Lily Braun
Mutter Maria
Lily Braun

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Fünfter Akt

Der Hof des Bargello. Rechts eine Treppe, die zum ersten Stock einer offenen Säulenhalle emporführt. Im Hintergrund eine Tür, rechts unter der Treppe eine zweite Tür. Im Hof lagern Söldner beim Würfelspiel.

Erster Söldner
Verteufelt, du hast Glück! Mein letzter Heller!

Zweiter Söldner
Ich kann ihn brauchen. Eine Dirne leerte
Die Tasche mir.

Dritter Söldner         Und du beklagst dich noch?
Gibst sonst die ganze Beute für die Weiber!

Zweiter Söldner
Bei Licht besehn, war's eine alte Vettel.

Vierter Söldner
In dieser Stadt ist nichts als Lug und Trug;
Ich wollt', ich wär' auf freiem Felde draußen,
Statt daß ich hier im Dienst der Kuttenträger
Für einen armen Jungen, der sie lästert,
Wie sich's gebührt, den Schergen spielen müßte.

Erster Söldner
Was geht's mich an. Die Republik hat Geld.

Dritter Söldner
Der Herzog von Nemours war auch nicht knausrig.

Vierter Söldner
War, sagst du, warum: war?

Dritter Söldner                           Du weißt's noch nicht?
Er ist davon.

Vierter Söldner     Und ließ uns dem Lorenzo,
Des' Hand vor lauter Rosenkränzedrehn
Zu schwach fürs Schwert ist?

Dritter Söldner                             Hol's der Teufel – ja.

Vierter Söldner
Damit die Mönche den da ungestört
Zur Schlachtbank schleppen. Solch 'ner Memme dient
Ein braver Landsknecht nicht!

Dritter Söldner                               Halt's Maul, du Grasaff'!
Kotz' auf 'nen andern, auf den Herzog nicht!
Seit Jahren dien' ich ihm. Ich hielt sein Roß,
Als er heut abend in den Sattel sprang
Und seine schwarze Rüstung, die zerbeulte,
In den Scharnieren knirschte wie zur Schlacht.
Er sprach kein Wort, doch unter seinen Zähnen,
Die sich in seine Lippen gruben, floß
Das rote Blut. Er ritt den Weg nach Rom;
Auf seinem Rappen schien er wie ein Riese.
Und schob sich dunkel, drohend vor den Himmel,
Der hinter ihm in Feuer stand. Er wird
Beim Heil'gen Vater bitten für den Sohn,
Das glaub' ich fest.

Erster Söldner             Drum sputen sich die Mönche,
Daß ihre Beute ihnen nicht entschlüpft.
    (Ein paar Mönche kommen in leisem Gespräch
    mit Bürgern die Treppe hinab.)

Sie wissen ihre Zeugen gut zu schmieren.
Drei Jahre Ablaß, wer den Angeklagten
Der Gottesläst'rung überführt. Die Folter,
Der Scheiterhaufen, ewige Verdammnis,
Wer ihn verteidigt. Seht nur, wie sie strahlen!
Mich soll's nicht wundern, wenn der Dicke dort
Geschworen hat, daß er dabei gestanden,
Als Angelo zu Bett ging mit der Muhme
Des Höllenfürsten!

(Pietro kommt zögernd hereingeschlichen.)

Dritter Söldner               Der da ist sein Freund.
Ob er gekommen ist, ihm beizuspringen?

Pietro
Habt ihr gehört, wie's steht?

Erster Söldner                             Was fragt Ihr viel?
Seht jene an!

(Auf der oberen Galerie erscheinen Fackelträger und Mönche. Dann Angelo allein im Büßerhemd mit gefesselten Händen. Hinter ihm Knechte und Mönche; der ganze Zug bewegt sich langsam bis zur Treppe.)

Dritter Söldner       Ihr kommt ein wenig spät.

Pietro
Wieso denn?

(Bei diesen Worten Pietros bleibt Angelo stehn und horcht hinunter.)

Dritter Söldner     Angelo ist Euer Freund!

Pietro
Das ist ein Irrtum! Niemals sah ich ihn.

(Angelo zuckt zusammen und geht tiefgebeugten Hauptes die Treppe hinunter. Als er an Pietro vorbeikommt, sieht er ihn groß an. Der ganze Zug macht vor der Tür im Hintergrund halt. Der Stadtknecht, eine Riesengestalt in rotem Gewand, schließt sie auf, löst Angelos Handfesseln und führt ihn hinein. Dann sperrt er hinter ihm die Türe zu und wendet sich zu den Söldnern. Pietro schleicht sich davon. Der ganze Zug verschwindet nach links. Der Kardinal, der Abt und Fra Sebastiano kommen die Treppe hinab.)

Der Kardinal
Ein rasches Urteil!

Fra Sebastiano             Eine Buhlerin
Die einz'ge, die ihn schuldlos fand!

Der Abt                                                   Er selbst
Sich rückhaltlos zur Häresie bekennend,
Die man ihm vorwarf.

Der Kardinal                     Meint Ihr, teurer Abt,
Daß heute irgendeiner Eurer Christen,
Die wider ihn in frommem Eifer zeugten,
So mutig – stünden sie vor Heidenrichtern –
Zu ihrem Glauben sich bekennen würden
Wie dieser Jüngling zu dem seinen? – Ach!
Spart Euch die Antwort! – Was beschließt Ihr nun?

Der Abt
Es bleibt uns nichts mehr übrig zu beschließen.

Der Kardinal
Der Glaubenseifer ist ein ätzend Wasser,
Das von der Tafel der Erinnerung rasch
Jedwede Schrift verlöscht. Savonarolas,
Des Eifervollen, Blut düngt eine Welt,
In der der Kirchenfeindschaft gift'ge Blüten
Üppig gedeihn. Und Ihr seid schon bereit,
Den allzeit durst'gen Boden neu zu tränken?

Fra Sebastiano
Uns ziemt es nicht, nach Art der Staatsgelehrten
Die Folgen unsres Tuns klug abzuwägen.
So wie dem Blitz, der einschlug, Feuer folgt,
So folgt der Tat die priesterliche Strafe.

Der Kardinal
Nur daß die Mauern, ist das Haus von Stein,
Dem Feuer trotzen.

Der Abt                           Eurem Einwand kann ich,
Herr Kardinal, mich nicht verschließen. Doch,
Wenn er nicht abschwört?

Der Kardinal                             Habt Ihr keine Mittel
Als Drohung mit dem Tode?

Der Abt                                         Seine Mutter.
Wenn sie nicht sein verstockt Gewissen rührt,
Ist alles fruchtlos.

Fra Sebastiano           Eine Heil'ge ist sie.
Von ihrem Haupte schnitt sie sich das Haar,
Das goldgelockte, und auf bloßem Leibe
Trägt sie ein rauhes Hemd wie arme Sünder.
Vor ihrem Hause sammelt sich das Volk
Und lauscht in frommen Schauern. Ihre Geißel
Saust durch die Luft. Ihr Jammern könnte Teufel
Zu Tränen rühren.

Der Kardinal                 Wieviel mehr den Sohn!
Versprecht mir, Abt, Ihr holt die Frau. Das Schauspiel
Der Fackeln Neros wiederholen, ist
Kein Ruhm für Christen.

(Der Kardinal entfernt sich rasch. Der Abt und Fra Sebastiano folgen ihm. Lucrezia kommt über die obere Galerie, von wo aus sie die Söldner unten beobachtet.)

Dritter Söldner                     Habt ihr zugehört?
Sie wollen ihn gen Himmel lodern lassen,
Damit der Herrgott sieht, wie fromm sie sind.

Vierter Söldner
Kein schlechter Spaß wär's, diesen armen Vogel
Den Raubtierkrallen zu entreißen – was?!

Erster Söldner
Damit sie uns an seiner Stelle rösten!

Zweiter Söldner (kommt aus der Türe rechts)
Kommt! Eine gute Seele schickt den Trost
Für unsern Henkerposten.

Der Stadtknecht (tritt in die Türe mit einem Humpen in der Hand)
                                            Reinen Wein!

(Sie ziehen sich alle zurück. Lucrezia eilt die Treppe hinab. Sie schmiegt sich wartend in den Schatten einer Säule. Nur ein schräger Mondstrahl erhellt noch die Finsternis. Gleich nach ihr kommen Lorenzo und Cesare über die Galerie die Treppe hinunter auf den Hof.)

Lorenzo
Ihr tragt nicht gern die Folgen Eurer Tat,
Messer Cesare.

Cesare                     Diese wollt' ich nicht!
Ihr spracht von Strafe, wünschtet den Rivalen
Euch aus dem Wege. Es geschah. Das Volk
Fiel von ihm ab. Ihr dankt es mir allein.
Doch an dem Urteil dieses Abends bin ich
Nicht schuldig! Nein, bei Gott, ich bin es nicht!

Lorenzo
Ich achte einen Räuber, der sein Opfer
Bei Tage überfällt, mehr als den Dieb,
Der heimlich sich bei Nacht durchs Fenster einschleicht,
Und einen Mörder mehr als den Betrüger.
Gehabt Euch wohl! Ein überzart Gewissen,
Wie Eures ist, paßt nicht für meinen Dienst.

(Cesare geht nach links ab. Lucrezia tritt vor, den Schleier dicht über das Antlitz gezogen. Lorenzo fährt im ersten Augenblick erschrocken vor ihr zurück und greift nach dem Dolch.)

Ein Überfall?
    (Er faßt nach dem Arm Lucrezias.)
                      Ein runder Frauenarm!
    (Er umschlingt sie.)
Der weiche Leib des Weibes! Sei willkommen!
Du reizendes Gespenst.
    (Er versucht ihr den Schleier zu entreißen.)
                                        Was wehrst du dich?
Nach diesem Tage ödester Geschäfte
Verdurst' ich längst nach deinesgleichen!
    (Sie stößt ihn zurück.)
                                                                    Ah!
Du denkst vielleicht, dein Sträuben kühlt den Brand?

Lucrezia
Versprich mir eins, – und ich gehöre dir.

Lorenzo
Versprechen? Was du willst: den Mond vom Himmel,
Die schwarze Perle aus dem Diadem,
Des Türkensultans –
    (Sie schlägt den Schleier zurück und läßt den
    Mantel von ihren nackten Schultern fallen.)

                                  Du, Lucrezia?

Lucrezia                                                 Ich!
Giuliano ritt davon, – ließ mich zurück –,
Du siegtest über ihn, – des Siegers bin ich –

Lorenzo
Hier ist kein Ort für Liebesfreuden – komm!

Lucrezia
Zuerst – der Preis!

Lorenzo                         Du schacherst mit der Liebe;
Das ist dein Handwerk. Ich vergaß. Nur rasch
Sag', was du forderst!

Lucrezia                             Gib Angelo frei!

Lorenzo
Damit du dich in seinen Armen tröstest
Für den erzwungnen Liebesdienst bei mir!

Lucrezia
Ich will ihn nicht für mich. Mit Folterstricken
Kannst du mich fesseln an dein Bett.

Lorenzo                                                     Die Kirche
Warf ihn in Ketten, und die Kirche nur
Kann ihn befrein.

Lucrezia                     Ein einzig Wort von dir,
Die Söldner sprengen seines Kerkers Pforte.

Lorenzo
Damit das Volk von seinem glatten Antlitz,
Von seines Körpers ebenmäß'gem Wuchs
Und von der tiefen Orgel seiner Stimme
Zum zweiten Male sich gewinnen lasse?
Ich will im Schatten keines andern leben;
Ich will die Macht, ich will sie ungestört.

Lucrezia
Wohin du magst, kannst du ihn gehen heißen.
Das Leben nur gib ihm! Mit meiner Liebe
Belohn' ich dich. Entsinnst du dich, Lorenzo,
Des Abends in Ferrara, als Giuliano
Dich aus dem Saale wies? Ich tanzte nackt –
Du rütteltest verzweifelt an der Pforte, –
Noch heute nacht tanz' ich allein für dich.

Lorenzo (Lucrezia heftig in das helle Licht des Mondstrahls zerrend)
Du hast vergessen, scheint mir, dich zu schminken:
Dein Mund ist blaß, durch deine Haare zieht sich
Ein weißer Faden. Deine Brust ist welk.
Seitdem dein Tanz mich fiebern machte, bist
Du alt geworden. Darum ist der Preis
Für dich zu hoch. Die Dirnen von Florenz
Sind jung und nicht so teuer.

(Er wendet sich zum Gehen, sie umklammert seine Knie.)

Lucrezia                                       Hab' Erbarmen!

(Er stößt sie von sich und geht. Auf ihren Schrei kommen die Söldner und der Stadtknecht zusammengelaufen. Sie sind betrunken.)

Stadtknecht
Zuerst der Wein und nun ein Weib! Der Himmel
Lohnt unsre Wache. Warum weinst du noch?
Da, sauf und sei vergnügt!

(Lucrezia richtet sich auf.)

Zweiter Söldner
Die kommt nicht von der Straße.
    (Er betastet ihr Kleid.)
                                                    Reine Seide
Ist ihr Gewand.

Stadtknecht (ihren Arm streichelnd)
                          Und weicher Samt die Haut.

Erster Söldner
Um ihren Nacken trägt sie Perlenschnüre.

Dritter Söldner
Und funkelnde Smaragde an der Hand.

Lucrezia (indem sie Ketten und Ringe abnimmt)
Wenn ihr nur wollt, so schenk' ich euch den Schmuck.

Erster Söldner
Dann sind wir reich.

Dritter Söldner             Und frei.

Zweiter Söldner                         Gib her!

Vierter Söldner                                         Was gilt's?

Lucrezia
Nur einen kleinen Dienst. Die Pforte dort –

Stadtknecht
Oho, mein Täubchen, das ist meine Sache.
Ich hafte mit dem Kopf für jenen Mann.

Lucrezia
Nur sprechen will ich ihn.

Dritter Söldner (zum Stadtknecht)
                                        Was sträubst du dich?

Erster Söldner
Nehmt dem besoffnen Hund den Schlüssel fort!

(Die Söldner ringen mit ihm. Er schüttelt sie ab.)

Stadtknecht
Schmeißfliegen, die ihr seid! –
    (zu Lucrezia).
                                                  Ich, schöne Frau,
Bin ein galanter Mann und fordre nichts
Als einen Kuß von Euch für diesen Schlüssel.

Erster Söldner
Die Perlen her! Wir schlagen Lärm!

(Lucrezia verteilt ihren Schmuck unter die Söldner.)

Lucrezia                                                   Nehmt hin!
Nehmt alles hin!
    (Sie wendet sich zu dem Stadtknecht und hebt den Kopf.)
                            Und hier, was du begehrst.

Stadtknecht
Ich bin ein Florentiner und galant –
Die da: Landstreicher sind's, von schlechten Sitten.
    (Er geht zur Kerkertür, die er aufschließt.)
Ihr habt den Vortritt, meinen Lohn – nachher.

(Die Söldner verschwinden lärmend in der Türe rechts, der Stadtknecht folgt.)

Lucrezia
Komm! Angelo!

(Angelo tritt aus der Kerkertür.)

Angelo                     So graut der Tag?

Lucrezia                                                 Ich bin's –
Still, frag' mich nicht. Zu kostbar ist die Zeit.
Die Treppe – rasch! Rechts oben dann, am Fenster
Der Strick – die Straße unten. – Menschenleer
Ist jetzt die Stadt –

Angelo                           Und dann?

Lucrezia                                           Und dann?! Das Leben!

Angelo
Was gilt es mir, wenn mein Gedanke stirbt?
Und er muß sterben, will ich mich erhalten.

Lucrezia
Ihr seid sein Träger.

Angelo                           Nein, sein Säemann nur.

Lucrezia
Um der Madonna willen – dorthin seht!
    (Der Stadtknecht erscheint unter der Tür.)
Ihr seid verloren, wenn Ihr länger zögert!

Angelo
Verloren ist mein Werk, wenn ich entfliehe!
Auch Jesus Christus lebt nur, weil er starb.
    (Der Stadtknecht tritt vor und will Angelo in den
    Kerker zurückführen.)

Rührt mich nicht an, ich kenne meinen Weg.

(Er verschwindet im Kerker, der Stadtknecht schließt das Schloß, Lucrezia rafft sich auf und will die Treppe empor entfliehen. Der Stadtknecht ergreift sie.)

Stadtknecht
Solch eine Frau, dacht' ich, die hält ihr Wort.
Und du – du willst mich um den Lohn betrügen?
So bist du nichts als eine Straßendirne –

(Er ringt sie zu Boden. Die Szene verdunkelt sich, während Lucrezias erster Schrei der Verzweiflung in einem Wimmern verklingt).

(Verwandlung. Die Piazza della Signoria. Rechts im Hintergrund der Palazzo Vecchio. Daneben rechts an der Seite die Loggia dei Lanzi. Links vom Palazzo ein Scheiterhaufen, an dessen Aufbau eine Anzahl Knechte beschäftigt sind. Morgendämmerung. Maria und Fra Sebastiano kommen von rechts. Beim Anblick des Scheiterhaufens schwankt Maria und legt die Hände vor das Gesicht.)

Fra Sebastiano
Ein Anblick des Entsetzens für die Mutter!
Dort an den Marterpfahl wird er gebunden,
Dann werfen Knechte Feuer in das Holz,
Und langsam strecken rote Flammenzungen
Sich hungrig nach willkomm'ner Speise aus.
Sie fressen seine Füße, seinen Leib,
Und schlagen schließlich aus den Augenhöhlen
Den leergebrannten, triumphierend auf.
So stirbt ein Ketzer. Doch die Kirche nimmt
Den reuevollen an ihr liebend Herz,
Vergibt wie Gott dem größten der Verbrecher.
Und Ihr, die Christin und die Mutter, zögert,
Den Sünder zu bekehren und den Sohn
Dadurch von Tod und Hölle zu befreien?

Maria (ekstatisch)
Die heil'ge Mutter Gottes sprach mit mir
In dieser Nacht. Sie schlug von ihrem Herzen
Das Hemd zurück, und tausend Narben sah ich,
Blutrote Narben.

Fra Sebastiano         Und sie mahnte Euch?

Maria
Daß das Gesetz der Furcht zerbrochen wurde,
Als Gott der Sohn am Kreuz sein Leben ließ.

(Der Abt kommt aus dem Palazzo, von Maria unbemerkt.)

Fra Sebastiano (leise zum Abt)
Das Schreckliche hat ihren Geist verwirrt.

Der Abt
Maria! Euer Priester spricht zu Euch.

Maria
Was wollt Ihr noch von mir? Ihr seid ein Mensch.
Ich brauche zwischen mir und meinem Gott
Nicht den Vermittler mehr.

Der Abt                                     Ist's, wie Ihr sagt,
Erwählte Gott Euch wirklich als sein Werkzeug,
Nun, so beweist es: rettet Euren Sohn!

Maria
Gelang es euch? Und dennoch drohet ihr
Ihm mit der ganzen Hölle ew'gem Feuer!
Glaubt ihr, er werde vor dem Holzstoß dort
Aus feiger Angst ein »Ich bekenne« stammeln?

Fra Sebastiano
Doch, wenn die Mutter bittet –

Maria                                               Soll aus Liebe
Er für die Mutter tun, was er aus Liebe
Für seinen Herrgott nicht zu tun vermag?
Und wenn er's täte und der Heil'ge Vater
Vor der gesamten Christenheit der Erde
Den also Reuigen von aller Schuld
Freisprechen würde – Gott verwürfe ihn!

Der Abt
Entsetzlich! Seiner eignen Mutter Hand
Stößt ihn auf ewig in der Hölle Rachen.

Maria (ganz entrückt)
Die heil'ge Mutter Gottes sprach mit mir
In dieser Nacht.

(Maria steht mit auf der Brust gekreuzten Händen und großem Blick ganz still, wie abwesend, während der nächsten Worte der Priester da.)

Der Abt                     Den letzten Abschied werdet
Ihr Eurem Sohn nicht weigern.

Fra Sebastiano                               Kommt, Maria,
Wir führen Euch zu ihm.

Der Abt                                 Was wir gewähren,
Das könnt Ihr ohne Angst vor Sünde tun.
    (Zu Sebastiano.)
Sie ist versteint!

Fra Sebastiano         Ein Zauber bindet sie.

Der Abt
Wer weiß, ob an des Sohnes Häresie
Nicht diese Mutter schuldig ist.

(Sie gehen. Meister Sandro kommt.)

Sandro                                             Maria!
    (Bei dem Anruf schrickt Maria zusammen. Sandro
    fängt die Schwankende in den Armen auf.)

Das ist zu viel für Euch. Rasch fort von hier.

(Als er sie fortführen will, richtet sie sich wieder empor.)

Maria
Die heil'ge Mutter Gottes sprach mit mir
In dieser Nacht. Ich zeigte ihr die Striemen
Von meinen Geißelhieben. »Das ist nichts,«
Klang mild die Stimme unsrer lieben Frau.
Und ich enthüllte schamvoll meinen Körper,
An dem der Hunger frißt: Da tönt es ernst
Und vorwurfsvoll ins Ohr mir: »Das ist nichts.«
Mit diesen Händen riß ich aus dem Busen
Mein zuckend Herz, von Wunden ganz durchwühlt:
Sie aber wandte von mir ihren Blick
Und rief mit jener Stimme hartem Laut,
Die aus dem Paradies die ersten Sünder
Grausam hinausgewiesen: »Das ist nichts.«
So will ich sterben, schrie ich. »Das ist nichts!«
Es war das Urteil ewiger Verdammnis,
Das meine Seele in die Hölle stieß.
Ich lag am Boden, Nacht um mich, – in mir.

(Aus dem Palazzo kommen Züge von Mönchen. Der Platz belebt sich mit Neugierigen, die Holzscheite zutragen.)

Sandro
Kommt – kommt. Ihr fiebert.

Maria                                           Doch die Benedeite
Neigte sich freundlich lächelnd über mich
Und hob mich auf und zog mich an ihr Herz.
»Zu leiden und zu sterben für ihr Kind,«
So sprach sie sanft, »das ist für eine Mutter,
Was für ein Mädchen Spiel und Tanzen ist.
Ein Opfer fordert Gott der Herr von dir.
Willst du für deines Sohnes Sünde büßen:
Verachtung, die du nimmermehr verdientest,
Der Menschen Fluch für nie getane Tat;
Schuld, die dein Herz nicht kennt; Verdammnis
Aus deiner Priester Mund.«
Sie küßte mich auf meine beiden Augen,
Daß alle Erdenblindheit von mir wich –
Ich sah den Himmel offen, sah mein Kind
In Gottes Schoß.

(Der Zug, mit dem Verurteilten in der Mitte, kommt aus dem Palazzo und nähert sich Maria unter dem Läuten der Armensünderglocke.)

Angelo
Du, meine Mutter!

Maria                           Du, mein lieber Sohn!

Angelo
Daß ich das Herz dir breche!

(Auf einen Wink des Abtes lösen ihm die Mönche die Handfesseln.)

Maria                                             Ach, wie haben
Sie grausam deine Hände eingeschnürt!
    (Sie küßt und streichelt die Striemen.)
Als du ein Kind warst, weißt du noch, Angelo,
Kamst du mit deinen Wunden stets zu mir
Und weintest nicht mehr, wenn ich sie geküßt.

Fra Sebastiano
Um deiner Mutter willen, widerrufe!

Maria
Um deiner Mutter willen, tu es nicht!
    (Leise zu ihm allein.)
Gott ist barmherzig. Jesus Christus starb
Für dich. Aus Feuerflammen steigt die Seele
Zum Allerbarmer.
    (Ganz laut, zu den Priestern gewendet, denen sie
    die Hände entgegenstreckt.)

                            Hier, nun bindet mich!
Ist er ein Sünder, bin ich's tausendmal,
Denn ich betrog euch, da er ehrlich war,
Ich heuchelte, da er die Schuld bekannte –

Angelo
Hört nicht auf sie! Der Wahnsinn spricht aus ihr.

Der Abt (zu Sebastiano)
Ich ahnte es! Die Mutter solchen Sohns!

Sandro
Sie ist von Sinnen – reißt sie fort von ihm!

(Man versucht sie fortzureißen. Sie stößt mit übermenschlicher Kraft alle von sich.)

Maria
Ich bin dem Tod verfallen, so wie er.
In meinem Hause hielt ich's mit dem Teufel –

Kreischende Weiberstimmen
Ins Feuer mit der Hexe!

Mönche                                 Bindet sie!

Maria
Und die geweihte Hostie aus dem Munde,
Dem eignen Munde, gab ich ihm zum Fraß –

Fra Sebastiano
So fahr' zur Hölle!

Der Abt                         Fort mit ihr, daß nicht
Unschuld'ge Ohren mehr des Greuels hören.

Maria
Das Kind der Nachbarin, das gestern starb,
Hab' ich behext –

(Die Menge will sich mit Fäusten und Stöcken auf sie stürzen.)

Sandro                       Sie lügt, bei Gott, sie lügt!

Maria
Ich – fluche – Gott, dem Vater – und dem Sohn!

(Alle bekreuzigen sich. Fra Sebastiano will sie packen. Sie bricht zu Füßen Angelos zusammen.)

Ich sterbe – deine Mittlerin – mein Kind –
Vater – im – Himmel – nimm ihn auf – zu dir!

(Sie stirbt.)

 

Der Vorhang fällt.

 

Ende.

 


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