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Der Franzose erklärte, daß er mit jener Kolonne, die wir hatten in den Wald ziehen sehen, nur zufällig zusammengetroffen sei, und daß er auf einen eigenen russischen Paß reise. Wenn der Baron seine Gastfreundschaft auch auf seinen Schwiegervater, der vorausgehend, mit einem Gefangenen jenes Transports in ein Gespräch vertieft, sich in den Wald verloren habe, ausdehnen wolle, so sei er bereit, sein Anerbieten anzunehmen. Der Baron bat ihn, die Frauen nach dem Schlosse zu bringen, und übernahm es, den Schwiegervater selbst im Walde einzuholen, da er doch dort ein Geschäft habe; er möge ihm nur sagen, wie er ihn erkennen könne. – »Sie beschämen mich mit Ihrer Güte«, erwiderte der Franzose. »Sie werden meinen Schwiegervater an einem grünen russischen Pelzrock und einer Zobelmütze leicht erkennen; er muß unter den letztern sein, sein Name ist St. Luce.« – Nun hoben sie die Französin in den Wagen, die Baronin saß neben ihr, und der Franzose lenkte die Pferde nach dem Schlosse. Der Baron hatte kaum den Wald betreten, als er auch besorgte, er würde die Gefangenen nicht mehr einholen, denn er konnte sie auf einer ziemlich langen geradelaufenden Wegstrecke nicht mehr erblicken. Da hörte er plötzlich neben sich im Gebüsch ein Geräusch, wie von zwei heftig ringenden Menschen: »Tu ne retourneras pas, malheureux!« schrie der eine; der andere rief: »A l'aide, à l'aide! au meurtre! on me tue!« Der Baron eilte zu, er sah den ihm beschriebenen Schwiegervater, den er suchte, von einem Franzosen niedergeworfen, der im Begriff war, ihm ein Messer ins Herz zu stoßen. Indem er den Mörder niederreißen wollte, hörte er deutsche Stimmen, und ein Schuß fiel, der seine Hilfe unnötig machte. Der Franzose fiel; er war in den Unterleib getroffen. Ein Korporal, von der Eskorte, einen seiner Gefangenen vermissend, war zurückgeeilt, und hatte ihn, als er ihn in der Gewalttätigkeit begriffen sah, niedergeschossen. Der Mann, den der Baron gesucht hatte, und den wir künftig St. Luce nennen, erhob sich, mit Blut bedeckt; er hatte zwar keine tödliche Wunde, aber das Messer war ihm mehrere Male durch die Hand gezogen, und er schwer an den Fingern verletzt. Der Korporal, der den Baron kannte, weil er in dem Feldzug unter ihm auf den Vorposten gestanden, begrüßte ihn, und bat ihn um seinen Rat in diesem Vorfall. Der Baron erklärte ihm, daß der Verwundete nicht transportiert werden könne, daß er ihn und den Angefallenen auf sein Schloß bringen lassen wolle, um die Sache untersuchen zu lassen. Ihm, dem Korporal, wolle er ein paar Zeilen an den die nächste Marschstation kommandierenden Offizier zu seiner Beglaubigung mitgeben, und er könne sich sodann, wenn er aufgefordert werde, einstellen. Während der Baron dem Korporal diese Nachricht mit Bleistift in seine Schreibtafel schrieb, waren durch den Lärm die nahen Zimmerleute und der Amtsbote, der früher zu ihnen gegangen war, um Späne zu sammeln, auf den Tummelplatz gekommen; der Baron fertigte den Unteroffizier ab, schickte den Amtsboten nach einem Wundarzt und dem Justiziar des Guts, und ließ den verwundeten Franzosen von den Zimmerleuten nach dem Schlosse tragen. St. Lucen hatte er die Hand mit Schnupftüchern verbunden, und führte ihn, den der Schreck und der Blutverlust auch sehr geschwächt hatte, am Arm. Auffallend war es, daß St. Luce dem Baron als seinem Retter noch nicht gedankt hatte; er ging in einer wunderbaren Unruhe neben ihm her, und als sie an einer offenen Kartoffelgrube mit dem Verwundeten vorüberkamen, unterbrach er zuerst sein Stillschweigen, und rief den Zimmerleuten heftig zu: »Halt, halt, ici, enterrez ce malheureux!« Der Baron versicherte ihn, der Mann sei keineswegs tot. – »Nicht tot?« schrie St. Luce, und riß sich vom Arm des Barons los. Er trug das Messer, womit jener ihn verwundet hatte, in seiner gesunden Hand, und stürzte gegen den Verwundeten, um ihn zu durchbohren; doch riß ihn der Baron glücklicherweise schnell genug zurück. Er verwies ihm heftig seine unzeitige Rachsucht, die ihn selbst verdächtig mache, wand ihm das Messer aus der Hand, und faßte ihn etwas fester am Arm. Als sie in die Nähe des Schlosses kamen, fragte St. Luce den Baron, ob er nicht eine Kibitke mit Schimmeln bespannt gesehn habe, und dieser erwiderte ihm, daß er seinen Schwiegersohn und seine Tochter auf dem Schlosse finden werde. Der Baron ging mit seinem Zuge hinter dem Schlosse herum, um seine Frau und die Französin nicht zu erschrecken. Er brachte den St. Luce in eine Gartenstube, und befahl seinem Jäger, bei ihm zu bleiben; den Verwundeten aber ließ er auf ein Bett in die Gerichtsstube legen, und berief die Gerichte des Dorfes zu seiner Bewachung. Nun begab er sich zu den Gästen hinab, und bat seine Frau, die kleine Französin, die weinend auf dem Sofa lag, auf die Verwundung ihres Vaters vorzubereiten. Er selbst ging mit dem Franzosen, dessen Name Frenel war, in eine andere Stube, um ihn von dem gewaltsamen Vorfall zu unterrichten; doch dieser war so voll von der Schachtel, daß er sich wenig um seines Schwiegervaters Wunde zu bekümmern schien. Als er aber die lange freundliche Unterhaltung desselben mit seinem Gegner vor der Tätlichkeit, sodann des letztern Worte: »Non, tu ne retourneras pas«, und zuletzt wieder den Wunsch des St. Luce, seinem bereits gefangenen Gegner den Rest zu geben, vernommen hatte, wurde er sehr bedenklich. Er ergriff plötzlich die Hand des Barons, und sprach heftig: »Ach, mein Herr, wenn mein Schwiegervater ein Verbrecher wäre, wenn meine geliebte Antoinette« – hier übernahm ihn der Schmerz, und er brach in heftige Tränen aus. Der Baron sagte ihm: »Ich nehme allen Anteil an Ihnen, den mir die gänzliche Unbekanntheit mit Ihren Umständen erlaubt; die Ereignisse haben sich um Sie so schnell gehäuft, daß wir eines nach dem andern vornehmen müssen. Wollen Sie mir vor allem zu Ihrem Schwiegervater folgen? Ich glaube, es wird, ehe sein schwer verwundeter Gegner stirbt, wichtig sein, Nachrichten von der Ursache ihres Handels von ihm zu erhalten.« – Sie waren im Begriffe, zu ihm zu gehen, als die Baronin mit Madame Frenel hereinkam, die auch zu ihrem Vater wollte. Sie ersuchte ihren Mann, allein mit ihm reden zu dürfen. Dieser ward über diese Zumutung verdrießlich, ja es schien, als wenn sich ein tiefer Verdacht gegen sie in ihm regte. Er versagte es ihr platterdings, allein mit ihrem Vater zu sprechen, und so begab er sich denn mit ihr und dem Baron zu St. Luce. Dieser saß sehr niedergeschlagen in einer Ecke, und während die Seinigen sich mit ihm unterhielten, meldete der Jäger dem Baron, daß er ihm eine goldene Uhr geboten habe, wenn er ihn hinauf zu dem andern Gefangenen lassen wolle. Dieses machte den Baron noch aufmerksamer auf St. Luce, und er war sehr froh, daß der Gerichtshalter und der Chirurg angefahren kamen. Der Baron schickte den letzteren sogleich zu dem schwer Verwundeten, und machte den Gerichtshalter mit allen Umständen bekannt, besonders anmerkend, daß die Trödlerin, welche ihm die Schachtel in Paris verkaufte, ihm dieselbe mehrere Male als eine wahre Unglücksschachtel voll Zank und Streit geschildert, und vom Ankauf abgeraten habe. Der Gerichtshalter, ein kluger umsichtiger Mann, entwarf bald den Plan der Untersuchung. »Den Verwundeten«, sagte er, »wollen wir, so noch Hoffnung zu seiner Rettung ist, ganz den Händen des Arztes überlassen, er entgeht uns nicht; den St. Luce müssen wir zuerst vernehmen, und zwar ganz allein; auch darf er nicht wissen, in welcher Lage sein Feind ist, ob tot oder lebendig. Die Geschichte mit der Schachtel scheint mir durch die Tochter mit dem Vater, durch diesen vielleicht wieder mit dem Mörder zusammenzuhängen. Diese Geschichte lassen wir uns vor allem von Frenel freundschaftlich erzählen, und nehmen sie zu Protokoll. Doch«, unterbrach er sich, »lassen Sie uns diese Schachtel sogleich einmal oben dem schwer Verwundeten vor Augen bringen, so ganz zufällig; vielleicht entdecken wir etwas durch sie.« Der Baron ging, die Schachtel zu holen; der Gerichtshalter ersuchte Frenel und seine Gattin, kraft seines Amtes, den St. Luce zu verlassen, welches sie sogleich taten. Hierauf begab er sich mit dem Baron, der die Schachtel trug, zu dem schwer Verwundeten. Der Chirurg hatte soeben seine Wunde verbunden, die er für sehr gefährlich hielt; doch könne er, meinte er, in jedem Falle noch einige Tage leben. Der Gerichtshalter sendete ihn nun hinab, die Hand des St. Luce zu verbinden. Nun näherte sich der Amtsbote dem Baron und trug in der Hand eine rotseidene Binde; er lächelte, und der Mund fuhr ihm wieder links am Ohr hinauf: »Sehen Sie, Herr Baron, der Vogel hat sich gefangen; sehen Sie, das ist das Stück Tapete, das er hier herabgeschnitten« (die entblößte Fläche war noch an der Wand, und der Kranke hatte sie vor Augen), »er hat sie noch um den Leib gehabt; es ist derselbe, der mir das schiefe Maul gemacht.« – Der Baron bewunderte die Menge der Zufälle, und schickte den Amtsboten nach andern Verrichtungen. Nun setzte er die Schachtel auf einen Tisch, dem Verwundeten im Gesicht, zu den Füßen seines Bettes. Der Gerichtshalter beobachtete denselben; er schien bei dem Geräusch in seiner Nähe anfangs unempfindlich, und öffnete die Augen nur halb; kaum aber sah er die Schachtel zu seinen Füßen, als Schrecken sich aller seiner Gesichtszüge bemeisterte, und er leise die Worte ausrief: »Ah, mon dieu, je suis perdu!« – »Meine Vermutung«, flüsterte der Gerichtshalter dem Baron zu, »ist gerechtfertigt; lassen wir die Schachtel noch hier stehen, und den Verwundeten für jetzt in Ruhe.« Sie gingen hinab, und befahlen vorher dem wachhabenden Schulzen, dem Gefangenen, so er es verlangte, die Schachtel in der Nähe zu zeigen, doch sie ihm nicht in die Hände zu geben. Als sie zu St. Luce kamen, erkundigte dieser sich mit großer Angst um den Zustand seines Gegners. Der Gerichtsdiener sagte ihm, er sei tot, und er erscheine hier bei ihm, die Veranlassung ihres Handels zu erfahren. Bei dem Worte »tot« erheiterte sich das Angesicht von St. Luce auffallend, ja er stand vom Stuhle auf, und sagte mit großer Lebhaftigkeit: »Er ist den Händen der Gerechtigkeit entgangen, seine öffentliche Strafe, die seine Familie hätte beschimpfen können, ist ihm erspart; das freut mich herzlich.« – »Kennen Sie seine Familie?« fragte der Gerichtshalter. – »Ich kenne sie nicht«, erwiderte St. Luce, »ich habe ihn früher nie gesehen, als heute, da uns der Weg als Landsleute zufällig zusammenführte.« Als der Gerichtshalter diese Erklärungen aufgeschrieben, trat der Chirurg mit der Schachtel herein, und sagte, er habe den Verwundeten über diese Schachtel in größter Unruhe gefunden, und bringe sie deswegen herab. – »Er lebt also noch«, rief St. Luce aus, und veränderte die Farbe. Der Chirurg setzte die Schachtel auf den Tisch, St. Luce erblickte sie, und war wie vom Blitz getroffen, er verhüllte das Gesicht, und rief aus: »Gott, das ist Zauberei!« – »Kennen Sie diese Schachtel?« fragte der Gerichtshalter; St. Luce sammelte sich, und erwiderte: »Welche Schachtel?« – »Diese«, sagte der Gerichtshalter, sie ihm vorhaltend, »welche Ihr Schwiegersohn auch erkannt hat.« – »Mein Schwiegersohn«, sagte St. Luce bestürzt, »mein Schwiegersohn kann sie nicht kennen.« – »Aber Sie?« fuhr der Gerichtshalter fort. – »Ich sage, er kann sie ebenso wenig kennen als ich«, versetzte St. Luce. – »Ich sehe diese Unmöglichkeit nicht ein«, sagte der Gerichtshalter, »er kennt sie, er ist über sie bestürzt gewesen, und Ihre Tochter ist sogar in Ohnmacht über dieselbe gefallen.« – »Meine Tochter«, sagte St. Luce, »ist eine Visionnaire, sie weiß nicht, was sie will.« Nun setzte er sich verdrossen nieder. Der Gerichtshalter tat mehrere Fragen an ihn, aber er antwortete nur mit Ausflüchten. Man eröffnete hierauf ein ordentliches Protokoll mit ihm, die Antworten waren: Er heiße Pierre St. Luce, sei zu Lyon Kürschner gewesen, als ein treuer Anhänger der königlich Gesinnten beim Ausbruch der Revolution mit seiner Frau und damals vierjährigen Tochter emigriert, im Dienste eines russischen Edelmanns nach Moskau gekommen, und habe sich dort etabliert. Seine Frau sei gestorben, Frenel, sein Schwiegersohn, sei bei dem Eintritt der Franzosen in Moskau in sein Haus gekommen, habe es vor Brand und Plünderung geschützt; sei bei dem Rückzuge der Franzosen als Gefangener freiwillig zurückgeblieben, habe durch seine Fürsprache die Erlaubnis erhalten, in Moskau in seinem Hause sich aufzuhalten; dort habe er sich seines Geschäfts, des Rauhwarenhandels, ernsthaft angenommen, und da er ihm erklärt, daß er von rechtlichen Eltern und nicht unvermögend sei, da er zu seiner Tochter und diese zu .ihm eine große Zuneigung gehabt, so habe er sie ihm zur Ehe gegeben. Jetzt, da der königliche Thron wieder in Frankreich aufgerichtet sei, habe er seine Handlung in Moskau einem Freunde übergeben, um seinen Schwiegersohn in sein Vaterland zu begleiten und sich entweder in Lyon ansässig zu machen oder, sobald er gesehen, ob Frenel seiner Tochter wirklich ein so reichliches Auskommen geben könne, als er es verheißen, wieder nach Moskau zurückzukehren. Da er auf dieser Reise heute, seinem Wagen vorausgehend, mit der Kolonne der Gefangenen zusammengetroffen sei, habe er mit seinem Gegner ein Gespräch über sein Vaterland angeknüpft, und so hätten sie die Vorangehenden aus dem Gesichte verloren. Sie hätten aber über die Wiederherstellung des alten königlichen Hauses und die Aufhebung der Bonapartischen Dynastie gesprochen, und da sein Gegner sehr gegen den König geredet, und ihm auch sogar die weiße Kokarde von seiner Pelzmütze habe herabreißen wollen, sei ein heftiger Wortwechsel aus ihrem Gespräche geworden, worauf sein Gegner ihn plötzlich mit dem Messer angefallen. Daß er aber, als dieser bereits gefangen gewesen, mit dem Messer gegen ihn gelaufen, sei aus einem plötzlich aufwallenden Rachegefühl gegen denselben entstanden, teils aber auch aus patriotischem Eifer, um sein aufblühendes Vaterland von einem übelgesinnten Mitgliede zu befreien. –