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Achtes Kapitel.

Als nun unsere beiden Reisenden ihre Wanderung wieder fortsetzten, war in ihrem Verhältniß zu einander eine Veränderung eingetreten, ja, man hätte behaupten mögen, auch ihre Charaktere seien verändert. Denn Tom schüttete jetzt sein sturmbewegtes Herz gegen Kenelm aus und machte diesen philosophischen Verspotter der Liebe zum Vertrauten all der leidenschaftlichen Gefühle der Liebe: ihrer Hoffnungen, ihrer Aengste, ihrer Eifersucht und ihrer Wuth, alles dessen, was zugleich mit dem Gedanken an die sanfteste aller Empfindungen die Vorstellung von Schrecken und tragischem Ausgang in uns wach werden läßt. Und Kenelm, der mit zärtlichem, sanftem Ausdruck zuhörte, äußerte nicht ein einziges cynisches Wort, ja, machte keinen noch so leichten Scherz. Er fühlte, daß der Ernst 29 alles dessen, was er hörte, zu feierlich für jede Spötterei und zu tief selbst für tröstlichen Zuspruch sei. Wahre Liebe dieser Art war etwas, das er nie gekannt hatte, nie kennen zu lernen wünschte und, wie er meinte, nie kennen lernen könne, mit dem er aber nichtsdestoweniger sympathisirte. Sonderbar, wie sehr wir zum Beispiel auf der Bühne oder in einem Buch mit Leidenschaften sympathisiren, die uns nie aufgeregt haben. Hätte Kenelm gescherzt oder raisonnirt oder gepredigt, so würde Tom sofort wieder in ein trübseliges Schweigen verfallen sein; aber Kenelm sagte nichts, sondern murmelte nur bisweilen, während er seinen Arm brüderlich um die Schultern des fremden Mannes schlang, vor sich hin: »Armer Junge!« So fühlte sich Tom, als er mit seinen Bekenntnissen zu Ende war, wunderbar erleichtert und getröstet. Er hatte seine Brust von dem gefährlichen Stoff gereinigt, der auf seinem Gemüth lastete.

War dieses gute Resultat durch Kenelm's diplomatische Kunst bewirkt oder durch jenen Einblick in menschliche Leidenschaften, der, wie in plötzlicher Erleuchtung, ihm selbst unbewußt, diesem sonderbaren Menschen vergönnt war, welcher die Zwecke und Bestrebungen seiner Mitmenschen mit dem sehnsüchtigen Verlangen, sie zu theilen, beobachtete, sich aber sagen 30 mußte: Ich kann nicht, ich stehe nicht in dieser Welt, wie ein Geist husche ich an ihr vorüber und schaue zu?

So setzten die beiden Männer ihren Weg langsam fort, durch liebliche Wiesen und gelblich schimmernde Kornfelder, bis sie endlich in die staubige Landstraße einlenken mußten. Auf dieser veränderte sich der Ton ihres Gesprächs unmerklich; es wurde alltäglicher und Kenelm gestattete sich wieder die Freiheit jener Grillen, durch welche er auch dem Alltäglichsten eine komisch scherzhafte Seite abzugewinnen wußte, sodaß Tom bisweilen in ein heiteres Gelächter ausbrechen mußte. Dieser stämmige Bursche hatte eine angenehme Eigenschaft, deren sich, glaube ich, nur Leute von echtem Wesen und menschenfreundlicher Gesinnung erfreuen, ein unbefangenes und angenehmes, männliches und offenes, aber nicht, wie man hätte denken sollen, geräuschvolles Lachen. Aber diese Art von Lachen war seit jenem Tage, wo seine Liebe für Jessie ihn mit sich selbst und der Welt in Unfrieden gebracht hatte, nicht über seine Lippen gekommen.

Die Sonne ging unter, als sie von dem Gipfel eines Hügels die Thürme von Luscombe vor sich erblickten, das zwischen den ebenen Wiesen, die sich unten hinstreckten, an demselben Strome lag, der sich längs ihres ländlichen Fußwegs hingeschlängelt hatte, 31 der aber sich hier zu stattlicher Weite ausdehnte und eine mächtige, dem civilisirten Verkehr entsprechende Brücke nöthigte, ihn zu überspannen. Die Stadt schien nahe, es bedurfte aber noch eines halbstündigen Marsches auf der Landstraße, um sie zu erreichen.

»Jenseits jenes Zauntrittes führt ein kurzer Richtweg durch die Felder direct nach dem Hause meines Onkels«, sagte Tom, »und ich glaube, Sie werden froh sein, der schmuzigen Vorstadt zu entgehen, durch welche die Landstraße führt, ehe sie uns in die Stadt bringt.«

»Das ist ein guter Gedanke, Tom. Es ist sehr sonderbar, daß schöne Städte immer von schmuzigen Vorstädten umgeben sind, vielleicht eine verdeckte symbolische Satire auf den Weg, der in schönen Städten zum Erfolge führt. Habsucht oder Ehrgeiz haben sehr schmuzige, kleine Straßen zu passiren, bevor sie an den Platz gelangen, den zu erreichen sie sich durch die Menge drängen, im Stadthause oder an der Börse. Glücklich der Mann, der wie Sie, Tom, findet, daß es einen kürzeren, reineren und angenehmeren Weg zum Ziele oder zum Ruheplatz gibt, als den durch die schmuzigen Vorstädte.«

Sie begegneten nur wenigen Wanderern auf ihrem Wege durch die Felder; einem respectablen, ruhigen, 32 ältlichen Paar, das aussah wie ein Dissenterprediger mit seiner Frau, einem vierzehnjährigen Mädchen, das einen kleinen Knaben an der Hand führte, einem Paar, das offenbar für Tom Bowles' Augen ein Liebespaar war, denn als er sie, die seiner nicht achteten, vorübergehen sah, zuckte er zusammen und sein Gesicht veränderte sich. Selbst nachdem das Paar vorbei war, sah Kenelm Tom's Gesicht noch schmerzlich verzogen; die Lippen waren zusammengepreßt und die Mundwinkel melancholisch herabgezogen.

In diesem Augenblick kam ein Hund mit kurzem, raschem Gebell auf sie zugesprungen, ein Spitz mit spitzer Nase und gespitzten Ohren. Der Hund hörte aber zu bellen auf, als er sich Kenelm näherte, er beschnüffelte dessen Beinkleider und wedelte mit dem Schwanz.

»Bei den heiligen Neun«, rief Kenelm, »Du bist der Hund mit dem zinnernen Teller! Wo ist Dein Herr?«

Der Hund schien die Frage zu verstehen, denn er wandte seinen Kopf bedeutungsvoll um und Kenelm sah in ziemlicher Entfernung von dem Wege, unter einer Linde sitzend, einen Mann mit einem Buch in der Hand, offenbar mit Zeichnen beschäftigt.

»Kommen Sie mit mir«, sagte er zu Tom, »ich 33 erkenne da einen Bekannten; er wird Ihnen gewiß gefallen.«

Tom trug kein Verlangen, in diesem Augenblick eine neue Bekanntschaft zu machen, aber er folgte Kenelm gehorsam. 34


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