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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Werwolf

Doktor Byrne, der tief in Gedanken, gebeugten Kopfes, auf der Veranda hin und her schritt, sah Buck Daniels aus dem Hause treten, eine schwere Reitpeitsche in der Hand, den Patronengürtel umgeschnallt und ein großes rotseidenes Tuch lose um den Hals geschlungen. Er schien, seit ihn der Doktor vor wenigen Tagen zum erstenmal gesehen hatte, um zehn Jahre älter geworden zu sein. Die trotzige Unbekümmertheit, die ihn früher ausgezeichnet hatte, war ganz und gar dahin. An ihre Stelle war eine dumpfe Verbissenheit getreten, die einem den Gedanken unbehaglich machte, diesem Mann nachts auf einsamer Straße begegnen zu müssen. Doktor Byrne betrachtete ihn und hatte fast nicht das Herz, ihn anzusprechen. Schließlich raffte er sich doch auf zu sagen:

»Sie wollen ein bißchen an die frische Luft, Mr. Daniels?«

Buck Daniels, der ihn nicht gesehen zu haben schien, schreckte jäh zusammen, wirbelte auf dem Absatz herum und fuhr mit einem solchen Ausdruck verbissener Wildheit auf Byrne los, daß der erschrockene Doktor rasch einen Sprung nach rückwärts machte.

»Mann!« rief er. »Großer Gott! Was ist mit Ihnen los?«

»Nichts!« antwortete Buck Daniels, der sich inzwischen etwas beruhigt zu haben schien. »Ich gebe Fersengeld, und zwar mit Volldampf! Das ist alles.«

»Sie verlassen uns?«

»Jawohl.«

»Aber das ist doch nicht möglich?«

»Meinen Sie, Mann, ich sollte lieber hierbleiben?« fragte Buck Daniels mit einem Anflug wilder Ironie.

Der Doktor zögerte und zog die Stirne kraus. Er schien sich nicht auszukennen. Schließlich zuckte er die Achseln.

»Mein Lieber,« sagte er, und ein schwaches Lächeln glitt über sein Gesicht, »ich habe allmählich mir das Denken so ziemlich abgewöhnt.«

Buck Daniels grinste, ein freudloses Grinsen.

»Nun, fangen Sie an, halbwegs vernünftig zu reden,« nickte er, »hier hat das Denken keinen Zweck.«

»Aber warum verlassen Sie uns derart plötzlich?«

Buck Daniels antwortete mit einem Achselzucken.

»Miss Cumberland wird Sie doch gewiß schrecklich vermissen.«

»Das wird sie nicht«, antwortete der Cowboy. »Sie denkt nicht dran, sie hat den Kopf voll – mit – mit ihm.«

»Gewiß, aber wenn es über ihre Kraft geht, wenn sie bei diesem seltsamen Menschen nichts erreichen kann – sie wird dann Hilfe nötig haben ...«

Der Cowboy hatte ihn mit einem beredten, ausführlichen, dumpfknurrenden Fluch unterbrochen.

»Mann,« sagte er dann, »Mann, bei allen tausend Teufeln, was habe ich für einen Grund, ihr ausgerechnet mit diesem Kerl zu helfen?«

»Von einem Grund kann man natürlich nicht reden«, antwortete der Doktor beunruhigt. »Aber schließlich – alte Freundschaft!«

»Alte Freundschaft? Der Teufel soll's holen!« knurrte Buck Daniels. »Jedes Ding hat einmal ein Ende, und meine Freundschaft hat 'n Loch bekommen, ein gottverdammtes Loch. Damit ist's zu Ende.«

Er drehte sich um und schnitt dem Hause eine drohende Grimasse. »Ihr soll ich helfen, ihn herumzukriegen? Mann, lieber steck' ich mir gleich den Revolver in den Mund und drück' ab. Lieber wollt' ich mit ansehn, wie sie einen Kerl heiratet, der schon mit einem Fuße auf der Galgenleiter steht. Well, soll die ganze Bude der Teufel holen. Ich bin hier fertig. Djüs, Doc.«

Aber Doktor Byrne lief ihm nach und hielt ihn am Fuß der Verandatreppe fest.

»Mein lieber Mr. Daniels,« sagte er und zupfte ihn am Ärmel, »Sie dürfen ganz einfach nicht so ohne weiteres verschwinden. Mir schweben tausend Fragen auf der Zunge.«

Buck Daniels betrachtete ihn mit hilfloser Verdrossenheit.

»Well,« sagte er, »zweihundert von den tausend werd' ich wohl noch aushalten. Schießen Sie los!«

»Erstens: Warum gehen Sie weg?«

»Dan Barry.«

»Ah, ah, Sie fürchten, daß er etwas gegen Sie im Schilde führt.«

»Fürchten? Mann, ich pfeife darauf. Aber er ist dran schuld, daß ich weggeh' – soweit stimmt's.«

»Es ist mir einfach vollständig unbegreiflich«, seufzte der Doktor. »Gestern nacht noch habe ich miterlebt, wie Sie in den brennenden Schuppen gestürzt sind, um für diesen Mann den Rückweg offen zu halten. Und ich habe erlebt, wie Sie sich in den Sattel gesetzt haben und Ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um Dan Barry hierher zurückzubringen. Das beweist doch gewiß, daß zwischen Ihnen und ihm eine tiefe Freundschaft besteht.«

Buck Daniels lachte ein unerfreuliches Lachen, legte seine riesige Tatze auf Doktor Byrnes Schulter und antwortete: »Wenn das die einzigen Freundschaftsbeweise wären, Doc, dann wär' mir's nicht so zumut, wie mir's jetzt ist. Freundschaftsbeweise? Dan Barry hat mich vom – vom Galgen gerettet, und er hat mich vor Jim Silents Revolver gerettet. Er hat mich aus einem verkommenen Leben herausgeholt und hat einen Kerl aus mir gemacht, der anständigen Leuten gerade ins Gesicht sehn kann.«

Er hielt inne, es schien ihm ein harter Brocken in die Kehle geraten zu sein. In des Doktors überanstrengten Augen dämmerte ein erstes Licht des Verständnisses auf.

»Mann,« fuhr Buck Daniels fort, »was man so die feineren Gefühle nennt, das ist nichts für mich. Ich bin großgezogen worden, um mich zu wehren, ich bin großgezogen worden als einer, der hart reiten und verdammt viel Staub schlucken muß. Ich bin mit Whisky und mit Haß großgepäppelt worden. Und dann bin ich eines Tages auf Dan Barry gestoßen und hör' 'ne Stimme, die sanfter ist wie 'ne Mädchenstimme und seh' zum erstenmal in Augen, die mich nicht mit Mißtrauen anstarren. Mich, Mann, ausgerechnet mich, der ich mich in der Nacht bei ihm eingeschlichen hatte und drauf und dran war, ihn im Schlaf um die Ecke zu bringen – weil mein Chef mir's aufgetragen hatte. Sehn Sie, Mann, das war der Dan Barry, den ich zuerst kennengelernt hab'. Er gibt mir die Hand und schaut mich an wie einer, der mir traut, und wie er wieder weg war, da setz' ich mich hin und nehm' den Kopf zwischen die Fäuste und denk' reineweg, mir soll das Herz im Brustkasten zerspringen. 's war just, Mann, als hätt' auf einmal der Wind die Wolken von der Sonne gejagt und ich seh' ihr Licht zum erstenmal. Damals hab' ich geschworen, daß ich ihm's vergelten will, wenn die Zeit gekommen ist. Jeden Cent, den er an mich verschwendet hat, sollt' er in Gold wiederkriegen. Bis ans Ende der Welt würd' ich ihm nachrennen, um zu tun, was er mich heißt.«

Seine Stimme versagte.

»O Doc! Dagesessen hab' ich und hab' geheult, und mir war's da drin, als wär' ich ein neuer Mensch geworden. Und ich hab' mich keinen Augenblick geschämt, daß ich geheult hab'. Das hat Dan Barry für mich getan. Und ich hab's ihm vergolten, soweit's ging. Ich hab' Kate Cumberland kennengelernt, und sie war für mich unter dem Weibervolk, was Dan Barry in meinen Augen unter den Männern war. Ich schäm' mich nicht, Mann, das laut herauszusagen. Geliebt hab' ich sie, Mann, bis ich dachte, in mir ist alles zu Asche verbrannt, und ich hab's noch nicht einmal gewagt, meine Augen zu ihr aufzuheben, denn sie gehörte ja zu ihm. Und dann eines Tages reitet er weg und läßt sie hier sitzen. Und ich bleibe da. Mann, meinen Sie, 's wär' ein leichtes Stück gewesen, da noch hier zu bleiben? Mensch, ich sage Ihnen, Mensch, Tag um Tag hab' ich mit anhören müssen, wie sie von Dan Barry sprach – und niemals auch nur ein Wörtchen für mich! Ja, ich mußt' mich hinsetzen und mußte ihr Geschichten von Dan Barry erzählen, und was er alles zu tun pflegte, und sie saß bloß da und starrte irgendwohin – Meilen war sie da von mir weg. Und da sitz' ich und sehne mich nach einem Blick von ihr, so wild, wie ein verdurstender Hund sich nach Wasser sehnt. Und schließlich setz' ich mich auf meinen Gaul, um Kates willen und um ihres Vaters willen, und reit' nach dem Süden hinunter – meinen Sie, ich hätt' auch nur einen Funken von Freundlichkeit in Dans Augen gesehn, wie ich plötzlich vor ihm stand? Vergessen hatte er mich, Mann! Selbst ein Gaul, eine dumme Kreatur, vergißt seinen früheren Herrn nicht. Aber er hatte mich vergessen. Nach ein paar Monaten schon! – Nach all dem, was zwischen uns gewesen war! Und noch nicht einmal Kate bedeutete ihm mehr was. Nichts war sie für ihn. Und trotzdem bin ich bei meinem Plan geblieben und hab' ihn zurückgebracht. Ich mußt' ihm ins Gesicht schlagen, damit mir's gelingt, aber weiß Gott, ich hab' ihm nichts Übles dabei gewollt. Gott weiß, daß ich ihm nicht übelgesinnt war. Und dann bin ich neulich mitten ins Feuer hinein und hab' mich gegen die Wand gestemmt, daß sie nicht fällt und ihm den Weg verlegt. Sie wissen, wie's ausgegangen ist. Wie ich wieder herauskomm, blind und dreiviertel tot und kann mich kaum noch auf den Füßen halten, da starrt er mich an und greift sich ans Gesicht, wo meine Hand ihn getroffen hatte, und das niederträchtige gelbe Glitzern kommt in seine Augen. Da bin ich auf mein Zimmer hinauf und hab's mit mir ausgefochten. Und jetzt will ich Ihnen sagen, Mann, was dabei herausgekommen ist. Wenn ich hierbleibe, wenn ich bloß noch einmal sehe, wie's ihm gelb in die Augen schießt, dann braucht keiner mehr lang zu warten – dann ist's so weit, daß wir auf'm Fleck da unsere Rechnung miteinander ausmachen, Mann, und bin ich vielleicht ein Hund, daß ich mich hier in den Ecken herumdrücken soll und zusammenfahren und springen, wenn er mich ruft?«

»Mein lieber, guter – mein lieber, guter Mister Daniels,« rief der entsetzte Doktor, »Sie fassen die Sache sicher ganz falsch auf. Er würde sich doch nicht etwa hinreißen lassen, auf Sie loszugehen.«

»Er nicht auf mich losgehen? Bah! Wenn er 'n Mensch wär', freilich, dann nicht, aber ich sag' Ihnen, Doc, das ist kein Mann. Der ist, was die Kanaken oben im Norden einen Werwolf nennen. Es ist keine Gnade und kein Erbarmen in ihm, und es macht ihm nichts, Blut zu vergießen. Es wäre besser für die Welt, wenn sie ihn los würde.«

Er brach ab. Ein Schauder überlief ihn. »Doc,« sagte er gedämpft und mit einer Art feierlichen Nachdrucks, »vielleicht habe ich zuviel gesagt. Sagen Sie zu Kate nichts davon, was mich von hier wegtreibt. Lassen Sie das Mädel den Narrentraum weiterträumen. Aber, Mann, hören Sie, was ich Ihnen sag': Wenn mir Dan Barry noch einmal über den Weg läuft, dann ist's mit einem von uns beiden zu Ende – im Handumdrehen, kann ich Ihnen sagen. Kann sein, ich bin's, kann sein, er ist's. Auf alle Fälle ist mir der Geduldsfaden gerissen. Ich geh von hier weg und bleib weg und wart' ab, ob Dan Barry vielleicht doch noch einmal zur Vernunft kommt und einsieht, was ich für ihn getan hab'. Das ist alles. Ich mach', daß ich hier wegkomm. Auf dem Haus liegt ein Fluch, und sein Name ist Dan Barry. Doc, ich geh von hier weg, Mann, weil ich immer denk', ich kann das Blut schon riechen, das hier vergossen werden wird. Hier reitet der Tod schon auf dem Dach, und wenn der Blitz einschlagen würde, daß alles verbrennt, das Haus und die Leute drin, es wär' besser für die ganze Gegend hierherum.«

Und damit drehte er sich auf dem Absatz herum und schritt zu den Korrals hinüber. Doktor Byrne starrte ihm mit weit aufgerissenen Augen nach.


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