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Unser Umschlagbild: Blick in die Königszelle, in der die fruchtbare Königin lebt und ihre zahlreichen Eier legt. Neben ihr der König, um sie beschäftigt Arbeiter, im großen Kreis zum Schutze Soldaten

Unter Benutzung einer Skizze nach der Natur von Escherich

Nachdruck verboten / Alle Rechte, auch das Übersetzungsrecht, vorbehalten Copyright 1931 by Franckh'sche Verlagshandlung, Stuttgart Printed in Germany / Verlagsdruckerei Holzinger & Co., Stuttgart

Für die alte europäisch-asiatische Kultur war Afrika immer der Erdteil der Wunder, von dem ewig etwas überraschend Neues kam. Und das ist im Grunde so geblieben bis heute. Noch im 19. Jahrhundert konnten in Afrika ungeheure Stromgebiete, unbekannte Riesenseen und äquatoriale Schneegipfel erschlossen werden. Wie sollte dieser Kontinent nicht auch die seltsamsten Tierarten beherbergen? Und in der Tat wimmelte er von Großtieren: Elefanten, Nashörnern, Flußpferden, Giraffen, Löwen und Menschenaffen, als man langsam in ihn eindrang.

Bei alledem war es aber doch noch eine Überraschung besonderster Art, als 1781 der treffliche Smeathman in einem Brief an die Königliche Gesellschaft zu London zum erstenmal einen wissenschaftlichen Bericht gab über die kolossalen Bauten der afrikanischen sog. Termiten.

Es handelte sich um durchweg verhältnismäßig sehr kleine Insekten, die, obwohl selber nicht zu den Ameisen gehörig, doch in den auffälligeren Arten gesellig in großen Mengen beisammen lebten und durch gemeinsame Arbeit vielfach solche Bauten in Gestalt von Erdhügeln errichteten. Diese Hügel sollten aber unter Umständen bei weitem höher sein als ein Mensch und so fest, daß mehrere Menschen und schwere Tiere, wie Rinder, darauf stehen konnten, Vegetation sich ansiedeln durfte und oft geradezu der Eindruck kleiner natürlicher Berge im afrikanischen Landschaftsbilde entstand.

Smeathmans Angaben mit ihren weiteren höchst treffenden Einzelheiten wirkten zunächst so fabelhaft, daß niemand recht daran glauben wollte. In den rund hundertfünfzig Jahren seither sind wir aber in wachsendem Maße nicht nur über das tatsächliche Bestehen dieser großartigen Tierbauten unterrichtet worden, sondern wir haben erst ganz genauen Anhalt für ihre wahrhaft märchenhafte Größe in äußersten Fällen erhalten.

Da die Termiten durch die ganze Tropenzone der Erde verbreitet, also nicht auf Afrika beschränkt sind, hat man zunächst in Nordaustralien ähnliche Termitenburgen feststellen können, die in Gestalt hier ziemlich steiler Nadeln von sehr schmaler Basis emporsteigend volle 7 ,m maßen. Das entspricht nicht einem, sondern vier senkrecht aufeinandergestellten großen Menschen. Man wird sich denken, was ein solcher Turm in einer flachen Gegend bereits für einen äußerst eindrucksvollen Anblick gewähren muß – wobei berichtet wird, daß solche etwas niedrigeren Pyramiden dort bisweilen auf Meilenweite zu ganzen Großstädten beisammen stehen, Pik um Pik, nur durch ein paar Meter Zwischenraum getrennt. Später aber hat sich dann herausgestellt, daß auch diesen kolossalen Maßen Afrika selbst wirklich noch überlegen ist.

Im Natanga-Bezirk des belgischen Nongo-Gebiets und auf englischem Boden des nahen Nordrhodesia bei Afrikanisch-Broken-Hill maßen einwandfreie Beobachter bei den gewaltigsten, ganz aus rötlicher Tonerde gefügten Termitenhügeln nicht weniger als 12 m! Von einem bekannten Termitenforscher sind sogar gelegentlich 20 ,m angegeben worden, doch finde ich das anderweitig bisher nicht bestätigt. Es genügen aber auch 12 m, denen ein Durchmesser von über 20 ,m an der hier sehr breiten Basis entspricht, vollauf, um bei einigem Nachdenken ein geradezu ungeheuerliches Vergleichsbild heraufzubeschwören.

Man muß sich dazu die durchweg, wie gesagt, unglaubliche Winzigkeit der erbauenden Einzeltermite vergegenwärtigen, ausrechnen, wievielmal ein solcher Dom oder Turm von 7 bis gar 12 ,m ihre eigene Länge überragt und dann auf menschliche Verhältnisse umrechnen – also wie hoch ein menschliches Bauwerk irgendwelcher Art sein müßte, wenn das Durchschnittsmaß eines Menschenkörpers entsprechend oft in der tatsächlichen Höhenziffer enthalten sein sollte. Die einfache Ziffer muß dann zeigen, daß wir hier vor den relativ größten Bauten stehen, die als planmäßige Arbeitsleistung einer geschlossenen Lebensgemeinschaft je auf der Erde aufgeführt worden sind – im relativen Verhältnis unvergleichlich viel bedeutender als alle Leistung bisher des Menschen selbst.

Vorweg bemerken möchte ich allerdings, daß man sich dabei vor naheliegenden Verwechslungen durch das Wort »Tierbauten« hüten muß. Man darf nicht heranziehen sogen. Korallenbauten mit tausend und mehr Metern absoluter Riffhöhe im Wasser oder horizontal noch viel längeren Ufermauern, denn hier handelt es sich nicht um echte zielgerechte Bautätigkeit, sondern ein bloß gleichsam mechanisches Aufeinanderschichten immer wieder junger Kalkgehäuse von Individuen und Generationen auf ältere am gleichen Fleck. Ebensowenig wie man an die ungeheuren Anhäufungen toter Reste von mikroskopischen Urtierchen oder Urpflänzchen denken darf, die z. B. in der Kreide von Rügen und sonst ganze Gebirge bilden.

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Bewachsener Termitenhügel in Südwestafrika
Phot. Auswärtiges Amt, Berlin

Näher käme bereits die Leistung gewisser nordamerikanischer Biber-Ansiedlungen, wo man künstliche Dammbauten von mindestens 200 ,m Länge gemessen hat, die im Werkzeugsinne aus geschichteten und gedichteten Hölzern künstlich hergestellt waren, um Wasser abzustauen. Doch geht die senkrechte Häufung hier nicht über 3 ,m hinaus bei rund Metergröße der Erbauer.

Was aber unsere bewußte Menschenbaukunst selbst betrifft, so war die vielbestaunte ältere Meisterleistung der Cheopspyramide ursprünglich rund 146 ,m hoch, später nur noch 137 m, was annähernd der Petersdomkuppel in Rom entspricht, während das neue Ulmer Münster 161 ,m hat, fünf mehr als die Kölner Domtürme. Bis vor kurzem galt als die Spitzenleistung der Pariser Eiffelturm mit 300 m, ganz letztlich sind vor allem Neuyorker Wolkenkratzer auch darüber hinausgegangen, und eben ist ein solcher von 415 ,m fertig geworden. Jetzt rechne man aber dagegen die relativen Termitenhöhen.

Jene australischen Steiltürme von 7 ,m werden gewohnheitsmäßig immer wieder errichtet von der Termitenart Eutermes pyriformis, deren »Arbeiter« als Erbauer (ich erläutere diesen Begriff im Termitenleben gleich noch) einzeln nur um 3 mm oder noch etwas weniger geschätzt werden, also rund Flohgröße haben würden. Der bekannte, 1931 verstorbene Pater Wasmann als ausgezeichneter Ameisen- wie Termitenkenner hat aus dieser Schätzung bereits berechnet, daß der Bau also rund das Zweitausendfünfhundertfache der Länge seiner Erbauer betragen würde. Legten wir jetzt, schließt er, die Höhe eines Menschen zugrunde und berechneten uns das hierzu gehörige entsprechende Bauwerk, so müßte es bereits 3700 ,m hoch sein. Das ginge mit über zwölfmal Eiffelturm für uns aber bereits in richtige Hochgebirgsmaße. Es gäbe weit über zweimal die Schneekoppe im Riesengebirge (1605 m) und schon fast genau den Großglockner in Tirol (3798 m). Dabei setzt aber Wasmann offenbar den Normalmenschen sehr klein an. Es stände nichts im Wege, wenn man den Termitenarbeiter etwas reichlicher nimmt, auch einen recht großen Menschen von 1,85 ,m zu nehmen, womit wir über die Jungfrau im Berner Oberland schon hinaus ziemlich nahe der Höhe des Matterhorns kämen. Rechnen wir jetzt entsprechend jene afrikanischen 12 ,m um, so gilt als die bauende Termitenart dieses Rekords hergebracht die Art Acanthotermes spiniger, deren kleinere Arbeiterform 4 mm mißt, eine größere bis 5 mm. Nehmen wir 5 mm zu 1,85 ,m Menschengröße, so ergäbe der Bau für uns immer noch die Höhe des Matterhorns. Aber es könnte Lust anwandeln, zu der größten Termitenform hier auch einen wirklich allergrößten Menschen anzunehmen, der bekanntlich in noch nicht abnormen Fällen bis 2 ,m reicht. Dann gerieten wir mit 4800 ,m des Vergleichs auf fast genau Montblanc-Höhe, wie Wasmann an einer anderen Stelle auch bereits andeutet. Ein anderer Beobachter nimmt für diese afrikanischen Riesenbauten eine etwas größere Termite an ( Termes goliath): es bliebe selbst dann gegen Zugspitzen-Maß, die Sache selbst ist aber unerwiesen.

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So hoch müßten wir Menschen bauen, wenn wir so tüchtig wären wie die Termiten. Gewisse Termitenbauten sind 12 ,m hoch. Nehmen wir an, daß die erbauende Termite in dem Falle 4-5 mm groß ist, so müßte der Mensch im Verhältnis zu seiner Größe Türme von der ungefähren Höhe des Matterhorns errichten. Im Vergleich zum Matterhorn (etwa 4500 ,m) einige bekannte Bauwerke: Cheopspyramide ursprünglich 146 ,m, Ulmer Münster 161 ,m, Eiffelturm 300 m, Chrysler Building in New York 415 ,m (Nach einer Zeichnung für den Kosmos)

Auf der andern Seite muß man beachten, daß alle diese Gebirgsmaße absolut vom Meeresspiegel gerechnet sind, also als Bau noch viel imposanter wirken würden, während die Termitenbauten selbst außer ihrer Höhenentfaltung auch noch mehr oder minder tief unterirdisch weiter reichen – auf einen fast 2 ,m hohen Oberbau in Ceylon rechnete unser altbewährter deutscher Termitenkenner K. Escherich noch fast 1 ,m solcher Unterkellerung.

Daß aber der Termitenbau nirgendwo in jenem Korallensinne Zufallsanhäufung, sondern wirklich planmäßiger Einheitsbau wie nur immer unsere menschlichen Dom- oder Pyramidenbauten ist, konnte ebenfalls Escherich bei ceylonischen Arten feststellen: jede Art hatte im Gegensatz zu anderen ihr bestimmtes Höhenmaß, das sie nicht überschritt; im ganzen schienen für die architektonische Ausführung eines 2½ ,m hohen Doms bis 13 Jahre nötig, wozu noch etwa 2 Jahre anfänglich rein unterirdischen Bestehens der betreffenden Kolonie kommen mochten.

Wie man die Dinge wenden mag – es kommt ein geradezu ungeheuerliches Vergleichsbild heraus, vor dem wir Menschen diesmal bescheiden das Feld räumen müssen.

Man wußte aber längst noch nichts von diesen äußersten Höhenleistungen und den inneren Geheimnissen solcher Termitenhügel, als man bereits mit der ersten Besiedelung tropischer Länder durch den Kultureuropäer auf eine zweite nicht geringere Leistung dieser Termiten notgedrungen aufmerksam wurde, die diesmal ausgesprochen diesem Menschen selbst feindlich sein sollte.

Die Termiten bauten nicht nur relativ höher als der Mensch, sondern sie erwiesen sich auch als die absolut wütendsten und erfolgreichsten Zerstörer eines gewissen Teils aller menschlichen Bauten, wo immer solche in ihre Angriffslinie kamen – auch hier von einem wahrhaft dämonischen Leistungsrekord.

Keineswegs alle ihre vielfach verschiedenen, vermutlich (wenn auch erst ein Teil erforscht ist) nach Tausenden zählenden Arten bauten und bewohnten solche Riesenhügel, andere hatten ihre Burgen und Verstecke hoch in den Urwaldbäumen, viele überhaupt ganz unter der Erde oder auch am Boden in unendlich wechselnden kleineren Typen. Fast alle aber machten zu gewissen Zeiten ihre ebenso planmäßigen Ausfälle mehr oder minder räuberischer Absicht. Und unendlich erschien dabei auch ihre Kopfzahl. Winzig, wie sie einzeln waren, schienen sie doch in gewissen Riesengebieten auch so geradezu allgegenwärtig. Jede jener hügelhaften Hochburgen umschließt tatsächlich Millionen. Aber unfaßbar, was außerdem noch die unsichtbare Tiefe beherbergen mußte. Man hat mit Recht gesagt, daß mit Rücksicht auf die verhältnismäßig geringe Bevölkerung dieser Tropen mit Menschen die Termiten die eigentlichen Besitzer dieser Zone seien, was Volkszahl und -dichte angeht. Ganz Afrika sei in diesem Sinne in Wahrheit nur ein einziger riesiger Termitenbau.

Mit dieser Allgegenwart verband sich aber, so schien es, eine ganz bestimmte maßlose Unersättlichkeit.

Man kennt die Üppigkeit des tropischen Pflanzenwuchses. Mit diesem Überfluß ist aber auch ein ewiges »Werden und Vergehen« verknüpft. Unendliches Holz wird morsch, vertrocknete alte überzählige Blätter sterben ab und fallen, auch wo kein regelmäßiges Winterabwerfen stattfindet; das Gras dorrt, ein nicht endender vegetabilischer Abfall, vermischt mit tierischem, häuft sich zwischen der ewigen Fruchtbarkeit und Heilkraft an. Eben auf diese sterbende Natur aber geht jener Heißhunger der Termite. In erster Linie Pflanzenfresser, räumt sie mit besonderer Liebe doch das fort, was dort wieder als Abfall unter den Tisch sank. Und ganz besonders ist es für eine große Zahl Arten grade das scheinbar Ungenießbarste, Unverdaulichste, was sie so begehrt – das schon abgestorbene, das tote Holz selbst, das sie in nicht ablassendem Angriff zerbeißt, verschluckt, beseitigt.

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Termitenfraß in einem Türpfosten.
Man sieht deutlich, wie das Holz von den Termiten ausgehöhlt wurde
Phot. Morstatt

Kein Zweifel, daß das im rein sich selbst überlassenen tropischen Naturhaushalt eine überaus nützliche Arbeit ist. Die Termiten sind unablässig die großen Aufräumer der Natur. Sie vernichten das gefallene Dürrholz, fressen den morschen Baum vollends aus, daß er stürzt, erledigen die Koniferennadel, wie die Grasdürre der Trockenzeit.

Was aber die Kulturansiedler der Termitenländer mit Schrecken bemerken mußten, war, daß die Termite ihren Begriff des toten Holzes alsbald auch in wertvollstem Stoff dieser Kultur selber fand. Im hölzernen Haus, hölzernen Möbeln, hölzernen Werkzeug! Alsbald erstreckten sich die Termitenangriffe genau so auch auf die menschlichen Ansiedelungen. Wie die Hunnen, wie die verheerenden Raubritter brachen sie ein. Um so unheimlicher und zielsicherer, als sie versteckt, gleichsam unsichtbar unter Tarnkappen, kamen, denn die Termite liebte selbst nicht die Trockenluft des heißen Tages – also bei Nacht oder in bedeckten Gängen, Galerien wie künstlichen Oberflächentunnels sich heranpirschend oder aus der Erde selbst aufsteigend.

So stiegen sie durch die Dielen, die Wände, die Möbel bis zum Dach, auch da alles innerlich ausfressend unter Stehenlassen einer oft nur millimeterdünnen Deckschicht gegen jene verpönte Offenluft.

Unendlich sind die Erzählungen vom Erfolg dieses Kulturkrieges gegen das Holz bis zur Grenze oft des Humoristischen. Man will sich auf einen Stuhl setzen: die Termiten haben ihn so in allen Teilen gehöhlt, daß er in Wahrheit nur als dünnste Attrappe seiner eigentlichen Masse noch steht, die beim leisesten Druck zu Zunder zerfällt. In einem derben Holztisch sind sie vom durchlöcherten Boden im einen Bein heraufgekommen, haben die Platte innen horizontal durchfressen und von da die andern Beine abwärts angegriffen; scheinbar ist nichts geschehen, Bücher liegen noch darauf, aber in Wahrheit ragt auch hier nur mehr das täuschende Kartongespenst des ehemaligen Tischs. Im anderen Falle fressen sie durch ein Loch im Deckel die Bücher selbst innerlich aus, fressen im Atlas die Karten fort, im Aktenbündel die innere Blätterfolge. Ein heimkehrender Reisender findet das Glas seiner Bilder an der Wand getrübt, die Rahmen verändert: beim Nachsehen kleben nur noch die nackten Gläser selbst durch das Sekret der Termiten an der Wand, die Rahmen sind nur mehr Staub, die Kupferstiche, die Hinterbretter vertilgt. Aber der Humor vergeht über den Schrecken der allumfassenden Zerstörung.

Die Termiten fressen in der Kultur auch die Vorhänge, die Tapeten, die Kleider, das Linoleum, Leder, Wolle, selbst Elfenbein, alle Sorten Vorräte. Ganze Häuser brechen von ihnen zusammen, der prachtvolle und kostspielige Palast des englischen Gouverneurs von Kalkutta mußte 1814 wegen Termitenfraßes abgebrochen werden. Linienschiffe des Hafens wurden infiziert bis zum Untergange. Die ganze Hauptstadt von St. Helena, Jamestown, war zeitweise durch zufällig eingeschleppte Termiten in höchster Gefahr.

Geistige wie materielle Reichtümer, wie ein Beobachter gut sagt, fallen ihnen gleichmäßig anheim, die Archive, die Bibliotheken – man hat betont, daß in keinem Tropenstaat ältere Dokumentenforschung den Gelehrten möglich ist, da die Termiten auch hier aufgeräumt haben; fast kein Buch in Südamerika ist älter als 50 Jahre, klagte schon Humboldt. In Schönbrunn bei Wien haben ebenfalls nur durch Zufall eingeführte nordamerikanische Termiten die schönen Gewächshäuser zerstört, in Amerika selbst haben sie das Holzwerk des unersetzlichen Nationalmuseums fortgefressen.

Die landwirtschaftlichen wie die häuslichen Werkzeuge, soweit sie nicht Metall sind, fallen zum Opfer, die Industrieanlagen, Magazine, im Keller fressen sie die Fässer, daß der Wein ausfließt. Die Ausdehnung des modernen Verkehrswesens, die kein wütigster Büffel oder Elefant bedrohen könnte, wird immer neu erschwert, da die Termiten auf den Bahnstrecken die Schwellen vernichten, daß die Züge entgleisen, die Telegraphenstangen zu Fall bringen, die Chausseedämme unterwühlen. Der Mensch vergeistigt in der Technik sein Material: der Termite bleibt es totes Holz wie der morsche Urwaldriese – fort damit. Es gibt Gegenden in Afrika, die wieder verödet sind, weil man der Termite nicht Herr wurde.

Und selbst der Kultivierung des Bodens setzt sie oft ihre eisenharten Bauten in den Weg. Schweinfurth erzählt, wie in der afrikanischen Missionsanstalt zu Gallabat die Leute sieben Tage mit schweren Brechstangen an der Entfernung solches termitischen »Matterhorns« arbeiten mußten, das die ganze Nachbarschaft verseuchte. Einige bestimmte Arten gefährden auch die wertvollsten lebenden Kulturgewächse des Kolonisten, nisten sich zum Verderb im Zuckerrohr, in den Teepflanzen der Plantagen, den wichtigen Kakaobäumen und den noch kostbareren Kautschukbäumen in Indien ein.

Vergebens hat man bisher nach allgemeinen Mitteln gegen diese Insektenpest gesucht. Man baut die Häuser mehr aus Stein, sucht gewisse doch termitenfeste Hölzer, vernichtet alle verdächtigen Baumstümpfe in den Gärten, setzt Prämien auf Zerstörung der großen Hügel, vergiftet die Bewohner mit Schwefelarsendämpfen, wozu besondere Apparate erfunden werden. Mit dem Mikrophon sucht man selbst die unterirdischen Wohnungen am Geräusch der krabbelnden Tiere zu erfassen. Es sind alles doch erst Anfänge, und einstweilen behauptet der Termitenunsegen sich neben Malariamücken, Tsetse- und Schlafkrankheitsfliegen wie eine Art Cherubschwert, das die Natur vor ihr Tropenparadies gestellt hat. Genug: ein Schrecken ohne Ende.

Was aber sind das nun für Geschöpfe ihrem eigenen Wesen nach, und worauf gründet sich dieses »im Schwachen mächtig sein« selbst bis zum sieghaften Wettkampf und bis zur bedrohlichen Überbietung des Kulturwesens Mensch?

Beides, jene Gipfelbauten wie dieser Vernichtungskrieg, wird ersichtlich nur möglich durch ein ungeheures soziales Massenaufgebot, eine phänomenale, wie gesagt, oft millionenköpfige Geselligkeit wenigstens der tätigsten Arten. Aber zugleich tritt auch jenes einheitlich Planmäßige hervor, das innerhalb der Masse als Kopfzahl eine geschlossene soziale Organisation im Sinne eines Staates bei jeder Kolonie vermuten läßt. Auch davon schrieb Smeathman selbst bereits in jenem ersten Sachbericht (1781), die Folge sollte aber erst in der Arbeit ausgezeichneter und unermüdlicher Forscher auch hier das annähernd runde Bild geben, das nun allerdings nochmals alles bisher Erzählte weit übertrifft. Viele Geheimnisse sind sicherlich noch verborgen und harren für uns der Zukunft. Aber was wir wissen, berechtigt bereits vollauf, von der großartigsten und wunderbarsten tierischen Sozialorganisation zu sprechen, die unterhalb unserer menschlichen, bis heute immer noch nicht zu voller Zufriedenheit ausgestalteten besteht. Und die dort offenbar seit ungezählten Jahrtausenden jetzt eine gewisse, immer wieder glatt arbeitende Universalregelung verkörpert, in die im äußersten Falle bis zu vielen Millionen von Staatsbürgern, ich will nicht sagen glücklich (denn davon wissen wir in diesen fernen Welten, die uns weiter abstehen als Menschen eines andern Planeten tun würden, einstweilen nichts), aber jedenfalls reibungslos eingeordnet sind, um immer wieder ihr Einzelleben in den gegebenen Normen nützlich hinzubringen vom Standpunkt des umfassenden »Staatsgedankens«.

Systematisch wissen wir heute ziemlich genau, wo die Termiten hingehören. Sie sind, wie schon erwähnt, keine Ameisen, obwohl eine alteingebürgerte Verwechslung sie immer wieder als » weiße Ameisen« bezeichnet, was selbst in neuesten Reisewerken noch seine verwirrende Rolle spielt.

Im Leibesbau ist die Termite altertümlicher und auch in kleinster Form stets etwas plumper als die hochentwickelte Ameise mit ihrer schlanken Stiltaille, hat auch persönlich die schlichtere insektische Form der Jugendentwicklung bloß durch einfache Häutungen ohne echten Puppenstand.

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Termitenhügel in der Massaisteppe (Ostafrika).
Phot. Dobbertin

Der Abstammung nach gehört sie nahe zu unsern Küchenschaben oder Kakerlaken, deren Urvolk schon im Steinkohlenwald mit dabei war, doch läßt sich ihre Abzweigung nicht über den Bernsteinwald (also die ältere Tertiärzeit) zurückverfolgen Vgl. meine Kosmosbändchen »Der Stammbaum der Insekten« (S. 80 und 84) und »Im Bernsteinwald« (S. 61)., wie das Schnabeltier oder der große Molchfisch im Wirbeltierstamm, hat sich eine einzige dort unmittelbar noch anklingende Übergangsform ( Mastotermes darwiniensis) lebend in Australien erhalten. Am besten gesteht man der ganzen Gruppe heute aber den Rang einer besonderen Insektenordnung zu.

Der Name »Termite« geht dabei auf den alten Linné und stammt von griech. terma, das Ziel oder Lebensende. Es ist etwas verwickelt, wie diese düstere Bezeichnung grade an sie kam. Linné zog unsere ähnlich winzige sog. Bücherlaus hinzu, die öfter aus wurmstichigem Holz oder Papier durch Kopfaufschlagen klopft, verwechselte dieses Klopfen aber mit dem des sog. Totenkäfers (Totenuhr), den das Volk nahendes Lebensende ansagen läßt. Wir werden sehen, daß die Termite mit ihrer tollen Fruchtbarkeit nicht grade als Todessymbol gelten sollte.

Die heutige geographische Verbreitung hat zwar ihren Schwerpunkt durchaus in den feuchtheißen Tropen, greift aber mit mehreren unscheinbaren, keine Hügel bauenden Arten auch ins Mittelmeergebiet und (vielleicht nur in geschichtlicher Zeit verschleppt) selbst tief nach Südfrankreich über, wo in Rochelle auch schon Häuser und Fußböden durch Termitenfraß eingestürzt sind, und desgleichen nach Nordamerika. Als wir in der Urwelt die Tropen selbst im Lande hatten, gab es Termiten bis gegen das heutige Schweden zu.

Seit man jene kleinen »Matterhörner« und »Montblancs« kennt, sind sie aber immer wieder als die beste Gelegenheit erschienen, etwas tiefer auch in das innere Geheimnis dieses Termitenlebens und Termitenstaates einzudringen, wenn sie äußerlich auch zunächst wenig genug davon verrieten. Denn hinter steinharter Rinde scheint sich, sehr unähnlich der Ameise, auch hier für gewöhnlich die Termite förmlich hermetisch abzuschließen, und der schwerste hinaufkletternde Mensch hat, wie erwähnt, keine Wahrscheinlichkeit, dieses hartnäckige Siegel von selber zu brechen. Schweinfurth hat ein reizendes Bild gegeben, wie ein tapferer Nubier von solchem Hügel als sicherem Pult eine flammende Hohnrede an die kannibalischen Niamniamneger hält ohne jede Gefahr des Einsturzes. Und erst wenn man buchstäblich mit Äxten und Brecheisen oder gar modernem Sprengstoff dem scheinbar mineralisch toten Gebilde zu Leibe geht, entschleiert sich allmählich widerwillig die märchenhafteste Offenbarung geheimen Lebens und seiner engeren Gebrauchswerke, von denen auch der ganze Riesenbau außen nur einen rohen Vorgeschmack gab.

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Angeschnittener Termitenhügel.
Aus dem Ufa-Film »Urwelt im Urwald« Phot. Scherl

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So sieht ein großer Termitenhügel der pilzzüchtenden Arten im schematischen Durchschnitt aus. An der Grenze des oberirdischen und unterirdischen Teils liegt der Zentralkern mit der Königszelle (a), entstanden ursprünglich aus der ersten von dem jungen Paar, das die Kolonie gründete, gegrabenen Höhle. Die übrigen Teile sind dann von den Arbeitern daran, darunter und darüber gebaut. Man sieht darin zahlreiche große Kammern mit Pilzgärten (b). Verbindungsgänge (e) sowie Teile der großen Lüftungsschächte (c). Von dem unterirdischen Teil führen Gänge (d) in weiterer Entfernung zur Oberfläche aus. (Umgezeichnet nach Escherich)

Bei den am genauesten heute bekannten und gleichzeitig höchsten Arten in Afrika und Südasien schneidet die Untersuchung bis zur Tiefe dabei in reine Erde ein. Nach Durchbrechung eines massiven Mantels zeigen sich in solchem termitischen »Kulturbau« die ersten feinen Laufgänge der Bewohnerschaft, die jetzt das ganze Innere durchspinnen und auch alle größeren Räume miteinander in Verbindung setzen. Hier und da schaltet sich in sie ein System solcher geräumigeren Kammern ein, die ersichtlich allerhand Sonderzwecken des »kulturellen« Innenbetriebs dienen. Außerdem reicht ein zweites System von mehr oder minder weiten leeren Lüftungsschächten meist durch den Bau, die sich ganz oder teilweise als » Kamine« nach außen öffnen, nach innen aber ebenfalls mit dem Kammer- und Gangnetz in Verbindung stehen. In dieser Grundform geht das Ganze durchweg noch unter die Ebene des Hügels auch in den besagten unterirdischen Teil weiter, der aber dort keinen harten Abschlußmantel mehr hat und von dem ein System jetzt ebenfalls unterirdischer Laufgräben frei in die Weite zu strahlen pflegt, die oft hundert und mehr Meter vom Bau entfernt erst wieder an die Oberfläche kommen, also die denkbar verstecktesten Stellen für jene verderblichen Massenausfälle der Burginsassen bilden.

Diese Insassen selbst zeigen sich ja jetzt auch beim gewaltsamen Eingriff. Sie zeigen sich in solchem ungeheuren Hügel meist in entsprechender Zahl als wimmelnde Larvenkinder und Alte, gehen aber auch bei diesen Alten selbst in verschiedener Größe und Gestalt, wovon ein gewisser Typ den einbrechenden Menschen selbst mehr oder minder wirksam angreift, daß seine Hände geschnitten, bespickt, besudelt werden – man ahnt also auch hier besondere Kasten, Stände des Staats in Arbeitsteilung – etwa im zweiten Falle besondere verteidigende Soldaten, wie sie ja auch bei den echten Ameisen vorkommen.

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Die Termiten sind keine Ameisen. Der Unterschied zeigt sich deutlich schon bei der Entwicklung aus dem Ei zum fertigen Tier. Die obere Figurenreihe führt sie bei der Termite vor. Die auskriechende Larve ist sogleich frei beweglich und ähnelt bis auf die Größe schon sehr der fertigen Form.

Bei der Ameise (untere Reihe) ist die Larve dagegen hilflos und bildet eine Puppe, aus der erst das fertige Insekt kriecht. (Schematisch nach Fuller aus Hegh » Les Termites«) Keine Stelle des ganzen Baues aber erscheint für die Enträtselung wieder dieser geheimen Dinge der Gemeinschaft (das erkannten auch schon die ersten Beobachter) so entscheidend belehrend wie das Leben und Treiben in einer ganz bestimmten jener verschiedenartigen Einzelkammern, die man, wo sie vorhanden, treffend als den » Zentralkern« mit der » Königszelle« bezeichnet hat.

Hier arbeitet in Wahrheit das pulsende Herz des ganzen Staatsorganismus solcher für sich geschlossenen Termitenschaft, hier organisiert, verjüngt sie sich selber immer wieder, von hier strömt gewissermaßen ihr Blut bis zum fernsten Vorstoß und Wanderzug der ganzen oft millionenköpfigen Genossenschaft, die ohne diese Zentralstelle nicht existierte und ebenso wenig weiterbestehen könnte.

Der Namen »Königszelle« besagt aber, daß hier nichts Geringeres dauernd haust, als der » König« und die » Königin« des betreffenden Termitenhügels, umgeben von einem großen »Hofstaat« und in einer Staatswürde, die sogleich näher erläutert werden soll.

Der andere Begriff »Zentralkern« ist insofern auch berechtigt, als diese Zelle im Normalfall gleichsam noch einmal eine besondere kleine feste Burg in der kolossalen Riesenburg des Ganzen bildet. Ein dicker und harter Erdmantel umgibt sie für sich, der doch durch zahlreiche meist feine Öffnungen nicht die freie Verbindung auch hier mit den übrigen Innenteilen ausschließt. Der Lage nach befindet sich diese Teilburg normal auch im ungefähren idealen Mittelpunkt, jedenfalls noch nahezu genau oder wenig vertieft auf der Grenze des oberirdischen und des unterirdischen Bauteils und damit zugleich am denkbar geschütztesten Fleck des Ganzen sowohl gegen oben wie unten.

Dieser Charakter aber als solche Burg in der Burg bedingt selber wieder das Merkwürdige und Erwünschte, daß sich beim Aufspalten des Gesamthügels dieser Kern einzeln ohne besondere Mühe herausholen und in seinen Innenvorgängen auch draußen weiter studieren läßt. Die Türchen der Termiten selbst würden diese engere Schau ja noch nicht ohne weiteres ermöglichen, man muß auch hier vielmehr noch etwas künstlich öffnen. Jenem vorzüglichen Forscher, dem Professor Escherich in München, ist es aber geglückt, das so vorsichtig zu machen, daß eine auffällige Störung der Insassen nicht entstand. Mit scharfem Messer schälte er einseitig Schicht um Schicht den starren Erdrand noch einmal größtmöglich vorsichtig herunter, schob dann eine Glasscheibe vor und befestigte sie unter sorgsamstem Verstopfen aller Zwischenräume durch Watte. In dieser Gestalt kam die ganze Kammer noch unter eine besondere schützende Glasglocke, die gleichsam den Gesamthügel ersetzte. Und auch dabei machte sich geltend, daß die miteingesperrten Termiten nicht so sehr das Licht selbst scheuten, das doch jetzt auch diesen finstersten Tartaruswinkel eroberte, als die trockene Außenluft. Solange das Glas gegen diese abschloß, vollzogen sie alle ihre Aufgaben des hergebrachten »Hofstaats«, als sei nichts geschehen – ließen, um in jenem Bilde zu bleiben, das Herz ihres Hügels, als stände er noch wirklich darüber, ruhig weiterklopfen. Dem Beobachter aber enthüllt sich jetzt das wunderbarste Schauspiel, von dem alle Kenner bisher versichern, daß es zu den eigenartigsten Vorgängen der ganzen Natur gehöre.

Um die Zelle als Szene des Theaters noch etwas enger zu beschreiben, so ist sie in den Musterfällen ein Zimmer oder (für die winzige Größe der Durchschnittstermiten) ein kleiner Festsaal, oval mit meist ziemlich niedriger Deckenwölbung bei vollkommen ebenem Boden, auf dem nichts rutschen kann – der Längendurchmesser je nach Art und fertigem Ausbau bis zu 14 cm bei etwa 9 cm Breite.

Was dem Blick aber dann zuerst als auch räumlich wirklich beherrschend bei den Insassen auffällt, ist die sogen. » Königin« (s. farbiges Umschlagbild). Nach Termitenmaß geradezu ausschweifend, unmöglich, »übertermitisch« riesig, füllt sie den größten Teil der Halle mit ihrer allerhöchsten Person allein aus. Ist die Decke besonders tief, so preßt sie nach oben unmittelbar gegen sie an. Für unsern Vergleich hat sie in erster Schau die Gestalt einer dicken weißen Wurst mit einigen braunen Räucherflecken oder auch eines Rollschinkens – im wahren Größenmaß noch besser einer kleinen länglichen, sehr hellen und etwas höckerigen Kartoffel. Näher beschaut, erkennt man an ihr doch vorne den braunglänzenden Kopf mit seinen Fühlern und die entsprechenden drei Brustteile mit den sechs Beinen des typischen Insekts, das königliche Haupt mit deutlichen Augen. Die besagte »Kartoffel« aber entsteht allein durch den unerhört verdickten und ausgesackten Hinterleib, dessen Haut so ungeheuer prall gespannt ist, daß die nicht entsprechend mitgewachsenen Chitinschienen des Außenpanzers nur noch wie kleine bräunliche Striche oder Inselchen daran verrutscht erscheinen, während durch die durchscheinend gewordene Haut selbst die weiße Muskulatur des Innern schimmert. In dieser abenteuerlichen Gestalt ruht das Ungetüm meist wie an seiner eigenen Mißform und Korpulenz erstarrt in der Saalmitte gleich dem weißen Elefanten in seiner indischen Pagode, den die Priester und Gläubigen umjubeln. Und ähnlich scheint in der Tat auch hier dem königlichen Idol eine überaus vielköpfige Trabantenschar zu huldigen.

Heraus hebt sich aus ihr doch zunächst noch ein offenbar nicht unter-, sondern beigeordneter Einzeltermiterich von normal gegliederter Gestalt ohne Dickbauch, der in Größe und brauner Panzerfarbe wirklich jetzt etwas an eine unserer Küchenschaben erinnern könnte – auch nicht ganz klein, aber zu der Riesendame doch durchweg schon ein Zwerg – der » König«. hat die Königin in unsern Musterfällen voll erwachsen über 7, ja bis 11 cm Länge bei 5 cm Breite, so mißt dieser König auch bei solcher stärksten Form noch nicht 2 cm. Auch er hat trotz des stockfinsteren Gelasses, in dem man ihn findet, wohlentwickelte Augen, und sein Platz scheint wie in festem Hofzeremoniell rechtmäßig an der einen Flanke der Königin, wo er dann mit würdevoll gesenktem und nickendem Haupt auf hochgestelzten Beinen nicht ohne Humor gesehen wird. Doch bleibt er stets beweglich, folgt den Vorgängen ringsum mit Aufmerksamkeit und versteckt sich erschreckt wohl auch geradezu unter dem Kartoffelbauch seiner erlauchten Partnerin.

Des weiteren im tollen Bilde aber schließt sich daran ein mehrhundertköpfiger wimmelnder Ring offensichtlich jetzt wirklich mehr untergeordneter Wesen. Vollends ganz winzig zu dem Paar wie sie sind, gleichen sie mehr weichen weißen Würmchen oder Maden, die die Zentralwurst umkriechen. Das nunmehr sind typische » Termiten-Arbeiter«, die hier im engern Staatsdienst aber auch offenbar eine besondere Aufgabe haben. Viele laufen (nach Escherichs Schilderung bei einer afrikanischen Art) karussellartig um das Königspaar der Mitte herum, während andere ständig an der Königin selbst sich zu schaffen machen. Sie besorgen ihre Toilette und füttern sie. In Massen sammeln sie sich besonders an den beiden Enden des Riesenkörpers, lecken an Kopf, Brust und Beinen herum und flößen dem Munde der hilflosen in Masse Nahrung ein. Andere besteigen wie Gullivers Liliputaner den Leib selbst, daß man ihn manchmal kaum noch im Gedränge sieht, und noch andere umringen nicht minder geschäftig das hintere Ende. Man glaubt sie vor Erregung zittern zu sehen, als erwarteten sie umgekehrt hier etwas von der Riesendame selbst. Quillt vom After ab und zu dann wirklich ein bläulich schimmernder Tropfen aus, so wird auch er sofort abgesaugt, indem wohl der nächste Arbeiter geradezu seinen Kopf in die klebrige Flüssigkeit taucht. Nebenher wird auch der König gefüttert, doch scheint er nicht ganz so viel Achtung zu genießen. Am staunenswertesten aber wirkt immer wieder das Mißverhältnis dieser Kleinen in ihren weißen Arbeitskittelchen zu der Riesin der Mitte selbst – bei jener afrikanischen Art übertrifft die dicke Königin bis zum Dreißigtausendfachen den Leibesraum der Pflegetermiten.

Noch ist aber der Hofstaat nicht ganz beschrieben. Schon zwischen dem wimmelnden Arbeiterkarussell pflegen sich einzelne Gestalten von abweichender Art und Aufgabe zu zeigen. Sie sind Vertreter jener » Soldaten«, die wir schon ahnten, und als solche noch dickköpfiger und kräftiger bewehrt als die kleinen Arbeiter selbst – als hätten sie Uniform an. In etwas Entfernung aber noch einmal von dem ganzen engeren Getriebe bilden einige wenige solcher Soldaten dann einen zweiten äußeren Ring. Oft von besonderer Größe noch wieder innerhalb ihres Standes stehen sie hier, Kopf und böse Beißkiefern nach außen gereckt, in regelrechter Postenkette mit genau ausgesparten Zwischenräumen als »Leibwache« des Königspaares gereiht – auf dem Sprung, jeden Störer wild zurückzuschmettern – ein letztes Prachtbild noch straffer Organisation in der Zelle, das, wo es voll entwickelt ist, ebenfalls seinen Eindruck nicht verfehlt.

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Die Termiten haben die Eigenschaft, daß sie vielfach verschiedene Kasten in ihren sozialen Genossenschaften bilden, deren Angehörige ihre besondere Körperform und Größe besitzen, die von der der andern verschieden sind. So sieht man bei 1 die riesige Königin, bei einer afrikanischen Art in nahezu natürlicher Größe (10 cm), bei 2 (von anderer Art) den sehr viel kleineren sogen. König, bei 3 einen zu der Königin gehörigen sogen. Soldaten und bei 4 einen entsprechenden sogen. Arbeiter. (Für den Kosmos umgezeichnet nach Hegh und Escherich)

Verweilen wir aber, ehe wir noch weiter den Geheimnissen solcher Königszelle folgen, einen Augenblick enger bei diesem Kastengegensatz »Arbeiter« und »Soldaten« selbst.

In den Arbeitern und Soldaten, die wir hier enger um das Wohl des Königspaars bemüht sehen, tritt uns ganz allgemein im Dauer- und Alltagssinne das eigentliche » Volk« des Termitenstaates entgegen. Das Volk, das auch außerhalb dieser besonderen Zelle sich zunächst aufdrängt, wenn man sich das Termitenbild, wie ich es bisher gezeichnet, innerhalb und außerhalb seines Baues vergegenwärtigt.

Die Arbeiter, so winzig sie sein mögen (von Floh- nur bis Schmeißfliegengröße) sind doch die ausschließlichen Erbauer jener gewaltigen Hügel, wie die ausschließlichen Holzfeinde in unserer Kultur. Sie sind jene »weiße Ameisen«, die jeder Tropenbesucher kennen lernt – ausschließlich nur sie. Sie sind der eigentliche Stamm im Bau, das ewig rollende Rad seiner Maschine gleichsam, das immer wieder überdauert, unendlich an der Zahl, unermüdlich wirklich in der »Arbeit«. Untersucht man sie aber genauer, so staunt man, mit wie einfachen Mitteln gerade dieses »Rad« hier getrieben wird.

Wenn ich sagte, sie umgeben ihre königliche Wurst wie winzige gierige Fleischmaden, so trifft das in einem Sinne wirklich zu. Sie sind im Grunde selber nichts als stehengebliebene Larven, die sich auf gewisser Stufe vorausnehmend zu bestimmt angepaßten Staatsbürgern emanzipiert haben, ohne sonst reif zu werden. Ihr scheinbares weißes Arbeitsröckel, das die Normaltracht bildet und auch jenen Namen erzeugte, ist nichts anderes als die noch weiche Haut der Larve selbst, deren Chitinpanzer niemals fest und farbig wurde. Ihr Kopf ähnelt frappant dem von im Holz lebenden andern Insektenlarven – mit derben Kiefern zum Holznagen, denen ein starker Darmschlauch zum Bewältigen oder Bewahren ungefüger Stoffe entspricht. An der durchweg larvenhaften Nacktheit liegt wohl auch jene Scheu vor trockenheißer Luft, die man früher oft mit Lichtscheu selbst verwechselt hat. Gegen das Licht sind sie insofern gleichgültig, als sie im Gegensatz zu jenem Königspaar wenigstens bei diesen Arten überhaupt keine Augen besitzen. Man könnte vielleicht darin eine spätere Anpassung sehen, nachdem jene Luftangst verbunden mit Scheu vor Feinden (deren schlimmste die Ameisen selbst sind) zum Wohnen in dunkeln Nestern und jenen auch oberirdisch verdeckten Galerien bei Tagesausflügen geführt hätte; wenigstens sind heute gerade die höheren Arten sämtlich so blind, während ganz urtümliche gelegentlich auch noch sehende Arbeiter haben. Zum Orientieren benutzen die Blinden ihre Fühler.

Und noch etwas, was an unfertige Kinder erinnern möchte, bewähren sie – sind sie, wie solche gänzlich flügellos, so auch sämtlich in den großen Staaten angeborene Eunuchen, besitzen keinerlei gebrauchsfähiges Geschlecht, obwohl sie sich noch nach der Anlage teils als Männchen, teils als Weibchen ahnen lassen.

In diesem Zwitterstande nie gereifter und doch ausgewachsener Kinder tun sie aber nun wirklich fast alle nutzbringende Friedensarbeit des Stammes, sie errichten, vergrößern, unterhalten, flicken die Nester bis zu jenen Matterhorn-Hügeln, stellen jene bedeckten Außengalerien her, holen Vorräte und Nahrung ins Innere ein, halten den Bau sauber, betreuen die in solchem Riesenstaat ebenfalls zahllos vorhandenen wirklichen jungen Larven, wie wir sie ja auch bei solchem Dienst am Königspaar gesehen haben. Bei gewissen Arten sind sie noch unter sich wieder regelmäßig in besondere Größenkasten gegliedert, wobei die Größeren, scheint es, mehr draußen tätig sind, die Kleineren in der Stammburg selbst. Wo einmal bei einer altertümlichen Gattung die ganze Arbeiterkaste überhaupt fehlt, treten die echten größeren Larven selbst sehr charakteristisch zeitweise im Volksdienst an ihre Stelle.

Nun dagegen die Soldaten.

Im Grunde sind auch sie nur eine bis zum äußersten durchgeführte Unterkaste der echten Arbeiter. Bei harmloserem Angriff verteidigen sich auch diese Arbeiter allgemein selbst, ja bei einzelnen Arten gibt es gar keine besonderen Soldaten, bei andern nur Soldaten, die dann zugleich Arbeiter sind. Bei noch so martialischem Aussehen ist aber auch der Soldat nur eine abnorm ausgewachsene Larve, ungeflügelt, blind, wo der Arbeiter blind ist, dauernd geschlechtsunfähig, wie dieser, aus verkrüppelten Männchen und Weibchen. Auch wo er in der Größe weit über den Arbeiter geht, wahrt er stets diese Grundübereinstimmung. (Diese Dinge entsprechen in den wesentlichsten Zügen auch den sogen. Soldaten der Ameisen, die fast überall gegen die hier als Regel rein weiblich angelegten Arbeiter verschwimmen, oft bloß Metzger zum Beutezerschneiden, Ammen, die auf ihren Kiefern die Larven wie mit Kinderwagen fahren oder als Portiers lebende Stöpsel im Nesteingang sind.)

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Soldat ( Nasutus) einer Termite von Ceylon. Vergr. 15.
(Nach Bugnion aus Escherich, Termitenleben auf Ceylon. Verlag G. Fischer, Jena)

Im übrigen zeigt sich bei dem Termitensoldaten hier doch ausgesprochener sein engerer Wehrberuf, der ihn in der Arbeitsteilung des Staates geschaffen, vor allem in der einseitigen Umbildung des Kopfes, der viel stärker im Sinne des braunen Chitinpanzers gehärtet und oft einseitig für sich noch vergrößert erscheint. (Chitin ist die mehr oder minder feste stickstoffhaltige Substanz in der Haut der Insekten.) Im Verfolg dieser Veränderung zum Zweck ist der Soldatenkopf vielfach geradezu zu einer regelrechten Angriffs- oder Verteidigungsmaschine geworden, die an die Sturmwidder und Katapulte der Antike oder auch die Pechnasen der mittelalterlichen Burgen erinnern kann. Im einfachsten Falle sind die Mandibeln (Kiefern) scharfe Messer geworden, die selbst Menschenhände mit furchtbaren Schnitten blutig hauen. Im engern erscheinen sie bald lang, bald dick, gebogen oder bezahnt. Bei der Termite Capritermes von Ceylon, wo der bewehrte Kopf beträchtlich länger als der ganze übrige Körper ist, haben sie etwas von einem völlig unsymmetrischen Hirschgeweih, wobei nach Escherichs Wort Monstra entstehen, wie sie im ganzen Insektenreich kaum zum zweitenmal so vorhanden sind. Sie wirken dann als eine Art Universalinstrument: als aufgestoßene Stangen zum eigenen Sprung, als Hebel, der den Gegner schleudert und kleine Steine wirft, aber auch als blitzhaft zufahrendes Stilett, das ihm den Bauch aufschlitzt.

Neben diesen Zangensoldaten gibt es dann die Nasenritter (fast stets in anderer Gattung), die an der Stirn ein langes, nasenartiges Horn führen, das durchbohrt ist und aus einer besondern Art Flasche im Kopf angreifend einen Stinktopf klebrigen Sekrets entleert, das den Feind einkleistert. Beim ganz echten » Nasutus«, wie man diese Nasenhelden nennt, wird nur noch so verklebt, während in drittem Fall auch die Mandibeln noch beißen und in die Wunde sich ein roter oder blauer ätzender Speichel aus bis in den Bauch reichenden Drüsen ergießt.

Im Besitz solcher Machtmittel tut nun auch diese Kriegerkaste im ganzen ihr gemeinnütziges Werk. Sie dient den Arbeitern als innere Polizei, wie wir schon in der Königszelle beobachtet haben, wehrt stärkere Angriffe vom Bau ab, begleitet die großen Räuberzüge draußen, rekognosziert und stellt Wachtposten auf, wo auch im Freien gearbeitet werden muß, warnt unablässig, eifert und kämpft, wie wir ja auch sie im innersten Heiligtum noch zu solchem Heldenkampf bereit um das Königspaar stehen sahen.

Bei der baumbewohnenden sogen, schwarzen oder Kot-Termite ( Eutermes monoceros) von Ceylon, die aus Gesundheitsgründen etwas entfernt von ihren Nestern besondere Abtritte anlegt, übernehmen jene » Nasuti« sogar die Rolle als »Abtrittswächter«, die dem ständig an- und abströmenden Völklein der braven Arbeitsgenossen Schutz bei ihrer gesegneten Tätigkeit gewähren.

Wo auch der Soldat mehrfache Größenformen entwickelt, pflegt die kleinere mehr Polizeidienst zu tun, während die größere an jede wirklich bedrohte Stelle eilt, sei sie am Tor oder im Innern. Und (wenn man überhaupt bei Tieren von Heldentum sprechen soll): immer gleichmäßig ist die Tapferkeit, mit der so gestritten wird für das Volkswohl. In vollkommenster Todesverachtung stürzt sich der kleine Ritter auf den Feind – den riesenhaft größern wie den ihm ebenbürtigen. Selbst die Soldaten schwacher Arten bohren sich zu Hunderten in die wühlende Riesenhand des Menschen, wo sie elend ihren Heldentod sterben müssen, da keiner sich mehr selbst herausziehen kann und beim gewaltsamen Entfernen stets der Leib vom Kopf reißt. Wie weiland König Teja in der berühmten Gotenschlacht am Vesuv, der mit seinem Schilde in enger Schlucht das ganze Volk tagelang allein verteidigte, so steht auch solcher Termitenheld, oft genau darauf spezialisiert, in der Tür oder Bresche und schützt sie mit seiner Person.

Escherich hat in einer Fülle von Bildern ihn gerade als solchen Einzelkämpfer prachtvoll gezeichnet.

Da stoßen ein Paar jener abenteuerlichen Capritermes-Krieger aus verschiedenen Bauten aufeinander, sogleich steuern sie sich zu, betasten sich, und hopsa fliegt der eine, von der Gabel des andern untergriffen, weit in die Luft. Vielleicht ist doch hier bei gleicher Art der eigentliche Kampf auf Tod und Leben noch nicht so durchgeführt. (Bei Ameisen sind reine Sportkämpfe bei Mitgliedern ein und desselben Baues einwandfrei beobachtet – mit Umfassen, Niederringen, Kraftproben aller Art, aber stets ohne Anwendung der echten Waffen, also unblutig.)

Zwischen verschiedenen Arten pflegt es aber auch blutig herzugehen. Da fällt ein kleineres Soldatenvolk über einen größeren einzelnen Fremdkrieger her. Sie verbeißen sich in ihn wie Hunde, bis er Luft bekommt und nun den erstbesten köpft. Oder zwei kleine halten den Fremden so lange fest, bis ein größerer eigener Genosse zu Hilfe kommt und selber köpft. Mit Gier lecken sie dann das Blut. Ein vollendeter Riese kämpft lange gegen solches ganze Zwergenheer, bis sie ihm die Beine gekappt haben und auch er ehrenvoll fallen muß. Manchmal sieht auch hier die Sache zunächst nur wie eine bloße Mensur aus, bei der die anderen Zuschauer spielen. Aber ein Nasutus verbeißt sich mit einem Mandibel-Helden, beide fallen darüber in ein Loch, und als sie wieder auftauchen, ist dem Zwerg Nase sein Klebkolben rund abgebissen. Ein andermal ist der Gegner, etwa eine verhaßte Ameise, so verklebt, daß er sich nicht mehr regen kann.

Nicht zu vergessen übrigens: auch als Alarmbläser dient der Soldat seinem Bau. Durch Kopfaufschlagen, Panzerreiben oder Mandibelwetzen wird von außen laut angesagt, daß Gefahr nahe, worauf durch die dickste Wand im Innern ein minutenlanges unheimliches Klappern oder Zischen der Aufgeregten antwortet, das man weithin vernimmt. Man wird sich denken müssen, daß die blinden Tiere, die einen sonnenbeleuchteten Planeten in einen für sie stockfinstern verwandelt haben durch eigene Wahl und Macht, auch sonst noch mancherlei Verständigung untereinander im Sinne von Signalsprachen besitzen. (Nach unserer Kenntnis wenigstens kommen nur solche Signalsprachen bei Tieren vor, während eine wirklich begriffliche Sprache dem Menschen allein angehört.)

Doch wir kehren nach der Schau über die Weite des Volks zum Mysterium der Königszelle zurück, wo Arbeiter und Soldaten die Würde des engeren Amtes am »Heiligtum« des gesamten Staates üben.

Von einem wirklichen religiösen Heiligtum kann natürlich keine Rede sein. Aber die Frage muß aufgeworfen werden, wie das eigentliche nationale Verhältnis ist. Führen König und Königin wirklich eine Art Regierung? Es ist immer etwas mißlich, menschliche politische Dinge mit tierischen zu vergleichen, aber im großen und ganzen macht das Bild jenes geordneten termitischen Arbeiter- und Soldatenstaates vielmehr doch den Eindruck einer streng demokratischen Organisation, wo bloß ein ungeschriebenes strenges Gemeingesetz alle Handlungen regelt, von echter monarchischer Führung ist dagegen nirgendwo etwas zu erblicken. Der König zieht nicht als Leiter wie ein wirklicher König Teja voran. Und die Königin kann in den meisten Fällen mit ihrem Umfang überhaupt die Zentralzelle nicht mehr verlassen – sie ist regelrecht eingemauert. Wohl gibt es in der Menge höherer und niederer termitischen Arten auch einzelne Beispiele, wo sie kleiner, wo sie noch beweglicher ist, auch größere Pforten zum Durchgang hat. Aber auch dort sieht man nirgendwo etwas von einem eigentlich regierenden Eingreifen in den Staat. Trotzdem besteht der Dienst am Königspaar, besteht dessen offensichtliche Kostbarkeit. Es muß also noch in einem andern Sinne doch unersetzlicher »erster Diener feines Staates« sein.

Und hier erinnern wir uns nun einer andern »Königin« im Insektenstamme: der vielbesagten Bienenkönigin. Auch sie wird mit höchsten Ehren betreut, das Volk opfert sich unter Umständen für sie bis auf den letzten Kopf, aber ebenfalls nicht, weil sie eigentlich staatsmännisch waltet, sondern weil sie die wahre » Landesmutter« ist, die normalerweise immer wieder alle Eier legt, aus denen der Staat sich rekrutieren kann. In einer kurzen Hochzeitsstunde hat sie dazu männlichen Zeugungsstoff, soweit er nötig, genug mitbekommen (mehrere hundert Millionen Samenzellen), sie selbst aber legt mehrere Jahre lang Hunderttausende von Eiern. Bei dem Arbeiter- und Soldatenstaate der Termiten, mag er in sich noch so »demokratisch« sein, werden wir irgend etwas derart doch auch wohl voraussetzen müssen.

Der Arbeiter, wie der Soldat, diese großen Staatskinder, sind ja regulär unfruchtbar – andererseits wimmelt der Bau, wie wir gesehen haben, jederzeit von Larven, also echten Kindern – es muß also auch hier wohl irgendeine » Staatsfabrik« bestehen, die auch diesen nötigen Bestand immerfort beliefert. Und es liegt auf der Hand, daß auch jetzt das einträchtig beieinander befindliche Königspaar diesen Betrieb besorgt, dessen Wichtigkeit vom Ganzen ebenso anerkannt wird, wie drüben bei den Bienen.

Wie König und Königin noch echte Augen besitzen, so mögen sie sich eben auch vollentwickeltes Geschlecht bewahrt haben. Sie beide nur gegen das Ganze eines millionenköpfigen Staates – aber was bringt die Natur in diesem Sinne nicht auch sonst fertig?

Mit diesem Leitgedanken nehmen wir die Beobachtung selbst wieder auf, und sehr bald sind wir im Bilde. Die Ansammlung der kleinen emsigen Arbeiter am hinteren Ende der Königin dient nicht bloß dem Putz- und Reinigungszweck, sondern die dicke Königin, deren ungeheurer Leibesumfang ja leicht schon auf den Gedanken einer immerwährenden Schwangerschaft führen könnte, legt in der Tat fortgesetzt hier auch Eier ab, die ebenfalls von den Vasallen betreut werden. Die Einzelhandlung hat wieder Escherich unnachahmlich in seinem Werk »Die Termiten oder weißen Ameisen« (1909) von der afrikanischen Art Termes bellicosus beschrieben. Sobald ein Ei erscheint, stürzt sich ein Arbeiter darauf, packt es vorsichtig mit den Kiefern, die hier überall die Hand ersetzen müssen, und zieht sich mit ihm aus dem umgebenden Gedränge. Kurze Zeit bleibt er damit stehen, reckt den Kopf und schiebt das Ei, indem er es unablässig mit den Tastern berührt, zwischen den Mundteilen hin und her, womit er wohl eine engere Reinigung vollzieht. Wieder nach ein paar Sekunden läuft er mit seinem anvertrauten Schatz weiter und schafft ihn durch eines der engen Pförtchen, die aus der Königszelle führen, in eine der umliegenden Kinderstuben, wo die kleinen Lärvchen frei beweglich auskommen, um allmählich durch Häutungen zu echten neuen Staatsbürgern zu werden.

Das Überraschendste aber wieder an dieser Stelle sollte das Tempo sein, in dem die Königin selber diese Eiablage vollzieht. Escherich stellte zuerst bei dieser gleichen Termitenart fest, daß etwa alle zwei Sekunden ein Ei kommt, um in der besagten Weise in Empfang genommen zu werden. Das gibt täglich gegen 30 ,000 Eier. Bei gleichem Fortgang im Jahr mindestens 10 Millionen. Setzt man die Lebensdauer der Königin selber auch nur auf zehn Jahre, so ergibt sich eine Gesamterzeugung von rund 100 Millionen Eiern.

Man könnte einwerfen, daß gewisse Ruhepausen den Betrieb verlangsamten, doch besteht dafür kein Beobachtungsanhalt. Escherich hat die Sache so regelmäßig verlaufen sehen, daß er sie (nicht gerade poetisch) einer Ziegelmaschine vergleicht, wo man oben den Ton hineinwirft und unten die fertigen Steine herauskommen sieht, die dann von den Arbeitern in die Trockenräume getragen werden. Aber selbst Unterbrechungen gegenüber würde sich geltend machen, daß die wirkliche Lebensdauer der Königin vielfach bis 15 Jahre betragen kann.

Natürlich ist die Legekraft nur in den größten Staaten so gewaltig. Bei andern Arten (z. B. Termes natalensis) würden zehn Jahre nur etwa 14 600 ,000 Eier ergeben. Umgekehrt hat aber der treffliche Bugnion von einer Termite auf Ceylon die Tagesration bereits auf vollauf 48 ,000 Eier bestimmt. Man bleibt also auf jeden Fall in märchenhaften Ziffern, die sich immerhin der legendären Zahl des Bandwurms ( Taenia solium mit 42 Millionen Eiern im Jahr) etwas nähern – wobei aber diese Bandwurmeier auf unbegrenzte Verlustziffer ausgestreut werden, während hier zunächst wenigstens jedes Ei in sorgsamste Einzelzucht kommt.

Da der hergebrachten Annahme nach alle Termiteneier (im Gegensatz zu denen der Bienenkönigin) auch befruchtet werden müssen (dort bleiben bekanntlich die Drohneneier unbefruchtet), so versteht man auch, daß nicht ein einziger Hochzeitsakt hier genügen könnte, sondern der »König« als einziger leistungsfähiger Mann ebenfalls dauernd zur Stelle bleiben muß. Man nimmt an, daß er die schwerfällige Dame im Laufe der Jahre ab und zu immer wieder neu befruchtet. Escherich glaubte ihn einmal ganz nahe dabei, als er ihn sich langsam am Leibe der Königin entlang drücken sah, bis er mit den Fühlern die austretenden Eier betasten konnte; es kam aber nicht dazu, sondern er ging ebenso langsam nach einer Weile an seinen Platz zurück, vielleicht weil einige Soldaten ihn aus irgendeinem Grunde mit Zitterstößen, die er mit völliger Ruhe hinnahm, an seinem Vorhaben diesmal wenigstens noch hinderten.

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Jede zweite Sekunde legt die Termitenkönigin bei gewissen Arten ein Ei, in einem Tage also schätzungsweise so viele Eier etwa, wie die Stadt Konstanz Einwohner hat (30 000). In einem Jahr würde diese riesige Gebärmaschine im gleichen Tempo so viele Eier legen, wie Bayern und Württemberg zusammen Einwohner haben. In 10 Jahren Lebenszeit wäre der Eiersegen auf 100 Millionen angewachsen. Deutschland und Frankreich haben zusammen nur etwa so viel Einwohner

Der Königin selbst ist es offenbar äußerst lästig, wenn ihr die sich rasch häufenden Eier nicht sogleich unterm Leibe weggenommen werden; sie quält sich dann mit krampfhaften Leibeszuckungen etwas von ihnen fort, so schwer ihr das auch fällt, wobei noch bemerkt sei, daß zwar zumeist und wohl normal nur ein Königspaar in jedem geschlossenen Hügel vorhanden ist, in der Vielheit der Einzelfälle aber auch zwei Pärchen in gleicher Zelle gepflegt werden können, ja, es kommen bis zu acht Königinnen vor, von denen wohl meist jede ihren König hat, alle in der gleichen Kammer. Einmal hat ein Beobachter doch berichtet, die gravitätischen Männchen föchten in solchem Falle erbitterte Kämpfe unter sich aus. Escherich fand gelegentlich zwei Riesendamen völlig behaglich nahe beieinander ausgestreckt, anscheinend gleichaltrig und von ihren Arbeitern und Soldaten gleich aufmerksam bedient; dies ist, wenn die Mehrzahl auch nicht der Regel entspricht, doch um so selbstverständlicher, da immer einmal eine Königin vorzeitig altern oder krank werden könnte. (Über gewisse auch normale Mittel solchen Ersatzes rede ich gleich noch.)

Inzwischen schließt an die Pflege selbst noch ein kleines Abenteuer für sich. Bei der großen gesetzmäßigen Ordnung des Arbeiter- und Kriegerstandes sonst läge es nahe genug, daß auch dieser Dienst am Königspaar im gleichen einfachen Pflichtzwang erfolgte. Gleichwohl hat es den Anschein, als wenn die Natur hier noch eine besondere Prämie zahlte. Jenes Belecken, Ablutschen und Abtrinken an der guten Königin nimmt vielfach für den Anblick so stürmische Formen an, daß man fragt, ob es sich bloß um wirkliche Reinigung handeln könne. Die Vasallen, indem sie auf der seltsamen Kartoffel herumklettern, bleiben an gewissen Stellen der Poren und Höckerchen immer wieder verdächtig lange haften und vollführen heftige eigene Zitterstöße auch gegen die reine Leibeswand. Ja, ein großer Arbeiter, den Escherich beobachtete, drückte mit sichtlicher Kraft seinen Mund in den weichen Hinterleib, um ihn dann wieder zu entfernen, wobei er aber ein ganzes Stück Haut der Königin einfach mitzog. Der biedere Bürger riß, wie der Beobachter sagt, also dem Staatsoberhaupt bei lebendigem Leibe hier Striemen aus der Haut, und nicht selten zeigen die Königinnen denn auch ersichtliche braune Narben solchen Gewaltverfahrens.

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Im versteckten Innern der Termitenhügel findet sich die Königszelle. Dort haust das sogen. Königspaar, umgeben von einem reichen Hofstaat treu sorgender anderer Termiten des Volks. Die Königin lagert lang hingestreckt wie eine dicke Kartoffel in der Mitte, ihr zur Seite steht der König. Sie sondert einen Saft ab, der von dem Hofstaat mit Wonne gekneipt wird, man hat sie deshalb auch als Staatskneipe bezeichnet. Zahlreiche winzige Arbeitstermiten wimmeln um ihren Leib. Nach außen aber bilden in Abständen staatlich aufgereihte Termitensoldaten als Leibwache einen Ring. Man vergleiche auch das farbige Umschlagbild. (Schematisch umgezeichnet nach Escherich)

Was aber dabei fließt, als Schweiß oder Wundwasser oder wie man es nennen will, das scheinen die Pfleger nicht bloß kurzerhand zu beseitigen, sondern sie scheinen es mit einer wahren Wollust geradezu zu trinken. Man hat sich also gedacht, die Königin scheide da zu all ihrer sonstigen Staatsarbeit auch noch etwas aus, das gut mundete und anregte, im Sinne, nun sagen wir ruhig einmal: eines narkotischen Getränks. Und die Pfleger würden damit unmittelbar noch regaliert, noch belohnt. Nun kennt man bei Ameisen, wie auch bei Termiten selbst andere Erscheinungen, die auch an solche »Kneiperei« erinnern können. Sie halten sich vielfach kleine Käferchen als Gäste im Bau, die sie pflegen und denen sie dafür auch gewisse anscheinend etwas narkotische Säfte ablutschen. Bei der Termitenkönigin würde das also nur in größerem Stil erfolgen. Sie stellte gleichsam eine ständige große » Staatskneipe« für ihre Pfleger und Vasallen dar.

Man möchte fragen, was das für einen besonderen Sinn hier hätte – diese Zutat. Bei jenen Käferchen handelt es sich anscheinend um einen reinen Luxus, den sich die ehrsamen Staatsbürger gelegentlich außerhalb ihrer eigentlichen Pflichten erlauben, hier dagegen wäre die seltsame Sache an eine sehr nötige Nutzpflicht selbst aufs engste angeschlossen. Ob sie also wohl dazu dienen könnte, diese Nutzpflicht noch wirksamer herauszubringen, indem sie, wie man wohl sagt, das Nützliche mit dem Angenehmen verbände? (Im Liebesleben finden wir ja solche Genußprämie deutlich genug – bis zu uns selbst herauf – von der Natur durchgeführt!) Oder sollte es sich um einen reinen Zufall handeln, indem der Kneipstoff sich aus irgendeinem Grunde grade auch bei der aufgeschwemmten Unform der Königin entwickelte und nun einfach nebenher spielte, ohne doch allzuviel als Luxus anrichten zu können, weil er doch stets dem Nutzen fürs Ganze parallel bliebe? Die Meinungen der Forscher sind vorläufig geteilt, aber an der Tatsache, die wieder einer gewissen Komik nicht entbehrt, scheint kein Zweifel. Das Insektenleben hat an solchen Stellen noch Abgründe und Zwischenspiele, die vorläufig weit unter unserer Deutung liegen. Wir werden noch auf andere ähnliche in unserm Staat stoßen.

Wenn die Termiten aber selber an ihren ehrenwerten Königinnen kneipen sollten, so ist wieder nach anderer Seite einschlägig interessant, daß von wilden und halbwilden Menschen ihrer Tropenheimat diese dicken Damen des termitischen Allerheiligsten von je mit Liebe verspeist worden sind und sich auch dabei des Rufs als seltener Leckerbissen erfreuen. Ärgern die Termiten den Menschen, besonders der höhern Kultur, reichlich, so ist dieser Naturmensch im Gegenschachzug längst dazu übergegangen, daß er Termiten ißt. Wo immer sie aus ihrem Stock kommen, fängt er sie massenhaft ab, treibt sie auch durch Rauch wohl gewaltsam aus ihrem Bau, holt die sich verbeißenden Soldaten an eingeführten Grashalmen wie mit Angeln vor oder schwemmt die kleineren Nester ganz in Wasser aus. Dann werden sie roh oder geröstet gegessen, auch ins Brot verbacken. Auf Java kommen sie direkt auf den Markt. Und auch der Europäer ist, wie schon der famose alte Smeathman vertrat, oft nicht abgeneigt. Es geht eben wie mit den bösen Wanderheuschrecken. Selbst die Erde der Termitenhügel wird in Afrika und Australien nicht selten verspeist. Die Königin aber, und das ist das allermerkwürdigste, soll als äußerste Geschlechtssteigerung, die sie doch ist, nach Versicherung aller Eingeborenen auch auf das menschliche Geschlecht verstärkend und wiederbelebend wirken, weswegen sie noch bei den Hindus gelegentlich für ihre hohen Würdenträger vorbehalten wird.

Schließlich kommen aber alle diese kleinen Fragen doch nicht auf gegen die eine größte, die uns die Königszelle noch stellt.

Diese Zelle zeigt uns ja eindeutig, wie der Eunuchenstaat unentwickelter Kinder, der die millionenköpfige Demokratie solches großen Baues zusammensetzt, tatsächlich immer aufs neue garantiert wird durch die ins Phantastische gesteigerte Zeugungstätigkeit eines einzigen Paars. Die Frage aber lautet: woher stammt dieses Paar selbst und wie entsteht es unter Umständen selber neu und mit ihm ein ganzer neuer Staat?

Auch König und Königin haben ihre natürliche Lebensgrenze, ebenso die Staaten als solche. Nach gewisser Hochblüte erlischt auch hier nach einem Grundgesetz aller organischen Natur allmählich wieder die Kraft, und die Kolonie kommt zum Stillstand. Im Tropenlande findet man neben Hügeln, die ein Jahrzehnt und länger vollkräftig geblüht haben, andere, die verödet, verfallen sind – gleichzeitig wachsen zur Plage der Menschen aber immer neue Kolonien in der Nachbarschaft auf. Wie wird das möglich?

Nun, jener Kinderstaat mit dem einzigen Elternpaar ist zwar die Regel, aber wie die meisten Regeln, hat auch diese eine ungeheure Ausnahme.

Für die Regel geht alles Jahre hindurch seinen gleichmäßigen Trott in der Tat. Unerschöpfliche Massen von Larven pflegen in besonderen Kinderkammern aufzuwachsen, wo sie Futter finden, mehr oder minder früh beginnen sich in ihnen die Kasten als Soldat und Arbeiter zu differenzieren, die Geschlechtsentwicklung bleibt gebrauchsunfähig stehen und bei den blinden Arten wachsen auch keine Augen. Ohne daß eine echte Puppe gebildet wird, schiebt sich doch gelegentlich nach einer Häutung ein kurzer schlafähnlicher Zustand ein. Endlich aber ist alles fertig, und auch dieser Hauptteil der Staatsmaschine kann wieder ergänzt weiterlaufen. Mag ein Tag tausend Staatsbürger töten: bald sind sie wieder ersetzt und alles ist wie hergebracht.

Aber zu gewisser Zeit schaltet sich in diesen Trott doch immer einmal wieder überraschend auch jene »Ausnahme« ein.

Aus soundso viel Eiern entwickeln sich nämlich plötzlich andersartige, sehr kleinköpfige Larven, die weder auf Arbeiter, noch Krieger und überhaupt nicht den dort verewigten Kinderstand gehen, sondern das Zeug zu neuen, vollwertigen Erwachsenen verraten im Sinne des alten Königspaares selbst. Ihre Geschlechtsorgane wachsen weiter, etwa bei der Hälfte auf weiblich, der andern entsprechend auf männlich zu. Ihre Haut wird im ganzen härter und gebräunter, schöne gewölbte Facettenaugen fürs Licht stellen sich inmitten des Tartarus auch bei ihnen ein, ja, sie erhalten, was selbst König und Königin in dieser Form nicht mehr besitzen, vier vollentwickelte, vorn und hinten gleichgroße Flügel mit sehr einfachen Adern und in der Ruhestellung nach rückwärts übereinanderlegbar. Im Grundriß wirken sie völlig wie werdende neue Könige und Königinnen – wenn sie auch noch nicht gleich vollreif zur wirklichen Ausübung des Geschlechts selbst und entsprechend ohne den Schmerbauch der mütterlichen Königin sind. Werdender Jüngling gleicht vielmehr noch fast zum Verwechseln zunächst der werdenden Jungfrau, und nur bei genauer Sicht macht sich ein Kleiner Gegensatz in den Bauchplatten geltend. Die Flügel aber verraten, daß beide zunächst als solche noch eine besondere Mission haben, die aus dem Staat, in dem sie entstanden sind, herausführt.

In den größeren Bauten, wo alles in die ziffernmäßige Uferlosigkeit geht, auch selber zu ihrer Zeit in zahllosen Massen geheckt, wimmeln sie durch die ganzen Hügel, und binnen kurzem leitet sich mit ihnen ein großartiges Schauspiel ein, das abermals jetzt zu den allerauffälligsten des gesamten Termitenlebens gehört – nämlich das sog. Schwärmen dieser jungen Flügeltermiten.

Aus den Hügeln oder andern größeren Nestern, auch, wenn diese unterirdisch sind, aus dem Boden selbst, erhebt es sich wie glitzernde Dampfwolken, in denen unter Umständen Hunderttausende bewegter Flügelplättchen wie Silberflitterchen funkeln.

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Zu gewissen Zeiten steigen aus den oberirdischen und unterirdischen Bauten der Termiten oft ungeheure Schwärme geflügelter Geschlechtstiere (Männchen und Weibchen) auf, aus denen sich später neue Königspaare zusammenfinden, die dann zur Begründung einer neuen Kolonie schreiten. Der Flug selbst ist aber noch kein eigentlicher Hochzeitsflug, denn die Vereinigung der Geschlechter findet erst statt, wenn die Teilnehmer wieder zur Erde heruntergekommen sind und mit dem Bau einer neuen Wohnung begonnen haben. (Nach einer Zeichnung von W. Goertzen)

Indem diese Wolken aber, ein wunderbarer Anblick, frei in die Weite wallen, von schwebenden und sehenden Tieren männlicher und weiblicher kommender Neukraft erfüllt, vollzieht sich in Wahrheit etwas, das das ungeheure Zeugungsgeheimnis, dem wir bisher nur in der tief verborgenen finstern Tartaruszelle beiwohnten, jetzt in eine zweite, höhere Zeugung verwandelt – nämlich Fortpflanzung des ganzen einen Staates zugunsten von soundso viel neu entstehenden andern. Ich versuche, den Verlauf auch dieses spannenden Hergangs Stufe um Stufe im einzelnen zu schildern, indem ich neben Escherich mehrfach auch hier die neueste ausgezeichnete Zusammenfassung unserer gesamten Termitenkenntnis bei dem Belgier Hegh ( Les Termites, Brüssel, 1922) benutze.

Der Zeit nach fällt dieses als Regel wahrscheinlich alljährliche Ausschwärmen zumeist in die tropische Regenperiode, deren Luft- und Erdfeuchte den Termiten ja stets die willkommenste ist. Werden nicht alle Flügeltiere im alten Bau auf einmal fertig, so können auch mehrere Nachschwärme aufeinander folgen. Je nach Art wird am Tage oder in der Nacht geschwärmt – wobei doch auch im zweiten Falle das Licht auf die diesmal ja Sehenden mit magischer Gewalt wirkt: sie fliegen gern nach den Laternen und hellen Fenstern der Menschenkultur, erfüllen zu Myriaden die Zimmer selbst, obgleich ihre Aufgabe zunächst nicht die ist, fremde Kultur zu vernichten, sondern diesmal eigene zu verbreiten.

Da die Hügel in ihrem hermetischen Mantel keine Türen nach außen haben, müssen, so weit nicht jene Kamine benutzt werden können, vielfach erst neue Ausschwärmluken eigens geschaffen werden – wozu die Arbeiter und Soldaten des Heimatbaues zunächst noch brav in Kraft treten. Es geschieht offenbar mit größter Vorsicht – als eigentlich im Widerspruch mit dem gewöhnlichen strengen Hausgesetz des Verborgenlebens. In einem Falle steckte zuerst ein blinder Arbeiter seinen Kopf durch das neu gebrochene Loch und prüfte, soweit er imstande war, ob das Feld draußen rein sei, während die reiselustigen Geflügelten noch im Hintergründe verharrten. Dann drängten viele Arbeiter und Soldaten aus und umstellten die Pforte. Einer ging nochmals zurück und gab wohl das innere Zeichen – worauf alsbald jetzt auch Flügeltiere vorkamen, sich laufend eine Gasse bahnten und zum Fluge erhoben. Bei Gefahr brachte doch ein Alarmsignal alles noch einmal zum Stillstand, die Wachmannschaft strömte zurück, und der Flug stoppte. Den Ausschwärmenden werden manchmal besondere Flugbrettchen vorgebaut. Jene Gefahr selbst aber ist bei so offenem Wagen natürlich wirklich sehr groß.

Die Termiten haben ja außer dem Menschen selbst auch in der Tierwelt ihrer Länder Feinde genug. Fast alle hergebracht in unsern Naturgeschichten »Ameisenfresser« genannten Säugetiere (Ameisenigel, Ameisenbeutler, Erdferkel, Ameisenbären, Schuppentiere, Tatus [Gürteltier]) sind zugleich und oft ausschließlich Termitenverzehrer. Aber auch Schakale, Katzen, Wildschweine und Antilopen gehen gelegentlich darüber, Spitzmäuse und echte Mäuse, ja Affen (Paviane) und selbst Menschenaffen. Pfauen, Wildhühner, Spechte, Reptilien und Lurche räubern mit Liebe, Spinnen, Skorpione, Tausendfüße und Raubkäfer, ganz besonders auch die ewigen engeren Todfeinde, die Ameisen, lauern auf. Jetzt aber pflegt der ganz offene Flug der Wehrlosen alle Dämonen zugleich zu entfesseln. Wie ein Heer von Drachen setzen sich, wo solcher Abflug beginnt, auch die Geckos, Chamäleons und sonstigen Eidechsen aller Art, die fetten Kröten und Laubfrösche im Kreise herum und schnappen, bis ihnen die Flügel der armen Opfer in ganzen Massen buchstäblich ums Maul hängen. Von oben stürzen sich selber geflügelte Angreifer in den Beuteschwarm: nachts Fledermäuse und Nachtschwalben, von denen eine afrikanische Art ihre jährlichen Wanderungen immer genau so einstellt, daß sie auf Termitenschwarmzeiten trifft – bei Tage vor allem auch die wilden bissigen Libellen, die ihren Opfern nur den Hinterleib abbeißen, daß das verstümmelte Tier jammervoll sich weiterquält und es den unversehrten Genossen noch eine Weile nachtun will. Zweifellos geht jedesmal ein ungeheurer Prozentsatz Schwarmgeister verloren, aber der allmächtige Trieb ist stärker, und die große Zahl muß im ganzen wieder ausgleichen.

Der Flug selbst wird den Tieren auf ihren sehr großen, glashellen Aeroplanplatten verhältnismäßig leicht, sie nehmen spielend 20 ,m Höhe und mehr, aber er scheint doch nicht sehr lange und auch zumeist wenigstens nicht allzu weit zu gehen.

Ob alle zwei Geschlechter in buntem Gemisch ausfahren oder zunächst Jünglinge und Jungfrauen streng getrennt in besonderen Schwärmen, ist bis heute nicht geklärt – vielleicht findet je nach der Art beides gelegentlich statt.

Wenn aber verschiedenes Geschlecht zusammen dahin fährt, dann läge jetzt nahe, daß zu dem Triebe des Schwärmens auch jener andere sich geltend machte, der in Natur- wie Menschenleben diese Geschlechter, nachdem die Bildung sie gesondert, dennoch unaufhaltsam auch wieder zusammenknüpft. Man sollte mit anderm Wort erwarten, daß der Flug selber ein Hochzeitsflug würde. So wird er es ja der einzeln ausschwärmenden jungen Bienenkönigin, die auf diesem einzigen einzelnen Freiflug ihres ganzen Lebens auch den einzigen Liebesakt dieses ganzen Lebens mit einer männlichen Drohne vollzieht. So wird er es vielfach wenigstens den schwärmenden Ameisen, die hoch in der Luft diese Luft zugleich mit dem rasenden Taumel ihrer Liebesvereinigung erfüllen.

Indessen ist das der Termite, seltsam genug, zu dieser Stunde tatsächlich noch gänzlich unmöglich gemacht – denn Jünglinge wie Mädchen sind, obwohl sie unverkümmerte Liebesorgane mitbringen, doch auf dieser ganzen Wanderfahrt noch nicht geschlechtsreif. Auch sie sind, offenbar aus einer tiefen Absicht der Natur in diesem Punkte, noch immer »Kinder«, wenn auch hoffnungsvollere Kinder, als die ewig verurteilten Arbeiter und Soldaten ihres Heimatbaus.

Dagegen scheint es, daß der kecke Flug doch auch bei ihnen etwas anderes mit sich bringt, das nachher für die Nachkommenschaft gleichwohl von hoher Wichtigkeit sein könnte. Es scheint nämlich, daß er regelmäßig oder doch häufig mehrere gleichzeitige Schwärmvölker benachbarter Termitenkolonien in der Luft durcheinandermischt. Beobachter haben versichert, daß man in termitengesegneter Landschaft oft zehn und mehr solcher lebendigen Dampfsäulen von verschiedenen nahen Bauten zugleich aufsteigen sehe. Man kennt aber das Gesetz der Natur, das im allgemeinen gegen Geschwisterehen zu sein pflegt, wenn bloß die Schwärmenden ein und desselben Staates unter sich blieben, so wären sie normal alle Geschwister – von dem gleichen elterlichen Königspaar erzeugt – was bei den späteren wirklichen Liebesvereinigungen, wann immer sie nun einträten, vielleicht doch verhängnisvoll sein möchte. Aus zwei verschiedenen Wolken getrennter Herkunft könnten sich dagegen auch ungleiche, nichtblutsverwandte Paare im Sinne dieses Naturwunsches ergeben – zumal wenn wirklich jedesmal eine reine Jünglingswolke des einen Baues sich mit einer reinen Mädchenwolke eines andern kreuzte. Man hat dagegen angeführt, Angehörige fremder Kolonien auch bei gleicher Art seien sich allemal feind und würden sich befehden, aber nicht aufs lange Ziel vorläufig zusammentun. Das mag für Soldaten getrennter Armeen gelten, doch schwerlich für kommende Liebestiere, wie es ja auch bei den Ameisenschwärmen in der Luft nicht gilt.

Doch ob so, ob so – jedenfalls geht auch der Termitenflug nach einer gewissen, verhältnismäßig kurzen Dauer wieder zu Ende. Jungflügelmännlein wie Jungflügelweiblein noch im Wartestand, ob nun so oder so ursprünglich für sich beheimatet, sinken, wenn sie nur sonst den Gefahren entronnen sind, freiwillig wieder zum Boden herab, wobei der Flug selber sie doch auf alle Fälle ein Stück weit wenigstens von ihrer fortan für sie verschollenen alten Heimatburg entfernt hat. Die wenigen bewegten Augenblicke, wo sie (mit Escherichs hübschem Wort) »die Unendlichkeit des Raumes« fühlen durften, sind für immer auch für sie vorbei: »Die Erde hat sie wieder«.

In wunderbar fester Ordnung aber folgt bei ihnen alsbald jetzt eine neue Kette von Handlungen, alle ersichtlich eingestellt auf ein und dasselbe große Ziel: nämlich nunmehr wirklich einen neuen Staat zu begründen.

Die erste Station ist, daß sich je ein Jüngling und eine Jungfrau aus dem Schwarm tatsächlich zu einem festen Paar zusammentun.

Da von einer Geschlechtspaarung, wie gesagt, noch keine Rede sein kann, mag es immerhin erlaubt sein, mit einem entlehnten Menschenwort von einem entstehenden vorläufigen Verlobungs- oder Brautpaar zu reden.

Die Station ist immerhin hervorragend wichtig, denn mit ihr ist auf jeden Fall die ideale Urgemeinschaft für den neuen Zukunftsstaat gegeben: Adam und Eva der Neuschöpfung. Aus einem wilden Fluge von freien Königskindern ein neues kommendes Königspaar.

Die Meinungen schwanken abermals, ob diese entscheidende persönliche Kürung bereits in der Luft selbst angebahnt worden sei. Bei einer Reihe schöner Beobachtungen ergab sich vielmehr im Einzelfall folgender hübsche Verlauf, wieder vom Fluge glücklich gelandet, setzten sich die Mädchen noch frei zunächst einzeln auf gewisse vorspringende Gegenstände möglichst offener Sicht, z. B. die Spitzen von Grashalmen, und nahmen hier allerhand kokette Lockstellungen und -bewegungen an. Sie reckten z. B. das Leibchen nach oben und wippten mit den Flügeln, wahrscheinlich strömten sie auch einen verführerischen Duft aus. Und alsbald näherten sich den solchergestalt präsentierten Bräutchen, von Gesicht und Geruch geleitet, noch aus der Luft selbst einzelne freie Werber aus der Jünglingsschar, die nun ebenfalls einzeln bei ihnen ihren Flug beendeten. Das Geheimnis der eigentlichen persönlichen Wahl als solcher – warum grade dieser Jüngling dieses Mägdelein wählte – blieb natürlich offen, und wir werden uns trösten müssen, daß hier ja auch bei uns Menschen meist ein gewisses »Dunkel« herrscht.

Die Brautleute machen sich jedenfalls allerlei miteinander zu schaffen, spielen, setzen sich Kopf zu Ende und umgekehrt, umwittern sich – menschlich würde man sagen, sie küssen sich – darüber kommt aber schon eine zweite Nummer des straffen Programms, die jetzt zunächst wieder gar nichts mit Liebe zu tun hat. Es werden nämlich die fortan erneut gänzlich überflüssigen Flügel abgeworfen. Bräutigam wie Bräutlein entledigen sich ihres »Flügelkleides« mehr oder minder mühsam durch eigene Nachhilfen, Bewegungen des Hinterleibes, Zerren der Beine oder Reibung an äußeren Widerständen – vorausgesetzt, daß der erste Ruck des Aufsetzens selbst vom Fluge nicht schon einen Bruch gebracht. Denn eigentlich hat die Natur auch hier bereits sehr brav vorgezeichnet: der endgültige Knacks erfolgt stets in einer bereits gegebenen schulternahen Naht. Das Paar selber aber erscheint nach dieser Befreiung nochmals einen Schritt dem alten Königspaar ähnlicher geworden, dem ersichtlich auch einmal eben in dieser gleichen Stelle solche Flügel bis auf ein winziges noch erkennbares Reststückchen gekappt worden waren. Für das Ziel der Neugründung ist aber auch diese Ballastentäußerung zweifellos schon rein äußerlich von Wert, denn sie macht beweglicher und leichter wieder für die Feste, auf der ja diese Gründung selbst nur wieder liegen kann.

Woran denn auch sofort jetzt Nummer drei der Vorschrift knüpft. Das Paar verläßt seinen exponierten Anflughafen und begibt sich (hier kommt abermals ein eigens erfundenes strenges Naturforscherwort) auf den » Liebesspaziergang«, freier gewendet auch Liebesbummel oder Brautpfad genannt.

Streng genommen ist das Wort aber noch immer recht schlecht, denn auch jetzt handelt es sich in Wahrheit um etwas jenseits aller Liebe im weiteren höchst praktischen Bedarf nur jenes besagten Gründungszwecks. Dieser Zweck umfaßt ja zweierlei. Erstens ein neues Volk. Nun – dazu mag einstweilen das noch unreife Brautpaar selbst als wenigstens prophetisches Symbol gelten. Dann aber auch ein neues Haus, eine neue Stammburg irgendwelcher Art. Und um für diese Burg einen neuen Platz zu bestimmen, begeben sich unsere Freunde diesmal auf den Bummel oder Spaziergang – sozusagen als Romulus und Remus bloß, denen das Geschlecht keine Rolle spielt. Wieder mehr termitisch: die beiden suchen einen geeigneten neuen Nistplatz. Daß auch diese Nestsuche hier lange vor der wirklichen Liebeserfüllung einsetzt, ist aber wieder ein glänzender Trick der Naturleitung in dem ganzen Verlauf – wir werden gleich sehen, warum.

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Nachdem die geflügelten Geschlechtstiere ausgeschwärmt und wieder gelandet sind, finden sich aus ihnen einzelne Brautpärchen zusammen. Man sieht bei a die Begrüßung solchen Paars auf einem Grashalm, bei b das Abwerfen der fortan wieder unnötigen Flügel. (Nach Fuller aus Hegh)

Zunächst jedenfalls setzen sich die beiden wirklich in Trab und »bummeln« etwas, wobei »sie« vorangehen soll, während »er« folgt. Der Eifer scheint manchmal so groß, daß sie schon loslaufen, ehe die Flügel ganz herunter sind, wobei er dann unter ihren Sittichen rennt. Auch diese offene Überlandsuche ohne Erd- oder Holzschutz mag noch manchem Paar das Leben kosten, aber sie muß doch wohl auch nötig sein. Mit einer geheimen Ahnung, die sich wieder unserer näheren Kenntnis entzieht, muß die Ortslage dabei irgendwie abgeschätzt werden zur engeren Wahl. Zur Erdbauten als Absicht wird feuchte, lockere Erde allein in Betracht kommen. Ist hier aber die Auslese getroffen, so ergibt sich abermals eine große Station des sinnreichen Spiels, die vierte jetzt der Reihe.

Das Paar schreitet noch immer nicht zur Hochzeit, wohl aber zu etwas, das immerhin jetzt davon schon den Namen haben mag: zur Herstellung zunächst einer » Hochzeitskammer«.

Man muß sich ja vorstellen, daß auf dieser Stufe solch junges Paar, obwohl es Königswesen führt, doch noch keine Spur von der Unbehilflichkeit der alten Königin und der engeren Rolle des späteren Königs besitzt. Warum soll es also nicht selbst schon etwas auf Versuch sich bauen können? Es führt Mandibeln, wie nur irgendein Arbeiter seiner Heimatbauten. Und ein Unterschlupf tut in der Gefahr des Daseins auf alle Fälle not. So wird also in trocknem Holz oder solcher Erde selbst eine kleine Zelle oder Grube an dem für geeignet befundenen Orte ausgetieft.

Wir folgen wieder als gewohntem Beispiel der Erdarbeit. Zunächst doch auch sie ein denkbar schlichtestes Werk. Nach einem Bericht ist es zuerst wieder die Braut, die sich daran macht, nach anderem umgekehrt der Bräutigam. Sie werden schließlich wohl beide zupacken, wie denn ein Beobachter auch ein reizendes Bild nach der Natur gegeben hat, wo das Pärchen gemeinsam Rücken an Rücken sich einträchtig in die Tiefe arbeitet. Mit den Beinen als Schaufeln wird die Erde gehoben und hinterwärts ausgeworfen; wenn ein Steinchen quert, fassen die Kiefern wieder als Hand und tragen es einzeln beiseite. So wächst die kleine einstweilige Robinsonhöhle mindestens eine Anzahl Zentimeter tief. Eile hat die Sache, soweit wir wenigstens sehen können, nicht. Je nach einer geringeren oder größeren inneren oder äußeren Gunst der Dinge hat man eine gewisse Zahl Tage, aber auch Monate über dieser ersten wirklichen Arbeit hingehen sehen. Und fast könnte man manchmal glauben, die beiden bauten sich wirklich nur ein bescheidenes Häuslein für den eigenen Bedarf, auf Lebenszeit darin zu wohnen. Die große Uhr aber tickt in Wahrheit rastlos weiter auf ihr Ziel.

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Nachdem sich ein neues Termitenpärchen zusammengefunden und einen Platz zur Begründung einer neuen Kolonie ausfindig gemacht hat, schreitet es zur Herstellung einer kleinen Grube als seiner künftigen Hochzeitskammer. Bei a sieht man die gemeinsame Arbeit im Gange, bei b die fertige Grube. (Nach Fuller aus Hegh)

Denn in eben diesen stillen Wochen oder Monaten vollzieht sich nun doch in der Bauenden Körper selbst wieder ein entscheidender, innerer Ruck, der auch dem Unterschlupf seine höhere Bedeutung verleiht. Die Erdhöhle wird tatsächlich zur »Hochzeitskammer«. Adam und Eva des neuen kommenden Termitenstaates werden auf dieser Station endlich wirklich geschlechtsreif, womit sich auch der letzte Stein in ihr neues Königtum fügt.

Manche engeren Züge bleiben uns ja auch dabei wieder etwas im Nebelgrau. Es scheint, daß die Brautleutchen seit ihrer letzten Häutung noch im alten, ihnen längst verschollenen Heimatbau gar keine Nahrung zu sich genommen haben. Solche Fastenzeit ist auch von der Ameisenkönigin bekannt, die (in ihrem Falle einsam, aber schon am Leibe gesegnet) nach dem Fluge ein Jahr und mehr bloß von Reservestoffen ihres eigenen Körpers lebt, wobei das innere Aufzehren der überflüssig gewordenen Flügelbewegungsmuskeln eine Hauptrolle spielt. Man könnte sich nun denken, daß jetzt bei dem Termitenpaar die eigene Geschlechtsreife endlich eintritt, weil zum erstenmal wieder gefuttert würde. Aber denken könnte man auch, daß grade das fortgesetzte Fasten selber sie auslöste, wie bei unsern fetten Rheinlachsen, die ebenfalls erst durch eine lange Hungerkarenzzeit die Bildung ihrer Geschlechtsstoffe erkaufen müssen. Auch ein rätselhaftes eigenes oder gegenseitiges Abknabbern von Fühlerteilen fällt stets in diese Wende. An solchen Stellen bedauert man doppelt, daß die Tiere nicht reden und uns selbst erzählen können; empfindet die Tragik des Umwegs, den wir Forschung nennen.

Auf jeden Fall aber ist der Hochzeit und ihren Folgen von hohem Gewinn, daß sie sich bereits in einem gesicherten ersten Häuslein vollziehen darf. Nicht umrungen von Gefahren, wie auf dem Fluge, sondern verschwiegen und geschützt da drinnen tritt das große Mysterium auch hier in Kraft: die endliche Vereinigung der Geschlechter. Sie soll äußerlich sich durch engste Berührung der Hinterleiber in einer Form gestalten, die jede Möglichkeit während des Fluges auch rein mechanisch ausgeschlossen hätte.

Öfter wiederholt, führt sie dann aber nur folgerichtig auch zu der fünften und letzten Station: der ersten Eiablage durch die (wie wir jetzt wohl geradezu sagen dürfen) junge Königin – wobei der Zwischenraum wieder etwas schwankt von nochmals 14 Tagen nach der ersten Vereinigung bis wieder 5 Wochen. Es wird erzählt, daß die Tagesziffer der Eier anfangs nur etwa bis 6 Stück betrage, also noch kein Gedanke an die spätere Fruchtbarkeit.

Man begreift auch das durchaus angesichts der Pflicht, daß das Königspaar doch diesmal sie und die ersten Larven, die wieder nach einigen Wochen auskommen, alle noch höchstselbst betreuen muß. Die Eier werden von ihm beleckt, gereinigt, herumgetragen und am rechten Ort der Kammer verwahrt und bewacht – ganz wie es in unserem ursprünglichen Bilde der Königszelle durch die Arbeiter und Soldaten geschah.

Die Larven selbst aber, wenn auch sie in der noch kahlen Hochzeitskammer erscheinen und nur sehr langsam wachsen, müssen mindestens in ihren ersten Generationen irgendwie von den Alten auch gefüttert werden. Es ist gleich noch ein Wort zu sagen, wie allgemein grade diese Larvenfütterung bei den Termiten erfolgt. Teils kommen dabei vielfach Stoffe des späteren Termitenbaues zur Anwendung, die dem ersten Paar noch in gar keiner Weise gegeben sein können – teils wohl auch eingeflößte Substanz aus dem Körper der Fütterer selbst. Sollen wir annehmen, daß das junge Königspaar auch auf dieser Stufe noch fastet, so könnte es auch hier nur aus eigenem innerem Reservestoff vergeben. Bei der fastenden Ameisenkönigin wird so mit Speichel gefüttert, außerdem allerdings vollführt dort diese Einzeldame nebenher noch den amüsanten Trick, daß sie den ersten auskommenden Larven einzelne eigene Eier zum Ausschlürfen in den Mund steckt.

Einerlei aber jedenfalls wieder: sehr üppig kann die Atzung zunächst schwerlich sein, denn es bleiben (wie ebenfalls bei jenen Ameisen) die ersten Generationen auffällig klein, und erst die folgenden erreichen Normalmaß. Immerhin sind gleich von Anfang schon Arbeiter sowohl wie Soldaten dabei, und haben sich deren erst einmal eine Anzahl eingefunden, so legen sie sich auch sofort lebhaft selbst ins Zeug und nehmen den Eltern erst ein Teil und allmählich die ganze Last der Pflege ab. Die Arbeiter beginnen mit wachsendem Bedürfnis nicht nur die Hochzeitskammer aus-, sondern noch weitere Kammern anzubauen, zunächst auch in die Tiefe, später aber, wenn es eine richtig hügelbauende Art ist, mit von unten ausgehobener Erde auch oberirdisch hinauf. Und ebenso schaffen sie nun auch wirkliche Nahrung fürs Ganze heran, nähren sich, sorgen ums Kleinvolk und füttern schließlich auch das Königspaar in umgekehrter Fürsorge mit, während die Soldaten ebenso zum ferneren Wachtdienst aufziehen. Nur Zeugen und Eierlegen können natürlich beide nicht – das bleibt nach wie vor dem Regierungspaar vorbehalten, wird dem zugleich aber auch immer leichter gemacht, so daß es sich ausschließlich und sozusagen wirklich fabrikmäßig fortan ganz darauf verlegen kann, von aller sonstigen Staatsarbeit entlastet.

Als an seiner hergebracht bequemsten Stelle bleibt es auch selber dabei in der Hochzeitskammer, die nur, wenn wenigstens die Königin vor lauter Schnell-Eierfabrik immer dicker wird, auch noch von den Bauarbeitern immer einmal wieder angepaßt und erweitert werden muß. Da nur noch die Pfleger und Wächter von außen Einlaß brauchen, um innen alles glatt zu regeln, kann dabei sogar unter Umständen ruhig so zugebaut werden, daß das Königspaar oder mindestens die Frau Königin selbst für den Rest des Lebens überhaupt nicht mehr herauskann, sondern mehr oder minder eingekerkert bleibt, wenn schon in einem soweit ganz behaglichen und sorglosen Gefängnis.

Wie groß aber auch der unter- wie oberirdische Bau allmählich werde – bis zu jenen Matterhorn- oder Montblanc-Maßen – : der Lage nach wird die alte »Hochzeitskammer« auch mit aller eigenen Vergrößerung immer doch ziemlich genau auf der Grenze von oben und unten im idealen Mittelpunkt liegen müssen – dort, wo das Brautpaar einst bloß seine paar Zentimeter senkrecht in den Boden schlug. Und ich brauche wohl kaum noch zu sagen, was das bedeutet. Die alte »Hochzeitskammer« ist einfach der »Zentralkern« mit der »Königszelle« selbst geworden – also das, wovon wir ausgingen. Über ihr wölbt sich schließlich der so oder so hohe Hügel, unten geht's in das Kellerlabyrinth, ringsum in soundso viel andere nachgebaute und angeschlossene Gebrauchskammern, Gänge und Kamine – durch das Ganze aber wie um das Königspaar selbst wimmelt das tausend-, das endlich wieder im üppigsten Fall millionenköpfige Volk, das alles andere besorgt, während die beiden drinnen fürs Staatswohl unentwegt zeugen und Eier legen. Ein neuer Staat steht – und nicht lange, so wird er auch selber wieder Flügeltiere entsenden, womit noch wieder neu und anderswo alles abermals von vorne anfangen kann. Bis endlich in soundso langer Zeit auch seine Kraft aus inneren Gründen wieder erschöpft sein mag zum natürlichen Ende.

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Die unförmliche spätere Gestalt der Termitenkönigin in der Königszelle eines großen Baues geht stets zurück auf ein ursprüngliches schlankes weibliches Geschlechtstier, das einmal Flügel trug und so zur Gründung einer neuen Kolonie ausschwärmte. Oben diese junge Flügelgestalt, unten die zur Gebärmaschine verdickte nachmalige Königin. (Nach Fuller aus Hegh)

Unsere Frage ist beantwortet: woher jeweils ein Königspaar stammt und wie der Staat selber sich fortpflanzen konnte zu neuen Staaten.

Wenigstens erwähnen will ich, daß es im Einzelfall ja auch noch einen andern Weg solcher Staatsgründung gibt, der aber doch wohl stets nur eine Ausnahme bildet gegenüber diesem richtigen.

Es kann unter Umständen und aus unbekannten Gründen aus einem sehr vielköpfigen Staat auch auf der Höhe seiner Blüte einmal ein Teil Arbeitervolk unter Mitnahme von Eiern und Larven ausrücken und einen Nebenbau gründen, der, anfangs noch durch Gänge mit dem ersten verknüpft, endlich doch vollkommen selbständig werden mag. Das Mißliche wäre nur, daß solcher Spaltungs- oder Ablegerstaat zunächst kein zeugendes und eierlegendes Königspaar besitzt. Immerhin scheint auch das vorzukommen, daß sich ein fremdes Pärchen auf dem Liebesspaziergang zu ihm verirrt, das es dann gleich sehr bequem hat. Oder es wird noch etwas sehr Merkwürdiges von den an sich unfruchtbaren Insassen selbst vorweggenommen, das allerdings auch in den normal begründeten Staaten eine gewisse Rolle bei auch dort gelegentlich vorkommenden Notständen spielt und wohl zunächst gegen sie erfunden wurde.

Auch in solchen Musterstaaten tritt es ja (ich erwähnte es bereits) wohl einmal noch lange vor ihrem natürlichen Ende ein, daß der König oder die Königin vor der Zeit schwach werden oder eingehen. Manchmal mag, wie gesagt, dagegen helfen, daß mehrere Königspaare oder doch Königinnen (vielleicht schon anfänglich aus Doppelpaarungen) vorhanden sind, doch wird das immer mehr oder minder Glücksfall sein. Als sicheres althergebrachtes Mittel dagegen gibt es anscheinend drei feste Möglichkeiten.

Erstens, daß von den Schwärmtieren zu ihrer Zeit einzelne zurückgehalten werden, die dann auch im alten, nach Abgang des Zuges wieder dicht zugemauerten Bau reif werden und Königspaar-Ersatz geben. Das dürfte wohl regelmäßig statthaben, wenn die Not grade mit dem Schwärmen zusammenfällt. Doch könnte es auch sonst schon öfter durch reinen Zufall geschehen. Man glaubt die Zurückbleiber an den unregelmäßig abgerissenen Flügeln zu erkennen, vielleicht sind es stets Exemplare, die schon beim Ausflug an den Flügeln beschädigt wurden oder sonst irgendwie den regelrechten Flug verpaßten.

Als zweiter Ausweg treten dann wenigstens bei vielen Arten von vornherein schon bei den Larven dieser Geflügelten eine Unzahl Zwischenwesen auf, die nicht ganz Schwarmtiere und nicht ganz Arbeiter sind, keine richtigen Schwarmflügel entwickeln und deshalb alle im alten Bau bleiben müssen, aber unter bestimmten Umständen dort doch auch als solche unfertigen Halblarven geschlechtsreif werden und damit auch bei Bedarf Königspaar-Ersatz liefern können.

Endlich als drittes wird behauptet, daß im alleräußersten Zwangsfall einfache Arbeiter oder Soldatenlarven noch nachträglich zu Geschlechtstieren »erzogen« werden könnten, die dann einfach zu Ersatz-Königstieren wenigstens in diesem wichtigsten Punkt im Rang aufrückten. Das sonst verkümmerte Geschlecht soll hier erstaunlicherweise durch eine besondere Art der Ernährung, die diesen Larven zuteil würde, herausgelockt werden, wie denn solche Ernährung auch schon in dem zweiten Fall ihre Rolle spiele.

Es liegt auf der Hand, daß diese dritte, für gewöhnlich seltenste Form doch bei jenen verwaisten Ablegerstaaten stets die nächstliegende sein wird – jedenfalls sieht man im ganzen hier wieder auf die sinnreichste Naturregelung der Termiten-Staatsraison gegen vorzeitig lähmende Zufälligkeiten, die unsere höchste Bewunderung herausfordern müssen. Im engeren aber erwächst die neue Frage, was das mit der angeblich besondern umzüchtenden Ernährung für eine Bewandtnis habe, die hier sich noch einzumischen scheint. Und das mag Anlaß geben, jetzt die ganze termitische Ernährungsfrage noch einmal als solche aufzurollen – nicht in ihrem erwähnten Verhängnis gegen den Menschen, sondern jetzt vom Standpunkt der Termitenorganisation selbst aus. Dabei scheint sich eigenartigerweise sogleich noch ein zweites Problem untrennbar damit zu verknüpfen, nämlich wie und womit die Termiten ihre verschiedenartigen zum Teil so riesigen Bauten aufführen.

Wir haben die Termiten als Zerstörer in der Kultur und Aufräumer in der Natur kennengelernt: beides auf Grund ihrer ungeheuren Gefräßigkeit und des wenig Wählerischen ihrer Ernährung. Auch im eigenen Bau betätigt sich das in gewissem Sinne. Die Termitenburgen sind Muster von Reinlichkeit, von förmlich aufdringlicher Gesundheit. Aller Unrat, alles Minderwertige wird auch hier einfach weggefressen, die eigene Kultur ständig selbst aufgeräumt. Sie fressen die Häute, aus denen sie selber fahren, fressen die Leichen der eigenen abgelebten Genossen, ja, in einer unerbittlichen spartanischen Rassenhygiene sollen sie sogar als radikale Ärzte die Kranken, die Verkrüppelten, die Arbeitsunfähigen und dauernd Faulen einfach fortfressen – kurzer Hand. Was dem Staatsgedanken nicht mehr dient, das wird gleichsam selber für Holz genommen und wenigstens so in die große Maschine verfeuert. (Bei den Ameisen sind, wie ich immerhin einflechten möchte, Fälle mit Sicherheit erwiesen, wo sie kranken Genossinnen gegenüber auch eine unverkennbare Pflege gewährten – es muß also offen bleiben, ob nicht bei Termiten auch unter Umständen wenigstens diese mildere Form statthat.) Dabei bietet aber die Art dieses Fressens im einzelnen noch Sonderbares genug.

Man hat sich lange den Kopf zerbrochen, wie es überhaupt möglich sei, daß Tiere mehr oder minder ausschließlich von Holzstoffen (Zellulose) leben könnten, was doch zahlreiche Termitenarten unzweideutig zu tun schienen. Man versteht, daß sie bei der minimalen Nährkraft wohl unerhörte Massen durch ihren Darm treiben müssen. Aber grade in letzter Zeit hat man sich vergewissern dürfen (ich folge hier wesentlich Paul Buchners lichtvoller Darstellung), daß selbst das nichts nützte, spränge nicht noch eine geheime Hilfe ein. Im erweiterten Darm jener völlig holzfressenden Arten leben nämlich gewisse Urtierchen (Protozoen) vom Geschlecht der sog. Flagellaten in ungeheuren Massen, die in einer gewissen festen Gemeinschaft ( Symbiose) mit der Termite stehen. Der Darm selbst kann die Zellulose des Holzes in der Regel überhaupt nicht auflösen, aber diese winzigen Insassen vermögen es dank gewisser Eigenschaften, wie sie ja auch sonst dieses Urreich noch bewährt. Die Termite schluckt also zunächst bloß unverdauliches Holz, die Flagellaten aber erschließen es ihr, indem sie es selbst kräftig angreifen, zersetzen, wenigstens zum Teil auch der Termite darmgerecht als Nahrung machen. Cleveland hat den Sachverhalt in den letzten Jahren durch anscheinend untrügliche Versuche festgestellt, indem er künstlich die Flagellaten in der lebendigen Termite tötete und diese Termite trotz dick mit Holz erfülltem Wanst verhungern sah. Man schaut hier einmal wieder auf eines der lehrreichsten Schutz- und Trutzbündnisse zu gemeinsamem Nutzen in der Natur.

Es sind hauptsächlich die auf Holzfraß ausziehenden Arbeiter jener Arten, die an dieser inneren Versicherung teilhaben. Aber auch andern Staatsinsassen kommt es doch indirekt zugute, indem hier eine zweite Eigenart der termitischen Ernährungsweise wirksam wird, die für unsere Begriffe ziemlich unheimlich aussieht, aber in der »Sachlichkeit« dieses seltsamen Staatslebens zweifellos ebenso nützlich, ja unentbehrlich ist.

Wenn einer etwas verzehrt, so denken wir hergebracht, daß er es eben für sich aufnimmt, verdaut, in den wirklichen Nährteilen verbraucht und in den unbrauchbaren als reinen nicht mehr gültigen und meist widerwärtigen Abfall ausscheidet. Schon mit den Flagellaten selbst ist das etwas durchbrochen, indem hier eigentlich ein zweiter im andern mitverdauen hilft. Aber die Termiten pflegen dafür noch ganz besondere Bräuche auch unter sich.

Bereits bei den Ameisen haben wir sehr merkwürdige körperliche Einrichtungen, die es ermöglichen, daß ein Individuum an der bereits von ihm verschluckten Portion doch nachträglich noch andere seiner Gemeinschaft teilhaben läßt. Diese Ameisen führen außer ihrem gewöhnlichen Magen noch einen besondern kropfartigen » Sozialmagen« (wie der alte Forel das Wort schon vor Jahren geprägt hat), in dem die verschluckte Nahrung zum größern Teil vorläufig nur »magaziniert« wird, während der persönliche Magen des betreffenden Individuums nur eine Teilration daraus wirklich abbekommt. Jede Ameise ist aber verpflichtet, ihren Sozialgenossen, wenn sie ihr hungrig begegnen, aus diesem Sozialmagen einen Anteil abzugeben, indem sie solchen Teil wieder hochwürgt und dem andern ins Maul spuckt. Uns mag das unappetitlich vorkommen, im Ameisensinne muß es aber als ein sehr netter sozialer Ausgleich erscheinen, wer als einzelner Gelegenheit hat, frißt so viel, wie er kann – es ist aber gesorgt, daß er selbst doch nur sein bescheidenes Muß-Maß erhält, während der Überschuß den andern, im Augenblick weniger Begünstigten hinterher zugute kommt. Auch die zweitgefütterte Ameise kann selbst noch wieder einer dritten eintrichtern und so fort.

Dieser sinnreiche Grundsatz ist nun aber bei den Termiten aufs äußerste entwickelt. Nicht nur der Kropf, sondern gewissermaßen der ganze innere Ernährungsschlauch ist hier auf die Zweit- und Dritthilfe neben der eigenen entsprechend eingestellt. Jede gut gefütterte Termite ist gedrillt, Genossen von vorne wie hier auch hinten abzugeben. Vorne würgt sie ebenfalls aus dem Kropf hoch, wobei sie noch mit Speichel und andern Drüsenzutaten mehr oder minder reichlich versetzt. Hinten aber scheidet sie ebenso zum guten Zweck aus, wobei offenbar bei ihrer Sachlage auch dieses schon durch den ganzen eigenen Darm einmal selbst Verdaute noch starken weiteren Nährwert besitzt. Man versteht das ja grade bei dem schwer aufschließbaren und nur mit der Flagellatenhilfe einigermaßen vorbereiteten Holz besonders gut – versteht, daß unter Umständen erst die richtige Ausscheidung des ersten dem zweiten etwas nütze sein und auch Genossen füttern könne, die selber vielleicht nicht so viel Flagellaten besitzen, z. B. Soldaten.

Jedenfalls ist auch dieser Verlauf termitisch aufs ausgiebigste geordnet und genutzt, von hinten wie vorne fließt das Futter durch den ganzen Staat weiter, der Heimkehrende gibt es den Zuhausegebliebenen, die Alten geben es den Jungen in unendlichem Suppenkreislauf, mag die Suppe auch etwas seltsam sein. Besonders hinterwärts wird sozusagen bald warm, bald kalt verabfolgt – bald trocken hinterlassen, bald frisch und unmittelbar auch von diesem Pol verzapft. Mit Liebe reizen sich die Termiten selber dazu, indem die eine mit den Fühlern die andere hinten beklopft, bis ein »Würstchen« austritt, das dann gierig verschlungen wird.

Sentimentale Entsetzenstiraden lassen sich an diese Dinge wie an so viele Termitenbräuche leicht anknüpfen, aber daß es, termitisch gesehen, eine ganz vorzügliche Lösung ist, zumal bei an sich äußerst reinlichen Tieren, bleibt ebenso fest, wenn die Termite reden könnte, würde sie ihre Art so schlicht verteidigen, wie wir die Verwertung der Muttermilch bei dem Kinde. Zumal eben bei derartig spröder Nahrung, wie Holz, die nur durch mehrfache Wanderung sich auswerten kann.

Nun aber noch ein drittes. Auch die Termitenkultur hat sich wie unsere menschliche in Stufen emporgearbeitet, die wir in niederen, unvollkommeneren Arten und höheren, vollkommeneren auch heute noch nebeneinander verewigt gewahren. Und da sind denn doch die obersten Arten (und also grade die, von deren Matterhornhügeln wir ausgingen) dahin gediehen, auch diese beiden Methoden der innerlichen Holzbewältigung, sowohl die einzelne flagellatische wie die gleichsam mehr sozial-darmliche, noch zu überbieten durch eine dritte, die jetzt noch sicherer das Holz ausnutzte, indem sie es größtenteils vollkommen außerpersönlich unter einer nochmals fremden, aber noch unvergleichlich viel wirksameren Hilfe bearbeiten ließ.

Diese Methode ist die vielgerühmte » Pilzzucht« der Termiten.

Sie bedeutet (um es vorweg in drei Sätze zu fassen), daß diese obersten Termitenarten möglichst verwittertes Holz und andere Pflanzenstoffe zunächst fressen und ausscheiden nur mit Teilrücksicht auf Ernährung selbst – daß sie aber mit diesem ausgeschiedenen Holz Mistbeete herstellen, in denen sie gewisse Pflanzen (Pilze) wuchern lassen, die den Holzmist in pflanzliche Nährprodukte umwandeln, die jetzt von den Termiten als Elite-Nahrung bekömmlichster Art abgeerntet werden – das alles aber bequemerweise im Neste selbst.

Die darin betätigte Kulturstufe entspricht in insektischen Verhältnissen durchaus unserer des Ackerbaues.

Da auch bei einigen wenigen Ameisenarten ähnliche (obwohl nicht genau gleiche) Dinge vorkommen, wie sie auf der Termitenseite hier von einer Unzahl höchster und bekanntester Arten geübt werden – diese Ameisenpilzzucht aber sehr oft bereits ausführlich beschrieben worden ist, beschränke ich mich auf ein charakteristisches Bild der Hauptzüge.

Wie früh ein wirklich guter Beobachter im ersten Ansturm bereits auch eine so höchst verwickelte Sache durchschauen kann, mag daran klar werden, daß jener Altmeister Smeathman im 18. Jahrhundert schon in seinem ersten Termitenbrief auch diese Pilzzucht nahezu ganz aufgerollt hatte, über hundert Jahre vorher, ehe sie auf dem Umweg über den parallelen Ameisenfall endgültig Gemeingut der Forschung werden sollte.

Rein äußerlich stellt sich ja die Spur der Zucht ziemlich leicht vor Augen. Wie oben geschildert, enthalten die großen Erdbauten außer der Königszelle noch teils unter-, teils oberirdisch ein Labyrinth von Gängen, Kammern und Kaminröhren. In einer mehr oder minder großen Reihe dieser Kammern drängt sich dann auf, daß irgend etwas Besonderes dort getrieben wird.

Es liegt ein brauner rundlicher Körper darin von Haselnuß- bis Menschenkopfgröße im Ansehen eines durchlöcherten Badeschwammes. In ihm wuchert so regelmäßig das unterirdische Nährgeflecht (Myzel) eines Pilzes, daß es sich unmöglich um einen Zufall handeln kann. Der Fladen bildet vielmehr ersichtlich ein vorbereitetes Beet für das Pilzgeflecht selbst. Über seine Herkunft aber kann auch kein Zweifel sein. Er besteht als Regel aus noch nicht millimeterdicken Kügelchen, die durchweg holzhaltige Ausscheidungen der betreffenden Termiten des Baues darstellen. Sie sind bloß hierher in Masse abgelagert, wobei noch eine besondere Mundbearbeitung und Einspeichelung stattgehabt haben soll.

Von der Holzmasse nährt sich aber der Pilz, sie bildet also sein »Mistbeet«, das ihm die Termiten in ausgedehntem Maße absichtlich zur Verfügung stellen. Die wurzelartig darin versponnenen weißen Pilzfäden zeigen dabei einen auffälligen Bau, der auch bei jenen von Ameisen gezüchteten Pilzen zwar nicht ganz gleich, aber doch ähnlich wiederkehrt. Sie entwickeln nämlich nahe an bestimmten Sproßstellen besondere kugelige weiße Verdickungen (Köpfchen) von 1½ – 2½ mm Durchmesser, die zur Pilzpflanze selbst wie etwas Luxus erscheinen könnten, für die Termiten aber eben die köstlichste Nahrung darbieten.

Mit einem naheliegenden Vergleich aus menschlicher Gartenzucht auf auch wohlschmeckende Stengelverdickungen hat man ähnliche Knötchen bei den Ameisenpilzen » Kohlrabi« genannt, was für die Termiten als Wort mitgelten mag.

Jedenfalls versteht man, daß wegen dieser Kohlrabi auch die Termiten ein Interesse haben, den Pilz durch besondere Mistbeete in ihren finstern Bauten zu hegen und immer wieder zur Entfaltung zu bringen. Er setzt ihnen eben wirklich das eingeführte Holz in die Nährkraft jener bequemen und leicht verdaulichen Kohlrabiverdickungen um, die bloß im Neste selbst abgeerntet zu werden brauchen.

Eine schon erwähnte Einrichtung der Termitenburgen findet dabei gleich noch ihre zwanglose Haupterklärung mit – nämlich die hindurchziehenden Systeme jener größeren mehr oder minder offenen Röhren oder Kamine. Sie regeln nicht nur die Dauertemperatur und den Feuchtigkeitsgehalt der Luft in den sonst verschlossenen Bauten, sondern dienen auch giftigen Gasen, die durch die Pilzkultur entstehen, zum Abzug.

Der Pilz selbst scheint wenigstens bei geordneter Kultur der Beete der Art nach immer der gleiche zu sein. Nach den auch hier manchmal aus dem unterirdischen Nährgeflecht sprießenden Hüten glaubt man ihn als einen Hutpilz Volvaria eurhiza bestimmt zu haben, wobei doch im engern noch etwas Unklarheit herrscht. Wild außerhalb der Termitenkultur ist er bisher nicht auf gefunden worden; er scheint schon lange nur immer wieder bei ihnen selbst weiter gezüchtet zu werden, wie so manche heutige menschliche Kulturpflanze, deren wilde Stammform man auch nicht mehr kennt.

Ob die Kohlrabi wirklich für ihn ein »Luxus« sind, den die Termiten auch erst gärtnerisch herangezüchtet haben (wie man bei den Ameisen anzunehmen pflegt), steht dahin; vielleicht hat er wenigstens die Anlage auch dazu schon mitgebracht.

Jedenfalls regeln die Termiten heute durch Abbeißen und Ausjäten den stets möglichst günstigen Stand der Kulturen auf wenigstens reichsten Ertrag hin und ohne zu viel störendes Nebenunkraut. Da die Mistbeete mit der Zeit unfruchtbar werden, müssen sie immer einmal wieder ausgeräumt und ersetzt werden – man versteht leicht, wieviel Holz doch auch diese Arten fortgesetzt neu allein der Düngung wegen brauchen.

Die Neubesiedlung der frischen Beete mit dem Pilz selbst erfolgt angeblich dabei durch mit den Kohlrabis gefressene und noch keimkräftig wieder ausverdaute Fortpflanzungsteile des Pilzgeflechts. An dieser Stelle liegen im übrigen auch noch wieder manche Rätsel. Zum Beispiel, wie jenes staatsgründende erste Königspaar auch die erste Pilzzucht jedesmal wieder in Gang bringt, von Ameisen weiß man, daß die Königin stets ein lebendiges Teil Pilz in einer Art Kieferntasche aus dem alten Bau mit überführt und selbst höchst sorgfältig nachher neu einpflanzt. Bei dem Termitenpaar denkt man auch hier an den Darm, der vielleicht so lange den kostbaren Besitz auch unversehrt hält und rechtzeitig entleert, worauf die jungen Arbeiterlarven die Entleerung selbst aufnähmen und so in das erste neu anzulegende Mistbeet übertrügen. Im engern bleibt doch auch das noch zu klären.

Überblickt man aber das Ganze, so ist klar, daß sich die Termiten jedenfalls hier eine vorzügliche neue Nährquelle erschlossen haben, und es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß sie auch wirklich als solche ergiebig im Staate ausgenutzt wird. Die Arbeiter, die den Holzbrei der Beete in sich heranschaffen, mögen auch bei diesen pilzzüchtenden Arten immer noch etwas schon sehr zersetztes Holz selber verdauen, wenn sie auch im Darm hier kaum noch Flagellaten führen. Daneben dürften aber auch sie schon Pilzkohlrabi wenigstens als Zukost futtern. Und das übrige Volk geht dann immer mehr entscheidend wohl auf starke oder ganz reine Pilzkost über. Mindestens die jüngern Larven bekommen nur solche. Sie werden von Anfang an in die Pilzkammern selbst gesetzt und fressen sich dort nach Bedarf ein. Schon Smeathman bezeichnete deshalb die Beete zugleich als »Wochenstuben«. Doflein konnte solche Larvenkinder unmittelbar künstlich mit auf einer Nadel dargereichten Kohlrabiköpfchen füttern. Reine Kohlrabikost erhalten wohl auch König und Königin, die ja bei den höchsten Arten nachher ihre Zelle gar nicht mehr verlassen und sich gesondert darin bedienen lassen. Allerdings wird hier das zarte Gemüse wohl auch noch mit sehr viel Speichel der Fütternden versetzt, wie solche größere oder geringere Speichelzutat überhaupt in der ganzen Staatsverpflegung eine gewisse Rolle zu spielen scheint. Und hier ist jetzt der Punkt, wo auch jener merkwürdige Einfluß, den vielleicht die Ernährungsart auf die Geschlechtsfähigkeit und Körperbildung selbst haben könnte, noch einmal zur Sprache zu bringen wäre.

Wenn die Termiten, wie oben versuchsweise ausgesprochen wurde, unter Umständen eine gewöhnliche Arbeiterlarve durch eine besondere Dosierung der Nahrung ausnahmsweise und nachträglich doch noch zu einem Geschlechtstier als »Königspaar-Ersatz« machen können, so läge nahe, daß alle ihre Kastenunterschiede auch normal ursprünglich vielleicht nur so auf verschiedenes Larvenfutter hinaus liefen. Eine so oder so genährte Larve ergäbe stets einen normalen Arbeiter, eine anders genährte einen Soldaten und eine drittgenährte ein Flügeltier mit Anrecht auf späteres Königsgeschlecht. Mit einigem Humor könnte man sagen, es sei etwa, wie wenn bei uns durch verschiedene Säuglingsmilch sozusagen chemisch bereits je ein künftiger Jurist, Mediziner oder Theologe hergestellt würden.

Scherz beiseite, hat der ausgezeichnete Forscher Grassi die Sache doch zuerst wirklich so verfochten. Alle Termitenlarven sollten beim Ausschlüpfen aus dem Ei noch vollkommen gleich sein und dann erst durch die verschiedene Ernährung wirklich in die verschiedenen Kasten jedesmal hineingezwungen werden. Der Gedanke hat viele Anhänger gefunden. Zunächst ist dazu zu sagen (was Escherich betont hat), daß er natürlich nicht bedeuten kann, die Nahrung schaffe jedesmal ganz neu etwa Arbeiter oder Soldaten oder Flügeltiere. Die Anlage zu denen allen müßte vielmehr als feste geschichtliche Nutzanlage im Interesse des Staates bereits in jedem Ei vererbt gegeben sein, und die jeweilige Nahrung könnte immer nur den letzten Anstoß geben, daß grade diese oder jene Veranlagung enger ausgelöst würde von den bereitliegenden. Aber selbst mit dieser Einschränkung ergeben sich mancherlei Schwierigkeiten. Gleich dem ersten Gründerpärchen in seiner Hochzeitskammer erwachsen doch schon Arbeiter wie Soldaten – soll es die schon durch verschiedene Ernährung erzielen zu einer Zeit, wo es mindestens noch keine Pilzkohlrabi als Abwechslung zu verfüttern hatte? Aber auch später sitzen die jüngsten und jungen Larven aller Kasten in den gleichen Pilzkammern und fressen selbsttätig darauf los, ohne daß man je ein besonderes im einzelnen verschiedenes Nährregime durch die Alten beobachtet hätte, vollends hat wieder Bugnion bisher unwiderlegt behauptet, er habe bei einer hochentwickelten Ceylon-Art bereits aus dem Ei (also ehe irgendeine Spezialfütterung einsetzen konnte) eine Larve mit allen Merkmalen eines werdenden echten Soldaten erstehen sehen. Es wäre also jedenfalls doch möglich, daß auch die ganze Kastenverschiedenheit wenigstens normal schon aus dem Ei einfach vererbt mitgegeben würde ohne Nahrungsbezug. Wie allerdings dann die Sache mit dem nachträglichen Geschlechtstier aus einer eunuchischen Arbeiterlarve zu verstehen wäre, bliebe offen. Es könnte ja hier noch etwas ganz Besonderes liegen – wie oben gelegentlich erwähnt ist, daß wenigstens die Geschlechtsreife (wenn schon nicht das Geschlecht selbst) bisweilen mit reiner Enthaltung von Nahrung bei Tieren erkauft wird. Völlig aufgelöst ist aber jedenfalls das Geheimnis auch hier nicht – und vielleicht spielt (wie Wasmann meinte) beides ein: als Regel schon feste Vererbung, unter gewissen Ausnahmebedingungen aber auch einmal ein im einzelnen noch unerforschter Ernährungs- oder sonstiger nachträglicher Einfluß zum Zweck.

Wobei ich noch erwähnen will, daß Grassi selbst für seinen Gedanken gelegentlich auch jene Flagellaten nutzbar machen wollte. Über sie sollte indirekt erst der Nahrungseinfluß selbst wirken. Wo Holznahrung sie schon bei den Larven sehr stark vermehrte, sollten sie durch ihre Masse im Darm das Geschlecht unterdrücken, gleichsam kastrieren, also eunuchische Arbeiter züchten, während sie schwächer oder gar nicht vorhanden Geschlechtstiere zuließen. Diese engere Deutung dürfte wohl damit fallen, daß nach bestimmten neueren Angaben bei den ganzen obersten pilzzüchtenden Termiten die Flagellaten auch im Arbeiterdarm so gut wie gar keine Rolle spielen, gleichwohl aber die gegensätzlichen Kasten blühen, wie nur irgendwo.

Um im übrigen nach dieser unentschiedenen Sache noch einmal zu der Nahrung zurückzukehren, so können natürlich auch mit allen den beschriebenen Verfahren die Termiten noch nicht ganz auskommen; sie müssen gelegentlich auch sonst Vorräte einholen und auf Ersatz im Bau anlagern. Trockenes Gras, Blattstücke, Sämereien werden so für Notfälle aufgespeichert, wo die Witterung oder anderes kein Verlassen der Burg ermöglicht. Gewisse australische Arten sollen sogar in bestimmten Galerien des Nestes größere Niederlagen von getrockneten Leichen ihres Volks als solche Notnahrung anlegen. (Wobei daran erinnert sei, daß bei den Ameisen sehr allgemein eine regelrechte Bestattung der Leichen Brauch ist: sie werden aus gesundheitlichen Gründen aus dem Nest entfernt und draußen an bestimmten Stellen gleich andern Abfällen mit Erde bedeckt.)

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Eine Termitenexpedition; die in der Mitte marschierenden Arbeiter werden von Soldaten bewacht.
(Zeichnung für den Kosmos)

Wahrscheinlich werden bei einzelnen Arten auch für die Pilzbeete unmittelbar solche abgeschnittenen Blatteile verwertet, was dann noch eine stärkere Ähnlichkeit hier mit den Ameisen herstellen wurde, die stets ihre Mistbeete so mit Blätterwerk und anderem Fremdmaterial und nicht mit eigenen Ausscheidungen düngen. In der Menge der Fälle ist da noch Unendliches zu erforschen, wie Buchner mit Recht betont hat.

Escherich selbst aber hat gelegentlich meisterhaft solche großen Furagezüge geschildert, die diesmal nicht das sonst so beliebte Holz selbst betrafen.

Es handelte sich wieder um jene sog. »schwarze Termite« Ceylons ( Eutermes monoceros). Sie ist auch in ihren Arbeitern etwas besser mit Chitin verpanzert, daher dunkler. Sie baut keine Hügel, sondern nistet gern in hohlen Bäumen, wo sie an der Außenseite jene schon erwähnten »Abtritte« herstellt, da in ihrem Falle offenbar die eigenen Ausscheidungen aus irgendeinem Grunde ungesund sind. Von diesen Verstecken aus unternimmt sie dann regelmäßige Züge auf solchen Proviant, wobei sie auch keine verdeckenden Schutzgalerien baut und sich des öftern bei Tage sehen läßt, da die derbere Haut grade sie etwas unempfindlicher gegen trockenheiße Tagesluft macht. So konnte Escherich solchen Zug gelegentlich sehr genau verfolgen.

Die Arbeiter als furagierendes Gros liefen in Schlangenlinien auf Strecken von zwanzig bis dreißig, gelegentlich aber selbst mehreren hundert Metern geschlossen dahin, zwei, vier und mehr stets nebeneinander, so daß Breiten von 4 bis 10 cm herauskamen. Meist marschierte alles in einer Richtung; nur wenige kreuzten in raschem Tempo gegen den Strom ankämpfend auch zurück. Das Durchschnittstempo selbst war bei der Einzeltermite etwa 30 cm Wegstrecke in 20 Sekunden. In einer Minute passierten auch in schwachen Zügen doch bis 120 durch, in der Stunde 7200, was auf 7 Stunden schon 50 ,000 Stück Teilnehmer ergibt. Sehr dicke Züge mögen reichlich 200 ,000, ja nach andern Angaben bis 300 ,000 Individuen enthalten, die wie ein ununterbrochener schwarzer Strom die Bäume herab, über den Boden und an andern wieder emporfließen.

Diesen eigentlichen Zug flankierten dann beiderseits Soldaten zum Schutz, hier alle aus dem Typ jener Nasuti mit ihren Klebpistolen aus den langen Stirnnasen. Während der Zug selbst unaufhaltsam rann, bildeten sie ruhende Postenreihen, die Nasen nach außen, jeder je nach Dichte einen halben bis 5 cm voneinander, aber stets gleich streng geordnet, alternierend von hüben und drüben. Je nach der Gefahr des Weges schienen die Posten verstärkt.

Die Abwehr ging meist sehr wirksam gegen wegkreuzende Ameisen, deren Angriff natürlich bei solchem offenen Zuge und gar am Tage häufiger war. (Es genügte meist der Kleb-Erguß. Wich der Soldat selbst zurück, so entstand auch im Zuge eine vorübergehende Panik, die sich rasch nach beiden Seiten, besonders aber nach der noch im Marsch befindlichen weitergab – offenbar auch hier durch eine Signalsprache der an sich ja blinden Tiere.

Die benasten Soldaten dienten aber nicht allein zur Verteidigung, sie wirkten ebenso als Pfadfinder und Führer. Oft konnte der Beobachter sehen: »wie eine Anzahl Soldaten vom Zuge sich abwandten und eine andere Richtung einschlugen, wobei ihr Benehmen darauf hindeutete, daß sie auf Entdeckung neuer Wege ausgingen. Ganz vorsichtig, Schritt für Schritt, gleich Katzen schlichen sie dahin, einer hinter dem andern, und sowie der vorderste nur das geringste Verdächtige witterte, fuhr er nervös zurück, seine ›tapferen‹ Kameraden mitreißend«.

Das Ziel des Zuges war in diesem Falle eine »Flechtenweide«. Auf mancherlei, wie es schien absichtlichen Umwegen wurden gewisse alte Bäume fern vom eigenen Nest aufgesucht und die Flechtenüberzüge der Rinde reinlich abgeweidet, doch auch das nicht bloß für den eigenen Bedarf, sondern zugleich wieder »sozial«, indem fast jeder Arbeiter auf dem Heimwege ein Stückchen solcher hellgrauen Flechte in den Kiefern auf Vorrat mitnahm. Auf der Weide selbst erschienen die fressenden und sammelnden Tiere ein andermal so dicht gedrängt, daß man kaum noch den Boden sah. Tausende häuften sich am gleichen Fleck, alle gleich eifrig und durch ihr »behäbiges Kopfnicken« völlig »an weidendes Vieh« erinnernd. Stundenlang blieben die einmal versammelten Massen so beisammen, während der Strom selbst quer durch sie weiter ging. Nur ab und zu schloß sich ein weidendes Tier den ziehenden an, oder es trat eines dort aus, um auch auf diesem Weideplatz zu verharren. Stören ließ sich sonst von den Fressenden niemand durch das fortgesetzte Kommen und Gehen.

Im einzelnen konnte der Beobachter aber öfter dabei die sonderbaren Leck- und Reinigungsszenen mit ansehen, wie sie auch auf diesen Futterstellen den an sich peinlich saubern Geschöpfen unentbehrlich waren. Sie halfen sich dabei gegenseitig, indem der eine Genosse dem andern den Körper zum möglichst allseitigen und nachhaltigen Belecken in den schier unglaublichsten Stellungen und Drehungen darbot. »Die Verrenkungen waren oft so stark, daß ich (Escherich) mich über die Körperregionen erst genauer orientieren mußte. Die einen hatten den Hinterleib senkrecht in die Höhe erhoben oder seitlich verdreht, die anderen reckten die Unterseite der Brust in die Höhe, wieder andere legten sich auf die Seite und streckten die Beine möglichst nach oben usw.; und wenn die Leckende in ihrem Eifer etwas erlahmte oder eine Stelle übergangen hatte, so schlug die andere mit ihren Beinen heftig auf jene ein und verdrehte sich womöglich noch mehr, um die noch unbeleckte Stelle ihr recht aufdringlich vor die Zunge zu bringen.« Der Beobachter wurde nicht selten gradezu an sich gegenseitig lausende Affen erinnert.

Die Züge selbst aber boten doch wieder zu manchem »Seelischen« sonst Anlaß. Da diese Art tatsächlich oberirdische Schutztunnels verschmähte, in denen der Rückweg sich von selbst ergab, konnte das Wegfinden wieder zum Heim den Blinden (auch die führenden Soldaten waren ja nur blinde Riecher und Taster) gelegentlich Mühe machen. Dazu hatten sie sich nun eine richtige Art Blindenschrift erfunden, indem sie den ganzen Pfad mit kleinen schwarzen Aftertröpfchen besprenkelten, an deren Geruch sie sich zurückorientierten, wie denn Geruch überall eine deutliche Rolle spielte. Nahm man einen Arbeiter ein Stück weit aus dem Strom fort, so irrte er erst probend herum, bis er aus gewisser Entfernung den Zug wieder roch und nun mit erhobenen Fühlern unmittelbar auf ihn losstürzte. Im Zuge selbst orientierte er sich dann ebenso glatt wieder an dem größern oder geringern Widerstand der rückwärts oder vorwärts flutenden Genossen auf die eigene vorher innegehabte Richtung. Bei dem wenigen, was man bisher noch von dem Eigenleben der einzelnen Termiten weiß, sind gerade diese Mitteilungen eines völlig einwandfreien Beobachters von doppeltem Wert.

Wir sind von den Riesenbauten einzelner Termitenarten ausgegangen, und es liegt nahe, daß wir jetzt noch einmal auch zu den Bauten selbst zurückkehren.

Jene ungeheuren Hügel geben doch nur ein besonders sinnfälliges Beispiel der termitischen Bautätigkeit, das aber keineswegs erschöpfend ist.

Wer in eine üppige tropische Landschaft mit ihren Palmenwäldern nach heutigem Brauch schon mit der Bahn hineinfährt, wie es Escherich von Ceylon schildert, den pflegen sie ja zum ersten Zeichen vom Dasein der Termiten unmittelbar an der Strecke zu begrüßen – als Gebilde, die eher wie uralte menschliche Denkmäler ausschauen als Tierwerk des unberührten Urwaldes.

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Termitenbau. Seltsam geformtes Turmnest mit stalaktitenähnlichen Säulen
Phot. Scherl

Inzwischen ist aber die Abwechslung dessen, was die Termite sonst noch so als »Bau« gestaltet, Legion, entsprechend der Verschiedenheit ihrer Arten.

Durchaus nicht immer wohnt sie in solchen Riesenvölkern beisammen; kaum hundert Köpfe braucht ein einfachster Staat zu zählen, und dann errichtet er natürlich keine Matterhörner. Auch diese termitische Kultur hat ihre »Geschichte«, die nicht gleich mit der Großstadt beginnt.

Niedrigste Arten leben nicht nur von Holz, sondern im Holz – in alten Bäumen oder auch Menschenbauten selbst, wo sie wie die Holzkäfer einfache Löcher und Gänge graben. Grade die beiden südeuropäischen Gattungen stehen dieser Lebensart noch nahe.

Aber auch wo eine richtige eigene Burg, eine befestigte und verschlossene Stadt im mittelalterlichen Sinne, hergestellt wird, ergeben sich unendliche Gegensätze: unterirdische, oberirdische Bauten, Bauten in der Ebene, im Walde, in hohlen Bäumen dieses Waldes, auf den Bäumen.

Die Hügel selbst schwanken von 15 cm Höhe bis zu jenen »Gebirgen« von 12 m. Die Farbe dieser großen Hügel geht je nach dem Stoff von hellgelb über Rot zu Schwarz, wobei auch auf noch bewohnten Bauten gern ein üppiger Pflanzenwuchs siedelt.

Die Hügelform als solche aber ist auch nur ein Beispiel dieser Bodenbauten. Der Hügel wird steil, konisch, spitz, nadelhaft, wird mathematisch scharfkantige Pyramide und wieder dicke Kugel oder lappig kaktushaft ausschweifende Unform.

Oder er nimmt als kleines putziges 30– 50-cm-Gebilde selbst die Gestalt von Pilzhüten, Champignonschirmen über kurzem Stiel, an, die weithin den ganzen feuchten Buschwald gnomenhaft bevölkern, manchmal auch zu mehreren Dächern, wie chinesische Pagoden, übereinander gestülpt erscheinen. Nach Schweinfurth sind auch diese Hütchen doch noch so fest, daß man sie »mit dem gewaltigsten Fußtritt nicht umzustürzen vermag« – mindestens so solid wie gebrannte Ziegel und in der Küche als solche glatt verwertbar.

Eine höchst seltsame Eigenart Australiens bilden mehrmeterlange und bis 4 ,m hohe Mauern mit zwei ganz schmalen Schnittecken zu breit fortlaufenden Längswänden, deren eine meist mehr gehöhlt, die andere gewölbt ist. Diese Mauern, die in Nordaustralien oft auch ganze Städte stellen, werden als » Kompaßnester« bezeichnet, da sie stets genau von Nord nach Süd verlaufen, was aber keinen wirklich magnetischen Bezug hat, sondern bloß die beste Lage zu gewissen häufigen Windrichtungen und der Sonnenstrahlung gewähren dürfte. (Man kennt ähnlich meteorologisch ausnutzende Baueinstellungen auch bei Ameisenhaufen unserer Gebirgsmatten.)

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Breites, massiges Termitennest mit einem Turm in der Massaisteppe.
Phot. Dobbertin

Wo aber der flache Boden überhaupt verlassen ist, da sitzt die Termitenfeste als meist kohlschwarzer rundlicher oder ovaler Ballen in den Urwaldbäumen selbst – an den Stamm geklebt oder Aste umfassend (es können als Ersatz auch Balken eines Hauses sein) bildet sie mit ihrer scheinbar wollig gebuckelten Außenseite dann den » Negerkopf«, wie man treffend sagt. Bis 40 ,m hoch über der Erde mag solcher schwarze Wollkopf in den domturmhohen australischen Eukalyptusbäumen schweben.

Als Nebenbauform endlich tritt zu den regelmäßig bewohnten Burgen noch die erwähnte unendlich in allen Tropen verbreitete einfache Laufgalerie, mit der sich auch jene ausströmenden Züge, wenigstens bei vielen Arten, gern wie in oberirdischen Tunnels schützen und die, rasch immer wieder improvisiert, sich wie feines Wurzelwerk schier endlos von den Nestern über den Plan dahin und die steilsten Palmen empor spinnt.

Solcher äußern Vielgestalt entspricht einigermaßen wenigstens auch die innere. Auch hier haben wir eine geschichtlich »gewordene« Kunst.

Was wir oben nach den großen Hügeln der heute höchstentwickelten Arten von dem Mantel- und dem Pilzkammerbau um die königliche Zentralzelle geschildert, entspricht dem » konzentrierten Nest« als oberstem Typ; daneben steht das ältere, in sich nur labyrinthisch regellose und nach außen schlecht abgeschlossene » nicht konzentrierte« im Erdboden, unter Steinen oder im Holze selbst.

Äußerst maßgebend aber ist wieder der Stoff, der verwandt ist.

Man unterscheidet bei ihm reine Erde, Erde und Holz gemischt und eine Art reinen Holzkartons. Die afrikanischen Riesenhügel so gut wie jene lustigen kleinen Pilzhütchen des Zwergenwaldes sind stets in Erde ausgeführt. Seltener liegt auch solcher Erdbau (vielleicht zu Überschwemmungsschutz) selber auf Bäumen, wo er doch klein bleibt, während seine Festigkeit durch Steinchen verstärkt zu werden pflegt. Die gemischten Nester können wirklich ganz aus Holz mit Erdzutat gebaut sein, doch öfter sind sie es so, daß nur den Mantel harte Erde bildet, das Innere dagegen fein in reinem Holz ausgearbeitet ist; so geschieht es bei den australischen Siebenmeterhügeln. Endlich bei den »Negerköpfen« waltet jener reine Holzkarton, der wachsartig biegsam und dünn wie Papier werden kann. Bei den rasch hergestellten Galerien ist Erde wohl meist das nächstliegende.

Bei alledem muß aber jetzt zu diesem »Stoff« als solchem noch ein besonderes Geheimnis treten, das ihn, ob er nun selber Holz oder Erde oder beides sei, erst zum wahren termitischen Baumaterial erschafft. Die Tatsache ist hier wieder so seltsam, daß nicht verlangt werden kann, daß auch sie schon vollkommen geklärt sei. Er ist aber eben sie, auf die mein Wort oben deutete, daß das Bauen der Termiten gleichzeitig einen unverkennbaren Bezug zu ihrer körperlichen Verdauungstätigkeit habe.

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Termitenhügel am Omatakaberg
Phot. Ausw. Amt, Berlin

Wenn man die Termitenbauten auf ihre Haltbarkeit prüft, so haben sie ganz durchweg etwas, das nicht entfernt mit einfach aufeinander gekrümelter Erde oder roher Holzanlagerung vergleichbar ist. Man muß nur an den eisenfesten Mantel solches großen Hügels denken, aber eigentlich gilt es bis zum dünnsten Stückchen eines jener Holzkartons. Die Termite baut gar nicht richtig mit einfacher Erde oder einfachem Holz in kleinerer oder größerer Zerstückelung: sie baut mit beiden in Betonform, die Teile verknüpft mit einem anfangs feuchten, nachher steinharten Zementkitt. Diese Zementeinlage aber erzeugt sie aus ihrem eigenen Körper hinzu, indem sie das Fremdmaterial gleichsam noch einmal auch zu diesem Bauzweck selber » verdaut«.

Erinnern wir uns nochmals an den alten Vergleich mit den »weißen Ameisen«. Auch die echten Ameisen bauen mit Erde und Holz, meist doch unendlich viel loser, vergänglicher als solche Termite. Indessen bisweilen verkitten doch auch sie ihr Holz z. B. etwas durch Zerbeißen unter Zusatz von Saft ihrer Kieferdrüsen. Und ein ähnliches Verfahren hat nun die Termite offenbar wieder zum äußersten gesteigert.

Die besten Beobachter versichern einstimmig, daß ihre Arbeiter, wenn sie auf den Baustellen im Schutze der Soldaten tätig sind, jedes einzelne angeschaffte Teilchen Erde oder Holz vor dem Einfügen noch mit etwas anfeuchten oder übergießen und verkneten, das tatsächlich ihrem Leibe selbst entspringt.

Bald, bei bestimmten Arten wird dieses Etwas wieder aus dem Munde hochgebracht, bald, bei andern, dreht das bauende Tier sich um und gießt vom After darauf. Bald erscheint die Substanz so von vorne als reiner dünner Speichel, zu dem große Behälter hier bis tief in den Leib reichen, bald auch schon als dickere bräunliche Klebmasse aus dem Kropf, während von hinten ein entsprechender brauner Aftertropfen quillt.

Die Gattungen scheinen sich ziemlich streng darin zu sondern, ob sie so rein von vorne oder von hinten zulegen – in beiden Fällen aber spielen jedenfalls Drüsensekrete in der Flüssigkeit mit, dort des Vorder-, hier des Hinterdarms, denen schon verschluckte Holz- oder Erdsubstanz selbst mehr oder minder beigemischt sein mag.

Und erst diese organische Zutat, wenn sie nachher draußen mit antrocknet, gibt den eigentlichen Kitt auch für die äußere Masse – die organische Bindung, die aus der Erde einen künstlichen Betonbau, aus dem Holz einen zähesten, biegsamen Karton macht. Da jene Mund-, Kropf- und Unterdarmdrüsensekrete aber eigentlich Verdauungssäfte sind, bekommt das Ganze zugleich den Charakter einer Art wirklichen Vorverdauung auch des ganzen Baustoffs durch den Termitenkörper. Daß die Verdauung zum Teil außen stattfindet, wäre dabei kein Unterschied, denn z. B. die Spinnen und andere Tiere versetzen ihre Opfer auch äußerlich mit Darmsaft und saugen dann erst ihren so vor dem Munde verdauten Inhalt in sich ein. Das hat die Termite nicht nötig, da sie ja hier nicht verdaut, um sich zu nähren, sondern tatsächlich um zu bauen.

Aber man versteht, daß auch die mineralische Erde dabei zu starken Teilen eine Lebenssubstanz, etwas sozusagen halb Organisches wird, was vielleicht jene Erscheinung erklärt, daß Tiere wie Menschen gern Termitenerde kauen.

Während man zugleich allerdings an einem solchen etwa 12 ,m hohen und 20 ,m in der Grundbreite messenden Bau alle Achtung bekommt vor der unfaßbaren Masse Zusatzerzeugung, die hier der termitische Verdauungsapparat der Einzeltiere noch über die wirkliche Ernährungsrolle in die reine Bauarbeit wirft – vergleichbar einem Kölner Dom oder einer ägyptischen Pyramide, die gleichzeitig aus dem Speichel oder Magensaft ihrer Baumeister mit aufgepappt werden sollten.

Soweit erscheint wieder der ungefähr schon heute gefestigte Sachbestand der Dinge. Darüber hinaus wird dann behauptet, daß bei gewissen Gattungen der Hergang noch gründlicher sei, daß etwa die ganze zu verbauende Erde innerlich einmal vollständig durch den Darm ginge und erst wieder hochgebracht oder hinterwärts ausgeschieden die nötige Mischung zum Bau hätte. Oder daß gar, wie oben von der sozialen Wanderung der Nahrung durch mehrere Teilhaber erzählt ist, noch einmal auch die so ausgeschiedene Bauerde eines Termitendarms von anderer Termite gefressen würde, die sie dann im eigenen Kropf zum zweitenmal durchzementierte, um sie endlich ganz fertig auf die Baustelle zu speien, wie das hier mit der nebenher gehenden wirklichen Nährverdauung vereinbar wäre und wieviel von jenem Exkrementverzehren zweiten Grades eigentlich unter diesen Titel staatlicher Bauordnung fiele, muß einstweilen dahingestellt bleiben – wie dieser ganze weitere Teil, der besonders die afrikanischen Hügelbewohner träfe, überhaupt noch stark problematisch ist.

Jedenfalls sollte man aber auch hier nicht sentimentalem Widerwillen Raum geben, sondern das Wunderwerk einer Organisation anstaunen, die zuletzt allein diese Bauten von relativer Gebirgshöhe und kaum sprengbarer Festigkeit technisch ermöglicht hat.

Wozu dann gleich noch ein zweites, vielleicht noch Bedeutsameres uns in dem » geistigen Plan« entgegentritt, nach dem hier gebaut wird.

Eine kurze Aneinanderreihung wieder von glänzenden Beobachtungen Escherichs hauptsächlich aus seinem großen zweiten Termitenwerk (»Termitenleben auf Ceylon«, Jena, 1911) mag dazu in den Kern der Dinge führen.

Nach einigen Regentagen sah der eigens der Termiten wegen eine Weile auf der herrlichen Insel ansässige Forscher aus den Öffnungen schon länger bestehender unterirdischer Bauten überall kleine Spitzchen und Säulchen als erste Einleitung eines beginnenden oberirdischen Baues heraufwachsen, oft zwanzig und mehr auf ein paar Quadratmetern.

Alle erschienen zunächst streng isoliert. Große Massen von Arbeitern schufteten darum, denen, da die Luft feucht war, das Licht des Tages selbst auch hier keinerlei Beschwerde zu machen schien. Diese isolierten Spitzchen waren offenbar ein erstes Stadium in einem alsbald sich durchsetzenden Gesamtbauplan.

Sie waren anfänglich nicht in sich solid, sondern loses Gerüstwerk, das dann erst ausgefüllt wurde, bis ein kleiner Hut mit Laufschacht über dem Erdloch saß.

Als zweite Station wurden die Hütchen selber durch ebenso planmäßige Erhöhung des Zwischenbodens allmählich miteinander verknüpft, so daß sie jetzt gewissermaßen selbst als Gerüststücke dienten, die zu einer noch umfassenderen Einheitsmasse verschmolzen werden sollten.

Die fertige kompakte Masse als erster größerer Gesamthügel bildete dann die dritte Stufe, worauf das weitere im gleichen Verlauf immer wiederholte, auf dem großen Hügel als Basis abermals neue Spitzchen getrieben wurden, die entsprechend verschmolzen eine neue Auflage ergaben.

Das Wachstum geschah ruckweise, später wohl meist mit Jahrespausen und mehr. Stets aber mußte eine neue Bauperiode in eine starke Wasserperiode fallen, wo der Regen die Luft feucht hielt, die Erde durchtränkte und den durstigen Arbeitern hier den nötigen Speichel zum Zementkitt sicherte.

Wie schon früher erwähnt, ging auch der Weiterbau nicht ins Unendliche, sondern jede Art schien ihre feste Höhen- und Jahresgrenze zu haben, die wohl mit der normalen Lebensdauer der Königin zusammenfiel.

Schon aus diesen einfachsten Grundbeobachtungen ging aber untrüglich hervor, daß jeder Bau von Anfang an sich nach » bestimmten Konstruktionsmethoden«, also planmäßig vollzog. Er war kein loses ameisenhaftes Anhäufen, sondern jedes Spitzchen bildete, wenn es fertig war, seinen zementierten Pfeiler für immer, zugleich aber beherrschte ein ebenso eisern innegehaltener allgemeiner Bauentwurf das Ganze.

Die Erde selbst wurde zunächst aus der unterirdischen Tiefe heraufgeholt, wobei die Spitzchen wie die erste Gesamtkuppel stets innere Laufgänge wahrten. Indem aber später in dem sonst kompakten Hügel erst im engern wieder die größern Kammer- und Gangsysteme gehöhlt wurden, wurde auch hier neue Erde frei, die das Material nun für nächsthöhere Stockwerke lieferte, ohne daß doch die Zufuhr aus dem unterirdischen Bergwerk deshalb ganz nachließ. Bei sehr alten Bauten werden die trennenden Kammerwände schließlich papierartig dünn, während das Ganze zu den berühmten Montblanc-Höhen anwachsen kann.

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Ein Beispiel zur Baumethode der Termiten. In diesem Falle galt es ihnen, zwei Königinnen nachträglich neu einzumauern. Zu dem Zweck bezeichneten Soldaten in gewissen Abständen Plätze zum beginnenden Bau, und dort wurden von den Arbeitern zunächst Erdpfeiler errichtet, die später zu einer Mauer verbunden wurden. (Ausschnitt nach Escherich)

Man hat geglaubt, diese Erdaufarbeitung spiele dabei geologisch eine ähnliche Rolle wie die berühmte ständige bodenbessernde Arbeit der Regenwürmer im Naturhaushalt, doch widerspricht dem, daß die heraufgestülpte Wurmerde, die auch dort den Darm passiert hat, gleich wieder locker, wie sie ist, in den Naturkreislauf als trefflichste Pflanzenerde eingeht, während die Termite zunächst alles oben zu möglichst steinharter Verhärtung treibt. Trotzdem kann man an den bestimmten Pflanzen, die sehr gern immer wieder die außen trockenen Termitenhügel besiedeln, merken, daß die ja halb organische Termitenerde auch für gewisse Vegetation ihren Reiz haben muß.

In dieses grundsätzliche Bild zeichnen dann Escherichs Beobachtungen abermals eine Menge liebevoller Einzelheiten ein.

Schlägt man eine künstliche Bresche in einen Bau, so erfolgt zunächst Anmarsch der Soldaten. Sie stellen sich, Kopf mit den Beißzangen und Tastfühlern nach außen, als die gewohnte Postenkette auf. Dann erscheinen die Arbeiter in immer größeren Massen und völlig zielgerecht sofort zur wieder ausbessernden Arbeit selbst. Entsprechend der grade beschriebenen Art wird feuchte Erde auch hier in Klümpchen mit dem Maul angetragen und brauner Speichel- und Kropfkleber als »Zementwurst« beigemischt, dann die vereinigte Masse aufgesetzt und später neuer Stoff eingeholt.

Die Soldaten bleiben dazu selber passiv oder rücken doch nur noch etwas nachordnend an dem Werk herum. Längstens in einer Stunde kann eine handtellergroße Stelle geschlossen sein. In der Bauart aber vollzieht sich auch hier stets das gleiche: erst Gerüststruktur als Grundriß, später nachfüllendes Schließen der Lücken – zunächst alles sehr naß, später betonfest antrocknend.

Ein noch besseres Bild gab dann eine nicht gewaltsam herausgeforderte Wiederherstellung, sondern ordnungsgemäße Neuarbeit.

Mitten im triefenden Regen entstand ein 10 cm hohes Türmchen, unten schon massiv, oben noch Gerüst. Wie Bäche flossen die Arbeiter aus dem Boden und zurück, kamen diesmal auch mit großen Erdbrocken zur Festzementierung empor. Hier, in ungestörter Ruhe, zeigten sich nur wenig Soldaten. Die Arbeiter suchten manchmal erst ziemlich mühsam ihren alten Fleck wieder, öfter gab ein ansteigender einem leer heimkehrenden seinen Beitrag ab. Andern Tages wurde der nun fast ganz auch im Lückenwerk ausgefüllte Turm nicht nach oben weitergeführt, aber es entstand jetzt ein höchst charakteristisches Putzen des Rohbaues.

Alles wurde aufs genaueste geglättet, jeder falsche Vorsprung abgetragen. »Hunderte von Arbeitern schabten (mit nickender Bewegung des Kopfes) daran herum, teils suchten sie auch tiefer hineinzubeißen, um von der bereits etwas hart gewordenen Erde ein kleines Stückchen loszubeißen. Dazu gehörte aber eine nicht geringe Kraftanstrengung; konnte man doch ganz deutlich sehen, wie sie sich mit den Beinen gegen die Unterlage stemmten. Mit diesen losgerissenen Wandstückchen liefen sie nun nach oben, wo es noch an verschiedenen Stellen zu bauen gab; vor allem an den Löchern und Schlitzen, die mehr und mehr geschlossen wurden, und sodann an einem Riß, der durch allzu schnelles Austrocknen am Rande entstanden war und der nun eiligst ausgebessert wurde ,… Aber nicht nur an der einen besonders hervorragenden Wandpartie wurde so gearbeitet, sondern überall, an allen Ecken und Enden sah man schabende Arbeiter damit beschäftigt, Unebenheiten und Rauhigkeiten zu entfernen. Und so kann es nicht überraschen, daß wieder einen Tag später die Innenwand so gleichmäßig geformt und glatt war, als wäre eine geschickte Menschenhand dabei im Spiele gewesen.«

Hier trat also eigentlich noch eine Stufe hinzu: zu Gerüst und Ausfüllung dieses Glätten.

Die höchste » geistige« Leistung sieht aber der Berichterstatter mit Recht doch immer wieder darin, daß stets gleichzeitig von verschiedenen Punkten aus mit Einzelpfeilern angelegt und dann erst auch tatsächlich vereinheitlicht wird.

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Pilzförmiges Termitennest (Straßburger Museum)

Einmal gab sich ihm hierfür noch ein künstliches Probebeispiel. Zwei Königinnen waren mit zahlreichem Volk in ein künstliches Nest gesetzt worden. Die Arbeiter begannen sofort mit Einmauern. Dabei wurde folgender Weg eingeschlagen. »Ringsherum um die beiden Königinnen bildeten sich in gewissen Abständen Gruppen von Soldaten, welche die Köpfe gegeneinander und zugleich aufwärts gerichtet hielten, ständig mit den Fühlern in der Luft herumpendelnd. Nun kamen Arbeiter, die in den von den Soldaten umstellten Plätzen Pfeiler zu errichten begannen. Erdklümpchen wurde auf Erdklümpchen gehäuft, und so entstanden im ganzen Umkreis in einem gewissen (nicht überall gleichen) Abstand von den Leibern der Königinnen zahlreiche kleine Türmchen, die ungefähr im gleichen Schritt in die Höhe wuchsen. Dann ging man daran, die Pfeiler immer in der Richtung gegen die benachbarten zu verbreitern, bis sie schließlich zusammenstießen. Am nächsten Morgen waren die beiden Königinnen von einem gemeinsamen kontinuierlichen, gleichförmigen Wall umschlossen, welcher vom Boden des Nestes bis zur Decke reichte und nur am Grunde eine Reihe Löcher, Tore zum Ein- und Ausgehen, aufwies. Hier ist ein Zweifel über die Baumethode ausgeschlossen, wer das Bild geschaut, mußte den Eindruck haben, daß die einzelnen Gruppen unabhängig voneinander arbeiteten; denn die Abstände waren relativ groß, und auch die Gruppen von Soldaten und Bauarbeitern schienen sich gar nicht um die Nachbarn zu kümmern. Und dennoch muß ein psychischer Zusammenhang zwischen ihnen vorhanden gewesen sein, sonst würde nie und nimmer als Endresultat ein so einheitlicher Bau entstanden sein. Ins Menschliche übersetzt, würden wir sagen: der Bau ist nach einem vorher berechneten Plan mit einer gut organisierten Beamten- und Arbeiterschaft ausgeführt. Dabei steht ein Kopf an der Spitze, von dem alle Direktiven ausgehen an die Beamten und von da weiter an die Arbeiter. Diesem einen Kopf entspricht der einheitliche Bau. – Wie ist's aber bei den Termiten? Ganz gewiß wird niemand glauben wollen, daß eine besonders talentierte Termite Berechnungen ausgeführt und den Plan entworfen hat? Natürlich alles nur Instinkt, wird man antworten! Doch welch hochkomplizierter Instinktmechanismus gehört dazu, daß die verschiedenen isolierten Gruppen dazu geführt werden, im Einklang miteinander – scheinbar wie auf vorherige Verabredung – mit ihrer Bauarbeit vorzugehen und sich gewissermaßen gegenseitig in die Hände zu arbeiten!«

Escherich bekennt unumwunden, daß es ihm schwer falle, Instinkten allein solche Leistungen zuzuschreiben, wenn er es aus Mangel an einem anderen Auswege doch tue, so sei er sich bewußt, tatsächlich » damit nichts erklärt zu haben«. Er überläßt die Lösung den berufenen Tierseelenkundigen – ich meine aber, daß das Urteil eines solchen besten Kenners doch im höchsten Grade bedeutsam sei.

An anderer Stelle bringt er dann noch eine wichtige Ergänzung zu der letzten Beobachtung nach bei Schilderung eines Galeriebaues.

Die bedeckte Galerie schlängelte sich unter kartonartigem Dächlein über einem Kanal in der Rinde selbst die ganze Riesenlänge eines Kokospalmenstammes herab. Nachdem ein Stückchen Dach entfernt worden war, erschien nach fünf Minuten ein einzelner bei dieser Art angestellter Nasensoldat und kundschaftete. Ihm folgten mehrere, um wieder die geschlossene Postenkette nach außen zu bilden, in deren Schutz dann die Arbeiter zum Ausbessern sich einstellten, diesmal mit hinterwärtser Darmzementierung, an die die Erdklümpchen angedrückt wurden. Auch in solchem Falle wurde aber jetzt von mehreren Beobachtern festgestellt, daß die Soldaten sich nicht auf die Schutzwehr beschränkten, sondern sich auch bei Richtung und Form des Neubaues mitbetätigten, indem sie gewissermaßen » die Absteckung« vornahmen und dabei » selbst als Pfähle« dienten. Man sieht auf neue erst aufzulösende Rätsel: als wenn die Soldaten doch eine Art höherer Baubeamten und Feldmesser spielten.

Ich möchte dazu anfügen, daß das Gehirn der Termite (man versteht darunter bei Insekten die starke Ansammlung von Nervensubstanz oberhalb des Schlundes) wenigstens äußerlich einfacher erscheint als bei der Ameise, die von dieser Termite doch in der Höhe und Vielseitigkeit ihrer Leistungen so gewaltig überflügelt wird. Im engern noch wieder hat grade jener Soldat trotz seiner »gewaltigen Denkerstirn« (wie Wasmann sich einmal ausdrückte) bei ihr anscheinend das mindestentwickelte Gehirn, der Arbeiter das zweitbeste und das beste das Geschlechtstier – auch das abweichend wenigstens von der hergebracht geglaubten Rangordnung bei den meisten Ameisen, wo das Gehirn der Arbeiterin als das erste gilt.

Doch darf man dabei (neben den noch sehr unsicheren Einzelheiten selbst) nicht vergessen, daß die Termite im Stammbaum der Insekten im ganzen eine tiefere, urtümlichere Stelle einnimmt als die schon rein systematisch höhere Ameise. Das mag allgemein auch dem Gehirn einen äußerlich schlichteren Typ geben, während doppelt wunderbar dann die Leistung grade dieses Gehirns wird.

Wasmann hat allerdings behauptet, daß die Termite grundsätzlich auch in dieser Leistung rückständiger sei als geringeres Intelligenz-, dafür aber extremeres Instinkttier gegenüber der Ameise – als völlige Abhängige ihres geheimen Staatsgedankens ohne persönliche Geistesregung. Ich glaube, daß wir noch viel zu wenig vom termitischen Geistesleben wissen, um so entschieden urteilen zu dürfen, abgesehen von jener Unfähigkeit, über das Wesen dieses allmächtig lenkenden Staatsgedankens selbst einstweilen irgend etwas auszusagen.

Von anderer Seite ist auf die Blindheit der meisten Termiten im Arbeiter- und Soldatenstande als auf etwas »Niedriges« und »Jammervolles« hingewiesen worden. Dazu ist noch einmal zu sagen, daß grade die höheren Termitenarten sie erst ganz durchführen. Sie ist also offenbar erst eine erstrebte Errungenschaft der sich steigernden Termitenkultur gewesen, die ihren ganz bestimmten Zweck gehabt haben muß. Bei gewissen systematisch rückständigeren Termitengruppen kommen z. B. noch sehende Soldaten vor, während im weitern dann erst die Augen rudimentär werden, um endlich ganz zu verschwinden. Man wird nicht annehmen, daß der »Staatsgedanke« hier etwas abgeschafft hätte, wenn er nicht so besser fuhr.

Mit dem Begriff des »Jammervollen« sollte man aber überhaupt vorsichtig sein vor solchem Prachtbau, wo jeder Fortschritt unserer Kenntnis neue Wunder der Organisation erschließt.

Die Termite hat sich wirklich nun einmal ihre Welt, ihren Planeten so eingestellt, und bewundernswert über alle Begriffe, wie sie es eben auch so gezwungen hat.

Rein sachlich aber muß Escherichs starkes Wort bestehen bleiben, daß der Staat der Termiten » den Kulminationspunkt des sozialen Tierlebens« darstellt.

Daß in einigen wichtigen Punkten (z. B. der Pilzzucht) die Termite, obwohl von so gänzlich verschiedener Ecke des Insektenstammes kommend, doch fast genau in die gleiche Bahn wie die Ameise eingelenkt hat, gehört für sich wieder zu den größten Merkwürdigkeiten tierischer Entwicklung. Eine gewisse Gleichartigkeit in der umgebenden Tropennatur kann sie unmöglich allein erklären. Es müssen auch da Sonderheiten der innern Führung entgegengekommen sein, die uns noch völlige Unbekannte sind.

Immer aber bewährt sich auch dabei die Termite als die reichere, vielseitigere, allen Sätteln gerechte, wenn es sich dauernd bestätigen sollte, daß die Ameisen erdgeschichtlich erst ungefähr gleichzeitig mit den Termiten selbst in der Tertiärzeit zu ihrer »Kultur« gelangt sind, so hat in dem idealen Wettkampf das urtümlichere Geschlecht das jüngere glänzend noch einmal dabei geschlagen, während beide zugleich sich als wütendste Konkurrenzkämpfer gegenüberstanden.

Zu unserer menschlichen aber ist die termitische Kultur auf jeden Fall eine um Millionen von Jahren ihr schon voraufgehende ältere, die alles, was sie ähnliches besitzt, unabhängig schon längst vorausgenommen hatte.

Gern möchte man wissen, ob angesichts des beständigen schnellen Wachstums dieser menschlichen Kultur auch solche tierische noch eine Zukunft mit neuen Anpassungen und innern Fortschritten haben könnte oder ob sie bereits ewig erstarrt sei.

Es ist gelegentlich behauptet worden, die Termiten gingen in stark kulturell bewegten, sie also lebhafter beunruhigenden Ländern wieder mehr in die Tiefe des Erdbodens zurück, doch könnte das einstweilen ein merkwürdiger, doch trügender Schein sein. Eine gewisse Neigung werden wir ja haben, Welten starker Instinktzüge für unbeweglicher zu halten, als solche mit dem ausgesprochenen selbstbestimmenden Intelligenzzuge unserer eigenen. Aber wieder scheitert auch hier die Einsicht vorläufig an unserer Unkenntnis über die Möglichkeiten und Eigenschaften solches termitischen »Staatsgedankens« selbst.

Ich schließe mit einem kurzen Wort über die Besiedelung der Termitenbauten durch andere Tiere. An sich noch ein sehr reiches Kapitel, das doch hier nur noch gestreift werden kann.

In alten Schlössern läßt die Sage die weiße Frau umgehen. Auch die großen Termitenburgen mit ihren finstern Gängen und Kellern wären wohl geeignet für allerhand Spuk, er hat bei ihnen aber derbere Natur.

So viel Feinde die Termiten persönlich besitzen, so viele, wenn auch zum Teil ungebetene Freunde finden ihre Erd- und Baumbauten selbst. Papageien nisten darin, tropische Eidechsen (Geckos und Tejus) benutzen sie als willkommene Ablegestellen für ihre Eier. Viel allgemeiner und geradezu regelmäßig doch mieten sich, wenn eine Termitenart mit Fleiß und Glück gebaut hat, andere Arten ihres eigenen Stammes darin ungefragt zu Gast. In die großen Hügel schlagen diese fremdtermitischen Eindringlinge selber Gänge und bauen abgeschlossene Kammern ein, manchmal so verwickelt und den echten nahe, daß es im Einzelfall schwer wird, ganz genau zu entscheiden, wer denn noch der tatsächliche Baumeister des Ganzen und wer der nachträgliche Raumpirat sei. Bis zu acht Arten Termiten können so in der gleichen Burg schließlich zusammenhausen, von denen doch nur eine wahres Hausrecht besitzt und auch allein die baulichen Reparaturen übernimmt. Auf Ceylon bildet mit Liebe jene Capritermes-Gattung mit den wunderlichen Soldaten den Fremdgast.

Das persönliche Verhältnis zueinander bleibt dabei aber durchweg feindlich, mindestens abweisend. Mögen sich (mit Ausnahme jener Schwarmzeiten) schon Kolonien der gleichen Art nicht besonders, so gelten andere Termitenarten allgemein als gegnerisch. Es besteht also kein Verkehr auch im gemeinsamen Hause, und nur der meist vorhandene Raumüberschuß in solchem kleinen »Matterhorn« erlaubt ein sozusagen paralleles, sich nicht schneidendes Dasein bei völlig abgeschlossenen Haushalten. Findet doch einmal eine zufällige und meist unfreiwillige Begegnung statt, so bleibt sie unfreundlich, und es bessert auch dieses Verhältnis gewiß nicht, wenn einzelne dieser ungerufenen Gasttermiten gelegentlich auch noch als wirkliche Diebe sich am Besitz der rechtmäßigen Insassen vergreifen. Erst in neuester Zeit scheinen aus Australien Ausnahmen doch auch wirklich » gemischter Kolonien« nachgewiesen, wo aus irgendeinem Vorteil Frieden zwischen der einen Art und einer so hinzugekommenen andern eingetreten ist.

Grundsätzlich weit gefährlicher aber muß erscheinen, daß auch echte Ameisen vielfältig, ja beinah regelmäßig dieses Gewaltrecht des Mitwohnens in noch belebten Termitenfesten beanspruchen.

Es ist erzählt, wie diese wirklichen Ameisen in zahlreichen Arten die denkbar schlimmsten unmittelbaren Verfolger und Angreifer der Termiten sind. Beweglicher und oft stärker als die Termitensoldaten, dabei von Natur kriegerisch und in großer Kopfzahl, veranstalten sie draußen vielfach regelrechte Jagden auf die fetten, wohlschmeckenden Arbeitstermiten, schleppen sie ihren Larven zum Fraß heim, brechen auch in die Nester selber ein und erzeugen dort wütende Schlachten und Gemetzel. Solches eingefuchste Räubervolk als Erbfeind gar zum dauernden Einmieter und Mitnutznießer in der eigenen Burg zu haben, ist für die Erbauer natürlich vollends vom Übel, ohne daß sie es doch in nur zu vielen Fällen hemmen könnten. Mit allen Kräften wird hier nur noch mehr hinter verrammelter Tür gelebt und der Gangnachbar verleugnet – was aber auch nicht vor gelegentlichen bösen Übergriffen schützt. Selbst kleines und schwächliches Ameisenvolk pflegt in solcher Nähe noch erheblichen Diebs- und selbst lebensgefährlichen Räuberschaden zu tun. Und auch hier ist bisher nur ein einziger sicherer Fall (aus Südamerika) bekannt geworden, wo, so unwahrscheinlich es klingt, auch solche Ameisenart in Symbiose (also friedliches Schutzbündnis) mit der betreffenden Termitenart getreten ist. Die starken und mutigen Ameisen ( Camponotus termitarius) verteidigen hier selber im Sinne einer Schutztruppe die wehrlosen Termiten gegen andere böse Ameisenvölker, und gern wird ihnen dafür wohl als Entgelt der gemeinsame Wohnraum geboten.

Die dunklen Mysterien des Termitenbaues aber sind auch damit noch nicht ganz nach dieser Fremdseite erschöpft. Auch in den echten Wohnräumen der wahren Inhaber schmarotzt, stibitzt und lungert noch alles mögliche sonstige Einzelvolk hergebracht herum. Kleine Kurzflügelkäfer huschen unter nicht greifbaren aalglatten Panzerschilden dahin, große seltsam verdickte Laufkäferlarven, immer wieder irgendwie hineingelangt, liegen in nischenartigen Wandverstecken auf der Lauer und greifen sich in der Finsternis vorbeikommende Larven oder Arbeiter zum Mahl. Räuberische Fliegen, Zuckergäste, Spinnen, Würmer treiben ihr Wesen oder meistens besser gesagt Unwesen.

Daneben gibt es aber endlich noch eine gewisse Bruderschaft gleichsam amtlich zugelassener, seit alters eingewöhnter und immer wieder den Termiten selbst angegliederter hochwillkommener Gäste, die man fast selber als Staatsglieder bezeichnen könnte: eben jene Käferchen nämlich, die gefüttert, gepflegt, recht eigentlich verhätschelt werden, weil sie angenehme Kneipstoffe absondern, wie in den Ameisen-, so zählen sie auch in den Termitenstaaten schon rein in der eigenen Artenzahl nach Hunderten. Auch eine Fliege ( Termitoxenia) mischt sich ebenbürtig in ihre Reihen, die an Stelle der Flügel zwei seltsame Henkel führt, an denen sie von ihren termitischen Pflegern wirklich wie ein lebendiges Bierseidel geschleppt wird. Wunderbare besondere termitische Anpassungen machen sich auch in dieser Luxusgesellschaft geltend, die gern in der Königszelle weilt und königliches Futter mitgenießt. Doch könnte das im einzelnen Stoff für ein ganzes eigenes Buch geben und würde besser im Zusammenhang mit den entsprechenden Ameisenverhältnissen abgehandelt, die zum Teil schon genauer erforscht sind. Und es erscheint nur wieder ganz besonders lehrreich, daß auch diese so überaus eigenartige Gastpflege an systematisch himmelweit verschiedenen Insekten abermals bei den beiden großen Rivalen, der Ameise sowohl wie der Termite, sich parallel entwickelt hat – ganz wie auf jenem andern Felde die künstliche Pilzzucht.

Man scheidet von dem Termitenstaat mit einer Stimmung, gemischt aus Bewunderung und immer wieder erwartungsvoller Verwunderung. Unendliche menschliche Forschungsliebe, unendlicher Scharfsinn sind schon an ihn in den 150 Jahren seit Smeathman gewendet worden. Und doch zeigen sich dahinter immer wieder neue Fernsichten und Geheimnisse. Vieles ist noch nicht vollkommen deutlich, leicht können mehr Fragen gestellt werden, als die Wissenschaft einstweilen zu beantworten vermag, aber das erhöht nur den Reiz und wird immer wieder große Forscher heranlocken, die gewillt sind, ein Menschenleben voller Arbeit und Hingabe diesem verschwiegenen Wunder hinter seinen eisenfesten Burgwänden zu widmen. Gerade so erscheinen aber diese Termiten im kleinen nur wie ein Gleichnis der unfaßbar reichen, rätselvollen, immer neu überraschenden Natur im ganzen, nach deren blauen Inseln wir immer wieder ausfahren, um beim Ankerwerfen der Erkenntnis drüben schon wieder gewiß zu sein, daß andere neue im Blau des Horizontes stehen. Dieses ewig belohnte und ewig neu geweckte Suchen ist das wahre und dauernde Glück des Weltfahrers nach der Wahrheit.

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