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I.

He du, Pjotr Wyrimbek, was meinst du? Trinken wir noch ein Gläschen?«

»Nun, das muß ich sagen, Stanislaus Jurek, ein Trinker bist du, ein richtiger! Willst du mich verführen?«

»Halt mir den Bauch, Wenzel Lewandowski, – hast du gehört, was er sagt, der Pjotr? Ich soll ihn verführen!! Ihn, den schönen Pjotr! Mehr kann er trinken, als das ganze Dorf und alle Mädels laufen ihm nach. He du, willst du etwas sagen dagegen?«

»Nun, nun, Stanislaus Jurek«, lachte der Angeredete geschmeichelt, während er seinen Schnurrbart mit den bräunlichen Fingern strich, »was kann ich sagen? Aber ein Kerl bist du doch, ein geriebener! Und darauf müssen wir schon noch ein Gläschen trinken.«

Pan Wenzel Lewandowski, der dünne Wirt mit den buschigen Augenbrauen, ließ sich das nicht zweimal sagen. Er holte eine dicke Flasche hervor und wollte grade einschenken, als ihm Stanislaus Jurek, der von der letzten Schlägerei noch einen bläulich-grünen Fleck unter dem Auge hatte, dazwischenfuhr.

»Denkst du, wir sind schon besoffen, du dünnes Streichholz du? He, denkst du das? Wer soll denn dieses Zeug trinken? Etwa der Pjotr Wyrimbek? Oder der Stanislaus Jurek? Auf den Damm werde ich dich bringen damit; lauter weißer Pfeffer ist darin, daß es im Magen brennt. Aber wir sind nicht dumm, nein, dumm sind wir garnicht.«

»Gott soll mich schützen,« brummte der Gescholtene, »wo werd ich euch was Schlechtes vorsetzen! Und weißer Pfeffer ist auch nicht darin, doch wie ihr wollt.«

Damit schickte er sich an, in sein Wohnzimmer zu gehn, das neben der Schenkstube lag, und eine neue Flasche zu holen.

»Aber daß du mir schnell machst, Wenzel Lewandowski«, schrie ihm Pjotr noch nach. »Ich habe noch etwas zu besorgen, und die Sonne sieht schon schief auf die Dächer.«

Stanislaus Jurek verzog grinsend sein Gesicht, spuckte sich in die Hand, hob sein rechtes Knie etwas und schlug darauf, daß es nur so klatschte.

»Bei der heiligen Jungfrau, Bruder, du bist ein Kerl, nein, bist du ein Kerl! Solch Glück bei den Weibern! Zu wem willst du jetzt? Zur dicken Kascha oder zur Petronella? Weißt du, zu der schönen aus Rokitnice. Sie hat ein Auge auf dich, sag ich dir, und was für eins! Oder zu welchem Täubchen willst du?«

Der hübsche Peter (oder Pjotr, wie sie alle ihn nannten) lächelte aber nur, hob sein Glas, das der Wirt eben gefüllt hatte, und sagte: »Prost, Bruder! Die heilige Jungfrau sei dir gnädig.« Nachher trank er. Erst zwei Tropfen und dann das Ganze mit einem Ruck und Zug. Worauf er sich mit der flachen Hand über den Mund strich, den beiden zunickte und über die Schwelle der Schänke trat.

Er hatte auch wirklich recht gehabt: die Sonne stand schon schief über den Dächern. Zwei schmutzige Kinder sielten sich auf der Dorfstraße, und eine Schar Gänse trieb sich unter dem alten Lindenbaum herum. Pjotr ging schnell an einigen baufälligen Häusern vorbei, nickte vertraulich einem derben Mädchen zu, das auf einem Hofe Kartoffeln stampfte, und schlug dann einen Feldweg ein.

Die Sonne neigte sich unterdessen mehr und mehr nach Westen. Sie war es müde, in einem fort dasselbe Fleckchen Erde anzuschaun, das sich so garnicht durch Schönheit auszeichnete. Weit und breit fast nur Stoppeln, flaches von Mäuseklee bewuchertes Brachland, hier und dort eine kleine Erhöhung. Marienfäden zogen müde durch die Luft, flatterten von den Brombeerhecken, legten sich um den Hut des einsamen Wanderers. Der aber achtete nicht darauf, schritt rüstig immer weiter und machte ein Gesicht dabei, als wäre die ganze Welt ein kleiner Napfkuchen, den er demnächst zu verspeisen gedächte. Nicht als ob er diese Erde samt ihren Bewohnern etwa verachtete! Bei Leibe nicht! Es gefiel ihm sogar ausgezeichnet auf ihr. Er glaubte mit ihr machen zu können, was ihm beliebte, und deshalb war er eigentlich immer sehr aufgeräumt.

Nun, Pjotr Wyrimbek, redete er sich jetzt in seinen Gedanken an, was meinst du? Die kleine Aniela wird schon warten. Aber weshalb soll sie nicht warten? Die Weiber, nun ich kenne sie wie meinen kleinen Finger. Wer sollte sie denn kennen, wenn ich nicht? Und man darf sie nicht verwöhnen. Wie die Bettler sind sie, rein wie die Bettler. Wenn man ihnen einmal eine Wurst gegeben hat, wollen sie für das nächste Mal einen Schinken haben. Doch man muß mit ihnen umgehn.

Der schöne Pjotr nickte sehr energisch und holte sich eine Zigarre aus der Tasche. O, er war vornehm und rauchte nur Zigarren! Das hatte er von seiner Militärzeit, die er in Gnesen verbracht hatte. Ja, in Gnesen, da verstand man es zu leben und da konnte man feine Manieren lernen. Drei Jahre sind eine schöne Zeit, und als er zurückkam, wurde er vom ganzen Dorf wegen seiner guten Sitten angestaunt. Wie ein Studierter, sagten die Mädchen und zupften an ihren Röcken. Er erinnerte sich noch ganz genau, und, während er das lose Deckblatt fester klebte und den Glimmstengel ansteckte, fiel ihm auch ein, wie er das erste Mal mit einer Zigarre durch das Dorf gegangen war. Die Alten hatten damals die Köpfe geschüttelt. Wie neumodisch er geworden ist, hatten sie gesagt, grade als ob er ein gnädiger Herr wäre. Aber die Weiber, nun ihnen gefiel das Neumodische, und so war es allmählich gekommen, daß sie ihm alle nachliefen.

»Ja, so kam's,« brummte Pjotr vor sich hin und schaute einem kleinen Rauchwölkchen nach. Dabei sah er die Sonne schon ganz im Westen. Es war also wirklich die höchste Zeit, und hätte er nicht auf das Gläschen Schnaps warten müssen, so wäre er vielleicht jetzt schon bei der kleinen Aniela. Dieser Stanislaus! Aber Recht hatte er: er, der Pjotr, war ein Kerl! Nun, er wollte sich nicht selbst loben, doch trinken konnte er wahrhaftig besser als das ganze Dorf. Und die Weiber erst! Alle liefen sie ihm nach und warfen ihm Blicke zu. Was sollte er machen? Er drehte seinen Schnurrbart und bestellte sie. Bald die Aniela, bald die Stascha, bald die Petronella und weiß Gott, wie sie alle hießen. Seine kleine Wirtschaft ging zwar dabei zurück, aber die lieben Heiligen mochten ihn erleuchten – er wußte nicht mehr, was er machen sollte. Konnte er denn die schönen Mädchen alle schmachten lassen? Er war ja kein Gesalbter. Und lieben mußte der Mensch doch, das stand fest. Was hatte ihm sein Schutzpatron so hübsche Augen gegeben und wozu solchen hübschen Schnurrbart? Es war nichts zu machen, garnichts. Wenn er sich den Kopf auch noch so fürchterlich kratzte, ihm fiel kein einziger Ausweg ein. Und dann ging ja auch vorläufig noch alles glatt weiter.

Als er diesen Gedankenfaden, über den er auf seinen einsamen Wegen selten hinauskam, abgesponnen hatte, sah er nach, ob die Brombeeren an den Sträuchern schon reif wären. Plötzlich jedoch stieß er einen Laut des Unwillens und der Überraschung aus, denn kaum fünfzehn Schritte vor ihm entfernt stand, wie aus dem Boden gewachsen, ein Mädchen, das er vorher nicht gesehen hatte und das ihm jetzt langsam näher kam.

»Wieder diese Häßliche,« knirschte er ärgerlich, »sie muß auch da sein, wo ich geh und steh – der Teufel hol sie!«

Letzterer frommer Wunsch wurde dem braven Pjotr jedoch nicht erfüllt. Die »Häßliche« wurde rot, schielte in sein Gesicht und bot ihm den Gruß: »Gelobt sei Jesus Christus.«

Aber er antwortete nicht und vertrat ihr wütend den Weg.

»He du, schöne Wikta, was willst du hier?«

Sie sagte nichts und blieb nur stehen.

»Bist du auch noch stumm geworden, du – du Häßliche du? Wart, ich will dir sagen, was du willst. Treffen willst du mich, denn verliebt bist du. Hörst du, verliebt! Das ganze Dorf lacht dich aus, daß du mir nachläufst, – mir, dem Pjotr Wyrimbek! Natürlich – deine Augen, o gesegnete Wikta, wie schön sind sie! Nach Frankreich siehst du mit dem einen, nach Rußland mit dem andern. Und dein Mund erst, o welch schöner Mund! Nun, was sagst du?«

Sie biß die Zähne aufeinander, sprach aber noch kein Wort, sondern schickte sich an, ihm auszuweichen und weiter zu gehn. Er trat jedoch einen Schritt seitwärts und ließ sie nicht vorbei. Daß sie so stumm blieb, reizte ihn nur noch mehr.

»Wikta Degórska,« knirschte er erregt, »wenn du mir noch einmal nachläufst, werde ich dich mit Fußtritten fortstoßen wie einen Hund. Hörst du, mein Täubchen? Ich will nicht, daß das ganze Dorf über mich lacht und jeder sagt: Seht nur, welch' Gespann! Wie es paßt! Der schöne Pjotr und die häßliche Wikta. Was bist du immer auf meinen Wegen?«

»Seit wann hast du den Weg gepachtet, Pjotr Wyrimbek? Kann ich nicht gehn, wo ich will?«

»Aber mir sollst du nicht nachlaufen,« schrie er, noch wütender, »ich will es nicht, ich werde dich prügeln! O ihr lieben Heiligen, wie häßlich bist du!«

Und damit schüttelte er sich, sah nach der Sonne und ging raschen Schritts weiter. Als er sich nach einigen Minuten umwandte, stand das Mädchen noch auf demselben Fleck und schaute ihm nach. Er hob drohend die Faust. Doch den Blick von Haß und Liebe, der aus den Augen der häßlichen Wikta drang, konnte er nicht mehr bemerken.

II.

Der dicke deutsche Baron, der in der Nähe des Dorfes ein Gütchen gepachtet hatte, wurde ganz gegen seine sonstige Art und Weise immer sehr erregt und fuchtelte mit seinen Armen nur so in der Luft herum, wenn er wieder einmal etwas von den Reizen der Polinnen hörte. »Diese Schmierlisen,« wetterte er, »diese Tölpel! Ich kenne sie, die polnischen Weiber, und häßlich sind sie wie die Nachteulen.« Wehe dem Unglücklichen, der ihm darin zu widersprechen wagte. Doch es fiel auch keinem ein, denn der dicke Baron hatte Recht: die Polinnen, die er täglich auf dem Felde sah, waren geradezu abschreckend. Die häßlichste jedoch war unbestritten die Wikta Degórska.

Sie wußte es selbst und mußte es auch tagtäglich hören. Eben jetzt war es ihr ja wieder gesagt worden und gar noch von dem schönen Pjotr, der zu einer Hübscheren ging. Sie sah ihm immer noch nach. Er schritt schnell. Nun bog er nach der Scheune ab und dann war er plötzlich verschwunden. Sie hatte die Hand über die Augen gelegt und ließ sie jetzt sinken. Dann ging sie mit gesenktem Haupte auf einem Umwege ins Dorf zurück, an dessen äußerstem Ende sie wohnte.

Es war eine alte Bretterbude, die mittels Rohr und Kalk das Aussehen eines Häuschens erhalten hatte. Vor den Fenstern streckte sich das kleine Gärtchen aus mit seinen Sonnenblumen, seinem Gemüse und ein paar einfachen Pflänzchen. Dieser Garten ernährte die häßliche Wikta im Sommer. Im Winter half sie dem alten Invaliden, der neben ihr hauste, beim Flechten von Körben und Strohdecken. Das Häuschen war das einzige, was sie besaß. Sie hatte es noch von ihrer Mutter, und genau so elend wie jetzt, hatte es schon vor zehn, zwölf Jahren ausgesehn.

So lange sie denken konnte, hatte sich eigentlich überhaupt nichts verändert. Gerade, daß ihre Mutter vor langen, langen Jahren gestorben war, daß manche geheiratet hatten, daß sie selbst allmählich herangewachsen – aber sonst wohnte auch heute noch der alte Invalide neben ihr, der früher Schulmeister im Dorf gewesen war und gleichzeitig Stiefeln auszubessern verstand, und auch heut noch wurde sie wegen ihrer Häßlichkeit genau so verspottet wie als Kind. Denn schon als Kind hatte sie die schielenden Augen, von denen jedes um eine andere Ecke sehen wollte. Dazu einen breiten Mund mit plumpen Lippen, eine rötlich-unreine Gesichtsfarbe und hartes, strähniges Haar. Garnicht zu reden von ihrem schleppenden Gange. Nur die Füße hätten auf Schönheit Anspruch machen können, denn sie waren merkwürdiger Weise klein und zierlich. Aber wer sah danach? Kein Mensch.

Die häßliche Wikta hatte deshalb eine schwere Kindheit gehabt. Von ihrem Vater wußte sie garnichts, von ihrer Mutter nur, daß sie oft von ihr geprügelt worden war. Doch damals hatte sie wenigstens noch einen Schutz gehabt, einen letzten Zufluchtsort, nachher aber – du lieber Gott, sie mochte garnicht daran denken. Wenn sie sich als kleines Balg zu den andern Kindern hinhockte, die in der Gasse spielten, wurde sie durch Püffe und Steinwürfe vertrieben. Weinte sie, wurde sie verhöhnt; trotzte sie einmal tüchtig auf, dann thaten sich alle zusammen und prügelten sie. Besonders die Mädchen waren am grausamsten. Vor allem grade die am wenigsten schönen. Kein Mensch wollte sie haben, keiner gab sich mit ihr ab, keiner sagte ihr ein gutes Wort – keiner!

Da war es gar oft vorgekommen, daß die häßliche Wikta sich wie ein getretnes Tier in irgend ein Gebüsch verkrochen und dort bitterlich geweint hatte. Noch jetzt, wenn sie daran dachte, knirschte sie mit den Zähnen, denn besser war es auch heut noch nicht. Zwar schlug sie niemand mehr, aber sie ward geschimpft, verhöhnt, verachtet. Und so von Kindheit an. Der Pjotr hatte auch nie etwas mit ihr zu thun haben wollen. Sie erinnerte sich noch eines blauen Sommertages. Die Gänse schrien und die Kinder spielten unter der Linde. Sie selbst aber saß einsam auf der Schwelle. Da kam ein Junge vorbei, so von vierzehn Jahren. Er hatte ein schönes, offenes Gesicht; sie hatte nie etwas gleich Schönes gesehn. Wie eine Erscheinung deuchte er sie und es hätte nicht viel gefehlt, daß sie ein Kreuz geschlagen. Dann aber war sie auf ihn zugelaufen, so schüchtern und ungeschickt wie immer. Weshalb, das wußte sie nicht. Vielleicht weil er so sehr schön war. Aber sagen konnte sie nichts und steckte nur das schmutzige braune Fingerchen in den Mund.

»He, du, wer bist du? Ach ich weiß – du bist die Häßliche, nicht wahr?«

Sie hatte genickt und hätte ihr Leben gelassen, wenn sie ihn hätte berühren dürfen. Doch sie war zu klein mit ihren fünf Jahren, um bis an sein Gesicht zu reichen und so nahm sie nur seine Hand. Er aber stieß sie mit der Faust ins Gesicht, daß ihr das Blut aus der Nase rann. Das war der Pjotr gewesen.

Wie es ihr heiß zu Kopfe stieg, wenn sie daran dachte. Sie hätte jetzt wieder weinen mögen, aber sie verbiß sich die Thränen. Je mehr es Abend ward, desto stärkeren Hunger fühlte sie. Um ihn zu befriedigen, ging sie in ihr Gärtchen und zog sich die letzten Rüben aus dem Beete. Dann aß sie ein Stück trocknes Brot dazu und war zufrieden. Mehr brauchte sie nicht. Nur am Wochenmarkte, am Donnerstag, wenn der alte Invalide seine Körbe in die Stadt fuhr, erlaubte sie sich einen Leckerbissen. Dann verkaufte sie ein paar Bündel Gartengemüse und holte sich für den Erlös irgend ein billiges Oel.

III.

Pjotr Wyrimbek war ärgerlich. Als er in seine niedrige Stube trat, stellte er einen wackligen Stuhl mit solcher Wucht auf den Boden, daß besagter Stuhl nichts eiligeres zu thun hatte, als ein Bein zu verlieren. Natürlich ging auch das dem hübschen Pjotr wider den Strich, und es hätte nicht viel gefehlt, daß er vor lauter Wut auch die wenigen anderen Hausgeräte zertrümmert hätte. So aber begnügte er sich damit, seinem Unmut in Worten Luft zu machen. Denn er war ein guter Pole und als solcher sehr für Selbstgespräche. Besonders wenn er sich ärgerte, mußte er einen Monolog halten. Das beruhigte auch gar zu sehr. Und wenn er sich selbst mit nichts weniger als ehrenvollen Titulaturen belegte, war es entschieden lehrreich, ihm zuzuhören, schon wegen der schmückenden Beiwörter, die ihm dann zu Gebote standen. Leider nur kam Pjotr selten in die Lage, mit sich selbst unzufrieden zu sein. Heut jedoch schien dies Ereignis eintreten zu wollen, denn die verschiedenen Flüche, die der Würdige bereits ausgestoßen hatte, kündigten einen Sturm an.

An der Wand, die dem Fenster gegenüberlag, hing ein zersprungener Spiegel. Vor diesen stellte sich der hübsche Pjotr immer, wenn er in betrunkenem, und meistens auch, wenn er in nüchternem Zustande einen Monolog vom Stapel ließ. Grimmig und würdevoll sah er dann sein Publikum in Gestalt seines eignen Gesichtes vor sich und kränkte sich bitter, wenn dieses Gesicht ganz ebenso empört schien, wie er selber.

»Pjotr Wyrimbek,« sprach er heute, »höre, was bist du doch für ein Dummkopf.«

Dabei nickte er und das Gesicht im Spiegel bestätigte gleichfalls seine Worte.

»Bist du denn ein Tier? Nein, das bist du nicht, aber wenn man dich an die Wand wirft, bleibst du vor lauter Dummheit daran kleben. He, sagst du was?«

Da dies nicht der Fall war, machte Pjotr kehrt und marschierte in der Stube auf und ab.

»Hab ich's nicht kommen sehn, he? Nachgelaufen ist sie mir ja wie ein Hund. Dieses Weibsstück! Diese Häßliche! Und nun, wo ich hinkomme, sagen sie es. Natürlich, sie wollen mich ärgern, weil ihre Liebchen alle zu mir kommen. Und was sagen sie? Nun, Pjotr, ist es wahr, daß du mit der Wikta gehst? He, gehst du mit ihr? Nun, das muß ich gestehn, einen Geschmack hast du wie ein Blinder. – Das sagen sie alle und wie sie es sagen! Lustig machen sie sich dabei über mich wie über einen Dummkopf. So ist es.«

Der Würdige blieb wiederum tiefsinnig vor dem zersprungenen Spiegel stehn. Aber da er sich allmählich etwas beruhigt hatte, brummte er jetzt nur, schüttelte den Kopf, brummte wieder und warf nur ab und zu ein verständliches Wort hin. Dabei zog er seine Stirn in schwere Falten. Ach ja, das Nachdenken strengte an, aber es war nötig. Denn den Spott konnte er nun einmal nicht vertragen. Was sollte er jedoch thun? Diese Häßliche war auch an allem schuld. Überall, wo er nur ging und stand, mußte sie auch sein, besonders wenn er außerhalb des Dorfes allein war. Kein Zweifel: sie hatte sich verliebt in ihn. Was entschieden auch kein Mensch wunderlich finden konnte, denn war er nicht der schönste Bursch aus der ganzen Gegend? He, war er das nicht? Nun also! Aber diese Häßliche – pfui, wenn er nur an sie dachte! Sie durfte nicht verliebt in ihn sein, er erlaubte es nicht. Ein für allemal wollte er es ihr sagen, und wenn sie es dann noch wagen sollte, ihm täglich zehnmal über den Weg zu laufen, dann sollte sie windelweich von ihm geprügelt werden.

Pan Pjotr Wyrimbek lächelte. Vielleicht weil er sich schon jetzt darauf freute. Aber plötzlich ward sein Gesicht wieder finster, denn als er zum Fenster hinaussah, ging grade die Wikta vorbei. »Nun ja,« brummte er, »da ist sie wieder. Der Teufel – Gott schütze mich vor ihm – soll ihr das Genick umdrehn.« Dabei trat er tiefer in das Zimmer zurück, um von der Straße nicht gesehn zu werden.

Aber dieser Vorsichtsmaßregel hätte es gar nicht bedurft. Die Häßliche blickte weder nach rechts noch nach links, hatte den Kopf gesenkt und ging mit dem langsam schleppenden Gange, den sie schon immer gehabt, die Gasse hinunter. Ihr Weg führte sie an einem Kinde vorbei, das in fast paradiesischer Kleidung an dem warmen Spätsommertage vor der Thür spielte. Lustig krähend griff es in den warmen Sand, machte eine Faust und ließ dann vergnügt die feinen Körnchen in schmalen Bächen niederinnen. Als es die Häßliche sah, lief es schreiend nach der Schwelle, wo die Mutter saß und beruhigte sich erst, als diese es auf den Arm nahm.

Wikta blieb einen Augenblick stehen. Da saßen die beiden Glücklichen nun, und das Kindchen kniff der Mutter in die Backen und diese kitzelte es. Dann lachten alle zwei so ganz überselig. Worauf der kleine Kerl ein Spitzmäulchen machte und sich nach Herzenslust abküssen ließ.

Die Häßliche hatte es mit angesehn. Und während sie jetzt schnell auf ihr Häuschen zuging, senkte sie ihr Haupt noch tiefer als sonst. Sie hob es auch kaum, als kein Mensch sie mehr anblicken konnte. Ruhig, die Hände im Schoß, saß sie da und starrte vor sich hin.

Es war etwas so unsäglich Trauriges in ihr. Jeder andere hatte einen Menschen, den er lieben, für den er arbeiten konnte – nur sie nicht. Sie ward von keinem geliebt, sie durfte keinen lieben und doch war ihr Herz so voll. Als Kind hatte sie wenigstens noch ihre Puppe, der sie Gutes erweisen konnte. Als ihr dieses Spielzeug nicht genügte, wandte sie den Blumen des Gartens ihre Sorgfalt zu. Aber es waren doch eben keine Menschen. Sie weinten nicht, sie lachten nicht, sie verstanden den Schmerz der häßlichen Wikta auch garnicht. Und je älter sie ward, desto stärker fühlbar ward auch die Leere in ihrem Herzen, desto mehr sehnte sie sich in ihrer Weise nach dem Glück. Da sie nie mit andern Kindern gespielt hatte und immer auf sich allein angewiesen war, hatte sich ihr Innenleben reicher entwickelt, als es vielleicht sonst der Fall gewesen wäre. Nicht, daß sie an Bildung den andern etwa überlegen gewesen wäre – ach nein! Doch es war mit der Zeit eine Feinfühligkeit in ihr rege geworden, die man bei ihr nicht hätte vermuten sollen. Das war ein fast noch größeres Unglück für sie als ihre Häßlichkeit. In jedem Blick, den man ihr zuwarf, sah sie Verachtung und Spott. Jedes böse Wort schmerzte sie mehr als die Steine, die ihr die Kinder nachwarfen. Wohl hatte sie früher in wildem Trotz das Haupt erhoben und ein Kind, das in seiner naiven Grausamkeit sie zu sehr peinigte, geschlagen – aber als sie dann sah, wie die Kleinen vor ihr flohen wie vor der Pest und nur aus sicherem Hinterhalt allerlei Schimpf- und Spottnamen hinter ihr drein riefen, da bedauerte sie ihre Handlungsweise. Denn der Spott der Kinder hatte ihr nicht so wehgethan, wie die Furcht, mit der sie jetzt gemieden wurde. Sie durfte keiner Seele Wohlthaten erweisen und da lag es fast auf ihr wie eine Schuld. Nie kam ihrem armen Kopfe der Gedanke, daß die anderen die Schuldigen sein könnten. Nein, Gott hatte sie gezeichnet und demütig mußte sie es tragen. So schlich sie scheu umher wie eine Sünderin, die man nicht töten darf, die man aber eben auch nur duldet. Es war ein hartes Los, und als die häßliche Wikta es sich jetzt wieder überlegte, Wohl zum tausendsten Male, da mußte sie die Thränen mit Gewalt hinunterschlucken.

Wie glücklich doch manche Menschen waren! Die junge Mutter, die da eben vor der Thür saß und ihr Kind liebkoste! Sie wußte das gewiß garnicht zu schätzen und die Häßliche hätte doch so gern Jahre ihres Lebens hingegeben, wenn sie ein einziges Mal für einen Menschen so recht hätte sorgen, ihn mit all der Liebe ihres Herzens hätte überschütten können. Das höchste Glück, das sie sich vorstellen konnte, sah sie in einem Bilde, das nicht von ihr Weichen wollte: Auf einem Bänkchen saß sie selbst, sie, die Wikta Degórska. Und auf den Knien hatte sie ein kleines zappelndes Kerlchen, das ihr sein Pätschchen in den Mund steckte, ohne sich an ihre Häßlichkeit zu kehren, und sie vor lauter Liebkosungen gar nicht zu Atem kommen ließ. Wenn sie manchmal im Dämmerlicht so da saß, ganz allein und verlassen, und dies Bild vor ihre Seele trat, wenn sie sich vorstellte, daß es doch vielleicht einst noch so kommen könnte, dann leuchteten ihre oft verspotteten Augen glückselig auf, ihre Lippen öffneten sich ein wenig und mit andächtig gefalteten Händen saß sie da wie in Verzückung. Heut trat das Bild noch stärker und heftiger vor ihre Seele, in helleren Farben, als ob es leibhaftig da wäre. Sie vergaß, daß sie hungrig war, sie vergaß ihr elendes Leben, sie starrte nur in die Dämmerung. Es ward später und später, sie achtete es nicht. Es ward stiller, und die Stimmen des Tages verstummten, sie merkte nichts davon. Sie war glücklich, denn sie selbst war jetzt die junge Mutter, die ihr Kind wiegte und es küßte.

Draußen lärmten jetzt betrunkene Burschen. Als sie vor der Hausthür standen, sangen sie einen Spottvers. Er hieß:

»Bruder, sag, wie heißt dein Liebchen?
Zierlich geht sie gleich dem Wiesel,
Augen hat sie wie die Sterne
Und ihr Haar ist weich wie Seide.
Ach, so kann nur Eine sein,
Nur die schöne Wikta sein.«

Dann lachten sie alle laut, warfen noch ein paar Steine mit Gepolter gegen die Thür und zogen weiter.

Die häßliche Wikta war unsanft aus ihren Träumen geweckt und zitterte an allen Gliedern. Nicht so, weil ihr das ungewohnt gewesen wäre. Bewahre! Das kam nur zu oft vor. Doch gerade jetzt fühlte sie die Kluft zwischen Traum und Wirklichkeit so wie niemals. Sie war herausgerissen aus den glücklichen Bildern und Zeiten, in denen sie die letzten Stunden gelebt hatte, sie sah die nackte, graue Wirklichkeit und verzweifelte. So würde es bleiben trotz aller ihrer Gebete und Wünsche. Daran war nichts zu ändern.

Und jetzt weinte sie wirklich. Und sie weinte recht bitterlich.

IV.

Am nächsten Tage war sie früher auf, als gewöhnlich. Sie hatte nicht schlafen können, denn stets gaukelte wie ein Schmetterling lockend und leuchtend jenes Bild vor ihr. Immer stärker ward ihre Sehnsucht nach einem Menschen, der sie nicht verachtete. Ein Kind mußte es sein, eins von denen, die auf den Bildern der lieben Heiligen sangen, so ein recht dicker Pausback mit einem Lockenkopf.

Während des Vormittags flocht sie Decken. Aber ihre Gedanken ward sie nicht los dabei. Sie wußte selbst nicht, weshalb. Schließlich wehrte sie sich auch garnicht mehr dagegen und überlegte alles genau. Unter den Erwachsenen – du lieber Gott, da hätte sie bis in die Ewigkeit suchen können, ehe sie einen gefunden, der sich in wahrer Liebe mit ihr verbunden hätte. Die Kinder aber waren am allergrausamsten. Von ihr hätten sie selbst nicht einmal Leckerbissen genommen. Und doch sehnte sie sich vor allem nach einem jener kleinen Geschöpfe. Vielleicht deshalb, weil sie grade von ihnen am schwersten gepeinigt worden war. Ihr Kind sollte sie nicht quälen, sollte alles wieder gut machen, sollte schöner und glücklicher sein, als alle andern. Ihr Kind –! Sie ward plötzlich rot und starrte mit halb hilflos verwunderten, halb glänzenden Augen vor sich hin. Dann sah sie sich um, ob niemand in der Stube wäre.

An diesem Vormittage flocht sie keine Decken mehr.

Als sie nach ein paar Minuten aufstand, ging sie merkwürdig leicht durchs Zimmer. Sie holte sich ein Kopftuch und schritt dann ins Freie. Sie mußte draußen sein, in der weiten, weiten Welt, fern von allen Menschen. Und immerzu summte es ihr im Kopfe, »– – mein Kind – – mein Kind!« Wie eine Offenbarung war es plötzlich über sie gekommen, und während sie so darüber nachdachte, ward es ihr immer deutlicher, daß die heilige Jungfrau selbst ihr diesen Gedanken eingegeben habe und sich ihrer erbarmte. Wie hätte auch ihr armer, dummer Kopf je auf so etwas verfallen können! In diesem naiven Glauben wanderte sie dahin. Ja, das allein war die Lösung, so allein konnte die Liebessehnsucht in ihr befriedigt werden. Dann war sie nicht mehr verlassen, dann hatte sie jemanden, der ihrer bedurfte, der mit unzerreißbaren Ketten an sie gefesselt war. Wie wollte sie dieses Kind hegen und pflegen! Kein Dorn sollte seinen Fuß ritzen, hungern wollte sie, um ihm täglich das Beste geben zu können, was die Welt bot, nämlich Schellfisch, gebratene Kartoffeln und Brot mit Oel. Ach, und Kleider sollte es erst haben, so bunt wie möglich. Ob es dann ein Junge oder ein Mädchen war, das würde ihr gleichgiltig sein, aber im Aussehen müßte es nicht nach der Mutter schlagen, sondern nach seinem Vater.

Sein Vater! Wer könnte es anders sein, als Pjotr Wyrimbek? Sie wußte ganz gut, daß er sie nie heiraten würde und war damit sogar sehr zufrieden. Denn sonst gehörte ihr das Kind nicht allein, aber dann, wenn kein Mensch den Vater kennen würde, dann war es ihr alleiniges Eigentum und keiner hatte ihr etwas dreinzureden. Sie war die einzige, die da sorgen konnte für ihren Liebling.

Die häßliche Wikta lächelte in Gedanken vor sich hin. Sie hatte gar keine Angst. Wovor denn auch? Wenn es Sünde wäre, hätte ihr die heilige Jungfrau diesen Gedanken nicht eingegeben, und was die Menschen dazu sagten, das würde ihr dann ganz gleichgiltig sein. Denn dann wußte sie doch, für wen sie litt, für wen sie verachtet wurde. Und den Pjotr, den sie liebte, wie man die heilige Sonne liebt, – nun den würde sie schon erweichen. Sie würde vor ihm nieder auf die Kniee fallen und nicht ablassen mit Bitten, bis er sich ihrer erbarmte. Zwar hatte er sie mit Füßen gestoßen schon als Kind, aber war er nicht schön und durfte er es nicht? Sie war ja so häßlich!

Wann der hübsche Pjotr den Weg herabkommen würde, wußte sie. Es dauerte noch ziemlich lange, und sie hatte sich jetzt schon aufgemacht, um sich durch ein Gebet vor dem Muttergottesbilde zu stärken. Sie richtete deshalb ihre Schritte nach der alten Weide, an der das Heiligtum hing.

In der ganzen Gegend war dieses Bild berühmt, und des Sonntags kamen ganze Züge frommer Wallfahrer dorthin. Nie wäre auch ein Dorfbewohner daran vorübergegangen, ohne die Mütze abzunehmen und das Knie zu beugen, denn dies Marienbild war etwa keins der gewöhnlichen, nein, es that Wunder. Wehe dem, der daran zweifelte! Auf einer kleinen Anhöhe gelegen, schaute es trübselig auf das ungeheure Flachland in der Runde. Trübselig deshalb, weil es von Wind, Wetter und Rost arg mitgenommen und auf dem dunklen Eisenblech die heilige Jungfrau mit dem Jesusknaben nur noch in bedenklich undeutlichen Umrissen zu erkennen war. Zu seiner Berühmtheit jedoch war es gelangt, weil einst der Blitz in den Baum gefahren war. Der alte Invalide hatte es mit angesehn, und obwohl nun schon Jahre darüber hingegangen, erzählte er es doch noch so genau, als ob es heut erst passiert wäre. Er hatte für seine Decken und Körbe schmiegsame Weidenruten gesucht, als er vom Gewitter überrascht worden war. Und gleich darauf zuckte ein greller Blitz hernieder. Aengstlich richtete er seine Blicke auf das Madonnenbild und siehe – es stand da, umhüllt von bläulichen, zuckenden Flammen. Der Baum brannte, aber unversehrt hing das Heiligtum daran.

Davor kniete die häßliche Wikta jetzt nieder. Altweibersommer flog müde durch die Luft und im klaren Äther segelten Kraniche nach dem Süden. Weit und breit war kein Laut zu hören, nur manchmal seufzte der Wind in dem alten Baum. Dann starben leise und langsam ein paar Blätter. Und inzwischen betete die Häßliche mit heißer Inbrunst.

Ihr Herz war zu voll, als daß sie Worte gefunden hätte. Es gingen ihr nur Gedanken und Wünsche durch den Kopf, stumme flehentliche Bitten. Dann kam es ihr vor, als müßte sie auch äußerlich der Muttergottes zeigen, wie flehentlich sie bäte. Und so preßte sie die gefalteten Hände fast schmerzhaft zusammen.

Dann stand sie gestärkt auf und ging die Strecke zurück. Da erst machte sie sich recht klar, worum sie gebeten hatte; die heilige Jungfrau sollte das Herz Pjotr Wyrimbeks wenden und ihr ein Kind schenken. Sie wollte der Gebenedeiten dafür jährlich zwei Kerzen opfern.

Hinter den Brombeersträuchern versteckte sie sich dann und zwar so, daß sie den Weg überblickte, ohne selbst gesehen zu werden. Hier wartete sie geduldig und mit verklärtem Gesichte.

V.

Pjotr Wyrimbek ließ nicht lange auf sich warten. Er kam diesmal aber nicht von der Schenke her und ging auch langsamer, als sonst. Nun, er hatte ja Zeit. Der Aniela war er so wie so bald überdrüssig und nach so acht, neun, zehn Tagen wollte er ihr den Laufpaß geben. Mochte sie sich einen anderen suchen, die Kleine, er hatte nichts mehr für sie übrig.

Wikta sah ihn schon von weitem. Immer näher kam er heran und immer heißer ward ihr. Heute durfte sie nicht, wie sonst, schon jetzt aufstehen und ihm entgegengehen, als ob sie ihn zufällig träfe, heute mußte sie warten. Vielleicht zitterte sie deshalb so. Sie hatte auch keine Gedanken, nur manchmal fiel ihr irgend etwas ein und gewöhnlich etwas recht Dummes. Dann machte sie die Augen zu und stellte sich vor, wie sie ihr Kind lieben wolle, wie das kleine Kerlchen mit seinen Patschhändchen ihr die Backen streicheln, wie es seine feisten Ärmchen um ihren Hals schlingen würde. Da lächelte sie wieder und da schien es ihr auch gar nicht schwer, den Burschen zu bitten. Doch wenn sie die Augen öffnete, fühlte sie ihren Mut wieder sinken. Würde Pjotr sie nicht mit dem Fuße von sich stoßen? Sie war ja doch so häßlich. Und würde er sie nicht verfluchen und schlagen? Das ganze Dorf würde es doch bald wissen, daß die häßliche Wikta den hübschen Pjotr gebeten habe. Mochten sie es wissen, alle, alle, mochte der Pjotr sie blutig schlagen – wenn er nur nicht diesen Abscheu vor ihr hätte und wenn er nur ihren Herzenswunsch erfüllte. Sie wollte ihm dankbar sein das ganze Leben. Und da fiel ihr ein, daß sie ja zur heiligen Jungfrau gebetet habe. Nun mußte doch alles gut werden.

Er war schon nahe und während ihre Augen bald scheu zu ihm hinschweiften, bald sich wie suchend auf den Boden wandten, pflückte sie unbewußt ein paar gelbe Strohblumen und steckte sich den kärglichen Schmuck vor die Brust.

Da stand er auch schon vor ihr und sie machte eine Bewegung nach ihm hin.

Er war so erstaunt, daß er kein Wort hervorbringen konnte, und zwar wußte er gar nicht, ob er sich mehr über den plötzlichen Überfall – nun ja, es war doch einer! – wundern sollte oder über den allerdings sehr merkwürdigen Umstand, daß sein Mundwerk für Sekunden den Dienst versagte.

Auf beiden Knien hatte sich die Wikta vorwärtsgeschoben und dann plötzlich mit den dünnen, eckigen Armen seine Füße umklammert. Auch sie fand kaum ein Wort. Nur ein Gurgeln, das wie eine flehentliche Bitte klingen sollte. Und dabei preßte sie fortwährend mit wilder Kraft seine Knie aneinander.

Aber Pjotr war nicht der Mann dazu, sich lange aus der Fassung bringen zu lassen. Das erste, was sich aus seiner Kehle rang, war natürlich ein Fluch. Weiter kam er im Augenblicke überhaupt nicht mit Worten, sondern versuchte sich wütend nur von ihrer Umklammerung zu befreien. Aber Wikta ließ nicht nach. Sie hatte kaum einen Gedanken außer dem, daß sie festhalten müsse, daß er nicht so von ihr gehen dürfe. Vor ihren Augen flimmerte es hin und her, und wie durch einen dichten Nebel drang alles, was Pjotr schrie, an ihr Ohr. Nur undeutlich hörte sie seine wilden Flüche, seine gemeinen Schimpfworte, sie fühlte dumpf, wie er ihr mit der geballten Faust über den Kopf schlug, aber sie ließ nicht los. Es galt ja so unendlich viel. Und immerzu wimmerte sie fast unbewußt.

Der Bursche wußte schließlich gar nicht mehr, was er anfangen sollte. Wenn einer aus dem Dorf ihn jetzt sähe, so eng zusammen mit der Häßlichen! Wie würden sie ihn wieder ärgern im Wirtshaus! Die kleinen Kinder würden es ihm nachschrein und die Gänse selbst würden es nächstens schnattern. Und da erfaßte ihn eine Wut und ein Haß, der ihm fast den Hals zuschnürte.

»Wikta Degórska,« stieß er keuchend hervor, während seine Finger mit eisernem Griff ihre Arme oberhalb der Handgelenke umklammerten, »wirst du mich loslassen, du, du ... wart, ich will es dir zeigen ... zeigen will ichs dir, sag ich. Da – –!«

Und mit wilder Anstrengung hatte er sein rechtes Knie frei gemacht und stieß es ihr mit voller Wucht gegen die Brust.

»Pjotr!« schrie sie auf in dem furchtbaren Schmerz und fuhr sich stöhnend mit den Händen nach vorn. Kreideweiß taumelte sie zurück. Darauf hatte er nur gewartet. Er trat ein paar Schritte von ihr fort und betrachtete sie halb zornig, halb verächtlich, wie sie da im Straßenstaub lag und weiter nichts hatte als ein wundes Stöhnen. Immerzu: »Pjotr ... Pjotr ... Pjotr«, und dann noch ein paar Laute, die ganz sonderbar klangen. Er stutzte. Hatte er denn recht verstanden? Er sagte nichts und horchte wieder. Richtig, es war jetzt ganz deutlich: »Mein Kind ... mein Kind ...« Und dabei schaute sie ihn an mit den Blicken eines getretenen Hundes.

Da ward er neugierig.

»He, schöne Wikta«, rief er zu ihr hinüber, »nun hast du es! Verstehst du? So mach ich es immer. Denkst du denn, ich werde dich lieb haben? Dich? O ihr lieben Heiligen, was müßte ich für ein Kerl sein, ein dummer! Also was willst du? He?«

»Pjotr«, stöhnte sie etwas lauter, mit einem Hoffnungsstrahl in den Augen.

»Nun, was willst du? Kannst du es nicht sagen, du? Natürlich, stumm bist du auch noch, mein Täubchen! O, gesegnete Wikta, was hast du alles an dir!«

Sie hörte die letzten Worte nicht, sie hörte nicht, wie er sie verhöhnte, sie hörte nur immerzu »mein Täubchen« und dachte an ihr Kind.

»O Pjotr«, stieß sie mühsam hervor und legte all die Innigkeit ihrer Stimme in den einen armen Namen, »ich möchte ... ein Kind ... ein Kind möcht ich ... o Pjotr, Pjotr!«

Und währenddem war sie schnell wieder auf den Knien an ihn herangekrochen und preßte seine Füße an sich. Sie ward gar nicht rot, als sie es ihm sagte, und starrte ihn nur angstvoll an. Einmal fiel es ihr ein, daß sie am liebsten seine Stiefel küssen möchte.

Er war im ersten Augenblick wie erstarrt. Dann wollte er laut auflachen, aber gleichzeitig stellte er sich vor, wie sie herumlaufen würde, die Häßliche, mit einem Kinde, mit seinem Kinde. Das ganze Dorf würde ihn verspotten, keine ruhige Stunde hätte er mehr sein Leben lang, und da packte ihn eine Wut und ein Ekel vor diesem Geschöpf. Mit brutaler Kraft riß er sie empor und schleuderte sie in die Hecken, daß die Dornen ihr Hände und Gesicht zerrissen. Sie schrie wild auf, aber er kehrte sich nicht daran, und während er sich die Hände rieb, als ob die Berührung ihn beschmutzt hätte, rief er ihr höhnisch zu:

»Weißt Du, was Du Verdienst? Weißt Du das, Du? Das verdienst Du!«

Und damit spie er nach ihr mit der Miene sittlichster Entrüstung, daß er sich selbst ganz erhaben vorkam. Darauf entfernte er sich mit schnellen Schritten. Die Häßliche aber lag am Boden und stöhnte, mit wundem, brennendem Gesicht und dornenzerrissenen Händen.

VI.

Sie ist ein Tier, murmelte der hübsche Pjotr so vor sich hin, weiter nichts als ein Tier, und sie müßte sich schämen!

Allerdings, dachte er schon etwas besänftigt weiter und machte ein pfiffiges Gesicht, jeder Mensch kann eben nicht so sein wie ich. Es wäre auch schlimm, sehr schlimm, denn dann würde ich nicht mehr die erste Geige spielen, nein, wahrhaftig, das würde ich nicht, und – nun, ich will nichts sagen, aber ärgern würde ich mich doch, sogar sehr. Deshalb ist es gut, daß die meisten anders sind. Allerdings die Wikta – pfui, was ist sie für ein Tier, spuck aus, Pjotr! Wozu sie es nur haben will, das Kind? He, wozu mag sie es wollen?

Aber obwohl Pan Pjotr Wyrimbek seinen Schädel nicht schlecht anstrengte, gelang es ihm doch nicht, der Sache auf den Grund zu kommen. Und das machte ihn nur um so neugieriger. Er dachte an die Häßliche den ganzen Weg über und auch dann noch, als er bei der kleinen Aniela war. Sie heulte zuletzt fortwährend, weil er so ganz anders war als früher. Er war ihrer wirklich überdrüssig und sie würde schließlich doch noch den Waczek erhören müssen, den Kuhhirten mit dem breiten Mund.

Als Pjotr nach Hause kam, ging er in der Stube lange auf und ab. Dann stellte er sich vor den Spiegel. Warum sie wohl ein Kind haben will? dachte er und machte ein nachdenkliches Gesicht. Leider hatte er sein altes Pech, denn die Miene, die sein Spiegelbild aufgesetzt hatte, war genau so ratlos wie die seine.

Pah, sagte er sich endlich, ein Tier ist sie doch, die Häßliche – pfui, welch ein Tier! –

Inzwischen hatte sich die mit diesem dunklen Ehrennamen geschmückte Wikta langsam erhoben und war nach Hause geschwankt. In klarem Flußwasser kühlte sie ihr Gesicht und riß sich die breiten Blätter des Wegekrauts ab, die Heilkraft besaßen. Dann hockte sie in ihrem Stübchen, fast unbeweglich. Es war alles so dumpf in ihr, so totmüde. Kaum daß sich etwas regte. Am liebsten hätte sie sich schlafen gelegt. Aber das ging doch nicht am hellen lichten Tage. Und so brütete sie weiter vor sich hin, bis die Dämmerung leise ans Fenster kam, um die mit Papierstreifen verklebten Risse der Scheiben schlich und schließlich im Zimmer war. Da fühlte die Häßliche Hunger. Es waren noch ein paar Rüben übrig, die im feuchten Sande steckten. Sie schabte sie ab und aß. Dann brannten ihr plötzlich die Wunden. Sie kühlte von neuem und kauerte sich darauf wieder in ihren alten Winkel, auf das wurmstichige Bänkchen.

Jetzt dachte sie auch erst so recht nach. Das erste Mal war ihr der Versuch also mißglückt. Die heilige Jungfrau hatte nicht geholfen, deshalb mußte sie jedenfalls mit ihr, der Wikta, nicht recht zufrieden sein. Vielleicht hatte sie der Gebenedeiten zu wenig versprochen, obwohl zwei Kerzen doch eigentlich schon ganz annehmbar waren. Nun, sie wollte ihr drei opfern, drei Stück. Ganz dick sollten sie sein und funkelnagelneu. Zwar würde es ihr schwer werden, das Geld dafür aufzubringen, aber wenn sie im Winter, der nun ja bald herankam, ein paar Körbe mehr flöchte, als sonst und wenn sie selbst sich auch am Wochenmarkt ohne Öl behülfe und die paar Kartoffeln samt dem bischen Brot trocken äße, dann würde es doch vielleicht gehn. Gewiß; es mußte eben sein. Und drei Kerzen – da konnte doch die heilige Jungfrau unmöglich widerstehn.

Sie hatte wieder Hoffnung, die Häßliche. Neben dem Bänkchen kniete sie nieder und betete. Ihr wundes Gesicht legte sie dabei auf die verschlungenen Hände. So ward ihr leichter und freier. Beim zweiten Male würde die Gottesmutter das Herz des hübschen Pjotr schon wenden, und wenn auch dann nicht – nun, sie wollte schon Geduld haben. Mochte er sie beschimpfen und prügeln, mochte er thun, wozu er Lust hatte, sie wollte so lange betteln, bis er Erbarmen fühlte mit ihr und ihrem Elend. –

Er prügelte sie wirklich auch beim zweiten Mal. Aber doch nicht ganz so arg wie gestern. Ihren Willen that er natürlich nicht.

Dann blieb er drei volle Tage ganz aus. Weiß Gott, ob er gar nicht mehr zur Aniela ging oder wo er eine andre her hatte. Wikta wartete aber geduldig. Maria würde schon helfen, denn drei Kerzen waren doch zu verlockend.

Und eines Abends ging die Häßliche so stolz durch das Dorf, daß sich alle wunderten.

»Seht nur«, sagte Bartek Nowicki, der Großknecht vom Gute, »geht sie nicht wie ein Pfau? He, geht sie nicht so?«

»Als ob sie einen Gnädigen geheiratet hätte«, nickte der lahme Siga Majewski bestätigend.

»Nun hört nur«, meinte Anton Nasgóra, der Dicke, der immer lachte, »wer kanns wissen? Wir sind alle sündige Menschen. Schön genug ist sie doch, das muß man sagen. He, du allerliebstes Täubchen, wann machst du Hochzeit mit dem gnädigen Grafen?«

Aber Wikta Degórska hörte nichts oder wollte nichts hören. Stolz und mit erhobenem Haupte schritt sie die Gasse hinunter, graden Wegs auf ihr Häuschen zu. Ihre Augen lachten und leuchteten, und dann hätte sie wieder weinen mögen, so glücklich war sie. Vor dem Bänkchen sank sie in die Knie und dankte der heiligen Jungfrau mit zitternden Lippen. Dann setzte sie sich und sann, wie es gewesen war.

Sie hatte wieder gewartet, wohl zwei volle Stunden. Es war entsetzlich, so zusammengekauert dazusitzen und zu horchen. Denn aufrichten durfte sie sich nicht; er hätte sie zu früh sehen und ihr aus dem Wege gehn können. So hockte sie denn ruhig weiter auf demselben Fleck. Die Füße schliefen ihr beinahe ein; es prickelte und stach in ihnen wie mit Nadeln. Die Stille dazu war fast unheimlich. Nur die Krähen, die über den Feldern waren, stießen manchmal ein Krächzen hervor. Dann kam er, der Pjotr. Er kam wohl aus der Schenke, denn er war halb betrunken und wackelte ein bißchen. Dazu sang er und klatschte sich auf die strammen Schenkel, daß es nur so schallte. Übermütig war er, das ließ sich nicht leugnen! Heut wurde er auch garnicht so böse. Er schimpfte natürlich, was sie für ein Tier wäre – pfui, welch ein Tier! Und sie drängte sich an seine Füße und preßte ihren Kopf dagegen. Diesmal sagte sie auch nichts. Nur Pjotr sprach. Plötzlich gab er ihr andre Namen. »O kleine Aniela«, sagte er bald, und bald wieder »O gesegnete Stascha«. Dann kam es in seine Augen, so ein seltsames Glänzen, immer stärker, und sie fühlte, wie durch seinen Körper ein Zittern ging. Da drückte sie sich an ihn mit aller Kraft und dann –

Sie wußte kaum mehr etwas, nur daß er sie umschlungen hatte und daß sich die Gräser tief neigten. Eine wahnwitzige Sehnsucht erfaßte sie und sie betete unbewußt immerzu: ... »Mein Kind ... mein Kind«. Dabei hörte sie aber alles. Ein Häher schrie vom Wald herüber und die Rufe der Knechte, welche die müden Gäule antrieben, tönten deutlich durch die Abendluft.

Mein Kind ... mein Kind.

Nachher floh sie, so schnell sie konnte. Vor dem Dorfe jedoch ging sie ruhig und durch die Gasse schritt sie kühn und trotzig. So machte sie ihr Glück. Bald, bald würde sie hinter keinem mehr zurückstehen, denn bald würde ja auch sie jemanden haben, den sie herzen und küssen, den sie lieben konnte mit all der Liebe, die sie mit sich herumtrug. Ach, sie war schon so überselig, wenn sie nur an das Kindchen dachte. Bald stellte sie sich vor, wie es in der Stube herumkrabbeln würde mit seinen possierlichen krummen Beinchen, wie es das Fingerchen in den Mund steckte, wie es lachte über das ganze Gesicht, – bald wieder, wie es ihr das Haar zerzauste und ein Spitzmäulchen machte zu tausend köstlichen Küssen. Einzig nach ihr würde es die dicken Ärmchen ausstrecken, ihr Name würde das erste Wort sein, das sie von dem Dingelchen überhaupt hören würde; sie, die dumme, häßliche, schlechte Wikta Degórska, sollte es beschützen, zu ihr würde es flüchten, sie allein würde ihm zu essen und zu trinken geben. Ihr Kind würde sich auch nicht fürchten, daß sie so häßlich wäre, garnicht daran kehren würde es sich, würde immer nach seinem Mütterchen rufen, an ihrer Brust liegen und abends in ihrem Arm einschlafen. So lange sie lebte, all die Jahre und Tage, immer sollte sie nun einen Menschen um sich haben, daß sie nicht mehr einsam und allein sei. Heilige Jungfrau, das war ja zu viel Glück und Gnade, so viel, daß ihr dummer Kopf es noch kaum zu fassen vermochte.

In dieser Nacht schlief Wikta Degórska sehr wenig.

Pjotr dagegen schnarchte nicht schlecht, warf sich dabei jedoch unruhig hin und her. Das kam von den bösen Träumen, und die bösen Träume wiederum kamen vom Trinken. Vielleicht allerdings auch noch von etwas anderem. Nämlich er hatte schon einen Katzenjammer, wenn er nur an den heutigen Nachmittag dachte. Zuerst in der Schenke – nun, er mußte seinem Rufe doch Ehre machen und viel trinken. Was auch redlich geschah. Nachher das mit der Wikta und darauf ein Krach mit der Aniela. Denn die war am Abend garnicht mit ihm zufrieden gewesen, nicht im geringsten. Erstens hatte er sie nicht geküßt, zweitens nannte er sie bald Stascha, bald sogar Wikta, und drittens war er überhaupt so – nun so wie lauwarmes Wasser, gar nicht wie sonst. Aber sie sagte ihm tüchtig die Wahrheit und ging dann mit dem festen Entschluß fort, den ehrlichen und breitmäulichen Kuhhirten, Pan Waczek Strakosz zu erhören, natürlich nur gegen festes Heiratsversprechen und schöne Geschenke. Schließlich war der hübsche Pjotr totmüde geworden. Mühsam kam er nach Hause und hielt noch schnell vor dem Spiegel einen Schlußsermon, den er jedoch nicht weiterbrachte als bis zu den Worten:

»Wikta Degórska, pfui, was bist du für ein Tier, ein wildes: Ich ... ich werde ... werd ...«

Aber was der Pan Pjotr eigentlich wollte, wußte kein Mensch, denn er behielt es sorgsam für sich. Vermutlich wollte er schlafen, er zog sich nämlich langsam aus, wobei er sich noch in ein Kleidungsstück verwickelte, warf sich aufs Bett und fing auch wirklich schon nach wenigen Minuten zu schnarchen an.

VII.

Die letzten Sonnenblumen waren verblüht und die tellergroßen Fruchtscheiben zur Reife gekommen. Vor den Häusern und Hütten stapelte sich das im Walde zusammengesuchte Reisig allmählich zu ganzen Stößen auf. Das war überhaupt noch das einzige Gute: Holzvorräte hatte jeder in Hülle und Fülle, leider nützten sie nur herzlich wenig, da der Wind durch die tausend Löcher und Ritzen der baufälligen Baracken fuhr und die Wärme gleich wieder vertrieb. So half nur eins: immer und ewig ein prasselndes Feuer zu unterhalten, so lange der Winter währte.

Und schon rückte der eisige Geselle immer näher. Erst kamen die müden Tage, die immer früher schlafen gehn, Tage voll geklärter Luft und welkender Blumen. Dann fing es an mit einem tagelangen Landregen, daß die Pantoffeln stecken blieben in dem aufgeweichten Boden und schließlich brausten die ersten Spätherbststürme. Hinter ihnen aber stand schon der Winter und lachte sich ins Fäustchen. Er wußte, wer an der Reihe war.

Der einzige, der sich im Dorfe über die Witterung freute, war Pan Wenzel Lewandowski, der Wirt. Seine Schenke füllte sich mit jedem Tage mehr und kein Mensch fragte danach, wie viel weißen Pfeffer er in den Fusel schüttete. Es sollte sogar tüchtig brennen, denn man konnte es schon ertragen. Da saßen sie alle, die Stammgäste: voran Pjotr Wyrimbek, dann gleich danach Stanislaus Jurek und Bartek Nowicki, der lahme Siga Majewski und Antek Nasgóra und noch andere mehr. Sie tranken alle Schnaps, aber es rauchte keiner außer dem hübschen Pjotr. Manchmal sangen sie auch, irgend ein Lied, bald das von dem Probst, der zur hübschen Maryla schleicht, bald jenes von dem schwarzen Mädel, das durch den Zaun kriecht zum Liebsten. Wenn sie fertig waren, spuckten sie aus, sahen aus dem Fenster und sprachen über den, der draußen gerade vorbeiging.

»Der Hund soll mich holen, Brüderchen, wenn ich weiß, was das ist«, schrie eben Stanislaus Jurek, »man erkennt sie nicht wieder, die Wikta. He, was sagt ihr?«

»Hast du ein Auge auf sie, Stanislaus Jurek, daß du so sprichst?« lachte Antek Nasgóra, während er dem Wirte sein Schnapsglas reichte.

»Nun ich muß gestehn«, meinte Siga Majewski dazwischen, »sie hat sich geändert. Bei meinem lahmen Bein, das hat sie! Ist sie früher geschlichen, wie eine furchtsame Katze, geht sie jetzt, als ob es ihr gehörte, das Dorf. Wieso das kommt, wer soll es anders wissen, als die lieben Heiligen? Höchstens noch der Pjotr Wyrimbek. Aber ich meinte nichts, gar nichts«.

»Ich werde dir die Knochen im Leibe zerbrechen, du Lahmer, du«, sagte Pjotr gemütlich. »Was geht sie mich an, die Häßliche? Ich habe sie garnicht gesehen, wohl schon seit Allerheiligen nicht mehr.«

»Und ich sage, es geht was vor«, brummte Bartek Nowicki für sich, »ich sage das«. Dann that er einen Zug und wischte sich mit der Handfläche über den Mund.

Sie hatten alle Recht. Die häßliche Wikta war eine ganz andere geworden. Sie wunderte sich manchmal selbst darüber, wie trotzig und mutig sie jetzt war, wie hoch sie den Kopf trug, wie frei ihre früher so scheuen Augen jetzt auf jedem ruhten. Und alles seit dem Tage, wo sie fühlte, daß ihre Sehnsucht in Erfüllung gehen würde, daß die heilige Jungfrau ihren Leib gesegnet habe. Denn seit diesem Tage betrachtete sie sich selbst wie ein anderes Wesen, wie ein Heiligtum, seit diesem Tage wußte sie, daß sie nichts Schlechteres wäre als die übrigen. Und von Stund an änderte sich auch in ihrer ganzen Lebensweise manches. Es war rührend, wie sie schon jetzt an ihr Kind dachte. Es sollte keine schmutzige Mutter haben, und so wusch sie sich jetzt den Tag über weiß Gott wie oft, so flickte sie sich, wenn es anging, die paar alten Kleider, die sie besaß, und machte bunte Bänder daran, so flocht sie sich jetzt das Haar immer ordentlich und steckte sich auch wohl noch ein paar späte Blumen hinein, wenn sie grade welche fand. Das Glück verwandelte sie so zusehends, die große Hoffnung, die sie hatte, schien ihr neue Kraft, neuen Mut, neues Leben zu geben. Nicht daß sie grade schöner ward – sie blieb noch immer häßlich, aber doch wurden die eckigen Formen merklich voller und weicher und sie machte wenigstens keinen ganz abstoßenden Eindruck mehr. Besonders nicht, wenn sie lächelte, und das tat sie jetzt so oft. Dann saß sie mit verschlungenen Händen in ihrem Häuschen, wenn die Abenddämmerung sich über die öden Fluren senkte, und dachte an ihr Kind. Es waren immer dieselben Gedanken, die sie nicht müde ward, von neuem zu beginnen.

Draußen lag der Schnee, als die Dorfbewohner es zum ersten Mal merkten, wie es um die Häßliche stände. Keiner glaubte es erst recht. »Seit wann hat die Wikta einen Bräutigam, der mit ihr geht?« spöttelten alle, die es hörten. Schließlich aber, nach Wochen und Wochen, mußten sie doch das Zweifeln lassen; es war unverkennbar, daß Wikta Degórska ein Kind unter dem Herzen trüge. Und nun brach ein Sturm los. Nicht sowohl deshalb, weil ein uneheliches Kind im Dorfe eine Seltenheit gewesen wäre. Ach nein, das war es garnicht. Hatte doch die dicke Valeria auch eins und die »blonde Heilige«, die Veronika, gar zwei. Aber das war einfach unerhört, daß sich die Wikta, die dumme, häßliche Wikta Degórska, solch' einen Luxus erlaubte, sie, die sich doch überhaupt freuen sollte, daß man sie duldete. Und dann – wer war der Vater? Es gab viel Kopfzerbrechen darüber. Der eine riet so, der andere so; genau wußte es eben keiner. Es war nicht zu fassen! Vermaß sich das dumme Besteck also auch noch, den ehrsamen Dorfbewohnern Rätsel aufzugeben! So etwas war noch nicht passiert, und je weniger die allgemeine Neugierde befriedigt ward, desto höher stieg auch die Erbitterung. Die Männer machten ein verächtliches Gesicht und spuckten aus, wenn die Häßliche vorbeiging, die Burschen lachten und riefen ihr Witze nach, die Weiber gar verstiegen sich zu gellen Verwünschungen und zu den gemeinsten Schimpfworten. Noch ärger trieben es die Kinder, die alles aufschnappten. Sie liefen ganze Strecken weit neben der Wikta her, um sie fortwährend verhöhnen zu können. Oft kam es ihretwegen auch zu ganz erbitterten Kämpfen. Wollte ein Bursch nämlich dem andern die schwerste Beschimpfung angedeihen lassen, so nannte er ihn den Mann der Häßlichen und fragte, wann das Kind wohl da sein könnte. Pjotr allein hatte deswegen schon drei blutige Schlägereien gehabt, bei denen sogar das Messer gezogen worden war.

Wikta kümmerte sich um all das herzlich wenig. Sie ging durch das Dorf stolz und unnahbar wie eine Fürstin. Niemals hatte sie den Versuch gemacht, ihren Zustand zu verheimlichen. Und je weiter ihre Schwangerschaft fortschritt, desto höher trug sie nur das Haupt, desto lächelnder und leuchtender ward ihr Antlitz bei all den Schimpfereien. Nur einmal war sie zusammengezuckt, da hatte eine alte Vettel sie verflucht samt dem Kinde, das sie unter dem Herzen trug. Die Häßliche kehrte sofort um, neigte vor dem Madonnenbilde demütig das Haupt und bat die liebe Gottesmutter, den Fluch nicht in Erfüllung gehn zu lassen und wenigstens das unschuldige Würmchen zu schonen.

Eines Tages machte sie sich dann auf zur »weisen Frau«. So hieß nämlich die Pani Ludwiga Betkowska, die erst als Tagelöhnerin ihr Leben gefristet hatte und sich jetzt im Alter teils durch Betteln, teils durch die Kurpfuschereien, die sie betrieb, ernährte. Sie wohnte in einer Stube, die noch elender war, als die der Wikta. Im Sommer war es glühendheiß darin und im Winter eisigkalt. Oft fror das arme Weibchen ganz gotteserbärmlich, besonders wenn es nicht ein Stückchen Brot hatte und der Magen leer war. In der lieben, warmen Sommerzeit, du lieber Gott, da lebte selbst Ludwiga Betkowska einen ganz guten Tag, denn da gab es Obst zu stehlen oder Kartoffeln und Getreide, da schlich sie sich wohl auch in den Wald, an die Krammetsvogelschlingen und nahm ein, zwei Stück heraus, und da war auch das Betteln ein recht einträgliches Geschäft, vornehmlich nach einer günstigen Ernte. Doch jetzt, wo überall Schnee lag und wieder Schnee, stand es gar trübe um die weise Frau, deren Stimme vom vielen Paternoster- und Rosenkranzbeten und mehr noch vom vielen Branntweintrinken ganz rauh und heiser geworden war. Ja, sie trank, die Dorfpythia, trank, wenn sie etwas hatte, ganz gleich, was es war. So allein konnte sie Hunger und Kälte vergessen.

Zu ihr ging die Häßliche hin, denn es war ihr plötzlich schwer auf den Sinn gefallen, daß sie doch eigentlich gar nicht Bescheid wisse, und vielleicht manches versäume, was dem Kinde zuträglich wäre. Und dann mußte sie sich auch die weise Frau warm halten, daß sie sich in der schweren Stunde nicht erst lange bitten ließe, denn dabei war Pani Ludwiga unentbehrlich. Sie kannte alles und wußte alles trotz des besten Arztes.

»Nun, mein Täubchen«, kreischte sie gleich, »was willst du von mir? Ich bin ein altes Weib, ach, ein altes ehrliches Weib und ich will beten für dich, Wikta Degórska, mein Täubchen, Paternoster will ich beten, daß die lieben Heiligen dein Leben verlängern auf hundert Jahr«.

»Gott mög' dich schützen, Ludwiga Betkowska, und du bist eine fromme Frau. Dagegen läßt sich nichts sagen, denn du bist es. Ich wollte schon immer zu dir kommen, die ganzen Tage, aber ich konnte nicht. Du weißt ja, weshalb ich da bin. Es wissen ja alle im Dorf, wie es mit mir steht. Nun und ich möchte mir einen Rat holen, was ich thun soll.«

»Hast einen Bräutigam?« lachte Ludwiga Betkowska, »wo hast du ihn, Wikta, mein Täubchen? Wird er dich heiraten? O die Männer, die Männer! Schlecht sind sie alle durch die Bank, alle, alle, auch dein Liebster, Wikta, mein Täubchen, denn ich kenne ihn nicht. Wer ist es? Nun?«

»Wozu fragst du das? Ist das nöthig? Wenn ich mir in die Hand geschnitten habe, wirst du die Sichel dann sehen wollen, mit der ich es gethan habe? Nein, du siehst nur auf die Wunde.«

»Nun, ja, ja, meine Liebe, ich will auch nichts sagen, aber er wird dich nicht heiraten, nein, das thut er nicht. Als ich jung war, so wie du, weißt du, da liefen sie mir alle nach und der zupfte mich hier am Rock und der andere da. Nun, ich muß sagen, daß ich hübsch war, sogar sehr hübsch, und es war eine schöne Zeit. Denn die Liebe, du guter Gott, sie ist doch das größte Vergnügen, was man hier auf der Welt hat. He, ist sie das nicht? Aber genommen hat mich keiner, Wikta Degórska, kein einziger, und jetzt bin ich ein altes Weib, ach, ein altes, ehrliches Weib, und wenn du mir etwas geben willst, mein Täubchen, dann gieb es mir bald, denn ich werde schnell sterben und will für dich dann bitten, bei der heiligen Jungfrau.«

»Was soll ich dir geben, Ludwiga Betkowska? Habe ich denn etwas? Was habe ich? Aber wenn du mir sagst, was ich thun muß, dann bringe ich dir Geld zu Schnaps, zu einer ganzen Flasche.«

»Wir sind alle sündige Menschen,« murmelte die weise Frau, und Gott soll dich schützen, Wikta Degórska, mein Täubchen, aber erst bringe mir das Geld und dann will ich es dir sagen.«

Die Häßliche raffte wirklich alles zusammen, was sie grade hatte. Es war der Erlös von zwei Körben, die sie am letzten Wochenmarkt in der Stadt losgeworden war. Als Ludwiga Betkowska dann die paar Groschen sorgsam im Taschentuch verknotet hatte, zuckte sie mit den Achseln und meinte:

»Du brauchst keinen Rat, Wikta Degórska, jetzt noch nicht. Nur mußt du gut essen und trinken. Wenn du mir noch einmal Schnaps kaufst, werde ich zur richtigen Zeit schon da sein. Darauf kannst du dich verlassen. Weiter weiß ich nichts, denn ich bin ein altes Weib, ach, ein altes, ehrliches Weib und will für dich beten, daß die lieben Heiligen dir noch hundert Jahre geben.«

VIII.

Die Frau des Häuslers Taddäus Rajek, die zänkische Balbina, hatte ein Kind bekommen. Es war das vierte seit ihrer Hochzeit, die nun wohl schon drei Jahre her sein mochte. Da gab es wieder einen Stoff, worüber man nach Herzenslust reden konnte, und so standen die Pani Nasgòra, die Pani Modlina und die ehrsame Pani Nowicka denn auch am Nachmittag, als die Wintersonne recht warm schien, am Zaun bei einander und tauschten unter einem betäubenden Wortschwall ihre Geständnisse aus. Denn natürlich hatten sie alle schon Gratulationsbesuche gemacht.

Wikta Degórska kam gerade vom Fluß. Sie schleppte sich mit einem großen Bündel Weidenruten, die heut noch ins Wasser gelegt werden sollten, um nächstens verarbeitet zu werden. Dabei sann sie über die große Frage nach, wie sie es wohl anstellen sollte, mit ihrem kargen Verdienst recht gut zu essen und zu trinken. Das war auch leichter gesagt, als gethan. Sie wußte es jedenfalls nicht und ließ betrübt den Kopf hängen. Wie leicht konnte das Kind Schaden nehmen! Es war auch rein zum verzweifeln. Das beste blieb immer noch, garnicht daran zu denken, denn machen ließ sich dabei ja doch nichts. Nun, heut und morgen hatte sie schon noch ein paar Groschen und brauchte sie keine Not zu leiden, aber wie sollte es später werden, wenn sie erst hochschwanger wäre und nicht mehr in die Stadt könnte? Das hatte sie auf dem ganzen Wege gequält und peinigte sie auch jetzt noch so, daß sie weder nach rechts noch nach links sah, sondern trübselig vor sich hinblickend ihre Straße zog. Vielleicht hätte sie auch die redseligen drei Weibchen nicht beachtet, wenn nicht zufällig ein paar Worte an ihr Ohr geschlagen wären, die sie aus ihrem Brüten aufschreckten.

»Sie haben auch kein Glück,« sagte die Pani Modlina eben, »und die Balbina hat schon geheult immerzu, denn es ist häßlich, das Kind, ach so häßlich wie eine Spinne. Was meinst du, Antonia Nasgòra, ist es nicht so?«

»O wie du recht hast! Die lieben Heiligen mögen mich schützen, aber es ist häßlich wie die Nacht, pfui, man muß sich die Augen zudecken, wenn man es nur sieht. Doch warum – –«

Wikta Degórska war langsam vorübergegangen. Sie verstand kein Wort mehr. Ihre Augen waren groß und angstvoll auf den Boden geheftet.

Häßlich! Häßlich! Wie das Wort sie plötzlich peinigte! Mußte nicht auch ihr Kind häßlich sein, schon wegen seiner Mutter? Und würden dann die Dörfler, die alten und die jungen, nicht auch ihr Kind quälen und beschimpfen, wie sie es mit ihr gethan hatten und wie sie es beinahe jetzt schon mit dem kleinen Würmchen der Balbina Rajek thaten, das kaum geboren war? Nein, nein – lieber wollte sie sich die Knie wund liegen im Gebet, nur sollte die heilige Jungfrau ihrem Liebling all das ersparen, was sie gelitten, sollte ihn schön werden lassen, schön wie den Pjotr. Vielleicht, dachte sie so bei sich, gäbe es ein Mittel. Mein Gott, man konnte ja nicht wissen, was die klugen Stadtmenschen alles ersonnen hätten. Und wenn es eine im Dorfe gäbe, die besagtes Mittel kannte, so mußte es sicher die weise Frau sein, Pani Ludwiga Betkowska.

Da stand sie auch schon vor der Wohnung des ehrsamen Weibchens. Nun und weshalb sollte sie nicht eintreten? War sie doch schon einmal drin gewesen. Also machte die häßliche Wikta entschlossen die Thür auf.

Sie war heut bei sehr guter Laune, die Alte. Denn es war ihr geglückt, ein verlaufenes Huhn in allererster Frühe zu erwischen und in ihren Topf zu stecken. Deshalb ward Wikta ganz gnädig begrüßt und bekam ihren Rat für nur zwei Kupfermünzen. Allerdings – es war auch so ein Rat. Nicht warm, nicht kalt, dachte die Häßliche, als sie fortging. Wenn sie wenigstens noch Tropfen bekommen hätte, oder Pillen zum Einnehmen oder auch, wenn sie hätte Umschläge machen müssen, dann wäre es für sie eine große Beruhigung gewesen, aber so –! Was hieß denn das nun: sie solle sich bei Leibe nicht erschrecken, besonders nicht vor etwas Häßlichem, und solle ihre Blicke nur auf Schönes richten und nur an Schönes denken? Viel Vertrauen hatte sie wirklich nicht dazu. Aber sie wollte nichts versäumen und lieber alles thun, was sie konnte, um ihr Kind vor dem Fluche zu bewahren.

Einen ganzen Tag lang brauchte sie fast, um sich klar zu machen, was schön wäre und was häßlich. Und dann schwankte sie auch noch. Woran zum Beispiel sollte sie denken? Endlich kam es wie eine Offenbarung über sie. »Pjotr!« sagte sie laut vor sich hin. Und sie dachte jetzt nur an ihn in allen Stunden und Minuten, versuchte sich sein Gesicht vorzustellen, noch herrlicher als es war, nannte seinen Namen und gab sich redlichste Mühe, den Befehl des Dorforakels zu erfüllen. Ob sie den Pjotr liebte? Sie dachte nie darüber nach; ihr armer Kopf brummte ihr so schon genug. Er war ein höheres Wesen für sie, ein Gesegneter, ein Liebling der lieben Heiligen, die ihn schön gemacht hatten. Ein einziges Mal hatte er sich von seiner Höhe zu ihr herniedergeneigt, und das vergaß sie niemals. Nun hatte sie keine Sehnsucht mehr nach ihm; er hatte ihr so überviel gegeben, daß sie ihm nur von Herzen dankbar war. Weiter nichts.

Langsam kleidete sie sich aus und legte sich nieder genau so früh wie die anderen Dorfbewohner. Mit Pjotrs Bilde vor Augen schlief sie ein. Und sie schlief still und lächelnd wie ein Kind.

Am andern Morgen fiel ihr zum ersten Mal das Aufstehn schwer. In der Brust fühlte sie so ein Stechen und Ziehen. Überhaupt war ihr nicht ganz wohl. Aber das gab sich, als sie den Kopf zum Fenster hinaussteckte, in die kalte, reine Frühluft des Winters. Dann wusch sie sich mit Wasser, das sie erst auftauen mußte und dachte wieder daran, woher sie wohl später das Essen nehmen sollte. Das Herz ward ihr schwer dabei. Sie sah auch nicht einen einzigen Ausweg. Mechanisch trocknete sie sich ab, mechanisch nahm sie den kleinen Spiegel lehnte ihn gegen das Fenster, mechanisch kämmte sie sich dann davor. Ihr Gesicht schaute ihr sorgenvoll entgegen. Mit diesem stumpfen Ausdruck der Aussichtslosigkeit sah es sehr, sehr häßlich aus.

Plötzlich zuckte sie zusammen, warf mit einem wilden Ruck die gelösten Haarsträhnen zurück und zerschmetterte dann mit einem halben, jähen Angstlaut den Spiegel, daß er klirrend in Stücke brach. Sie hatte die Hand zur Faust geballt und den Kamm umklammert. Langsam rann ihr das Blut aus der Wunde in die Hornzinken hinein. Wie befreit atmete sie dann auf.

Es war ihr eben eingefallen, daß sie ja so häßlich wäre, daß sie nur Schönes anschauen solle, daß sie also nicht in den Spiegel blicken dürfe. Wie ein Blitz war ihr das durch den Kopf geschossen und in plötzlicher instinktiver Wallung hatte sie das Glas zertrümmert.

IX.

Es war ein schwermütiges Leben im Winter. Oft ließ sich tagelang kein bischen Sonne sehn, nur graue, tiefe Wolken, die gleichgiltig und müde auf die Welt blickten. Trat man vor die Thür, so streckte sich unendliches Flachland aus, ganz bedeckt von Schneemassen. Ein Paar krüppelige Bäume und Krähen waren die einzigen schwarzen Streifen und Punkte darin. Es wurde auch sehr kalt. Der Schnee knirschte unter den Tritten, und auf dem festgefrorenen Ententümpel tummelten sich die Kinder mit frostgeröteten Ohren und Nasen. Pani Ludwiga Betkowska erfror sich Hände und Füße, obwohl sie den ganzen Tag an einem knisternden Feuer saß. Aber noch schlimmer war der Hunger. Selbst die Haubenlerchen trippelten ganz verzweifelt straßauf, straßab, ohne etwas finden zu können, und nun gar erst die Menschen! Wikta Degórska ging beinahe täglich hungrig zu Bette. Verdiente sie doch immer weniger. Dabei lastete ihr der Gedanke an ihr Kind schwer auf der Seele. Als die Not immer größer ward, entschloß sie sich, betteln zu gehn. Es war ja doch alles für ihren Liebling. Aber wer würde ihr denn etwas geben? Wer denn? Höchstens noch der alte Invalide, der neben ihr wohnte und dem sie früher auch manchmal geholfen hatte. Es war eine treue Seele, der Alte, zwar brummig und beinahe abstoßend, aber er teilte mit ihr den letzten Bissen. So half sie sich den Winter durch, bis das Frühjahr immer näher rückte.

Sie hatte die weise Frau gefragt, wie lange es noch dauern könnte, das mit dem Kinde. Denn je näher der Augenblick kam, desto mehr wuchs ihr Glück und ihre Sehnsucht. Sie hätte das kleine süße Balg am liebsten schon heut in ihren Armen gewiegt. Nun, Pani Ludwiga Betkowska hatte gemeint: noch einen Monat. So lange hieß es eben, sich in Geduld zu fassen. Auch diese vier Wochen mußten ja einmal vergehn und sie vergingen in lauter Träumen, in Träumen von der übergroßen Seligkeit der späteren Jahre und Tage.

Jetzt kam auch die Sonne immer öfter hinter den Wolken hervor, daß der Schnee schmolz und die Weiden schon Kätzchen anzusetzen begannen. Die Häßliche rührte sich kaum mehr aus der Stube. Still und mit gefalteten Händen saß sie am Fenster, wenn das warme Licht durch die trüben Scheiben brach, lächelte empor zum Himmel und sandte selige Gebete aufwärts zur lieben Gottesmutter und allen ihren Engelchen. Es ging durch ihr ganzes Sein wie ein großer Segen, goldne Strahlen erhellten ihr Herz und rosige Wölkchen spielten vor ihren entzückten Blicken. Eine nie gekannte Frühlingsseligkeit kam über sie; sie hätte leise singen mögen, die alten Lieder aus der Ukraine, Kosackensänge und Steppenmelodien von blutigen Kämpfen und süßen Mondnächten. Aber wenn sie anfing, dann dauerte es nicht zwei Minuten und sie war schon mitten in einem Wiegenliedchen drin. Woher sie es hatte, wußte sie selber nicht. Es war plötzlich dagewesen und klang so weich und lockend wie nichts anderes mehr auf der Welt.

Die Schmerzen in der Brust wurden immer größer. Jeden Tag erwartete sie ihre Niederkunft. Nachmittag für Nachmittag sprach auch die weise Frau vor, bis es ihr schließlich zu lange dauerte und sie meinte: wenn es so weit wäre, sollte der alte Invalide sie holen.

Eines warmen Frühlingsmorgens war das Stechen und Ziehen, das Wikta verspürte, ganz unleidlich. Sie wollte eigentlich liegen bleiben. Aber draußen schien die Sonne schöner als je und die Lerchen sangen nur so um die Wette mit den dicken Goldammern. Da stand sie vorsichtig auf und setzte sich ans Fenster.

Ihr war heute ganz sonderbar zu Mute. Bald hätte sie lachen mögen und in die Hände klatschen vor lauter Freude wie ein ganz, ganz kleines und glückliches Kind, bald wollte sie wieder weinen und beten. Allerhand Gedanken zogen ihr durch den Kopf. Das Kind, ihr liebes, süßes Kind, und der hübsche Pjotr, und die Sonne – o die schöne, warme Sonne ...! Grade vor ihrer Thür lag sie, auf dem Holzbänkchen am Gartenzaun, über den sich im Sommer die Sonnenblumen neigten. Wie lange war sie schon nicht draußen gewesen! Am liebsten hätte sie es versucht. Das Wetter war ja so schön. Und da sah sie draußen eine Gänseherde. Voran der Familienvater, ein schwarzweißer Gänserich mit langem Hals, dann sein Frauchen, recht dick und behäbig, und dahinter all die kleinen gelbflaumigen Dinger. Sie freute sich darüber ganz unendlich, obwohl ihr der Anblick doch so garnicht ungewöhnlich war. Dann erhob sie sich schwerfällig.

Erst als sie über die Schwelle trat, merkte sie, wie dumpf doch die Zimmerluft war gegen die prächtige Frische, die hier draußen herrschte. Weit atmete sie auf, ein paar Minuten lang. Dann stützte sie sich an den Zaunstacketen und ging zum Bänkchen. Hier saß sie mit lächelndem Gesicht wohl zwei Stunden. O die viele, viele Sonne! dachte sie immer. Und dann stellte sie sich vor, daß nun bald ihr Kind in dieser vielen, vielen Sonne spielen würde. Da ergriff sie ein übermächtiges, jauchzendes Glücksgefühl. Ach, wie wunderschön war doch die weite Gotteswelt und wie gut alle, alle Menschen! Für jeden hätte sie heut ein freundliches Wort gehabt, auch für die, von denen sie so oft verhöhnt und mißhandelt worden. Ihr Kind machte sie so fromm und gut, ihr Kind, das nun bald da sein mußte. Und wem verdankte sie all das Glück? Nächst der lieben Gottesmutter doch allein dem hübschen Pjotr, den die Heiligen segnen mochten. Pjotr! Sie lächelte. Den ganzen Winter über hatte sie an ihn gedacht, genau wie die weise Frau es vorgeschrieben. Aber nie hatte sie ihn während der letzten Zeit mit Augen gesehn, weil sie stets im Stübchen gewesen war. Wie er jetzt wohl aussehn mochte? Sie sehnte sich ordentlich wieder nach ihm. Eine so unsäglich große Dankbarkeit erfaßte sie. Sie hätte sich vor ihm niederwerfen und ihm die Hand küssen mögen, wie man es dem gnädigen Grafen und dem Probst thut.

Schade, daß die Pani Ludwiga Betkowska nicht da war, denn sie hätte eine schöne Rede halten können. Wenn man vom Wolf spricht, hätte sie gesagt, ist er nicht weit, oder so etwas Ähnliches, denn wirklich kam Pjotr Wyrimbek von der Schenke her, an den Zäunen entlang. »Ich werde es ihm anstreichen«, brummte er vor sich hin, »das kann ich sagen und sollt ich ins Gefängnis müssen. Totschlagen werd ich den Hund, wenn ich ihn finde«. Er meinte irgend einen Knecht, mit dem er sich gezankt hatte. Sein Kopf war ganz rot. Der Schnaps und die Wut hatten beide gewirkt.

Wikta Degórska sah ihn kommen. »Heilige Jungfrau«, stieß sie leise hervor. Dann beugte sie langsam die Kniee, daß es sie einen Augenblick schmerzhaft durchzuckte. Sie wußte kaum, was sie wollte. Immer wieder dachte sie: »Mein Kind, mein süßes, liebes Kind ... und der hübsche Pjotr ... o, und die viele, viele Sonne«. Ihm, der ihr alles gegeben, mehr als die ewige Seligkeit, nur die Hand küssen, ihm nur in stummer Inbrunst danken für das schauernde Glücksgefühl, das sie durchpulste und dann schweigend wieder zurückkriechen – weiter wollte sie ja garnichts.

Und sie that es auch. Auf den Knieen schleppte sie sich heran an ihn, griff nach seiner Hand, beugte ihre Lippen darauf. Pjotr war einen Augenblick so überrascht, daß er nichts sagen konnte. Dann aber wie ein Blitz schoß es ihm durch den Kopf: daß jetzt alle wissen, es sicher wissen würden, wer der Vater ihres Kindes war. Sein Gesicht wurde noch röter, das erregte Blut stieg ihm zu Haupt, die Muskeln verzerrten sich. Er wußte garnicht, was er that.

»Verfluchte Hexe, wirst du mich loslassen!« brüllte er heiser zwischen den Zähnen hervor und stieß in wilder Wucht mit dem Fuße nach ihr. Er traf sie grade vor den Leib. Sie sank mit einem so wahnsinnigen Schrei hintüber, daß der alte Invalide ängstlich aus seiner Stube stürzte.

»Bestie!« murmelte er dem sich schleunigst entfernenden Pjotr nach, dann nahm er die Wikta in seine zitternden Arme. Aber sie war zu schwer für das bischen Kraft, das er aufzuwenden hatte, und so zog er sie mehr, als er sie trug, bis er sie in ihr Zimmer gebracht hatte.

Sie sah sich um mit irren, qualvollen Augen, als ob sie nicht wüßte, wo sie eigentlich wäre. Dann stöhnte sie und schrie, von den furchtbarsten Schmerzen gefoltert. Der Alte beugte sich über sie und redete ihr gut zu. Endlich begriff er, daß ihre schwere Stunde gekommen sei.

»Ich werde die Ludwiga holen, mein Täubchen«, rief er eifrig und noch ganz puterrot vor Anstrengung und Aufregung, »gleich will ich sie holen!« Und dann humpelte er, so schnell seine Füße es ihm gestatteten, die Dorfstraße entlang.

Es war ein Glück, daß die weise Frau nicht lange auf sich warten ließ und der armen Wikta all die schweren Stunden über zur Seite stand. Und sie mußte beteuernd gestehn: sie war ein altes Weib, ach, ein altes ehrliches Weib, aber eine solche Patientin hatte sie noch nicht gehabt, die zwischen den fürchterlichsten Schmerzen noch lächelte. Das Kind, dachte die Häßliche immer, mein liebes, liebes Kind. Was der Pjotr böse gemeint, hatte die heilige Jungfrau zum guten gewandt; ihr Liebling würde gleich lustig in die Welt krähen.

Aber es krähte nicht und war ein schmächtiges Kerlchen. Die Pani Ludwiga sah es gleich. Sie nahm es auf den Arm und trug es zum Fenster. Besah es von allen Seiten, horchte, schüttelte den Kopf und wischte sich eine Thräne aus dem Auge. Dann trat sie zum Bett der jungen Mutter.

»Es ist das Beste, mein Täubchen, gewiß, das ist es. Aber du mußt nicht erschrecken: es ist tot, das Dingelchen, tot.«

Wikta Degórska war ein paar Sekunden lang unheimlich still. Ihre Augen öffneten sich starr und weit, ihr Körper hob sich etwas empor und dann plötzlich stieß sie einen wilden, unartikulierten Laut aus, daß das alte Weib zusammenfuhr und sich bekreuzte. Ihre Finger krampften sich dabei, als wollten sie die Bettdecke zerreißen. Dann sank sie zurück. Langsam rollte ihr Kopf zur linken Schulter. Nach einer kleinen Weile regte sich nichts mehr an ihr.

*

Sie liegen beide unter einem Hügel, Mutter und Kind, ganz hinten an der Weißdornhecke, wo der kleine Friedhof zu Ende geht. Keiner kommt so leicht an dies verlassene Fleckchen, nur der Maulwurf wühlt dort im lockeren Sande und allenfalls verbirgt sich auch ein Volk Rebhühner zwischen den einzelnen Gräbern.

Sonst aber ist alles tot und still ...

*

 


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