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Fünf Tage jenseits der Alpen

Auf dem Weg ins Tessin

Am Morgen des neunundzwanzigsten Juli 1837 saßen im Wirthshaus zu Andermatt fünf junge Wanderer, denen auch ein ungeübtes Auge auf den ersten Blick ansehen mußte, daß es keine Engländer waren; denn es schienen ihnen die beiden Hauptrequisiten eines reisenden Briten zu fehlen, goldgefüllte Beutel und Spleen. Und in der Tat, wir wußten selbst nicht, ob Sorgen oder Geld uns weniger drückte, wir waren den Morgen von Wesen heraufgekommen. Wer die Schölenen hinaufwandert, deren Schrecknisse bis zur Teufelsbrücke immer zunehmen, wer dann durch das Urnerloch plötzlich in das stille Tal tritt, neben sich die ruhigfließende Reuß, vor sich die weiße Kirche von Andermatt mit dem Tannenwäldchen darüber und alles sonst kahl und tot sieht; dem geht es wie einem friedlichen Bürger, der im Theater ein Stück mit angesehen, was recht bunt durcheinander gegangen, und dann in die stille Nacht hinaustritt und heimeilt, sich am Tisch mit Weib und Kind von dem Gesehenen zu erholen. Das taten auch wir und die durch die beiden entgegengesetzten Stimmungen hervorgebrachte Erschütterung vermittelte der dickrote Veltliner aufs beste. Wir waren recht wohlgemut und verfolgten auf der Karte den Weg über die Furka und Grimsel, den, er war uns allen noch fremd, wir vermöge unsers durch viele Wanderungen geschärften Reiseinstinkts doch allein zu finden meinten. Wir saßen da, ohne an etwas weiteres zu denken, da hub Karl mit bedeutungsvoller Miene an: Ich hätte euch was vorzubringen, ihr dürft mich aber nicht unterbrechen – wir standen in gespannter Erwartung – seht, fuhr er fort den Finger auf der Karte, seht welch kleine Strecke es noch bis Italien ist, nach Italien, wo die Zitronen blühn, nach Italien, nach dem ihr euch alle so sehnt. Laßt das Oberland fahren und fasset einen raschen Entschluß! Dann zeigte er auf der Karte einen Plan, der wenig über die Schweiz hinausging, aber es war doch Italien. Einen Augenblick herrschte Schweigen, einige Bedenklichkeiten Heinrichs aber wurden beseitigt, dann brachen wir in lauten Jubel aus: dahin, dahin, laßt uns, ihr Freunde, ziehn. Und wir jubelten zum Hospiz hinauf; nur einer schritt gesenkten Blicks voran, machte bedenkliche Mienen und schüttelte das Haupt; denn er fühlte keinen Trieb in sich nach Italien. Droben im Hospiz trafen wir einige Russen an, die, eben aus Italien gekommen, im Begriff standen, den Fieudo zu besteigen und dann die übrige Schweiz zu bereisen. Die erzählten uns da, wie herrlich die Aussicht auf dem Schloß zu Bellenz, wie reizend der Lago Maggiore, und wie wunderschön die Borromäischen Inseln. Das rührte denn auch das Herz unsers Freundes, daß es einen Aufschwung nahm, aber leider bald an den Nafenen hängen blieb; denn diesen Paß hatten wir auf dem Heimweg vor, und da stand in der Karte die Zahl 7260 in Eis und Schnee. Nein, nein, rief er, so mag ich mein junges Leben nicht in die Schanze schlagen; denn er hatte schon im Lauf der Reis sattsam und in Todesängsten erfahren, er sei nicht zum Bergsteiger geboren. Unglücklicherweise war nun auch der alte Wirt, zwar weniger aus Grundsatz, denn aus Schwachheit ein verneinendes Prinzip und schüttelte in einem fort den Kopf. Das war unserm Freund ein Omen, daß er nicht mitgehn sollte. So schieden wir und er, wie weiland Goethe getan, schaute nieder von der Höhe des Gotthards, dahin wo man die schöne Sprache redet und kehrte dann zurück zu den Fleischtöpfen und Kaffeekannen der Heimat. So erhielt denn unser Freund den ehrenden Beinamen Hannibal, weil er die Alpen nicht überstieg, wie lucus a non lucendo. Als Hannibal begleitete er unsichtbar ferner unsere Reise.

Uns aber trug die Freude auf ihren Flügeln hinunter nach Airolo. Gleich war ein Veturin da und erbot sich, uns den Abend noch nach Bellinzona zu bringen. Bei unsern Grundsätzen von Sparsamkeit war Fahren zwar ein verpöntes Wort; in Betracht aber, daß so ein ganzer Tag gespart werde, sagten wir zu. Da zeigte sich denn ein Übelstand, an den wir bis jetzt kaum Zeit gehabt zu denken, und der die Abenteuerlichkeit unserer Fahrt um ein bedeutendes zu erhöhen versprach; nur Karl sprach und auch er nur höchst kümmerlich italienisch. Wir wußten aber, daß einer nirgends übler bestellt ist, wenn er der Landessprache nicht mächtig ist, als in Italien. Gleichwohl setzten wir uns, einem guten Genius vertrauend, ein, und flogen davon. Die Schlucht von Dazio grande hinunter stiegen wir aus; dann jagte der Veturin mit uns weiter, wie der leibhafte Satan. An der Irniser Stalden, an die sich seit Vierzehn auch die Mailänder mit Schrecken erinnern werden, wo christliche Kutscher spannen würden (und zu diesen gehören, in der Beziehung wenigstens, die Lohnkutscher auch) ging's im Galopp über die Brücken und die oft spitzwinkligen Beugungen der Straße, hoch über dem schäumenden Tessin, daß uns oft unwillkürlicher Schauder durchlief. Wir überzeugten uns aber von der außerordentlichen Geschicklichkeit unseres Veturins und versicherten einmündig, mit dem Kerl wollten wir durch den Schlot der Hölle fahren. Bei einbrechender Nacht kamen wir ins ebne Land, wo sich das Tal öffnet und schnurrten durch Poleggio und Osogna.

Bellinzona

Halt! – Der Reisewagen hielt still; wir schlugen schlaftrunken die Köpfe zusammen und sahen einander mit großen Augen an. Doch so still und friedsam als da bei uns drinnen gings draußen freilich nicht her, denn vor dem Wagen sahen wir in der allmählig eingebrochenen Dunkelheit und bei einem mäßigen Regenschauer drei verhüllte finstere Gestalten in lebhaftem, dem Italiener eigenen Gebärdenspiel. Mehr als aus diesem vernahmen wir aber aus ihrem Gespräche. Aus dem uns fast unverständlichen bergamaskischen Idiom tauchten, nur hin und wieder, einige deutlicher ausgesprochene Flüche, Verwünschungen und Drohungen hervor, wie aus dem nächtlichen Meere die glühenden Augen der Seeungeheuer. Daß hier nicht der Friedensgöttin geopfert wurde, ließ sich erraten. Zudem blickte etwas durchs Dunkel, das einem blanken Dolche nur zu ähnlich sah. Eine etwas weinerliche Stimme schien eine derbe, drohende vergeblich besänftigen zu wollen. Da trat eine jener Gestalten, wir meinten, unser Veturino, an den Wagenschlag und lamentierte in kläglicher, vor Angst zitternder Sprache uns die Ohren voll. Wir verstanden nur, daß er von »Dolche« »morden« von »sieben unerzogenen Kindern« sprach. Jeder legte sich diese etwas unheimlichen Data nach seiner eigenen Weise aus. Jeder machte seine, wenn auch weniger gräßlichen, so doch ebenso abenteuerlichen Konjekturen dazu. Ich meinesteils legte mir im ersten Schrecken die Sache so aus, daß der Veturino von jenem unbekannten Polterer mit dem Dolche genötigt werde, uns ihrer Raub- und Mordlust preiszugeben, und er könne sich nicht widersetzen, weil sonst sieben Kinder auf einmal ihres Vaters beraubt würden. Wir rieten dem Menschen, rasch aufzusitzen und im Galopp weiter zu fahren. Daß er versicherte, er könne nicht, machte ihn selbst uns zweideutig. Völlig gefaßt, bei der geringsten Antastung unserer Personen das Äußerste zu wagen, zog ich einen Dolch, den ich bei mir führte und bedachte schon, ohne dabei eines Lächelns mich erwehren zu können, unter welche Rippe des Ungetüms ich den Mordstahl am passendsten applizieren könnte. Karl, als unser Dolmetscher, sprang aus dem Wagen und nahte sich mit tiefen Bücklingen den Hadernden, bat sie recht brünstig, ja Frieden zu haben und begann die Nachteile des Krieges recht bündig auseinander zu setzen. Die Leute aber nahmen seine Ermahnungen nicht gar zu Herzen und stritten heftig fort, wobei das Blitzen des Dolches die Bewegung der Hände recht malerisch unterbrach. Karl aber stand wie ein verkauftes Lamm daneben. In gespannter Erwartung, die Waffe bloß, wandte er keinen Blick vom Schauplatze ab. Endlich klärte sich's glücklich auf; es zeigte sich, daß unser Veturin nur zwei streitende Fuhrleute hatte auseinander bringen wollen, und daß nicht er es war, sondern der Bedrohte, der unsere Hülfe ansprach. Der Vater von den sieben Kindern ergriff nun die Flucht, und der Veturin, durch unsre Anwesenheit begünstigt, hielt den Andern noch auf. Dann setzte sich der Schutzengel auf den Kutschbock, und im Fluge ging's weiter nach Bellenz. Daß wir nach solchem Abenteuer weidlich lachten, war natürlich, um so mehr, da mein Feuereifer zu mancher Bemerkung Anlaß gab. Um zehn Uhr lagen wir im Bett, und es war uns zumut, wie in Märchen Prinzen, die in ein verzaubertes Schloß geraten sind. Ein Stadttor, eine schwach erleuchtete Gasse, ein Rudel Kellner, Zimmer, Gänge in Kreuz und Quer, ein großer einsamer Saal, auf dessen mächtigen Spiegeln nur Staub; ein winzig kleiner Aufwärter, dann wieder Gänge, Zimmer, Gänge, all diese Bilder drängten sich in unsrer Erinnerung und jagten bunt durcheinander. Wir steckten irgendwo in Bellinzona, das war ausgemacht. Sonst wußten wir nichts, als daß draußen der Regen in Strömen fiel. O Welschland, wie empfängst du uns! Was würde unser Hannibal dazu gesagt haben!

Musik empfing uns beim Erwachen, leider nur eine monotone Wasserharmonika, die der Himmel selbst spielen ließ, und die Glocken hallten oder schlugen wenigstens dumpf zusammen; denn es war ein abscheuliches Geläute. Wir standen spät und langsam auf, und stellten dabei Betrachtungen an. Zuerst suchten wir uns in unserm Labyrinth zurecht und sahen nun, daß wir im Angelo waren. Wir bezahlten, und da die Zeche billig war, bestellten wir auch ein Frühstück. Da indessen der Regen nachgelassen hatte, gingen wir ein wenig spazieren. Wir besuchten die Kirche und fanden nicht viel. Dann verließen wir die Stadt und gingen auf der Straße von Locarno bis zur langen steinernen Tessinbrücke von zehn Bogen. Von hier aus stellten sich die Schlösser gar malerisch dar, eins über dem andern; die Stadt liegt größtenteils hinter dem untersten verborgen. Der Regen verzog sich gerade so viel und ließ uns so viel Frist, daß wir in Eile die Partie aufnehmen konnten. Albert brauchte wie gewöhnlich und nach Art großer Maler mehrere Kartons. Moriz dagegen und ich begnügten uns mit einer kleinen Skizze. Als der Regen wieder anfing, kehrten wir zurück. Da entschlossen wir uns, für jetzt nicht nach Lugano zu wandern (im Regen über den Monte Cenere!), dafür uns nach Locarno zu wenden, von dem wir einmal die fixe Idee hatten, es könne nur drei Stündchen von Bellinzona entfernt sein. Wir machten uns auf und wetteiferten mit dem Himmel; je mehr dieser regnen ließ, desto ärger stürmten wir vorwärts. Wir zählten uns dabei zum Trost all die Vorteile auf, die wir durch das saubere Wetter genossen, und es schauderte uns vor dem Gedanken an Sonnenhitze auf der oft stundenlang schnurgeraden Straße. Und sahn wir auch die Berge auf der andern Seite des Tals nicht, so wenig als weiterhin den See und seine herrlichen Umgebungen, so achteten wir dafür mehr auf das, was uns zunächst war; auf die Rebgelände an der Straße, die entweder wie bei uns, nur weit üppiger ranken, oder herrliche Schattengänge bilden, oder endlich sich an Ulmen empor winden. Karl und Moriz gerieten in Entzücken über alles, was ihnen Italien zu verraten schien, während Albert bemerkte, der Regen mache hier so naß wie daheim. Das sahen und fühlten wir auch nur zu gut und sehnten uns nach Locarno; denn die drei Stunden waren schon längst um, und wir hatten uns doch kein Gras unter den Füßen wachsen lassen. Doch machte uns das nicht verdrossen. In Minusio, eine halbe Stunde vor Locarno, stand die Kirche am Wege; plötzlich trieb uns alle ein Geist, naß wie wir waren, hinein. Wir kamen gleich wieder heraus und verließen singend den Ort, verfolgt von den neugierigen Blicken der Bewohner und dem Bellen eines tobenden Kettenhundes.

Locarno

Um Mittag langten wir in Locarno an und sahen an allen Häusern hinauf, ein erwünschtes Zeichen zu sehen. Gleich in der ersten Gasse, wir kamen vom Hafen her, stand da ein gewaltig großes, aber altes verwittertes Haus, und über der Türe war zu lesen: Albergo nationale. Wir wollten vorüber; aber Moriz rief: »Ei, da ist ja ein Wirtshaus, wie ich mir's wünsche; echt national, und darauf gehn wir ja aus; da drinnen wirds recht lustig sein.« Wir folgten, ich nur mit Kopfschütteln, denn ich muß gestehn, in dem Augenblick wäre mir ein kleines, heimeliges deutsches Wirthshaus weit erwünschter gewesen. Aber Moriz hatte diesmal Recht. In einem mächtigen Saal fanden wir die Wirtin, eine Frau von mittlerm Alter und ausnehmender Freundlichkeit gegen die pudelnassen Gäste. Auch ihre Tochter war da, ein schönes Mädchen von 18 Jahren, mit schwarzen Haaren; und in ihrem ganzen Wesen lag ein gewisser Adel. Ja, Moriz fand sie mehr als schön und segnete nun erst seinen glücklichen Instinkt. Die Wirtin wies uns das anstoßende Zimmer an, in dem wir uns sofort umkleideten. Im Saal wurde nun ein Kaminfeuer angezündet, an dem wir uns und unsere Kleider trockneten. Was nicht Platz hatte, besorgte die freundliche Wirtin selbst. Wir hatten nun Zeit uns umzusehn; der Saal, worin wir waren, hatte eine gewaltige Größe in allen Dimensionen; auch unser Zimmer daneben mit zwei großen italienischen Betten war selbst für die vier unruhigsten Schläfer geräumig genug. Die getäfelten Decken in beiden Gemächern waren hübsch bemalt. Im übrigen sah der Saal ziemlich kahl und leer aus. Am meisten freute uns aber das mächtige Kamin, auf dessen Fries Szenen aus der römischen Geschichte in Relief dargestellt waren. Eine wohlbereitete Polenta ließen wir uns trefflich schmecken: denn überall, das war unser Grundsatz, die Nationalspeise, so hat man doch auch des Landes Eigentümlichkeit genossen.

Die Zeit verging, aber der Regen nicht, so wenig als unsere gute Laune. Wir schwatzten, sangen, besserten an den Zeichnungen aus. Moriz zeichnete auch ein gegenüberstehendes Haus ab, dem mehrere übereinandergebaute Bogengänge voller Blumentöpfe ein recht südliches Aussehen gaben. Wir dachten dabei an Sevilla, wo die Mädchen aus den Fenstern sehen, ihre Blumen zu begießen. Der Abend kam, und wir wollten nicht die ganze Zeit im Albergo sitzen. Nur Morizen war es wohl genug da, und er blieb unter dem Vorwand zu zeichnen. Die Wirtin und ihre schöne Tochter saßen in der Nähe mit Stricken beschäftigt. Da verwünschte denn Moriz seine Unkenntnis des Italienischen; denn so gerne er mit ihnen geschwatzt hätte, mußte er stumm wie ein Fisch dasitzen und tun, als zeichne er aufs eifrigste, während er öfters seitwärts auf seine schöne Nachbarin sah; ja es ließ sich nachher verlauten, als habe er ein Sonett geschrieben. Wir andern entlehnten indes einen lahmen löchrigen Regenschirm und ruderten ins Kapuzinerkloster, das zuoberst in dem Orte liegt. In der dunkeln Kirche kniete eine andächtige Menge, aus dem heilern Chor erschollen die verworrnen Stimmen der Mönche. Wir traten in den Kreuzgang; eine Seitentür ging auf, und ein Kapuziner kam heraus, der sich ganz wunderlich und ordentlich wie verrückt gebärdete, an der Türfalle rüttelte und nicht zu wissen schien, sollte er bleiben oder gehn. Da kam ein zweiter, von dem wir die Auskunft verlangten, die uns der erste nicht geben konnte. Aber sah der erste dumm aus, so war auf des andern Gesicht die Stupidität versteinert, und demgemäß fiel auch der Bericht aus. Wir fragten, ob er Lateinisch verstünde, und ob er uns in die Bibliothek führen könnte; aber nur der Superiore konnte Latein; der Superiore hatte die Schlüssel zur Bibliothek und der Superiore war noch im Chor. Da hatten wir genug. Armes Volk, sagten wir im Hinausgehen, was kannst du dir denken bei den lateinischen Gebeten, ja wie kann man fordern, daß du etwas dabei denkest, wenn nicht einmal die es verstehen, die es täglich herleiern. Besser als diese Kapuzinerkirche gefiel uns die Franziskanerkirche, sie war wenigstens heiter und nicht so überladen. Die Säulen waren gerade auf ein Fest hin mit rotem Tuch umwunden, ebenso die Kanzel, zu der jedoch die Treppe fehlte. Im Kreuzgang sahen wir einen Mönch, der uns wieder ein wenig mit seinen Brüdern aussöhnte; er hatte ein offenes Gesicht und schwatzte recht munter, aber besser über den Weinbau als über kirchliche Angelegenheiten. Als wir nach den Büchern fragten, versicherte er uns mit lebhaften und anschaulichen Gebärden, daß alles drüber und drunter liege. Wir spazierten noch ein wenig im Kreuzgang und hörten aus einer Zelle heraus eine sehr leichtfertige Melodie erschallen. Beim Fortgehen freuten wir uns noch einmal über den schönen Platz vor der Kirche, den eine große Trauerweide zierte und sputeten uns dann, wieder nach Hause, nämlich ins Albergo nazionale, zurückzukehren.

Wie? die Väter sollten ihre Bibliothek in Ordnung stellen,
Während in den kühlen Gängen Trauben auf sie nieder quellen?
Vorn die ernste Trauerweide, hinterm Kloster Rebengänge;
Vorn den Schein der heil'gen Andacht, hinten weltliche Gesänge.
Laßt den Regen niederträufen, achtet's Freunde für ein Glück;
Sähn wir all die Herrlichkeiten, nimmer kehrten wir zurück.

Bald wurde es dunkel, und wir rückten näher am Kamin zusammen. Wir ergaben uns nicht nur in Demut in unser Schicksal, das doch ganz geeignet war, die Gemüter verzagt zu machen oder wenigstens zu verstimmen, sondern es war uns dabei recht lustig und wohl zu Mut. Wir entschlossen uns, sollte das Regenwetter, wozu aller Anschein war, den folgenden Tag anhalten, in Gottes Namen da zu bleiben; waren wir doch im Albergo nazionale recht gut aufgehoben.

Wir sangen auch weidlich, und besonders Moriz, sonst nicht als Sänger berühmt, tat sein Bestes, denn die Wirtin und ihre Tochter waren da, und schienen ein rechtes Wohlgefallen an uns zu haben. Endlich zogen sie sich zurück; die Tochter stellte uns ein Licht hin und wünschte uns felicissima notte, das uns, aus Goethe bekannt, große Freude machte, und Morizen wollte bedünken, es sei ihm noch nie lieblicher gute Nacht gewünscht worden. Unser Licht brannte ungeputzt herunter; das Feuer erlosch allmählig, und wir erzählten uns der Reihe nach Geschichten. Zuletzt kam's an mich, da entschliefen die übrigen allmählig einer nach dem andern: und auch ich ließ das undankbare Geschäft, den steinernen Römermännchen am Kamin Geschichten zu erzählen, fahren.

Der einunddreißigste Juli dämmerte uns verhängnisvoll durch die langen weißen Vorhänge entgegen. Wir glaubten, ich möchte sagen: getrost, das gestrige Regenwetter in verbesserter Auflage durch die trüben Scheiben sehen zu müssen. Da trat Moriz, unser Reiseträumer, ans Fenster und prallte wieder zurück mit dem Ausruf: Welch göttliches Wetter: so daß wir entweder uns oder ihn für schlaftrunken hielten, was beiläufig bemerkt, das einzige Beispiel eines Rausches auf unserer Reise gewesen wäre. Als wir uns aber mit eigenen Augen von der Wahrheit staunend überzeugt hatten, machten wir uns eilig auf, und stiegen in der Kühle des Morgens hinan zu der Wallfahrtskirche Madonna del Sasso, die wir hoch über alle Dächer ragen sahen. Drei Wege führen den steilen Fels hinan, alle drei sind mit einer Menge Kapellchen besetzt, die Stationen bezeichnend, wodurch der Fels ein ungemein malerisches Aussehen erhält, zumal, da man an der Kirche oben mehrere Reihen von Arkaden gewahr wird. Indessen fanden wir, oben angekommen, das Gebäude selbst nicht so schön, als wir es uns gedacht hatten, besonders die Kirche ist sehr niedrig, dunkel und überladen, aber die Aussicht, sowohl von dem Hof als von den daranstoßenden Bogengängen aus, ist über die Maßen herrlich. Der Fels, worauf die Kirche steht, lehnt an ein schönes Waldgebirge; unter uns sahen wir das malerische Locarno und drüber hin den blauen See.

Lago maggiore

Da spielten, von der Morgensonne angelacht, die leichten Barken, auf denen Schiffer ihrem Gewerbe nachgingen oder Krämer hin und her zu Markte nach Locarno zogen. Nur schade, daß die in den See mündende wilde Maggia so viel Sand und Geröll an dem sonst so reichen Ufer anhäuft. Links eröffnete sich die Aussicht gegen das herrliche Livinertal, worin man selbst Bellinzona sehen soll. Mehr für die Abendbeleuchtung geeignet, doch auch jetzt sehr schön an Form und Farbe war das gegenüberliegende Gebirge, die Fortsetzung des Monte Cenere; weiße Dörfer, meist nach italienischer Sitte hoch über dem See gelegen, hoben sich aus dem Grün der Kastanienwälder höchst malerisch hervor. Endlich schließt gegen Süden die Aussicht mit einem prächtig gebildeten Berge, der dem See eine andere Richtung gibt und an den sich weit aufsteigend das weiße Canobbio anlehnt. Ungern trennten wir uns von der Madonna, und unten am Fels angelangt konnten sich die andern nicht enthalten, die Kirche abzuzeichnen; ich, der ich kein Maler bin, brach ein wenig Thymian und verwahrte ihn in der Brieftasche; jetzt ist er mir auch lieb, denn es knüpft sich daran eine der schönsten Erinnerungen unserer Wanderungen.

In der Stadt drunten berichtigten wir unsere Zeche, die der Art war, daß ich das Albergo nazionale allen Wanderern anempfehlen kann, die nicht an einen italienischen Gasthof gar zu hohe Forderungen stellen, und zogen darauf fröhlich über das schon Gewonnene unsere Straße. Bald befanden wir uns an der berühmten Brücke über die Maggia, die den Namen Ponte bello, den ihr das Volk gibt, gar wohl verdient. Eine steinerne Brücke von 720 Fuß Länge, getragen von zehn hohen, prächtig gewölbten Jochen, flößt mir mehr Achtung ein als die schönste Drahtbrücke, hätte sie auch doppelte Dimensionen. Ascona selbst ist ein kleiner, hübsch gelegener Flecken, in dessen Hafen die Landstraße endigt. Von da an steigt ein Fußweg, beständig unter Reblauben sich hinziehend, längs dem See zu einer bedeutenden Höhe; erst eine gute Strecke hinter dem ärmlichen Ronco senkt er sich wieder gegen Brissago zu, wo wir um zehn Uhr anlangten. Sogleich sahen wir uns nach Schiffleuten um, die uns nach Luvino brachten, und sobald wir uns mit diesen auf barbarisch-italienisch verständigt und Sitz und Stimme in der Barke genommen hatten, schifften wir in die hohe See hinaus. Immer mehr verschwand das Ufer vor unsern Blicken; dafür öffnete sich rings das herrlichste Gemälde; auf beiden Seiten des Sees zogen sich wie eine Perlenschnur hübsche Dörfer und Städtchen. Die Hauptursache, warum bei uns sich auch die am lieblichsten gelegenen Dörfer nie so hübsch, so schimmernd ausnehmen können, ist, weil die herabsteigenden Dächer das meiste von der weißen Seitenwand verdecken.

Immer schöner entfaltete sich die Aussicht, besonders gegen Süden, wo wir schon die runde, sanfte Form der Berge bewunderten, welche die italienischen Landschaften so zauberhaft verschönern. Die entzückendste Stelle ist in der Mitte des Sees, zwischen Canobbio und Macagno, welches letztere durch eine hohe, auf Grotten und Substruktionen stehende Kirche verherrlicht wird. In dieser Umgebung stellen sich die hübschen Inselchen von Brissago gegen Norden und die auf zwei steilen Klippen im See stehenden Schlösser von Canero gegen Süden überaus reizend und romantisch dar; in weiter Ferne steigt aus dem See ein Streif; es ist die Isola madre! –

Erst als wir an Macagno vorbei waren und Luvino erblickten, stiegen wir aus dem siebenten Himmel wieder auf die Erde herab, was bei Annäherung an die mailändische Grenze, der wir ohne Paß, ohne alle Papiere entgegenfuhren, so ziemlich natürlich sein mußte. Über unsern Empfang äußerten sich nun verschiedene Meinungen. Da mein schon besprochener Dolch zufällig Luft schöpfte und mit die schöne Aussicht genießen wollte, gewahrte dies unser scharfsinniger Charon und bemerkte ganz trocken, wenn die Gardisten dieses Instrument bei mir fänden, könnten wir mit gebundenen Händen einen Abstecher nach Mailand zu machen bekommen. Diese köstliche Aussicht begleitete er mit der passendsten Gebärde. Wie wir daher am Zollhause die österreichischen Adler ausgespannt sahen, ans Land stießen und ein Grünrock uns mit wohl erworbener Amtsmiene entgegentrat, da erwachten auf einmal allerlei Skrupel in uns, die wir bisher nicht beachtet hatten. Doch wir gaben uns ein recht kühnes und zuversichtliches Aussehen und schauten dem Menschen scharf ins Auge. »Signori i vostri passaporti«, war der erste Willkomm. Darauf wurde wie nebenbei bemerkt, wir hätten keine, und wollten nur nach Lugano, dessen Gebiet wir ja in einer halben Stunde würden erreicht haben. –

An der italienischen Grenze

Brummend führte uns nun der Kerl zu einem Haufen Soldaten, die sich wieder, aber umsonst nach unsern Pässen erkundigten. Von da ging's vom Pontius zum Pilatus, einem alten Kriegsmanne, an dessen Nase das Blut von einem halben Rebberge kleben mochte. Dieser Alte konnte bloß so viel Deutsch radbrechen, um uns den Durchgang zu verbieten und eilige Rückkehr anzuraten, doch schickte auch er uns wieder durch mehrere Gassen zu einem Beamteten. Als diesem Karl unser Anliegen vortrug, schimpfte er ganz entsetzlich und haspelte in seinem Welsch gerade soviel in einer Minute herunter, als ein Deutscher mit Mühe in zehn zu Tage gefördert hätte. Endlich ließ er uns stehen. Wie wir mit dieser tröstlichen Nachricht wieder zu den Soldaten zurück kamen, so fanden wir fast die ganze Einwohnerschaft Luvinos auf dem Platze, die sich unterdeß versammelt hatte. Mißtrauisch wurden wir von allen Seiten begafft: hatten so die Leute keine schöne, so genossen sie doch gewiß eine bunte Aussicht. Besonders erregten unsere Alpenstöcke Argwohn und Mißtrauen, und nur mit Mühe konnten wir sie überzeugen, daß gar nichts Gefährliches und Verdächtiges daran wäre. – Wir hatten also das unverdiente Vergnügen, den schönen Weg zu Wasser noch einmal zurückzulegen, um ihn so besser genießen zu können. Als Gnade wurde uns eine halbe Stunde zu unsrer Verfügung freigestellt, um unsern noch nüchternen Magen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Zum bösen Spiel und, ich muß es gestehen, den Leuten wie unserm Geschick zum Trutz, machten wir frohe Mienen und lachten. Einem wohlbeleibten Manne, der aus der hagern Masse wohlthätig hervorstach, folgten wir in seinen nahegelegenen Gasthof, um uns zur schimpflichen Retirade einen rühmlichen Mut zu sammeln. Wenn ich sagte, wir folgten ihm in seinen Gasthof, so heißt das mit andern Worten, wir traten mit ihm hinter ein großes schmutziges Tuch, das den Eßsaal (eine Höhle mit Tisch und Bänken, der noch ein Kamin als Küche einverleibt ist) von der offenen Gasse trennte und uns dem Blick der Neugierigen entzog, die vor dem Vorhange standen, als wäre des Pyrrhus Elefant dahinter. Hier kochte uns unser gemütlicher Wirt, dessen Macht sich nur über Wein, Polenta, Käse und Salamiwürste von Obrigkeitswegen erstrecken durfte, eine herzlich schlechte Polenta, die uns, nachdem er sie in der unreinlichsten Pfanne mit einem dem Kehricht entrissenen Holzspan fleißig gerührt hatte, vorgesetzt wurde, und uns trotz ihrer angeborenen Erbärmlichkeit nicht übel mundete. Wir waren aber wie Götter zufrieden, befanden wir uns doch in dem glücklichen Italien, in dem Lande wo die Zitronen blühn und wo selbst Disteln und Dornen ein italienisch-südliches Aussehen haben müssen! –

Nun vertrauten wir unsre ausgefüllten Hüllen wieder dem nassen Elemente an und waren ziemlich mutwillig geworden, so daß wir, kaum vom Lande gestoßen, schon aus Leibeskräften manche Posse zu singen begannen. Aber wir mußten hart büßen. Äolus und Neptun standen mit der lombardischen Grenzwache im Bund; denn bald erhob sich ein starker Wind und wehte uns entgegen; es zeigten sich allmählig, erst nur in weiter Ferne, bedeutungsvolle Wogen auf dem See, die sich tosend, eine die andre, vorwärts schoben, dann immer näher kamen, so daß in kurzem die Barke zu hüpfen anfing. Wie aber der Wind heftiger, die Wellen immer höher wurden, so daß die Wasserfläche eher einem bewegten Gletscher, als einem Spiegel glich, da erschöpften sich die Kräfte der Schiffer; und wir sahen uns vergebens nach einem rettenden Tell um. Wie ein Stück Kork tanzte die leichte Barke umher, und abwechselnd schlugen Wellen über ihrem Schnabel weg. Mitten in diesen Umständen, die unsern Frohsinn nicht im geringsten trübten, krachte noch plötzlich unser Sitz zusammen, und wir saßen auf dem Schiffsboden fest, wo wir dann auch scherzend bis auf weitern Bescheid verblieben. Endlich landeten wir bei Macagno in einer Art von Hafen, indem uns die Schiffleute erklärten, nicht mehr weiter fahren zu können, da der Wind in völligen Sturm ausgeartet. Vergebens baten, überredeten und drohten wir, sie streckten sich ins Schiff und schliefen. Wir harrten umsonst auf Änderung des Windes, über eine Stunde wandelten wir unruhig, wie Strandläufer das Ufer auf und ab; keine Hoffnung lachte uns. In Macagno fand sich ein starker Posten Grenzwächter mit einem Commissario. Zwei von uns erkundigten sich daselbst bei einem Unterbeamteten nach dem Wege, den wir nun zu machen hätten und erhielten die Weisung, den nächsten Weg nach Magadino, dem See entlang einzuschlagen, um sobald als möglich aus österreichischem Gebiet zu kommen, dessen Grenzen zwei starke Stunden von Macagno entfernt waren. Wir bezahlten daher unsre Fährleute und machten uns getrost auf den bezeichneten Weg, um noch nach San Abondio zu kommen, das schon auf der Schweizergrenze liegt.

 

Der Weg, wenn man ihn so nennen darf, ist herzlich schlecht, mühsam und unbetreten, denn alles fährt über den See zu den wenigen Dörfern, die an der Straße liegen; dagegen ist die Gegend längs dem See hin unbeschreiblich malerisch. Schon glaubten wir, als wir hinter Pino waren, auf Schweizerboden zu sein und jubelten, und stießen sogar in unserm Übermut Verwünschungen gegen unsern Empfang in Italien aus; da erfuhren wir, daß die Lichter, die uns nahe entgegenflimmerten, noch echt lombardisch gesinnt wären, kurz daß wir nicht San Abondio vor uns hatten sondern den Grenzort Zenna. Endlich in Zenna, dessen Name mit Flammenschrift in unser aller Herzen geschrieben steht, angekommen, waren wir noch etwa vierzig Schritte von dem Heimatboden entfernt. Da gewahrten wir denn zu unserm Entsetzen eine große Anzahl Kriegsknechte in einer Laube beisammen, hart an der Straße. Sie zechten. Von der einbrechenden Nacht begünstigt hofften wir unbemerkt diesen Äquator zu passieren: gedrängt und mit gesenkten Alpenstöcken und leise auftretend, meinten wir auch an den Zechern vorbeizukommen, als uns ein königlich-kaiserlich-östreichisch-lombardisch-venetianisches Fragezeichen in der Person eines Ricettore in den Weg trat und – sich teilnehmend nach unsern Pässen erkundigte. Auf unsre abschlagende Antwort hin führte er uns nach seiner Schreibstube; zu persönlicher Sicherheit deckten uns einige Grenzwächter den Rücken. So waren wir denn endlich aufgehoben. – Der Verhörsaal oder das Amtszimmer bestand aus ein paar Wänden, die mit vermoderten Gesetzbüchern, staubigen Regiments- und unaufgeschnittenen aber keineswegs unbeschmutzten Verordnungen überdeckt waren; alles das nahm sich herrlich aus durch den neblichten Schleier von Spinngewebe, das die Wände rings umgarnt hielt. Den Boden verbargen zerstreute Staatspapiere mit den Insiegeln der Fliegen bekräftigt und verziert; aus deren Mitte ein bloß vor Alter ehr- und merkwürdiger Tisch sich erhob, und den im Dienste ergraute Folianten unterstützen. Hinter diesem saß der vom Gelage gescheuchte Ricettore, neugierig und mißmuthig zugleich. Da aber vielleicht nicht jedem ein Ricettore mag so bekannt worden sein, wie wir das Vergnügen hatten, so bin ich eine kurze naturhistorische Beschreibung desselben schuldig: Es ist dieser ein noch junger Mensch, mit der Feder hinter dem einen, dem Strohhut hinter dem andern Ohr. Ein stark überhängender Schnurrbart hat beim Ricettore wohl eine ähnliche Funktion, wie die Dachrinnen an den Gebäuden. Diesem offizinellen Dinge wuchert übrigens noch schmarotzerhaft ein dunkler Bart um die bedeutenden Freßwerkzeuge, und man ist über seinen Zweck eigentlich noch nicht einig. Das Ganze mag in die Gattung der Vampyre gehören. Auf den übrigen Teil des Leibes muß dann noch eine weiße Jacke, ein paar Beinkleider und Pantoffeln verteilt werden. Um diese Erscheinung flatterten nur vier bis fünf Gardisten gespenstig herum, und obwohl alle immer nur von ihrer Pflicht sprachen, so sah doch einer unheimlicher und verdächtiger aus als der andre. Der Ricettore sprach überdies noch ein gebrochnes Französisch, weshalb wir Deutsche uns am besten mit französischer Zunge aus italienischer Haft loszuwinden hofften und so mit allen Vernunftgründen dem Gegner zu Leibe zogen. Gern gab uns unser Widersacher zu, daß wir nicht wie Spitzbuben aussähen, gern daß wir bloß die Wahrheit sagten, doch seine Pflicht verbiete ihm, uns zu glauben und freizulassen. Dazwischen lachte er dann bald unmäßig, bald rollten die katzgrauen Augen wild im Kopf herum, und er schalt unsern Glauben an die Vernunft, denn was hätten wir anders anfangen können? Von Luvino hatte man uns zurückgeschickt, vor Macagno mußten wir sturmgezwungen landen, in Macagno selbst durften wir nicht bleiben, was war uns also zu tun übrig?? – Nun das wußte der Herr Ricettore selbst nicht zu sagen. Nachdem wir uns in drei verschiedenen Sprachen recht gelehrt herumgezankt und keiner den andern verstanden hatte, so war das Resultat: Fürs erste dableiben und morgen den schlechten, über zwei Stunden langen Weg nach Macagno wieder zurücklegen, um vom dortigen Commissario entweder nach Como oder über die Grenzen geschafft zu werden. – Was hätte wohl unser Hannibal bei diesem Evangelium für Miene gemacht, sicher eine, die sich noch nicht in seines lieben Lavaters Physiognomik findet. – Das war nun ziemlich deutlich. Wie ich aber noch beim Ricettore stand, trat Heinrich zu mir und flüsterte mir zu, daß wir genau durchsucht würden und daß man mit Karl schon den Anfang gemacht hätte. Indem ich da meines unglücklichen Dolchs und der prophetischen Worte unsers Schiffers gedachte, war mir ganz eigen bei dieser Nachricht zumute. In dem Halbdunkel schlich ich mich nun an Karl heran und steckte ihm, der keiner Untersuchung mehr ausgesetzt war, die verbotne Frucht zu, wofür ich ihm jetzt noch dankbar bin. Alles ging glücklich vonstatten, und ich gab mich nun willig den Händen der Gardisten hin. Was wäre aus uns geworden, hätte jemand diesen Actus belauscht?! – Besonders genau wurden unsre Karten und das Löschpapier, in dem Heinrich und ich getrocknete Pflanzen aufbewahrten, vom Ricettore durchstöbert, der in jedem Wappen der Papierfabrik eine Freiheitskokarde, in jedem Gebirge der Karten eine Höllenmaschine mutmaßen mochte.

 

Während der ganzen Unterhandlung schrieb er noch lange Seiten herunter, so daß mir bei jeder Zeile ein – Dolch würde ich sagen, in die Brust ging, hätte ich diesen wenn nicht in, doch schon auf dem Herzen gehabt; denn ich las darin einen Generalsturm auf unser Finanzwesen, das schon lange seinen Kulminationspunkt erreicht hatte. Ich wünschte dem Schreibseligen an jedem Fingergelenk ein paar Lähmungen und Krämpfe, und da meine frommen Wünsche nicht zu wirken schienen, stieß ich unaufhörlich an den schwankenden Tisch, um den Eifrigen zu unterbrechen – aber nichts half, er schmierte fort. – Unter Bedeckung durften wir in die elende Schenke des Dorfes gehen, um zu übernachten. Freilich gar pompös gings da nicht her, doch waren wir noch vergnügt, und bei spärlichem Mahle, oder um poetischer zu reden beim Abendbrot, sangen wir uns die Grillen aus dem Sinn. Wir wurden darauf in zwei Zimmer verteilt, vor der Tür stand die Nacht hindurch eine Ehrenwache, die ich freilich mehr bedauerte als mich selbst. Karl, der mit mir das Zimmer teilte, hatte den verzweifelten und völlig unausführbaren Entschluß gefaßt, durchs Fenster zu entspringen, wovon ich ihn nur mit Mühe abbrachte. – An dem allen nun, vom Fortweisen in Luvino bis zum Nachtquartier in Zenna, und was sich weiter daraus ergab, war bloß ein – Stückchen Papier schuld, das übrigens gar nicht existierte.

Paßgeschichten, schlechtes Wasser, Wanzen in den Betten, ja –
Niemand weiß wie schön Italien, der nicht all den Jammer sah.

 

Dienstag, den 1. August.

Was uns alle für Träume diese Nacht hindurch beschäftigt haben, mag ich nur gar nicht sagen; ich meinesteils sah den vergangenen Tag und seine Ereignisse wie durch ein eckig geschliffenes Glas vervielfacht. Einmal war's der Ricettore mit seinen grauen Katzenaugen und seinem Tirolerhut, dann der stürmische See und die Schlösser von Canero, dann wieder Luvino und der fette Wirt, endlich ein schönes einsames Kloster mit immerfort läutenden Glocken auf einem herrlichen Weinberg über dem See; plötzlich wurden die Ulmen des Weinberges zu Gardisten und die Reben schlangen sich als Bandelier um sie herum; ein entsetzliches Korps! – Aus solchen Geschichten heraus erwachte ich morgens um vier Uhr und hörte vor dem offenen Fenster den Bach frei und fröhlich über die Felsen zum See eilen, während ich vom Gange her die Schritte der Gardisten vernahm. Der Bach da draußen hat es gut, dachte ich; dem kann kein Ricettore den Weg in den See hinaus wehren! Und ich seufzte tief auf, so daß Karl im Schlaf anfing sich zu kehren und zu wenden; ob aus Sympathie weiß ich nicht. Endlich erwachte auch er, und bald kamen die beiden andern aus ihrer Zelle zu uns, und wir waren ziemlich guter Dinge. Es schlug sechs Uhr: diese Zeit hatte uns der Ricettore zur Abreise nach Macagno bestimmt. Ein Gardist erschien mit einer Flinte auf dem Rücken; – war sie geladen oder nicht, – das lasse ich dahingestellt. – Wir schickten uns also in das Unabwendbare und machten uns auf den Weg; unser Gepäck nahmen wir weislich mit, obschon wir wohl denken konnten, daß wir wieder nach Zenna kommen würden. Am meisten belästigte uns nun der Dolch, denn wir konnten ja in Macagno wiederum visitiert werden. – Es gelang mir endlich unterwegs, das tragische Instrument an einem sichern Ort unter einem Felsblocke zu verstecken, ohne daß der Gardist es merken konnte, weil er beständig eine gute Strecke hinter uns drein war. Ich weiß nicht, war es die Flinte oder das Paket mit den Aufträgen des Ricettore, das ihn so sehr drückte; kurz, er nahm einmal all sein Deutsch zusammen und rief uns zu: langsam! und das war das erste deutsche Wort, das wir von einem österreichischen Soldaten zu hören bekamen; ich denke, der Mann wird einmal unter der Landwehr angestellt werden. Der Morgen war prächtig; blendend von der Sonne beschienen lag das weiße Canobbio uns gegenüber, und dahinter öffnete sich ein schönes Tal, von der Schneekette des Monte Rosa begrenzt. – Weiter am See hinauf sahen wir noch die Gegend von Brissago und Ascona mit ihrer Fülle von Kirchen und Klöstern, mit ihren malerischen, von Reblauben ganz bedeckten Dörfern hoch über dem See. Auch der Weg, den wir eben gingen, war überaus herrlich, bald beschatteten uns Reben, bald majestätische Kastanien, und tief zu unsern Füßen kräuselte sich der schöne, dunkelblaue Lago Maggiore. Am herrlichsten stellt sich die Gegend dar auf dem Felsen, wo der Weg gegen Macagno sich umbeugt; wir blieben daselbst stehen, bis der Gardist nachgekommen war und fragten ihn dann dies und das, und er zeigte uns die borromäischen Inseln, die wir wie die Eilande der Seligen in weiter Ferne aus dem See steigen sahen, und dahinter erhoben sich schöne, herrliche Berge, wie man sie auf den alten italienischen Madonnenbildern im Hintergrund zu sehen pflegt. Wir stiegen den Fels hinab und gelangten durch einen Rebgang zum Haus des Commissario. Man führte uns in eine Art von Halle, durch deren offene Bogen herrliche Trauben hereinhingen. Da stand nun der Commissario, ein ältlicher großer Herr, der uns lebhaft an Eßlair als Vater in Ifflands Jägern erinnerte; ja er hatte selbst etwas von Goethe. Der Gardist übergab ihm das Schreiben des Ricettore, unsere Wenigkeit betreffend, und er las es langsam durch. Hierauf maß er uns mit einem langen Amtsblick, und las dann das Papier nochmals durch, vermutlich um sich unserer Identität zu versichern. Darauf fragte er uns, wie in aller Welt es uns habe einfallen können, ohne Paß den österreichischen Boden zu betreten? – Statt ihm zu antworten, fragte ich ihn wieder, ob er französisch oder deutsch könne? er sagte nein und lächelte. Darauf setzte ich ihm, so gut ich konnte, alle unsere Abenteuer, die Fahrt nach Luvino, unsere Aussetzung in Macagno usw. auseinander. Er antwortete mit einem tiefen Seufzer: giovenil imprudenza! und diese Worte klangen, als erinnerte er sich lustiger Studienjahre und einer heitern Jugend, wo dergleichen Torheiten ihm vielleicht auch nicht fremd sein mochten.

 

Darauf fuhr er fort: senza testa! senza testa! und das sagte er wohl fünf mal. Ich bemerkte ihm, er habe eigentlich recht, ich könne es nicht leugnen, und seine Amtsfalten verklärten sich zu einem Lachen, das er nicht mehr bergen konnte. Lascerovi andare, sagte er und ging in ein Nebenzimmer, wo seine Schreiber an einem langen Tische saßen. Einen Augenblick darauf kam er wieder und gab uns den Laufpaß, welcher dahin lautete, daß wir wegen gänzlichen Mangels aller nötigen Papiere den nächsten Weg und sobald als möglich über die Grenze geschafft werden sollten. Doch erlaubte er uns noch, in Macagno für eine halbe Stunde einzukehren; auch sagte er mir zu meiner nicht geringen Freude und Verwunderung, daß wir den Gardisten nichts zu zahlen hätten; nun schieden wir mit vielen Ringrazios von dem guten alten Herrn. In dem Wirtshaus gegenüber fanden wir die Wirtin in der Küche, die gewöhnlich in einer italienischen Osteria zugleich Vorzimmer und Hausflur ist. Die gute Alte fing eben ihrem Töchterlein gewisse Tierlein; neben ihr lagen von den köstlichen kleinen Ziegenkäsen eine Spezies, die man bei uns gar nicht kennt. Die Operation, womit die Locandiera eben beschäftigt war, hinderte uns indes nicht, von den Käsen zu verlangen, und wir verzehrten sie mit großem Appetit zu einer Pinta Wein. Daß auf des Commissario Gesundheit getrunken wurde, versteht sich wohl von selbst. Der Wirt trat herein, ein gesprächiger Alter, von dessen bergamaskischem Kauderwelsch wir freilich nicht viel verstanden. Als wir unserm Frühstück den Garaus gemacht hatten, fragte ich ihn, wen der geistliche Herr über dem Kamin vorstelle? Es ist mein Oheim, er war Pfarrer da und da, und der da, sagte er das Nebenzimmer öffnend und auf ein anderes lebensgroßes Bild weisend, ist auch ein Oheim von mir. Dies Nebenzimmer war ganz sonderbar möbliert; marmorne Konsolen und ein großer Spiegel wiesen auf vergangene Herrlichkeit hin, aber alles, Konsolen, Tische, Stühle, ja selbst der Boden war mit Kokons bedeckt, auf die uns der Wirt mit Wohlgefallen aufmerksam machte; mit seiner Erlaubnis nahm ich einige davon zum ewigen Andenken an Macagno mit. Aber die halbe Stunde war längst abgelaufen, und wir mußten fort. Auf dem Felsen über dem Dorf zeigte sich uns die Gegend in der schon vorgerückten Morgenbeleuchtung paradiesischer als je, und trotz der allgemeinen Freude über die wiedererlangte Freiheit seufzte ich doch tief auf: Addio Italia! – Binnen anderthalb Stunden legten wir jetzt zum drittenmal den Weg zurück, zu dem wir im Begleit des Gardisten fast dritthalb Stunden gebraucht hatten. Unterwegs nahmen wir auch den wohlversteckten Dolch wieder zu uns. Der Ricettore und seine Helfershelfer in Zenna wurden beim Anblick des Laufpasses sehr freundlich und wünschten uns recht höflich buon viaggio. Mit einigen Schritten waren wir über der Grenze und stiegen alsbald jubelnd zum Gestade des Sees nieder, um die Schmach der Gefangenschaft in einem Bade abzuwaschen. Ein Bad im Lago Maggiore ist immer Götterwonne, aber ein solches Bad nach eben wieder erlangter Freiheit war allzuköstlich. Gestärkt zogen wir weiter gegen das nördliche Ende des Sees zu.

Von Magadino zurück nach Bellinzona

Wenn im Schattengang die Trauben auf den Wanderer niederhangen,
Wären sie nur reif gewesen, hielten sie uns noch gefangen.

So sagte mir unlängst Heinrich ins Ohr, als wir diesen Tag miteinander in traulichem Geschwätz rekapitulierten. Und er hatte recht, denn der Weg zog sich über zwei Stunden lang und beständig unter den üppigsten Rebenlauben hin, und wir merkten gar nicht, daß wir uns während der heißesten Mittagsstunden unterwegs befanden. Ehe wir uns dessen versahen, waren wir in Magadino am Ende des Sees und zwar zunächst vor einem sonderbaren großen Haus, vor welchem eine gewaltige Rebe den ganzen Platz bedeckte. Ein Mann stand mitten im Wege und sagte uns, wenn wir vielleicht ein Albergo suchten, so sollten wir nur hier hereintreten. Da fiel uns plötzlich ein, daß wir im Fremdenbuche zu Andermatt eine Warnung vor dem Gasthof zum Vapore in Magadino gelesen hatten, und nun wurde uns auch klar, warum man die Gäste ins Haus herein rief, aber wir standen schon auf der steinernen Treppe vor der Tür und mußten in Gottes Namen hinein. Die Zeche war indes glücklicherweise nicht sehr teuer, besonders wenn man das schöne kühle Zimmer in Anschlag bringt, aus dem wir wie neugeboren hervorgingen. Von Magadino zogen wir durch das weite, sumpfige, doch höchst großartige Tal des Ticino gegen Bellinzona, wo wir vor sechs Uhr anlangten. Der Abend war so schön als der Morgen und deshalb machte Bellinzona, besonders aus einiger Entfernung, einen weit bessern Eindruck als den vorhergehenden Sonntag. Die amphitheatralische Gruppierung dieser Stadt mit ihren drei Schlössern ist so entzückend schön, daß selbst das hochthronende Genf in dieser Beziehung nicht daneben in die Schranken stehen dürfte. Diesmal nahmen wir uns Quartier aus Vorwitz nicht im Angelo, sondern im Serpente gerade gegenüber. Hier untersuchten wir nun ernstlich unsere Finanzen und fanden, daß dieselben in höchst traurigen Umständen waren – und wir befanden uns noch 53 Stunden von der lieben Vaterstadt! Nichtsdestoweniger und dessen ungeachtet beschlossen wir durch das Berner Oberland heimzukehren, ein wirklich großartiger Entschluß in unsern Umständen. Hierauf schüttelten wir die sich hie und da regenden Sorgen in einem Kaffeehause ab, wo wir uns auf verschiedene Arten gütlich taten; denn der nächste Tag sollte ein heißer Schwitztag werden. Die Kaffeewirtin glich nicht übel Goethes wandelnder Glocke, und ihre Gestalt und ihr Gespräch versetzten uns in so gute Laune, daß wir einstimmig erachteten, unser Hannibal würde, wäre er bei uns, ganz sicher sagen, er möchte seine Feinde umarmen, denn das war so sein Sprichwort, wenn ihn der Kaffee oder sonst eine Seligkeit begeisterte. Nachdem wir uns ein wenig erquickt, gingen wir noch in der Stadt herum; das Gewühl und Geschrei auf den Straßen behagte uns recht sehr, und wir fühlten uns das letztemal in Italien noch recht wohl. Nach dem Nachtessen, das uns durch abscheulichen Wein verbittert wurde, standen wir noch ein wenig auf dem Balkon und schauten in die dunkle, aber immer noch durch Gesang und Lärm belebte Gasse hinab; ich aber befestigte in meinem Herzen den Entschluß, mit nächster Gelegenheit weiter in das schöne Italien einzudringen. Vor dem Schlafengehen bemerkte ich noch zu Nutz und Frommen deutscher Reisenden, daß »la buona mano« in Italien nicht eben bedeutet, daß man in guten Händen sei, sondern daß man ein Trinkgeld geben solle.

Durchs Tal des Ticino

Den 2. August.

Trotz unsers schlechten Nachtlagers standen wir erst spät auf und kamen nicht vor halb sechs Uhr aus Bellinzona heraus. Der Himmel war ganz wolkenlos, und ich sandte mehr als einen verstohlenen Blick zurück nach dem schönen Bellinzona mit seinen Klöstern, Kirchen und Schlössern, und nach der Gegend, wo die Berge auseinander treten und wo der göttliche Lago Maggiore Italien eröffnet. Wie anders erschien jetzt der Weg als beim Herunterfahren! Er kam mir vor wie eine vor ein paar Tagen gemachte Rechnung, über die wir jetzt die große Probe machen sollten. Eine lebhafte Diskussion begann, als es sich unweit Osogna darum handelte, den klassischen Ort jener Mordscene auszumitteln. Obschon wir im Grunde froh waren, wieder nach Hause zu kommen, bemerkten wir doch nicht ohne Schmerz, wie das italienische Leben von Dorf zu Dorf immer mehr abnahm; schon die Rebengänge des Jesuiteninstituts zu Poleggio waren ganz nieder, im Vergleich mit den prächtigen Lauben des untern Tessins, und das ersehnte Giornico, wo wir nach fünfstündigem Marsche schweißgebadet anlangten, kam uns, trotz seiner beiden italienischen Glockentürme, ganz wie ein philiströses deutsches Dorf vor. Obschon wir im dasigen Wirtshaus eine Pinta Wein nebst hartem Käse versorgten, sahen wir doch weder das Schlachtfeld, noch den in eine Kirche verwandelten römischen Tempel, noch die schöne Wirtin, von der man so viel Aufhebens macht. – Darauf ging's in der heftigsten Mittagshitze den Gotthard hinauf. Das Tal des Tessin ist zwar auf Kellers Reisekarte recht fett und breit gezeichnet; ich kann aber auf Ehre versichern, daß es, wenigstens von Giornico aufwärts, nirgends über eine Viertelstunde breit ist, und daß oft der Tessin und die Straße dessen ganze Weite einnehmen, indem gleich daneben hohe, meist kahle Berge beginnen, deren schattige Stellen meist mit Schnee bedeckt sind. Wie langsam ging's jetzt den Zickzackweg hinter Giornico hinauf, den wir so entsetzlich schnell heruntergehaudert waren. Bei Faido ruhten wir eine Stunde aus; das Dorf war lustig belebt wegen der mit dem Fest der heiligen Anna verbundenen Kilbe, und ein Maler hätte gewiß seine Freude gehabt. Mit neuer Bewunderung stiegen wir hinan durch die herrliche Schlucht bei Dazio grande. Der Tessin, der hier einen beständigen Fall von mehr als 1200 Schritten Länge bildet, hatte wieder den rötlichen Schein, den wir das erstemal bewundert hatten. Das Ganze nimmt sich, besonders beim Kapellchen in der Schlucht, ungemein malerisch aus, und alle Herrlichkeiten des gepriesenen Münstertales sind damit nicht zu vergleichen. Oberhalb Dazio grande beginnt ein Tal, das durchaus einen Alpencharakter trägt und dessen Dörfer schon zum Teil aus Holz gebaut sind. Eine Kapelle am Weg war zu Ehren der heiligen Anna mit Kränzen und Alpenrosen geschmückt. Durch die romantische Schlucht von Stalvedro, die uns nach Dazio grande freilich keinen großen Eindruck machte, gelangten wir nach Airolo, wo wir bei dem bekannten Wirte Camossi unser Nachtlager nahmen.

Der Heimweg

Den 3. August.

Indem wir vor 5 Uhr von Airolo aufbrachen, kehrten wir somit dem letzten Orte, wo Italienisch an unsere Ohren schlug, den Rücken zu, und ich wenigstens freute mich recht sehr auf das trauliche »Gott grüß' euch!« der Schweizerhirten, und tauschte gegen die schöne, großartige Natur der Alpen gerne die Herrlichkeit Italiens, die wir auf der brennenden Landstraße von Bellinzona nach Airolo in Pulvergestalt reichlich eingeatmet. An der spiralförmig sich windenden Gotthardstraße kürzten wir durch Nebengänge, die wir zum Teil selbst erfanden, beinahe eine Stunde ab. Hoch auf dem Hospiz erquickte uns geschmackloses Schneewasser. Mit unserm gewöhnlichen Reiseschritt langten wir von da munter und wohlbehalten bald unten im Hospital an, wo wir zwar wieder tranken, denn es war ein heißer Tag, aber, natürlich bloß der Gesundheit halber, nicht Schneewasser, sondern schwarzroten Veltliner; wozu wir uns als Beikost einige Zeit zum Ruhen und treffliche Butter fürstlich schmecken ließen. Da wir nichts zu versäumen hatten, wollten wir noch einige Minuten länger der Ruhe pflegen, als genau zur Fortsetzung der Reise erforderlich war, aber der allzu vorsichtige Moriz sprach sein Veto, und wir bequemten uns denn zum Aufbruch und waren in einer Stunde in Realp, von wo wir nun über breite, weite Weiden die Furka zu ersteigen begannen. Wir setzten unsern Stolz darin, nirgends einen Führer zu nehmen, selbst an Stellen wo andere ehrliche Leute bei Leib und Leben sich nicht aufs Geratewohl hinwagen würden. Nachdem wir lange unter dem reinsten Himmel und auf dem blühendsten Alpenrasen längs der steilen Matten hingestiegen, verlor sich der so interessante Weg endlich nach der Höhe zu in ein tiefes Schneefeld, unter dem wir einen wilden Bach durchschäumen hörten, sogar durch einige Risse der Schneedecke öfters den weißen Schaum und den Spiegelglanz der Wellen sehen konnten. Hier mitten im Schnee, durch den wir uns mühsam zur Höhe emporarbeiteten, begann sich denn die Hitze in eine nicht geringe Kälte umzuwandeln. Endlich langten wir oben auf dem Grat an, den bald größere, bald kleinere Felsblöcke bedeckten; hinter uns lag das durchwatete Schneefeld, vor uns, steil hinunter zog sich ein mit tausend Blumen gezierter Alpengrund nach dem gigantischen Rhonegletscher hinab, aus dem die Rhone wild hervorbraust und die tiefe Stille weithin unterbricht.

 

Zur Seite endlich türmten sich nicht allzuhochscheinende zackige Eisberge oder kahle, düstere Felsen. Der so gerühmte Rhonegletscher kam uns mehr kolossal als wirklich schön vor; sein Schnee oder Eis nimmt von der Basis fast bis zur Mitte eine schwärzliche Farbe an, die nur zu sehr ans Schmutzige grenzt und sich erst dem Gipfel zu in das reine, blendende Weiß auflöst. Ein anmutiger Weg führte uns hart am Gletscher und zum Teil noch etwas über denselben nach dem Rhonespitz, wo Deutsche, Franzosen, Engländer, Italiener und Schweizer zusammengehäuft waren. Diese Musterkarte bereicherten nun auch wir noch, wenigstens mit unserm Äußern. Als wir uns endlich gesättigt nach dem Weg über die Grimsel erkundigten, erfuhren wir, sie sei sehr mit Schnee bedeckt, doch hätten tags zuvor elf Pferde mit Frauenzimmern den gleichen Paß zurückgelegt; weshalb wir denn, ihrer Spur zu folgen gedenkend, stolz das Anerbieten ausschlugen, uns der Gesellschaft einiger Fremden anzuschließen, die denselben Zweck vorhatten. Ein steiler und nicht gar löblicher Weg führte uns auch bald durch üppige Alpenrosengebüsche hindurch und gefahrlos und schnell dem Gipfel zu. Aber droben mußten im Schnee die fast verwischten Spuren der Pferde prüfend ausgemittelt werden. Über eine halbe Stunde führte der Weg durch Schnee über die weiße, etwas abhängende Decke der Maienwand, die wir aber erst als solche erkannten, wie wir sie im Rücken hatten. Da der jüngere Schnee bei der starken Sonnenwärme häufig schmolz, so gerieten wir bald in eine noch schlimmere Lage und kamen fast mit dem Ausspruch des alten Anaxagoras überein, daß der Schnee schwarz sei. An dem steilen Berge und bei so glattem Boden konnten wir uns nur dadurch vor schmählichem Falle schützen, daß wir unsere Hände bis an die Knöchel tief in das mystische Chaos steckten; so gab es denn Handschuhe à la glace. Auf der Grimsel gefiel es unserm ganzen Reisepersonal gar nicht wohl; Moriz und Karl seufzten: Italia! freilich aus verschiedenen Gründen, und auch Heinrichen und mir war es hier zu tot, zu unfreundlich. Die Schneekuppen stachen traurig ab gegen die rauhen Felsen und die kleinen, schwarzen Seen, die sich vom Schneewasser gebildet, und wovon einer noch sogar mit dickem Eise bedeckt war. Die Vegetation war erstarrt, finster und wild war sie ringsum; alles schien eine rohe Masse, zu der das »Werde« noch nicht hindurchgedrungen. Kein Ton eines Alphorns, nicht einmal das Schellengeläut einer einzigen Ziege drang in dieser Wüste zum menschlichen Ohr, bloß das schaurige Krächzen eines Raubvogels, der seiner blutdurstigen Brut ein Opfer zuträgt, bloß das Pfeifen des Windes an den Felsenspitzen vorbei war vernehmbar. Auf einem gangbaren und sogar gepflasterten Wege, der jedoch herzlich schlecht war, gelangten wir über unfruchtbare, ausgewaschene Felsen auf das Grimselhospiz hinab, wo es von Fremden wimmelte. Neben der Wohnung, meist von hohen Felsen eingeschlossen, liegt ein kleiner, dunkler See. Hinter dem Hospiz rauscht die ungebändigte Aar in ihrem Felsenbette und zischt durch die Blöcke hindurch, die ihr Zorn hierher geschleudert. Am wilden Ufer lächelt keine Blume; Schnee und Steinmassen bezeichnen des Waldbaches verheerenden Weg. Wir gedachten hier die Nacht über zu bleiben, legten unser Gepäck in einem der kleinen Zimmer ab, und da es noch nicht gar spät war, machten wir uns, die Alpenstöcke in der Hand, auf, die wilde Umgegend zu durchstreifen. Aber, wie wir um einen Fels bogen, hörten wir über unsern Häuptern ein gewaltiges Toben; erst glaubten wir, Lawinen oder Felsblöcke hätten sich losgemacht und rollten herunter; bestürzt sprangen wir zur Seite. Aber es stieg unsere Verwunderung und unser Grauen, als sich der dumpfe Laut in ein vernehmbares Brummen auflöste. War es vielleicht der Berggeist, der in dem zerspaltenen Geklüfte zu spuken pflegt, oder gar ein Tier der Wildnis, das unsere Spur verfolgte. Wir stutzten merklich und hielten die Stöcke in Bereitschaft. Siehe, da sprang unser Hannibal aus einer Felsspalte lachend auf uns zu, und der Schalk tat sich nicht wenig darauf zu gut, daß er uns zum besten gehabt und in Furcht gesetzt hatte. Aus Rache schilderten wir dagegen ihm, dem Abtrünnigen, recht lebhaft die Freuden, die wir jenseits der Alpen genossen; wir sprachen ihm von den Kastanienwäldern, von den Maulbeerbäumen, den üppigen Weinpflanzungen und dem herrlichen Lago Maggiore. Doch war der Friede bald gemacht, und die gegenseitige Überraschung trug nicht wenig zum allgemeinen Vergnügen des schönen Abends bei, an dem wir bei Becher und Gesang das Wiederfinden unsers verlornen Sohnes recht lieblich feierten. Mir bleibt noch hinzuzufügen, daß Hannibal, als er sich von uns getrennt, den Weg über die Furka und nach dem Grimselhospiz eingeschlagen hatte, wo ihn erst Regen und Bequemlichkeit, dann das Vergnügen an der wildschönen Berggegend gefesselt hielten, bis wir dem Armen die Bande lösten, um ihn wieder an uns zu ketten.


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