Laurids Bruun
Die freudlose Witwe
Laurids Bruun

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Sechstes Kapitel

Es war ein herrlicher Morgen mit blendender Sonne auf der Lagune. Seit meinem Besuch beim König mochten vierzehn Tage vergangen sein.

Draußen über dem Riff in der weißen Brandung blitzte die Sonne auf den Flügeln der Seevögel; ich konnte ihr munteres Geschwätz durch die leichte, wolkenlose Luft hören.

Hin und wieder kam eine ungewöhnlich große Brandungswoge und saugte das Wasser von dem Riff fort, so daß der rote Korallengrund in der Sonne entblößt dalag, als ob das Meer eine Wunde in dem festen Boden aufgerissen habe. Einen Augenblick später leckte die Dünung die Wunde rein, und der weiße Schaum brodelte wieder in einer langen, schimmernden Linie, das tiefblaue Meer von dem grünen Wasser der Lagune, das von Korallenblumen unter der Oberfläche schillerte, trennend.

Toko war hinausgerudert, um seiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen; er wollte nach Schildkröten auf dem Riff Ausguck halten. Ich konnte ihn nicht mehr sehen; wahrscheinlich hatte er die Verhältnisse auf der andern Seite zum offenen Meer günstig gefunden.

Wie ich über den weißen Strand ging, fiel mein Auge auf ein junges Mädchen in dem wilden Pisanghain, der die Verlängerung des königlichen Kokoshains bis nach Wattiwau hinauf bildet.

Sie ging in Gedanken, suchte sich Blätter zu einem neuen Tapa und sah mich nicht.

Als sie aus dem Waldschatten trat und die Sonne auf ihre blanke Haut fiel, sah ich, daß es Lea sei.

Sie kehrte mir den Rücken zu; aber ich erkannte sie an dem Muster auf ihrem schlanken Rücken: dem Palmenstamm mit den beiden großen Kokosnüssen an seinem Fuß.

Es war kaum ein Monat vergangen, seit ich sie bei ihrem Jungfraufest gesehen hatte; wenn das Muster sie aber nicht verraten hätte, würde ich sie kaum erkannt haben, solch große Veränderung war mit ihr vorgegangen.

Ich blieb stehen und wartete, daß sie näherkommen würde, um meiner Sache gewiß zu sein.

Was war es, das sie so veränderte? Gewachsen konnte sie in der kurzen Zeit doch kaum sein; aber es war, als ob sie ihr Gefieder gewechselt habe; das Flatternde und Scheue war verschwunden.

Sie ging wie in einem ruhigen, glücklichen Traum und hielt die Hände suchend von sich gestreckt, als liebkose sie die schlanken Blätter, die um ihre nackten Beine in die Höhe schossen, während die Pisange ihr um den Kopf fächelten, als ob sie ihr Geheimnisse anvertrauen wollten.

Das Haar wogte ihr üppig um die Schultern; wenn es ihr über die Augen fiel, warf sie es mit einer Kopfbewegung zurück.

Ich wollte gern mit ihr sprechen; damit sie aber nicht glauben sollte, daß ich sie in ihrer Nacktheit belauscht hatte, rief ich von weitem ihren Namen.

Sie blickte auf, wandte den Kopf und erstarrte. Ein anderes Wort finde ich nicht für diese plötzlich lauschende Bewegungslosigkeit, die so eigentümlich für die ist, die wir die Wilden nennen und die sie mit den Tieren im Walde gemein haben.

Als sie mich entdeckte, breitete sie die Blätter, die sie gepflückt hatte, in einem Fächer vor ihrem Schoß aus und kam langsam und zögernd auf mich zu, den Kopf auf die Seite gelegt, denn die Sonne schien ihr in die Augen.

Es war dieselbe runde Stirn mit den ausdrucksvollen Falten, und doch keine Kinderstirn mehr. Es waren dieselben gewölbten Augen, die denen Talaos glichen; das Sprunghafte und Scheue aber war zu einer stillen, brennenden Flamme geworden, die meinen Blick mit einer unsagbar wohltuenden Wärme festhielt.

Es war etwas Starkes und Treues über die ganze kleine, untersetzte Gestalt gekommen, und plötzlich kam mir der Gedanke: so sieht ein Mensch aus, der im Glück wiedergeboren ist.

Es war wie eine Offenbarung, und der Eindruck war stark.

Ich verglich sie mit Ali in ihrer ersten glücklichen Zeit, so wie ihr Bild sich meiner Erinnerung tief eingeprägt hatte. Sie waren von derselben Insel und im gleichen Alter, und dennoch, welch ein Unterschied!

Ali war wie das brausende Wetter eines Glücksorkans, der in ihrem Herzen raste und sie nicht losließ, bevor er zu einem Kind in ihrem Schoß geworden war.

Lea war die stille, starke Wärme unter einer goldenen Sonne, in der das Leben sprießt, wirkt und sich wie in dunklen, glücklichen Träumen erneuert.

Ich konnte mich nicht entschließen, sie nach ihrem Leben im letzten Monat auszufragen.

Die jungen Mädchen bei den »Wilden« pflegen unendlich feinfühlend in ihrem ersten strahlenden Liebestraum zu sein. Sie bewachen ihn wie ein heiliges Feuer und fürchten stets, daß ein böser Geist darüber in der Luft schwebt, der ihnen schaden kann, wenn er von ihrem Glück erfährt; sie gehen so ganz und gar darin auf, daß alles, was sie berühren und womit sie sich beschäftigen, davon geprägt wird.

Aber sie erfreuen, das konnte ich, und das wollte ich.

»Ist es schön, wenn man braune Zähne bekommt?« fragte ich und lächelte ihr zu.

»Ja.«

Sie lachte mit Stirn, Augen und Mund, mit Schultern und Körper; und durch ihr Lachen schimmerte plötzlich das Kind Lea. Dann wurde sie wieder ernst und erinnerte sich, daß sie keinen Tapa anhatte.

Ihre Augen wurden feucht; und ihre Lippen bekamen den bläulichen Schimmer, der das Verlegenheitserröten eines Mahuramädchens ist. Sie zögerte und blickte zu den Pisangbäumen zurück, die mit ihren langen Blättern winkten.

»Geh hin und mach deinen Tapa fertig!« sagte ich, »und komm dann wieder und sieh dir an, was ich in meinem Haus habe.«

Sie besann sich einen Augenblick. Dann eilte sie zurück, und jetzt ging ihr das Pflücken der Blätter schnell von der Hand.

Während sie die Blätter auf eine Schnur zog, ging ich langsam über den Strand auf mein Haus und meinen Speicher zu, die mit ihren gelben Pandangdächern und niedrigen, weißgekalkten Bambuswänden in der Sonne leuchteten.

Sie rief mich beim Namen und kam hinter mir hergesprungen. So freimütig hatte das Glück die scheue, verlegene Lea gemacht.

Als ich mich umdrehte, blieb sie stehen, breitete die Arme aus und blickte auf ihren Leib herunter wie ein Kind, das ein neues Kleid bekommen hat.

»Ai – ai!« sagte ich bewundernd und legte meine Hände auf die Brust.

Sie lachte wieder, wurde ruhig und wanderte still mit träumenden Augen an meiner Seite.

Ich zeigte ihr mein Haus und meinen Speicher. Ich öffnete meine Kisten und ließ sie zu all den Herrlichkeiten hineinsehen.

Ihre Augen wurden größer und größer; ihr Mund zog sich zusammen und vergaß zu lächeln.

Da war eine herrliche, dreireihige Halskette aus kleinen bunten Glasperlen in allen möglichen Farben; davon konnten ihre Augen sich nicht losreißen.

Ich nahm sie und hing sie ihr um den Hals, weil sie so jung und glücklich war. In Europa war es ein billiger Tand, den ein Dienstmädchen verschmäht haben würde; hier auf der Insel, in Kopra oder Taro gemessen, war die Kette ein Vermögen, für das ich bei meiner Abrechnung mit der Faktorei verantwortlich war.

Zuerst wurden ihr die Augen feucht. Dann brach die Freude ihr aus Stirn, Augen und Mund. Ihre Brust wogte auf und nieder, aber sie fand keine Worte.

Ihre beiden Hände glitten liebkosend über die blanken Perlen. Sie hielt die Kette von sich ab, um sie recht bewundern zu können. Ich las in ihren Augen, daß sie an ihn dachte, in dem alle ihre Gedanken wurzelten, und daß sie sich seinetwegen freute, weil sie plötzlich so viel mehr wert geworden war.

Dann erst kamen ihre Gedanken zu mir.

Sie sah mit einem Blick zu mir auf, der erstaunt und liebevoll verlegen und betrübt zu gleicher Zeit war.

»Was soll ich dir statt dessen geben, du reicher Mann?« fragte sie, öffnete ihre Hände und zeigte mir, wie leer sie waren.

Sie zog die Brauen zusammen und überlegte eine Weile; dann glitt ein heller Schein über ihr Gesicht:

»Ich will es meinem Vater sagen. Er hat nach dem König die feinsten Matten, er soll dir so viel geben, wie du haben willst.«

»Nein, Lea. Ich mache mir nichts aus seinen Matten. Du sollst mir etwas anderes dafür geben: deine Freundschaft.«

Sie betrachtete mich lange mit ihrem stillen, forschenden Blick; so eindringlich betrachtete sie mich, um Klarheit zu bekommen, daß ich die Augen niederschlug und mein Herz prüfte.

»Was ist Freundschaft?« fragte sie schließlich, und ihr Blick ließ den meinen nicht los.

Ich fand keine Schuld in meinem Herzen und antwortete:

»Ich habe dich mit deinen Brüdern als kleines Mädchen umherspringen sehen. Kannst du dich meiner von damals noch erinnern?«

Ich konnte ihren Augen ansehen, wie ihr Gemüt in die Erinnerung zurückblickte. Dann nickte sie zögernd.

»Kannst du dich noch an Ali erinnern,« fragte ich, »die Königstochter, die die Meine war und die mit ihrem kleinen Knaben von dem Sturm getötet wurde?«

Sie nickte wieder.

»Ich habe dir diese Kette gegeben, weil du ebenso glücklich bist, wie sie damals war.

Diese Kette,« sagte ich, »kann nur von einer getragen werden, die vollständig glücklich ist. Wenn jemand anders sie trägt, dann kommen nachts die Geister und rauben sie. Darum gebe ich sie dir. Hüte sie wohl; und wenn dir etwas zustößt, was dir weh tut, so daß du weinen mußt, dann komme zu mir und sag es mir, damit ich dir helfen kann, daß die Geister dir die Kette nicht rauben. Begreifst du jetzt, was Freundschaft ist?«

Sie betrachtete die Kette, die sie vorsichtig und zärtlich von sich abhielt. Sie lächelte vor sich hin, treu und geborgen: Was sollte mir wohl zustoßen, so glücklich wie ich bin?

Plötzlich ging ein Schatten über ihr Gesicht. Sie sah mit einem Blick zu mir auf, der dunkel und voller Angst war, und ich las, daß sie dachte: Ali, die ebenso glücklich war wie ich, wurde ja mit ihrem kleinen Knaben vom Sturm getötet.

Sie nickte langsam und feierlich. Ich begriff, daß sie sich selbst und mir gelobte, die Kette wohl zu hüten, und daß sie unsere Freundschaft besiegelte.


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