Otto Julius Bierbaum
Yankeedoodle-Fahrt (1)
Otto Julius Bierbaum

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VIII.

Von Eierkuchen und Sonnenuntergängen; von ordentlich und schief gewickelten Menschen; von allerhand Karawansen.

Von Malta nach Alexandrien ist es sehr weit: sechs Eierkuchen weit. Ich habe mich daran gewöhnt, zu jedem ersten Frühstück zwei Eierkuchen zu essen, und zwischen Malta und Alexandrien liegen drei Frühstücke.

Diese Eierkuchen sind so gut, daß ich den Küchenchef um das Rezept gebeten habe. Es ist aber gar nicht schwer, sie zu backen: man muß es nur können. Das Rezept ist nicht die Hauptsache. Natürlich. Sonst könnte man ja auch dichten, wenn man eine Poetik gekauft hat.

Ich hätte die Entfernung zwischen Malta und Alexandrien auch in Sonnenuntergängen angeben können, denn die waren gewiß eben so schön wie die Eierkuchen, aber ich habe sie leider nicht so ungestört genießen können, wie diese. Beim Frühstück war ich nämlich immer mit meiner Frau allein, denn ich halte auch auf dem Schiffe streng darauf, der letzte beim Aufstehen zu sein; aber die Sonnenuntergänge vollzogen sich stets vor einem großen Publikum. Begreiflicherweise. Denn ein Sonnenuntergang ist ein poetisches Ereignis. Tausende von Dichtern haben es unzähligemal des bestimmtesten versichert, und viele von ihnen haben goldene Worte dafür gefunden. Aber ich wette meinen indischen Lordshut gegen eine Yankeedoodlemütze: sie waren immer allein (oder zu zweit mit ihrer Geliebten, oder ihrer Frau, oder einem Freund) wenn sich die Transsubstanziation des Sonnengoldes in poetisches Gold vollzog. Hätten sie das Phänomen zwischen Yankeedoodlern genießen müssen, so würden sie, wenn Apollo sie nicht mit gnädiger Taubheit geschlagen hätte, zu viel Poetisches über den Vorgang vernommen haben, als daß sie selber Poetisches hätten empfinden können.

Ich wurde einmal im Morgengrauen aus dem Bette gerissen, weil ich auf Rigikulm den Aufgang der Sonne bewundern sollte, der im Bädeker zwei Sterne hat. Nun gut: ich ließ mich reißen, denn ich war damals verlobt, und meine Braut riß mit, – zwar nicht physisch, aber kraft jener Suggestivgewalt, die auch einen prinzipiellen Langschläfer zum Bruch mit seinen Grundsätzen zwingt. Was geschah? Die Sonne ging pünktlich und in allen Prächten auf, aber genau in dem Momente, wo sie alle die Firnen vergoldete, die ihr Herr Bädeker vorschreibt, wurde zwanzig Schritte von meinem Standpunkt entfernt ein Schwein geschlachtet. Ich kann nicht sagen, daß ich das erhebende Schauspiel der erwachenden Sonne mit Andacht genossen habe. Das schauerliche Schreien der hingemetzten Kreatur erfüllte mich mit einem derartigen Grausen, daß ich überhaupt nichts sah: nur hörte. – Ganz so schlimm erging es mir bei den Sonnenuntergängen an Bord des Yankeedoodle nicht; ich habe sie immerhin gesehen, und ich darf konstatieren, daß sie sehr schön anzusehen waren. Aber wenn irgend etwas, so erfordert dieses Schauspiel der heiligsten Ruhe, dieses hoheitvolle Verschwinden des Lichts in die Tiefe, die, eben noch glänzend wie bewegtes Gold, plötzlich zu Blei verstockt, eine ebenso vollkommene Stille: die Stille der Andacht. Auf dem Lande verstummen selbst die Vögel mit einem Schlage, wenn die Sonne versunken ist, und es kann geschehen, daß der Beobachter für einen Moment das Gefühl hat, als stände ihm das Herz still. Denn er erlebt das tiefste Symbol von Tod und Leben. Die Vergnügungsreisenden des Yankeedoodle jedoch, keine Vögel, sondern gebildete Europäer und Amerikaner, verstummten keineswegs und hatten ganz gewiß keine Herzzustände. Sie besuchten das Schauspiel, über dessen Pünktlichkeit sie leider gut orientiert waren, mit der bestimmten Absicht, seinen poetischen Qualitäten nicht bloß mit dem Gemüte, sondern auch mit dem Munde gerecht zu werden, und so ließen sie es nicht an Beifall fehlen. Aber während der Mops, der den Mond anbellt, nur komisch ist, muß der Mensch, der die untergehende Sonne mit beifälligen Bemerkungen wohlwollend kritisiert, als eine durchaus üble und höchst lästige Kreatur bezeichnet werden. Ein unbewußt sich von den Lippen lösendes Oh!, ein Ah! des hingerissenen Entzückens, irgend ein Ausruf der Ergriffenheit: ein Wort aus vollem Herzen, einfach, unüberlegt, banal, –: wer möchte solch ein Echo des Gefühls bemängeln wollen. Das »Thalassa! Thalassa!« der Griechen, als sie das Meer sahen, muß ergreifend gewesen sein wie das Donnern der Brandung selber. Es hatte das Elementare echter Menschennatur: war selbst Natur. Das Herz der Menge traf sich mit dem Meere und überbrauste sein Rauschen. Zwei große Dinge trafen sich: das eine so frei von Eitelkeit wie das andere. Wenn aber eine belesene deutsche Bürgerstochter angesichts der in den Fluten untertauchenden Sonne die Resultate ihrer Pensionsbildung produziert und ihrem courmachenden Assessor zeigen will, wie fein sie sich auszudrücken vermag, indem sie lispelt: »Nein, diese Tinten!«, so ist das um aus der Haut zu fahren, und es hält schwer, eine höchst ungebildete Aeußerung zurückzuhalten, wie etwa: Infame Gans! Und wenn ein wahres Geschnatter derartiger Läppischkeiten um Dich herumganst und gänsericht, oh Vergnügungs- und Gesellschaftsreisender, so schwöre bei der untergehenden Sonne: Einmal und nicht wieder. Nur wenn du selber zu den Menschen gehörst, die auf dem Meere Maskenbälle brauchen, wenn sie sich nicht langweilen wollen; denen das Meer eine umfangreiche Wasserfläche, die Sonne ein Anlaß zu gebildeten Redensarten, alles Gewaltige, Schöne, Heilige, Alte gerade gut ist, schnodderige Bemerkungen dazu zu machen; die überall wieder nur sich in ihresgleichen sehen wollen und überall und immer die unbewegt, ungerührt, unbereichert Gleichen bleiben: nur dann begib Dich auf eine Vergnügungs- und Gesellschaftsreise. Dann ist auf einer solchen für Dich in unübertrefflicher Weise gesorgt. Bist Du gar ein Amerikaner, so kannst Du sicher sein, auf geradezu ideale Art gereist zu werden. Und wenn Du überdies das überschwengliche Glück hast, eine Amerikanerin zu sein, so wüßte ich nicht, was Du Dir vom Leben überhaupt noch wünschen solltest. Denn Du hast auch noch den Flirt als Zugabe gratis, und er wird von jungen Herren der Reiseleitung ausgeübt, die augenscheinlich darauf trainiert sind. Mag ihnen sonst auch einiges abgehen: darin sind sie so vollkommen, wie die Speisekarte des Yankeedoodle. Bist Du aber von anderer Art (also schief gewickelt, denn es ist gewiß verkehrt, von andrer Art zu sein), so schimpfe nicht etwa auf die Onkel-Sam-Michel-Linie (denn sie kann ihre Dividenden nicht durch Rücksichtnahme auf eine schief gewickelte Minorität gefährden und muß mit der Masse rechnen), sondern bedenke, daß ihre schönen Schiffe auch andere Reisen machen: reguläre, die nicht um jeden Preis Amüsement en masse und für die Masse bieten wollen, aber eben deshalb für Dich und Deinesgleichen eine Fülle von echten Reisegenüssen haben. Sieh Dir aber genau die Kabine an! Nimm keine, an deren Fenster die Falltreppe vorübergeht! Keine, deren Fenster so nahe über dem Wasserspiegel liegen, daß sie nicht immer geöffnet werden können. Und laß es eine sein, die Dir einen Platz in dem ersten Speisesaale gewährleistet, der höher und daher luftiger ist, als der zweite. Ueberhaupt: spare nicht! Es sei denn, Dir fehlte das Gefühl für Nüance im Komfort und Du wärest so glücklich, im Punkte des Wohnens nicht verwöhnt zu sein. Bedenke, daß auf einem Schiffe, auch auf einem sehr großen, die Enge herrscht, und daß selbst die größten Kabinen notwendigerweise noch klein sein müssen. (Vielleicht ist das nicht so ganz notwendig, wie es scheint. Denn es ließe sich wohl denken, daß man auf die großen Gesellschaftsräume verzichtete, oder sie, die Speisesäle ausgenommen, kleiner gestaltete und dafür die Kabinen erweiterte. Doch läßt sich darüber als Laie schwer urteilen.) Eine reguläre Seereise ohne krampfhaften Vergnügungscharakter wird auch deshalb interessanter sein, weil sie Zwischendeckpassagiere mitführt. Denn für unsereinen ist es interessanter, Menschen von mancherlei Art um sich zu haben, als von einerlei Art. Die Vergnügungsfahrten betonen die Einschichtigkeit ihrer Reisegesellschaft geflissentlich, indem sie ihre Passagiere nicht in solche erster und zweiter Klasse einteilen. Mir scheint, es handelt sich da im allgemeinen um eine Klasse für sich. Wie es, nach Hartleben, in allen Schichten der Menschheit »Hilfsbremser« gibt, so gibt es auch so etwas wie eine Klasse der Karawanenfahrer. Wer sich, ohne dazu angelegt zu sein, in eine solche Karawane verirrt, erweitert zwar seine Menschenkenntnis, kommt aber um die eigentliche Frucht, die er, nach seiner Art, von einer Reise erhofft. Uebrigens kann ebensowohl ein Fürst von Geblüt zu den Karawansen gehören, wie ein reichgewordener Metzgermeister. Innerhalb einer Karawane ziehe ich aber den Handwerksmeister vor. Ich lernte einige kennen (es waren nicht gerade Metzger), die mir wieder aufs Erfreulichste bewiesen haben, welch ein Fond von Tüchtigkeit, anständiger Gesinnung und aufwärtsstrebenden Tendenzen im selbständigen deutschen Gewerbsmanne liegt und tätig zutage tritt. Diese Leute haben mich nie gestört. An ihnen habe ich auch nicht die Unart herrischen Auftretens gegenüber den Eingeborenen bemerkt; auch nicht das ewige Absprechen und Vergleichen mit heimatlichen Zuständen. Ihnen war die Reise auch mehr als bloßer Bummel, und es war rührend, sie immer wieder darauf zurückkommen zu hören, daß, durch Erzählungen und mitgebrachte Bilder und Kuriositäten, auch »die Kinder« etwas von der Reise haben sollten.

Am erfreulichsten war uns die Bekanntschaft mit zwei älteren dänischen Damen. Beide hatten im Verein vor fünfundzwanzig Jahren eine Mädchenschule in ihrer Heimat gegründet, und zur Feier des fünfundzwanzigsten Bestehens der nun zu großer Bedeutung, ja zu nationalem Ansehen gelangten Anstalt hatten ihre Schülerinnen (gegen 400) als Ehrengabe das Reisegeld für diese Fahrt nach dem Orient zusammengeschossen. Die eine der beiden war die Direktorin, und die andere, etwas jüngere, hatte eine entzückende Art, in ihr die Bedeutendere, nicht etwa die Vorgesetzte, anzuerkennen und sie dementsprechend zu behandeln. Wenn ich die Kultur Dänemarks nach diese beiden Lehrerinnen beurteilen darf, so verdient sie den höchsten Respekt. Jedenfalls beneide ich die jungen Däninnen, die von so klugen, klaren und gütigen Wesen ins Leben geleitet werden. Diese beiden reisten mit einem stillen Enthusiasmus, und was sie in sich aufnahmen, genossen sie nicht bloß für sich, sondern vornehmlich auch für ihre Schülerinnen. Dabei hatten sie, obwohl die ältere ausgesprochen auch Schriftstellerin war, gar nichts Blaustrümpfisches an sich. Sie gehörten auch nicht zur skandinavischen Amazonengarde, aber von weiblicher Spießbürgerei waren sie dennoch völlig frei. Nicht so vom dänischen Chauvinismus, aber ich lernte den gerade im Umgange mit ihnen verstehen. Es ist die alte Geschichte: Deutschland wird immer mit Preußen verwechselt, und vom preußischen Wesen wirkt ins Ausland nur die Büttelei und Felbwebelei. Dieses Imponderabile wird dem deutschen Imperialismus mehr zu schaffen machen als die ganze englische Flotte. Ich für meinen Teil möchte wünschen, daß dieser Imperialismus, der fürs erste wohl nur in der ausschweifenden Phantasie von Politikern mit unverantwortlichem Federhalter existiert, nicht eher versucht, sich in Taten umzusetzen, als bis das deutsche Wesen, an dem die Welt genesen soll, selber einige Kinderkrankheiten der Macht überwunden hat. Im übrigen aber laßt uns darnach trachten, gute Europäer zu werden, oh meine schief gewickelten Freunde. Die angeborene Liebe zum Vaterlande brauchen wir deshalb nicht zu verletzen, aber ich sehe keine Möglichkeit, deutsche Landsleute, die das kulturelle Ansehen Deutschlands schädigen, mehr zu lieben, als Leute fremder Zunge, mit denen mich die Gemeinsamkeit aller kulturellen Ideale und Regungen verbindet.

Eine Fahrt auf dem mittelländischen Meere ist für den guten Europäer eine Kulturreise. Dieses Meer hat uns alle Götter geboren. Noch Nietzsche-Zarathustra kam hier zur Welt.

Eine Strophe von ihm hat mich begleitet:

Das weiße Meer liegt eingeschlafen,
Und purpurn steht ein Segel drauf.
Fels, Feigenbäume, Turm und Hafen,
Idylle rings, Geblök von Schafen, –
Unschuld des Südens, nimm mich auf!


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