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Hoch lag auf Aeckern und Wiesen der frisch gefallene Schnee. Den Bäumen des Waldes hatte er sein kühles Gewand umgehängt, die immergrünen Tannenzweige beugten sich noch einmal so tief als sonst unter der winterlichen Bürde, und an den Aesten der Buchen und Erlen glitzerten die weißen Flocken. Die feinen Zweige der Birke sahen aus als wären sie überzuckert, und der alte Weidenstamm am Ufer des Baches, dessen letzte morsche Neste jüngst abgebrochen waren, schien eine weiße Schlafmütze aufgesetzt zu haben, um desto ungestörter von den Freuden vergangener Tage zu träumen. Die Fluth, die an seinen, zum Theil bloßgelegten Wurzeln vorüberrauschte, begann schon ihren Lauf zu hemmen und sich zu besinnen, ob es nicht geziemender sei, neben dem schlummernden Greise gleichfalls zu ruhen, ein heller, durchsichtiger Krystall, als so allein zur Winterszeit, wo die ganze Natur der Ruhe pflegte und selbst die geschwätzigen Vögel in den Büschen verstummt waren, unablässig fortzuplaudern. Vom tiefblauen Himmel schaute der Vollmond auf die Winterlandschaft, nachdem die Sonne bereits vor geraumer Zeit zur Rüste gegangen. Er guckte neugierig durch die entblätterten Kronen der Waldbäume auf den Waldesgrund, den sonst das grüne Laubdickicht seinen zudringlichen Blicken entzog. Aber wie sehr er sich auch anstrengen mochte, dort etwas zu unterscheiden, es gelang ihm nicht. Denn auch der Waldboden, im Frühlinge und Sommer so bunt und mannigfach schattirt, selbst im Herbst noch einem Mosaikgemälde gleich, mit verschiedenfarbigem Laube bedeckt, – jetzt war er weiß und wieder weiß. Wo das Mondlicht seine glänzende Fläche traf, da war's als verkläre sich sein Antlitz zu spöttischem Lächeln und der unbescheidene Luftschiffer mußte ebenso einfältig, wie er gewesen, wieder abziehen. Unwillig hüllte er sich in eine undurchdringliche Wolkendecke, wie um die Schamröthe seiner aufgeblasenen Wangen zu verbergen, und setzte grollend seine einsame Wanderung am Himmel fort. Als er so sein leuchtendes Angesicht der Erde entzogen hatte, traten die bescheidenen Sterne glitzernd und schimmernd aus ihrem Versteck und schielten in die Tiefen und nach den Höhen. Aber ihr glänzender Blick erreichte diese nicht, sie standen in so weiter, weiter Ferne; umsonst bemühten sie sich, dem Schnee ihr Spiegelbild zu entlocken. Müßig hatte bisher der Wind dem Gebühren des Mondes und der Sterne zugesehen, und als er ihrer Ohnmacht inne wurde, da schwoll ihm die stolze Brust von ungestümer Schadenfreude, er war sich seiner überwältigenden Kraft bewußt. Höhnisch lachend stieß er seinen sausenden Odem hervor, der über die Tannenwipfel und durch die Buchenkronen hinfuhr und sie ihrer ungewohnten Last rücksichtslos entledigte. Sie schüttelten die Schneeflocken von Zweigen und Aesten zu ihren Füßen; dort lagerten sich diese auf den Häuptern ihrer erstarrten Brüder. Selbst die niedrigere Birke packte der stürmische Hauch und zerrte ihr den kalten Puder von den zarten Aesten, die trübselig zitternd sich beugten und gleichsam wehmüthig dem am Boden liegenden Schmucke nachschauten, dessen sie ungern entbehrten. Nur der Greis am Rande des Baches, der graue Weidenstamm, schlief fort und fort; bis zu ihm herunter verstieg der tobende Wind sich nicht. Der Alte, der mit einem Fuße schon in seinem feuchten Grabe stand, in das schon mancher seiner Nachbarn vor ihm hinabgesunken war, träumte ungestört von den Freuden seiner Jugend. Ihm war so wohl zu Muthe bei der süßen Erinnerung; er gedachte, wie noch lustig aus seinem knorrigen Haupte die schlanken Zweige mit den länglich seinen, unten seidenartig weichen Blättern hervorsproßten, auf welcher die Bachstelze sich wiegte, wenn sie sich im schimmernden Sande am Rande des Baches an Insekten und Würmern gesättigt hatte. Und des fröhlichen Knaben erinnerte er sich, der durch seinen Stamm den Blicken der Fische verborgen, sich fest an ihn anschmiegte, wenn er die lange Angelruthe mit der feingewundenen Schnur, daran am Haare der trügerische Köder hing, über die Fluthen des Baches hinausstreckte. Ach, wie oft war ihm dort eine Thräne entquollen, wenn ein einfältiger Fisch sich hatte verleiten lassen, nach der leckeren Beute zu schnappen und von dem unbarmherzigen Jungen zappelnd aus dem Wasser hervorgezogen wurde. Und dann hatte zum Dank für den Schutz, den der Baum dem Knaben gewährte, dieser ihm die Rinde mit scharfem Messer geritzt und seinen Namen hineingegraben. Dem Baum that es weh, ächzend vor Schmerz schüttelte er seine Zweige; aber als das erste Brennen der Wunde vorüber, da freute er sich doch derselben und sorgsam ließ er sie wieder vernarben, doch so, daß die Buchstabenzüge noch deutlicher hervortraten. Er war stolz darauf, den Namen des jugendlichen Burschen bewahren und auf späte Geschlechter fortpflanzen zu dürfen, wenn diesen selbst vielleicht schon ein jäher Tod früh hinwegraffen sollte. Oder kehrte nach langen Jahren der Knabe, nun ein Mann, vielleicht schon ein Greis, wieder: welche Freude für den Nestor unter den Bäumen! Der früheren heiteren Jugendtage gedenkend, suchte der rückkehrende Gast die Namenszüge in der Rinde des Alten. Siehe, da standen sie noch unversehrt, nur kräftiger hervorgehoben durch den narbigen Rand der sie umgab. Dem alten Weidenstumpf zitterte das Herz vor unaussprechlicher Freude, sein Traum war so tief, sein Schlaf so fest, der Sturmwind, der durch die Wipfel des Höhenwaldes heulte, weckte ihn nicht. –
So träumte der greise Weidenstamm in der winterlichen Schlucht, harrend des nahenden Frühlings, der ihm das kahle Haupt wieder mit frischen, grünen Locken, wenn gleich nur spärlich, umkränzen würde. Da regte sich's am abschüssigen Ufer zu seinen Füßen. An einer Stelle hatte der am Tage gefallene Schnee eine Oeffnung, von ungefähr einem Fuß im Durchmesser zugelegt. Die dünne Decke fing an sich zu bewegen, von unten her ward sie fortgeschoben, und hustend und pustend schaute ein zugespitzter Kopf mit braunen, funkelnden Augen durch die Spalte. Es war der Fuchs, der nun in seinem unterirdischen Bau ausgeschlafen hatte und sonderbar bestürzt herauslugte. Denn als er am Morgen, vom nahen Dorfe wiederkehrend, wo er einen Hühnerstall besucht hatte, in seine Wohnung geschlichen war, da war noch nirgends ein Flöckchen zu sehen gewesen, und nun es Nacht geworden, wie weiß, wie hoch bedeckt mit den glänzenden Krystallen war Alles ringsumher. Und wie kalt rieselte ihm der Luftstrom entgegen! Er war unschlüssig, sollte er in den warmen Bau auf seine bequeme Lagerstatt zurückkehren, in seinen Pelz sich hüllen und fortschlafen wie der alte Weidenbaum, oder in die kalte Winternacht hinausgehen; wie leicht könnte er sich erkälten, seine feine Stimme heißer werden! Schon schien er entschlossen zurückzukriechen, da ließ der Magen ein bedenkliches Murren vernehmen – ach er war so leer! – Seit mehr als zwölf Stunden hatte der Fuchs keinen Bissen mehr verzehrt. Nein, so ging es nicht länger, der Nimmersatte ließ sich nicht abweisen, nicht mit schönen aber hohlen Worten hinhalten, er forderte gebieterisch nach Speise, nach handgreiflicher Kost, woran Zunge, Zähne und Gaumen sich vergnügen konnten, und die den leeren Sack füllte. Da half kein Besinnen, ein Sprung und der Fuchs stand vor der Thür, ein zweiter, und er war auf der Ebene des Ufers angekommen.
Hier streckte und reckte er die Glieder rückwärts und vorwärts, gähnte mehrere Male aus Herzensgrund, schüttelte den rothbraunen, langbehaarten Pelz, wendete den buschigen Schweif nach rechts und nach links und ließ sich endlich ganz gemächlich auf seine Hinterfüße neben dem Weidenstamm nieder. Was sollte er nun beginnen, wohin sich wenden? Das waren die Fragen, welche sein Hirn durchkreuzten. Als er den Kopf emporhob, fiel sein Auge auf den Greis, zu dessen Füßen er Platz genommen hatte. Ei, ei, wie stand dem Alten im grauen Nachtgewande doch die Schlafmütze so gut, sie gab ihm ein recht ehrwürdiges Ansehen, und er rührte und regte sich nicht, so fest war sein Schlaf. Zwar hatte auf seinem unter der Bürde der Jahre gebeugten Nacken auch ein Häufchen Schnee sich niedergelassen, aber den Alten drückte die Last nicht, im Gegentheil, sie half ihm die alten, im Froste starr gewordenen Glieder warm halten. Ungestört schlummerte er fort. Den Fuchs reuete es schon, daß er sein warmes unterirdisches Häuschen verlassen, er konnte es dort ja ebenso bequem, wenn nicht noch bequemer haben, als die greise Weide. Da stand sein mit trockenem Laube weich gepolstertes Bette, da schnarchten um ihn herum Weib und Kinder, das Schnurren ihrer Stimmen lullte so süß in Schlaf. Warum hatte er sich auch herausgemacht, er, der sonst so Verständige, der immer erst so wohl überlegte, ehe er handelte, – dieß Mal hatte er sich doch selbst bethört. Schon wollte er zurückkehren in den verlassenen Bau – da murrte wieder der Magen, der ewig lüsterne, nie befriedigte. Nicht ein Mal, nein zwei Mal, drei Mal murrte er hinter einander in kurzen Pausen, das Murren verstärkte sich fast zum Bellen und dabei zog er, der Unverschämte, sich, ohne Rücksicht auf seinen Besitzer, so schmerzhaft, so krampfhaft zusammen – es war nicht zum Aushalten! Flugs sprang Reineke auf und fort ging es, ohne daß er sich umsah, in den Wald hinein.
Nach und nach kam er wieder zur Besinnung. Der ungestüme Magen war vorläufig beruhigt, als er merkte, daß der Fuchs ernstliche Anstrengungen machte, seine wohl berechtigten Forderungen zu befriedigen. Er schwieg und legte sich von Neuem auf's Warten. Reineke hemmte seine Schritte, das Laufen nützte zu nichts, am wenigsten das Laufen ohne zu wissen wohin. Vielmehr konnte es nur schaden. Nicht allein, daß es müde machte und unnöthigerweise erhitzte, es konnte auch die Eichhörnchen und die Vögel, welche im Walde schliefen, aufstören und man konnte doch nicht wissen, ob es dem Schlauen nicht gelingen sollte, eins oder das andere von ihnen, das sich gerade ein nicht allzu hohes Ruheplätzchen ausgesucht hatte, im süßen Schlummer zu überraschen und als gute Beute seinen Kindern heimzubringen. Denn für den Vater war dergleichen Speise nicht mundgerecht, nicht lecker genug; so hungrig er auch war, doch begehrte seine lüsterne Zunge ein wohlschmeckenderes Gericht, ein zartes Hühnchen etwa oder ein Täubchen aus dem Stall im Dorfe. Die schliefen noch lange und Nachts entflogen sie nicht. Er konnte sich noch Zeit lassen und sich erst einmal im Walde gemächlich umsehen.
Ueberall lag der Schnee, hier mehr, dort weniger gehäuft, aber kein Fleckchen, das nicht in seine weiße Decke eingehüllt gewesen wäre. Und die glitzerte und schimmerte so sehr, sie blendete dem Fuchs die Augen, so daß er sich nicht der Thränen erwehren konnte, die ihm den Blick verdunkelten. Gesenkten Hauptes schlich er langsam fort – Alles so still – er vernahm auch nicht das mindeste Geräusch, nur der halbgefrorene Schnee knisterte unter seinen Tritten.
Da gewahrte er etwas Dunkles auf der weißen Fläche. Sonderbar, es lag oben auf, es mußte erst, nachdem es zu schneien aufgehört hatte, dorthin gefallen oder gelegt worden sein. Der Fuchs stand wie festgebannt, er spitzte die Ohren, schnoberte mit der Nase: welch ein lieblicher Duft, welch ein köstliches Aroma quoll ihm entgegen! Dann näherte er sich behutsam, weit voraus streckte er die Schnauze – wahrhaftig, es war ein saftiges Fleischstück, frisch gebraten. Vorsichtig beleckte er es mit der Zunge und kostete. War's das Fleisch der Katze, nein, das schmeckte ihm niemals so vortrefflich! Er beleckte es noch einmal, er zog die Zunge wieder in den Mund zurück und wischte sich den Gaumen: es war Hühnerfleisch, ja, ja, seine Lieblingsspeise, ein prächtiger fetter Schenkel war's von einem Huhn und noch dazu von einem jungen, das sah der Kenner gleich der zarten, weißen Farbe des Fleisches an. Welch willkommener Bissen!
Schon wollte er ihn mit den Zähnen ergreifen, da hielt er plötzlich inne und prallte einige Schritte zurück. Halt, dachte er, es könnte doch auch Betrug bei der Sache sein! Die Jäger sind verschmitzt genug, und sie stellen Eisen und Fallen. Wenn nun ein so verwünschtes Eisen dahinter steckte, das ihm den Fuß klemmte, dann wär's aus mit ihm für immer! Die Sache mußte näher untersucht werden.
Mit lüsternen Sprüngen umkreiste er den leckeren Bissen, hier tastete er vorsichtig mit vorgestreckter Pfote, dort mit der Schnauze im Schnee. Aber nirgends entdeckte er etwas, das an ein Eisen erinnerte oder die Nähe einer Falle anzeigte. Er setzte sich noch einmal nieder, senkte den Kopf, streckte den Schwanz hinten aus, kratzte sich mit dem rechten Vorderfuß hinter das Ohr und überlegte. Und wer weiß, wie lange er noch so nachsinnend würde dagesessen haben, ohne es zu wagen, den lieblich duftenden Brocken anzurühren, wenn nicht der Magen zum dritten Male gemurrt hätte, weit unverschämter als zuvor. Er rumorte so arg, wie wenn er schalt über die Feigheit seines Besitzers, schmerzhaft rieb er seine dürren Wände und gab empfindlich genug zu verstehen, wie unverantwortlich es sei, ihn Angesichts einer so trefflichen Speise auch nur einen Augenblick noch warten zu lassen. Die Forderung war gerecht, die Pein unerträglich, schier ging es dem Fuchs an's Leben!
Mit einem beherzten Satz sprang er vorwärts, faßte den Bissen und – verschlang ihn. Nun war die Angst vorüber, es war nur ein sogenannter Vorwurfsbrocken gewesen, dahinter lagen noch deren mehrere, und erst in weiterer Entfernung stand das Eisen. Aber weiter wollte der Glückliche die Untersuchung nicht treiben, wieder war der murrende Quälgeist, für eine Zeit lang wenigstens, beschwichtigt. Der Fuchs wischte sich den Bart, kniff die Augenlider zusammen, und sprang in anderer Richtung eilends davon.
Indessen bald mäßigte er seine Schritte. Wozu auch die Eile? Die Nacht war noch lang. Und wohin wollte er denn eigentlich? Das Dorf an dem Waldessaum mit den warmen Hühnerställen und Taubenschlägen sollte ja das Ziel seiner Wanderung sein. Wohinaus lag es? Er hatte ganz des Weges vergessen, und der sonst so leicht zu findende Pfad, der schmale Fußsteig, der zwischen den Bäumen hindurchführte, er war verschneit, dicht verschneit, gänzlich verschwunden. So sehr Reineke auch sein Auge anstrengte und mit erhobenen Nüstern umherspürte, umsonst – der Pfad, der in kürzester Entfernung zum Dorfe leitete – weg war er.
Fatal, in der That, sehr fatal! Im Walde umherstreifen auf falscher Fährte, in der rauhen, kalten Winternacht, wo nicht einmal ein Mondstrahl sich durch die grauen Wolken stahl, und wohl gar sich verirren, statt rechts nach links, statt vorwärts, rückwärts gehen, vielleicht dem Spürhunde des streifenden Försterburschen begegnen und mit diesem ein eben nicht allzufreundliches Rendezvous halten, im schlimmsten Falle ein etwas unzärtliches tête à tête, bei dem es ohne Verlust einiger Blutstropfen nicht abgehen würde, dazu am Ende noch einen Streifschuß aus der Büchse des vorwitzigen Jägers – und dann ist die schöne Zeit dahin, dann dämmert der Morgen wieder, dann werden die Schläfer wieder wach, die Hühner werden hinausgelassen, die Tauben fliegen aus dem Schlage in's Freie, – o dann, mit leerem Magen – hu, wie knurrt er schon wieder! – mit leerem Magen hungrig zu dem hungernden Weibe und den hungernden Kindern mit zerbrochener Lende, blutender Schnauze zurückkehren, nein, zurückhinken – weiter vermochte Reineke das grausige Geschick nicht auszudenken. Er mußte einen festen Entschluß fassen, so in's Blaue hinein durfte er nicht weiter.
Da streckte der Mond sein Angesicht aus den Wolken, von seinen Wangen war längst die Röthe der Scham verschwunden, sie glänzten wie gediegenes Silber und entsandten so leuchtende Strahlen auf die Erde hinab, in den Wald hinein, durch die blätterlosen Baumzweige bis hinunter auf den Boden, daß es wie mit einem Zauberschlage fast so hell war wie am Tage. Reineke warf dem alten Freunde, der ihm dort oben zu guter Stunde leuchtete, einen dankbaren Blick zu, dann strengte er alle seine Sehkraft an und schaute umher.
Halt! was war das? Da lag der Schnee ja nicht mehr so ebenmäßig vertheilt, wie sonst überall. Einige Eindrücke waren sichtbar, es mochte wohl ein Thier des Weges gekommen sein, etwa gar ein Fuchs, der schon vor unserem den Wald durchsucht, das Dorf, den Hühnerstall, den Taubenschlag durchstöbert – geplündert – ausgeleert hatte. Reineke war wie vom Schlage gerührt; das wäre ja der Schrecken aller Schrecken!
Gemach, gemach, die aufgeregte Phantasie spielte ihm heute aber auch manchen ärgerlichen Streich. Man mußte doch erst verständig untersuchen, nachsehen, woher denn jene Spuren rührten. Er senkte die Nase, er schnoberte, das war kein Geruch von seines Gleichen. Er betrachtete aufmerksam die Gestalt der Spuren, so lang, so breit war keines Thieres Fuß, es waren Menschentritte.
Aha! also der Förster oder sonst ein Jäger war hier gewesen, das Eisen aufzustellen dort unten, und die Vorwurfsbrocken auf den frischgefallenen Schnee zu legen, um den Fuchs zu kirren. Ja so! Nun wußte er mit einem Male, welcher Gefahr er entronnen. Ja, das mußte er sagen, trotz seines wüthenden Hungers, seiner theilweise unvernünftigen Hast, seiner mehr als sonst aufgeregten Phantasie und vor Allem trotz der sehr empfindlichen, lärmenden Mahnungen seines Magens – dennoch hatten sein Verstand, seine Vorsicht, seine Schlauheit den Sieg davon getragen. Nein, einen Fuchs, zumal einen alten, der Weib und Kind hat, betrügt man nicht so leicht, mein lieber Waidmann! – Er putzte sich selbstgefällig den Bart, schüttelte sich mit heiserem Lachen und wedelte mit der buschigen Standarte.
Das stolze Selbstgefühl fachte seinen Zorn an. Ueberhaupt thäten die Jäger besser, dem nichtsnutzigen Hoch- und Schwarzwild aufzupassen und der schlankgebauten Füchse zu schonen. Solch ein Hirsch, der das reife Kornfeld mit seinem Huf zerstampft und die Hoffnung des Landmanns rein aus Uebermuth und Leckerei abwaidet – der verdient schon den Tod. Ebenso der Eber und die Sau, die mit ihren Hauern den Boden aufwühlen und alle jungen Anpflanzungen zerstören. Ja, auch die räuberischen Marder und Dachse, besonders die letzteren, die nicht einmal dem Fuchs gestatten, es sich in ihrem Bau nach Belieben bequem zu machen, die mögen die Jäger vertilgen. Die nichtsnutzige Brut verdient's nicht anders. Aber wenn der Fuchs nicht wäre, wer hielte den Bauern das Saatfeld von Mäusen rein? Wer setzte der Zerstörungswuth der wühlerischen Maulwürfe ein Ziel? Wer sorgte dafür, daß nicht die Eichhörnchen den Eichbaum plündern, damit doch auch die Schweine ihren Antheil bekommen, und der Bauer seinen Speck auf dem Tische und seinen Schinken im Rauch habe? Wer ginge überhaupt so hilfreich dem Menschen bei der Vertilgung all des zahllosen Ungeziefers zur Hand, das recht nach Schmarotzerweise erntet, wo es nicht gesäet hat und ohne Rücksichten stiehlt und raubt, was ihm beliebt. Das Bischen Hühner- und Taubenblut, was der Fuchs dagegen für sich nimmt, könnte man ihm wohl gönnen, und überholt er einmal einen Hasen oder beschleicht ein junges Rehlein, das im Waldesschatten ruht – nun, so bleibt doch davon noch genug als Braten für die Herrentafel. Merkt's Euch, ihr Jäger.
Doch die Fußspur! – Ja richtig, da hinaus geht sie, – die führt also nach der Försterwohnung bis an das Hinterpförtchen in der hohen Planke, welche den Hofraum einfaßt. Von dort rechts hinunter geht's zum Dorfe, der Weg ist dann nicht mehr weit. Freilich ein Umweg ist es; aber dieß Mal ein sicherer, der zum Ziel führt. Mit raschen Sätzen sprang der Fuchs die Spur entlang.
Als er sich der Wohnung des Försters näherte, trabte er langsamer. Hinter der Umzäunung des Hofes hausten die leicht schlummernden Hunde. Es wäre doch Sünde, die armen Burschen, die den ganzen Tag hindurch im Walde und auf der Haide umhergehetzt waren, in ihrem Schlafe, noch dazu in dem besten, vor Mitternacht zu stören. Nein, so hartherzig, so unbarmherzig war der Fuchs nicht. Zwar, es waren seine Feinde, unter allen Hunden die Schlimmsten. Sie verstanden es am besten, seinen Bau aufzuspüren – besonders die Dachshunde, die kleinen mit den schiefen Beinen und den scharfen Zähnen – unermüdlich waren sie im Verfolgen über Stock und Stein, keine Hecke war ihnen zu dicht, es ging hindurch, kein Graben zu breit, sie setzten hinüber oder schwammen hindurch, niemals ging ihnen der Athem aus, und dann schonten sie keines, sie gaben kein Pardon, sie bissen noch beim letzten Athemzuge – wüthend knirschte er mit den Zähnen, wilder Grimm zuckte durch seine Glieder – sie verdienten nicht die mindeste Schonung. Aber man soll ja auch die Feinde lieben! O, Reineke war so edelmüthig, so hochherzig – leise, ganz leise, den buschigen Schweif zwischen die Hinterbeine gesteckt, mit gesenkten Ohren, gebeugtem Haupte, blinzelnden Augen, so schlich er an der Umzäunung vorüber. Alles blieb still, mäuschenstill.
Kaum hatte er die Försterwohnung im Rücken, so setzte er sich wieder in Trab, und je mehr er sich dem Dorfe näherte, von welchem nur noch eine einzige Wiese ihn trennte, desto hastiger wurden seine Schritte. Laut pochte sein Herz vor Freuden, heiß rollte das Blut durch seine Adern – bald, bald, war alles Sehnen gestillt, alle Angst vergessen, dann schwelgte er mit seliger Wonne, im warmen, süßen Blute des Geflügels.
Als er an die Wiese gelangte, stieß er auf eine Dornenhecke. Ungeachtet die Büsche der Blätter beraubt waren, war ihre Verzweigung doch so unangenehm dicht und die einzelnen Aeste so unbiegsam, so dürr und steif, dazu mit langen, spitzen Dornen bewehrt, daß, ohne ein Häufchen Haare zurückzulassen, kein Durchkommen möglich war. Und drüben vor der Hecke die Wiese, die lag so hell beschienen da im Mondlichte wie am Tag, ja fast noch heller. Der glänzende Schnee warf blendend das bezaubernde Licht zurück, jedes Stäubchen wäre auf der weißen Decke bemerkbar gewesen. Wer konnte nun wissen, was hinter der Hecke lauerte, die von allen Seiten die Wiese umgab? Etwa wieder ein feinnasiger Stöberhund – Reineke prüfte sein Gebiß – mit dem würde er allenfalls noch fertig. Aber wenn's ein Jäger wäre, mit einer verwünschten Flinte, vielleicht gar mit einer doppelläufigen, und wenn er mit dem einen Rohr sein Ziel verfehlte, so doch wohl kaum mit dem andern – das wäre schon schlimmer. Freilich, wenn's nur mit Hagel geladen sein sollte, mit dem feinkörnigen, mit dem man die Schnepfe und die langgeschnäbelte Beccassine schießt, – dawider schützte allenfalls noch der gute Winterpelz, oder wenn auch das nicht, – solch ein Bischen Blei unter der Haut, selbst im Fleische, das brächte noch nicht den Tod, ein Bischen Brennen, nun, dafür wäre der kühle Schnee schon heilsam, und ein wenig Schwären, auch das ließe sich noch ertragen. Aber wer weiß, der Jäger könnte dem Hirsche aufpassen, oder gar einem Wolf, solch eine grimmige, blutdürstige Bestie sollte sich hieher verirrt haben – und dann steckte ja eine Kugel im Rohre, nein, zwei, eine in jedem Laufe – hu, es überlief ihn kalt. Sie könnten allerdings beide vorbeifliegen, man hatte schon Beispiele davon, aber es könnte auch ebensowohl, wenn nicht die erste, so doch die zweite treffen. Freilich solch einen Klumpen von dem blauen Metall zu verschlucken, das wäre keine Kleinigkeit. Und wenn sie nun gar beide träfen, die eine das Bein, die andere das Herz – –. Nein, meine Phantasie ist auch gar zu wild, dachte der Fuchs und schielte durch die Hecke auf die mondbeglänzte Wiese. Dann wendete er den Blick nach dem Monde. So sehr erwünscht ihm noch vor Kurzem dessen Erscheinen gewesen, so hinderlich war es ihm jetzt, daß er sein volles Angesicht so gänzlich unverschleiert zeigte. Erwog er es genau, so war es doch wohl unhöflich, ja noch mehr, – frech, frivol war es, so ganz allein zur Nachtzeit ohne Schleier sichtbar für Jedermann und noch dazu so heiteren, lachenden Angesichts durch die Luft zu segeln. Der Mond hatte auch gar wenig Anstand gelernt, gewiß, sonst würde er ja nicht so geradenwegs auf die schlummernde Erde herunterblicken, sondern sich fein bescheiden zurückziehen, um jene nicht im Schlafe zu stören! – Der Fuchs pausirte ein wenig, er mußte sich seine mißmüthigen Gedanken zerstreuen, er schlug die Augen nieder.
Aber wie? hatte der Mond ihn verstanden und war in sich gegangen. Er wurde ja mit einem Male so finster. Als er den Blick wieder nach der Wiese wendete, war der helle Glanz verschwunden, nur der Schnee glitzerte noch ein wenig. Düstere Wolken hatten sich vor die Mondscheibe gelagert. Sie zogen langsam an ihr vorüber. Bald konnte sie wieder unverhüllt herableuchten. Die Zeit drängte – horch, schon krähte der Hahn – es war Mitternacht vorüber – wie laut krähte doch das alberne Vieh, wollte es wohl gar den Knecht, die Magd wecken, damit diese, wenn's nachher ein wenig unruhig werden sollte im Hühnerstalle, mit der Heugabel den Gast, der sich selbst zu Tische geladen, verscheuchten, vielleicht gar spießten.
Wieder so unheimliche Phantasiegebilde! Es war doch schier zu arg. Das kommt aber von dem leeren Magen, der verlor beinahe die Geduld und murrte zum vierten Mal.
Mit behendem Sprung brach der Fuchs durch die Hecke, freilich ein wenig geschunden – aber horch, da krähte der Hahn schon wieder, es war die höchste Zeit. In weiten Sprüngen ging's über die Wiese, dann abermals durch die Hecke – schade um die schönen Haare des Schweifes, die an den Dornen hängen blieben. Nun den Zaun entlang, in den Hof vor dem Bauernhause hinein. Still! regte sich etwas? Der Fuchs hielt an und lauschte. Vielleicht ist es ein Hund, der vergebens zu schlafen sucht und nun schnobernd und horchend umherschleicht. In die Hölle mit dem Nachtwandler. Doch nein! Das war es nicht. Wieder dasselbe Geräusch! Es ist der Hahn, der ausgeschlafen, und nun die Flügel reckt und dehnt und sie raschelnd wieder zusammenlegt. – Ja so! Das ist nicht zu fürchten, im Gegentheil sehr willkommen, es zeigt dem Lauscher, wo der Stall liegt. Dort rechts in der Ecke!
Reineke schleicht behutsam dahin, er legt das linke Ohr an die Wand, er horcht. Richtig, hier sitzen die Hühner. Aber wie ist ihnen beizukommen, sie sind ja wie in ein ehernes Schloß versperrt, nirgends weder Ein- noch Ausgang. Er schnobert mit der spitzigen Nase – o weh! die stößt an, es ist auch so finster hier, der Mond könnte jetzt auch wohl noch einmal wieder einen Blick hinter den Wolken herausthun. Jetzt wäre es schon etwas anderes, nun die Erde beinahe ausgeschlafen, der Morgen bald zu dämmern beginnt. Aber gerade wenn man seine Laterne gebrauchen will, dann hat er sie ausgeputzt. Nun nur nicht die Geduld verloren, der Kluge findet sich auch im Dunkeln zurecht.
Also da war's, woran die Nase sich stieß. Der Fuchs reckt die Pfote aus. Ein Knacken ist es, er läßt sich drehen. So! so sitzt er besser, gerade recht, nicht so verzwickt in die Quere. Und Potz tausend, das sieht mir ja aus wie ein Pförtchen, gerade hoch genug, um ein bescheidenes Huhn in's Freie zu lassen. Ein hochmüthiger Hahn, der den Kopf stolz in den Nacken wirft, den rothen Kamm aufrichtet, die geschweiften Schwanzfedern aufspreizt, der muß sich freilich bücken, um hindurchzutreten. Aber man kennt ja die stolzen Schmarotzer, die gern speisen, wo gar nicht für sie gedeckt ist, auf der Tenne bei den Dreschern – selbst der Kornboden ist ihnen nicht zu hoch, sowie nur die Luke offen steht, gleich fliegen sie hinauf – die Burschen bücken sich gern, wenn's nur was zu schnappen gibt. Ich hätte wirklich Lust, solch einen frechen Buben gehörig durchzuzausen. Ja, warte nur – wieder krähte der Hahn – warte nur, du Schreihals, der du andern ehrlichen Leuten die Morgenruhe mißgönnst, du entrinnst mir nicht!
Unterdessen hatte Reineke mit den Pfoten an der niedrigen Thüre gezerrt: nun flog sie auf, er hinein und – lassen wir den gierigen Räuber allein unter seinen wehrlosen Opfern!
Während der Fuchs mit einem teuflischen Behagen im Hühnerstall des Dorfes würgte und weder Knecht noch Magd, die an der entgegengesetzten Seite des Hauses, von den Anstrengungen der schweren Tagesarbeit ermüdet, in eisernem Schlafe lagen und nichts von dem Angstgeschrei und dem lärmenden Hin- und Herflattern der unglücklichen Hühner vernahmen – rüstete man auf dem eine Meile entfernten Edelgute bereits sich zur Treibjagd. Die Schützen freilich, der Besitzer des Guts, Graf Hornberg und seine Gäste, die erst kurz vor Mitternacht vom fröhlichen Bankett aufgestanden waren, ruhten noch in den seidenen Dunenbetten in tiefem Schlummer. Im Schlosse war es noch mäuschenstille, desto lauter aber im Stalle.
Hier waren Reitknechte, Diener, Stallknechte und Stalljungen bereits in voller Bewegung, denn bald nach Sonnenaufgang waren die Treiber bestellt, sich auf dem Schloßhofe zu versammeln und dort weiterer Befehle, die der Graf persönlich ertheilen wollte, zu warten. Dann wollten die Herren zu Roß steigen und auf einem Umwege, auf welchem man noch den Hochofen des Eisenwerks, das dem Gutsherrn gehörte, besichtigen wollte, nach dem Anstand sich begeben.
Daher wurden die Pferde schon gefüttert – man mischte ihnen dies Mal mehr Häckerling unter den Hafer als gewöhnlich, damit sie nicht so sehr vom Schweiß zu leiden und recht geschmeidige Glieder hätten – sie wurden gestriegelt und gewaschen, die Hufen geschärft, daß sie nicht ausgleiten möchten auf dem gefrornen Schnee. Die Reitknechte putzten am Geschirr und rieben das Leder der Zäume mit Fett ein, dann untersuchten sie die Riemen am Sattel, welche die Steigbügel trugen, ob sie auch noch fest und dauerhaft genug, um den Reiter, wenn er sich in die kurzen Bügel mit dem ganzen Gewicht seines Körpers stemmte, zu tragen; sie prüften die Gurte und die Schnallen daran, welche heute besonders fest den Thieren um den Leib gelegt werden mußten, weil dieser nach scharfem Ritte bedeutend zusammenschrumpft. Die silbernen Sporen wurden blank gerieben, die hohen Jagdstiefeln sorgsam geschwärzt – es war ein Wetteifer unter den Burschen, wer seine Sache am besten mache. Das gab Veranlassung zu munteren Scherzen, zu Rede und Gegenrede, der Stall und die angrenzenden Geschirrkammern hallten wieder von heiterem Gelärme. Dazu scharrten die Pferde mit ihren Hufen klirrend den gepflasterten Boden, die Hengste wieherten an der vollen Krippe, andere zerrten rasselnd mit den Halfterketten, an welche sie befestigt waren, das frische Heu aus den Raufen oder schlugen pochend an die Bretterwand, welche ihr Lager von dem des Nachbars trennte. Dazwischen tönte die derbe Stimme der Knechte, welche die ungestümsten der Thiere zur Ordnung riefen oder, wenn eins beim Striegeln sich ungebärdig zeigte, ihm ein lautes Drohwort sagten – es tönte der Hammer des Schmiedes, der die Hufen nachsah, ob auch die Eisen der festigenden Nachhilfe bedurften, die Feile schwirrte, womit sein Gehilfe die Nägel der Hufeisen schärfte; hier fiel die wuchtige Hand eines Knechtes prasselnd auf den Nacken eines unruhigen Pferdes, bei dem er sich vergebens bemühte, die geflochtene Mähne zu lösen und mit dem angefeuchteten Kamm zu glätten, dort stieß ein Anderer ein derbes Wort heraus, dem der Hengst nicht gestatten wollte, den Huf in den Eimer voll kalten Wassers zu tauchen; die Stallburschen prüften den Klang der Peitschen und klatschten damit auch wohl mehr als gerade vonnöthen, dann klopften sie mit schlankem Rohrstab den Staub aus den gold- und silbergestickten Schabraken, hier rief ein Reitknecht nach einer Laterne, dort ein zweiter nach Fett, ein dritter, dem eine Schnalle beim Putzen zerbrochen, schimpfte über den betrügerischen Riemer, ein vierter, der die Zeit verschlafen und jetzt erst aus den Federn kroch und noch nur halbangekleidet in den Stall trat, ward mit lautem Hohngelächter empfangen – kurzum, es war ein Getöse und Toben in dem geräumigen Stallgebäude, daß Jeder nur schwer sein eigenes Wort verstehen konnte, Pferde und Menschen stampften, pochten, scharrten, rasselten, schrieen, schimpften, lachten und lärmten in tausend verschiedenartigen Tönen wirr durcheinander.
An der entgegengesetzten Seite des Schloßhofes lag das Jägerhaus. Hier war es nicht weniger geräuschvoll, denn schon am Tage vorher war eine Jagd gehalten worden und nun mußte alles Jagdgeräthe für die große Treiberei wieder in den Stand gesetzt werden. In einem großen Gemach, wo rings an den Wänden Flinten, Büchsen und Hirschfänger neben Jagdtaschen und Schrotbeuteln aufgehängt waren, saßen die Jäger und putzten die eigenen Gewehre und die Doppelläufe ihrer Herren. Sorgfältig untersuchten sie die Schlösser, nahmen sie auseinander, reinigten die einzelnen Theile, bestrichen die Federn mit Oel. Dann schraubten sie sie wieder zusammen und prüften die Federkraft des Hahns und des Drückers. Zugleich untersuchten sie den Lauf, den sie auch, wenn es ihnen nöthig dünkte, vom hölzernen Schafte lösten, sorgfältig reinigten und darauf wieder befestigten. Der Beschlag am Kolben ward abgerieben, jeder noch so kleine Rostflecken sorgsam entfernt, die Schnalle am Schulterriemen geputzt – alles Metall, ob Eisen, Stahl, Messing, Silber, es mußte blitzen und blinken, wie wenn es ganz neu wäre. In derselben Weise wurden die Hirschfänger behandelt, aus deren breiten, zweischneidigen Klingen wohl hie und da eine Scharte auf einem Schleifstein ausgewetzt wurde. Im breitbauchigen Kachelofen des Zimmers brannte ein loderndes Feuer, muntere Unterhaltung, lustiger Gesang würzte die mühsame Beschäftigung.
Im hinteren Theile des Jägerhauses lagen die Hundeställe. Die Thiere waren bereits von dem Geräusch auf dem Hofe vollständig munter geworden. Sie heulten und schnauften, die eben erst vom Schlafe erwachten gähnten und streckten sich. Nicht alle hielten nachbarliche Freundschaft. Hier zauste sich spielend ein Paar bei den Ohren, dort tummelten sich zwei andere wild herumspringend. Aber aus dem anfänglichen Spiel ward bald bittrer Ernst. Der Eine glaubte sich von dem Andern über Gebühr gezerrt, er biß um sich, oder es behagte ihm nicht, die Neckereien zu erwidern, er wies bleckend die Zähne. Jeder der Streitenden fand einen Anhang, der sich auf seine Seite schlug – auch unter den Hunden herrschte die allen Frieden untergrabende Parteisucht – das Balgen artete in eine wüthende Beißerei aus, die Verwundeten heulten, die Muthigsten bissen tüchtig darauf los, die Furchtsamsten verkrochen sich in eine Ecke und kläfften vor Angst, ein Corps der Aeltesten, die weder Spiel noch Kampf liebten, bellten aus voller Kehle oder knurrten im tiefsten Baß, wie um dem Streit gebieterisch ein Ende zu machen – mit einem Wort auch hier herrschte ein Höllenspektakel. Erst als die Jägerburschen die Freßtröge mit erwärmter Speise füllten, legte sich der Sturm, und die Stille, die nun eintrat, wurde nur selten von einem unwilligen kurzen Geheul unterbrochen, welches derjenige ausstieß, dem der Nachbar einen leckeren Bissen, den er sich schon lüstern ausersehen hatte, unversehens vor der Nase wegschnappte. Dann aber genügte ein ernster Zuruf des das Frühstück beaufsichtigenden Burschen, um fernere Zornausbrüche zu verhindern.
Mit Sonnenaufgang sammelten sich die Bauern im Schloßhofe. Dieser ward dem Herrenhause gegenüber von einem langen Wirthschaftsgebäude eingefaßt, in dessen Mitte ein breiter Thorweg hindurchführte. Ueber seine Wölbung, die bis in's zweite Stockwerk hineinreichte, erhob sich ein viereckiger Aufbau, welcher das Fundament eines Thurmes ausmachte. Zwischen den säulenartigen Pfeilern desselben, welche die in spitzem Bogen auslaufende Kuppel trugen, hing eine Glocke; im Unterbau des Thurmes war die Uhr, welche das eine ihrer Zifferblätter mit vergoldeten Zahlen dem Schlosse, das andere der Allee zukehrte, welche mitten durch die Felder des Gutes hindurch in den Thorweg hineinführte. Die alten Kastanienbäume standen trauernd mit ihrem dürren Gezweige da, das sie im Morgenwind schüttelten, ohne daß die über Nacht festgefrorene Schneekruste heruntergefallen wäre. Die Quelle des nährenden Saftes war in ihren Adern versiegt, sie schliefen den langen Winterschlaf, um bei dem erwachenden Frühling mit frischen Kräften Zweige und Blätter zu treiben.
Mit dem Schlage sechs Uhr sprangen die Thüren des Pferdestalls auf. Die Diener führten die gesattelten Pferde vor die Schloßtreppe, mit lautem Gewieher begrüßten die wohlgenährten Thiere den jungen Morgen. Ungeduldig scharrte der Huf den Schnee, und manches Zucken der Reitknechte am scharfen Gebiß bedurfte es, um die Munterkeit der Pferde in Schranken zu halten. Lieber wären sie gleich im Galopp davon gesprungen, am liebsten ohne Zaum und Zügel.
Hinter ihnen stellten sich die Bauern auf, meist rüstige Bursche in langen Kitteln von eigengemachtem Zeuge, einem derben Knotenstock in der Hand. Man wußte noch nicht, wohin der Jagdzug gehen werde. Das veranlaßte ein eifriges Hin- und Herfragen; dieser vermuthete, man wolle das Thal, darin die Mühle lag, absuchen, jener meinte die Stoppelfelder rechts vom Hofe. Ein lautes Gemurmel lief durch die der Befehle des Gutsherrn harrende Versammlung.
Da öffnete sich die Thür des Jägerhauses. Wie blitzten die blanken Waffen in den ersten Strahlen des Frühroths, als die Jäger und Diener, mit Gewehren und Hirschfängern bepackt, auf den Hof traten. Sie wendeten sich zur Seite und gingen durch eine Nebenthür in's Schloß, den Herren die Waffen zu bringen.
Heulend stürzte die Meute der Hunde aus dem Stall. Mit straffer Leine zügelten die Jägerburschen die ungeduldige Rotte. Die Hühnerhunde, weiß mit braunen Flecken, hoben die Nüstern hoch empor und sogen die frische Morgenluft begierig ein, die kleinen Dachshunde kläfften und kratzten mit den schiefgebauten Vorderfüßen im Schnee. Murrend vor Freude und Ungeduld sprangen die breitgeschnauzten Doggen, leichtfüßig tanzten die schlanken Windhunde, die feinen Köpfe gesenkt, als wenn die kalte Schneekruste ihre Füße unangenehm berühre.
Da ward die Hauptthür des Schlosses geöffnet und Graf Hornberg erschien mit seinen Gästen auf der Treppe. Er trat an's Geländer, lüftete die leichte Jägerkappe und wünschte den Versammelten einen herzlichen »Guten Morgen«. Ein lautes Hurrah war die Antwort auf den freundlichen Gruß des allbeliebten Gutsbesitzers. Dann wies er die Bauern an, nach der ausgedehnten Rapssaatkoppel, welche diesen Winter hindurch brach lag, zu treiben, und ermahnte sie, aufmerksam Kette zu halten. Er wünsche den Hirsch, der seit Kurzem aus dem Buchenforst in's Blachfeld eingebrochen sei, zu erlegen und wenn irgend möglich auch ein Stück Schwarzwild abzufangen. Dieser Befehl kam den Bauern sehr gelegen, die weder der Hirsche noch der Eber Freunde zu sein pflegen. Sogleich zerstreuten sie sich nach allen Richtungen und die Herren bestiegen ihre Rosse.
Vor dem kurz gehaltenen Zäumen tanzten die edlen Thiere ungeduldig über den Schloßhof durch das Thorhaus. Weit hinten aus streckten sie den Schweif, kauten am stachligen Gebiß und ließen nicht eher von ihrer Unruhe ab, bis die Reiter ihnen die Sporen gaben und nun die Renner im eilenden Galopp die Kastanienallee hinuntersprengten. Am Ende derselben angekommen, war das erste Aufbrausen ihres Muthes gedämpft, sie leisteten jetzt schon williger dem Druck der Zügel und des Schenkels Folge.
Hier wandte man sich rechts eine Schlucht hinab, die an beiden Seiten von einem Steinwall, der mit einer hohen Dornenhecke besetzt war, eingefaßt wurde. Je zwei neben einander trabten die Herren den dichtbeschneiten Pfad hinab, ihnen folgten die berittenen Diener und Bursche. Die Hunde waren auf einem näheren Fußsteig, der über die Stoppelfelder und am Saum einer Tannenhölzung entlang lief, nach dem Platze, wo die Jagd gehalten werden sollte, geführt worden.
Im Grunde der Schlucht lag eine Wassermühle an einem Bache, dessen Fluthen jetzt mit Eis bedeckt waren. Neben dem Müllerhause, in dessen einem Flügel nun auch die sonst so lustig klappernden Räder ruhten, lange Eiszapfen an den schwarz angestrichenen Schaufeln, lief eine Brücke, von starken hölzernen Pfeilern getragen, über das Wasser. Als die Hufe der Rosse die bretterne Unterlage berührten, donnerte diese unter ihren Füßen. Tönend ging der Zug hinüber, manch ein Pferd schreckte vor dem Gepolter und wandte verzagt das Auge über das niedrige Geländer. Es drängte sich scheu seitwärts, schäumte in den Zügel, hob die Vorderfüße wie zum Springen, aber der Sprungriemen hinderte es, sich auf den Hinterfüßen zu bäumen, und ein Schenkeldruck, ein Sporenkitzel erinnerten es daran, daß es gerade aus zu gehen und seinem Reiter zu gehorchen habe. Dann wand sich der Pfad wieder sanft bergan. Im kurzen Galopp sprengte die Reiterschaar die Anhöhe hinauf. Welch großartiger Anblick harrte ihrer, als sie die Spitze erreicht hatten, auf der sie einen Augenblick anhielten.
Vor ihnen im tiefen Grunde, über welchen das Licht der eben erst aufgegangenen Sonne nur flüchtig hinstreifte, lag noch im Schatten der Nacht ein ausgedehnter Föhrenwald. Auf den düstern Aesten des Nadelholzes ruhte der weiße Schnee, der mit der dunkeln Farbe des Gezweiges einen grellen Contrast bildete. Doch erschien der Wald, aus der Ferne gesehen, so wenig dicht, daß das finstere Schwarz der Bäume das vorherrschende Colorit des Thalgrundes bildete, hinter welchem sich wieder eine weiß verschleierte Hügelkette erhob. Und über die Kronen der Tannen und Föhren inmitten des Waldes lohte ein glühender Brand, hoch schlugen die Flammen gen Himmel und glänzten im Licht der Morgensonne. Ueber ihnen wirbelte eine graue Rauchwolke, welche der Wind vor sich her jagte. Das war der Hochofen der Eisenschmelze, wo in zierlichen Formen Oefen und anderes nützliche Eisengeräthe gegossen wurde.
Ein Ausruf der Bewunderung entfuhr Aller Brust. Dann, als man das erhabene Schauspiel lange genug betrachtet, ging es die sanft abfallende Anhöhe hinab in den Tannenforst hinein. Hier ließ man auf dem festgefrorenen Waldpfade den Pferden die Zügel, die in weiten Sprüngen bis zu den ausgedehnten Gebäuden des Eisenwerkes hinbrausten. Nachdem man in der Nähe die fürchterliche Gluth besichtigt hatte, welche im weiten Bauch des Ofens brodelte und das Erz zu flüssiger Masse zerschmolz, schlug man einen Nebenweg ein, der in kurzer Entfernung wieder aus dem Walde hinaus in's Freie führte.
Schon ward aus der Ferne das Hallohgeschrei der das aufgescheuchte Wild einkreisenden Bauern vernommen, und da man nun genöthigt war, den Kreis der Treiber zu durchschneiden, welche dem Winde entgegen Hirsch und Eber aufjagten, so sprengten die Reiter abermals mit verhängtem Zügel über die Ebene, um den Jagdthieren nicht in den Weg zu kommen. Darauf wandten sie sich links in einen Hohlweg, der nach dem für den Anstand verabredeten Platze führte, und auf schäumenden Rossen, selber erhitzt vom scharfen Ritt, langten sie an der unbesäeten Rapssaatkoppel an. Die Diener und Reitknechte, welche bisher den Herren gefolgt waren, sprengten nun herbei und nachdem die Jäger abgestiegen waren und ihre Gewehre aus den Händen der Diener empfangen hatten, führten diese die schweißtriefenden Rosse beiseits hinter eine Hecke, wo sie vor dem schärfsten Windzuge geschützt, zugleich außer dem Bereich des Jagdterrains waren, hüllten sie in warme Decken und stiegen dann selbst von ihren Pferden, um sich an dem mitgenommenen Frühstück zu erquicken und des Ausgangs der Jagd zu harren. Die Herren umstellten das Revier und warteten gespannt des heranstürmenden Wildes.
Inzwischen war unser Fuchs im Hühnerstall ungestört thätig gewesen. Nachdem er seine Mordlust gestillt, ergriff er noch ein fettes Huhn mit den Zähnen, um es als leckere Beute den Seinen daheim zu bringen. Schon hatte er die gefährliche freie Wiese hinter sich, über welche er jetzt mit einiger Beschwerde in raschem Laufe gesetzt war, und gedachte der Freude von Weib und Kind, wenn er, selbst gesättigt und ohne einen Antheil für sich zu beanspruchen, ihnen das prächtige Huhn reichen würde, als er aus dem Walde, in den er gerade hineintreten wollte, ein dumpfhallendes Geräusch vernahm. Das bereits angebrochene Tageslicht, das mit jeder Sekunde immer heller aufdämmerte, ließ ihn jetzt sich leichter zurechtfinden, als er bei den zwar glänzenden, aber doch unsicher flimmernden Mondstrahlen dazu im Stande gewesen. Daher wollte er den Rückweg geradeaus durch den Wald nehmen, besonders auch um die Försterwohnung zu vermeiden, in deren Nähe er sich nicht gern, namentlich nicht gern am frühen Morgen, wenn die Hunde ausgeschlafen hatten, antreffen ließ.
Aber das fremdartige Geräusch, das ihm aus dem Dickicht entgegenhallte, hemmte seine ohnehin nicht schnellen Schritte vollends. Er war so müde nach dem heißen Gefecht im Hühnerstall, der alte Magen, nun gefüllt, nicht weniger lästig als vorhin, da er leer war, er war ihm eine recht unbehagliche Bürde; die straffen Weichen zeigten, wie schwer er daran schleppe. Alsbald legte er sich in den Schnee, sein Huhn vor sich, und horchte. In der That, es war ein übler Nachtisch, so alle Seh- und Gehörkraft anstrengen zu müssen. Die vorausgespitzten Ohren sanken allgemach herab, die Wimpern fielen zu, der Kopf lehnte auf die Brust, er schnarchte. Plötzlich fuhr er auf, das Geräusch kam näher, die Zweige der Bäume krachten, der Schnee am Boden knirschte, es war ein Eber, der durch das Dickicht sich Bahn brach. Der Fuchs, sein Huhn im Rachen, sprang zur Seite und kauerte sich hinter einen Baumstamm. Brausend und grunzend stürmte das Unthier vorüber.
Wovor mag dem Burschen grauen? dachte Reineke. Bald löste sich ihm das Räthsel. Ein lautes Halloh drang an sein Ohr, das Geschrei der Treiber, vor deren Nahen der gehetzte Eber floh. Hier war man also seines Lebens nicht sicher, und würde der Fuchs sich in den Wald hinein begeben, dann lief er gerade den Treibern entgegen. Also rechts um und den Saum der Waldung hinab, in der Richtung, welche der Eber eingeschlagen. Damit ward er freilich mit eingekreist, aber das schien ihm jedenfalls ungefährlicher, als der Versuch, die Kette der Treiber zu durchbrechen. Mitten unter dem kostbareren Wilde achte man einen Fuchsbalg gering, kann des Jägers Kugel einen Hirsch oder einen Eber erreichen, dann verschwendet er an dem Fuchs kein Pulver. Wagt man es dagegen, so einem Bauern vorbeizuwischen oder vielmehr zwischen zweien, von denen jeder einen wuchtigen Knotenstock trägt, hindurchzubrechen, da sieht's schon übler aus, so ein Bauer ist grob, grob wie Bohnenstroh und ein Erzfeind der Füchse wegen der Hühner. Wie leicht und er ließe sich einfallen, die Härte seines Steckens am Hirnschädel des Fuchses zu prüfen, es wäre Schade, wenn so ein einfältiger Bauer dem klugen Thier den Garaus machte.
Also von zwei Uebeln wählt der Verständige das kleinste, – hinein in den Kreis der Treiber. Der ward nun immer enger. Bald hatte der Fuchs, der auf freier Fährte ungehindert dahinstrich, den Eber eingeholt, der immer noch in blinder Angst, wie es schien, fortjagend, sich durch das Untergebüsch der Waldung hindurch zwängte. Wie schlimm ist es doch, wenn die Angst Einen blind macht. Der Fuchs schlenderte behaglich neben dem Walde her, gleichen Schritt haltend mit dem mühsam arbeitenden Eber, dem heißer Schaum aus dem Rachen troff.
Aber jetzt vernahm er auch die Meute. Ihr lautes Bleffen hallte in der Waldung wieder. Schade um die schönen Stimmen! Viel Worte machen nützt wenig. Gescheidte Leute kehren sich daran nicht. Reineke ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Jedenfalls gibt's noch einen langen Marsch heute, man muß die Kräfte sparen; gemächlich setzte er seine Wanderung fort.
Endlich war der Wald zu Ende, und wohin nun? Der Eber freilich, der schaute weder nach rechts noch links, blindlings tobte er weiter. Da lag er bis an den Hals in einem Graben, der überschnell war. Das dumme Thier. Mit großer Anstrengung arbeitete er sich wieder heraus. Der Fuchs hatte sich neben einem Häufchen Schnee niedergelassen, sein Huhn zwischen die Vorderpfoten gelegt und sah höhnisch auf das keuchende Wildschwein, dem der Schweiß vom schwarzen Pelze rann.
Indessen sehr lange rasten durfte er nicht. Das Gebell der Hunde schallte schon aus bedenklicher Nähe, hinterdrein hallohten die Bauern. Wieder setzte er sich in Bewegung, aber er vermied das offene Feld, längs dem Zaun hin trabte er, sein Huhn im Rachen. Allmählig ward's ihm doch bedenklich auf dieser Fährte. Sein Balg war so wohl- und langbehaart, die kleinen Schäden von gestern Abend kaum bemerkbar, der Winter kalt, das Pelzwerk gesucht, es mochte doch auch schon für ihn die Flinte geladen sein. Und das war gar nicht zum Lachen!
Da brachen die Hunde aus dem Dickicht hervor. He, was hatten die für Eile! Sie berührten fast mit dem Bauch den Boden, wie sie über die Ebene hinstrichen, lang zum Halse hinaus hieng die rothe Zunge, aus den Nüstern stieg der Athem wie Dampf. Das war ein Keuchen und Jagen – ein Wettlaufen als gälte es das Leben. Nein, seht mir doch die wüthenden Thiere. Nur um so ein plumpes Schwein einzuholen, die Beine dermaßen anzustrengen. Hopsa! da ging's über den Graben!
Die wären nicht mehr zu fürchten, da sie an dem Fuchs vorüber waren. Aber nun kamen die Bauern. Hatten sie seine Fährte gefunden?! Einer von ihnen kam auch die Hecke entlang. Munter Vorwärts! dachte Reineke und trabte weiter. Wie wär's, wenn wir einen Seitensprung machten? Gedacht gethan! Aber das wäre ihm bald übel bekommen, denn hier schlich schon wieder Einer von den Bauernflegeln, brüllte aus vollem Halse und schwang den Knotenstock gleich einer Herkuleskeule. Mit einem solchen Grobian durfte Reineke nicht anbinden, der konnte ihm ja wie zum Spaß den Schädel zerschmettern. So war kein Entrinnen möglich. Der Fuchs, einmal in den Kreis hineingerathen, konnte nicht wieder heraus. Er mußte vorwärts, – in dem einzigen Worte lag alle Hoffnung, sein Leben zu retten.
Und nun sammelte sich das Wild immer mehr von allen Seiten und Enden. Dort sprengte der Siebenzehnender, den Hals zurückgebogen, das Geweih in den Nacken geworfen und die flinken Läufe vorwärts gestreckt. Das schöne, bis auf den Tod gehetzte Thier sprang in sausendem Galopp vor der Meute her, die ihm mit schaumtriefenden Mäulern folgte. Neben dem geängsteten Hirsche sprangen die Kühe, Rehböcke und Rehe. Die edlen Thiere setzten leichtfüßig über Zaun und Graben, ohne umzublicken. Der Schweiß triefte ihnen vom schlanken Leibe und die Angst malte sich in ihren Zügen. Wie ein Sturmwind sausten sie vorüber. Auch der feiste Eber fand Gesellschaft, alte und junge, die sich ihm anschlossen. Sogar Hasen und Wiesel waren mit im Zuge. Das Halloh der Treiber, das Kläffen der Hunde hatte auch diese furchtsamen Thiere mit aufgeschreckt und es war, als hätten sie alle Besinnung verloren, nur Flucht schien der einzige Gedanke, der sie beseelte. Unbedachtsamer Weise hatten sie sich in den wilden Wirbel hineingestürzt und einmal im Strudel mit fortgerissen, konnten sie nicht wieder zurück. Vorwärts, vorwärts, das war auch für sie die Losung, wenn irgendwo, so lag dort hinaus die Rettung. Das Blachfeld dröhnte unter den Tritten und Sprüngen der mit Sturmeseile fortstiebenden Thiere, nur ein von allem Mitgefühl leeres Jägerherz konnte mit Befriedigung und Wohlgefallen sich an diesem entsetzlichen Schauspiel weiden. Wahrlich, der Mensch ist das erbarmungsloseste aller Geschöpfe!
Hm! dachte Reineke, das gibt eine gute Jagd, die Herren werden zufrieden sein. Doch empfand er keine Lust, die Musterkarte der dem Tode Geweihten durch seine Gegenwart zu bereichern. Gäbe es nur einen Ausweg! Aber so sehr er auch umherspähte, indem er weiter trabte, er fand keinen. Von allen Seiten her traten die Bauern dichter zusammen. Schier ein ganzer Kreis war es von diesen Peinigern. Und so weit sein Auge reichte kein Plätzchen, wo ein wohlgemästeter Fuchsleib sich unvermerkt hätte hindurchbringen können, um dann aus der Ferne gemächlich das Schauspiel zu betrachten. Die Kette von Treibern und Jägern war eng geschlossen, überall drohten Knittel und Flintenlauf dem, der es wagen sollte, sie zu durchbrechen. Auch die Wiese war so frei, so ohne alles Gesträuch und Gebüsch – eine weitgedehnte schneebedeckte Fläche, nirgends ein Versteck.
Wozu aber zögerten noch die Jäger, loszuschießen! Kaum hatte es der Fuchs gedacht, so knallten die Flinten. Hier stürzte ein Reh, dort ein Hase, der Hirsch schüttelte den Nacken und sprang hastig weiter. Wieder folgte Schuß auf Schuß. Da lag der Siebzehnender; wüthend stürzte die Meute auf ihn ein. Der alte Eber war in die Kniee gesunken. Die Doggen zerrten ihn an den Ohren, doch streckten die Zudringlichsten seine Hauer zu Boden. Die übrigen prallten zurück und heulten vor Wuth und Angst. Der Alte kam wieder auf die Beine, aber mit dem Laufen wollte es nicht so recht mehr gehen, er hatte einmal schon das verwünschte Blei im Leibe und seine Wunden brannten.
Da sprang ein Jäger hinter der Hecke hervor. Das Wildschwein stürzte ihm entgegen, blindlings rannte es das breite Fangmesser sich in die Brust und sank blutend in den Schnee, mit lautem Stöhnen verendend.
Unterdessen war der Fuchs immer weiter gerannt, ohne es zu wollen war er mit auf das Blachfeld gerathen, mitten unter die anderen Thiere. Der allgemeine Lärm hatte ihm die Sinne verwirrt, für einen Augenblick hatte er seine Klugheit verloren, er befand sich unter Rehen, Hasen und Schweinen mitgehetzt von den nach ihrem Blute lechzenden Hunden. In der That keine beneidenswerthe Lage!
Und nun traten auch die Jäger hinter dem Schutz der Hecke hervor, um sicherer und bequemer in den wirren Knäuel hinein schießen zu können. Von beiden Seiten waren die blanken Rohre auf den Rudel gerichtet. Das blitzte und krachte, das pfiff ihm so wunderlich an den Ohren vorüber, hier stürzte ein Rehbock zusammen, dort blieb ein Hase liegen, – es war wirklich nicht geheuer in diesem Wirrwarr. Entweder – das sah er ein – auch ihn ereilte die Kugel oder er mußte einen wagehalsigen Versuch machen, um zu entkommen. Rasch war er entschlossen. Er ersah sich einen Jäger, der eben seine Flinte abgeschossen hatte und sie wieder neben sich setzte, um sie auf's Neue zu laden. Halt! dachte er, das dauert noch ein wenig. Sogleich hielt er an, schwenkte seitwärts, und in verzweifelt langen Sprüngen, so lang wie je ein paar Fuchsbeine sich ausgestreckt hatten, sauste er an dem Jäger vorüber, die Kette hindurch, und war hinter dem Zaun verschwunden. Zwar vernahm er, wie man ihm nachschrie, nachdem man ihn bemerkt hatte, auch knallte des überraschten Jägers Büchse hinter ihm her. Aber vergebens! Der schlaue Reineke war geborgen. Noch eine Zeit lang sprang er weiter, so schnell ihn seine Füße zu tragen vermochten. Dann hatte er ein Gebüsch erreicht, in welchem er fast athemlos niederstürzte.
Er war gerettet. Welch eine Wonne lag in diesem Bewußtsein, gerettet durch eigene, wohl angebrachte List – schmunzelnd strich er den spärlichen Bart mit den Pfoten – gerettet aus dem blutdürstigen Rachen der wüthenden Hunde: – wild rollte er die Augen und peitschte den Boden mit dem buschigen Schweife. Gerettet war er, gesichert vor Knotenstock, Kugel, Schrot und all den übrigen Mordmitteln der gefühllosen Menschen. Hinter ihm lärmte zwar noch das Getöse der Jagd, aber vor ihm lag auch der jetzt so friedlich ruhende Bach, an dessen Ufer entlang er sich leicht wieder nach seinem Bau hinfinden konnte. Nur mußte er zuvor nach all den Anstrengungen des Leibes und der Seele ein wenig verschnaufen. Das Huhn hatte er fast zwischen seinen Zähnen zermalmt in der Hitze des Laufens. Wie wär's, wenn er es einmal probirte!. Er spürte schon wieder Hunger und nicht ganz wenig; solch ein Braten mit so viel Mühe und Opfern glücklich geborgen, war nicht zu verachten. Aber nein, ein Fuchs hat mehr Erbarmen, als ein Mensch, er gedachte seiner Kinder, der Hungrigen, Hilflosen. Was würden die sagen, wenn er nach so langer Abwesenheit ohne Beute für sie zurückkäme! Und die gestrenge Hausgenossin, die doch auch ein Frühstück begehrte! Nein, das Huhn – es war wenig genug für sie alle – mußte geschont werden. Um der ferneren Versuchung zu entgehen, sprang er wieder auf und trabte, so rasch seine Kräfte es erlaubten, am Ufer des Baches hinunter.
Halt, da stand ja der alte Weidenstamm noch auf derselben Stelle und ebenso gekrümmt wie gestern. Nun, das heiß' ich Gemüthsruhe. Aber freilich, nach dessen alten Knochen gelüstete es auch Niemand. Wie aber war's mit der Schlafmütze? Sieh' da, ein mißgünstiger Sonnenstrahl hatte dem Greise ein Loch hineingebrannt und stach ihn jetzt mit seiner Gluth auf den Scheitel. Dennoch rührte der Alte sich nicht. Sein greises Haupt war unempfindlich, Hitze und Sturm hatten an ihm ihre Kraft verloren, ungestört träumte er weiter.
Der Fuchs kroch in seinen Bau, ein heiseres Bellen und Jalpen schallte heraus, ein ernsteres Murren dazwischen. Dann war Alles wieder still. Die Sonne verkroch sich bald hinter den Wolken, sie zogen sich dichter zusammen und entsandten nach kurzer Zeit zahlreiche Flocken auf die Erde, die noch einmal wieder den Eingang zu der unterirdischen Wohnung des Fuchses neugierigen Blicken verbargen.
Auch die Jagd ging zu Ende, als die Sonne sich hinter den trüben Wolken versteckte. Hirsch und Eber waren getödtet, der Rehe und Hasen nicht zu gedenken, welche zum letzten Male die Kraft ihrer Läufe erprobt hatten. Die Bauern luden das erlegte Wild auf Handschlitten und brachten es so nach dem Schlosse. Die Herren bestiegen ihre Pferde und ritten auf dem kürzesten Wege nach dem Gute zurück. Ein reiches Mahl erquickte nach den Anstrengungen des Tages, und die kühne Schlauheit des Fuchses bildete nicht den uninteressantesten Gegenstand der munteren Unterhaltung der Jäger, die sich ihrer Siege rühmten, hier aber Reineke die Ehre geben mußten, während dieser auf seinem Mooslager ausruhte und von neuen Raubfahrten träumte.