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Al der Mann der Frau Angustias, Juan Gallardo, der bekannte Flickschuster im Stadtteil La Feria, starb, weinte die Witwe gebührend über diesen Verlust. Doch gleichzeitig fühlte sie im Grunde ihres Herzens die Genugtuung eines Menschen, der nach langer Wanderung Rast findet und sich von einer schweren Bürde befreit sieht. Während ihres zwanzigjährigen gemeinsamen Lebens hatte er ihr keine anderen Verdrießlichkeiten verursacht, als solche, welche auch die übrigen Frauen des Bezirkes ihren Männern vorwarfen. Von den drei Pesetas, die er täglich verdiente, gab er einen der Frau Angustias zur Bestreitung des Haushaltes, die zwei anderen behielt er für sich, um sie für seine Person und für die Kosten der Repräsentation zu verwenden. Er mußte sich doch den Freunden gegenüber erkenntlich zeigen, wenn sie ihn auf ein Glas Wein einluden. Und die andalusischen Weine sind teuer! Ferner besuchte er auch die Stierkämpfe, denn wozu lebt denn ein Mensch, wenn er nicht trinkt und sich nicht die Stiergefechte anschaut? Sie konnte sich also genug den Kopf zerbrechen und alle ihre Fähigkeiten anstrengen, um die Familie durchzubringen. Sie arbeitete als Bedienerin in den besseren Häusern des Bezirkes und der Nachbarschaft, vermittelte für eine bekannte Trödlerin Wäsche und Schmuckkäufe oder drehte Zigaretten, wobei sie wieder ihre frühere Fertigkeit verwenden konnte, die sie seinerzeit erlernt hatte, als Juan sie noch von der Tabakfabrik abholte.
Sie hatte sich niemals über Untreue oder schlechte Behandlung von Seiten ihres verstorbenen Gatten zu beklagen. Wenn er Samstag spät abends berauscht und mit Hilfe seiner Freunde nach Hause zurückkehrte, da kam auch Freude und Zärtlichkeit mit ihm zurück. Frau Angustias mußte ihn mit Püffen hereinstoßen, da er durchaus vor der Tür bleiben und seiner beleibten Lebensgefährtin ein Ständchen bringen wollte. Und nachdem sie endlich die Türe hinter ihm geschlossen hatte, wollte er die Kleinen sehen, die schon schliefen, er küßte sie, während ihm dicke Tränen über die Wangen herabliefen. Dann wiederholte er seine Lieder zu Ehren der Frau Angustias, er pries sie als die beste Frau, die man auf der Welt finden konnte, bis sich ihre Stirne glättete und ihre Lippen lachten, während sie ihn auszog und herumschob, als wäre er ein schwaches Kind. Das war sein einziger Fehler. Armer Teufel! Spiel und Weiber kannte er nicht. Seinen Egoismus, der ihn auf gute Kleidung achten ließ, während seine Familie in Lumpen herumlief, und seine ungerechte Verteilung des Arbeitslohnes machte er dann wieder durch plötzliche Großmut wett. Frau Angustias erinnerte sich mit Stolz an die Festtage, als ihr Juan sagte, den Schleier aus Manila und die Hochzeitsmantilla anzulegen, wie er die Kinder vorangehen ließ und nun an ihrer Seite mit weißem Strohhut und dem Spazierstock mit goldenem Griffe einherstolzierte, als wären sie reiche Kaufleute. An Tagen, an welchen der Eintritt zu den Stiergefechten herabgesetzt war, ging er mit ihr vorher auf den Platz und ließ ihr dort ein Glas Wein oder im Kaffeehaus eine Erfrischung geben. Diese glückliche Zeit lebte nur mehr als eine schwache, aber liebe Erinnerung im Herzen der armen Frau. Ihr Mann erkrankte an Lungenschwindsucht und sie mußte ihn während zweier Jahre pflegen. Da hieß es sich natürlich doppelt plagen, um den Peseta hereinzubekommen, den ihr früher der Mann gegeben hatte. Schließlich starb er im Spital, ergeben in sein Los und überzeugt, daß das menschliche Dasein ohne Wein und Stierkämpfe keinen Reiz habe. Sein letzter Blick der Liebe und Dankbarkeit galt seiner Frau, als ob er mit den Augen sagen wollte: »Du bist die beste Frau auf der Welt«.
Als sie Witwe war, hatte sich ihre Lage nicht verschlechtert. Sie konnte sich sogar freier bewegen, da ihr die Sorge um den kranken Mann genommen war, denn er hatte sie in den letzten zwei Jahren mehr gekostet, als die übrige Familie. Sie suchte nun gleich einen Beruf für ihren Sohn. Ihre Tochter Encarnacion, welche siebzehn Jahre alt war, kam in die Tabakfabrik, wo ihre Mutter ihre einstigen Freundinnen, welche jetzt Aufseherinnen waren, um Protektion gebeten hatte. Juan, der von klein auf im Schusterladen seines Vaters bei der Arbeit zugesehen hatte, mußte nach dem Willen der Mutter das gleiche Handwerk erlernen. Sie nahm ihn aus der Schule, wo er kümmerlich lesen gelernt hatte, und steckte ihn mit zwölf Jahren zu einem der besten Schuster von Sevilla in die Lehre. Von diesem Augenblick an begann die Leidenszeit der armen Frau.
Ach, dieser Schlingel! Der Sohn eines so würdigen Vaters! Statt in dem Laden seines Meisters zu arbeiten, ging er alle Tage mit einigen Spitzbuben zum Schlachthaus, wo sie dann unter dem Gelächter der Hirten und Schlächter die Stiere mit dem roten Mantel neckten, obgleich sie oft von den Füßen der Tiere und ihren Leibern derbe Stöße erhielten. Frau Angustias, welche die Nächte mit der Nadel durchwachte, um die Kleider des Jungen auszubessern, fand ihn dann vor der Haustüre, weil er sich fürchtete einzutreten und dennoch nicht auskneifen konnte, da ihn der Hunger trotz seiner zerrissenen Hosen, seiner schmutzigen Jacke, seines zerbeulten Kopfes und zerkratzten Gesichtes heimtrieb.
Nach den Quetschungen und Beulen, die ihm die Rinder stießen, mußte er nun auch die Ohrfeigen und Stockschläge der Mutter hinnehmen. Doch unser Held ertrug dies alles, nur um seine tägliche Nahrung zu haben. »Schlag mich, aber gib mir zu essen.« Und mit dem Heißhunger, den er durch sein Herumtollen heimtrug, schlang er das harte Brot, die schlechten Fisolen, den faulen Stockfisch, kurz all die elende Nahrung, welche die Mutter für weniges Geld gekauft hatte, hinunter.
Infolge ihrer Beschäftigung als Scheuerfrau in fremden Häusern konnte sich Frau Angustias nur von Zeit zu Zeit um ihren Sohn kümmern und sich bei seinem Lehrherrn um die Fortschritte in dem Schusterhandwerke erkundigen. Wenn sie aus dem Laden ging, da erstickte sie fast vor Zorn und nahm sich vor, den Tunichtgut durch die schwersten Strafen auf den richtigen Weg zurückzuführen. Denn Juan verbrachte den größten Teil des Tages anderswo, nur nicht im Laden. In der Früh lief er in den Rinderhof, nachmittags wartete er mit anderen Tagdieben in der Sierpesstraße, um die Toreros zu bewundern, welche sich in ihrer freien Zeit in der Campana trafen. Juan betrachtete sie als höhere Wesen und beneidete sie um ihren Anstand und ihre Kühnheit, mit der sie den Frauen den Hof machten. Der Gedanke, daß sie alle zu Hause ein goldgesticktes, seidenes Prunkgewand hatten, welches sie vor der Menge unter den Klängen der Musik zur Schau tragen durften, verursachte ihm einen Schauer der Ehrfurcht.
Der Sohn der Frau Angustias führte unter seinen zerlumpten Freunden den Namen »Schusterbub« und war zufrieden, einen Spitznamen zu haben, gleich jenen großen Männern, welche die Arena betraten. Er trug um den Hals ein rotes Tuch, das er seiner Schwester genommen hatte, und das Haar unter der Mütze wellte sich in dichten Locken, welche er sich mit Speichel über die Ohren strich. Die Drillbluse fiel in Falten bis zur Hüfte, die Hose, ein altes Stück von seinem Vater, das ihm die Mutter zurechtgemacht hatte, mußte ihm bis über die Taille hinaufreichen und er weinte vor Wut, wenn sich seine Mutter diesen Forderungen nicht fügen wollte. Und nun der Mantel! Es war sein Traum, einen Stierkämpfermantel zu besitzen, ohne die anderen erst bitten zu müssen, dies so sehnsüchtig erstrebte Stück für einige Minuten herleihen zu wollen. In einem Winkel des Hauses lag eine alte, vergessene Matratze, deren Roßhaar die Mutter in Tagen der Not verkauft hatte. Der Junge versteckte sich eines Morgens im Haus und benützte die Abwesenheit Angustias, welche an diesem Tage im Hause eines Kanonikus arbeitete, um einen lang gehegten Plan auszuführen. Mit der Erfindungsgabe eines Schiffbrüchigen, der auf sich allein angewiesen ist und alles auf seiner einsamen Insel selbst erzeugen muß, schnitt er sich aus der feuchten und zerfallenen Leinwand einen Mantel heraus. Dann sott er in einem Topf eine Hand voll Anilinfarben auf, welche er in einer Drogerie gekauft hatte, und steckte den alten Überzug in diese Flüssigkeit hinein. Voll Stolz betrachtete er sein Werk. Da hatte er nun einen scharlachroten Mantel, der den Neid aller anderen Kameraden erwecken mußte. Nun hieß es ihn noch trocknen und daher hängte er sein Meisterstück unter die Wäsche der Nachbarn. Als aber der Wind durch die Leinwandstücke fuhr und sie durcheinander brachte, da färbte der feuchte Mantel die anderen Stücke rot und ein Schwall wüster Drohungen erhob sich zugleich mit geballten Fäusten gegen unseren Stierkämpfer, der mit dem Mantel eilig flüchten mußte und mit seinem roten Gesichte, seinen befleckten Händen einem Mörder glich.
Seine Mutter Angustias, eine starke, dicke, schnurrbärtige Frau, welche sich vor keinem Manne fürchtete und sogar den Frauen durch ihre energischen Entschlüsse imponierte, zeigte sich dem Jungen gegenüber machtlos. Was sollte sie tun? Ihre Hände hatten sich schon an jedem Teil seines Körpers versucht, die Besenstiele zerbrachen ohne jeden Erfolg. Der Junge schüttelte, wie sie sagte, die Schläge wie ein Hund ab. Nach den furchtbaren Stößen der Hörner, den schmerzhaften Püffen der Rinder, den Stockschlägen der Hirten und Viehtreiber, erschienen ihm die Schläge der Mutter als eine Fortsetzung seines äußeren Lebens, das nur innerhalb der vier Wände des Hauses in anderer Form variiert wurde. So ließ er sich denn ruhig schlagen und betrachtete diese Schläge als einen Beitrag, den er für seinen Unterhalt leistete. Kaum hatte er seinen Hunger gestillt, so eilte er aus dem Hause und freute sich der Freiheit, welche ihm Angustias, die ihren Geschäften nachgehen mußte, gern oder ungern ließ. In der Campana, dem Treffpunkt der Stierkämpfer, wo man alle Neuigkeiten erfuhr, hörte er von seinen Kameraden Mitteilungen, welche ihm das Blut vor Freude heftiger durch die Adern trieben. »Höre, Schuster, morgen ist ein Stierkampf.« Die Dörfer und größeren Flecken der Provinz feiern die Feste der Heiligen durch eine Corrida und dahin eilten nun die jüngeren Toreros in der Hoffnung, sagen zu können, in Aznalcollar, Bollulos oder Mairena aufgetreten zu sein. Sie begannen ihren Marsch in der Nacht und trugen, wenn es Frühling war, ihren Mantel auf der Schulter, im Winter dagegen schlugen sie sich ihn um den Körper und nun ging es mit leeren Magen und unter ernstem Gespräche dem Ziele zu. Dauerte der Marsch mehrere Tage, schliefen sie unter freiem Himmel oder durften aus Barmherzigkeit in einer Strohkiste übernachten. Und die süßen Trauben, die Melonen und Feigen, die sie in der warmen Zeit auf ihren Märschen fanden, gewährten ihnen eine billige Mahlzeit. Ihre einzige Sorge bestand in der Befürchtung, daß eine andere Truppe den gleichen Gedanken gefaßt hatte und sich in dem betreffenden Orte einfand, so daß auf diese Weise ein erbitterter Kampf zu befürchten wäre. Am Ziele ihrer Reise gingen sie mit verstaubtem Gesicht, müde und heruntergekommen vom langen Marsche, zum Bürgermeister, und der Frechste von ihnen, der sich als Direktor der Truppe einführte, sprach von dem Verdienste seiner Leute. Sie würden sich alle glücklich schätzen, wenn die Gemeinde sie in ihrer Freigebigkeit im Hofe des Wirtshauses schlafen und ihnen allen einen Topf mit Olla geben ließe. Und dieser Topf stand wenige Augenblicke nachher reingeputzt da. Auf dem Kampfplatze, der von Karren und Tribünen umgeben war, wartete ihrer ein alter, mit Narben und blutigem Schorf bedeckter Stier, der, wie seine spitzigen Hörner kundtaten, schon seit vielen Jahren an solchen Provinzveranstaltungen teilnahm und, wie sie sagten, sein Latein verstand, denn da er beständig im Zirkus herumgehetzt wurde, kannte er alle Kniffe.
Die Ortsjugend foppte die Tiere aus sicherer Entfernung und die Leute suchten bei den Toreros aus Sevilla auf ihre Kosten zu kommen. Flüchtete sich einer von ihnen auf die Barriere, da kam es zu Empörung und lärmendem Geschrei, die Zuschauer schlugen ihn auf die Finger und traktierten seine Füße mit Stockschlägen, um ihn wieder in den Zirkus zurückzujagen. »Vorwärts, Feigling, zu den Stieren!« Manchmal trugen sie einen Stierfechter zwischen vier Männern vom Platz, bleich, wie ein Blatt Papier, mit glasigen Augen und herabhängendem Kopf, mit röchelnder Brust, die den Atem wie ein zerbrochener Blasebalg ausstieß. Dann kam der Tierarzt und beruhigte die anderen, da er kein Blut sah. Es war nur der Schreck, da der Bursche über einige Meter hingeschleudert wurde und dann wie ein Sack auf den Boden gefallen war; ein andermal war wieder ein Stier mit seiner ganzen Schwere über einen anderen hinweggetrampelt. In diesem Falle schüttete man einen Kübel Wasser über seinen Kopf und wenn er die Augen aufschlug, flößte man ihm einen tüchtigen Schluck Branntwein ein. Ein Fürst konnte nicht besser behandelt werden.
Dann ging es wieder in die Arena, und wenn kein Stier mehr da war und sich die Nacht näherte, nahmen zwei aus der Schar den besten Mantel der ganzen Gesellschaft und gingen von Tribüne zu Tribüne, um klingenden Dank zu ernten. Es regnete Kupfermünzen auf das rote Tuch, je nachdem die Taten Beifall gefunden hatten. Nach Beendigung des Spiels zogen sie in die Stadt zurück, da sie wußten, im Wirtshaus ihren Kredit erschöpft zu haben. Oft stritten sie unterwegs über die Verteilung ihres Kupfergeldes, das sie in ein Tuch eingewickelt hatten. Nach ihrer Rückkehr erzählten sie dann den Kameraden, die nicht mithalten konnten, ihre Heldentaten in den verschiedenen Orten, wobei sie die Miene und die Haltung der wirklichen Toreros nachahmten, welche nur wenige Schritte von ihnen entfernt saßen und sich über ihre Verdienstlosigkeit mit allen möglichen Lügen und Aufschneidereien hinweghalfen.
Manchmal wußte Frau Angustias oft über eine Woche nichts von ihrem Sohn. Dann vernahm sie gerüchtweise, daß er in einem Dorfe, das Tocina hieß, verwundet worden sei. Wo lag nun dieser Ort und wie kam man hin? Sie hielt ihren Sohn für tot, beweinte ihn und machte sich bereit, hinzufahren, doch als sie alles vorbereitet hatte, sah sie ihren Juan bleich und schwach zurückkommen, um mit männlichem Stolze über seinen Unfall zu sprechen. Es war nichts, nur ein Stoß, der mehrere Zentimeter tief in den Schenkel gegangen war. Und mit dem Stolz des Siegers wollte er den Nachbarn die Wunde zeigen, wobei er versicherte, einen Finger hineinstecken zu können, ohne auf den Grund zu kommen. Er fühlte sich voll Stolz über den Jodoformgeruch, den er bei jedem Schritt verbreitete, und sprach von der Pflege, die er dort genossen hatte. Alle hätten sich für sein Los interessiert. Der Bürgermeister hätte ihn besucht und ihm sogar die Rückreise bezahlt. Er fand in seiner Tasche noch zwei Duros, welche er seiner Mutter mit der Freigebigkeit und der Würde eines Gönners überreichte. Sein Stolz wuchs noch, als sich in der Campana, dem »Stelldichein« der Toreros, einige Stierkämpfer für den Knaben interessierten und ihn fragten, wie es mit seiner Verwundung stehe.
Nach diesem Vorfall kehrte er nicht mehr in die Werkstätte seines Lehrherrn zurück. Er wußte nun, was die Stiere waren, und seine Verwundung hatte nur seinen Mut verdoppelt. Ihm schwebte nur mehr ein Ziel vor Augen: Torero zu werden! Frau Angustias verzichtete auf jeden Besserungsversuch, da sie alles für vergeblich ansah. Ihr Sohn existierte nicht mehr für sie. Kehrte er abends zur Stunde, wann Mutter und Tochter beim Nachtmahl zusammensaßen, nach Hause zurück, stellten sie ihm schweigend seine Schüssel hin und glaubten, ihn durch ihre Verachtung beeinflussen zu können. Doch das störte seine Kautätigkeit nicht im geringsten. Kam er später, hoben sie ihm nicht ein Stück trockenen Brotes auf und er mußte, so wie er gekommen war, auf die Straße zurück. Dann streifte er die Nacht mit anderen Taugenichtsen herum, welche teils bei Gaunern, teils bei Toreros in die Lehre gingen. Eine Zeit lang verkaufte er Zeitschriften und in der Karwoche bot er den Damen, die auf dem St. Franziskusplatze saßen, Zuckerwaren an. Zwischen den einzelnen Stierkämpfen lungerte er vor den Hotels herum und wartete auf einen Engländer, – denn für ihn waren alle Reisenden Engländer – in der Hoffnung, ihm als Führer dienen zu können.
Sein Kamerad in diesen Tagen des Elends war Chiripa, ein kleiner Knabe mit boshaften Augen, eine Doppelwaise, der in Sevilla seit dem Augenblicke herumlief, als er den Gebrauch der Vernunft erlangt hatte: Er übte über Juan die Herrschaft eines Mannes aus, der einem anderen durch seine Erfahrungen überlegen ist. Seine Wange war von einem Hornstoß zerfetzt und Juan wertete dieses Mal höher als seine eigenen, unsichtbaren Narben. Und wenn ein Fremder, der das Lokalkolorit suchte, an der Türe seines Hotels mit den kleinen Toreros sprach und sie über ihre Taten ausfragte, um ihnen schließlich ein paar Münzen zu geben, da sagte Chiripa, auf Gallardo deutend, mit weinerlicher Stimme: »Er braucht nichts, er hat eine Mutter und ich bin allein auf der Welt. Er weiß gar nicht, was er an seiner Mutter hat.«
Und übermannt von trauriger Rührung ließ es Juan zu, daß sich der andere des ganzen Geldes bemächtigte, ja, er murmelte noch: »Es ist wahr«. Diese Rührung aber hinderte Juan nicht, sein ungewöhnliches Leben fortzusetzen, immer unregelmäßiger in das Haus seiner Mutter zurückzukehren und lange Ausflüge über Sevilla hinaus zu unternehmen. Er war ein Meister des Landstreicherlebens. An Tagen, an denen Stiergefechte stattfanden, beseelte ihn nur ein Wunsch: Das Bestreben, in den Zirkus zu kommen. Dazu war ihm jedes Mittel recht, er überkletterte die Mauer, schlich sich mit anderen Leuten ein, oder erbettelte sich den Eintritt. Es war doch unmöglich, ein Stiergefecht ohne ihn abzuhalten. Chiripa war viel herumgekommen und er erzählte seinem Gefährten von all den großen Dingen, die er in fernen Provinzen gesehen hatte. Er verstand es sehr geschickt, umsonst, als blinder Passagier in den Zügen mitzufahren. Juan lauschte mit Entzücken seinen Beschreibungen von Madrid und der dortigen Plaza de Toros, welche sozusagen eine Hochschule der Stierfechterkunst war.
Einmal sagte ihnen ein Herr, der sich über sie lustig machen wollte, daß sie in Bilbao viel Geld verdienen könnten, da es dort nicht so viel Toreros wie in Sevilla gebe. Und die zwei Burschen machten sich auf den Weg, ohne einen Duro in der Tasche zu haben, sie verschafften sich unter allen möglichen Listen Zutritt zu den Zügen, und versteckten sich unter den Sitzen. Doch der Hunger und andere Notwendigkeiten zwangen sie, ihre Gegenwart den Reisenden zu verraten, die sich ihrer aus Mitleid annahmen. Wenn sie ein Angestellter in einer Station entdeckte und verfolgte, liefen sie von Wagen zu Wagen, oder sie kletterten auf die Dächer, wo sie warteten, bis sie außerhalb des Bahnhofes waren. Oft erwischte man sie, dann mußten sie unter Püffen und Ohrfeigen zurückbleiben, während sich der Zug wie eine verlorene Hoffnung entfernte. Doch sie warteten auf den nächsten und schliefen einstweilen unter freiem Himmel. Wenn sie sich aber beobachtet sahen, gingen sie durch einsame Felder zur nächsten Station und hofften, dort glücklicher zu sein. So kamen sie nach vieltägiger abenteuerlicher Reise, die mit manch harten Schlägen bezahlt werden mußte, in Madrid an. Dort bewunderten sie in der Sevillastraße und Puerta del Sol die Gruppen der Toreros, welche gerade ohne Engagement waren. Da sie sich über ihr Beginnen doch schon Gedanken machten und das Ziel ihrer Reise immer weiter hinausrückte, kehrten sie nach Sevilla zurück, wobei sie die Heimreise auf die gleiche Weise bewerkstelligten wie ihre Fahrt nach Madrid. Doch nun hatten sie an dieser Art zu reisen Geschmack gefunden und sie besuchten auf diese Weise alle Orte in den verschiedenen Provinzen, sobald es irgendwie hieß, daß man daselbst Stierkämpfe veranstalten wollte. Durch diese Fahrten hatten sie Gelegenheit gewonnen, ihre Schlauheit und ähnliche für diese Voraussetzungen in Betracht kommenden Fähigkeiten zu entwickeln; sie legten sich in der Nachbarschaft der Bauernhäuser auf die Erde und plünderten, gedeckt durch Hecken und Gras, die Gemüsegärten aus, ohne gesehen zu werden. Sie lauerten Stunden hindurch auf die Gelegenheit, eine Henne einzufangen und ihr den Hals umzudrehen, um sie dann später auf einem Haufen trockenen Holzes zu braten und halb roh zu verschlingen. Sie fürchteten die Hofhunde mehr als die Stiere. Es war nicht gut, mit diesen Wächtern anzubinden, sie liefen hinter ihnen her und fletschten die Zähne, als würden sie Feinde des Eigentums in ihnen wittern. Manchmal überraschten sie, wenn sie im Freien bei einer Station schliefen, um die Ankunft eines Zuges abzuwarten, einige Gendarmen, welche ihr Rundgang in diese Gegend führte. Doch beim Anblick der roten Tücher beruhigten sich die Hüter der Ordnung und sie entfernten sich lächelnd, ohne weitere Fragen zu stellen. Es waren ja keine Räuber, sondern künftige Toreros, die ihrem Berufe nachgingen. Und eine geheime Sympathie für die nationale Kunst und die Achtung vor einer noch ungekannten Zukunft waren die Beweggründe für ihre Toleranz. Man konnte nicht wissen, ob nicht einer dieser verhungerten, zerlumpten und heruntergekommenen Burschen in wenigen Jahren ein Star werden konnte, ein großer Mann, der vor Königen auftreten und wie ein Fürst leben würde, kurz, ein Held, dessen Taten und Reden alle Zeitungen erfüllten.
Einmal blieb Juan allein in einem Städtchen von Estremadura. Zum Erstaunen des ländlichen Publikums, welches den »eigens aus Sevilla gekommenen berühmten Toreros« applaudierte, wollten die zwei Burschen einen alten Stier mit den Wurflanzen angehen. Juan plazierte seine Lanze auf dem Rücken des Stieres und blieb vor einer Tribüne stehen, wo er freudestrahlend den Beifall der Menge entgegennahm, die ihm ihre Zufriedenheit durch energische Püffe auf den Rücken und durch fleißiges Zutrinken bewies. Ein Schreckensschrei riß ihn aus diesem Taumel des Ruhmes. Chiripa war nicht mehr in der Arena, in deren Sand man nur die bunten Bänder, einen Schuh und die Mütze sah. Der Stier lief wütend vor einem Hindernis herum und war mit einem seiner Hörner in ein Bündel Kleider, das einer Puppe gleich sah, verstrickt. Nach einigen heftigen Stößen löste sich diese Gestalt von dem Horne ab und ließ einen roten Strahl zu Boden fließen, wurde aber, ehe sie die Erde erreichte, von dem anderen Horn aufgegriffen und über eine weite Strecke geschleift. Endlich fiel diese formlose Masse in den Sand und blieb dort unbeweglich inmitten einer Blutlache wie ein durchlöcherter Schlauch, der den dunkelroten Wein ausströmen läßt, liegen. Die Stallburschen trieben das Tier in den Stall und der arme Chiripa wurde auf einer Bahre weggetragen. Der andere sah sein wachsgelbes Gesicht, seine trüben Augen und den blutüberströmten Körper, der trotz aller Verbände immer wieder Blut verlor. »Leb wohl, Juan,« hauchte er, »leb wohl.« Das waren seine letzten Worte. Der Gefährte des Toten kehrte nach Sevilla zurück. Wochenlang verfolgten ihn jene glasigen Augen und hörte er diese Abschiedsworte. Er fürchtete sich. Eine zahme Kuh, die sich ihm näherte, veranlaßte ihn, fortzulaufen. Er dachte an seine Mutter und ihre klugen Ratschläge. War es nicht besser, Schuster zu werden und friedlich zu leben? Doch diese Anwandlungen dauerten nur so lange, als er allein war.
Nach seiner Rückkehr nach Sevilla machte sich der Einfluß der Umgebung lindernd bemerkbar. Seine Freunde überliefen ihn, um alle Einzelheiten über den Tod des armen Chiripa zu vernehmen. Die Toreros luden ihn in die Campana ein, wo sie mitleidig von dem Straßenjungen mit dem schmalen Gesicht sprachen, der sie so oft begrüßt hatte. Ermutigt durch solche Beweise der Achtung ließ Juan seiner Einbildungskraft freien Lauf, er erzählte, wie er sich auf den Stier gestürzt hatte, als er seinen Kameraden auf den Hörnern sah, wie er die Bestie am Schweife gezerrt habe, ohne daß er jedoch dem Kameraden hätte helfen können.
Langsam verblaßte das Schreckensbild, er hatte wieder nur ein Ziel vor sich, Torero zu werden. Andere waren es schon, warum sollte gerade er nicht so hoch hinauf kommen? Er dachte an die Bohnen und das harte Brot im Hause seiner Mutter, an die Auftritte, wenn er eine neue Hose brauchte, an den Hunger, den steten Begleiter seiner Fahrten. Er fühlte eine heftige Begierde nach allen Freuden und Vergnügungen des Daseins. Er schaute voll Neid nach den Wagen und Reitern aus, er versteckte sich am Eingang der großen Häuser, wo er Zimmer voll Glanz und Reichtum, Säulengänge mit Porzellanfliesen, Marmorpflaster und Springbrunnen sah. Sein Los war gefallen, er mußte entweder Torero werden oder sterben. Er wollte reich sein, die Zeitungen sollten von ihm sprechen, das Volk ihn grüßen, und wenn es auch das Leben kostete. Er verachtete die niedrigen Grade des Stierfechterberufes. Es sah, wie die Banderillos um 30 Duros ihr Leben gerade so aufs Spiel setzten wie die Toreros, er wußte, daß sie bei einem Leben voll Mühsal und Wunden alt wurden, ohne mehr für ihre Zukunft zu erhoffen, als sich mit dem ersparten Geld einen kleinen Laden kaufen zu können. Einige starben im Spital, die meisten baten ihre jüngeren Kameraden um ein Almosen. Er dachte nicht daran, diesen Weg zu gehen und Jahre als Banderillo in der Cuadrilla eines launenhaften Espada zuzubringen. Er wollte gleich Stiere töten und die Arena mit dem Degen betreten.
Das Unglück des armen Chiripa und seine von ihm erdichtete Rolle verlieh ihm unter seinen Kameraden einen gewissen Nimbus und er stellte sich eine Cuadrilla aus zerlumpten Kerlen zusammen, welche mit ihm zu den Stierkämpfen in die kleinen Ortschaften zogen. Sie folgten ihm, weil er der Kräftigste war und die schönsten Kleider trug. Einige Mädchen freieren Lebenswandels, welche von der stattlichen Erscheinung Juans, der damals achtzehn Jahre alt war, angezogen wurden, stritten sich um die Ehre, für seine Person zu sorgen. Außerdem rechnete er auf die Hilfe eines alten Taufpaten, der für junge Toreros eine Schwäche hatte und dessen Haltung Frau Angustias derart in die Wut brachte, daß sie ihn mit den lästerlichsten Schimpfworten, die sie seinerzeit in der Tabakfabrik gelernt hatte, bedachte.
Juan trug Kleider aus englischem Stoff, die ihm vortrefflich standen, seine Frauen sorgten für die Reinheit der Wäsche und manchmal zeigte er über der Weste eine goldene Kette, welche er sich von einem Freunde ausgeliehen hatte. Er tat es den Toreros gleich, er zahlte die Zeche der Gäste, welche die Taten berühmter Stierfechter erzählten, und man glaubte, daß einflußreiche Gönner hinter diesem Burschen standen und nur auf die Gelegenheit warteten, ihn auf der Plaza de Sevilla auftreten zu lassen. Er hatte schon den Anfang gemacht, denn eines Tages, waren ihm in Lebriza, als gerade ein feuriger Stier in die Schranken sprang, seine Kameraden mit der Frage entgegengetreten: »Traust du dich, den da anzugehen?« Und er traute sich. Kühn gemacht durch die Leichtigkeit, mit welcher er die Todesfurcht überwunden hatte, lief er zu allen Veranstaltungen, in denen man junge Stiere auftreten ließ. Der Ruf seiner Taten kam bis nach Sevilla und machte die Leute, welche nach neuen Größen ausspähten, auf ihn aufmerksam. »Der Junge scheint etwas zu versprechen,« sagten sie, wenn sie ihn langsamen Schrittes und arroganter Haltung in der Sierpesstraße auf und abgehen sahen, »nun, wir werden ja sehen«. Diese Worte bezogen sich auf den Zirkus der Plaza de Sevilla und der junge Mann war bald in der Lage, sich sehen zu lassen. Sein Gönner hatte ihm ein abgelegtes Galakleid eines unbekannten Toreros gekauft. Man veranstaltete für wohltätige Zwecke eine Corrida mit jungen Stieren und einflußreiche Leute hatten es durchgesetzt, daß auch er als Torero teilnehmen durfte.
Der Sohn der Frau Angustias sträubte sich dagegen, unter seinem Spitznamen »Schuster« aufzutreten, er wünschte vielmehr, ihn der Vergessenheit anheimfallen zu lassen. Er wollte unter dem Namen seines Vaters bekannt werden, um die großen Männer, die in Zukunft seine Freunde sein würden, durch keinen Spitznamen an seine Herkunft zu erinnern.
Der ganze Bezirk Feria lief voll Aufregung und aus Lokalpatriotismus zu diesem Stiergefecht. Der Zirkus konnte nicht alle fassen und draußen warteten noch Tausende von Personen voll Spannung auf das Ergebnis der Corrida. Gallardo trat an, wurde von einem Stier erfaßt, ohne aber verwundet zu werden und hielt das Publikum durch seine Kühnheit, welche meist Erfolg hatte und immensen Beifall seitens der Zuschauer fand, in beständiger Aufregung. Manche Habitués, welche bei keiner Veranstaltung fehlten, lächelten voll Anerkennung. Er hatte zwar noch viel zu lernen, doch zeigte er Mut und das war die Hauptsache. Die Freundinnen des jungen Torero waren wie toll von Begeisterung. Sie gaben ihm unter hysterischen Bewegungen des Körpers und Tränen in den Augen Kosenamen, welche die Sprache der Liebe sonst nur in stillen Stunden zu gebrauchen pflegt. Eine warf ihren Mantel in die Arena, eine andere, welche mehr tun wollte, ihre Bluse und ihr Mieder, eine dritte wollte sich sogar ihres Rockes entledigen, und die Zuschauer mußten sich lachend ins Mittel legen, sonst hätten sie sich in die Arena gestürzt oder sich bis aufs Hemd ausgezogen. Voll Stolz saß der Mann von Juans Schwester Encarnacion, ein Riemer, der einen Laden hatte, auf seinem Sitz. Er war ein kluger Mann, ein Feind jedes Müßigganges. Er hatte sich mit der Zigarrenarbeiterin verheiratet und ihr den strikten Befehl gegeben, alle Beziehungen zu ihrem Bruder abzubrechen. Gallardo hatte sich, eingeschüchtert durch die abweisende Haltung seines Schwagers, niemals getraut, dessen Laden zu betreten oder ihn anders als mit »Sie« anzusprechen, wenn er ihn manchmal im Hause seiner Mutter traf. Und jetzt saß der stolze Mann da, grüßte ihn, rief ihn beim Namen, duzte ihn sogar und war ganz stolz, als der junge Torero vor ihm stehen blieb und mit einer Bewegung des Degens auf seine Zurufe antwortete. Das Ergebnis war ein triumphales. Die Menge stürzte sich auf Juan, als wollte sie ihn im Überschwang der Begeisterung erdrücken. Glücklicherweise stand der Schwager neben ihm, um Ordnung zu schaffen, ihn mit seinem Körper zu schützen und den Gefeierten bis zur Kutsche zu führen, wo er sich an seine Seite setzte.
Als er zum kleinen Häuschen im Bezirk La Feria kam, da war die Menge hinter dem Wagen zu einer unabsehbaren Schar angewachsen, welche durch ihre Hochrufe die Leute vor die Häuser lockte. Angustias und ihr Sohn standen in der Türe des Hauses. Einige Nachbarn, welche der Corrida beigewohnt hatten, sagten der Frau Artigkeiten und die Freundinnen konnten sich nicht genug an Ausrufen tun. Die arme Frau blickte sie ganz erstaunt und zweifelnd an. War es denn möglich, das Juan diese Leute in solche Begeisterung versetzt hatte? Waren sie alle verrückt geworden? Doch plötzlich verschwand alles, was in der Vergangenheit lag, als ob diese nur ein Traum, ein Schein gewesen wäre Sie legte ihre Arme um den Hals ihres Sohnes und Tränen der Rührung benetzten seine Wangen. »Mein Junge, mein Juan, wenn dich dein armer Vater so gesehen hätte.« »Weine nicht, Mutter, heute ist ein Freudentag. Schau, wenn Gott es will, so wirst du ein Haus haben und man wird im Wagen vorfahren, uns zu besuchen ...«
Am Abend sprach man in den Weinschenken und Kaffeehäusern des Stadtviertels nur von Gallardo. Er war der kommende Mann, der alle Stierkämpfer aus Cordoba in den Schatten stellen würde. Aus diesen Bemerkungen sprach der Stolz der Sevillaner, die in ständiger Rivalität mit den Leuten aus Cordoba standen, welche gleichfalls tüchtige Stierkämpfer stellten.
Seit diesem Tage änderte sich die Lebensweise Gallardos. Die Herren grüßten ihn, und luden ihn ein, bei ihnen im Kaffeehaus Platz zu nehmen. Die guten Mädchen, welche früher seinen Hunger gestillt und seine Kleider in Ordnung gehalten hatten, sahen sich nun plötzlich mit einem verächtlichen Lächeln abgelohnt. Sogar sein alter Gönner hielt sich klugerweise im Hintergrund, da man ihm gezeigt hatte, daß er ungelegen komme, deshalb nahm er andere junge Leute, welche dieselbe Laufbahn einschlagen wollten, unter seinen Schutz.
Die Unternehmung, welcher die Plaza de Toros gehörte, trat an Gallardo heran und ging mit ihm um, als wäre er schon eine Berühmtheit. Stand sein Name auf den Plakaten, so war der Erfolg des Tages gesichert, der Zirkus ausverkauft. Die Bevölkerung klatschte dem »Jungen der Frau Angustias« stürmisch Beifall und verkündete überall seinen Ruf, der sich schnell über Andalusien verbreitete. Durch anderthalb Jahre trat Juan in den größten Städten Spaniens auf und schließlich war man in Madrid auf ihn aufmerksam geworden. Man wollte den jungen Sevillaner kennen lernen, von dem die Zeitungen so viel erzählten. Er hatte in Madrid Glück, er schloß dort Freundschaft und es bildete sich um ihn eine Gruppe von Anhängern, welche ihn den Torero der Zukunft nannten.
Das Leben in der Familie hatte sich vollständig geändert. Gallardo, der mit den großen Herren von Sevilla verkehrte, wollte nicht, daß seine Mutter in der alten Stätte des überwundenen Elends wohne. Er wäre gerne in die schönste Straße der Stadt gezogen, doch Frau Angustias blieb ihrem Bezirk treu mit jener Anhänglichkeit, welche sich oft die einfachen Leute im Alter für die Stätte ihrer Kindheit bewahren. Sie lebte jetzt in einem schöneren Hause, arbeitete nicht mehr und die Nachbarinnen machten ihr den Hof. Juan trieb, abgesehen von den Schmuckstücken, die er zur Schau trug, einen Aufwand, zu dem er sich als Torero verpflichtet fühlte. Er kaufte sich ein Reitpferd und ritt so durch die Straßen, nur um die Huldigungen seiner Freunde entgegenzunehmen, welche ihn überall mit lautem Bravo begrüßten. Das befriedigte für den Augenblick sein Streben nach Popularität. Ein andermal begab er sich wieder mit den vornehmen Herren der Stadt zu einem Stiergefecht, um diesesmal als Zuschauer das Spiel zu betrachten.
Endlich kam auch für ihn der Tag, an dem er seinen Befähigungsnachweis erbrachte. Ein berühmter Torero gab ihm inmitten der Arena den Degen mit dem roten Tuch und das Publikum raste vor Begeisterung, als er mit einem Stoß den ersten Stier, der ihm entgegentrat, zu Boden streckte.
In den folgenden Monaten mußte der junge Doktor der Stierfechterkunst noch einmal im Zirkus von Madrid seine Kunst beweisen. Hier stellte ihm ein anderer, nicht weniger berühmter Meister des Faches die gleiche Aufgabe und zwar in einer Corrida mit Stieren aus Miura. Jetzt war er kein Anfänger mehr, der sich mit Neulingen abgab, nun stand sein Name neben dem der alten Toreros, welche er wie unerreichbare Götter bewundert hatte, wenn er seinerzeit von Ort zu Ort zog. Er erinnerte einen seiner Kameraden, daß er ihn auf einer Station in der Nähe von Cordoba erwartet und um Hilfe gebeten hatte, als er mit seinem Begleiter den Zug bestieg. Damals konnte er sich sogar satt essen, dank der Brüderlichkeit, welche alle Stierkämpfer untereinander verbindet und welche den berühmtesten Torero veranlaßt, dem jungen Anfänger eine Zigarre und einen Duro zu geben.
Die junge Berühmtheit wurde mit Kontrakten überrannt. Man wollte ihn in allen Städten der Halbinsel sehen. Die Zeitschriften veröffentlichten seine Bilder und machten ihn populär, sie schmückten seine Lebensgeschichte mit romanhaften Begebenheiten aus. Keiner unterschrieb so viel Kontrakte wie er, das Geld strömte ihm nur zu. Sein Schwager Antonio begleitete diesen Aufstieg vor seiner Frau und Schwiegermutter mit Protesten und Stirnrunzeln. Juan war ein undankbarer Bursche, er hatte sich einen Vertreter genommen, einen gewissen Don Jose, der gar nicht zur Familie gehörte. Doch Gallardo beschwichtigte seinen Schwager, indem er ihm die Aufsicht über den Bau seines Hauses übertrug, das er sich errichten ließ, wobei er ihm bezüglich der Kosten freie Hand ließ. Der Torero, welcher über die Leichtigkeit, mit der ihm das Geld zufloß, ganz erstaunt war, wünschte sogar, daß sein Schwager sich etwas für seine Tasche beiseite lege, indem er ihn auf diese Weise dafür entschädigte, seine Vertretung einem anderen übertragen zu haben.
Juan war im Begriffe, einen langgehegten Wunsch zu erfüllen und seiner Mutter, welche ihr Leben damit verbracht hatte, die Schwellen der Reichen zu scheuern, ein eigenes Haus mit großen Säulenhallen, prächtigen Marmorfliesen und reichgeschmückten Möbeln zu erbauen. Dennoch fühlte er sich durch eine traditionelle Neigung mit dem Stadtteil verbunden, wo er seine trübselige Kindheit verbracht hatte. Es freute ihn, die Leute zu blenden, bei denen seine Mutter im Dienste gestanden war, oder ihnen im Augenblick der Not eine Handvoll Geldstücke zu geben, weil sie seinem Vater ein Paar Schuhe gebracht oder ihm selbst in Tagen der Not ein Stück trockenen Brotes überlassen hatten. Er kaufte verschiedene alte Häuser auf; in einem derselben hatte sein Vater seinen Schusterladen gehabt. Er ließ es niederreißen und begann ein neues aufzuführen, welches weiße Mauern, grüne Fensterläden, einen großen Vorhof mit Fliesen und ein eisernes Gitter haben sollte, durch welches man einen Springbrunnen innerhalb einer Kolonnade sehen würde.
Die Freude seines Schwagers Antonio, so ungehindert über die Bauten des Torero verfügen zu können, verringerte sich plötzlich ganz gewaltig durch eine Schreckensnachricht. Gallardo hatte eine Braut. Er eilte jetzt im Frühling durch ganz Spanien von einer Stadt zur anderen, erlegte Stiere und wurde überall bejubelt. Doch sandte er täglich eine Karte an ein Mädchen des Bezirkes und während der kurzen Pausen zwischen zwei Tourneen verließ er seine Kameraden und eilte nach Sevilla, um mit ihr am Fenster zu sprechen. »Hat man so etwas gesehen?« äußerte sich der Schwager, der sich in dem Gefühl verletzt fühlte, das er Familiensinn nannte. »Er hat eine Braut, ohne seiner Familie ein Wort zu sagen!«
Die Braut war eine Waise und lebte bei Verwandten, welche einen Laden im Bezirke hatten. Ihr Vater, ein früherer Branntweinhändler, hatte ihr zwei Häuser in der Umgebung von Macarena hinterlassen. »Es ist zwar wenig,« sagte Frau Angustias, »doch bringt das Mädchen immerhin etwas mit. Und ihre Hände sind mehr wert, als manche reiche Ausstattung. Man mußte nur sehen, wie sie die Tücher einsäumte und sich die Ausstattung selbst zusammennähte.«
Gallardo erinnerte sich dunkel, mit ihr als Knabe gespielt zu haben, während die zwei Mütter miteinander plauschten. Sie war damals klein, dunkel, hatte schwarze, große Augen und war flink wie eine Eidechse. Beim Laufen zeigte sie ein mageres Bein, das Haupthaar ringelte sich in schwarzen, widerspenstigen Locken um ihr Haupt. Er hatte sie dann aus den Augen verloren und sah sie erst wieder, als er schon anfing, einen Namen zu haben.
Es war am Fronleichnamstage, einem der wenigen Feste, an welchem die Frauen Sevillas, die sonst zu Hause bleiben müssen, auf die Straßen gehen können. Gallardo bemerkte ein großes, schlankes Mädchen, mit vollen Formen, in der Kraft ihrer jungen Mädchenschaft. Ihr bleiches Angesicht färbte sich, als es den Torero sah. Ihre großen Augen verbargen sich hinter langen Wimpern. »Dieses Mädchen kennt mich,« sagte sich Gallardo voll Eitelkeit, »sie hat mich sicher im Zirkus gesehen.« Und als er erfuhr, daß das Carmen, die Spielgefährtin seiner Jugend war, fühlte er sich über die wundervolle Verwandlung der schwarzen Eidechse ganz verwirrt und betroffen. Sie verlobten sich und alle Nachbarn sprachen von dieser Verbindung, in welcher sie eine neue Ehre für den Bezirk sahen.
Als er nach der Verlobung mit ihr am Fenstergitter plauderte und ihr braunes Gesicht zwischen den Blumen betrachtete, da brachte ihm ein Bursch aus der nahen Schenke einen großen Korb mit Wein. Es war Brauch in Sevilla, den Verlobten, wenn sie am Fenster miteinander sprachen, diese Gabe zu senden. Nach der Rückkehr von seiner Frühjahrstournee verbrachte er die Frühlingsnächte, in seinen weiten seidenbesetzten Mantel eingehüllt, vor dem Fenster seiner Carmen.
»Man erzählte mir, daß du viel trinkst«, sagte sie, indem sie ihre Wange an die Eisenstäbe drückte.
»Nicht der Rede wert. Eine Zusammenkunft mit Freunden, sonst nichts. Und dann weißt du, ein Torero ist ein Torero, der lebt nicht wie ein Klosterbruder.«
»Man sagt mir auch, daß du mit schlechten Weibern gehst.«
»Das ist eine Lüge. Das war damals, als ich dich noch nicht kannte. Ein Schuft, der das sagte. Wenn ich ihn nur erwischen könnte.«
»Und wann werden wir heiraten?«
Mit dieser Frage schnitt sie den Zorn ihres Verlobten ab.
»Wenn das Haus fertig ist, mein Schwager, der Dummkopf, bringt ja nichts vorwärts.«
»Ich werde schon auf alles achten, wenn wir verheiratet sind. Du wirst sehen, wie schön alles gehen wird.«
So plauderten sie zusammen und warteten auf den Augenblick ihrer Hochzeit, von der man in ganz Sevilla sprach. Doch betrat der Torero niemals das Haus seiner Verlobten, als würde ihn ein Verbot daran hindern. Sie zogen es vor, sich dem Brauche gemäß am Fenster zu sehen.
Der Winter kam. Gallardo stieg zu Pferde und ritt mit einigen Herren, welche ihn mit gönnerhafter Miene duzten auf die Jagd. Er mußte sich die Beweglichkeit seines Körpers durch fortwährendes Training erhalten, er fürchtete nichts so sehr, als seine Kraft und seine Geschicklichkeit zu verlieren.
Der unermüdliche Herold seines Ruhmes war Don José, der ihm Vermittlerdienste leistete und ihn seinen Torero nannte. Er nahm an allem, was Gallardo betraf, Anteil und setzte für diese Aufgabe sogar die Ansprüche seiner Familie hintan. Er lebte von seinen Renten und tat nichts anderes als nur von Stieren und Stierfechtern zu reden. Für ihn waren die Stierkämpfe das einzige Interessante auf der Welt und er teilte die Völker in zwei Klassen ein: in Auserwählte, welche dieses edle Spiel pflegen, und in die traurige Menge derer, welche keine Sonne, keine Freude, keinen Wein kennen und sich für mächtig und glücklich schätzen, obgleich sie nicht einmal eine armselige Corrida mit jungen Stieren veranstalten können. Er vereinigte mit dieser Leidenschaft die Energie eines Fanatikers und den Glauben eines Inquisitors. Dieser sonst so heitere Familienvater, der immer ruhig und gelassen war, konnte wild und unausstehlich werden, wenn während eines Stierkampfes die Nachbarn anderer Meinung waren. Er fühlte sich im Stande, mit dem ganzen Publikum Streit anzufangen, um einen befreundeten Torero zu verteidigen. Oder er störte die Beifallskundgebungen mit unangebrachten Protesten, wenn man einen Espada beklatschte, der sich nicht seiner Zuneigung erfreute.
Er hatte nur einen Wunsch, der Berater, der Führer und Vertreter eines dieser Großen zu werden. Doch als er daran ging, ihn zu verwirklichen, da waren alle Stierkämpfer bereits in festen Händen und so bedeutete für ihn der Aufstieg Gallardos die Erfüllung seiner Wünsche. Der geringste Zweifel an dessen Verdiensten versetzte ihn in Zorn und aus der Erörterung über sonst belanglose Fragen des Stierkampfes wurde eine persönliche Angelegenheit. Er betrachtete es als eine seiner Heldentaten, sich in einem Kaffeehaus mit zwei Ehrabschneidern geprügelt zu haben, da diese seinen Torero als einen Dandy bezeichnet hatten, den man nicht ernst nehmen könne.
Die Hochzeit Gallardos war eine Sensation. Mit ihr wurde das neue Haus eingeweiht, auf das der Schwager so stolz war. Er zeigte den Hof, die Säulen, die Fliesen, als ob er das alles mit seiner Hände Arbeit geschaffen hätte.
Sie heirateten in der St. Egydiuskirche vor dem Bilde der Lieben Frau, die man la Macarena nannte. Als sie die Kirche verließen, da glänzten unzählige Blumen in der Sonne und die bunten Figuren auf den Schleiern, welche die Freundinnen der jungen Frau trugen, schimmerten in allen Farben. An der Türe des Hauses verteilte man während des Tages Geschenke und Almosen, die Armen kamen aus den entlegendsten Ortschaften, da sie sogar dort von der glänzenden Hochzeit gehört hatten.
Zu Hause gab es ein großes Festessen. Einige Photographen machten Momentaufnahmen, die für die Zeitungen in Madrid bestimmt waren. Die Hochzeit Gallardos war sozusagen ein nationales Ereignis. Bis spät in die Nacht erklangen die Gitarren mit ihrem melancholischen Gesumm, begleitet von Beifallsklatschen und dem Klopfen der Stöcke, welche den Takt mitschlugen. Die Mädchen stampften, während sie einen Arm hoch hoben, mit den zierlichen Füßen den Tanzschritt auf dem Boden, Rock und Schleier schmiegte sich um den beweglichen Körper, der sich im Takt der Sevillana bewegte. Zu Dutzenden leerte man die Flaschen schweren andalusischen Weines, Liköre und Branntweine machten die Runde, alle waren berauscht, doch war ihre Trunkenheit süß, ruhig und traurig, ohne sich anders als durch Seufzen und Singen zu betätigen.
Um Mitternacht gingen die letzten Gäste weg und die Neuvermählten blieben mit Frau Angustias zurück. Der Schwager machte beim Abschied eine Bewegung der Verzweiflung. Er war betrunken und wütend, weil sich während des ganzen Tages niemand um ihn gekümmert hatte, als wenn er ein Niemand wäre und seine Familie nicht existierte.
Die Zeit verging, Gallardo und seine Frau zeigten sich bei allen Festen mit dem Aufwand und der Anmut eines reichen und volkstümlichen Paares. Sie trug den Schleier, welcher anderen Frauen Ausrufe der Bewunderung entlockte, er zeigte seine Brillanten und war immer bereit, die Börse herauszuziehen, um den Bettlern, welche in Scharen herbeiliefen, Geld zu geben. Zigeunerinnen, braun und schwatzhaft wie alte Hexen, umlagerten Carmen mit allen möglichen glücklichen Prophezeihungen: Gott werde sie segnen und ihr ein süßes, herziges Kindchen schenken. Man sehe es ihr an den Augen an. Doch umsonst war das Erröten und die Freude Carmens, umsonst freute sich der Torero, der Sohn kam nicht. Ein zweites Jahr verging, ohne daß sich die Hoffnungen erfüllten. Frau Angustias wurde traurig, wenn man von dieser Enttäuschung sprach. Sie hatte andere Enkel, die Söhne der Encarnacion, welche auf Wunsch des Schwiegersohnes den Tag bei der Großmutter verbrachten. Doch sie, welche die Schatten der Vergangenheit und die Erinnerung an ihre »stürmische« Zärtlichkeit zu Juan vergessen lassen wollte, wünschte sich einen Sohn von ihm, da sie ihn nach ihrer Weise erziehen und ihm all die Liebe geben wollte, die sie dem Vater infolge seiner unglücklichen Jugend versagen mußte.
Wenn während des Winters der Torero zu Hause war oder sich mit Jagden und dem Besuch der Stierzüchtereien die Zeit vertrieb, ging alles gut. Carmen war glücklich und zufrieden, da sie ihren Mann in Sicherheit wußte. Sie lachte über den geringfügigsten Anlaß, ihr Gesicht belebte sich mit den Farben der Gesundheit. Doch wenn der Frühling kam und Juans Fahrten durch alle Städte Spaniens begannen, schien die arme Frau, welche täglich bleicher und zarter wurde, in eine Art Trübsinn zu verfallen. Ihre Augen öffneten sich weit, wie unter dem Banne der Furcht und waren bereit, jeden Augenblick Tränen zu vergießen. »Zweiundsiebzig Stierkämpfe in dieser Saison!« sagten die Freunde des Hauses, wenn sie über die abgeschlossenen Verträge des Hausherrn sprachen. »Keiner ist so gesucht, wie er!« Und Carmen lächelte mit einer schmerzhaften Grimasse. Sie wußte, daß sie zweiundsiebzig angstvolle Nächte vor sich hatte, die sie wie ein Angeklagter in der Kapelle verbringen würde, fiebernd in der Erwartung eines Telegramms und gleichzeitig voller Angst, es zu öffnen. Zweiundsiebzig Tage des Schreckens und grauenvoller Ahnungen bei dem Gedanken, daß ein vergessenes Gebet das Schicksal des Abwesenden beeinflussen konnte. Zweiundsiebzig Tage schmerzlicher Abgeschlossenheit in einem stillen Hause, immer mit denselben Leuten, mit denselben Gewohnheiten, als ob in der Welt nichts Außergewöhnliches geschehen könnte. An diesen Tagen der Stierkämpfe, an denen der Himmel schöner zu sein schien und die einsamen Straßen von dem Geplauder der sonntäglichen Spaziergänger widerhallten, an denen die Gitarren summten und die Akkorde zu den Liedern der Gäste in der nahen Weinstube spielten, an diesen Tagen verließ Carmen in ärmlicher Kleidung, die Mantilla bis zu den Augen aufgeschlagen, ihr Haus, als ob sie bösen Träumen entfliehen und in der Kirche Schutz finden wollte. Ihr einfacher Glaube, den die Ungewißheit noch mit abergläubischen Vorstellungen durchsetzte, ließ sie von Altar zu Altar gehen und die Verdienste und die Wunder eines jeden Gnadenbildes abschätzen. Sie ging in die Egydiuskirche, welche ihren Freudentag gesehen hatte, sie betete vor dem Frauenbildnis, dem sie unzählige Kerzen anzündete, in deren Schein sie dann das braune Antlitz des Bildes mit den schwarzen Augen und den feinen Augenbrauen betrachtete. Auf sie setzte sie ihr größtes Vertrauen. Doch gleich darauf erschütterte Zweifel und Furcht ihren Glauben; die Jungfrau war ein Weib und Frauen richten so wenig aus! Ihr Geschick ist zu weinen oder zu klagen, wie sie es für ihren Mann tat, wie die andere es für ihren Sohn getan hatte. Sie mußte sich an stärkere Mächte wenden und anderen Schutz erflehen. Und ohne Gewissensbisse verließ sie mit dem Egoismus des Schmerzes das Gnadenbild, wie man eine wertlose Freundschaft aufgibt, und eilte in die St. Lorenzokirche zu unserem Herrn Jesus del Gran Poder (Jesus dem Allmächtigen), wo das Bild des dornengekrönten Gottmenschen mit dem Kreuz auf dem Rücken, das er schweißbedeckt und weinend trug, mehr das Gefühl des Schreckens als das der Verehrung erweckte. Die Verzweiflung des Nazareners, der über die Steine stolpert und unter dem Gewichte des Kreuzes zu Boden fällt, schien die arme Frau zu trösten. »Der Allmächtige!« Dieser unbestimmte und großartige Beiname beruhigte sie. Sie stammelte ihre Gebete so schnell wie möglich herunter, um ihre Bitten in recht viel Worte zu kleiden, und war sicher, daß Juan die Arena, in welcher er damals stand, heil und unverletzt verlassen würde. Dann wieder gab sie einem Sakristan Geld, er zündete Kerzen an und sie verbrachte Stunden damit, die roten Zungen und ihren Reflex auf dem Gnadenbild zu betrachten, wobei sie in ihrem flackernden Schein, im Wechsel von Licht und Schatten bald ein tröstendes Lächeln, oder ein verheißungsvolles Nicken, welches Glück für die Zukunft bedeutete, zu sehen glaubte. El Señor del gran Poder täuschte sie nicht. Als sie nach Hause kam, fand sie das Telegramm, das sie mit zitternden Händen öffnete. Es enthielt nur die wenigen Worte: »Alles gut vorüber.« – Nun konnte sie aufatmen, wieder schlafen, wie der Gefangene, der plötzlich begnadigt wurde, doch nach einigen Tagen begann die schreckliche Tortur der Ungewißheit von neuem.
Trotz ihrer Liebe zu Juan hatte Carmen Augenblicke der Auflehnung. Wenn sie vor ihrer Heirat gewußt hätte, was sie für ein Leben erwarte – dann ... In solchen Augenblicken suchte sie, als ob sie der Schmerz zu ihresgleichen triebe, die Frauen der anderen Toreros auf, welche ihren Mann begleiteten, ob sie ihr eine Nachricht geben könnten. Die Frau des Nacional, welche einen Laden im gleichen Bezirk hatte, empfing sie freundlich und verscheuchte ihre Angst. Sie war an dieses Leben schon gewöhnt, ihrem Manne mußte es gut gehen, da er kein Telegramm schickte. Denn diese sind gar teuer und ein Banderillo verdient wenig. Wenn die Zeitungsverkäufer nicht schon den Titel einer alarmierenden Nachricht ausriefen, dann wußte sie, daß alles in Ordnung war. Und sie versah den Dienst in ihrem Laden, als ob überhaupt nichts geschehen könnte.
Oft ging Carmen zur Frau des Picador Potaje, welche in einem anderen Bezirk wohnte. Diese war immer stolz über den Besuch, den ihr die Frau des Patrons machte, doch die Befürchtungen Carmens entlockten ihr nur ein Lächeln. Es gab gar keinen Anlaß zur Furcht. Die Stierkämpfer, welche dem Tiere zu Fuß entgegentraten, konnten sich ja immer frei machen und Juan Gallardo hatte viel zu viel Glück, um sich erwischen zu lassen. Der Stier selbst tötete ja nur wenig Leute, das Furchtbarste war der Fall der Pferde. Man wußte ja, was einem Picador nach all seinen Quetschungen und Verwundungen bevorstand. Fast jeder, der nicht früher infolge eines unvorhergesehenen Unglückes starb, wurde schließlich verrückt. So würde auch ihr armer Potaje enden. Und all das nur für eine Hand voll Duros, während andere... Sie sprach den Satz nicht aus, aber ihre Augen enthüllten deutlich den Protest gegen die Ungerechtigkeit des Schicksals, daß jene, welche mit dem Degen in der Hand sich brausenden Beifall, Ruhm und Geld erwarben, dies unter geringeren Gefahren taten als ihre unbeachteteren Kameraden.
Langsam gewöhnte sich Carmen an ihr neues Leben. Sie nahm das furchtbare Warten am Tage der Stierkämpfe, ihre Kirchenbesuche, ihre abergläubischen Wahnvorstellungen so hin, als wenn es Notwendigkeiten ihrer Existenz wären. Schließlich machten sie die fortwährenden Gespräche ihrer Umgebung und nicht zuletzt das andauernde Glück ihres Mannes mit der Gefahr vertraut. Sie selbst ging niemals zu einem Stiergefecht. Seitdem sie nach ihrer Verlobung gesehen hatte, was dort für Gefahren drohten, hatte sie die Arena nicht mehr betreten.
Nach dreijähriger Ehe hatte der Torero das Mißgeschick, in Valencia von einem Hornstoß getroffen zu werden. Carmen wäre beinahe gestorben. Das Telegramm kam wie gewöhnlich mit der Botschaft »Alles wohlauf!« Don Jose unterzog sich dem Werke der Nächstenliebe, sie jeden Tag zu besuchen und sie durch alle möglichen Listen davon abzuhalten, die Zeitungen zu lesen. Als aber Carmen durch die Geschwätzigkeit der Nachbarn den Vorfall erfuhr, wollte sie sogleich den Zug besteigen und zu ihrem Manne eilen, weil sie glaubte, er sei ohne Pflege. Doch war es nicht notwendig. Gallardo kam früher als sie abreiste, bleich noch infolge des Blutverlustes und durch die Wunde an einem Bein zur Untätigkeit verdammt, jedoch heiter und guten Mutes, um seine Familie zu beruhigen. Das Haus wurde nachher eine Art Wallfahrtsort. Hunderte von Personen kamen, um Gallardo zu begrüßen. Und er saß in einem Lehnstuhl, stützte das Bein auf einen Schemel und rauchte ruhig, als würde er diesen furchtbaren Zusammenstoß zu den Unannehmlichkeiten seines Berufes rechnen, die keines weiteren Aufhebens wert seien. Der Doktor Ruiz, welcher mit ihm nach Sevilla gekommen und sich über die Lebenskraft dieses Organismus nicht genug wundern konnte, gab ihm noch einen Monat bis zur vollständigen Genesung. Die Leichtigkeit, mit welcher sich die Wunden der Toreros ausheilten, war für ihn trotz seiner langen Praxis als Wundarzt ein Geheimnis. Das Horn, welches mit Schmutz und Ruß besudelt und durch die wiederholten Stöße abgeschaltet war, zerriß und zerquetschte das Fleisch, durchbohrte es und verursachte mit der tiefen Stoßwunde auch eine schwere Quetschung. Und dennoch heilten die gefährlichen Verletzungen mit größerer Leichtigkeit als kleine Unfälle des Tages. Kurze Zeit nachher nahm Gallardo seinen Beruf wieder auf, ohne dass er infolge dieser Wunde irgendwie von seiner Beweglichkeit verloren hätte, wie es der Wunsch seiner Feinde gewesen wäre.
Nach vierjähriger Ehe überraschte der Stierkämpfer seine Frau und seine Mutter durch den Kauf einer großen Besitzung. Sie wurden Eigentümer von Ländereien, welche sich weithin erstreckten, von Ölbaumpflanzungen, Mühlen und großen Herden. Ihr Gut war so groß, dass sie nun zu den reichsten Besitzern von Sevilla zählten.
Gallardo fühlte den Wunsch aller Stierfechter, welche Landwirte, Pferde- oder Viehzüchter sein wollen. Der Besitz in der Stadt oder das Barvermögen lockt sie nicht und sie wissen damit nichts anzufangen. Die Notwendigkeit, immer in Bewegung und Übung zu bleiben, die Jagd und der Sport in den Wintermonaten drängen sie dazu, sich einen Besitz zu erwerben.
In Gallardos Augen war nur der Besitzer eines Grundstückes mit großen Herden ein reicher Mann. Seit den Tagen des Elends und der Armut, als er noch zu Fuß durch die öden Pflanzungen und Viehweiden wanderte, hatte er sich den Wunsch lebendig er hallten, der Eigentümer solch weiter Landstrecken zu werden, welche er dann mit Stacheldraht gegen die übrigen abschließen wollte. Sein Vertreter kannte diesen Wunsch und eines Tages kam er freudestrahlend mit der Botschaft: »Ich habe etwas für dich. Ein Gut, wie eine Welt so groß und sehr billig. Ein wirklicher Zufallstreffer.« Gallardo fragte nach der Lage und dem Namen der Besitzung. »Sie heißt ›La Rinconada‹ (Eckhof).« Am nächsten Tag war der Kauf abgeschlossen.
Als er mit Frau und Mutter von dem Hofe Besitz nahm, zeigte er ihnen die Scheune, in welcher er mit seinem Gefährten geschlafen, und das Zimmer, worin er mit dem Eigentümer gegessen hatte. Auch hier war die Vergangenheit durch die Erinnerung an seine Jugend mit der Gegenwart verknüpft.