gründlich unglücklich, am reichbesetzten Tisch und in der flotten Equipage, in Gesellschaft und noch mehr in der Einsamkeit, weshalb du so bitter ungern allein mit ihr bist; und drüben unselig.
Hier wird es prinzipiell! und das zeigt, daß wir tiefer in die Sache gekommen sind, als auf den beiden andern Stufen. Trefflich sagte der alte Weise, der Tod und die wahre Philosophie hätten das gemein, daß man bei beiden in die Region der Prinzipien kommt. Worum und wozu persönlich kämpfen? Die Persönlichkeit ist hienieden nichts als die sichtbare, einseitige, verkümmerte, verwachsene und verkrüppelte Darstellung von Prinzipien. Diese allein sind wert, daß man um sie kämpft. Der Mensch ist auf Erden der Spielball dieser ewigen Gesetze. Seine Aufgabe ist es, sie zu erkennen und geistig zu meistern durch Gott und in Gott; dann ist er ein König und Beherrscher der Ewigkeiten. Für den im Geist gereiften Menschen kann es sich nur noch um die Prinzipien und Anfänge des Seins handeln, nicht mehr um die zahllosen Erscheinungen. – Wohl ist unser ganzes Leben eine Erscheinung, eine Offenbarung unsrer Ichheit und der unsrer Mitmenschen; wohl ist die Existenz die stete Wechselwirkung, die stete Reaktion unsres Ichs auf andre und andrer auf uns. Aber bald entdeckt der Geist, der in der Wüste des materiellen Daseins gefastet und gehungert hat, der sich die Reiche dieser Welt und ihre Herrlichkeit angeschaut und ihre Eitelkeit erkannt, daß die großen ewigen Fragen sich nur um sein Ich oder Nichtich vor Gott und Gott gegenüber drehen. – Gott oder Ich? – Gott und Ich? – Gott in Mir? – Ich in Gott? – Darum allein wird auch noch drüben gekämpft, wohin weder die materielle Existenzfrage, noch die Herrlichkeit der Erdreiche hinreicht. Denn das ist biblische Lehre: Satan ist noch nicht aus den Himmeln vertrieben, darf unter den Söhnen Gottes vor den Herrn treten (Hiob 1); noch ist »der große Drache, die alte Schlange, welche Satan und Teufel genannt ist«, nicht auf die Erde geworfen (Off. 12, 9); noch harren unter dem Altar die Märtyrer und verlangen das gerechte Gericht Gottes über ihre Mörder (Off. 6, 10). Wie könnten die oberen Glieder des Leibes Christi in unwissender, theilnahmloser Nirwana ausruhen, während die andern Glieder auf Erden noch leiden und kämpfen und solange Gottes Reich noch nicht gekommen, sein Name noch verlästert wird und sein Wille nicht geschieht?
Wollen wir es versuchen, dem Worte gemäß: »Sinnt auf das, was droben ist«, uns diesen Kampf zu denken, wobei jeder Christ leicht unter dem Bilde die Vorgänge in der eignen Seele miterkennen wird.
Wir standen auf der Burg der Seligen, das weite Meer überschauend. Es wurde Abend auf den Wassern. Da flogen Engel vorbei und riefen uns zu: »Wehret euch! es naht der Kampf und die Macht der Finsternis!« Und in den Lüften und im Meer und auf dem Lande schwieg alle Kreatur und fühlte den nahenden Zorn. Die alten Helden aber, die im irdischen Leben viel Trübsal und Kampf bestanden, auch schon mit den Mächten der Hölle gerungen, ordneten die Reihen auf den hohen Zinnen; schnell lief das Kommandowort, und bald standen die Krieger im glänzenden Panzer mit goldenem Schild und funkelndem Schwert da. – Und schon wurde das Meer unruhig; es war wie ein Sieden und Brausen in der Tiefe und grau wurden die Gewässer. In der Luft aber war es wie Nebel und darin tönte leises Zischen und Heulen. Chaotisch untereinander geworfen erhoben sich die Wellen, und aus ihnen schauten, anfangs kaum zu unterscheiden, dann immer deutlicher werdend, schwarze Gesichter hervor mit verzerrten Zügen, mit den Fluten auf- und abschaukelnd und mit glühenden Augen uns unverwandt anstarrend, Seelen aus dem Scheol, die nie selig werden können. Und bald entstiegen manche ganz den Wellen, umschwirrten uns mit heiserem Geschrei und blinzelten mit den rotfeurigen Augen wie Eulen ob des ihnen verhaßten Lichtes. – Und sie heulten, aus dem Munde Feuer speiend und stöhnend: »Die ihr uns geraubt, gebt sie uns wieder her! Hofft nicht sie zu retten; eher sollt ihr mit ihnen verderben!« Immer zahlreicher wurden sie und brachten Dunkelheit mit. Und unter ihnen erschienen andre Wesen; mächtiger, wie mit Flügeln, auch schwarz, hatten Schwerter wie aus rotem Feuer und schleuderten feurige Pfeile; waren Engel des Abgrundes. – Der Sturm heulte und der Kampf begann, und mächtig wie niemals in der toten Leiblichkeit brauste unser Schlachtgesang: »Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen!« – Immer wütender wurde der Anprall des Feindes, und wie der Kampf wuchs, sahen wir unter den schwarzen Engeln finstere, nebelhafte Gestalten, riesenhaft, wie gekrönt, aber unkenntlich, die Fürsten der Hölle. Und sie trieben mit Grimm ihre Engel in den Kampf und gossen Höllenzorn über sie aus. Da versuchten diese, sich hocherhebend, den Himmel, der über uns lichtblau geblieben, zu verdunkeln und von oben her uns anzugreifen; aber noch höher erschallte unser Kampflied: »Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es muß uns doch gelingen!« Als sie aber mit Macht von oben in die Burg eindringen wollten, sangen die leuchtenden Kinderseelen in weißen Kleidern: »Breit aus die Flügel beide, o Jesu, meine Freude, und nimm dein Küchlein ein!« Da stiegen in geschlossener Phalanx mit blitzendem Schwerte die Engel der Kleinen herab, schlugen alle Angriffe zurück und blieben hoch über uns schweben. – Aber es wuchs doppelt die Wut der Dämonen und über das Heulen des Sturmes und das Toben der Schlacht erhob sich grauenerregend das gellende Kreischen der Hölle: »Satan hilf! Satan hilf! und Fluch sei dir in Ewigkeit!« – Da fing die Erde unter uns an zu beben. Zum siedenden Kessel wurde das Meer, dessen Gischt hoch an die Zinnen schlug, und endlos rollte der Donner durch die Lüfte, rot erglühte über uns die Engelphalanx und erstaunt sahen wir in unsern Reihen blitzschnell erscheinen und verschwinden hohe Gestalten, gepanzert, wie Helden aus hundert Schlachten, und wir wußten, es sind Selige aus höheren Sphären, darunter der, dessen Lied wir sangen, und ihr Anblick gab uns zehnfache Kraft und Mut. Fest stellten wir die Schilde hin, griffen fester das flammende Schwert; wie der Blitzstrahl flog das Kommandowort durch die Reihen, und »Jehovah ist Gott!« war die Parole.
Aber schon war Er da! Turmhoch seine Engel überragend, in Nacht gehüllt, mit dem versengenden Blick, der die Seele verdorrt! – » Sklaven!« rief Er, und wie ein Orkan brauste sein Wort über unsre Seelen und erschütterte sie, wie der Sturm im Walde die Bäume schüttelt, »Sklaven, wollt ihr ewig dienen? Es steht geschrieben: Ihr seid Götter! Werft von euch die Ketten und die Anbetung und wagt es Götter in eigner Macht zu sein!« – Und unsre Seelen erbebten ob des Zornesgrimms; wankend erwogen wir, ob des Zornes Herrlichkeit in der eignen Ichheit nicht größer sei als die ewige Liebe, und begriffen den Abfall, und schauten schaudernd in den ewigen Abgrund. Aber noch wurzelte der Geist in Gott, erhob sich in Ihm und hielt fest die Seelen; die Schwerter sprühten Blitze, und wie unbezwinglicher Schlachtruf brach es hervor: »Jehovah ist Gott!« – Da wurde noch dunkler seine Nacht und noch höher seine Gestalt, und verdorrender sein Blick; fahlgelbe Blitze zuckten wie eine Krone um sein Haupt und Er rief, und es klang wie das Brüllen von tausend Löwen: » Ihn werde ich stürzen von seinem Thron! Euch schwöre ich bei meiner Qual dreifaches Weh. Und wer wird euch erlösen aus Meiner Hand?« Und wie aus schwarzer Hagelwolke plötzlich zahllose Schlossen prasselnd sich ergießen, so schlugen mit betäubendem Getöse tausend feurige Pfeile an Helm und Schild, und wie die Ähren, wenn der Sturm über das Kornfeld weht, wankten und beugten sich unsre Reihen. Versengend fühlten wir seinen Hauch; aus der Nacht erglühten seine Augen und darin war der zweite Tod, den keine Seele schauen kann und leben, und diabolisches Gelächter erklang! Unter dem Feuergewitter erbebend, ließen wir die Schwerter sinken, suchten uns mit dem Schild zu decken, und nicht mehr wie Siegesgesang, sondern wie bange Klage Schwerverwundeter stieg der Hall aus unsern Seelen: »Mit unsrer Macht ist nichts gethan; wir sind gar bald verloren!« – Da huben an die Engel über uns zu flehen: Christe Eleyson! Herr, erbarme dich! Aber die Kindlein beteten mit heller Stimme und gefalteten Händchen: »Will Satan mich verschlingen, so laß die Englein singen: Dies Kind soll unverletzet sein …« Da stand Er unter uns, der Heilige Gottes, leuchtend wie die Sonne, und sprach mit göttlicher Ruhe: » Fürchtet euch nicht! Ich bin bei euch!« – Da verstummte der Kampf und ward eine große Stille. – Klagend, heulend, sich selbst und Gott und Satan verfluchend, versanken die Verlorenen in die Tiefe; blau wurden wieder der Himmel und das Meer. Aber wie tausend Meilen zurückgeblitzt, stand Satan fern, sein Haupt wie zertreten, sein Blick stumme, verzweiflungsvolle Wut, und um die zusammengekauerte Gestalt schwirrten in verworrenem Flug seine schwarzen Engel wie Meeresvögel, deren Schar der Sturm zerrissen hat. – Und noch einmal schaute der Eingeborene Gottes hin, – da verschwand Er und die Seinen, und nur dunkle Gewitterwolken sah man noch am fernen Horizont.
Uns aber sah Christus an mit den Augen wie Feuerflammen und darin war unendliche Liebe; und Er sprach ernst: »Wer überwindet, dem will ich geben mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron!« Und wir sangen: »Gelobt seist du, Herr Jesu Christ!« – Dann stieg er wieder empor, mitten durch die Engelschar, welche sang: » Gloria in excelsis!« und darauf erklang es von den oberen Himmeln herab, Seligkeit verbreitend: »Sanktus! Sanktus! Sanktus!« – Und Freude und himmlischer Frieden ergossen sich wieder über das Paradies. Es duftete und leuchtete in lieblicher Farbenpracht nach dem Gewitter die Blume, und freute sich die Kreatur; stille Wonne war in der Luft und schön wie niemals erglänzte der Abendstern.
Aber noch lange wetterleuchtete es rot und drohend am Horizont; die Nacht hindurch blieb die Engelphalanx fest geschlossen über uns schweben, und zahlreiche Krieger hielten auf den hohen Zinnen die Schildwacht. – Denn das Vergängliche ist nur ein Gleichnis.
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So kommt der Geist, denn alles Gebären ist Weh, und alles Leben, sagt Böhme, wird in der unergründlichen Quelle der Qual geboren, durch Armut zum Besitz, durch Tod zum Leben, durch Vernichtung zur Ichheit. – Das ist das große Geheimnis dieser abgefallenen Welt! – Und hat er's durchgemacht und ist in Gotteskraft und durch Christi Blut ein Überwinder geworden, so steht er nach langer Pilgerfahrt durch die Wüste vor dem Jordanfluß. Drüben ist das Gelobte Land, und er darf an der Hand seines Gottes trockenen Fußes hinüber. Dann heißt es auch von ihm: Als die Versuchung vollendet, »verließ ihn der Teufel und siehe! die Engel kamen und dieneten ihm!«
Dann geht ihm drüben die himmlische Natur und das himmlische Gesetz auf. – Und beides ist nicht in der Art ein Neues, daß es nicht mehr für unser natürliches und gesetzliches Denken faßbar, daß es nicht für unsern Geist natürlich und gesetzlich wäre! Redet doch Gott selber von der ewigen Welt als von einem neuen Himmel und einer neuen Erde; spricht es also aus, daß die ewigen Gesetze und Bedingungen eines Himmels und einer Erde diese Schöpfung immer noch und ewig regieren werden. Ebenso ist der neue Mensch in Christo nicht ein unbekanntes, ungeahntes, unbegreifliches Wesen, sondern eine, in uns sündigen Menschen allerdings unfaßbarer Art und Weise verherrlichte Darstellung der Prinzipien und Gesetze dieses Ideals Gottes, als er sprach: Laßt uns ein Wesen schaffen in unserm Gleichnis!
Daß diese Gesetze, Satzungen und Ordnungen der irdischen Dinge auch Gesetze, Satzungen und Ordnungen der himmlischen Dinge sind, ist biblische Lehre; die Schrift würde uns sonst mit falschen und unzutreffenden Bildern falsche, unzutreffende Eindrücke, Begriffe und Vorstellungen von einer unfaßbaren und unbegreiflichen Welt geben. Daß es nicht so ist, ist aus der Stiftshütte und ihrem Dienst zu ersehen, aber auch aus den Gleichnissen Christi, die darauf beruhen, daß die Gestalt dieser Welt ein vergängliches Gleichnis ist von einer unvergänglichen Welt. Allerdings waren es für die Menge nur, wenngleich höchst lehrreiche, Bilder und Gleichnisse; für seine Jünger aber waren es im Licht des Geistes Realitäten, weshalb Jesus zum Volke spricht: »Das Reich Gottes gleicht …,« zu seinen Jüngern aber: »Der Acker ist die Welt. Die Ernte ist das Ende der Welt. Die Schnitter sind die Engel.«
Denn das Reich Gottes ist nicht Dunst, Nebel, bloße Vorstellungen, Gefühle, Einbildungen. Es ist Kraft und Wesen! Es ist Wahrheit und Leiblichkeit. Es ist das Furchtbarste und Entsetzlichste, und das Lieblichste und Wonnigste, was es gibt; sonst wäre es nicht das Reich Gottes! Es ist höchste Kunst und wahre Wissenschaft, göttlicher Luxus und herrlichster Genuß, kräftigste That und seligstes Sein! – Oder meinst du, es sei ein Geringes, an Gottes Tisch in Gottes Reich zu sitzen? – Kannst du auf Erden irdischen Gästen, oder dem heimkehrenden Sohne zuliebe, ein schönes Gastmahl herrichten, in prächtiger Villa, im prunkvollen Palast, glaubst du, Gott werde weniger herrlich seine Söhne bewirten, wenn sie nach mühevoller Erdenreise müde und siegreich heimkehren, und könne nicht auch diese seine Gäste mit feurigen Weinen und köstlichen Speisen, himmlischer Musik und geistvoller Unterhaltung aufs höchste erquicken? – Das Reich Gottes ist eine Erfüllung alles Wünschens und Sehnens und Begehrens derjenigen, die sich entschlossen, ihrer Vernunft und ihrem verdorbenen irdischen Geschmack zum Trotz, diese Erfüllung nur von Gott zu hoffen; eine stete Enttäuschung und Verzweiflung derer, die sie in sich und in den Geschöpfen suchten. Es ist eine Realisation der ewigen Gesetze durch Leib, Seele und Geist der gesamten Schöpfung; eine Durchführung dieses ewigen Denkens Gottes, dessen krystallenes Durchscheinen bei allen Wesen und selbst in der unorganischen Natur wir jetzt nicht in steter Bewunderung und Anbetung wahrnehmen können, infolge der durch Abfall und Entfernung von diesem Gott bewirkten Erstarrung der physikalischen Kräfte, des Erfrierens des ewigen Stoffes zu hartem und leblosem Stoff und der trüben, stets gärenden Hefe der Sünde.
Glaubst du, daß du unsterblich bist, daß du niemals vergehen kannst? sondern durch alle Äonen hindurch und Abgründe der Zeit und des Raumes und des Stoffes und des Geistes immer weiter und weiter fortschreiten wirst, mußt, darfst? – Nun, dann mußt du irgend einem Ziel näher kommen; hinauf oder hinab, zu Gott oder von Gott ab! Oder willst du plan- und ziel- und zwecklos durch die Ewigkeiten irren? Weißt du selber nicht, wo du hinwillst, wohin dein Sehnen geht? – Denn auch das ist Gesetz: Niemand und nichts in der Welt kann und Gott will nicht dich zwingen zu glauben und zu lieben, was der Geist in dir nicht glaubt und nicht liebt. – Sondern drüben ist das Land der freien Wahl. – Fürchte nicht, daß dort ein harter und ungerechter Gott dich in die Hölle werfen, und die Pforten seines Himmels dir verschließen wird. Wohin dein Herz dich zieht, wo dein Schatz ist, darfst du hingehen und ewig verweilen; du darfst zu der Frucht voll und ganz reifen, die deines Baumes Saft und Rauch schon auf Erden ahnen ließ. War es dir schon hier eine Qual, Gebete und Gottes Lob anzuhören, so glaube nicht, das Er dich zwingen werde, ewig dabei zu sein oder gar mitzusingen und mitzubeten; du darfst zu denen hin, die Ihn in Ewigkeit lästern. War dir die Demut solcher in der Seele zuwider, die ihre Vernunft unter dem Kreuze Christi beugten und kindlich glaubten, so darfst du drüben zu denen dich gesellen, die ewig im Gefühl ihrer Weisheit sich abmühen, aus löchrigen und versiegten Brunnen Wasser des Lebens zu schöpfen. Gehörst du zu denen, die nach Gott wenig fragen, Ihn weder hassen noch lieben, sondern ihr Leben nach eignem Wunsch und eigner Lust einrichten, so wirst du drüben viele Genossen haben. Seht zu, ob es euch gelingt, von Gott getrennt, vom Baum abgesägte Äste, von der Quelle getrennte Bäche, Kraft und Gesetz in euch selbst zu finden; sonst müßt ihr ewig verdorren und versiegen.
Gott legt uns diese seine Natur und ihre Gesetze vor. Wir können Ihn darin suchen und diesen Gesetzen gemäß leben; dann nähern wir uns Ihm mit centripetaler, nach dem Quadrat der Annäherung zunehmender Kraft und Er sich uns; offenbart uns dann die höhere Natur und die höheren Gesetze, von denen jene ein Gleichnis und eine Folge waren und sich selbst als den, der in Christo diese Welt und diese Natur mit sich selber versöhnte. Oder wir können diese Natur mißbrauchen und ihre Gesetze übertreten, dann verfallen wir der centrifugalen Gottesschen, dem diamantenen Gesetz der Konsequenzen unsrer Thaten, der Gerechtigkeit unsres Seins und werden in der fortgesetzten Übertretung dieser Gesetze einen fortwährenden Tod unsrer Seele, in der Verkehrung dieser Natur die höllische Natur finden.
Was du aus dieser Welt, aus dieser Natur und aus ihrem Gesetz machen willst, – das ist deine Sache.
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Druck von Velhagen & Klasing in Bielefeld.