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Zehntes Kapitel


In dieser Nacht, wie so oft, stand Hartard ruhelos hinter seinem Fenster und wartete. Es war so natürlich, daß er gerade heute keine Ruhe fand.

Heut vor einem Jahr war er heimgekommen, das Herz voll von begeisterter Liebe für den Mann, gegen den er jetzt in den Waffen des Hasses stand.

Mit fast unerhörter Deutlichkeit sah er wieder seinen Vater, wie er ihn damals gesehen: hoch, kraftvoll, jung, schön. Und er erinnerte sich, daß in all die Freude sich ein dumpfes Erstaunen gedrängt – –

Er dachte der Heimfahrt in jener Nacht und wie sein Vater lachend, mit jugendlicher Kraft den Wagen aufgehoben hatte.

Eine peinigende Unruhe befiel ihn. Wie, wenn Löbell sich wieder betrank? Sebald konnte das Prahlen und Auftrumpfen nicht lassen. Die Hörsteler Damen überließen ihm zu großmütig die Bewirtung seiner Kollegen.

Voriges Jahr war der Unfall gut abgelaufen. Er konnte sich wiederholen und schlimm ausgehen. Der Zufall gefällt sich bisweilen in Wiederholungen.

Hartards Unruhe wurde zu bewußter Sorge.

Nahte da nicht ein Wagen heran?

Er riß das Fenster auf. Ja, da kam ein Licht herangeschwankt – so schnell näherte es sich – es war eine Wagenlaterne. Man hörte Räderrollen und den dunklen Ton der aufschlagenden Hufe.

Gottlob! Sein Vater!

Erleichtert und ernüchtert, fast beschämt über seine Ahnungen wollte Hartard das Fenster wieder schließen.

Da sah er, daß der Wagen, der näher kam, mit Schimmeln bespannt war. Die Laterne warf deutlich das Licht auf eine weiße Croupe.

Calatins Schimmel. Und es hielt, dies Gespann?

Zugleich klang ein Ruf.

»Hallo – Hallo ...«

Der Kutscher rief mit hallenden, langgezogenen Tönen.

»Was ist?« rief Hartard hinunter.

»Herr von Fronhofen ist vom Wagen geschleudert. Er liegt bewußtlos.«

Es wurde kalt und still in Hartards Herzen.

Er hatte es gewußt. Das Unglück lauerte auf seinen Vater.

Ganz gefaßt, ohne Zittern, ohne Schmerz gab er alle Anordnungen.

Sein Mund brachte nur die Worte hervor, die er nötig sagen mußte.

Er war blaß zum erschrecken.

Die Leute sahen ihn scheu an. Auch Calatin fühlte sich beklemmt.

Ein Wort der Sorge, ein Ausruf des Grames wären ihm natürlich erschienen.

Aber im unsicheren Licht der Laternen, die, von zitternden Händen getragen, schwankendes Licht über den traurigen Zug gleiten ließen, sah er immer nur das herbe, bleiche, stumme Angesicht des jungen Mannes, der neben der Tragbahre herschritt.

Auf der Tragbahre Albrecht schien leise zu atmen. Als sie ihn aufhoben, kam es ihnen vor, als müsse sein Körper unversehrt sein, nur der linke Arm hing wie ein totes Glied schlaff herab.

Und dann, als sie Albrecht von Fronhofen auf sein Bett gelegt, verließ Calatin das Haus. Er konnte hier, wo man auf den Arzt wartete, nun nicht mehr helfen. Er hatte eine andre Pflicht.

Wenn der Mann einen tödlichen Fall gethan hatte, war keine Zeit zu versäumen, die eine an dies Lager zu rufen, die hierher gehörte.

Calatin ging in die Nacht hinaus.

Und Hartard saß wie ein Bild von Stein neben seines Vaters Lager.

»Er wird sterben,« dachte er, »und ich werde ihm folgen.«

Er wußte es: er hatte nicht das Recht, seinen Vater zu überleben.

Er war seit Monaten nicht der Sohn, er war der Feind dieses Mannes gewesen.

Er konnte nicht an seinem Grab stehen, ohne vor Schuldbewußtsein zu vergehen.

Er durfte das Erbe nicht antreten.

Er war verflucht, weil er keine Liebe und keine Demut gegeben hatte, dem, dem er sie schuldete.

Nur der Tod konnte ihn reinigen. Nur im Tod konnte er wieder der Sohn seines Vaters werden. –

Calatin stand vor Alexandra. Sie selbst und sie allein hatte das Pochen am Portal gehört.

Nach dem festlichen Tag schlief die übermüdete Dienerschaft tiefer als sonst. Auch Frau von Stechow hörte nicht das Klopfen.

Alexandra war nicht furchtsam. Sie ging durch die stillen Zimmer, durch den öden Korridor, das Licht in der Hand treppab, die Schatten vor sich herscheuchend, die zuckend und in schnell veränderten gespenstischen Formen an den Wänden hinauf und entlang huschten.

Sie dachte, daß der Wächter vom Wirtschaftshof herüber gekommen sei, um irgend eine sehr ungewöhnliche Erscheinung zu melden: vielleicht einen Feuerschein in der Nachbarschaft oder eine Erkrankung unter den Leuten.

Sie hatte noch nicht geschlafen, sondern gesessen und einen Brief an die Klingsberg geschrieben, weil ihr doch keine Ruhe kommen wollte, ehe sie sich ausgesprochen.

Und als sie fragend rief: »Wer ist da?« klang es zurück: »Calatin!«

Da erst erschrack sie und erblaßte. Ihre zitternden Finger hatten kaum die Kraft, den Schlüssel umzudrehen, der von innen stak.

Mit entsetzten Augen sah sie den Mann an, der übernächtig und fröstelnd vor ihr stand.

Ihre Blicke bohrten sich ineinander.

»Möchte sie doch erraten ...« dachte er. Eine Sekunde lang überfiel ihn Verlegenheit. »Mein Himmel,« dachte er, »wenn nun all dies Gerede und Geflüster doch gelogen hat – wenn es sie nicht mehr angeht als mich ...«

»Sie, Calatin – Sie ...« stammelte sie. Und sogleich mit fester Stimme rief sie: »Ein Unglück ist geschehen.«

»Es scheint so,« sagte er.

»Wer? Wann? Was?« herrschte sie ihn an und umgriff mit kalten Fingern seine Rechte.

»Albrecht ...«

Sie fuhr zurück. Es schien, als würde sie fallen. Er sprang herzu und umfaßte sie.

Das Licht entfiel ihrer Hand und erlosch am Boden.

Sie standen im Dunkeln.

Alexandra, das Haupt an Calatins Schulter, atmete schwer.

Ihm war sehr elend ums Herz.

»Beruhigen Sie sich,« flehte er. »Vielleicht ist keine Gefahr. Er stürzte und lag ohne Besinnung. Der Kutscher war betrunken. Wir brachten ihn nach Rethen. Ein Knecht ist schon zu Pferde nach Trebbin und holt zwei Ärzte. Ich kam hierher – ich dachte – – ich meinte – –«

Alexandra richtete sich auf.

Sie dachte nicht daran, etwas zu verbergen. »Ich danke Ihnen,« sprach sie tonlos.

Dann kam es wie ein Schluchzen aus ihrer Brust.

»Albrecht!« stöhnte sie leise, »Albrecht!«

Er stand ratlos.

»Nein,« rief sie fiebernd, »nein, so grausam kann das Schicksal nicht sein – mir ihn nehmen – jetzt – jetzt – –«

All ihre Entschlossenheit kam zurück.

»Laufen Sie, Calatin – wecken Sie Sebald – oder sind Sie im Wagen hier?«

»Ich mußte zu Fuß kommen – mein Schimmel ward von den Hufen des gefallenen Handpferdes verletzt und konnte eben noch nach Rethen rasen.«

»Gut. Sebald soll anspannen. Sofort. Ich komme auf den Hof hinüber.«

Calatin trat wieder in die Nacht hinaus. Alexandra tastete sich zur Treppe zurück und hinauf, bis der aus ihrem Zimmer quellende Lichtschein ihr den Weg erleichterte. In wenigen Minuten war sie bereit und stand dann wartend neben Calatin auf dem Hof, wo der schlaftrunkene Sebald den kleinen Wagen bespannte.

Sie fuhren zusammen davon.

Calatin war es sonderbar ums Herz. Einst hatte er davon geträumt, mit dieser Frau stolz durch die Lande zu fahren und aller Welt sein schönes Glück zu zeigen. Nun führte er sie durch die Nacht an das Lager, vielleicht an das Sterbebett des Nebenbuhlers.

Er sah nichts von ihren Zügen. Aber er sah ihre Haltung.

Es war die einer von Sorge Vernichteten.

»Nicht wahr,« sprach sie einmal leise, in einer zutraulichen, schmerzlichen Art, die Calatin nie an ihr gesehen, die er nie bei ihr für möglich gehalten hatte, »es wäre zu hart. Jetzt – jetzt!«

Er verstand, was dies »jetzt« sagen sollte. Jetzt – wo uns endlich die Gewißheit nahe zu sein schien, daß wir uns dennoch gehören durften.

»Albrecht wird nicht sterben. Bis auf den linken Arm, der aber offenbar nicht gebrochen, sondern nur ausgerenkt war, schien er unverletzt,« versicherte Calatin.

»Er kann innere Verletzungen haben,« sprach sie mutlos.

Plötzlich ergriff sie seine Hand.

»Ich danke Ihnen – ich danke Ihnen ...« murmelte sie. »Er hätte sterben – leiden können – und ich hätte es nicht gewußt ...«

Sie brach in Thränen aus. Dann schwiegen sie.

Calatin dachte über diese Liebe nach. Also doch – doch – –

Ob Christine davon gewußt hatte? Ob sie sich jemals Hoffnung gemacht, zu einander zu kommen?

Warum hatte er sich nicht scheiden lassen? Die Leute würden ein bißchen geredet haben, aber im Grunde hätte es ihm wohl niemand verdacht?

Wie hatte eine Frau von Alexandras Rasse es nur über sich vermocht, so endlose Jahre entsagend zu warten? Er traute ihr mehr Leidenschaft als Geduld zu. Und sie hatte geduldig zu einem Manne gehalten, der nicht einmal ihretwegen eine Scheinehe zu lösen die Courage gehabt?

Calatin schloß damit, seine eigne Wärme und seine Wünsche als Gefühlsäußerung hoch über Albrechts Lieben zu stellen.

»Arme Alexandra,« dachte er, »aber die Frauen wissen ja selten, wo ihr Glück zu finden ist. Es ist manchmal, als gingen sie ihm mit Gewalt aus dem Weg.«

Die Lichter von Rethen tauchten auf. »Wie langsam fährt Sebald!« klagte Alexandra.

»Da sind wir ja schon,« sagte Calatin. »Und da steht ein Wagen. Vermutlich die Ärzte. Ich werde erst nach meinen Pferden sehen. Ich höre dann von den Ärzten, wie es geht.«

Er half ihr vom Wagen.

Sie drückte ihm, halb mechanisch, noch einmal die Hand. Sie fühlte wohl, er wollte sie allein eintreten lassen.

Aus den Fenstern der Halle brach ein mattes Licht, das sich manchmal verdunkelte von der Gestalt eines drinnen hin und wieder Schreitenden.

Es war Hartard.

Die Ärzte hatten den Sohn hinausgeschickt. Und Hartard ging ruhelos auf und ab.

Vor seiner Erinnerung stand das große, dunkle Auge seines Vaters.

Es hatte sich mit träumerischem, halbbewußtem Ausdruck einmal zu ihm aufgeschlagen und sich dann langsam wieder mit müdem Blinzeln geschlossen.

Und in seinem Ohr lag der Nachhall des leise stöhnenden Lautes, mit dem der Ohnmächtige die Berührung der Ärzte beantwortet hatte.

So ging er hin und her, von fieberischer Spannung gefoltert, finster und herrisch, sich gegen jedes Wort, jede Frage, jede Erregung wappnend. Von der Welt und ihrer Teilnahme schon gleichsam geschieden, durch einen kalten, eisernen Entschluß.

Da bewegte sich der Klopfer der Eingangsthür, von draußen stieß jemand gegen die schwere Füllung. Die Thür ging auf.

Hartard fuhr zurück und stand dann atemlos.

Alles in ihm sammelte sich und spannte sich an, wie bei einem gereizten Raubtier, ehe es zum Sprunge ausholt.

Er war blaß bis in die Lippen. Seine Augen funkelten.

Die da über die Schwelle trat, hastig und bleich, mit angstverzerrten Zügen, das war sie – sie!

Die eine, die er hier nicht sehen wollte und nicht dulden konnte.

Woher kam sie durch die Nacht? Woher wußte sie? Wer rief sie?

»Hartard,« rief sie mit einer Stimme, die rauh und klanglos war vor Erregung, »Hartard – was ist geschehen? Lebt er? Ist Gefahr?«

Sie war auf ihn zugekommen mit eilenden Schritten und hob die gefalteten Hände zu ihm empor.

Er atmete schwer und laut. Die Spannung zerbrach. Der blinde Jähzorn quoll heraus.

»Sie – Sie!« sprach er bebend. »Sie!? Was wollen Sie hier? Was geht mein Vater Sie an?«

»Hartard!« schrie sie auf. »Was soll das! Ich will zu ihm ...«

Sie hob schon den Fuß. Ein eiserner Handgriff hielt sie fest.

»Ich verbiete es!« sagte er hart.

Sie riß sich los. Hoch aufgerichtet, mit flammenden Augen stand sie vor ihm.

»Niemand kann es mir verbieten. Ich will zu meinem künftigen Gatten.«

Hartard packte ihre Hand zum zweitenmal. Besinnungslos, die zornfunkelnden Augen auf sie geheftet, gesättigt, endlich gesättigt von dem Gefühl, sich rächen zu können für alles, was er gelitten, für alles, auf das er verzichtet, sprach er heiser ihr ins Gesicht: »Meiner Mutter hast du seine Liebe gestohlen. Mir hast du seine Liebe gestohlen. Das Schicksal hat ihn und dich gerichtet! Seine letzten Augenblicke sollst du mir nicht stehlen. Sterben – sterben – soll er nicht in deinen Armen.«

Mit entsetzten Augen stierte sie ihn an. Ihr erschien er wie ein Wahnsinniger.

Sie stieß ihn zurück. Sie würdigte ihn keines Wortes.

Sie raffte sich auf, sie faßte sich gewaltsam, damit ihre zitternden Kniee sie trugen, und ging auf Albrechts Thür zu.

Mit einem Sprung war Hartard ihr voran und stellte sich mit schützend ausgebreiteten Armen vor diese Thür.

»Nie!« schrie er. »Nie!«

Sie standen einander so gegenüber und maßen sich mit funkelnden Augen.

Die Sekunden rannen.

Von drinnen hörte man die redenden Stimmen der Ärzte.

Auf dem Tisch, vorn zwischen Thür und Fenster, brannte still die Lampe weiter in ihrem friedlichen kleinen Lichtkreis.

Draußen schlug ein Hund an.

»Nie, nie!«

Obgleich sein Mund nun verschlossen blieb, sprühten ihr seine haßerfüllten Augen tausendfach dies Wort entgegen.

»Nie – nie!«

Aus Alexandras Angesicht wich langsam das flammende Rot des Zornes, der um sein Recht kämpfte.

Eine große Mattigkeit fiel lähmend über ihr ganzes Wesen.

Es war, als verlöschten ihre Kraft und ihr Zorn.

Sie fürchtete hinzusinken.

Aber der Stolz und das Bewußtsein ihrer heiligen und gerechten Sache gaben ihr eine letzte Stärke.

Sie trat zurück.

»Möchtest du diesen Augenblick niemals bereuen!« sagte sie tonlos.

»Ich weiß ihn vor meinem Gewissen zu verantworten,« sprach er hochfahrend.

»Und wenn er mich ruft, wirst du ihm sagen, daß du mich von dieser Schwelle wiesest?« fuhr sie fort.

»Er wird nicht rufen ...«

Sie zog, wie jemand, den es sehr friert, ihren Mantel um sich zusammen.

Mit müden Schritten ging sie davon – langsam, ganz langsam.

Und plötzlich überfiel es Hartard wie ein ungeheurer Schreck.

Das Weib, das sich leise hinaus schlich, hatte er, er, ein Mann, unritterlich behandelt, grausam, unbarmherzig.

Sie liebte seinen Vater, sie litt um ihn. Er hätte Nachsicht üben müssen jetzt – in dieser furchtbaren Stunde war nicht die Zeit zu richten.

»Alexandra,« rief er, »Alexandra –«

Sie wandte sich um.

Sie sah ihn mitten in der Halle stehen, blaß, zitternde Hände nach ihr ausgestreckt.

»Willst du nicht ... wollen Sie nicht ... hier warten ... bis die Ärzte ... was sie sagen ...«

Er stockte.

Es schien ihm, als wüchse sie vor seinen Augen, als fielen von ihrem Gesicht die Todesangst und aller Schmerz ab, als richte sie sich in ihrer königlichen Hoheit auf und sähe ihn an mit stolzen, abweisenden Blicken.

»Nein!« sagte sie kalt.

Da begriff er es ... sie, die sich als künftige Herrin dieses Hauses fühlte, sie, die dem Mann, der drinnen lag und litt und vielleicht starb, auf Tod und Leben ergeben gewesen, sie wollte lieber starr von hinnen gehen, als im Vorzimmer warten gleich einer Fremden.

Und weiter begriff er, daß sie noch an dem Grabe seines Vaters ihr Recht auf ihn mit ihrem Gram verkünden werde!

Er konnte gegen sie und ihre Liebe ankämpfen – besiegen würde er sie nie.

Und sie, die er fortgewiesen gleich einer Verbrecherin, sie schritt als Siegerin über die Schwelle.

Mit entsetzten Augen sah er ihr nach. Er erschrak vor dem dumpfen Ton der zufallenden Thür.

Wieder lief er auf und ab. Brennende Neugier verzehrte ihn.

Fuhr sie davon? Er hörte keinen Wagen. Aber in seinem Ohr sauste und brauste es von tausend Geräuschen. Er konnte nicht mehr unterscheiden, ob es das wallende Blut in seinem Hirn war oder ein Lärmen in der Außenwelt.

Wartete sie draußen auf die Ärzte?

War es denkbar, daß sie, in Liebe und Sorge vergehend, einfach davonfuhr, ohne zu wissen, ob sie einen Lebenden oder Sterbenden hinter sich ließ?

Hartard wollte keine Reue an sich heranlassen, obschon aus allen Winkeln seiner Seele leise Stimmen erschollen und ihn fragten: »Was hast du gethan!«

Aber sein Trotz bäumte sich auf: »Warum kam sie hierher! Das war ich meiner Mutter schuldig!«

Er warf sich in einen Stuhl und bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen. Er wollte an seine Mutter denken, sich ihr Gesicht ganz lebensvoll klar vorstellen.

Und er sah es vor sich. In seinen blassen lichten Farben erschien ihm das zarte Angesicht. Es hatte, wie fast immer im Leben, das Licht des Friedens auf der Stirn. Ein Lächeln ging über die reinen Züge, und die Lippen öffneten sich zu zärtlichen Worten.

Hartard lauschte mit allen Sinnen in die Vergangenheit zurück. Ihm war, als vernähme er die zärtlichen Worte. Wie von Geisterhauch getragen klangen sie ganz deutlich in sein Ohr: »Ich danke dir – liebe Alexandra.«

Hartard sprang auf. Schweiß stand auf seiner Stirn. Ihm war, als müsse er verzweifeln.

Da öffnete sich die Thür.

Mit unbefangenem, geräuschvollem Wesen traten die beiden Ärzte heraus.

So kommt man nicht aus dem Zimmer eines Sterbenden.

Hartard sah ihnen entgegen. Er konnte sich nicht rühren. Er stand wie jemand, der einen lebenentscheidenden Urteilsspruch erwartet.

Doktor Herding, der hagere Pedant, und Doktor Lisser, der flinke, wichtige Hausarzt und Freund, nickten ihm beide mit derselben Miene zu. Nur daß sie bei Lisser strahlend und bei Herding gerade eben beruhigend wirkte.

»Den Arm hätten wir 'rein und fest bandagiert,« sprach Lisser, der sich hier der Nächste zum Reden fühlte. »Es sind auch weder innere Verletzungen noch eine Gehirnerschütterung vorhanden. Sonst wäre längst Erbrechen eingetreten. Von Bewußtlosigkeit keine Rede mehr. Er gibt verständige Antwort. Aber matt ist er – sehr matt. Also Ruhe. Ein paar Tage noch. Wissen Sie – wenn so ein großer Mensch so einen Fall thut – da gibt allein schon die Dröhnung einen Nervenchoc. Er soll sich zurecht schlafen. Vormittag komme ich wieder. Sollte aber dennoch wider Erwarten Erbrechen eintreten, geben Sie ihm ein, was wir verschrieben haben. Es reitet wohl jemand gleich mit hinein.«

»Ja,« sagte Hartard beinah lallend, »ja – ich will's beordern.«

Mit tappenden Schritten ging er durch das Eßzimmer in die Wirtschaftsräume.

Hinter ihm sahen sich die beiden Ärzte betroffen an.

»Hören Sie mal – das sah nicht aus wie Freude,« flüsterte Herding.

Lisser war sehr verlegen. Gewiß, das sah nicht aus wie Freude. Aber er sagte beschwichtigend:

»Wo denken Sie hin! Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn ist rührend.«

»Wer kann in Menschen 'rein gucken! Vielleicht dachte er schon seit 'ner Stunde, er werde nun der Herr! Sie stehen sich doch 'n bißchen im Weg, Vater und Sohn, heißt es allgemein.«

»Ach Unsinn ...« sprach Lisser. »Ich kenn' das hier genau – Menschen und Zustände. Alles schönste Harmonie.«

Hartard kam zurück.

»Baum reitet mit in die Stadt zur Apotheke,« sagte er.

»Also schön! – Und Sie wachen? oder Dora – es wäre doch besser ...«

»Ich wache den Rest der Nacht,« sagte Hartard eintönig.

Lisser sah nach der Uhr.

»Wir haben auch schon halb vier durch. Also: gute Nacht.«

»Ich danke Ihnen, meine Herren.«

Hartard begleitete sie nicht bis zur Thür. Er wagte es nicht. Draußen konnte Alexandra sein.

Ihm war, als würde er das nicht ertragen – sie schwarz und schweigend in der Nacht dastehen zu sehen ...

Er ging zu seinem Vater.

Das Lager stand im Schatten. Rückwärts vom Bett auf einem Tischchen brannte die Lampe und brach ihre Strahlen an der hohen Kopfwand des Bettes.

Albrecht rührte sich nicht.

Auf der Chaiselongue gegenüber saß Hartard hockend und stierte zu dem stillen, blassen Mann hinüber.

Ihm war jämmerlich zu Mut. Von hohem Flug zu pathetischen Höhen des Schmerzes, des Grames, des Hasses war er jäh hinabgefallen in das Plattland der Wirklichkeit.

Er hatte in dem Grauen des Endes, in der Fürchterlichkeit des Selbstmordes gelebt. Nun stand nicht der Tod, sondern das Leben vor ihm.

Anstatt eines schicksalsschweren Unglücks, das alles mitriß ins Verderben, hatte sich bloß ein aufregender Unfall begeben.

Anstatt einer Schmerzensewigkeit war eine alltägliche Begebenheit eingetreten, die ein Unbefangener in acht Tagen hätte vergessen können.

Er kam sich lächerlich vor!

Daß es nicht auf den Gehalt der Ereignisse selbst ankommt, sondern darauf, wie wir sie ansehen und wie sie auf uns wirken, das sagte er sich nicht.

Ihm war, als habe er sich zu schämen, weil sein Vater sich nicht in der Lebensgefahr befand, in welcher seine erregten Sinne ihn gesehen.

Daß die Täuschung, die uns foltert, ebenso foltert, als sei sie Wahrheit, gestand er sich nicht mildernd zu. Er meinte, er müsse sich bitter verlachen, weil er in Stunden der Angst nicht nüchtern maßvoll geblieben war.

Seine Empfindungen steigerten sich beinahe zu dem Wunsch, daß dennoch eine Gefahr bestehen möge.

Er brauchte vor sich selbst die Rechtfertigung einer ernsten Thatsache.

Er konnte aus dem Wirrsal seiner durcheinander jagenden Gedanken keinen Ausweg finden.

Er wußte nur noch, daß er ganz elend war.

Seine Augen hingen mit gieriger Wachsamkeit an der lang hingestreckten Gestalt.

Er erhob sich. Er schlich an das Lager. Hatten die Ärzte nicht gelogen?

Seinem Laienauge war der Anblick seines Vaters erschreckend.

Fahle Wangen – dunkle Schatten – ein schwerer, tiefer Schlaf – –

Hartard horchte und sah – und sah.

Er fand seinen Vater sehr elend. War er dennoch in Gefahr?

Sein Herz klopfte in rasender Schnelle. Todesangst umkrallte ihn – die angeborene, instinktive Angst, daß sein Vater sterben könne, in die sich ein verzweifelter Schmerz mischte. Und daneben ein geheimer Wunsch, er möge sterben, damit alles zu Ende sei – auch sein eignes Dasein.

Die Stille der Nacht umfing alles und schien gespenstisch durch die Räume zu wirken.

Die Lampe stand da wie in lichtvollem Behagen, und ein ganz besonders blinkender Reflex strahlte von einem Silberlöffel wieder, der hart an der Tischkante lag.

Wenn sich nur irgend etwas im Hause gerührt hätte, um Hartard von dem Gefühl fürchterlicher Einsamkeit zu erlösen.

Aber es rührte sich nichts.

Der Morgen ward draußen grauer und lichter.

Endlich kämpfte eine häßliche Doppelbeleuchtung im Gemach darum, alle Gegenstände klar und unschön erkenntlich zu machen.

Hartard löschte die Lampe aus und zog die Rouleaux auf.

Ein Herbstmorgen hob sich eben aus seinem überreichen, nassen Taubad mit silberigem Farbenzauber und träumerischer Langsamkeit.

Hartard öffnete die Fenster. Er wußte, daß sein Vater frische Luft über alles liebte. Ihm selbst that der kraftvolle Atem der Natur sehr wohl.

Als er sich dem Bett wieder zuwandte, erschrak er.

Seines Vaters Augen waren auf ihn gerichtet.

»Papa!« rief er mit einem Jubelschrei.

Vor dem klaren, lebhaften Blick des Lebenden zerrannen alle dämonischen Grübeleien. Das Einfache, das Unzerstörbare: die Liebe triumphierte.

Albrecht lächelte ein wenig und sah den neben seinem Bett Knieenden an.

»Der verfluchte Löbell,« sagte Albrecht. Er reckte sich und machte dabei eine Miene des schmerzhaften Schreckens.

»Es ist nicht zu glauben – alle Glieder thun mir weh.«

»Du sollst dich ganz ruhig halten, Papa,« mahnte Hartard.

»Ich habe dir wohl Sorgen gemacht, mein alter Junge – – na, das hätte schlimmer werden können. Und Kopfweh hab ich – – ich! Kopfweh! Das gibt's doch gar nicht.«

»Die Erschütterung, Papa – das kann noch ein paar Tage dauern.«

Albrecht sah ärgerlich an seinem einbandagierten Arm herab.

»Und nun so was! War der Arm einmal aus dem Gelenk, kann man sich's alle Augenblick wieder versehen. Nein – jetzt ist die Geduld aus. Löbell wird entlassen.«

Er bewegte sich. Hartard half ihm zu einer andern Lage.

Er fand, daß sein Vater doch recht bleich und abgespannt aussah.

»Du sollst dich zurecht schlafen, Papa. Ich werde dir nun Thee holen und dann mit Baum versuchen, dich frisch zu betten. Und nicht wahr – dann schläfst du ...«

Albrecht hatte schwere Kopfschmerzen, und es war ihm bei jeder Bewegung, als wollten ihm die Knochen zerbrechen wie Glas. Doch war er schon erholt genug, dies voll Ungeduld und Ärger zu empfinden.

»Na ja – und dann ...«

Er zögerte.

Helles Rot flog über sein Gesicht, als er fortfuhr: »Dann sei so gut und gib Nachricht nach Hörstel. Schreib aber gleich, oder laß gleich sagen: es sei nicht schlimm.«

Ein paar Herzschläge lang war Totenstille.

»Ja,« sagte Hartard heiser.

Dann, als sein Vater sichtlich erfrischt sich zu einem abermaligen Schlaf hatte betten lassen, dann lief er draußen umher.

Er hatte »ja« gesagt.

Was konnte er dem noch der Schonung Bedürftigen anders sagen!

Aber ihr schreiben – nein, das konnte er nicht – das wollte er nicht.

Der Tod war nicht gekommen, den gordischen Knoten zu zerhauen. So mußte das Leben denn weiter gehen, wie es wollte.

Er schrieb einen Brief an Kleopha, worin er sein Herz ausschüttete. Und ihm war, als hinge sein Heil daran, daß sie den Brief noch diesen Abend bekäme. Er jagte mit ihm im rasenden Galopp zum Städtchen und steckte sein Schreiben am Bahnhofe in den Briefkasten.

Weil er sich ausgesprochen hatte und ihm leichter war, schien ihm auf einmal auch alles geglätteter.

Allein schon um Mittag ward er inne, daß dies ein wohlthätiger Selbstbetrug sei.

Als Hartard zum dritten- oder viertenmal hereinschlich, nach dem Schlummernden zu sehen, wachte dieser auf. Man sah es: das Auge war heller, die Farben schon belebter.

»Ist Alexandra da?« fragte er gleich.

»Nein,« antwortete Hartard und sah fort.

»Ich begreife nicht ...« murmelte Albrecht.

Sie hatte gehört, daß ihm ein Unfall zugestoßen war, und sie kam nicht, ihn durch ihre Gegenwart zu beglücken? Das konnte doch nur sein, wenn sie selbst krank war.

»Du mußt noch einmal hinüberreiten lassen und fragen lassen, ob Alexandra etwas fehlt,« sagte er.

Daß er und sein Sohn seit dreiviertel Jahren diesen Namen nie mehr zwischen sich ausgesprochen hatten, schien ihm entfallen zu sein.

Oder wollte er nicht daran denken? Wollte er aus dem Unfall die Gelegenheit machen, dem Sohn die künftige Stiefmutter vorzustellen?

Hartard schwieg.

»Hast du gehört?« fragte Albrecht mit etwas gehobener Stimme.

»Ja,« sagte er tonlos.

Der Nachmittag kam. Calatin sprach vor, und im Dank für die geleistete Hilfe und in der Anteilnahme erneuerte man die gute Kameradschaft, die seit Knabentagen schon in Rivalität erstickt gewesen war. Zwota kam und mußte stürmischen Fragen nach Alexandra standhalten. Er spielte den Diplomaten.

Aber sein Auge richtete sich so seltsam ernst auf Hartard, daß diesem immer übler zu Sinn wurde.

Gegen Abend hielt Albrecht es nicht mehr aus.

»Bringe mir Papier, ich will ein paar Bleistiftzeilen schreiben,« sagte er.

Er hatte nicht mehr gefragt, welchen Bescheid Baum von dem zweiten Ritt nach Hörstel heimgebracht.

Seine Stirn war finster.

Und Hartard wartete auf die Frage. Er wußte, dann müßte er sagen, daß Baum weder ein- noch zweimal nach Hörstel geritten sei.

Mit unsicheren Händen breitete er auf der Bettdecke vor seinem Vater Briefpapier aus.

»Kann ich dir das nicht abnehmen?« fragte er.

»Ich bin feige,« dachte er, »aber Zeit – nur Zeit gewinnen.«

»Nein,« sprach Albrecht finster.

Albrecht schrieb mit etwas unsicherer Hand einige Zeilen und schloß sie sofort in ein Couvert.

»Frau Löbell soll kommen.«

»Papa!« sagte Hartard mit roter Stirn.

»Frau Löbell!« befahl er scharf.

In Thränen zerflossen erschien die Kutschersfrau.

Jammernd erbat sie die Verzeihung des gnädigen Herrn.

»Nun,« sagte Albrecht milde, »von Kutscherspielen kann nie mehr die Rede sein. Ich werde sehen, ob wir ihn sonstwie brauchen können. Heulen Sie nicht. Hier – diesen Brief tragen Sie zur Hörstler Baronin. Sie geben ihn ihr selbst und nehmen selbst die Antwort und bringen Sie mir selbst!«

Dies dreifache »selbst« kam Hartard vor wie ein schneidender Vorwurf.

Es lag darin: mein Sohn belügt und betrügt mich.

Frau Löbell trollte davon.

»Ihr Mann kann Sie hin und her fahren – das geht doch schneller,« rief Albrecht ihr nach.

Nun herrschte schwüles Schweigen zwischen Vater und Sohn.

Und wenn Albrecht etwas forderte: eine frische Kompresse für sein Haupt, einen Trunk Wasser, eine Auskunft über die Wirtschaft, klang es dem Sohn wie Mißtrauen, Feindseligkeit aus der Stimme.

Mit nervösem Ohr horchte Hartard auf die Rückkehr der Löbell.

Wenn sein Vater sich rührte, wenn in der Halle Doras Schritt erklang, wenn die Flamme hinter'm Lampenglase einmal zuckte, erschrak er fiebernd.

Und endlich kam die Frau.

Breit und wichtig erschien sie in der Thür, ein weißes Briefchen in der Hand.

Hartard stürzte ihr entgegen und entriß ihr den Brief.

Er schob sie zur Thür hinaus und schloß hinter ihr zu.

Besinnungslos vor Aufregung fiel er dann neben dem Bett seines Vaters in die Kniee und sprach mit keuchendem Atem: »Vater – nicht wahr – du hast mich lieb – lieber als alle andern Menschen ...«

Albrecht sah erschreckt auf den Sohn.

»Lies den Brief nicht. Laß ihn mir. Was kann dir diese Frau sein? Siehst du – ich, dein Sohn – deines Weibes Sohn – ich bin dein Leben. Wir wollen uns lieben wieder wie einst.«

»Bist du toll!« rief er.

Hartard stand auf. Kälter, gefaßter sprach er: »Wenn du den Sohn nicht hören willst, muß der Mann zu dir sprechen. Ich muß den Mut haben zu sagen und zu vertreten, was ich gethan habe.«

Albrecht hörte ihn kaum. Er hatte den Briefumschlag zerrissen und überflog die Zeilen. Ein Leuchten zärtlicher Freude ging über sein Gesicht. Hartard war blind dafür – alles in ihm bebte vor Erregung über das, was er nun bekennen mußte. Als Mann durfte er sich nicht anklagen lassen – er wollte ihrer Anklage zuvorkommen.

»Alexandra war in dieser Nacht schon hier,« sagte er.

»Hier ... hier?« stammelte Albrecht.

»Und ich wies sie fort!«

»Wiesest sie fort?« schrie er, »sie! Weißt du wen?«

Hartard stand das Herz still vor Schreck. Seines Vaters Angesicht ward dunkel, auf der Stirn schwollen ihm Adern, sein Atem keuchte.

»Sie sagte es. Deine künftige Gattin! Aber ich will es nicht glauben, daß du Mama belogen hast und betrogen – –«

»Du ... du ...« das Wort der Wut, des tödlichen Schimpfes kam nicht von Albrechts Lippen.

Sein Auge war starr, seine Lippen waren blau, der Zorn würgte ihn.

Sein Körper war noch zu schwach, die ungeheure Wucht dieses Zornes zu tragen. Sein Haupt sank zurück.

Es schien, als werde er bewußtlos. Hartard schrie auf.

Sekundenlang stand er ratlos, selbst nicht Herr seiner Sinne.

Dann suchte er dem Vater beizustehen, ihn zur Besinnung zurückzurufen.

Albrecht lag still.

Nur an seinen Atemzügen und an einer leisen Bewegung, die alle Hilfe abzulehnen schien, merkte Hartard, daß er bei Bewußtsein sein müsse.

Kauernd blieb er neben dem Bett und wartete und horchte.

Zu seinen Füßen auf den Haaren des Felles lag der Brief, ein offenes Blatt, mit den Schriftzügen ihm zugewandt.

Er sah immer darauf hin. Eine übermenschliche Begier zog sein Haupt tiefer und tiefer.

Er stemmte die Fäuste auf den Erdboden und neigte die Stirn.

Das Briefblatt lag gerade in einem Lichtstreifen, den die Lampe herstrahlte, und beschien hell Alexandras große, schöne Schrift.

So las er, was da stand.

 

»Mein lieber, armer Albrecht! Von Deinem Unfall habe ich gehört und auch durch Calatin, Zwota und die Ärzte erfahren, daß keinerlei Gefahr vorliegt. Wie unglücklich ich bin, nicht zu Dir kommen zu können! Aus offenbarer Sympathie mit Dir habe ich mir gestern abend, kaum daß Du fort warst, den Fuß verstaucht und muß acht Tage liegen. Ich höre, daß Du vielleicht schon übermorgen ausfahren darfst. Dann komme zu mir, um mir zu verzeihen, daß ich Dich jetzt gerade im Stiche lasse, wo Du meine Nähe und Pflege brauchen könntest. Ich sende Dir tausend, tausend Herzensgrüße.

Deine Alexandra.

 

Hartard legte die Stirn gegen die Bettkante.

Rot war es ihm bis in die Augen gestiegen.

Sie log – sie schonte – weil sie liebte! Und er?!

Großer Gott! Er begriff es wieder, daß seine Selbstsucht wie ein Raubtier sich nicht im Sprunge hatte zügeln lassen.

Sein Vater bewegte sich.

Hartard sprang auf.

Albrecht sah ihn an.

Der Sohn erbebte vor der Leichenblässe auf diesem heiß geliebten Angesicht, vor dem ehernen Ernste auf seiner Stirn.

Mit gesenktem Haupte stand er und wartete.

Lange sah der Vater den Sohn an. Tief, aber ohne Rührung – fest und unerbittlich, wie das Schicksal.

Und dann sprach er. Wenige Worte, mit fast tonloser Stimme.

Aber sie drangen in Hartards Seele wie Todespfeile.

»Was du gethan hast, scheidet uns. Ich habe keinen Sohn mehr. Geh.«

Hartard erhob das Haupt – seine Lippen bewegten sich ...

Albrecht machte eine Handbewegung. »Geh!« sprach er laut und fest.

Und Hartard ging.


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