Edward Bulwer
Paul Clifford. Fünftes Bändchen
Edward Bulwer

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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Gott stehe dem König und Parlament bei
Und bringe solche Schurken zur baldigen Reu!

Loyale Lieder gegen das Rumpf-Parlament.

Verrath, ha! meine Wachen! meinen Säbel!

Byron.

Als der unehrerbietige Herr Pepper seine Hände in so weit erwärmt hatte, daß er sie vom Feuer zurückziehen konnte, erhob er die rechte Hand und begrüßte in unziemlicher Spaßhaftigkeit die weiland Zierde des Asinäums mit einem schallenden Klatsch auf die Backe oder einen derartigen Theil seines Antlitzes.

»Ha, alter Knabe!« sagte er, »ist das die Art wie Ihr für uns haushaltet? Ein Feuer, nicht so groß, um eine Laus darin zu rösten und ein Essen zu klein, sie vorher fett zu machen! Aber zum Teufel, woher solltet Ihr auch gelernt haben, einen Imbiß für Gentlemen zu bereiten? Ihr seyd noch in Schottland, darauf laß ich mich hängen?«

»Vielleicht dachte er so, als er Euch ansah, Ned!« sagte Tomlinson mit Ernst, »selten sieht man außerhalb Schottlands einen so derben Schelmen in einem so kleinen Gelaß!«

Herr Mac Grawler, dessen Augen die handgreifliche Artigkeit des langen Ned mit Thränen ungeheuchelter Empfindung gefüllt und der bisher die verletzte Stelle gerieben hatte, brummte jetzt:

»Ihr mögt sagen was Euch beliebt Herr Pepper – aber es ist ein seltner Fall in meinem Lande, daß man Männer von Geist die Rolle von Köchen bei Räubern spielen sieht!«

»Ja!« sagte Tomlinson, »sie spielen die einträglichere Rolle von Räubern bei Köchen, he?«

»Gott straf' mich. Ihr seyd jezt daran,« rief der lange Ned, »denn in jenem Lande giebt es entweder keine Räuber, weil es dort nichts zu rauben gibt; oder die Einwohner sind Alle Räuber, die einander geplündert haben und sich mit der Beute davon gemacht!«

»Der Deuwl soll dich holen!« sagte Mac Grawler, aufs heftigste erbittert, denn, wie alle Schotten war er ein Patriot; ungefähr nach derselben Regel, wornach das Weib, welches die schlimmsten Kinder hat, die beste Mutter vorstellt.

»Der Deuwl!« sagte Ned, den Silberklang nachahmend, wie Sir Walter Scott gar artig die Bergsprache zu bezeichnen beliebte, welche von den Schotten insgeheim scheint für wirkliches Silber gehalten zu werben, da sie dieselbe so sorgfältig festhalten. »Der Deuwl, Mac Deuwl meint Ihr, – gewiß der Herr muß ein Schotte gewesen seyn!«

Der Weise grinste höhnisch; aber eingedenk der Geduld Ep stets im Sklavenstand und bedeutend auch den gewaltigen Arm des langen Ned, bewältigte er seinen Grimm und drehte die Beefsteaks mit der Gabel um.

»Nun, Ned!« sagte Augustus, sich in einen Stuhl werfend, den er ans Feuer rückte, während er dem Herrn Pepper sanft auf seine stattlichen Hüften klopfte, gleichsam um ihn zu erinnern, daß sie nicht so durchsichtig seyen wie Glas – »laßt uns nach dem Feuer sehen, und beiläufig, die Reihe ist an Euch die Pferde zu besorgen!«

»Die Pest darüber!« rief Ned, »die Reihe ist immer an mir, glaub' ich. Heda! Ihr schottischer Topfgucker, könnt Ihr nicht bezeugen, daß ich die Thiere das letztemal besorgte? Ich will Euch eine Krone dafür geben!«

Der weise Mac Grawler spitzte die Ohren.

»Eine Krone!« sagte er, »eine Krone! Wollt Ihr mich beleidigen Herr Pepper? Aber wahrlich, Ihr sähet das letztemal nach den Pferden und dieser würdige Gentleman, Herr Tomlinson, muß sich dessen auch wohl erinnern?«

»Was, Ich?« rief Tomlinson, »Ihr seyd im Irrthum, und ich will Euch eine halbe Guinee geben, wenn Ihr es bezeugt.« Mac Grawler riß die Augen immer weiter auf, wie man einen kleinen Ring im Wasser sich ins Unermeßliche ausdehnen sieht.

»Eine halbe Guinee!« sagte er, »nein, nein! Ihr scherzt! ich bin kein Miethling, wie Ihr meint; pah, pah! Ihr seyd im Irrthum; ich bin ein Mann der es guht meint, ein Mann von Wahrhaftigkeit und werde die Wahrheit reden trotz allen halben Guineen in der Welt. Aber wahrlich, jezt fang' ich an mich zu besinnen: Herr Tomlinson sah das letztemal nach den Thieren – und Herr Pepper, die Reihe ist an Euch!«

»Ein wahrer Daniel!« sagte Tomlinson, in einer gewohnte trocknen Weise lachend. »Ned, hört Ihr die Pferde nicht wiehern?«

»O, zum Henker mit den Pferden!« sagte der unbeständige Pepper, der jetzt, als er die Hände in die Taschen steckte und den Gewinn der Nacht befühlte, alles Andre vergaß, »laßt uns zuerst unsre Ernte beschauen!«

Mit diesen Worten schritt er an den Tisch, und lehrte seine Taschen darauf aus; Tomlinson folgte bereitwillig seinem Beispiel. Himmel! welche Ausrufe des Entzückens entfuhren den Lippen der Spitzbuben, als sie ihre neuen Erwerbungen der Reihe nach untersuchten.

»Das ist ein prächtiges Geschöpf!« rief Ned, die reiche mit Juwelen besetzte Uhr aufhebend, welche der arme Graf früher vergeblich losgekauft hatte; »eine Repetir-Uhr, beim Jupiter!«

»Ich will nicht hoffen,« sagte der flegmatische Augustus, »Repetir-Uhren würden für Eure Unterhaltungen nicht wünschenswerth seyn, Ned! Aber, ihr himmlischen Mächte, seht diesen Ring, ein Diamant vom ersten Wasser!«

»O der Funkler! er macht, daß Einem so viel Wasser im Munde zusammenläuft, wie er selbst hat. Bei Gott, das ist eine kostbare Dose zum Niespulver! ein Gemälde inwendig und außen Rubinen. Der alte Kerl hat einen trefflichen Geschmack! er würde eine Freude haben, wenn er sehen könnte, welches Wohlgefallen wir an seiner Auswahl in Juwelen haben.«

»Da wir von Juwelen sprechen« sagte Tomlinson, »ich hätte beinah das Maroquin-Kistchen vergessen; unter uns, ich bilde mir ein, da haben wir einen Schatz gekapert; es sieht aus wie ein Juwelenkästchen.« Mit diesen Worten öffnete der Räuber das Kästchen, das an manchem Galatage der zierlichen Person Mauleverers schimmernden Glanz verliehen hatte. O Leser! Der Ausbruch des Entzückens der jetzt folgte! stelle dir ihn selbst vor! wir können ihn nicht schildern! Gleich dem griechischen Maler werfen wir einen Schleier über Empfindungen, welche zu tief für Worte sind.

»Aber da,« sagte Pepper, als sie bei der Betrachtung der Diamanten sich beinah im Jubel erschöpft hatten, »da ist die Börse – fünfzig Guineen! und was ist dieß? Banknoten, beim Jupiter! die müssen wir gleich morgen auswechseln, ehe sie angehalten werden. Verflucht seyen diese Bursche, sie machen es uns immer nach; wir halten ihr Geld an und sie verlieren keinen Augenblick es auch anzuhalten. Dreihundert Pfund! Hauptmann, was sagt Ihr zu unsrem Glück?«

Clifford war mit trübsinnigen Blicken dagesessen, während die Räuber hanthirten; jetzt gab er, eine den Umständen gemäße, freudige Miene annehmend, eine passende Antwort und nach einer allgemeinen Unterhaltung gieng es ans Werk der Theilung.

»Wir sind die besten Rechenmeister von der Welt!« sagte Augustus, als er seinen Antheil einsteckte, »Addiren, Subtrahiren, Dividiren, Reduciren – wir haben alles so geläufig in der Hand wie ›des Vormunds Beistand‹ und was noch besser ist, es geht bei uns Alles nach der Regel de Tri.«

»Ihr habt das Multipliciren übergangen!« sagte Clifford lächelnd.

»Ha, weil das ein anderes Verfahren ist; die übrigen Rechnungsarten stimmen mit den Species im Königreich zusammen; aber was das Multipliciren betrifft – wir multipliciren, fürcht' ich, keine Species als unsre eigne.«

»Pfui, Ihr Herren!« sagte Mac Grawler streng; denn die ächten Schotten haben ein wunderbares Anstandsgefühl. Handlungen sind gleichgültig; aber nichts kann sauberer seyn als ihre Worte.

»Ha! Ihr verlaßt Euch auf Eure Weisheit, nicht wahr?« sagte Ned. »Ich denke, Ihr möchtet auch gern ein paar Rollen Geld von der Beute.«

»Rollen!« sagte der spitzfindige Tomlinson. »Er hat neunmal mehr Rollen als wir. Ist er nicht ein Kritiker und hat er nicht die Rollen der Beredsamkeit in den Fingerspitzen?«

»Unsinn!« sagte Mac Grawler, unwillkührlich die Hände hinhaltend, mit der Gabel, die zwischen den ausgestreckten Fingern der rechten Hand schwebte.

»Unsinn, Selbst!« rief der lange Ned, »Ihr einen Antheil bekommen, wo ihr nie mit halfet! ein pfiffiger Bursche, fürwahr! Kümmert Euch um Eure Angelegenheiten, Herr Schotte, und gabelt nach nichts als den Beefsteaks!«

Hiemit wandte sich Ned nach den Ställen und verschwand bald unter den Pferden; aber Clifford, der die mißvergnügte und gereitzte Miene des Küchendienste leistenden Weisen bemerkte, nahm zehn Guineen von seinem Antheil Und schob sie seinem ehemaligen Lehrmeister hin.

»Da!« sagte er mit Nachdruck.

»Nein, nein;« grunzte Mac Grawler, »ich brauche das Geld nicht, es liegt in meiner Art, diesen Unrath zu verachten!« So sprechend schob er die Goldstücke in die Tasche und kehrte, in sich hineinbrummend, wieder zu seinen festlichen Vorbereitungen zurück.

Mittlerweile hatte ein leises Gespräch zwischen Augustus und dem Hauptmann statt, welches fortdauerte, bis Ned zurückkehrte und

»die Nachtkost auf dem Tische dampfte.«

Seelen Don Rafaels und Ambrosius Lamela's, welch köstliche Sache ist es, für eine kurze Zeit ein Spitzbube zu seyn! Wie lustig sind doch die Leute, wenn sie ihre Brüder betrogen haben! Unschuldige Milchsuppengesichter hielten nie ein so vergnügtes Mahl als unsre Helden von der Landstraße. Clifford vielleicht spielte nur eine erzwungne Rolle, aber die Fröhlichkeit seiner Kameraden war ungeheuchelt. Es war ein köstlicher Kontrast, das schallende Ha! Ha! des langen Ned und das verstohlene, trockne, berechnende Kichern des Augustus Tomlinson; es war Rabelais neben Voltaire. Nur im Gegenstand ihrer Scherze trafen sie zusammen und die Hauptzielscheibe derselben war, (wie denn immer die Weisheit der Frivolität herhalten muß) der große Peter Mac Grawler.

Die rohen Hunde machten sich hauptsächlich über die frühere Beschäftigung des Weisen lustig.

»Kommt, Mac, Ihr zerlegt wohl dies; Lendenstück, « sagte Ned, »Ihr habt Uebung im Aufschneiden gehabt.«

Der gelehrte Mann, dessen Namen so unehrerbietig abgekürzt ward, machte sich an das angesonnene Geschäft. Er wollte sich eben zu diesem Behuf niedersetzen, als ihm Tomlinson hinterlistig den Stuhl wegzog; – der Weise fiel auf den Boden.

»Keine Scherze über Mac Grawler,« sagte der boshafte Augustus; »was auch immer seine Fehler als Kritiker seyn mochten, Ihr seht, daß er doch den festen Boden liebt und auf Einmal der Sache auf den Grund geht. Mac, ich dächte, Ihr betiteltet Euer nächstes Werk: der Weherücken!«

Männer von großer Seele sind selten versöhnlich; sie nehmen einen Spaß nicht so leicht auf; so war es auch bei Mac Grawler. Er stand in heftigem Zorn auf und wären die Räuber aufmerksamer gewesen, als sie zu seyn sich die Mühe gaben: sie hätten leicht etwas Gefahrdrohendes in seinem Auge gelesen. So wie die Sachen standen, trat Clifford, der schon oft der Beschützer seines Lehrmeisters gewesen, zu seinen Gunsten ins Mittel, zog den Weisen auf einen Stuhl neben sich nieder und füllte ihm seinen Teller. Es war anziehend, diese Achtung der Macht vor der Gelehrsamkeit zu beobachten! Es war ein Alexander, der dem Aristoteles huldigte. »Nur Eins bedaure ich,« schrie Ned mit vollem Munde. »Bei der Geschichte mit dem alten Lord – es war tausendmal Schade, daß wir ihn nicht tanzen ließen. Ich erinnre mich wohl noch der Zeit, Hauptmann, da Ihr darauf bestanden wäret. Welch lustiger Bursch wart Ihr damals! besinnt Ihr Euch noch, zum Beispiel, wie Ihr in einer hellen Mondnacht, gerade wie die heutige, als wir bei Staines auflauerten, schwuret: jede Person über den Fünfzigen, welche wir anhalten würden, sollte mit Euch eine Menuet tanzen?«

»Ja!« setzte Augustus hinzu, »und die erste war ein Bischof in einer weissen Perücke. Ha wahrlich! mit welcher Steifheit seine Lordschaft das Tänzchen ausführte! Und wie würdevoll sich Lovett vor ihm verbeugte, den Hut auf dem Kopfe, als Alles vorüber war und ihm seine Uhr und zehn Guineen zurückgab – es war des Opfers wohl werth!«

»Und die zweite war eine alte Jungfer von Stand« sagte Ned, »so dürr wie ein Advokat. Erinnert Ihr Euch nicht mehr, was sie für Sprünge machte?«

»Ganz gewiß,« sagte Augustus, »und Ihr nanntet sie sehr witzig eine Hopfenstange.«

»Wie entzückt war sie über des Kapitäns Artigkeit! Als er ihr Ohrringe und Agraffe zurückgab, bat sie ihn mit einem zärtlichen Seufzer, es zu ihrem Andenken zu behalten – ha! ha!« »Und die dritte war ein Stutzer!« rief Augustus »und Lovett übertrug mir sein Recht auf Partnerschaft. Wißt Ihr noch, wie ich ihn in den Graben tanzte? Ach, damals waren wir lustige Gesellen; aber wir werden gesetzt, blasé, wie der Franzos sagt, so wie wir älter werden!«

»Wir sehen jetzt nur noch auf die Hauptsache!« sagte Ned.

»Habsucht überwiegt den Unternehmungsgeist!« setzte der sentenzenreiche Tomlinson hinzu.

»Und unser Hauptmann ist ein Freund vom Weinen statt vom Weine,« fuhr Ned witzelnd fort.

»Auf, wir werden schwermüthig!« sagte Tomlinson einen Pokal hinunterstürzend. »Mich dünkt wir werden wirklich alt; wir werden bald Buße thun und der nächste Schritt ist an den Galgen!«

»Da sey Gott vor!« sagte Ned, sich einschenkend, »seyd kein solcher Unglücks-Rabe. Es giebt zwei Arten von verwünschten Leuten, die sich immer besonders vor gewissen Farben in Acht nehmen sollten; ich hasse es, zuverläßige Jungen in Schwarz, und den Teufel in Blau zu sehen. Aber das ist mein letztes Glas für heute Nacht. Ich bin verdammt schläfrig und wir stehen morgen früh auf!«

»Recht, Ned!« sagte Tomlinson, »gebt uns ein Lied eh' Ihr Euch zurückzieht und zwar das, welches Lovett dichtete bei unserem letzten hiesigen Aufenthalt.«

Und Red, immer mit Lust die Gelegenheit ergreifend, sich zu zeigen, räusperte sich und erfüllte Tomlinsons Wunsch.

Ein Lied von Sherwood.

I.

Lacht mit uns über Fürst und Palläste,
Lust'ger doch lebt sich's in Forst und Hain!
Wollt Ihr würzen mit Andrer Verdruß Eure Feste,
So laden unsre Kreise Euch ein.

Mancher Fürst nimmt den eigenen Hühnern ihr Ey
Und verliert an die Feinde sein Gold;
Des Waldkönigs Leute sind steuerfrei
Und der Feind zahlt Imbiß und Sold.

Laßt die Pfiffe und Kniffe der Hexenbrut,
Grauen Schelmen in Weg nichts gelegt!
O fort mit des prunkenden Lebens Fluth,
Das immer vom Wind ist bewegt!

II.

Lacht mit uns, wenn auf schlüpfrigem Boden
Der stattliche Schurke Schelme uns schilt,
Gesetz und Verkehr haben Diebsmethoden,
Schlimmer als die, die ein Hanfband gilt.

Wird ein Mädchen wohl Liebhaber verschmähen,
Bei welchen: treu seyn einander ist Brauch?
Zwar die Gesetze wir listig umgehen.
Aber die Liebe, so hör' ich, thut's auch!

Drum Muth, Ihr Jungen, schwell' Euch die Brust,
Ob geschimpft auch in Hütt' und Pallast!
O' Wer, den die Welt liebt, hat halb so viel Lust
Nur halb – als der Mann, den sie haßt?

»Bravissimo! Ned,« rief Tomlinson auf den Tisch schlagend, »Bravissimo! Eure Stimme ist heute Nacht herrlich und Euer Lied vortrefflich. In der That Lovett, es macht Eurem poetischen Genie große Ehre; ganz filosofisch, auf meine Ehre!«

»Bravissimo!« sagte Mac Grawler, ehrfurchtsvoll mit dem Haupt nickend. »Herrn Peppers Stimme ist so anmuthig wie eine Sackpfeife. Ach, ein solches Lied wäre unschätzbar gewesen für das Asinäum, als ich die Ehre hatte – –«

»Der Stellvertreter Bray's an diesem Institut zu seyn,« unterbrach ihn Tomlinson. »Bitte Mac Grawler, warum nennt man Edinburg das neue Athen?«

»Wegen der gelehrten und großen Männer, die es hervorbringt,« versetzte Mac Grawler mit stolzem Selbstgefühl.

»Pah, pah! Ihr denkt an das alte Athen. Eure Stadt heißt das neue Athen, weil Ihr Alle so sehr den neuen Athenern gleicht – den verdammtesten Schurken, die man sich denken kann, wenn nicht die Reisenden über sie lügen.«

»Nein,« fiel ihm Ned, durch den Beifall des Kritikers besänftigt, ins Wort, »Mac ist ein ehrlicher Bursche, schont ihn. Ihr Herrn Eure Gesundheit? Ich gehe zu Bette, und ich denke, Ihr werdet nicht lange hinter meinem Beispiel zurückbleiben.«

»Verlaßt Euch darin auf uns« erwiederte Tomlinson; »der Hauptmann und ich wollen über das Geschäft für morgen uns berathen und Euch dann folgen so eilig als eine Bettstelle blinzelt, wie man es artig ausgedrückt hat.«

Ned gähnte sein letztes: Gute Nacht, und verschwand im Schlafgemach. Mac Grawler gähnte ebenfalls, aber gründlicher und nachdrücklicher als seiner Weisheit ziemte und unterzog sich dem Geschäft den Apparat der Mahlzeit wegzuräumen. Nachdem er wenige Minuten nüchtern herum handthiert hatte, ließ er sich auf eine Bettstelle in einer Ecke der Höhle nieder (denn er schlief nicht in Einem Raum mit den Räubern), entkleidete sich und schien bald in Morfeus Armen begraben. Aber der Hauptmann und Tomlinson rückten ihre Stühle den ersterbenden Gluten näher, boten dem trägen Gotte Trotz und begannen mit leiser Stimme ein vertrautes angelegentliches Zweigespräch.

»So wollt Ihr also« sagte Tomlinson, »nachdem Ihr Euch gehörige Mittel verschafft habt, um Euer Vorhaben auszuführen, uns wirklich verlassen – habt Ihr das Für und Wider wohl erwogen? Bedenkt, daß für unsere Lage nichts so gefährlich ist als Besserung; im Augenblick, wo Einer ein ehrlicher Mann wird, verläßt ihn die Bande, die Richter missen ihre Sporteln, der Angeber verklagt ihn und der Renegate hängt.«

»Ich habe das Alles wohl erwogen,« sagte Clifford, »und ich habe mich über meine Handlungsweise entschieden. Ich habe nur gewartet, bis meine Mittel meinen Plan begünstigen würden. Mit meinem Antheil an der Beute von jetzt und von früher will ich mich auf das Festland begeben. Preußen bietet Allen, welche in seine Dienste treten, bereitwillige Aufnahme und leichte Beförderung. Aber diese Sprache, mein lieber Freund, klingt sonderbar in Eurem Munde. Gewiß werdet Ihr mich bei meiner Lossagung von unserm Bunde begleiten? Wie, Ihr schüttelt den Kopf? Seyd Ihr nicht derselbe Tomlinson, der in Bath mit mir darüber einverstanden war, daß uns vom Neid unserer Kameraden Gefahr drohe, und daß die Flucht um unserer Sicherheit willen nothwendig sey? Ja, war dieß nicht gerade Euer Hauptgrund, den Ihr für die Helrathiunternehmung anführtet?«

»Nun seht, mein lieber Lovett,« sagte Augustus, »wir sind Alle Holzklötze, geschaffen aus den Atomen der Gewohnheit – mit andern Worten: wir sind Maschinen, deren Triebfeder die Angewöhnung ist. Was sollte ich in einer ehrlichen Laufbahn thun? Ich bin viele Jahre älter als Ihr. Ich habe als ein Spitzbube gelebt, so lange bis die Spitzbüberei mir zur Natur geworden ist. Ich weiß nicht, ob ich nicht, falls ich unter die Soldaten ginge, ein Feiger wäre. Ich bin gewiß, ich würde der vollendetste Schurke, wollte ich den ehrlichen Mann spielen. Nein! ich täuschte mich selbst, wenn ich von Trennung sprach. Ich muß eben mit meinen alten Kameraden forttraben und auf meinen alten Wegen, bis ich in das hänfene Band, oder – traurige Alternative! – in das Eheband hineinrenne!«

»Das ist lautere Narrheit,« versetzte Clifford, dessen kraftvolle, mannhafte Seele die Bande der Gewohnheit leicht abschüttelte. »Wir haben nicht so manches Jahr von all den knechtischen Gesetzen andrer Menschen uns losgemacht, um die verworfenen Sklaven unserer eignen Schwäche zu seyn. Kommt, mein guter Geselle, ermannt Euch. Gott weiß, wollte ich der Schwachheit meines Herzens nachgeben, ich wäre wahrlich verloren. Und vielleicht, kämpfe ich auch noch so mannhaft, überwältige ich doch nicht das, was an meinem Innern nagt und mich, obwohl nur Zoll für Zoll tödten wird. Aber seyn wir nicht kleinmüthig! lassen wir uns nicht vom Schicksal in die Tiefe ziehen, statt zu schwimmen! Mit Einem Wort: flieht mit mir, eh' es zu spät ist. Ein Schleichhändler-Schiff erwartet mich an der Küste von Dorset; binnen dreien Tagen segle ich ab. Seyd mein Begleiter. Wir verstehen beide ein feuriges Roß zu tummeln und ein gutes Schwert zu führen. So lange die Menschen mit einander Krieg führen, werden diese Geschicklichkeiten ihren Besitzer vom Hungertode retten oder« –

»Wenn im Felde und nicht auf der Landstraße angewendet,« unterbrach ihn Tomlinson mit einem Lächeln, »vom Galgen. Aber es ist nicht möglich. Ich wünsche Euch alles Vergnügen, alles Glück auf Eurer Laufbahn; Ihr seyd jung, kühn und gewandt und hattet immer einen höhern Geist als ich. Ein Schurke bin ich und ein Schurke muß ich bleiben bis zum Ende des Stücks.«

»Wie Ihr wollt,« sagte Clifford, ein Mann von wenig Worten, aber ungern setzte er hinzu: »Wenn dieß ist, so muß ich denn mein Glück allem suchen.«

»Wann verlaßt Ihr uns?« fragte Tomlinson.

»Morgen Vormittag. Ich will London auf einige Stunden besuchen und dann der Küste zueilen.«

»London!« rief Tomlinson, »wie! das eigentliche Nest der Fährlichkeiten! Ha, ihr wißt nicht was Ihr sagt; oder haltet Ihr es für Sohnespflicht, vor Eurer Abreise Mutter Lobkins noch zu grüßen?«

»Das nicht!« antwortete Clifford; »ich habe bereits mich überzeugt, daß sie vor allem Mangel gesichert ist, und ihre Tage, die arme Seele! können, so fürchte ich, nicht mehr viele seyn. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde sie mich kaum wieder erkennen, denn ihre Lebensweise kann ihr Gedächtniß nicht eben gestärkt haben. Ich wollte, ich könnte von ihren Nachbarn dasselbe sagen. Ließe ich mich in den Winkeln niedriger Dieberei setzen – so wißt Ihr so gut wie ich, daß irgend ein Stehler von Halstüchern als Angeber des berüchtigten Hauptmann Lovett auftreten könnte.

»Was zieht Euch denn aber zur Stadt? Ah, – Ihr wendet das Angesicht weg – ich errathe es; nun, die Liebe hat schon früher manchen Helden zu Grunde gerichtet; möge Euch der Dienst dieser Gottheit nicht zum Unheil ausschlagen.«

Clifford antwortete nicht und eine plötzliche, lange Pause trat in der Unterhaltung ein; Tomlinson brach das Schweigen.

»Wißt Ihr wohl, Lovett,« sagte er, »obgleich ich so wenig Empfindung habe als irgend ein Mann, fühle ich doch für Euch mehr als ich je für möglich gehalten hätte: ich würde Euch gerne begleiten; es giebt einen verdammt guten Taback in Deutschland, glaube ich; und Alles erwogen, ist eigentlich kein so großer Unterschied zwischen dem Leben eines Diebs und eines Soldaten.«

»Laßt diese verständige Bemerkung nicht unbenützt,« sagte Clifford, »bedenkt wie der Pfad, auf dem Ihr jetzt wandelt, der sichern Vernichtung entgegenführt; Galgen und Verbrecherschiffe sind das einzige Ziel!«

»Diese Aussichten sind nicht reizend, ich gesteh' es« sagte Tomlinson, »auch finde ich es nicht wünschenswerth für ein kommendes Jahrhundert in der Unsterblichkeit eines Weingeist-Gefässes in dem anatomischen Theater aufbewahrt zu werden, von einem Ohr bis zum Andern grinsend, als ob man auf die allerlustigste Weise aus dem Leben geschieden wäre. Nun ich will darüber schlafen und morgen sollt Ihr meine Antwort haben; – aber der arme Ned!«

»Würde er sich uns nicht anschließen?«

»Gewiß nicht; sein Hals ist für einen Strick bestimmt und seine Seele für Old-Bailay. Für ihn ist keine Hoffnung; und doch ist er ein trefflicher Bursche. Wir dürfen ihm von unserer beabsichtigten Flucht gar nichts sagen.«

»Durchaus nichts. Ich will unsrem Londoner Anführer einen Brief zurücklassen, der soll Alles erläutern. Und jetzt zu Bette! ich sehe Eure Begleitung als eine ausgemachte Sache an.«

»Hm!« sagte Augustus Tomlinson.

So endete diese Besprechung der Räuber. Ungefähr eine Stunde nachdem sie aufgehört hatte, als kein Laut mehr, als nur der schwere Athem des langen Ned die Stille der Nacht unterbrach, erhob sich das weise Antlitz Peter Mac Grawlers langsam von dem einsamen Kissen, auf dem es geruht hatte. Allmälig richtete sich der Rücken des erleuchteten Mannes gerade auf und er saß einige Augenblicke aufrecht auf seinem Ehrensitze, offenbar in horchender Ueberlegung begriffen. Zufrieden mit dem tiefen Schweigen, das, abgerechnet die schon bezeichnete Störung, ringsumher herrschte, stand der gelehrte Schüler Vaters leise von seinem Bett auf, warf seine Kleider um, schlich sich auf den Zehen nach der Thüre, eröffnete sie geräuschlos und verschwand. Freundlicher Leser, während du dich über seine Entfernung verwunderst, wollen wir seine Anwesenheit an diesem Ort erklären.

Eines Abends hatten Clifford und sein Begleiter Tomlinson die geistreiche Ergötzlichkeit des Ranelagh Theaters genossen und wollten eben dieses berühmte Haus verlassen, als sie durch einen Auflauf am Eingang aufgehalten wurden. Dieser Auflauf hatte sich um einen Taschenfeger versammelt und der Taschenfeger war – o Tugend! o Weisheit! o Asinäum! war – Peter Mac Grawler. Wir haben schon früher bemerkt, daß Clifford eine gute Haltung und ein imponirendes Wesen besaß und diese Eigenschaften trugen damals vornemlich dazu bei, unsrem Orbilius die Pumpe zu ersparen. Sobald Clifford das Magistergesicht des weisen Schotten erkannte, drängte er sich keck mitten in den Haufen, packte den unternehmenden Bürger, der den Mac Grawler gepackt hielt, seinerseits am Kragen, und erklärte sich bereit, für die Ehrlichkeit des ganz unbescholtnen Mannes zu bürgen, über dessen Person man sich so gröblich getäuscht habe. Augustus, einen listigen Anschlag seines Begleiters ahnend, unterstützte sogleich die Vertheidigung. Der Pöbel, der nie den Unterschied zwischen Unverschämtheit und Wahrheit zu finden weiß, gab Raum; ein Konstable kam herbei und ergriff die Parthei des Freundes von zwei so untadelhaft gekleideten Gentlemen – unsere Freunde zogen ab – der Menschenhaufe bereute die Uebereilung und fiel, um sie gut zu machen, über den Herrn her, dessen Taschen geleert worden waren. Es war umsonst, daß er sich zu vertheidigen suchte, denn er hatte einen Fehler der ihn am Sprechen hinderte. Indeß hatte Clifford seinen weiland Mentor in das Asyl eines Caffehauses geschleppt und als Mac Grawlers Seele beim Wein aufgieng, erzählte er was ihn zu seinem verzweifelten Schritte getrieben. Es scheint, daß das unvergleichliche Journal, das Asinäum, trotz einer Reihe sehr populärer Artikel über die Schriften des Aulus Pendantius, wozu noch eine auserlesene Folge von Dialogen im Tone breiten Humors – d. h. in breitem Schottisch geschrieben, (bei den Schotten ist Alles dasselbe), betitelt noctes ambrosianae – vielleicht zum Andenken des erlauchten Schelmen Ambrosius Lamela; trotz diesen unschätzbaren Miszellen, um nichts zu sagen von einigen superben politischen Aufsätzen, worin zur Genugthuung der Reichen klar dargethan war, daß je weniger ein armer Teufel esse, desto zuträglicher es für seine Gesundheit sey – trotz diesen wichtigen Bereicherungen der englischen Literatur, sagen wir, wankte und fiel das Asinäum, begrub unter den Trümmern seinen Verleger und zermalmte den Herausgeber; nur Mac Grawler entrann, wie Theodor aus dem ungeheuren Helm von Otranto, nur Mac Grawler überlebte es. »Liebe« sagt Sir Filipp Sidney »schärft die Augen eines Mannes mehr als eine Brille.« Die Liebe zum Leben aber äußert einen ganz andern Einfluß auf die Sehkraft; sie macht einem Mann erbärmlich trübe Augen und läßt ihn oft sein Eigenthum in andrer Leute Taschen sehen. Die optische Täuschung hatte es Peter Mac Grawler angethan. Er gieng nach Ranelagh. Leser, das Uebrige weißt du! Als der Wein und die Schlauheit der Räuber diese Erzählung dem Peter Mac Grawler abgelockt hatten, sanken die Schranken unnöthigen Zartgefühls leicht vollends nieder.

Unsere Helden boten dem Weisen die Einführung in ihren Club an; das Anerbieten ward angenommen, und Mac Grawler, der zuerst betrunken gemacht wurde, ward sodann zum Räuber gestempelt. Die Bande trug ihm verschiedene kleine Geschäfte auf, worin er aber, wir berichten es mit Bedauern, obgleich sein guter Wille unvergleichlich war, so übles Glück hatte, daß er sich den höchsten Zorn seiner Auftraggeber zuzog; ja sie standen einmal, als sie die Gerechtigkeit versöhnen mußten, im Begriff, ihn der weltlichen Gewalt auszuliefern, hätte sich nicht Clifford seiner angenommen. Von einem Räuber sank der Weise zum Küchenjungen herab; Knechtarbeiten (die Räuber, die lügenhaften Bösewichte, erklärten solche Dienstleistungen für ganz passend zu dem Genius seines Landes), traten an die Stelle hochherziger Thaten und der schlechteste Räuber wurde der beste Koch. Wie eitel ist doch alle Weisheit, ausgenommen diejenige, welche sich auf lange Erfahrung stützt! Obgleich Clifford ein gescheuter und gewandter Mann war und unsern Weisen als einen Schuft kannte, ließ er sich doch nicht im Traum einfallen: dieser könnte den Verräther spielen. Er hielt ihn für zu faul, um boshaft zu seyn, und o der menschlichen Kurzsichtigkeit! für zu einfältig, um Gefahr von ihm zu befürchten. Er vertraute dem Weisen das Geheimniß der Höhle und Augustus, der etwas von einem Epikuräer an sich hatte, ließ sich, obgleich Böses ahnend, wegen der Geschicklichkeit des Schotten im Sieden und Braten, die Wahl gefallen.

Aber Mac Grawler barg, wie Brutus, unter der Maske der Dummheit einen entwürfebrütenden Geist; die Habhaftwerdung des berüchtigten Lovett war der Gegenstand lebhafter Wünsche; die Polizei ließ sich nicht länger bestechen, ja sie selbst hatte jetzt Lust, zu bestechen; Mac Grawler hatte seine Zeit abgepaßt, seinen Hauptmann verkauft und war jetzt auf dem Weg nach Reading um Herr Nabbem von Bowstreet nebst vier seiner Gehülfen aufzusuchen und in die Höhle zu geleiten.

Nachdem wir so in möglichster Eile die Ursachen entwickelt, welche den unvergleichlichen Kritiker so plötzlich wieder dir, o Leser! unter die Augen brachten, kehren wir jetzt zu unsern Räubern zurück.

»Bscht, Lovett!« sagte Tomlinson halb im Schlaf, »mich dünkt ich höre etwas in der äußern Höhle.«

»Es ist der Schotte, vermuthlich,« antwortete Clifford, »Ihr habt natürlich nach der Thüre gesehen?«

»Ganz gewiß!« murmelte Tomlinson, und schlief nach zwei Minuten wieder ein.

Nicht so Clifford; mancherlei beängstigende Gedanken erhielten ihn wach. Bald machte, wenn er die Vorstellung einer neuen Laufbahn sich nahe brachte, etwas von dem hochstrebenden und kühnen Geist, der auch bei seiner verbrecherischen und verworrenen Lebensweise ihn noch beseelte, daß sein Puls fieberhaft schlug und keine Ruhe in seine Glieder kam; bald ergriff ihn eine peinigende Erinnerung – die Erinnerung an Lucie in all ihren Reitzen, ihrer Schönheit, ihrer Liebe, mit ihrem zärtlichen schuldlosen Herzen – Lucie, in aller Vollkommenheit und für ihn auf immer verloren, verbannte jeden andern Gedanken und ließ ihm nur das lähmende Gefühl der Niedergeschlagenheit und Verzweiflung zurück. »Was nützt mir mein Streben und Ringen nach einem guten Namen?« dachte er. »Sie wird es nie erfahren. Was auch mein künftiges Loos sey – sie kann es nie theilen. Meine Strafe ist unwiderruflich – sie ist schrecklicher als ein schmachvoller Tod – sie ist: Ein Leben ohne Hoffnung! Jeden Augenblick fühle ich und werde fühlen bis ans Ende den Druck einer Kette, die sich weder zerreissen noch erleichtern läßt. Und doch, Thor der ich bin! kann ich dieß Land nicht verlassen, ohne sie noch einmal zu sehen, ohne ihr zu sagen, daß ich sie wirklich zum letztenmal sehe. Aber habt ich ihr das nicht schon zweimal gesagt? Sonderbares Verhängniß! nur zweimal habe ich ihr von Liebe gesprochen und beidemale war es, um mich von ihr im Augenblick des Geständnisses loszureissen. Und auch jetzt treibt mich wieder etwas, dem ich nicht zu widerstehen vermag, zu derselben unnützen und schwachen Nachgiebigkeit gegen mein Herz. Drängt mich das Schicksal dazu? Ja, vielleicht zu meinem Untergang! Jede Stunde umringen mich tausend Tode. Ich habe jetzt alles erreicht, worauf mein Streben zu gehen schien. Ich habe durch ein neues Verbrechen genug gewonnen, um mich in ein andres Land begeben und dort die Laufbahn des Soldaten ergreifen zu können. Ich sollte keine Stunde zur Flucht versäumen, und doch stürzte ich mich in das Nest meiner Feinde, einem nutzlosen Worte mit ihr zu lieb; und das noch dazu, nachdem ich ihr schon Lebewohl gesagt. Ist dieß Schicksalsfügung? Wenn es sich so verhält, was macht es? Ich kümmre mich nichts mehr um ein Leben, das ich doch vergeblich bessern würde, wenn es nicht um Ihretwillen geschehen kann; und doch – doch! o welch selbstsüchtiger und verworfner Mensch bin ich! ist das Bewußtseyn, das ich nachher haben werde, nichts, das Bewußtseyn, von ihr die Schmach zu nehmen, einen von der Gesellschaft ausgestoßnen Missethäter geliebt zu haben? Wenn ich Ehre erringe, wird dieß nicht, wenigstens für mein eignes Herz, ein, wenn auch nur schwaches und dämmerndes Licht auf sie zurückwerfen.«

So verworren, unruhig, und doch in die Farben jener ächten Liebe getaucht, die auch den Gesunkensten erhebt, waren Cliffords mitternächtige Gedanken; gegen Morgen giengen sie in einen unerquicklichen, fieberhaften Schlummer über. Aus diesem ward er durch ein lautes Gähnen, dem Schlunde des langen Ned entstammend, der immer am frühsten aufstand, geweckt.

»Halloh!« sagte er, es ist beinah Tagesanbruch, und wenn wir unsre Banknoten einlösen und des alten Lords Juwelen an Mann bringen wollen, sollten wir schon auf den Beinen seyn.«

»Die Pest über Euch!« sagte Tomlinson unter seiner wollenen Nachtmütze hervor, »gerade in diesem Augenblick träumte ich, Ihr solltet gehängt werden, und nun weckt Ihr mich beim interessantesten Theile des Traumes.«

»Hol' Euch der Henker!« sagte Ned, ein Bein aus dem Bette setzend, »beiläufig – Ihr nahmt letzte Nacht mehr als Euch gebührt, denn Ihr seyd mir noch drei Guineen für unsre letzte Partie Mariage schuldig. Ihr werdet so gut seyn mich zu bezahlen, eh wir uns heut trennen; kurze Rechnungen machen lange Freundschaften.«

»So wahr diese Regel seyn mag,« erwiederte Tomlinson, »weiß ich doch noch eine viel wahrere, die nemlich: langjährige Freunde machen kurze Rechnungen. Ihr müßt den Meister Nothmantel fragen, von heut über einen Monat, ob ich Unrecht habe.«

»Das also heißt bei Euch Witz, wahrscheinlich?« gab ihm Ned zurück, der jetzt in seine Unaussprechbare schlüpfend, mit den Händen den Weg in die äußre Höhle suchte.

»Holla, he! Mac!« rief er, als er draußen war; »heraus mit deinen Spindeln, die du deine Beine zu nennen beliebst! schlag' ein Licht und geh zum Teufel!«

»Ein Licht für Euch,« sagte Tomlinson mit frevelhaftem Scherz, indem er sich mit Widerstreben von seinem Lager erhob, »das heißt in der That den Heiden ein Licht anzünden.«

»Nun, Mac – Mac!« brüllte Ned, »warum gebt Ihr keine Antwort? wahrhaftig, ich glaube, der Schotte ist todt!«

»Packt die Männer! gebt Euch, Ihr Herren!« rief plötzlich eine rauhe Stimme im Dunkel; und in diesem Augenblick wurden zwei schwarze Laternen umgedreht und ihr volles Licht fiel auf die erschrocknen Gestalten Tomlinsons und seines knochigen Kameraden! In dem dunkeln Schatten des Hintergrunds waren vier oder fünf Figuren, die man nicht genau unterscheiden konnte, und der Schimmer der Laternen glänzte auf den Klingen von Hirschfängern und den Läufen von Wehren, denen noch schwerer zu widerstehen war.

Tomlinson war der Erste der wieder zur Besinnung kam. Das Licht beschien nur die erste Stufe von den zu dem Stalle führenden Treppen und ließ die andern verdunkelt. Er machte einen Satz an die Stelle neben dem Karren, wo, wie schon gesagt, einige Waffen der Räuber lagen; man war ihm zuvorgekommen – die Waffen waren fort. Im nächsten Augenblick war Tomlinson die Treppen hinauf gesprungen.

»Lovett! Lovett! Lovett!« brüllte er.

Der Hauptmann, der seinen Kameraden in die Höhle gefolgt war, befand sich schon in den Krallen zweier Männer. Unter gewöhnlichen Sterblichen jedoch war es schwer zwei Männer herauszufinden, die gegen einen solchen Mann wie Clifford ein entschiedenes Uebergewicht behauptet hätten; einen Mann, bei welchem eine reichere Fülle von Sehnen und Muskeln, als man selbst bei kräftigen Naturen findet, durch beständige Uebung zu einer Stärke und eisernen Festigkeit gesteigert war, wodurch eine Vermählung von Kraft und Gewandtheit erreicht ward, welche wohl nicht um viel der in der berühmten Schönheit der Fechterstatue verewigten nachstand. Seine rechte Hand faßt die Kehle Eines der Angreifenden, seine linke packt, wie ein Schraubenstock, die Faust des Andern; binnen der Zeit eines Athemzuges liegt jener am Boden – dem zweiten ist die Pistole aus der Hand gewunden – Clifford ist auf der Treppe – eine Kugel – noch eine – saust an ihm vorbei – er ist an der Seite des treuen Augustus!

»Oeffnet die geheime Thür!« flüsterte Clifford seinem Freunde zu, »ich will allein die Treppe heraufziehen!« Kaum hatte er dieß gesagt, als schon die Treppe, obwohl langsam, unter der Riesenkraft des Räubers sich empor hob. Inzwischen wehrte sich Ned, so gut er nur konnte, gegen zwei stämmige Polizeibeamte, welche nicht geneigt schienen von ihren Waffen, außer im höchsten Nothfall Gebrauch zu machen, und die mit starker Hand ihren Gegner zu fangen und festzuhalten strebten.

»Bewacht die Thüre wohl!« rief die Stimme des Hauptbeamten, »und hängt mehr Lichter aus.«

Zwei oder drei weitere Laternen wurden eilig herbeigebracht; und jetzt verbreitete sich rasch über den ganzen innern Raum der Höhle ein zwar dämmerndes, doch genügsames Licht, das der Scene und den Streitenden ein malerisches und wildes Ausehen gab.

Das rasche Auge des Oberbeamten entdeckte augenblicklich das Aufziehen der Treppe und den Vortheil, den hiedurch die Räuber gewannen. Er eilte mit zweien seiner Leute vor, faßte die Leiter, wenn man sie so nennen darf, zog sie wieder herunter und stieg hinan. Aber Clifford, mit beiden Händen eine zerbrochene Wagendeichsel fassend, die ihm nahe lag, empfing den vordersten Stürmer mit einem Gruß, der ihn besinnungslos unter seine Kameraden zurückwarf und zu Boden schlug. Der zweite erfuhr das gleiche Schicksal; und der kräftige Führer des Feindes, der als ein achter General, sich im Hintertreffen gehalten, hielt jetzt auf der Mitte der Treppe inne, stutzend über den Empfang seiner Freunde und die athletische Figur, die wie ein Thurm, mit erhobener Wehre und in drohender Stellung, oben stand. Vielleicht erschien dieser Moment dem einsichtsvollen Herr Nabbem günstiger zum parlamentiren, als zu kämpfen. Er räusperte sich und redete den Feind folgendermaßen an:

»Ihr da, Sir, Capitain Lovett, auch Howard, auch Jackson, auch Cavendish, auch Salomons, auch Teufel, denn ich kenn' Euch wohl, und könnte auf Eure Person schwören mit einem halben Aug, Ihr möget in den Kleidern seyn, oder ohne sie: Ihr legt Eure Keule nieder und laßt mich Euch an die Seite kommen und Ihr sollt mich so sanft finden wie ein Lamm; denn ich bin meiner Lebtage gewohnt, mit Herren umzugehen, und weiß sie wohl zu behandeln, wenn ich sie mal habe.«

»Aber wenn ich Euch nicht an meine Seite kommen lassen mag, was dann?«

»Nun, dann muß ich Euch einen von diesen Puffern durch den Schädel jagen, das ist Alles!«

»Nein, Herr Nabbem, das wäre zu grausam; Ihr werdet doch Einem nichts zu leide thun, der solche Achtung vor Euch hat? Erinnert Ihr Euch nicht mehr der Art, wie ich Euch vom Richter Burnflat erlöste, als Ihr angeklagt waret – Ihr wißt selbst, ob mit Recht oder –«

»Ihr seyd ein Lügner, Hauptmann!« rief Nabbem wüthend und voll Furcht, es möchte etwas, für das Ohr seiner Kameraden nicht Geeignetes verlauten. »Ihr wißt, daß Ihr das seyd. Kommt herab, oder laßt mich hinauf; sonst kann ich für die Folgen nicht stehen!«

Clifford warf einen Blick hinter sich. Ein Schimmer des grauenden Tages dämmerte durch eine Spalte der geheimen Thüre, die Tomlinson jetzt von der Verrammlung befreit hatte und zu öffnen im Begriff stand.

»Hört mich, Herr Nabbem,« sagte er, »vielleicht bewillige ich, was Ihr verlangt. Was würdet Ihr mit mir anfangen, wenn Ihr mich hättet?«

»Ihr sprecht wie ein vernünftiger Mann,« antwortete Nabbem, »und das ist ganz nach meinem Herzen. Nun, Ihr seht, Hauptmann, Eure Zeit ist gekommen und Ihr könnt jetzt nicht länger Kassematten machen. Ihr habt Zeit zum Austoben gehabt, Eure Jahre sind vorüber und Ihr müßt sterben wie ein Mann! Aber ich geb' Euch mein Ehrenwort als ein Gentleman, daß, wenn Ihr Euch ergebt, ich Euch den Rechtsmännern so schonend und zärtlich abliefern will, als wär't Ihr von Baumwolle.«

»Weicht einen Augenblick zurück,« sagte Clifford »damit ich die Treppe für Euch fester aufstellen kann.«

Nabbem zog sich auf den Boden zurück und Clifford, der, gutmüthig genug, nicht gern ohne Noth einen so schätzenswerthen Beamten verletzen mochte, benützte die sich ihm darbietende Gelegenheit. Die Treppe donnerte hinunter, rasselte gewichtig unter die Polizeibeamten und fiel wie ein Donnerkeil Einem von denjenigen, welche Ned festhielten, auf die Schulter.

Indeß eilte Clifford Tomlinson nach durch die Oeffnung und sah sich – umringt von vier Polizeibeamten, an ihrer Spitze den arglistigen Mac Grawler. Ein Schlag mit einem Knittel auf Tomlinsons rechte Wange und Schläfe, streckte diesen Helden zu Boden. Aber Clifford beugte sich über den Leib seines Kameraden, wich dem auf ihn selbst gezielten Streich aus, fieng den Hieb eines andern Angreifers mit der Hand auf, entwand dem Polizeibeamten den Knittel, schlug ihn mit seiner Waffe zu Boden, enteilte durch das Labyrinth der Waldung und begann mit einer Eile zu fliehen, welche seinen Feinden jede Hoffnung einer erfolgreichen Nachsetzung abschnitt.


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