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Tipetepak
Kamba
Burubu
Der Märchenerzähler
Der Bildschnitzer
Wila
Volk
Die Darsteller treten auf und gehen stets vorwärts ab, so wie sie gerade gesprochen haben. Das Stück wird getragen gespielt. Handlung und Rede gehen ganz langsam schrittweise weiter – mit einer verinnerlichten Pathetik.
Burubu und Kamba (gehen über die Bühne).
Burubu. Tipetepak geht vorüber.
Tipetepak (geht über die Bühne; sie grüßt die Jünglinge leicht mit der Hand).
Burubu und Kamba (schlagen einmal zum Gegengruß die Handflächen ineinander).
Burubu. Was meinst du, wen sie wählen wird morgen am Abend?
Kamba. Sie ist so weit . . . Mich wird sie wählen.
Burubu. O – dich wird sie wählen . . . Und ich rieche den Weg, den sie gegangen ist – und du riechst ihn nicht. (Sie verlieren sich.)
Der Märchenerzähler (kommt Tipetepak entgegen).
Tipetepak. Dich suche ich!
Märchenerzähler. So hast du mich wohl finden müssen. Sprich, wovon die alte Krähe krächzen soll, schönes Mädchen.
Tipetepak. Ich soll morgen wählen. 8
Märchenerzähler. O, ich werde dabei sein.
Tipetepak. Weshalb wählt das Mädchen den Mann – und nicht der Mann das Mädchen?
Märchenerzähler. Die Menschen, die füreinander bestimmt sind, finden sich doch. Da lassen die Männer der Frau gern die Wahl.
Tipetepak. So will ich nachdenken bis morgen abend.
Märchenerzähler (geht in den Hintergrund).
(Mit lautem Sprechen kommen von allen Seiten junge und alte Leute herbei. Die Jungen bilden einen Kreis. Die Alten verstreuen sich rings. Der Bildschnitzer und der Märchenerzähler stehen in der Mitte.)
Märchenerzähler. Tipetepak soll heute wählen!
Bildschnitzer. Ich habe ihr Bild in Holz geschnitzt. Der Jüngling, der nach der Wahl weint, soll es haben.
Alle (klatschen in die Hand).
Tipetepak (mit Blumen im Haar, tritt auf, sieht sich verwirrt um und schreitet auf Kamba zu, der ihre Brüste beide mit dem Unterarm berührt).
Burubu (schluchzt auf und schlägt die Hände vors Gesicht).
Bildschnitzer (tritt auf ihn zu und reicht ihm eine ganz kleine Plastik). Burubu, Freund, der du selbst bildest, dir, dir fällt es zu! 9
Tipetepak (sieht voll Staunen auf den Jüngling).
Burubu. Ich will mein Leben lang nur Schönes denken wie du. Still und weise will ich sein wie du. (Er geht fort, versunken in den Anblick des Bildes in seiner Hand.)
Märchenerzähler. Es war eine Jungfrau in Palau, die hatte falsch gewählt. Vielleicht hatte sie richtig gewählt, denn wer kann sagen, daß er falsch gewählt hätte!? Da sah ihr Mann eine trächtige Sau in der Lust, und er kam heim und schlug seine Frau. Sie aber hielt den Rücken hin und weinte nicht; denn in den Stockschlägen fühlte sie die Süße der verbotenen Frucht.
Ein Greis. Was denn lehrst du Schlimmes der Jugend?
Märchenerzähler. Seht, es gibt kein Gutes und kein Schlimmes. Die Natur handelt, aber wir denken, und so wird es gut oder schlimm.
Bildschnitzer (blickt Tipetepak sinnend an). Es war eine Jungfrau in Palau . . .
Das Volk (verliert sich schweigend).
Märchenerzähler. Wir wollen hingehen, wo es gilt, Menschenkinder fröhlich zu machen.
Kamba und Tipetepak (allein).
Tipetepak (weint).
Kamba. Ich will dich süß betten in meiner Hütte. Da plätschert das Wasser vom Meer, in den Büschen flüstert der ruhige Wind. 10
Tipetepak. Du sprichst, sprichst, sprichst . . .
Kamba. Komm . . . (Sie gehen.)
Burubu (tritt auf; er ist herbe geworden im Gesicht, aber seine Augen sind leuchtender).
Wila (kommt ihm entgegen). Weshalb verschließt du dich meiner Wahl? Ich weine nach dir in den Nächten. Der Mond fließt hin. Und Tipetepak hat einen Sohn.
Burubu Noch viele Bilder hab ich zu schnitzen. Da hab ich noch viele Schmerzen und viel Alleinsein zu ertragen.
Wila. Bring uns noch viele Bilder. Aber ich komme wieder. (Sie geht vorüber.)
Tipetepak (tritt auf; sie ist schöner und ernster geworden).
Burubu. Ich sah dich lange nicht.
Tipetepak (zittert).
Burubu Und schöner bist du und ernster geworden. Ich will ein Bild machen, herrlicher als jenes, das Maru mir einst geschenkt.
Tipetepak. Du sprachst nie ein Wort . . .
Burubu Tipetepak!– (Er tritt nahe an sie heran.) 11
Tipetepak. Du bist so schön – und Kamba hat viel Besitz hergeben müssen für deine Gesichte.
Burubu (legt den Arm um ihre Schulter). Frau! –
Tipetepak (erschauert).
Burubu. Ich habe viel Freude in Kambas Hütte gehört. Und ich habe viel geweint . . . Und dann ging ich hin und machte ein Bild. Das wurden meine schönsten. (Er küßt ihren Hals.)
Tipetepak (geht nach dem Hintergrunde und zieht Burubu an ihrem Halse mit fort).
Märchenerzähler und Bildschnitzer (gehen vorüber).
Bildschnitzer. Weshalb verstehen die Menschen nicht, was für eine tiefe Liebe in allen Gestalten liegt? Aber wenn sie etwas nicht begreifen, sagen sie gleich, es wäre schlecht! Da ist es besser, man stirbt; wie man überhaupt stirbt, wenn man die letzte Weisheit erkannt hat.
Märchenerzähler. Und doch ist von der letzten Weisheit bis zur wahren Weisheit noch ein weiter Weg.
Bildschnitzer. Es gibt nichts Schlechtes. Es gibt nur Notwendiges! (Man sieht sie nicht mehr.)
Tipetepak (aus dem Hintergrunde; sie blickt verwirrt um sich).
Kamba (tritt ihr hastig entgegen; er hat einen Rohrstab in der Hand und atmet schwer). 12
Tipetepak (erschrickt).
Kamba. Ich habe im Walde eine trächtige Sau in der Lust gesehn! Du warst mir untreu!
Tipetepak (tonlos). Schlag mich . . .
Kamba (schlägt sie mit dem Rohrstab mehrmals auf den Rücken).
Tipetepak (trägt den Schmerz mit süßer Verzückung).
Kamba (heiser). Komm!
Tipetepak (folgt ihm schweigend).
Burubu (tritt verstört hervor).
Wila (geht ihm entgegen).
Burubu. Ach – dich suche ich nicht!
Wila. Ich bin immer bei dir.
Burubu. Weshalb tust du das? Weißt du nicht, daß ich allein sein muß?
Wila. Du siehst keine Frau an. Das ist ungesund. Man redet von dir mit bösen Scherzen.
Burubu. Laß sie reden. Was kümmert es mich, wovon sie reden?! Was ich denke, das wißt ihr nicht. 13
Wila. Ich will deine Trübnis hinweglächeln. Sieh – ich werde alt in Sehnsucht nach dir.
Burubu. Werde alt; werde was du willst. Laß mich allein.
Wila (abgehend). Ich bin immer in deiner Nähe.
Burubu (in sich hinein). Ich bin alle Menschen.
Tipetepak (Sie ist mager geworden und trägt ein kleines Kind auf dem Arm.)
Burubu. Tipetepak!
Tipetepak. Dein Kind!
Burubu (steht überwältigt und bebt). Und heute soll es geopfert werden!
Märchenerzähler (tritt hinzu). Dein zweites Kind, Tipetepak! Es soll heilig sterben!
Tipetepak. Weshalb nur will man das?
Märchenerzähler. Es gibt ein Land, da läßt man alle Kinder leben. Und es ist nicht genug im Lande, daß alle satt werden. Die Männer nehmen Pfeil und Bogen und fahren auf ihren Schiffen in fremde Länder und töten fremde Menschen, die nichts dafür können, und nehmen ihnen ihre Nahrung. Wir sind ein friedliches Volk und haben einen friedlichen König und wollen nicht das Blut fremder Menschen sehn. 14
Tipetepak. Aber auf ein Kind, ich meine, kommt es nicht an.
Märchenerzähler. Was die Götter weisen Männern erzählt haben, daran soll man sich nicht stoßen. (Er geht fort.)
Tipetepak (heftig). Und ich gebe es nicht! Hilf mir, hilf mir! Ich gebe es nicht! (Sie küßt das Kind.)
Burubu. Unser Kind . . .
Tipetepak. Ich gehe hinab ans Meer. Dort weiß ich eine Stelle, wo man mich nicht findet. (Sie reicht Burubu das Kind, welcher es küßt, und geht schnell fort.)
Kamba (tritt auf). Sahst du Tipetepak mit dem Kinde?
Burubu Ich habe sie gesehn.
Kamba (sieht ihn fragend an).
Burubu. Ich sage es nicht, ich nicht!
Kamba. Das Feuer knistert, und der Spieß wartet.
Märchenerzähler (mit dem Kinde auf dem Arm). Am Meer hatte sie sich versteckt. So wollen wir opfern.
Tipetepak (hinterher). Mein Kind! Laßt es nicht sterben! Tötet das Erste!! – 15
Kamba. Sie redet irre! Sie redet irre!
Burubu (aus tiefster Überzeugung). Das tut sie wirklich!
Tipetepak (sieht ihn versteinert an). Die Götter, die Götter.
Märchenerzähler (mit dem Kinde ab).
Kamba (folgt ihm).
Burubu. Sie werden alle von dem Fleische essen, und es wird das Glück des Landes sein.
Tipetepak. Und du, du, du?
Burubu. Mein Boot trägt uns in ein anderes Land. Dort wollen wir uns einer anderen Erstgeburt erfreuen.
Tipetepak (schmiegt sich an ihn). Komm! (Sie gehen langsam nach dem Hintergrunde.)
(Aus der Ferne hört man harten, heftigen Gesang.)
Bildschnitzer (kommt und ruft getragen dem Gesange zu): Wila ist hinabgestiegen ins Meer – zu den Fischen! Die Götter haben gerufen!
(Der Gesang verstummt . . . Volk geht über die Bühne und trägt den Leichnam eines Kindes am Spieß.)