Edward Bulwer
Paul Clifford. Viertes Bändchen
Edward Bulwer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundzwanzigstes Kapitel

Traum. Laß mich sie nur sehen, lieber Leontius.

Der humoristische Lieutenant.

Hompskirke. Der Bursche war es, sicherlich.
Wolfort. Was seyd ihr Kerl?

Der Busch des Bettlers.

O du göttlicher Geist, der Du in ganz England jedes Herz entflammst, und Jeden mit dem erhabnen Verlangen anspornst: vornehm zu seyn! der du den Großen anregst, daß er sich klein macht, um noch größer zu erscheinen und die Herzogin veranlaßst, einer Auszeichnung zulieb einer Beschimpfung sich auszusetzen! Du, der du in so vielen Gestalten, wechselnd, aber immer derselbe entzückst! Geist, der du den Hohen verächtlich machst und den Lord gemeiner als seinen Kammerdiener! gleich groß, ob du einen Freund betrügst, oder einen Vater betrübst! der du alles was du berührst, mit glänzender Gemeinheit übertünchst, welche von deinen Priestern für Gold gehalten wird; der du die kleine Schaar zu fashionabeln Bällen und die große Menge zu fashionabeln Novellen führst; der du das Genie so gut triffst, wie die Thorheit, wenn du bewirkst daß die Günstlinge von jenem sich einer Bekanntschaft mit den Gnaden einer verschimmelten Peerschaft rühmen, die sie nicht haben, statt des Umgangs mit der Muse des unsterblichen Helikon, der ihnen gegönnt ist! der du in dem großen Ocean des geselligen Lebens kein« trockne Stelle übrig läßst für den Fuß der Unabhängigkeit; der du das ermattete Auge mit einem bewegten, kreisenden Panorama übertünchter Nichtswürdigkeit übersättigst und die Seele freigeborner Britten in Stäubchen zermalmst – kleiner als die Engel die zu Myriaden auf einem Stecknadelkopf tanzen. Geist, göttlicher Geist! führst du nicht unter dem Mantel der Leichtfertigkeit ein gewaltiges und scharfes Schwert und beschleunigst du nicht, zur Verachtung übergehend, während Du dir das Ansehen gibst, die feierliche Scheinpracht der Welt zu entfalten, für die große Familie der Menschheit den Zeitpunkt der Erlösung? Magst du, o Geist, dich Fashion, oder Ton, oder Ehrgeiz, oder Eitelkeit, oder Heuchelei, oder Lebensart nennen, oder mit sonst einem eben so erhabenen und hochtrabenden Namen – könnten wir nur von deiner Schwinge eine einzige Feder gewinnen! wie schön wollten wir in paßlicher Weise die Festlichkeiten des denkwürdigen Tages beschreiben, an dem der freundliche Lord Mauleverer die bewundernde Welt von Bath bei sich empfing und entzückte!

Aber um minder poetisch zu reden, wie gewisse Schriftsteller sagen, wenn sie Unsinn geschrieben – oder um minder poetisch zu reden und desto genauer: der Morgen war, obgleich tief im Winter, hell und klar und Lord Mauleverer befand sich eben ausnehmend wohl. Nichts konnte besser ausgedacht sein, als seine ganze Einrichtung: unähnlich denjenigen, die meist ausdrücklich herausgesucht zu seyn scheinen, um in den schneidendsten Contrast mit unsrem Clima zu treten, waren sie bei Lord Mauleverer durchgehends einer Grönländertemperatur angemessen. Die Tempel und Sommerhäuser, womit der Rasen übersät war, hatte man theils in Eskimo'shütten, theils in Russische Lusthäuser umgewandelt; Feuer wurden sorgfältig unterhalten; die Musiker, dafür trug Mauleverer Sorge, sollten so viel Wein bekommen, als sie mochten; sie waren geschickt an Orten untergebracht, wo sie unsichtbar blieben aber wohl gehört werden konnten. Ein paar Säle waren aus dem Stegreif für die Liebhaber des Tanzes aufgeschlagen worden; und da Mauleverer, in seinen Voraussetzungen vom innern Wesen der Menschen sich verrechnend, meinte: anständige Gentlemen würden eine Abneigung fühlen, ihre Geschicklichkeit zur Schau zu stellen, so hatte er Leute gemiethet, um auf seinen Seen, auf Schlittschuhen Menueten und Achter auszuführen, zur Belustigung derer, welche Freunde dieser Uebung waren. Alle Leute, welche sich willig zeigten, sonderbare Trachten anzunehmen und einen wilden Lärmen zu machen, den sie Gesang nannten, hatte der Graf eifrig angeworben und sie auf den besten Stellen aufpostirt, um ihnen ein noch sonderbareres Aussehen zu verleihen.

Auch war eine Fülle von Eßwaaren und Ueberfluß an Getränke da. Mauleverer wußte wohl, daß unsre Landsmänner und Landsmänninnen von jedem Stande gern in eine höhere Begeisterung sich versetzen. Kurz, das ganze Déjeûné war so bewunderswerth angeordnet, daß sich mit Wahrscheinlichkeit erwarten ließ: die Gäste würden während der Lustbarkeit nicht viel melancholischere Gesichter machen, als sie gethan haben würden, wenn sie etwa zu einem Leichenbegängniß bestellt gewesen wären.

Lucie und der Squire waren unter den ersten Ankömmlingen.

Mauleverer ging auf Vater und Tochter mit seiner feinsten Devonshire Hauslebensart zu, und bestand darauf, letztere unter seine eigene Obhut zu nehmen und ihr alle Anstalten als Cicerone zu zeigen.

Als das Gedränge wuchs und man bemerkte, welche höfliche Aufmerksamkeit der Wirth Lucien bewies, da erhob sich unter den Gästen mannigfaches, neidisches Geflüster. Die guten Leute, natürlich verstimmt bei dem Gedanken, daß zwei Personen sich heirathen könnten, theilten sich in zwei Parteien; eine zog auf Lucie, die andere auf Lord Mauleverer los; jene tadelte ihre List, diese seine Thorheit.

»Ich dachte mirs doch, sie würde ihre Karten gut ausspielen – die eingebildete Creatur!« sagten die Einen. »Januar und Mai,« brummten die Andern, »der Mann ist sechzig alt!« Es war bemerkenswerth, daß die Parthei, welche gegen Lucien war, hauptsächlich aus Damen bestand, die gegen Mauleverer aus Männern; das muß in der That eine gehässige Aufführung seyn, die Einem Unwillen des eignen Geschlechts zuzieht.

Unbewußt ihrer Schuld bewegte sich Lucie munter dem Gewühle, am Arm des galanten Grafen, und (denn ihr Herz war fern von hier) lächelte matt erschöpft bei seinen Bemühungen sie zu unterhalten. Selbst in der Unähnlichkeit des Paares lag etwas Interessantes; so gar rührend erschien die Schönheit des jugendlichen Mädchens mit den zartgefärbten Wangen, mädchenhaften Formen, gesenktem Augenlied, und ruhiger Natürlichkeit des Wesens, im Vergleich mit der weltmännischen Haltung und erkünstelten Liebenswürdigkeit ihres Begleiters.

Nach einiger Zeit, als sie sich in einem Theile der Anlagen befanden, trat Mauleverer, der bemerkte daß Niemand in der Nähe sey, in eine schmucklose Hütte und so bezaubert war er in diesem Augenblick von der Schönheit seines Gutes und so passend schien ihm die Gelegenheit zu einer Eröffnung, daß er nur mit Mühe das Geständnis, das auf seinen Lippen schwebte, unterdrückte, und den klügeren Plan wählte, zuerst gleichsam den Weg zu sondiren und vorzubereiten.

»Ich kann Ihnen nicht sagen, meine liebe Miß Brandon,« begann er und drückte leicht die schöne Hand die auf seinem Arm ruhte, »wie glücklich ich bin, Sie als Gast, als Königin vielmehr in meinem Hause zu sehen. Ach! könnte die Blüthe der Jugend mit ihren Gefühlen wiederkehren! die Zeit ist nie so grausam als wenn sie, indem sie uns die Macht zu gefallen entzieht, das unselige Recht bezaubert zu werden, in ungeschwächter Kraft läßt.«

Mauleverer erwartete mindestens eine erröthende Bestreitung des versteckten Sinnes eines so gefühlvoll ausgedrückten Gedankens; er täuschte sich. Lucie, weniger empfänglich als sonst für das Zärtliche oder dessen Gegentheil, verstand den Sinn kaum und antwortete einfach: das sey sehr wahr. »Das kommt dabei heraus,« dachte Mauleverer, ein wenig stutzend über die unerwartete Antwort, »wenn man, wie mein Freund Burke, feiner ist, als die Zuhörer es vertragen können.«

»Und doch,« begann er wieder, »möchte ich mein Vermögen zu bewundern, nutzlos ja peinlich wie es mir ist, nicht aufgeben. Und eben jetzt, da ich Sie ansehe, sagt mir mein Herz, daß es in Ihrer Willkühr steht, die Wonne die ich empfinde, mit Einem male und für immer in Elend und Gram zu verwandeln, aber eben während mir mein Herz dieß sagt, sehe ich Sie an.«

Lucie schlug das Auge auf und etwas von ihrer gewöhnlichen Schalkhaftigkeit spielte in ihren Zügen.

»Ich glaube, mein Lord,« sagte sie, die Hütte verlassend, »es wäre besser unsre Gäste aufzusuchen; die Wände haben Ohren und welche Vorwürfe müßte sich der lebensfrohe Lord Mauleverer machen, wenn ihm wieder etwas zu Ohren käme von seinen zierlichen Complimenten gegen – – « »Die reitzendste Person in Europa!« rief Mauleverer heftig und faßte jetzt die Hand, die er zuvor leicht berührt hatte; in diesem Augenblick sah Lucie gerade ihr gegenüber, halb versteckt von einer Pflanzung Immergrün, die Gestalt Cliffords. Sein Gesicht, das blaß und eingefallen schien, war nicht gegen die Stelle gekehrt wo sie stand, und offenbar bemerkte er weder sie noch den Lord; aber so groß war der Eindruck den dieser flüchtige Anblick desselben auf Lucie machte, daß sie heftig zitterte, unwillkührlich einen leisen Schrei ausstieß und ihre Hand Mauleverer entriß.

Der Graf stutzte, beobachtete den Ausdruck ihrer Augen und wandte sich sogleich nach der Stelle, wohin ihr Blick gerichtet schien. Er hatte das Knistern des Gebüsches nicht gehört, aber mit seinem gewohnten Schnellblick sah er, daß es noch bebte, als wäre es erst kurz zuvor bewegt worden und durch die Zwischenräume desselben erhaschte er noch den Schatten einer fliehenden Gestalt. Er eilte ihr nach mit einer Schnelligkeit, die gegen seine sonstigen Bewegungen sehr abstach; aber eh' er das Gebüsch erreichte, war jede Spur des Eindringlings verschwunden.

Welche Sklaven des Augenblicks wir sind! Als Mauleverer sich wieder gegen Lucie wandte, die beinah bis zur Ohnmacht angegriffen an die nahe Wand der Hütte sich lehnte, hätte er sich eben so gut einfallen lassen mögen zu fliegen, als ihr das edelmüthige Anerbieten seiner Person u.s.w. zu machen, das er noch vor einem Augenblick Lucien zu eröffnen brannte. Eitle Leute sind immer verwünscht eifersüchtig, und Mauleverer, der wohl noch an Cliffords und Luciens Erröthen dachte, als sie mit ihm tanzte, wußte sich sogleich ihre Bewegung und den Grund davon zu deuten. Mit sehr ernsthafter Miene näherte er sich dem Gegenstand seiner jüngst gespendeten Verehrung, und verlangte zu wissen, ob es nicht der plötzliche Anblick eines ungebetenen Gastes sey, der ihr den Schrecken verursacht. Lucie, kaum wissend was sie sagte, antwortete mit leiser Stimme: »Das war es, in der That!« und bat ihn dringend sie zu ihrem Vater zu bringen. Mauleverer bot ihr mit großer Würde den Arm und das Paar betrat den besuchten Theil der Anlagen, wo Mauleverer wieder gegen alle Anwesenden von Lächeln und Artigkeit überströmte.

»Er ist sicherlich erhört,« sagte Herr Shrewd zu Lady Simper.

»Welch ungeheure Partie für das Mädchen!« war die Antwort der Simper.

Unter der Musik, dem Tanze, dem Gedränge und Gelärme wurde es Lucien leicht sich wieder zu fassen; so bald sie ihres Vaters ansichtig wurde, machte sie sich von Lord Mauleverers Arm los, schloß sich an den Squire an und blieb eine geduldige Zuhörerin seiner Betrachtungen, bis spät am Abend, wo man es als eine sich von selbst verstehende Sache ansah, daß die Leute in einen langen Saal sich begaben, um zu essen und zu trinken. Mauleverer, jetzt ganz durchdrungen von den Pflichten seiner Stellung und äußerst erbost gegen Lucie, söhnte sich leichter, als ohne dieß der Fall gewesen wäre, mit der Etiquette aus, die ihm auferlegte statt der Schönheit des Festes eine alte verwittwete Herzogin zum Gegenstand seiner gastlichen Höflichkeit zu machen; aber er war besorgt dem Squire die für ihn und seine Tochter bestimmten Plätze anzuweisen, die, obgleich in einiger Entfernung vom Grafen, doch im Bereich seines wachsamen Auges waren.

Während Mauleverer, die Herzogin Wittwe vergötterte und seine Lebensgeister mit einem jungen Huhn und einem ärztlichen Glas Madera wieder auffrischte, lenkte sich das Gespräch in der Nähe von Lucie, zu ihrer unbeschreiblichen Noth, auf Clifford. Einige hatten ihn in den Anlagen gestiefelt und in Reiterkleidung gesehen, (zu jener Zeit war es selten, daß die Leute in Kleidern von demselben Schnitt tanzten und ritten), und da Mauleverer ein Mann war, der streng auf diese Kleinigkeiten der Etiquette hielt, so gab diese Nachläßigkeit Cliffords allerdings einen Gegenstand der Erörterung ab. Allmälig ging das Gespräch in die alte Frage über: wer denn dieser Kapitän Clifford sey? und gerade als es diesen Punkt erreicht hatte, erreichte es auch das halbtaube Ohr des Lord Mauleverer.

»Bitte, mein Lord!« sagte die alte Herzogin, »da er Einer Ihrer Gäste ist, so können Sie, da Sie wissen, Wer und Was Jeder ist, uns wahrscheinlich über die wahre Familie dieses hübschen Herrn Clifford Auskunft geben?«

»Einer meiner Gäste, sagten Sie?« antwortete Mauleverer mit einer Erbitterung die sich sehr von seiner sonstigen, ruhigen Weise entfernte. »In der That, Euer Gnaden thun mir Unrecht. Er mag der Gast meines Kammerdieners seyn, aber sicherlich nicht der meinige, und sollte ich ihm begegnen, so wollte ich es meinem Kammerdiener überlassen ihm auch den Abschied zu geben, wie die Einladung.«

Mauleverer hatte die Stimme erhoben, als er über den Tisch hinüber auf Luciens Angesicht einen Wechsel von Blässe und Röthe bemerkte, der all die heftigeren Leidenschaften, die sonst in ihm träg schlummerten, zu giftiger Wuth aufstachelte, dann, als er schloß, sah er sich mit vornehmer und sarkastischer Miene rings um. So laut war sein Ton, so nachdrücklich die Beschimpfung, und so tief die Todesstille am Tisch gewesen, während er sprach, daß Jedermann begriff, die Beleidigung müsse nothwendig Clifford zu Ohren gekommen seyn, falls er im Saale war. Und als Mauleverer geschlossen hatte, herrschte eine allgemeine unheimliche und verworrene Spannung auf eine Antwort und einen Auftritt; Alles blieb still und bald war es gewiß, daß Clifford nicht im Saale war. Als Herr Shrewd sich von dieser Thatsache hinreichend überzeugt hatte, (denn in Clifford war ein kühner Geist, den wohl wenige gern gegen sich gereizt hätten) brach diese Person das Stillschweigen durch die Bemerkung, daß Niemand, der darauf Anspruch mache, ein Gentleman zu seyn, sich ungebeten und unwillkommen in einer Gesellschaft zudrängen würde; und Mauleverer, der die Bemerkung aufgriff, sagte, zugleich mit Herrn Shrewd trinkend: ein solches Betragen rechtfertige im vollen Umfang die Gerüchte über Herrn Clifford und schließe ihn ganz und gar von dem Rang aus, den sich nur anzumaßen, er schon vorher mehr als verdächtig gewesen.

Eine so aufgeklärte und befriedigende Ansicht von einer solchen Autorität einmal verbreitet ward unverzüglich mit allgemeinem Beifall erwiedert, und lang eh das Mahl vorüber war, schien es stillschweigende Uebereinkunft: Capitän Clifford verdiene nach Coventry geschickt zu werden und wenn er über die Verbannung sich zu beschweren wage, so habe er weiter kein Recht zur Klage, wenn man ihn von da zum Teufel schicke.

Der gute, alte Squire, eingedenk seiner frühern Freundschaft für Clifford und zur Windfahne nicht gemacht, wollte eben bei der Veranlassung eine Rede beginnen, als Lucie, ihn beim Arm fassend, ihn anflehte zu schweigen, und so geisterhaft war die Blässe ihrer Wange als sie sprach, daß das Auge des Squire, doch sonst ziemlich blöde, auf einmal in das eigentliche Geheimniß ihres Herzens drang. Sobald ihm dieß Licht aufgegangen, wunderte er sich, als er sich Cliffords große persönliche Schönheit und seine Aufmerksamkeit gegen Lucie vergegenwärtigte, daß es ihm nicht früher schon klar geworden: er lehnte sich auf seinen Stuhl zurück und versank in die allerwiderlichsten Träumereien, die ihm je in den Kopf gekommen waren.

Auf ein gegebenes Zeichen fing die Musik für die Tänzer wieder an, und auf einen zu dem Zweck von dem Wirth gegebenen Wink, standen die Gäste ohne Umstände auf, um zu andern Unterhaltungen sich zu wenden und andern, bisher vom Essen ausgeschlossenen Gästen den Platz der Abtretenden einzuräumen. Während des Mahls war der Abend angebrochen und die Scene wurde jetzt wirklich ganz malerisch und feenartig; an vielen Bäumen hingen Lampen, welche das Licht durch die reichsten und mildesten Farben brachen, die Musik selbst schien noch musikalischer als den Tag über; Zigeunerzelte waren in wilden abgelegenen Orten und im Gebüsch aufgeschlagen und die hellen Holzfeuer darin loderten lustig in der kalten aber heitern Luft der überhand nehmenden Nacht. Der Anblick war ganz neu und reizend; und da es sich von selbst verstand, daß die Damen Pelze, Mäntel und Stiefel mitbrachten, bildeten alle, welche in solcher Rüstung sich gut auszunehmen meinten, kleine Gruppen und zerstreuten sich in den Anlagen und in den Zelten. Diejenigen dagegen, bei welchen das Purpurlicht der Liebe durch die Kälte leicht von den Wangen in das mittlere Prachtstück des Angesichts getrieben wurde, oder die ein Feuer im Zimmer für eben so angenehm hielten als ein Feuer in Eimer Zelt, blieben drinnen und betrachteten das Schauspiel durch die offnen Fenster.

Lucie verlangte nach Haus zurück und der Squire war nicht abgeneigt, aber unglücklicherweise war es noch eine Stunde bis zu der Zeit, auf welche der Wagen bestellt war und so schloß sie sich blindlings einer Gruppe von Gästen an, welche den gutmüthigen Squire beredet hatten sein Podagra zu vergessen und sich hinauszuwagen um das Feuerwerk mitanzusehen. Ihre Gesellschaft war bald durch andere verstärkt und die Gruppe wuchs allmälig zu einer Schaar an; der Schwarm blieb einige Minuten vor einem kleinen Tempel stehen, in welchem so eben Feuerwerke der Scene einen neuen Reiz zu geben begonnen hatten. Diesem Tempel gegenüber wie auch im Hintergrund derselben hatte man die Gänge und Bäume absichtlich beinah ohne Beleuchtung gelassen, um die Wirkung des Feuerwerks zu erhöhen.

»Ich erkläre,« sagte Lady SimperSimper bedeutet im Englischen das einfältige Lächeln, Shwred heißt schlau. mit einem Blick auf einen der Gänge, der sich in die Nacht hinaus zu verlieren schien. »Ich erkläre, dieß steht ganz dem Pfad eines Liebenden gleich! wie gütig von Lord Mauleverer! solch eine zarte Aufmerksamkeit – «

»Für Sie, gnädige Lady!« ergänzte Herr Shrewd mit einer Verbeugung.

Während Lucie, auch bei diesem Schwarm stehend, gedankenlos den langen Feuerstreifen zusah, die von Zeit zu Zeit gegen den Himmel aufschossen, fühlte sie sich plötzlich bei der Hand gefaßt, und im nämlichen Augenblick flüsterte eine Stimme: »Um Gottes willen, lesen Sie dieß jetzt und gewähren Sie meine Bitte!«

Die Stimme, welche aus dem tiefsten Herzen des Sprechenden herauf zu kommen schien, erkannte Lucie sogleich; sie zitterte heftig und blieb einige Minuten stehen; kaum sich getrauend die Augen vom Boden zu erheben. Ein Briefchen, das fühlte sie, war in ihrer Hand geblieben, und der tiefschmerzliche und ernste Ton dieser Stimme, die ihrem Ohr theurer war, als die Fülle der Musik, flößte ihr heftiges Verlangen aber auch Furcht ein, es zu lesen. Als sie wieder Muth gefaßt hatte, sah sie sich um, und als sie bemerkte, daß Aller Aufmerksamkeit auf das Feuerwerk gerichtet war, und ihr Vater namentlich, auf seinen Stock sich stützend, das Schauspiel mit der ungetheilten Freude eines Kindes zu genießen schien, schlüpfte sie leise weg, trat unbemerkt in einen der Gänge und las beim Licht einer einsamen Lampe die an dessen Eingang brannte, folgende Zeilen die mit Bleistift und hastiger Hand auf ein, wie es schien, aus einer Brieftasche gerißnes Blatt geschrieben waren.

»Ich flehe, ich beschwöre Sie, Miß Brandon, mich, wenn auch nur für einen Augenblick zu sehen. Ich habe im Sinn, mich von dem Ort, wo Sie sich aufhalten, loszureißen – ins Ausland zu gehen – die Stätte zu verlassen, die durch die Berührung Ihres Fußes geheiligt ist. Von dieser Nacht an wird meine Gegenwart, meine Kühnheit Sie nicht mehr herabwürdigen. Aber in dieser Nacht, um der himmlischen Barmherzigkeit willen, sehen Sie mich, oder ich werde wahnsinnig. Ich will nur einen Augenblick mit Ihnen sprechen, das ist Alles was ich verlange. Wollen Sie mir diese Bitte gewähren, so wird der Gang links von da, wo Sie stehen, an dessen Eingang eine rothe Lampe brennt, ein passender Ort seyn für Ihre That der Barmherzigkeit. Wenige Schritte einwärts von diesem Gang will ich Sie treffen. – Niemand kann uns sehen oder hören. Wollen Sie mir das gewähren? Ich weiß nicht – ich wage nicht es zu denken – aber in jedem Fall wird Ihr Name das letzte Wort auf meiner Lippe seyn.

P. C.«

Als Lucie dieß hastige Gekritzel gelesen hatte, warf sie einen Blick auf die Lampe über ihr, und sah daß sie zufällig in den Gang getreten war, welchen das Briefchen bezeichnete. Sie stand still, sie zögerte, die Unschicklichkeit, die Sonderbarkeit der Bitte drängten sich ihr sogleich auf; auf der andern Seite – die angstvolle Stimme, die ihr noch im Ohre klang, die zusammenhängende Heftigkeit des Billets, die Gefahr, der Tadel, dem Clifford sich ausgesetzt, einzig und allein – so flüsterte ihr Herz ihr zu – um sie zu sehen: alles dieß zusammengenommen mit ihrem einfachen Gemüth, ihrer zarten Empfindung und ihrer Liebe für den Bittsteller, bewog sie darein zu willigen. Sie warf einen Blick rückwärts; Alle schienen mit ganz andern Gedanken beschäftigt, als daß sie hätten von ihr Kunde nehmen sollen; sie schaute ängstlich vorwärts – da war Alles düster und verworren; aber plötzlich unterschied sie in kleiner Entfernung eine dunkle sich bewegende Gestalt. Sie fühlte ihre Kniee wanken und ihr Herz gewaltsam schlagen; sie trat einige Schritte vorwärts, blieb wieder stehen und sah zurück; die Gestalt vor ihr schien sich ihr zu nähern, sie faßte wieder Muth und ging vor; die Gestalt stand neben ihr.

»Wie edelmüthig, wie herablassend ist diese Güte von Miß Brandon!« sagte die Stimme, die so sehr mit geheimer mächtiger Bewegung zu kämpfen hatte, daß Lucie darin kaum Cliffords Stimme erkannte.

»Ich wagte nicht es zu hoffen; und nun – nun ich sie treffe – «

Clifford hielt inne, als suchte er nach Worten, und Lucie bemerkte trotz der Finsterniß, daß ihr sonderbarer Gesellschafter heftig erschüttert war: sie wartete zu bis er fortfahre, aber da sie ihn schweigend hin und hergehen sah, sagte sie mit zitternder Stimme: »In Wahrheit, Herr Clifford! ich fürchte es ist sehr – sehr ungeeignet von mir, mit Ihnen so zusammenzukommen; nichts als die heftigen Ausdrücke in Ihrem Brief und – und – kurz, meine Furcht, Sie möchten auf verzweifelte Schritte denken, die ich nicht errathen konnte, bewog mich Ihrem Wunsch einer Unterredung zu entsprechen.« Sie schwieg und als Clifford noch immer stumm blieb, setzte sie mit einiger Kälte im Ton hinzu: »Wenn Sie mir wirklich etwas zu sagen haben, so müssen Sie mir die Bitte erlauben, es rasch auszusprechen. Diese Unterredung sollte, das sagt Ihnen Ihr eigen Gefühl, beinah eben so bald zu Ende seyn, als sie anfängt.«

»Hören Sie mich also!« sagte Clifford seine Verwirrung bemeisternd, mit fester und heller Stimme. »Ist es wahr, was ich so eben gehört habe, ist es wahr, daß man in Ihrer Gegenwart von mir in beleidigenden und beschimpfenden Ausdrücken gesprochen hat?«

Jetzt war es an Lucie, verwirrt und bestürzt zu seyn; bange zu kränken und doch voll des heftigen Verlangens, Clifford möchte von der Geringschätzung und dem Verdacht, welche sein Geheimthun auf seinen Ruf werfe, erfahren, um sie zu entkräften, schwankte sie zwischen diesen beiden Empfindungen und ohne den letztern zu folgen, gelang es ihr doch nicht, das was sie im andern Falle befürchtete, abzuschneiden.

»Genug!« sagte Clifford im Tone tiefer Kränkung als sein begieriges Ohr den Sinn ihrer stammelnden, verworrenen Antwort einsog und ihn, noch demüthigender als er wirklich war, auslegte. »Genug! ich sehe, daß es wahr ist und daß das einzige menschliche Wesen auf der Welt, dessen gute Meinung mir nicht gleichgültig ist, Zeuge war von der beschimpfenden Art und Weise, worin Andre sich über mich auszusprechen erkühnten.«

»Aber,« sagte Lucie lebhaft, »warum dem Neid oder der Klatscherei einen Vorwand geben? Warum Ihre Herkunft und Familie nicht öffentlich bekannt werden lassen? Warum sind Sie hier« (und ihre Stimme wurde jetzt leiser) »gerade heute, ungeladen, und deßhald der Verläumdung aller derjenigen preis gegeben, welche eine Einladung für eine Ehre halten? Verzeihen Sie mir, Herr Clifford, vielleicht beleidige, kränke ich Sie, wenn ich so freimüthig mit Ihnen rede; aber Ihr guter Name ist in Ihren Händen und Ihre Freunde können nur mit Kummer zusehen, wie Sie damit spielen.«

»Mein Fräulein!« sagte Clifford, und Luciens Augen, die sich jetzt an das Dunkel gewöhnt hatten, bemerkten ein bitteres Lächeln auf seinem Munde, »mein Name, gut oder schlimm, ist mir ein ziemlich gleichgültiger Gegenstand. Ich habe von Filosofen gelesen, die darauf stolz sind, auf die Meinungen der Welt keinen Werth zu legen. Rechnen Sie mich unter diese Sekte; aber es ist, ich gesteh' es, mein inniges Verlangen, daß Sie allein, in der ganzen Welt, mich nicht verachten möchten; und nun da ich fühle, daß Sie dieß thun, thun müssen – ist Alles, was des Lebens oder der Hoffnung sich verlohnte, dahin!«

»Sie verachten!« sagte Lucie und ihre Augen füllten sich mit Thränen. »In Wahrheit, Sie thun mir und sich selbst Unrecht. Aber hören Sie mich an, Herr Clifford! ich habe zwar nur wenig von der Welt gesehen, aber doch genug, um jetzt zu wünschen, ich hätte immer in der Zurückgezogenheit gelebt; die seltenste Eigenschaft bei beiden Geschlechtern, obgleich es die natürlichste ist, scheint mir Gutmüthigkeit, und die einzige Beschäftigung der sogenannten fashionabeln Welt scheint mir die: von Andern Schlimmes zu reden! nichts gibt der Lästerung ein so erwünschtes Ziel, als das Geheimniß; nichts entwaffnet sie so, wie Offenheit. Ich weiß, Ihre Freunde wissen, Herr Clifford, daß Ihr Charakter die Probe hält und ich für meinen Theil glaube von Ihrer Familie das Gleiche. Warum erklären Sie also nicht, Wer und Was Sie sind?«

»Diese Aufrichtigkeit würde in der That meine beste Vertheidigung seyn,« sagte Clifford in einem Ton der Luciens Ohr mißfällig berührte, »aber, fürwahr mein Fräulein, ich wiederhole es, ich frage so viel als nach einem Tropfen dieses werthlosen Bluts darnach, was die Leute von mir sagen; die Zeit ist vorüber und für immer; vielleicht war sie für mich nie eigentlich vorhanden – einerlei! Ich komme hieher, Miß Brandon, nicht um nur einen Gedanken an diese nichtswürdigen Thorheiten oder an die veralteten Hohlköpfe zu verschwenden, von denen sie ausgesprochen wurden. Ich kam hieher, einzig und allein, um Sie noch einmal zu sehen, Sie sprechen zu hören, Ihre Bewegungen zu beobachten, Ihnen zu sagen (hier zitterte dem Redenden die Stimme, daß man ihn kaum verstand), Ihnen zu sagen, wenn sich eine Gelegenheit zur Entdeckung darböte, daß ich die Kühnheit – den Frevel beging – Sie zu lieben – zu lieben – o Gott! Sie anzubeten und dann Sie für immer zu verlassen.«

Bleich, zitternd, kaum vermittelst des Baums, an den sie sich lehnte, sich aufrecht erhaltend, hörte Lucie dieß rasche Geständniß an.

»Darf ich es wagen diese Hand anzurühren?« fuhr Clifford fort, indem er niederknieend, schüchtern und ehrerbietig sie faßte. »Sie wissen nicht, Sie können sich nicht träumen lassen, wie unwürdig der ist, der sich diese Kühnheit erlaubt – und doch nicht ganz unwürdig, weil er eines so tiefen, so heiligen Gefühls fähig ist, wie er gegen Sie hegt. Gott segne Sie, Miß Brandon! – Lucie, Gott segne Sie! und wenn Sie in Zukunft hören, daß mich ein noch schwärzerer Verdacht, eine noch strengere Untersuchung trifft, als jetzt auf mir lastet – wenn selbst Ihre Güte und Huld keine Vertheidigung für mich findet – wenn der Argwohn zur Gewißheit wird und die Untersuchung mit der Verdammung endigt: dann glauben Sie wenigstens, daß die Umstände mich aus meiner Natur hinausgetrieben haben, und daß unter einem bessern Stern ich ein Andrer geworden wäre, als der ich bin.« Luciens Thränen träufelten auf Cliffords Hand als er sprach und als ihm das Herz im Leibe zergehen wollte, wie er dieß fühlte und zugleich seine verzweifelte und rettungslose Lage empfand, sezte er hinzu: »Jedermann bewirbt sich um Sie – der Stolze, der Reiche, der Junge, der Hochgeborne – Alle liegen Ihnen zu Füßen! Sie werden Einen aus dieser Zahl zum Gatten erwählen; möge er über Ihnen wachen, wie ich es gethan hätte – Sie lieben, wie ich, das kann er nicht! Ja, ich wiederhole es!« fuhr Clifford mit Heftigkeit fort, »das kann er nicht! Keiner unter der fröhlichen, glücklichen, seidenen Schaar Ihrer Standesgenossen und Anbeter kann für Sie die einzige und übermächtige Leidenschaft fühlen, die mir das ist, was Andern Vaterland, Macht, Reichthum, Ehre, guter Name, Friede, öffentliche Sicherheit, der ruhige Genuß der Luft, die geringste und doch zugleich die höchste Segnung – zusammen sind. Noch einmal, möge Gott im Himmel über Ihnen wachen und Sie schützen. Ich reiße mich, indem ich Sie verlasse, von Allem los, was mich erfreut und beseligt und aufrichtet oder vielleicht würde gerettet haben. Leben Sie wohl!«

Die Hand, welche Lucie ihrem sonderbaren Anbeter gelassen, ward heftig an seine Lippen gedrückt; dann ließ er sie rasch fahren und sie sah sich wieder allein.

Clifford aber, mit äußerster Schnelligkeit durch die Bäume eilend, schlug den Weg zum nächsten Thore ein, das aus Mauleverers Besitzthum hinaus führte; als er dieß erreichte, hatte eine Schaar der ältern Gäste den Eingang besetzt, und unter diesen war eine Herzogin von solcher Auszeichnung, daß Mauleverer trotz seiner Abneigung gegen ein überflüssiges Zusammentreffen mit der Nachtluft, sich verpflichtet gefühlt hatte, sie an ihren Wagen zu begleiten. Er war in sehr übler Laune über seine nothgedrungene Höflichkeit, besonders da das Fuhrwerk ihn sehr lange warten ließ, bis er seiner Pflicht entledigt wurde, als er beim Lampenlicht Clifford nahe an sich vorbei und auf das Thor zugehen sah. Ganz seiner Weltklugheit vergessend, die ihn sollte abgehalten haben, einen Auftritt mit irgend Jemand, namentlich mit einem fliehenden Feind und mit einem Mann zu veranlassen, den zu besiegen, wenn anders seine Muthmaßungen gegründet waren, nur wenig Ruhm brachte und noch weniger, mit ihm sich zu streiten – einzig an Cliffords Nebenbuhlerschaft und seinen Haß gegen ihn wegen seiner Kühnheit denkend, trat Mauleverer, nach einer hastigen Entschuldigung gegen die von ihm geführte Dame vor, stellte sich Clifford in den Weg und sagte mit einer Verbeugung des ruhigen Hohnes: »Verzeihen Sie, Sir, haben Sie in Folge einer Einladung von mir oder von meinem Bedienten mich heute mit Ihrer Anwesenheit beehrt?«

Cliffords Gedanken waren in dem Augenblick, da er so angeredet wurde, von der Beschaffenheit, daß alles kleinere Mißgeschick davor in Nichts zusammenschrumpfte; wenn er also auch einen Augenblick bei der Rede des Grafen stutzte, so verrieth doch seine Antwort keine Verlegenheit, sondern mit einer achtungsvollen Verbeugung und ohne die Beleidigung, welche in Mauleverers Worten lag, zu berücksichtigen, erwiederte er:

»Euer Lordschaft beliebe nur einen Blick auf meinen Anzug zu werfen, um sich zu überzeugen, daß ich nicht in der Absicht, auf Ihre Gastfreundschaft Anspruch zu machen, Ihre Besitzung betreten habe. Die Wahrheit ist, und ich erwarte es von Eurer Lordschaft Artigkeit, daß einer solchen Entschuldigung Raum gegeben wird, daß ich morgen diese Gegend und zwar auf längere Zeit verlasse. Eine Person, die vor meinem Abgang zu sehen, mich sehr verlangte, befand sich unter Eurer Lordschaft Gästen; dieß hörte ich und wußte, daß ich keine andre Gelegenheit mehr finden würde, die fragliche Person vor meiner Abreise noch zu sehen; und jetzt muß ich es der wohlbekannten Artigkeit Lord Mauleverers anheimstellen, diese Freiheit zu entschuldigen, deren Grund ein Geschäft ist, das beinah den Charakter einer Notwendigkeit trägt!«

Lord Mauleverers Anrede an Clifford hatte sofort eine Menge begieriger, erwartungsvoller Zuhörer versammelt; aber so ruhig und wahrhaft vornehmanständig war Cliffords Haltung und Ton bei seiner Entschuldigung, daß der ganze Schwarm sich plötzlich widerlich getäuscht fühlte.

Lord Mauleverer selbst, überrascht durch die Fassung und das Benehmen des ungebetenen Gastes, war einen Augenblick in Verlegenheit, und Clifford wollte eben diesen Augenblick benützen und sich fort machen, als Mauleverer mit einer zweiten, höflicheren Verbeugung sagte:

»Ich kann mich nur glücklich schätzen, Sir, daß mein armer Landsitz Ihnen eine Bequemlichkeit darbot, aber wenn ich nicht zudringlich erscheine, wollen Sie mir die Frage nach dem Namen des Gastes erlauben, mit dem Sie eine Zusammenkunft suchten?«

»Mein Lord,« sagte Clifford, sich aufrichtend, mit Nachdruck und Ernst, obgleich noch mit einer gewissen Ehrerbietung, »ich darf sicherlich Euer Lordschaft Einsicht und Gefühl nicht erst darauf aufmerksam machen, daß Ihre Frage einen Zweifel ausspricht und folglich eine Beleidigung und daß der Ton derselben nicht von der Art ist, um eine Nachgiebigkeit von meiner Seite, wie der von Ihnen geforderte weitere Aufschluß voraussetzen würde, zu rechtfertigen.«

Kaum konnte ein ausgesprochener Hohn so bitter seyn, als der stillschweigende, den der Graf durch ein Lächeln an den Tag legte; und mit diesem schmeichelhaften Ausdruck auf seinen dünnen Lippen und seiner hohen Stirne antwortete Mauleverer: »Sir, ich ehre die Gewandheit, welche Ihre Antwort beurkundet; sie muß die Frucht gründlicher Erfahrungen in solchen Angelegenheiten seyn. Ich wünsche Ihnen, Sir, eine recht gute Nacht und das nächstemal, da Sie mich wieder mit einem Besuche beglücken, werden zuverläßig Ihre Beweggründe, mir diese Ehre zu schenken, nicht minder zu Ihren Gunsten sprechen als heute.«

Mit diesen Worten drehte sich Mauleverer um und suchte seine Dame wieder auf. Aber Clifford war ein Mann, der in kurzer Zeit Viel von der Welt gesehen hatte, und die Theorien der Gesellschaft wohl kannte, wenn auch nicht die Praxis in ihren Einzelnheiten; zudem war er von rascher, entschlossener Gemüthsart und diese natürlichen und erworbenen Eigenschaften sagten ihm, daß er jetzt in einer Lage sey, wo es nothwendiger geworden war, herauszufordern als zu begütigen. Statt also sich zurückzuziehen, ging er mit Bedacht auf Mauleverer zu und sagte:

»Mein Lord, ich werde dem Urtheil Ihrer Gäste die Entscheidung überlassen, ob Sie als Edelmann, als Gentleman gehandelt haben, wenn Sie so, auf Ihrem Grund und Boden einen Mann beleidigten, der Ihnen über seine Anwesenheit solche Erklärungen gegeben, welche ihn in den Augen aller einsichtsvollen oder artigen Leute vollständig entschuldigen würden. Auch überlasse ich ihnen die Entscheidung, ob der Ton Ihrer Frage mir gestattete, eine weitere Rechtfertigung zu versuchen. Auf mich selbst nehme ich es, mein Lord, von Ihnen eine unumwundene Erklärung Ihrer letzten Worte zu verlangen.«

»Unverschämter!« rief Mauleverer, der vor Wuth die Farbe wechselte und beinah zum ersten mal in seinem Leben die Selbstbeherrschung gänzlich verlor, »wollt Ihr mit mir Worte wechseln? Fort mit Euch, oder ich gebe meinen Dienern Befehl, Euch hinauszuwerfen!«

»Fort mit Euch, Sir, fort mit Euch!« riefen einige Stimmen, als Echo von Mauleverer, von den Leuten die es jetzt hoch an der Zeit glaubten, mit dem Mächtigern Partei zu nehmen.

Clifford behauptete seinen Platz und schaute mit einem Blick voll Zorn und herausfordernder Verachtung sich um, der, verbunden mit seiner athletischen Gestalt, seinem finstern und trotzigen Auge und seiner schweren Reitpeitsche, die er, wie unbewußt, halb aufgehoben hatte, in der That die Murrenden abhielt, zur Gewaltthätigkeit zu schreiten.

»Armer Prahler mit Bildung und Verstand!« sagte er, verachtungsvoll zu Mauleverer sich wendend, »mit Einem Streich dieser Peitsche könnte ich Sie für immer beschimpfen, oder Sie nöthigen von der Höhe Ihres Rangs zu mir herunterzusteigen und dieses würde erst noch eine milde Erwiederung Ihrer Sprache seyn! Aber ich will Sie lieber belehren als strafen. Nach meinem Glauben, mein Lord, ist der der Meister in Bildung, der am meisten Geduld hat; die Verachtung gibt mir die Kraft zur Geduld. Adieu!«

Damit wandte sich Clifford um und ging seines Wegs. Ein Gemurmel, das sich einem Gebrumme näherte, von Seiten des jüngern oder einfältigeren Theils der Schmarotzer, (die ältern und vernünftigeren haben keine außerordentliche Bewegung zu äußern,) begleitete ihn als er sich entfernte.


 << zurück weiter >>