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Eine helle Mondscheinnacht lag auf der Gegend und überzog sie mit einem silbernen Elfenschleier. Die Luft bewegte sich frisch und erquicklich und lockte ins Freie. Trotz des bedeutenden Marsches, den sie gemacht hatten, entschlossen sich deshalb die Gefährten einstimmig, die anderthalbstündige Promenade bis nach Thale nicht zu scheuen, um morgen desto frischer eine Hauptpartie der vorgezeichneten Bahn genießen zu können.
In dem Buchengehölz, das unseren Fußpfad umdunkelte, empfing uns das Geflüster des üppigen Laubes, als spräche es in muterweckenden Grüßen zu der nächtlichen Schar, und das durchglitzernde Licht besäte die Zweige wie mit Millionen leuchtender Diamantkäfer. Schmutzige Fledermäuse schwirrten zuweilen um unsere Köpfe, und der geschmeidige Iltis huschte über den Weg und suchte die Steinspalte. Bald schritten wir auf dem weitgestreckten Heidelberg hin und hatten
zur Seite. Dieser schmale Steinwall, aus Quadersandstein bestehend, bildet ein seltenes Naturschauspiel. Wie absichtlich und von Menschenkunst zusammengefügt erheben die großen Massen sich hier aus dem Boden, steigen zu barocken Gestaltungen als schroffe Klippen hoch auf, senken sich dort geklüftet und zerrissen nieder, verschwinden dann unter dem Boden bis auf eine leichte Spur von zersplitterten, unordentlich verworfenen Steinbrocken, steigen wieder auf diesseits Neinstedt in der Nähe der Bode, zwingen den Fluß zu einem ausweichenden Bogen und lassen sich noch jenseits bis nach Gernrode hinab, also in einer Länge von vier Wegstunden, verfolgen. Selbst kundige Gelehrte der Vorzeit hielten sie für einen Bau riesiger Urvölker; das Volk nennt sie ein Werk des Höllenfürsten, der sein Reich dadurch gegen die herandringende Lehre des ihm verhaßten Kreuzes schützen wollte, jedoch dieses Werk, als es, kaum begonnen, durch die zerschmetternden Wetterstrahlen des Weltgebieters, von dem er abgefallen war, zertrümmern sah. – Der Führer machte uns einen Vorsprung des Gesteins merklich, der eine famose Ähnlichkeit mit dem Profil des unglücklichen Louis Seize sehen läßt. So eifersüchtelt der Harz in allem mit seinen Brüdern und ist auch ein Silhouettenschneider en gros so gut wie die schottischen Berge, wo man einen Pitt und einen Wellington als natürliche Büsten gefunden hat. –
Das fahle Mondlicht vermehrte den geisterhaften Effekt dieses Klippenzugs, und eine zufällige Staffage tat ihren Teil dazu. Ernst lenkte unsere Aufmerksamkeit zu einer menschlichen Figur, die auf einem Steinkubus stand und uns zu erwarten schien. Näher gekommen, erkannten wir einen hübschen, jugendlichen Nimrod im schmucken, kurzen Jägerkleid, die leichte Büchse an der Schulter, die rauhe Tasche und den Hirschfänger an der Hüfte. »Der leibhafte Max aus der Wolfsschlucht! Auch die ominöse Adlerfeder fehlt nicht am Mützchen!« sagte Ernst lebhaft, als der weiße, glänzende Hühnerhund, blank und nett wie sein Herr, zu uns heranstrich und den Kopf spürend zu uns erhob.
Der junge Mann stieg herab und fragte, ob dieser Weg der rechte zur Blechhütte bei Thale sei.
Verwundert wurde ihm geantwortet, daß diese Frage, von einem doch wahrscheinlich hier ansässigen Forstmann an Fremde getan, sonderbar klinge; doch hofften wir mit ihm auf rechtem Weg zu sein, da ein empfohlener Führer uns voranschreite.
Des jungen Jägers recht angenehmes Gesicht überzog eine leichte Röte, die uns ungeachtet des trüglichen Halblichts sichtbar wurde. Er mußte fühlen, daß sein eitler Jagdputz auf solcher Reise uns ein Recht zu diesem Spötteln geben durfte, und ohne Zwang erwiderte er kurz, er sei ein Forstkandidat, im Nachbarland heimisch, käme von Berlin, dem Platz seiner Studien, habe seine Blutsfreunde begrüßen wollen, doch sie nicht daheim gefunden und vernommen, daß sie sämtlich zu einer Harzreise sich aufgemacht hätten. Er folge ihrer Fährte; aber sein Unstern wolle, daß, wo er einträfe, sie eben abgereist seien – ein böses Schicksal, das ihm bislang die ganze, obgleich dem Forstmann so interessante Tour verleidet hätte. – Die Einladung, in unserer Gesellschaft zu bleiben, wies er trocken und fast unhöflich von sich, indem er meinte, die kurze Strecke, seit wir ihm in den Schuß gekommen seien, habe ihm einen Beweis unserer Schneckeneile gegeben; er zog einige flüchtige Erkundigungen bei dem Burschen ein, der unser Führer war, pfiff seinem Hund und entschwand bald in einem echten Sturmschritt, der seine Unhöflichkeit etwas entschuldigte, auf der Straße.
Rechts von dieser Straße liegt auf braunschweigischem Territorium das Dorf Cattenstedt, dem zwei Hügel eine Art von Merkwürdigkeit geben – der Brombeerberg und der Salpeterkopf –, da sie als ein großes Golgatha gänzlich aus menschlichen Gebeinen zu bestehen scheinen und man überall Schädel und Knochen in Begleitung von rostigen Waffenstücken und Hufeisen ausgräbt. Von einer hier vorgefallenen großen Schlacht sagt die Historie nichts, und Warnstedt, wo 1113 Graf Hoyer von Mansfeld mit dem Heer Heinrichs V. die sächsischen Magnaten überfiel, den tapferen Wiprecht von Groitzsch gefangennahm und Siegfried, den rheinischen Pfalzgrafen, eigenhändig durch einen Lanzenstich tötete, ist östlicher nach Quedlinburg zu gelegen. Geschichte der Lande Braunschweig und Lüneburg« von Willi. Havemann, I.,S. 59. 1837.
Der Heidelberg enthält in seinen Sandsteinbrüchen rare Blätterabdrücke und wertvolle Echiniten, außerdem liefert seine Tongrube vielfarbige Malererde. –
Langsam und schweigend zogen wir durch Timmenrode, das schon im Schlaf lag und wo nur ein wachsamer Phylax uns mit seinem Gekläff empfing; wir ließen uns hier nicht verleiten, den Teufelskessel in der berüchtigten Teufelsmauer oder auf ihr die Reste der Kuksburg zu besteigen, die gleich dem Regenstein eingehauene Felsenkeller darbietet und vielleicht richtiger Kuckucksberg heißen müßte; man erinnere sich nur an Asmus und sein Weinlied, an den langen Herrn Philister und den tanzenden Kuckuck nebst Küster. Die letzte Kraft, durch die immer steigende Sehnsucht in der Nähe des Zieles gehoben, brachte uns nach dem königlich-preußischen Hüttenort Thale, und die Dienstboten des Herrn Würfel öffneten ohne Murren den ungeduldigen Pochern die gastliche Pforte und sorgten für alles, was den Pilgern nottat. –
Eine rauhe, polternde Stimme weckte uns am Morgen, und betroffen hörten wir uns Langschläfer schelten.
»Das ist des alten Fabers Stimme«, rief ich erfreut, indem ich den Nachtriegel fortschob. »Herein und Glückauf, du graue Eule, du ehrlicher Traugott, den ich hier unten kaum wiederzusehen gehofft!«
Der sechzigjährige Bergsteiger drückte mir derb die Hand und sagte: »Vor zehn Jahren war der Herr früher heraus; doch die Spazierhölzel sind wohl nicht mehr so frisch wie damals. Es hat ihm die Bergluft gefehlt, die jung erhält. Man sehe nur uns an! Aber vorwärts, denn bis Mittag möchte die Steintreppe glattgewaschen werden. Es sind schon viele Herrschaften hinauf«, setzte er freundlich schmunzelnd hinzu, »aber ich habe meine Kameraden mitgeschickt und auf Sie gewartet, da ich aus dem Wirtsbuch Ihren Namen erfuhr.« Das Gedächtnis des Alten ehrte mich, doch ist seine Schärfe bei den Harzern nichts Ungewöhnliches; das einfache Leben hält die Ereignisse fester und klarer.
Das Wetter war düster, schwere Wolkenzüge drängten sich, und die Sonne vermochte sich nur selten und auf Augenblicke Platz zu machen. Wir beeilten uns. –
Aber, du schöne Bode, wie sahen wir dich wieder? Was war aus dir geworden, seit wir uns in deinem stillen, freundlich ausgeputzten Brautgemach von dir getrennt haben? – Schäumend, unstet, aufgeregt sahen wir dich hervorbrausen aus dem unwirtlichen Labyrinth formloser, verworrener Klippen; du glichst einer züchtigen Dame, die unversehens in ein wüstes Tanzgelage geraten ist, dessen Gäste sie vorher nicht gekannt hat, wo der russische Schwindelwalzer und der Todesgalopp in Staubnebel gehüllte Menschenknäuel bilden, wo die Champagnerpfröpfe knallen, bacchantisches Gelächter die Musik erstickt und die Erschrockene – von sittenlosen Faunen verfolgt, an allen Gefühlen verletzt, erhitzt, verstört, blaß und schweißbedeckt – sich um jeden Preis hinausrettet in die freie Nacht und – wenn auch mit zerstörtem Putzkleid und glühendem Busen – freudig atmet, tief und behaglich, sobald die Orgie hinter ihr liegt und Auge und Ohr nicht mehr beleidigt! –
Den alten Traugott an der Spitze, verließen wir der Blechhütte gegenüber den Fluß und stiegen rechts über die Wiese in den schattigen Laubwald hinein. Wie hatte sich hier alles verändert, seit der Oberforstmeister von Bülow unermüdlich es sich zum Ziel gesetzt hat, diese berühmteste, aber beschwerlichste Partie des Harzes für die Reisenden, soweit er es vermochte, zugänglicher und angenehmer zu machen! Die Dankbarkeit der Harzer hat dem Ehrenmann dafür unten im Tal eine eiserne Gedenktafel aufgestellt.
Ein bretternes Gasthaus ist am Ausgang des Laubholzes gar wohlbedacht hingestellt und vergönnt dem Wanderer gerade da, wo die Beschwerde und die Gefahr beginnen, sich für beide durch den köstlichen Ballenstedter Gersten wein, einen echt deutschen Nektar, und durch den erquickenden Birkenchampagner zu stärken und vorzubereiten. Wir verschmähten die Erfrischung nicht und kühlten, auf die Bänke der Schattenlauben gelagert, unsere heißen Stirnen. Jetzt werden die Höhen kahl, die Felsen werfen den Mantel ab und enthüllen die nackten Gigantenglieder, deren Furchtbarkeit mit jeder Minute zu wachsen scheint. Immer steiler wird der schmale Fußpfad, immer heißer unsere Wangen, immer keuchender der Atem.
Die rechts liegenden unbedeutenden Überreste der Winzenburg bleiben meist unbeachtet; links lockt jedoch ein an dreißig Fuß aus der Steinwand emporstrebender Fels, zu dem eine Steige hinanführt und dessen Gipfel mit Brustwehren geschützt wurde. Die Bülowhöhe wurde dieser Platz getauft, und die Dankbarkeit hat in solch gerechter Verewigung nur eine Pflicht erfüllt, die von jedem Besucher mitempfunden wird.
Weiter nach Westen erhebt sich dann die eigentliche
ein schmaler Granitkegel, der gleich einem in den Grund geschleuderten Donnerkeil senkrecht aus dem Tal an neunhundert Fuß hoch zu den Wolken starrt und auf seiner Spitze das Wundermal eingedrückt trägt, das ihm den Namen gab. Gewaltsam zwischen die Steinmassen eingezwängt, die ihn im Kreis umschließen, teilt er das Tal in das westliche und das östliche, und obgleich noch nicht der höchste dieser Zacken und Keile, bezeichnet ihn seine großartige Gestalt als den Herrscher. Auch auf diesen Steinwarten findet man einen gesicherten Platz, Pavillon, Altan und schirmende Geländer, ja sogar eine kleine Kanone, um das schlummernde Echo zur Antwort zu zwingen.
Es läßt sich erwarten, daß die Aussicht von diesen Punkten keiner im Gebirge nachsteht, doch wird jeder, der sie zuerst sieht, seine Erwartung übertroffen finden. Fand man das Ilsetal mit einem magischen Zauber übergossen, der wohltat und das Gefällige zum Großartigen mischte, so starrt hier das Auge anfangs furchtsam in die Tiefen, aus denen alle Schrecken der Natur heraufzuquellen scheinen und die in einer wahrhaft diabolischen Finsternis das Gemüt belasten. Rundum starren verworrene Spitzen und Zacken in ungezählter Menge auf, als erwarteten sie in blutdürstiger Gier den Stürzenden. Wie eine Riesenschlange, von den Fäusten eines Laokoon gequetscht, windet sich in grauenvoller Tiefe die glänzende Bode durch die farbenlosen, halbverwitterten Massen, und ihr Sterbegeheul, ihr Zischen ist selbst droben noch zu vernehmen. Wo man hinabblickt ist Abgrund; jeder Fehltritt, jeder Schwindel des verwirrten Hauptes bringt Verderben, Zerschmetterung! –
Man fühlt die Erholung notwendig und bewirkt Erleichterung, indem man den Blick erhebt und ihn hinaus auf die ferne Ebene wirft, auf die milden Berge und Täler nach Magdeburg zu und durch die enge Öffnung des Tals, vor dem das stattliche Quedlinburg wie ein Wandbild im prächtigsten Rahmen sich sehen läßt; doch kehrt der Blick immer wieder in die gefährlichen Tiefen zurück, und mit jener unerklärlichen Gewalt, die in der rasselnden Klapper der giftigen Crotalen verborgen ist und ihre Opfer fesselt, zieht dieser toddräuende, furchtbar gezähnte Drachenschlund das Auge immer wieder zu sich, bis eine unwiderstehliche Betäubung die Augenlider schließt.
Als wir den umfriedeten Hochplatz erstiegen, wurden wir durch Gesang überrascht, durch einen Choral von wohlklingenden Männerstimmen, die sich einen gar besonderen Konzertsaal ausgewählt hatten. Es waren muntere Liedertäfler; sie lagerten auf dem Steinboden, hatten die Hefte des Orpheus aufgeschlagen, Flaschen und Becher neben sich; und damit das Dreiblatt des bekannten Lutherschen Kernspruchs vollständig erscheine, fehlte auch das Femininum nicht und wurde durch eine Zitherschlägerin repräsentiert, die am Rand der Brustwehr saß, sich aber hier, wo sie sich vielleicht Verdienst erhofft hatte, zur Rolle der stummen Zuhörerin verdammt fand. Theodor, der dürre Pädagoge, und Moritz, der königliche Flötist, stiegen zuvörderst in unserem Zug. Beide waren bislang die passivsten Mitglieder der Karawane gewesen; jener hatte sich darauf beschränkt, mit tückischer Lust Insekten aufzuspießen oder in seinem Spiritusflakon zu ersäufen, dieser, die Weisen der Waldvögel nachzupfeifen. Der Ruf der Kunst, deren Weihe auch sie empfangen hatten, wandelte die Stillen plötzlich zu Enthusiasten; in zwei Sprüngen waren sie oben, warfen sich ohne Gruß auf die Knie hinter die liegenden Sänger, sogen begierig die Noten vom Blatt und verstärkten mit ihren geübten Kehlen den Gesang. – Auch Gustav, ihnen der nächste auf dem Felsensteig, wurde von ihrer Sangeswut angesteckt, tat wie sie, raubte aber zuvor das abgenutzte Saitenspiel aus den Händen der verwitterten Musikantin und riß gewaltige Akkorde heraus. Wir übrigen standen gebannt und horchten andächtig, bis der erste Schlußsatz verklungen war und jene augenblickliche Pause eintrat, die nach jeder gelungenen Kunstproduktion die Befriedigung der Hörer wie der Ausüber besser und lobender ausspricht als der ihr folgende Ausbruch des lauten Beifalls. Ehe aber unser Applaus zum Ausbruch kam, wurde er durch eine sonore Baßstimme erstickt, die von unten herauf die Worte: »Meine Herren, halten Sie sich an der rechten Leine!« zu uns ertönen ließ. Eine allgemeine fröhliche Bewegung entstand. »Das ist August Hartung aus der Biehlshöhle! Wie kommt der komische Mensch hierher? Was will er? Warum verließ er seinen Posten?« so stürmten Fragen und Exklamationen.
Auch Ernst und ich blickten zurück und erkannten unseren Fränzel, der sein bewunderungswürdiges Imitationstalent, sich und uns zum Gaudium, losgelassen hatte. Mit ein paar kühnen Sprüngen neben uns weg stand er auf der Platte; seinen gelben Strohhut in der Linken, eine Haselgerte in der Rechten ahmte er Bückling, Haltung und Dialekt des weltbekannten Cicerone vollendet nach, und selbst seinem Gesicht hatte er die stereotypen Grimassen des ehrlichen Bergmanns und Höhlenwächters einzuimpfen gewußt.
»Glück auf, meine Herren!« perorierte er. »Glück auf hier in freier Gottesluft, 1452 Fuß hoch über der Ostsee und 850 Fuß über dem harten Bett des wilden Harzbachs, den man die Bode nennt! Belieben Sie um sich zu schauen und die Raritäten zu betrachten, vor deren Schrecklichkeit sich heute sogar die liebe Sonne verkrochen und sie nur anzuschielen den Mut hat. Sie stehen auf dem berüchtigtsten Fleck des Harzgebirges, und ich werde Ihnen die schreckenvolle und rührsame Geschichte desselben zu erzählen die Ehre haben. Betrachten Sie dort gegenüber jenen breiten Stein, der sich gegen hundert Fuß höher zu erheben wagt als das Postament, das in diesem Augenblick von Ihren Füßen beehrt wird. Man nennt jenen Stein den Tanzplatz, aber Sie würden schwerlich erraten, welch ein merkwürdiger Ballettsprung ihm den Namen gegeben hat. Horchen Sie auf, meine Herren!
Einstmals lebte ein König in den Bergen, der hatte ein schönes Töchterlein, Emma genannt, und diese hatte, wie es natürlich ist, gar viele Freier, die sich mühten um sie und um des Vaters Schatz und um des Vaters Krone. Aber der alte, wilde Königsmann zog einen krausbärtigen Hünensohn allen Bewerbern vor und meinte, der Längste und Massivste tauge am besten, sein Volk in Zucht und Gehorsam zu halten. Das schöne Königskind meinte jedoch anders, mochte den ungeschlachten und ungalanten Riesen nicht, schlug Haken hierhin und dorthin nach Mädchenweise, konnte aber mit seinen Tränenbächen das Herz des wilden Königs nicht erweichen, das unter der Wucht des eisernen Bruststücks und unter dem Hammer der Zeit kieselhart geworden war. Da nahm die kühne Magd den schnellsten Entschluß, denn es war höchste Zeit – die Frauen hatten ihre jungfräulichen Glieder schon mit dem Brautstaat behängt, und die Hochzeitsgäste versammelten sich in der Königshalle.
Horchen Sie auf, meine Herren! – Was tat sie? – Aus dem Marstall zog sie das stärkste Roß, schwang sich in den Sattel und flog auf dem Tier davon, als säße sie auf dem Rücken der Windsbraut, mit Horrido und Hussassa hinaus über Berg und Tal, über Strom und Wald, immer querfeldein. Jedoch Herr Bodo, der Bräutigam, war nicht blind geboren, und nicht lange, so sprengte er hinter der flüchtigen Dame drein, die wider alle Frauennatur einen eigenen Abscheu gegen die Hochzeitskammer kundgab und gewillt war, lieber den Hals zu brechen, als sich den Mund küssen zu lassen.
Aufgepaßt, meine Herren! Das gab ein Wettrennen, wie man weder in London noch Celle je zu sehen bekommen wird; die alten Waldbäume schüttelten sich und zogen furchtsam ihre Äste ein; die hohen Felssteine wären vor Staunen zu Stein geworden, wenn sie's nicht schon gewesen wären; und Sonne, Mond und Sterne standen still vor Verwunderung wie zu Josuas Zeiten. Prinzessin Emma ritt gleich einem Mamelucken und blieb immer voraus; da kam sie dort auf dem Tanzplatz an, und ihr Gaul schoß schreckgezähmt in der Kruppe zusammen.
Schauen Sie hinunter, meine Herren! Was da unten sich auftut, ist eben nicht verführend zu einem Entrechat, und wir alle wären sicherlich umgekehrt und hätten uns heiraten lassen. Die Prinzessin jedoch mitsamt ihrem Roß war von alter Art; beide erholten sich vom ersten Schrecken, der Riese galoppierte ›ventre par terre‹ schon ganz nahe bergauf – da setzte die königliche Magd dem Pferd die zarten Fersen in den Leib, es sprang und kam glücklich herüber, hierher, auf unsere Seite, nur die goldene Krone fiel von ihrem kühnen Haupt und klatschte nieder in den Fluß, und der nachspringende Ritter folgte samt seinem Roß alsbald der Krone nach, um die er eigentlich gefreit hatte. – Meine Herren, wollen Sie wissen, wie die famose Geschichte weiter verlaufen ist, so schlagen Sie gefälligst nach in dem zweiten Band der Erzählungen eines gewissen obskuren Wilhelm Blumenhagen, wo Sie lesen werden, was aus dem schönen Königskind ferner geworden ist.
Aufgepaßt, nicht geplappert und nicht gelacht, meine Herren!« fuhr der unerschöpfliche Schwätzer nach einem tiefen Atemzug fort. »Wir sind nicht zu Ende. Schauen Sie da das merkwürdige Mal, das des Rosses Huf in dem Felsen zurückgelassen hat, um uns den Glauben in die Hand zu geben. Die Trappe mißt anderthalb Fuß an Breite und ist fausttief, als wäre der Felsen damals butterweich gewesen. Meine Herren, messen wir zugleich den übersprungenen Raum, so wird Ihr Verstand erkennen, daß gegen jenes Wundertier selbst die beste holsteinische Blutrasse liliputisch erscheint, und schließen wir von dem Zelter auf die Gliedmaßen und die Körperfülle der schönen Reiterin, so müssen wir uns geneigt finden, selbst unsere liebe Nichte Dorothea Querfurth – sicherlich die ansehnlichste Person im Harz – neben diese Prinzessin gestellt als ein Milchkind zu betrachten, obgleich die blauen Augen besagter Dorothea an Größe und zündender Feuersmacht jener nicht nachstehen möchten.
Bücken Sie sich jetzt gefälligst ein wenig über diesen Rand, so werden Sie unten die glühenden Augen des schwarzen Hundes erblicken, in den der zerschmetterte Riese für seine Untaten verwandelt worden ist und seitdem manch gierigen Taucher zu Tode gebissen hat, der die goldene Krone zu fischen beabsichtigte, und an dessen Stelle – o gräßlicher Anblick! – ein heller Blutstrahl aus dem Wasser emporspritzte.
Finden Sie die schwarze Höllendogge nicht, so ist das nicht meine Schuld. Wer nichts bezahlt, sieht auch nichts; aber sein dumpfes Geheul kann Ihren Ohren kaum entgehen. Solcher Anblick macht uns traurig, denn er erinnert uns an die Zauberin und ihren Gemahl mit ausgerissenen Eingeweiden, die ich Ihnen in meiner Wunderhöhle zu zeigen die Ehre hatte.
Erheben wir darum zu guter Letzt noch unseren Blick in die Ferne, dort wo von schwarzen Wolken beschattet und mit einem bunten Regenbogen gekrönt sich die ansehnliche Stadt Quedlinburg präsentiert, in der der berühmte Dichter Klopstock geboren wurde und wo man ihm ein Denkmal errichtete, in der der nicht weniger berühmte selige Herr Basse zur Belustigung der Köchinnen und Schneidermamsells die köstlichen Ritter- und Räuberromane fabrizieren ließ und in alle Welt versandte. Schauen Sie in dieser Richtung jene grauen Felsspitzen! Sie erblicken in ihnen den wundertätigen Mönch, dessen Gebet unserer schönen Prinzessin auf ihrem Glückssprung Segen brachte, desgleichen mehrere Ritter und Edelfrauen, die dem Wunder zuschauten und bis jetzt von ihrem Erstaunen noch nicht wieder zu sich gekommen sind; sämtliche Kleider derselben sind wie mit Eiszapfen garniert. Die Emme und die Bode fließen aber zusammen der großen Elbe zu, so wie sich denn aller Haß zuletzt in Liebe wandelt, wenn nur der Totengräber sich erst dreingelegt hat; und das Bett, worin Krone, Riese und Roß zusammenliegen, nennt das Volk das Kronenloch oder den Kreetpfuhl. Kreetkind = Teufelskind, Kreetpfuhl = Teufelspfuhl.
Schließlich möchte ich zu Ihrer und meiner Prinzessin Ehre aus hier vorliegender, furchtbarer eiserner Kartaune gern eine Salve geben, wenn nur solche ohne das Kommando des Herrn Oberforstmeisters den obstinaten Schlund auftäte. So müssen Sie sich mit Geringerem begnügen.« –
Der mutwillige Bursche warf seine Gerte hin und erschreckte uns durch einen unerwarteten Schuß aus seiner Taschenpistole, der im zwanzigfachen, lang nachhallenden Echo sich vervielfältigte. Dann nahm er schnell aus seinem Hut mehrere zusammengenestelte Grashalme, reichte jedem zierlich knicksend davon und sprach mit rasch geänderter, weiblicher Stimme dazu: »Nehmen Sie diese Erinnerungsblümchen! Gedenken Sie dabei gütigst an Dortchen Querfurth, und – zahlen Sie gefälligst vier gute Groschen an Ihre untertänigste Dienerin.«
Ein schallendes Gelächter brach von allen Seiten bei diesem wohlgetroffenen Porträt aus; der Kleine setzte sich aber kalt und vom Lobspruch ungerührt neben die Zitherspielerin, begann ein Examen mit ihr über ihre Heimat, Abstammung und ob sie ihre dunkle Haut, ihre Rabenlocken und Mitternachtsaugen der weltbeherrschenden Roma oder dem Patriarchen Abraham zu verdanken habe; und selbst den vollen Becher, den ihm ein Sänger brachte, berührte er nur naschend und drängte ihn der wandernden Muse auf. Der Jubel wurde allgemein, der Birkenschaum schien in den Köpfen zu spuken, und als die übrigen ihre Notenbücher wiederum zur Hand nahmen und die Freude vom Olymp zu sich herabbeschworen, drückte mir Ernst verständig den Arm; wir empfahlen die Schwelger der Aufsicht des ehrlichen Traugott und begannen den mühevollen Zickzackweg an der Nordseite der Granitkuppen wieder hinabzuklettern.
Der Felspfad, durch Geröll und Steinabfall zuweilen unsicher, hat an den gefährlichen Stellen Geländer, ja sogar Stufen. Aber je tiefer man hinabsteigt, desto gewaltiger wird der Eindruck der Umgebung. Ein ganz fremdartiges Naturreich scheint uns entgegenzuwachsen in barocker Gestaltung. Zacken, Zinnen und Kegel, die von oben herab zierlichem Schnitzwerk ähnelten, dehnen sich aus mit jedem Schritt und steigen auf, als wäre Leben in ihnen und als würden sie sich vermessen, mit ihren Spitzen die Wetterwolken spalten zu wollen, und die grauen halb verwitterten Steinwände werden zu unübersehbaren Kerkermauern, die den Wanderer immer enger einspinnen, und kaltes Frösteln rieselt am Rückgrat herunter, gedenkt man unwillkürlich jenes eisernen Gefängnisses im Schloß des italienischen Tyrannen, dessen künstliche Wände mit jedem Tag sich um den verlorenen Bewohner dichter zusammenschoben und zuletzt ihn mit ihren kalten Sargbrettern zerquetschten. Endlich steht man unten im engen Schlund, und das stärkste Gemüt muß sich bei dem Aufblick bedrückt, ja erschüttert fühlen.
Und wahrlich – worauf man unten trifft, ist nicht geeignet, die beklommene Brust zu entlasten. Wie abgeschnitten von der Welt sahen wir uns in einem verworrenen Labyrinth, anscheinend ohne Ausgang. Der Fluß, von Gewittergüssen angeschwollen, stürzte sich von Felsbank zu Felsbank, sich jedesmal in einem Bassin sammelnd, um durch kurze Ruhe die Kraft zu verdoppeln, die ihm nötig war, damit er den Banden, die ihn überall zwängten und wie mit Polypenarmen nach ihm griffen, entkommen konnte. Man sieht nicht, wohin er geht; man sucht, woher er kommt, wagt sich über das schmale Teufelsbrückchen und steht vor einem verschlossenen Mysterium. Dunkles Gestein, schwarzer Wald umgeben den großen Wasserkessel, worin es ewig lebt und schäumt und der doch so klar ist, daß man die Spitzen des Felsgrundes zu sich heraufdrohen sieht. Der Wind rauschte durch die Tannengipfel, daß sie an der Steinwand rasselten; ein Blitz zuckte hoch über uns und überzog auf einen Augenblick den Hintergrund mit einem gelbroten Vorhang; dann wurde die ganze Gegend noch finsterer wie vorhin, und ein dumpfer, fast endloser Donner rollte majestätisch durch die antwortenden Bergkuppen. Es war ein Moment, dergleichen wir nie zuvor erlebt hatten.
Ernst umfaßte heftig meinen Nacken: »Das ist groß, das ist herrlich, Freund!« rief er heftig atmend. »Sowohl wie auf diesem Platz ist mir noch nirgend gewesen. Vor diesem köstlichen Epos zerstäubt alles kleinliche Leben der hochmütigen Menschenwelt und wird zum spritzenden Tau, wie er jetzt unsere Wangen erfrischt. Sieh, Freund, das ist Urnatur in ihrer Gewalt, die freie, ewige Schlacht der Elemente, unverpfuscht durch die Hand der Adamssöhne. Das ist Dantes göttliche Komödie; Hölle, Fegefeuer und grollender Himmel; die Schwerter der Erzengel zischen und leuchten; die geschlagenen Geister der Finsternis heulen auf im ewigen Schmerzensschrei, und das Kommandowort des Weltgeistes donnert droben hinter dem roten Kriegsmantel ewige Strafe den Unverbesserlichen und Reuelosen. Oh, ich möchte hier enden das schlechte Gaukelspiel; möchte die armseligen Atome mischen mit dem Urstoff, sei's verwandelt zur trotzigen Steinsäule, sei's als zerrissener Staubbach in diesen schäumenden Drachenschlünden!«
Eine Menschenstimme, die dem scharfen Ton der Schalmei ähnelte, unterbrach seine Ekstase, die mich selber bei diesem unerschütterlichen Menschen als ein Wahnsinnsausbruch überrascht hatte. Wir waren nicht allein gewesen, das Parterre unseres Ernestus war mit fünf lebenden Wesen besetzt. Auf Numero eins und zwei zeigte sich ein bejahrtes Ehepaar, dem Anschein nach von Stande; trotz seines Staubhemdes sah der Graukopf recht ehrwürdig aus, und seine Gefährtin war eine jener appetitlichen Matronen, die es verstehen, die Reste ihrer Reize und die gesparte Körperfülle durch sauberen Anzug zu verjüngen und gleich der verspäteten Herbstrose auch im Alter liebenswürdig zu bleiben. Sie sahen ruhig in das Brausen und Schäumen dieser halb unterirdischen Welt hinab; nach einem wohlgenutzten Leben, aus dem keine Dornen ins Gewissen stechen, betrachtet das gealterte Auge ohne Unruhe und ohne äußere Zeichen der Teilnahme, was da begegnet; es sah Ähnliches schon und oft, weiß, es sieht dergleichen nicht lange mehr, und hofft in stiller Zuversicht auf Größeres und Höheres.
Numero drei paßte nicht ganz zu den vorigen. Ein kleiner Mann war es im bequemen Oberrock, der über dem runden Bäuchlein spannte, mit modernem Putz an Brustketten, Nadel, Ringen beladen, ein vergoldetes Fernglas in der Hand, das notwendig zu dem Kopf gehörte, der immer hintenüber gebogen sich präsentierte, als wollte er das Hauptcharakterzeichen des Homo erectus, den Blick nach oben, vor allen seinesgleichen zur Schau tragen. – Vier und fünf bestanden aus einem derben, tüchtig schmauchenden Wegweiser und seinem rauhen Hündlein.
Der Mann mit dem Fernglas aber war's, der Ernst das Wort vom Mund nahm: »Um Vergebung, mein charmanter Mann«, sagte er mit Bewegung; »täuscht mich nicht alles, so führt uns ein guter Genius gerade hier zusammen. Wohl tut mir's leid, Ihre Begeisterung zu unterbrechen, aber der Geist der Kunst treibt mich, dieser Begeisterung die schönste Richtung zu geben. Nicht wahr, Sie sind ein gekrönter Poet, ein Tragödiendichter? Ich kann nicht irren; diese Heldengestalt, dieses finstere, glutsprühende Auge, die sonore Stimme – alles kündet einen Berufenen und Auserwählten, einen Erfahrenen, Geübten, Vielgelobten. Schnell, mein Charmanter, den Griffel und die Tafel zur Hand! Lassen Sie den glücklichen Moment nicht vorübergehen! Aber ein Operntext muß es sein, eine heroische Schauer- und Schreckensoper; die Szene schafft dieser unvergleichliche Ort; eine entführte Signora, ein tyrannischer Normann, eine Art von frechem Goliath, Chöre höllischer Geister und Gegenchöre frommer Priester oder noch lieber Seraphim und Cherubim bieten die Sage mit vollen Händen dar. Schaffen wir sogleich zusammen die Introduktion. Der Schluß muß alles bis jetzt Geschehne in den Staub drücken; ein Theater in drei Etagen – die unglaublich vorgeschrittene Maschinenkunst stellt das ohne Mühe hin –; unten dieser Höllenkessel mit dem durch ein Dutzend Teufel zerfleischten Tyrannen, mit dem schwarzen Pudel, der die transparente Krone apportiert; in der Belle Etage der Tanzplatz, wo die Prinzessin mit dem geliebten Pagen oder Kammerjunker oder Gardeobristen Hochzeit macht; und im höchsten Stock im blauen Sternenzelt die Harfenchöre der Schutzengel, meinetwegen auch in ihrer Mitte der wilde Harzmann, der nackte Berggeist mit dem entwurzelten Tannenbaum, um den Ort der Handlung, den Charakter des Stücks anzudeuten. Was meinen Sie, ist die Idee nicht sublim, einzig, nie dagewesen? Sie schweigen, Sie wollen? Hier die Hand! Ich habe die Ehre, fürstlicher Konzertmeister zu sein; ich komponiere Ihre Oper und werde für das Textbuch ein anständiges Honorar zu zahlen wissen.« –
Ernst schlug eine so grimmige Lache an, daß der kleine, dicke Herr verblüfft zurückfuhr und fast dem gefährlichen Kessel zu nahe trat. »Herr«, zürnte Ernst dazu und streckte den Arm aus, »wer gibt Euch ein Recht, mich für einen solchen Sünder zu halten, als den Ihr Euch selber dartut? – Ich ehre die liebe, heilige Musika, die Himmelstochter, die mit dem Geheimnis ihrer Zaubertöne die Menschenherzen aufschließt für jede sanfte, höhere Empfindung. Aber was habt Ihr aus der züchtigen, keuschen Jungfrau, der jüngsten und zartesten Tochter des Sonnengottes gemacht? Eine eitle, äffische Geckin ist sie durch Euch geworden, eine freche Buhldirne gleich der Freiheitsgöttin des vampyrischen Robespierre, die ihre geschminkten Wangen und den Trödel und bunten Firlefanz auf einem zerbrechlichen Götzenaltar dem verblendeten Volk zur Schau trägt. Orpheus' Leier zähmte die Barbaren und goß Frieden in die verwilderten Seelen. Was tut Eure Musik? Gleich einer tückischen Aqua Toffana reizt sie die Sinnlichkeit auf, verwirrt mit irokesischem Geheul das schwache Hirn, macht trunken gleich dem afrikanischen Wurzelgebräu und entfesselt jede schlummernde Leidenschaft. Sprecht, ihr Kürbisköpfe auf Pygmäenbeinen, was vermögt ihr zu zaubern mit dem Taktstöcklein eurer Afterkunst? Steht einmal Rede, ihr dampfhauchenden Fultons des Tonreichs! – Könnt ihr diese Akkorde des Waldes, der Felsen und des Stroms nachahmen auf eurem armseligen Schafsgedärm und eurem Haferrohr, könnt ihr sie festhalten in euren krummgeschwänzten Notenklecksen? Aber ihr möchtet uns weismachen, euer Tonspektakel verstände zu malen wie Raphael und Guido, zu meißeln wie der gewaltige Angelo und zu reden gleich dem kühnen Ariost, der seinen Orlando furioso wohl an einem ähnlichen Platz, wie dieser ist, empfangen haben mag. Die Vox humana ist das köstliche Instrument im großen Orchester des Kaisers der Lüfte und der Erde. Wie würdet ihr aber bestehen vor dem Herrn und Meister, wenn er Rechenschaft forderte von denen, die sein schönstes Instrument zu Satyrssprüngen und Harlekinaden mißbraucht haben, wenn ihr Rede stehen solltet für jede possierliche Bravourarie eurer papierenen Heroen, für das tollhäuslerische Gequake und Gejodel, das eure Primadonnen in thrakische Bacchantinnen verwandelt, die in roher Wut die Glieder des göttlichen Orpheus zerrissen und in die Wellen des Hebrus schleuderten. Haltet an, ich beschwöre euch hier an den Pforten des Orkus! Kehrt zu der Alma mater Natur, zu der Einfachheit zurück, mit der ihr einst so goldene Preise gewonnen habt; räumt den Schutt fort, in den ihr die Tempel der Kalliope pompejisch begrubt, dann wird auch meine Hand meine schönsten Eichenbäume nicht schonen, um echt deutsche Kronen um die Scheitel edler Meister zu winden.
Nichts für ungut, mein charmanter Mann«, setzte er kühl und ruhig hinzu. »Ich habe nicht die Ehre, ein Poet oder Tragöde zu sein, ich bin nur ein glücklicher Landmann, der fern vom Weltgeschäft die väterlichen Äcker mit eigenen Rindern durchwühlt.« –
Der kleine Runde setzte sich in Positur, um die beispiellose Beleidigung seiner weltgepriesenen Würde nach Verdienst zu bestrafen – man sah es an den Schaumblasen seiner Mundwinkel –, aber er kam nicht dazu. Um die Felswand trat unser Freischütz von voriger Nacht, und kaum hatte er die Gesellschaft überblickt, so lag er in den Armen des ehrwürdigen Paares. »Mutter! Vater! Felix! Wie kommst du hierher?« Diese Töne machten den Zwiespalt über die Kunst verstummen und zogen glücklicherweise den neugierigen Hausfreund von uns ab. »Wo ist Pauline?« fragte der schöne Jäger nach dem ersten Entzücken.
»Der Onkel hielt sie fest zu Quedlinburg«, entgegnete der Vater; »er meinte, diese Gegend wäre nichts für ihre reizbaren Nerven.«
»Aber wie bist du groß geworden und wie frisch und rotbackig, wenn auch ein wenig braungebrannt!« fiel die Mutter ein und zog den Jüngling abermals in ihre Arme.
Ernst war eine Waise und stand allein in der Welt; ich hatte vor kurzem mein Liebstes verloren. Unsere Empfindungen begegneten sich, und schweigend verließen wir die Glücklichen und schritten still zurück ins Tal. –
Nur ein enger Pfad führt am linken Ufer der Bode im Tal hinab und folgt allen ihren Windungen. Das Hauptgestein bleibt überall der Granit, doch ist er häufig mit Grünstein belegt; weiter hinauf, nach Treseburg hin, findet man Asbest, den nelkenbraunen, glasglänzenden Axinit, das schillernde Katzenauge, am Kessel dunkle Granaten im Hornfels; gegen die Blechhütte zu legt sich Tonschiefer an das Urgestein.
Ernst, dessen Phantasie angeregt worden ist, malte sich auf dem Weg das Winterbild dieser Gegend aus und wünschte sich her, wenn blankes Eis das tanzende Flüßchen an die Blöcke und Gerolle seines Bettes gefesselt hat, die alten Felsengreise mit langen Zapfenbärten noch ehrwürdiger geworden sind und kecke Holzfäller sich über den Kessel hinauswagen in das verschlossene Adytum des Gebirges, wovon uns der alte Traugott vorhin erzählt hatte. Daß die Bode früher und Jahrhunderte hindurch eine weit ansehnlichere Wasserhöhe und einen mächtigeren Stromsturz gehabt haben muß, beweisen die Auswaschungen in den Granitwänden ihrer engen Wege, die hie und da bis auf 40 Fuß über dem Talboden, mehrere Fuß tief und mehrere Klafter hoch, den Fensternischen gotischer Kirchen ähnlich, zu sehen sind. Die gigantische Wildheit dieses Flecks muß damals für menschliche Sinne kaum erträglich gewesen sein, wenn nicht Menschen und ihre Sinne damals, wie zu vermuten ist, aus gröberem Material konstruiert waren.
Am Weg stößt man abermals auf ein hölzernes Gasthaus und kommt dann zur
über die man zum rechten Ufer der Bode gelangt. Auch hier sieht man sich überall noch von trotzigen Steingruppen umringt, denen man mancherlei Titel gegeben hat; hier gesellten der Mönch, der Ritter, die Weiße Magd sich zum kalten und langweiligen Rendezvous. Dem Menschen klebt nun einmal die Kinderlust an, jedem Ding einen Namen zu geben; so ist ein Teil dieser verworrenen Schluchten sogar »Goethes Labyrinth« getauft worden. Auch das Schalloch öffnet sich in der Nähe, eine Höhle, deren Tiefe eine mutige Alte durch den Nachhall eines hineingeschossenen Gewehrs für ein kleines Trinkgeld den Fremden zu beweisen sucht. Die Brücke selbst verdient ihren Ehrennamen durch ihre schlanke, zierliche Form und durch die Grazie, mit der sie von einer Steinbank zur anderen sich hinüberwirft.
Ein treffliches Bild überrascht das Auge, sobald man hinter ihr hinab bis zum Bett der Bode zu gleiten wagt und unter und über der Brücke hinweg einen Rückblick in die Felsenwüste wirft, die man eben durchwanderte. Auch hier haben die Gastlichkeit und der Drang nach Gewinn eine Erfrischungsbude hingestellt, die ihre Genüsse dem Reisenden sozusagen aufzwingt, da der Weg mitten durch sie gelegt ist. Wir ließen uns den Zwang gefallen, und der gesprächige Marqueur beeilte sich, uns mit seinen Leckerbissen zu erquicken.
Zu unserer Verwunderung traf auch bald nach uns Traugott Faber ein, und zwar ohne seine Schützlinge und mit verdrießlichem Antlitz. Auf unsere Frage entgegnete er: »Die gnädigen Herren sitzen fest und haben vor, des Krügers Keller leer und trocken zu machen. Wenn sie uns nur die hohen Steine nicht in den Grund schreien; mir haben sie die alten Ohren fast zuschanden gesungen. Nun sind gar unsere Hüttenleute mit ihrer Hornmusik dazugekommen, und da geht's natürlich drüber und drunter, als hielte die Harzjungfer Wachsmuth Hochzeit. – Vormals waren die Herrschaften anderer Art, kamen daher um der lieben Berge willen, begnügten sich mit unserer Kost und zahlten uns nicht weniger großmütig. Jetzt haben Wirt und Bergsteiger ihre Not mit ihnen; Kost und Bett sollen sein wie auf dem Schloß; und zeigt man ihnen alle Raritäten und Gottes Wunder – sie schauen kaum hin und treiben allerlei Torheit und Possen, wie sie daheim gewöhnt sind.«
»Brumme deshalb nicht, alter Waldbär«, erwiderte ich. »Das tut die schöne Friedenszeit, und mag sie noch lang uns erfreuen, und würden wir alle auch darüber bequeme Sybariten, zu deutsch Bärenhäuter.«
»Vor Nacht kommen sie nicht wieder herunter«, fügte er freundlich hinzu, den blanken Wilhelmstaler betrachtend, den ich ihm in die Hand gesteckt hatte; »ich soll's vermelden, die Herren möchten wieder hinaufsteigen oder ihnen auf der Blechhütte die Betten und einen guten Tee bestellen.«
»Wir sollten die Rebellen gegen unseren Reisekodex im Stich lassen!« murrte Ernst.
Der flinke Marqueur aber machte uns den Vorschlag, durch Traugott ein Fuhrwerk herbeischaffen zu lassen, um der nur eine Meile entfernten, berühmten Stadt Quedlinburg einen Besuch zu machen.
Der junge Mensch war ein Bürgerssohn der genannten Stadt. Obgleich der größte Teil seines Panegyrikus nichts Neues sagte, so hörten wir dennoch gutmütig seine Herzensergüsse an. Wer spricht nicht gern von der Heimat, wenn er sie loben darf! Und ist nicht diese Anhänglichkeit eine Pflicht, eine Tugend; soll der Mensch nicht dankbarer sein wie der junge Vogel, der, flügge geworden, sein Nest vergißt? Das ist gleich dem: Ehre Vater und Mutter, damit dir's wohl ergehe! – So erzählte er dann von Quedlinburgs fünf Stadttoren und sechs Toren der drei Vorstädte, von den zwanzig Turmspitzen, die auf den Mauern und neben den sieben Kirchen emporsteigen, von ihren stolzen Brücken, die die durchströmende Bode bedecken, von ihren drei großen Plätzen und sechsundsiebzig Straßen, in denen über 12 000 treuherzige und biedere Menschen sich zusammengesiedelt haben. Hoch pries er das Schloß mit seinen vielen Giebeln und seinem ansehnlichen Turm, das einst ein Frauenstift gewesen ist, dem hohe Prinzessinnen vorgestanden hatten und in dessen Münster die marmornen Grabstätten Kaiser Heinrichs und der Kaiserin Mathilde vor dem Altar des heiligen Petrus gezeigt würden.
Besonders suchte er unsere Neugier zu wecken, indem er uns das Grabgewölbe unter der Kirche beschrieb, dessen Trockenheit die ältesten Leichen unverwest erhält und wo wir die leibhaftige schöne Gräfin Aurora von Königsmark wohlerhalten, wenn auch etwas eingetrocknet und mahagonifarben, betrachten dürften. Ferner sollten wir in dieser Kirche, und zwar in einem uralten Gewölbe neben der Sakristei, die Zyther genannt, unzählige Seltenheiten treffen, als da sind: ein kostbarer Steinkrug von der Hochzeit zu Kana, ein mit Edelsteinen besetzter Bartkamm Heinrichs des Vogelstellers, ein wertvoller Bischofsstab, von Kaiser Otto III. geschenkt, hochgefüllte Reliquienkästen, herrlich bemalte Pergamente, eine Bibel, die Luther selbst gebraucht hatte, auch Briefe von ihm und seinen Freunden, und sogar ein Fläschchen mit der Milch der heiligen Maria. – Er schien fast betrübt, da wir kein Zeichen besonderer Neugier merken ließen, und versuchte das letzte aufgesparte Mittel, indem er das berühmte Rathaus beschrieb. Da hing das Bild des blutgierigen Tilly an der Wand, da bewahrte man getrocknete Schädel und Hände der Meuchelmörder, die dem Kaiser Otto I. ans Leben gewollt hatten; da stand der hölzerne Käfig, in dem man den gefangenen Raubgrafen Albert von Reinstein zwei Jahre lang gefüttert hatte, und nebenbei lagen seine mächtigen Waffenstücke – Schwert, Armbrust, Streitkolben –, ja sogar sein Trinkbecher, den er nach guter deutscher Weise immer am Sattel geführt hatte.
Es schien dem guten Mann bei dem Mißglücken seiner Überredungsgabe ein Trost zu werden, daß wir, als er ausgepredigt hatte, in sein Lob einstimmten und uns als Bekannte der Stadt kundgaben; daß wir uns nach Klopstocks väterlichem Haus am Schloßplatz und nach seiner Büste auf ihrer Marmorsäule im Lustwäldchen des Brühls erkundigten; daß wir das Taubstummeninstitut rühmten und die englischen Wollmaschinen der Krageschen und Kramerschen Manufakturen, Hanewalds Dampfmaschinen und hydraulische Ölpresse wie auch Schachtrupps schöne Bleiweiß- und Schrotfabrik kannten.
Ja, wir wurden warme Freunde, da ich ihm von seiner geliebten Stadt mehreres erzählte, was er nicht gewußt hatte. Ich erwähnte nämlich, wie die Stadt zuerst Quidilingaburg geheißen habe und entstanden sei aus dem Dorf Quitlingen und dem Kastell, mit dem Kaiser Heinrich I. um 927 den Felsen über dem Dorf gekrönt habe, wie jedoch die Gegend bald der Lieblingssitz des gemütlichen Imperators geworden sei, er sie schon drei Jahre nachher mit Mauern eingeschirmt und zur Stadt erhoben habe und sie eine bevorzugte Residenz mehrerer Kaiser geblieben sei, welche hier immer gern ihre Pfingstfeste im grünen Walde gefeiert hätten. Weiter belehrte ich ihn, daß hier Herrmann, der erste Sachsenherzog aus dem Hause Billing, den Otto I. während seines Römerzugs zum Markgrafen im Sassenland bestellt hat, residiert habe, auch hier 973 gestorben sei; daß gleichfalls Heinrich der Stolze, des Löwenherzogs Vater, 1139 in Quedlinburg das Ende seiner Tage wahrscheinlich durch Gift gefunden habe, daß 985 der dritte der Ottonen hier einen Reichstag versammelte, wo wieder ein Billingen, der Bernhard nämlich, ihn als Reichsmarschall vertrat und seine Rechte gegen des bayerischen Heinrich Ansprüche verteidigte; daß Kaiser Lothar 1130 am Pfingstfest zu Quedlinburg Gericht hielt über den reichen Winzenberger, ihn, weil er des Kaisers Rat Burchhard von Lockenem meuchlings ermordet hatte, aller Reichslehen beraubte – auch der Landgrafschaft Thüringen – und sein Stammschloß abbrechen ließ; daß ferner Quedlinburg zum Bund der Hanse gehörte (1260), daß es manche Belagerung tapfer abgeschlagen habe und daß die vielen Reste von Warten und Wehren auf den Höhen rings um Quedlinburg aus jener bösen Zeit stammten, wo Kaiser Heinrichs IV. Haß den Sachsen überall fremde Zwingherren und Zuchtmeister auf den Nacken gesetzt, sie zu Frönern gemacht und den schönen Harzwald in einen Blutgau verwandelt hatte.
Der junge Quedlinburger meinte ganz naiv, die schönste Kunst auf Erden sei doch die Schreibkunst, und es sei recht dumm, daß die Adamskinder erst so spät klug darauf geworden und man nun nicht wüßte, wie es ganz zuerst dran und drüber gegangen sei.
Die Werkstätten des Hüttenmeisters Bennighauß, die dicht an das natürliche Tor dieses in seiner Art vielleicht einzigen Tals sich anlehnen, bestehen außer der Weißblechhütte aus einer Schmelzhütte, einem Eisenhammer, einem Walzwerk und einer Kochgeschirr- und Nägelfabrik.
Das Dorf Thale selbst hat über tausend Bewohner, und zu ihm gehören einige Edelhöfe. Die Kirche steht auf dem Fundament der Burg Wendtal, die der kaiserliche Finkler zum Schutz gegen die Einfälle der heidnischen Wenden erbaute. Auch sieht man noch im Bezirk des einen der Edelsitze den Turm des Nonnenklosters Wendhusen und alte Grabsteine des Klosterkirchhofs im Garten desselben.
Der Harz hat keine warmen Quellen, doch besitzt er eine bedeutende Zahl mineralischer Brunnen, die zur Benutzung der Kranken eingerichtet wurden. Die Gegend um Thale hat mehrere derselben. Merkwürdig erscheint der Hubertusbrunnen, ein Solequell, der an Kochsalzgehalt fast alle zu Bädern benutzten Solequellen übertrifft, alle aber im Gehalt des salzsauren Kalks überbietet. Er entwickelt kein freies Gas, sein Geschmack ist aber scharf und bitter. Mitten im Bodefluß entspringt er auf einem Inselchen aus einer Lage Tonschiefer, und sein Schacht hat eine Tiefe von dreißig Fuß. Der Besitzer, ein Förster namens Daude, der ihn mit dem Namen des Patrons der Jäger geweiht hat, überbaute den Brunnen mit einem kleinen Badehaus; doch auch im Gasthof zu Thale ist eine Badeanstalt für sein Heilwasser angelegt, und mit dieser sind Eisenschlackenbäder verbunden, wozu die Blechhütte das Material liefert. Mancher Leidende aus der Gegend fand hier Linderung und Genesung, besonders bei Drüsenübeln, Hautkrankheiten und gichtischen Gebrechen.
Höher hinauf im Bodetal, bei Altenbrak im Blankenburgischen, entspringt der braunschweigischen Ludwigshütte gegenüber, dicht am Ufer der Bode, seltenerweise aus Feldsteinporphyr, ein Mineralquell, der Schwefelwasserstoff entwickelt. Quedlinburg rühmt sich zweier Eisenquellen, die sich in der Nähe der Stadt vorfinden und wohl benutzt werden, die stärkere ist das Sternbad, die zweite der Heilige Fieberbrunnen. Südlicher, nicht weit vom Städtchen Gernrode, liegt das Beringerbad, das aber nur Chlorsalze in sich trägt.
Von unseren verwilderten Gefährten verlassen, benutzten wir den Rest des Tages, dessen Gewitter friedlich vorüberzogen, um, von dem unermüdlichen Traugott geführt, auch die Herrlichkeiten des rechten Bodeufers aufzusuchen. Wir folgten der Fahrstraße durch das Steinbachtal, ergötzten uns auch hier an dem majestätischen Felsenbau, der es einfaßt, klommen die Winde, eine steile Berghöhe, hinan, um auf dem Platz zu ruhen, wo einst die Homburg sich dräuend erhoben hatte, kühlten uns im grünen Schattenwald und gelangten auf einem gebahnten Fußsteig allmählich zu dem schon erwähnten Hexentanzplatz; Goeze fand in dieser Gegend einen großen, freien Grasplatz, dessen Mitte sich trichterförmig senkte und mit einem drei Fuß hohen Steinkranz eingefaßt war. Im Zentrum des Trichters wuchs eine einzelne, alte Eiche, und bei näherer Untersuchung ergab sich, daß der ganze Steinkranz aus versteinertem Holz bestand, und zwar aus gezimmertem Holz. Ob unter der Eiche ein Kriegsfürst der Urzeit begraben liegt, ob der Steinkranz ein Rest des Rogus ist, auf dem man den Leichnam des Helden verbrannte, ob es ein heidnischer Opferplatz gewesen ist, geht aus Goezes Nachforschungen nicht hervor. »Dritte kleine Harzreise«, 1786. ja, wir achteten die Kraftverschwendung nicht und vertieften uns noch weiter ins Gebirge, um die Heuscheune aufzusuchen, diese merkwürdige, aus Granit und Hornfels zusammengebaute Grotte der Bodewand, die, fünfzig Fuß tief, siebzig Fuß breit und dreißig hoch, halb verschüttet, von langgeohrten Fledermäusen bewohnt, eine gefährliche Physiognomie trägt und, von dunklen Taxus umgeben, das Bild des zertrümmerten Sommerhauses einer Gnomendido unwillkürlich in uns hervorrief. Vielleicht standen wir aber gar am Eingang zum Reich der Lüge und des Trugs, verschüttet, seitdem alles so wahrhaft auf Erden und die Falschheit eine Chimäre geworden ist.
Auf dem Rückweg hielt uns die Aussicht vom Hexentanzplatz fest; sie übertrifft durch den erhöhteren Standpunkt und den weiteren Umblick jene der Roßtrappe bei weitem und bietet nicht allein das finstere Felsenbild, sondern auch ein reiches Landschaftsgemälde dar und erlaubt auch, dem herrlichen Brocken eine nochmalige Huldigung hinüberzuwinken.
Länger ruhten wir hier in traulichster Zwiesprache über vergangene und kommende Zeit, indes der alte Traugott ohne Umstände auf dem harten Steinlager sein Schläfchen machte; und fast übersättigt von den Naturgenüssen dieses schönen Tages, gedachten wir zuletzt auch der Begegnung am Bodekessel, und mit leichtem Vorwurf fragte ich den Freund, wie er dazu gekommen sei, dem runden, freundlichen Musikanten eine so derbe und unzarte Abfertigung zu geben.
»Ich wurde ärgerlich über den Geck«, lachte Ernst; »denn – bei dem großen Donnergott! – es gleicht doch nichts an mir jenen feilen Versfabrikanten, auf deren langweilige Milchgesichter man an jeder Straßenecke stößt und die sich den Schnurrbart wachsen lassen, damit man sie für Männer halten möge. Dazu fiel mir gerade ein, daß über diese Art Meister die Manie gekommen ist, sich höher als alle anderen Meister zu halten, sich als Zentrum der Welt zu bettachten, obgleich sie unter das Kapitel Luxusartikel zu rangieren sind, ohne die die Welt im Gleichgewicht bliebe und ohne die viele Millionen Menschen recht glücklich ihre Spanne Dasein abwickeln könnten. Ich hasse nun einmal alle diese selbstgefälligen Menschen.«
»Er hat sich bei dem hübschen Jäger zu bedanken«, erwiderte ich; »denn stieg deine Berserkerwut nur um ein paar Grad, hätte er selber in seiner Traueroper den gestürzten Riesen spielen mögen. Der hübsche Schnelläufer ruht jetzt wohl schon am Busen der Braut, am Herzen seiner Pauline. – Doch halt, schrieb sich nicht auch die Ariadne unseres Gustav Pauline? – Wir sind ungestört, Freund, der alte Traugott schnarcht eine tiefe Waldmelodie und hat sich den Hut als Sonnenschirm über das Antlitz gezogen. Laß mich endlich erfahren, Ernst, was du von Gustav und seinem innersten Seelenleben mir zu offenbaren versprachst.« Und Ernst erzählte.