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Der Eisenschild der Herberge drehte sich unaufhörlich in rostigen Angeln mit ächzendem Laut. Die schweren Fensterläden der Gaststube wurden vom Wind gerüttelt, und die rotschwelende Flamme der Zinnlampe zuckte hin und her. Mißmutig lümmelte Klaus Nunnenfeind am breiten Gesellentisch und sah auf den schlafenden Wirt. Auch der saure Krätzer im gebuckelten Glase war nicht nach des Wegmüden Sinn. Löcher fraß er schier in den Magen und juckte beizend in der Kehle.
Der Dritte im Raume hatte bisher kein Glied gerührt. Erst als der Nachtwächter vor dem Hause die Hellebarde klingend aufs Pflaster stieß und die elfte Stunde sang, hob er sich schattengleich vom Stuhl.
»Pest, Tod und Verdammnis?« gröhlte er. »Ich verrecke allhier vor Zeitlang. Verstattet Freundschaft, daß ich mich zu Euch setze.«
Das fehlte noch. Mit solchen Landstürzern trank ein ehrsamer Handwerker nicht. Nein und nein – wenn auch etliche Ansprache Bedürfnis war.
»Bleibet immerzu, wo Ihr seid«, erwiderte Klaus grob. »Mich lüstet's nicht, mit Euch zu schwatzen.«
Der andere lachte, daß ihn der Bock stieß. Er trat aus der dunklen Ofenecke ins gelbe Licht.
»Ei – Ihr seid gar von französischer Sitte, Nunnenfeind!« höhnte er. »Seht doch an!«
Der Goldschmied fuhr herum.
»Wie denn, kennt Ihr mich? Ich sah Euch mein Lebtag nicht – –.« Er blickte scharf hin. Das hagere Gesicht war braun, von Falten durchzogen, wie ein Acker im Sämond zerpflügt. Tief und ungut zogen sich die dunklen Brauen nach außen und oben und um den schmalen, verwickelten Mund witterte es boshaft. Bei jedem Wort tanzte der Adamsapfel den dürren Hals auf und nieder. Der Mann trug ein tuchenes Wams, papageiengrün, mit roten Nesteln. Eine schwere Weidtasche hing ihm über der Achsel, und am Schwertgurt baumelte eine breite Ochsenzunge. – Ruhig schob er mit dem Fuß einen Stuhl zurecht und setzte sich ohne viel Federlesens dem jungen Menschen gegenüber, der ärgerlich und verlegen die Nase ins trübe Glas steckte. Als er absetzte, sah er in die abscheulichgelben Augen des Zudringlichen, deren Pupillen oval waren, wie die der Ziegen. Dies hatte er noch an keinem Menschen gesehen. Stechend und frech ruhte der Blick auf ihm. Wie häßlich der fremde Kerl war. –
»Schadet nichts«, sagte der Hagere, als hätte er Gedanken gelesen. »Schätzt mich nicht nach dem Balg. Den Darmputzer laßt stehen, bis er das Glas zersprengt und trinkt lieber eins aus diesem runden Pfaffenbauch.«
Eine dicke Flasche bot er zum Bescheid über den Tisch. Den Trunk zurückzuweisen, ging nicht wohl an. Der Bursche trank – ei, das war köstlich! Süß und duftend rann der Wein in ihn – wie lindes Feuer. Er drückte die Augen zu und tat noch einen langen Schluck.
»Der mundet nach dem Hematspreitzer!« lachte der Fremde und nahm die Korbflasche wieder an sich, »der Schelm, der da in der Ecke schnarcht, verdient, gesäckt zu werden, damit er Wassers genug habe, der Weinfälscher! – Nun aber, Klaus Nunnenfeind, da uns schon die Wanderschaft so wunderlich zusammenführt: Hättet Ihr Lust und Mut, ein schönes Stück Geld zu erwerben?«
Klaus ertrug den flackernden Blick der gelben Augen nicht.
»Wie meinet Ihr dies?« sagte er und sah weg. »Ich kenne Euch nicht.«
»He! Was frommt's Euch, Namen und Handwerk zu erfragen? – Ein entlaufener Jäger bin ich – Käsperlein Rodderbusch genannt.«
»Mit Jägervolk, gar mit landflüchtigem, hat unsereins nichts zu schaffen«, erwiderte der Gesell kurz. »Man hat wohl manches vernommen.«
»Nun – ein Löwentaler ist ein Löwentaler, dächt' ich«, sagte der Jäger. »Eure Schuh' sind übel zerrissen und Euer Habit löcherig genug. – Ich will Euch den Filz mit Talern anfüllen, daß Ihr ihn nicht mehr zu lüpfen vermögt.«
Nunnenfeind ward rot und steckte die Füße unter den Tisch. Ja – dringend bedurfte er des Geldes – heute ging der letzte Zehrpfennig drauf. Der Grüne war so übel nicht, wenn er hielt, was er versprach. Auch kreiste der Südwein aus der runden Flasche, die willig in seine Hand kam, im Blute. – Und schließlich warf der Fremde eine Handvoll Silbertaler auf den Tisch, daß sie wie schimmernde Fische sprangen – –. Sie rollten und klirrten eine Weile im Licht, bis die strickadrige Hand sie gleichmütig raffte und im Ranzen barg, in dem ein ganzer Schatz gleißte.
»Was wäre das?« forschte Klaus.
Der Dürre zeigte die Pferdezähne und neigte sich gegen ihn.
»Und wie ist's mit dem Bruder? Habt Ihr ihn schon gefunden?« raunte er. »Ich verhelf' Euch zu ihm.«
Ein sonderbarer Schreck rann dem Handwerker über den Rücken. Wer konnte wissen, daß er nach seinem Bruder aus war, den zwei Jahre lang niemand gesehen hatte? – Die Eltern waren tot, und das Erbe wartete. In der Erde. Der Alte hatte mit Hinz, dem Ältesten, Gold und Silber vergraben. Der Türke, dessen Vortrab sich in lohenden Flammen kundete, fand nichts. Wenige Tage nach dem Graben verschwand Hinz. Nichts hielt ihn – weder die zitternden Flüche des Vaters noch die Tränen der Mutter. Da ließ er sich nun beim Lothringer anwerben – – alles wegen der Pogner Marei, der Hexentochter, die ihn im Wahn hielt und sich der wilden Glut in seinem Herzen freute. – Als sie dem reichen Lamplwirt etwelches Hausgerät und ihren weißen Leib mit in die Ehe brachte und keck auf rotleuchtendem Haar die Myrtenkrone trug – da war's mit ihm aus und geschehen. Mit dem Kränzel hatte er auch das Weib zu besitzen gedacht und ahnte nicht in seiner Einfalt, daß er nur ein Spielding war ihrer Lust und sich mit anderen teilte in die heißen Nächte, nach denen ihr kitzelndes Blut schrie. Ganz ruhig blieb ihr kühles Herz, sie besaß die Männer und blieb frei, unberührt in der Seele und hoch über ihnen, wie der jagende Falk, dessen gellendem Stoßruf ihr Lachen glich, so sich einer ihrer Sklaven bettelnd und winselnd zu ihren Füßen wand. – War sie denn nicht zu Tanz gegangen am selben Tag, da man den blassen Knaben vom Schloß, dem die braunen Seidenlocken ins Kindergesicht hingen, vor ihrer Türe auflas und mühsam die erstarrten Finger vom Dolchgriff löste, ehevor man das Eisen aus dem stillen Herzen zog? – Tanzte wohl eine stattlicher und feiner die sieben Sprüng' auf rauchendem Boden an jenem Abend bei Flöten und Geigenstrich? Wohl erhob sich Murren unter den ehrsamen Weibern und bei den Neidhämmeln, die sich mit jenen begnügen mußten, als die schlanke Marei mit roten Wangen und lachend dahinschliff – aber hundert Fäuste verliebter Burschen waren bereit, die Sünderin gegen tugendhafte Wut zu schützen. – Hinz hatte das feine Gift im schweren Blut nicht ertragen – lief hinter dem Kalbfell her, sein Leid zu vergessen, und stach nach blankgeschorenen Janitscharenköpfen. – Nach dem Sieg bekam er den Abschied, wie viele andere und zog sicherlich geldlos und unstet umher, auf neue Kriegsfuria hoffend und harrend. Wäre nicht das Pergamentlein gewesen in des Bruders Besitz, auf dem Plan und Ort verzeichnet war, wo die irdenen Töpfe mit dem Hort vergraben lagen, der jüngere wäre wohl nicht aus sicherer Stube der ungewissen Fährte des Soldaten nachgezogen. – In diese Gegend wies die letzte Spur – nach der Heimat. Mit wehen Füßen hinkte Klaus am späten Abend in die Herberge. Ach – wenn der den Bruder auch schaffen konnte!
»Was begehrt Ihr von mir für solchen Lohn?« fragte er eindringlich und bog den Leib über den Tisch.
Käsperlein schielte, verschob den Unterkiefer und hob die faltigen Lider von den Geißenaugen.
»Heut ist St. Sebaldi Nacht«, wisperte er. »Großer Zauber ist zu finden bei armen Sündern, dessen ich bedarf. Wagst du den Gang und ein Mehreres, ist alles dein, was ich verhieß.«
»Also treibt Ihr's?« rief erschreckt der Goldschmied. »Seht Euch vor! Zu Linz brennen sie, daß der Stank den Fluß hinauf bis Passau zieht.«
Der Tischgenosse ließ ein widriges Lachen hören, das wie Feilenstrich auf Eisen klang.
»Ich fürchte den Eisenhammer nicht, Knäblein. – Wenn du den Weg scheust, tut ihn ein anderer. Sei ohnbesorgt.«
Er ließ die Taler im Ranzen klirren. – Ja – sicher würde sich ein notiger Bursch finden, der ohne Zögern den Gang tat, – um weniger, als ihm geboten ward. Der lahme Kerl da konnte zweifellos mehr, als Brot essen, und die Taler waren da. Öfters als einmal war Klaus nachts an solchen Stätten vorbeigekommen – freilich ohne viel nach dem Rabenstein hinzublicken und nach dem, was sich unter dem Galgenholz rührte und im Nachtwind schwang. – Nach dem Zechezahlen heut blieben ihm zwei Kupferpfennige. Wolken standen am Himmel, und die Bettelvögte waren gleich zur Hand, wenn ein Armer um Nachtlager bat.
»Ich tu's«, stieß er heraus. »Bei Lug und Trug seht Euch aber vor, Grüner, – ich bin kein Spittelweib, wenn's zum Raufen kommt. – Gott verzeih mir's!«
Der andere spie aus – mit fahl grimmigem Gesicht.
»Unterlaß dein unnützes Schwören, Hansnarr,« murmelte er unwirsch, »das mach' aus, mit dem du willst. Ich geh's jetzo an!«
Hinkend schritt er die Türe zu. Klaus griff nach dem kurzen Eisen und schloß den Gurtriemen. Gegen Tücke war das Messer gut. – Pah – morgen war ein heller Tag und Geld in allen Taschen. Er folgte dem Jäger hinaus vor die Türe.
Ein Windstoß faßte ihn bei den Schultern und warf ihn gegen die Wand, daß die Rippen knackten. Der Genosse lachte hohl und faßte nach seiner Hand mit eiskalten harten Fingern. Schweigend gingen sie durch die schwarze Nacht, mit den Füßen nach dem Wege tastend. Äste schlugen nach ihnen, und Erdspalten taten sich auf. Mitunter schwirrte es wie Flügelschlag, und verworrenes Pfeifen zog durch die Lüfte. Wütend umkreiste der Sturm das letzte Haus, das des Henkers, jagte dann wild davon in die baumlose Ebene und kam keuchend wieder zurück, mit Flugsand und welken Halmen beladen.
»Ist denn überhaupt einer – – dort?« fragte Klaus nach langem Schweigen.
»Ein ganz frischer,« raunte es an sein Ohr, »oben auf dem Rad liegt er, geflochten wie eine Bretzen. – Hab's mit angesehen, wie ihm das Radeisen die Knochen zerkrachte. Das Knechtlein, das zustieß, war schwach und bis zum Gnadenschlag auf die Brust gab's ein arges Brüllen und Weiber genug, die in Unmacht sanken.«
»Was hat der arm' Sünder verbrochen?«
»Kriegsvolk ohne Sold und Futter. Das liegt an den Straßen und wirft die Fuhrleute darnieder. Wer sich von den Strickreutern erwischen läßt, büßt es hart genug. Zwei hat derselbige auf den Tod durchstochen, und davor steht er jetzt in der Luft als ein Storch im Brutnest. Scharf sind sie schon die Städtischen.«
»Als ob Ihr Freud' daran hättet, redet Ihr – –,« flüsterte der Goldschmied in einem Schauer.
Wieder das scheußliche Lachen. Die Stimmen hoch oben wurden deutlicher – – aufgescheuchte Krähen waren es, die die Musik machten. Der Weg stieg an. Aus schwarzen Wolkenrändern kam blaues Mondlicht, kam und schwand und kam wieder. Vor den beiden stieg ein riesiges Gerüst auf – – schwere Balken, – der vierfache Galgen. Daneben eine hohe Stange, ganz hoch droben eine unförmige Masse, die schwerfällig schwankte, wenn das Holz sich seufzend bog. – Vom Galgen hing ein Klumpen, auf dem Vögel saßen. –
Nach wenigen Schritten standen sie auf der Kuppe des Hügels –; fern grüßte ein Lichtpunkt vom Stadtturm – aus des Türmers Stube. Wüst und verlassen lag die dunkle Heide um diesen Ort der Pein und Angst.
Den Nunnenfeind beutelte das Grauen, als sein Begleiter ihn zum Radbaum zog.
»Den da oben, – den schneid' ab und wirf ihn herunter, Kläuschen,« sagte er heiser, »der hat den Zauber im Sack, nach dem ich fahnde.«
»Was steigt Ihr nicht selbst –?« stammelte der Bursch.
»Mit dem Hinkebein? Wenn ich mich selbst hinaufzuziehen vermag mit schwerer Not, – wer hilft mir über das Kreuzholz in der Mitte vom Baum – du Tölpel?«
Wieder spuckte er zornig auf die Erde. »Mach' jetzo oder schleich' dich von hinnen, Kumpan!«
Da warf Klaus mit schnellem Entschluß den Rock von sich. Er gedachte, es nunmehr abzutun um des Lohnes willen.
»Wo sind die Taler?« rief er, innehaltend.
Alsogleich rasselte es in seinen Hut. Da rutschte er, mühselig kletternd, die wiegende Stange hinauf, überwand das Kreuzholz, den Schutz des armen Sünders vor bösen Mächten und ließ nicht nach, bis er über das Rad greifen konnte. – – Naß, kalt und weich fühlte sich's an – – ein Splitter, der aus dem groben Wollstrumpf des Toten stach, verletzte seine Hand. – – Fast hätte er ausgelassen; – – würgender Ekel trieb ihn zur Eile – das Messer war scharf und glitt leicht durch die Lederseile, – fuhr auch wohl nebenbei in Tuch und Fleisch, – dann ein Ziehen – – Zerren, – – ein tüchtiger Stoß – – und einen Augenblick lang saß der Gerichtete mit hängendem Kopf auf dem Rad, als sähe er vor dem Sturz in die Tiefe. – – Dann fiel er vornüber – – dumpf schlug der Körper auf. Der Jäger unten lachte schrill. »Hoho! Hoho!« rief es neben Klaus, der sich mit bebenden Händen am klitschigen Holz hielt. – Toll vor Schreck und schweißnaß kam er unten an. – –
Der Grüne schlug Feuer. Blau und gelb flammte der Schwefelfaden, und gierig wühlte die dürre Hand in den Taschen des verdrehten Körpers am Boden. – – Ein Pergament zog sie heraus – – knitternd ward es entfaltet – Linien, Worte – – die plumpe Zeichnung eines Baumes. –
Klaus ließ halb verrückt die Taler aus dem Hut in die Hände gleiten und sah stumpfsinnig zu, wie der Leichenschänder wieherte vor Freude und sorgsam das Geschriebene barg.
»Wo ist der Bruder – –?« fragte dann Klaus.
Mit einem Sprung war der Lahme im tiefen Dunkel. – Eine schmetternde Lache – – –
»Der Bruder? Bück' dich Knäblein – hast ihn dir ja selbst vom Rad' geholt – – –!«
Ein Schrei scholl in das böse Gelächter. Heulend wie tausend Teufel kam der Sturm und riß Schrei und Lachen mit sich. – –
*
Dem armen Sünder stund das Gesicht im Nacken, und der Bruder saß kichernd im taunassen Gras, spielte mit großen Rechenpfennigen und sang ein Lied. – So meldete der Henker, der Nachschau gehalten hatte und nun mit dem gebundenen Narren ins Rathaus kam. –