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Der Gefangene von Chillon.

Sonett auf Chillon.

Du Geist der Freiheit, der die Brust erregt,
Im Kerker leuchtest du mit hellster Pracht,
Denn in dem Herzen thront dann deine Macht,
Das nur um deinetwillen Fesseln trägt;

Und wenn man deine Söhn' in Ketten schlägt
Und sie begräbt in dumpfer Mauern Nacht,
So wird dem Vaterlande Sieg gebracht,
Wenn ihrer Leiden Ruhm die Welt bewegt.

Chillon, ein Heiligthum sind deine Mauern
Und deines Kerkers Boden ein Altar,
In ihn, als wär' er Sand, grub Bonnivard

Einst seiner Schritte Spuren, die noch dauern;
Sie mögen bleiben dort unwandelbar,
Sie schrei'n um Rache, wo Tyrannen lauern!

 

I.

Mein Haar ist grau, doch durch die Jahre
Ist's nicht so weiß gemacht,
Auch nicht in einer Nacht,
Wo jäher Schreck entfärbt die Haare;
Nicht hat mich Arbeit so gekrümmt,
Doch träge Ruh' hat mich verzehrt;
Des Kerkers Loos war mir bestimmt,
Wie's solchen das Geschick bescheert,
Die, aus der Welt herausgerissen,
Der frischen Luft entsagen müssen.
Für meines Vaters Glauben trug
Ich diese Ketten, oft genug
Hab' ich um meinen Tod gefleht!
Weil er den Widerruf verschmäht,
Erlitt mein Vater an dem Pfahl
Für seine Lehre Todesqual;
Uns aber, seine Söhne, stieß
Man in dies finstre Burgverließ;
Von sieben blieb allein ich nach.

Sechs noch jung und Einer alt
Trotzten bis zum letzten Tag
Der Verfolgung und Gewalt;
Einer starb im Feu'r und zwei
Fielen durch der Schlachten Wuth
Und besiegelten mit Blut,
Daß der Glaub' ihr Höchstes sei.
Gegen ihres Gottes Feind
Kämpfend, starben sie vereint,
Drei umfingen diese Mauern,
Ich muß bis zuletzt drin dauern.

 

II.

In Chillons tiefem Kerker sieht
Man sieben goth'sche Pfeiler stehn,
Von festem Stein, grau anzusehn;
Ein matter Strahl der Sonne zieht
Wohl drüber hin, der wie verirrt
Und wie gefangen durch den Spalt
Der Mauer eingelassen wird,
Am feuchten Boden trüb und kalt
Hinkriechend, gleichwie auf dem Moor
Des Irrlichts flackernd Meteor.
An jedem Pfeiler ist ein Ring,
Der wieder eine Kette trägt;
Solch Eisen ist ein scharfes Ding,
Das in das Fleisch die Zähne schlägt,
Wovon ich wohl die Spuren trage
Bis zu dem letzten meiner Tage,
Die jetzt nur weh thun durch ihr Licht
Den Augen, die so lange nicht
Die Sonne sahn; – wie lang ist's her?
Ich zählte nicht die Jahre mehr,
Seit von den Brüdern mich der letzte
In diese Einsamkeit versetzte,
Als ihm der Tod das Auge brach
Und lebend neben ihm ich lag.

 

III.

Sie banden Jeden an einen Stein,
Wir waren Drei, doch Jeder allein;
Wir konnten keinen Schritt weit gehn
Und kaum der Andern Antlitz sehn,
Denn in dem trüben fahlen Licht
Erschien fremdartig ihr Gesicht;
Und so vereint und doch getrennt,
Gefesselt und das Herz voll Gram,
Da man uns jedes Element
Zum frischen frohen Leben nahm,
Bemühten wir uns, mit Gesprächen
Die Einsamkeit zu unterbrechen,
Und Jeder suchte Trost zu spenden,
Den Muth zu heben durch die Klänge
Der Heldensagen und Gesänge
Und alten heiligen Legenden;
Doch schien zuletzt auch beim Erzählen
Das Feuer immer mehr zu fehlen,
Die Stimmen wurden hohl und kalt,
Wie's Echo wohl aus Höhlen schallt,
Und knarrend, nicht mehr voll und frei,
Wie sonst in unsern Jugendjahren;
Ich täuschte mich vielleicht dabei,
Mir war's, als ob es fremde waren.

 

IV.

Ich war der Aelt'ste von uns Dreien;
Den Andern sucht' ich Muth zu leihen,
Wie's von der Pflicht geboten ward,
Und Jeder trug's nach seiner Art.
Der Jüngste, den der Vater liebte
Als unsrer Mutter Ebenbild,
Hatt' Augen himmelblau und mild,
Und war's, der mich zumeist betrübte.
Ein traur'ger Anblick mußt' es sein
In solchem Nest solch Vögelein!
Denn er war schön, sowie der Tag,
(Als mir der Tag noch schön erschien
Gleich Adlern, die zur Sonne ziehn!)
Wie ein Polartag, dem zugleich
Der Sommer mit der Sonne schwindet,
In dessen langem lichtem Reich
Der Schlummer keine Stätte findet,
So rein und hell wie dieser Sohn
Der Sonne und der Schneeregion;
Sein froher Sinn war nur bereit
Zu Thränen um ein fremdes Leid,
Dann aber strömten sie gleich Bächen,
Die jählings aus den Bergen brechen;
Bis endlich Trost und Hülf' er brachte
Für das, was ihn so traurig machte.

 

V.

Der Andre, von Gemüth gleich rein,
Schien für den Kampf gemacht zu sein;
Von Körper stark, von Muth verwegen,
Daß er der ganzen Welt entgegen
Im Streit sich froh geopfert hätte,
Ertrug er schwerer seine Kette;
Es sank sein Muth bei ihrem Klange,
Ich sah's, daß immer mehr er schwand,
Mir selber schwand er ja schon lange;
Jedoch bezwang ich mich und fand
Noch Trost für Jene, die zum Lieben
Allein von Allen mir geblieben.
Der Aeltre pflegte nach den Hirschen
Und Wölfen im Gebirg zu birschen,
Die Kette und des Kerkers Noth
Galt ihm für schlimmer als der Tod.

 

VI.

Die Mauern Chillons unterwühlt
Der Genfersee, der sie bespült;
Es senkt wohl tausend Fuß hinab
Sich dieses öde Wassergrab,
In solcher Tiefe zeigt das Blei,
Daß dort des Sees Boden sei;
So ward dies alte Felsenschloß,
Das immer rings der See umfloß,
Vom Wasser und vom Wall umgeben,
Zu einem Grab für jedes Leben.
Und unser dumpfer Kerker lag
Noch tiefer als die Wasserfläche,
Wir hörten's rauschen Nacht und Tag,
Wie sich die Flut am Felsen breche;
Bei Winterstürmen spritzte Schaum
Durch unsrer Gitter Zwischenraum,
Oft fühlt' ich selbst den Felsen zittern
Und bis in seinen Grund erschüttern;
Ich bebte nicht, ja lächelnd hätte
Gewünscht ich, daß der Tod mich rette.

 

VII.

Der Aeltre, wie gesagt, erlag
Dem Gram, der seine Stärke brach,
Und er verschmähte jede Speise;
Doch nicht, weil sie zu derb und schlecht,
Denn Jägerkost war stets uns recht
Und einfach immer unsre Weise;
Nur Wasser aus dem Graben hatten
Wir statt der Ziegenmilch der Matten,
Das Brod war, wie seit tausend Jahren
Die Menschen sich's mit Thränen weichen,
Die, Thieren gleich, von ihres Gleichen
Mit Ketten angeschlossen waren;
Doch nimmer konnten solche Sachen
Den Bruder kraft und muthlos machen.
Doch solcher Art war seine Seele,
Daß ein Palast zum Grab ihr auch
Geworden wäre, wenn der Hauch
Der reinen Bergesluft ihr fehle.
Er starb – was braucht's der Worte noch!
Ich mußt' es sehn und konnte doch
Sein Haupt nicht stützen, seine blassen
Und kalten Hände nimmer fassen;
Vergebens war's, mich anzustrengen,
Um meine Kette zu zersprengen.
Er starb – man nahm die Fesseln ab
Und legt' ihn in ein flaches Grab;
In unsrer Kerkerhöhle ward
Im feuchten Grund er eingescharrt.
Ich bat sie um ein Grab für ihn,
Auf das die liebe Sonne schien';
Es war ein thörichter Gedanke,
Der mich so quälte, doch ich glaubte,
Daß nach dem Tode noch die Schranke
Des Kerkers ihm die Ruhe raubte.
Mein Bitten sollte fruchtlos sein,
Roh lachend scharrten sie ihn ein,
Kein grüner Rasenteppich hüllte
Den ein, der unser Herz erfüllte,
Als Denkmal dieses Mordes hing
Die leere Kett' an ihrem Ring.

 

VIII.

Doch der, den wir, seit er geboren,
Zu unserm Liebling auserkoren,
Weil schön er war und jugendlich
Und der geliebten Mutter glich,
An den der Vater sterbend dachte,
Der mir die meiste Sorge machte,
Für den ich mich zum Leben zwang,
Damit vielleicht er einst noch frei
Und jetzt doch wen'ger elend sei –
Er, der noch jenen Muth so lang
Bewahrte, der ihm immer eigen,
Er auch begann das Haupt zu neigen
Und welkte hin von Tag zu Tag.
O Gott! der Seele Flügelschlag
Ist immer furchtbar anzusehn
Wie auch die Trennung mag geschehn!
Ich sah hinströmen sie im Blut,
Ich sah sie mit der Wogen Wuth
Krampfhaft zusammenzuckend ringen,
Sah in des Sünders Marterbette
Wahnsinn'ge Schrecken sie durchdringen;
Doch graunvoll war auch diese Stätte,
Und, wenn auch frei von solcher Noth,
Langsam und sicher hier der Tod.
Er welkte hin, leis und gemach,
So ruhig, lieblich und so schwach,
So thränenlos und voll von Güte,
Und traurig war nur sein Gemüthe
Um Jene, die zurück er ließ.
Die Wangen schmückte überdies
Ein trügerisches blüh'ndes Roth,
Als triebe Spott mit ihm der Tod,
Bis endlich, gleich dem Regenbogen,
Auch diese Farben rasch verflogen;
Sein Auge war durchsichtig klar,
Als ob's des Kerkers Leuchte war,
Und auch kein Murren, keine Klagen
Bezeugten mir, wie sehr er litt!
Doch sprach er wohl von bessern Tagen,
Von Hoffnung, um mich selbst damit
Zu trösten, wenn ich immer stummer
Und traur'ger ward in meinem Kummer.
Die Seufzer, die trotz allem Zwang
Ihm die Natur wohl sonst entrang
Im Uebermaße der Beschwerden,
Sie schienen leiser stets zu werden!
Ich horchte, hörte keinen Ton –
Und wilde Angst ergriff mich schon,
Ich rief ihm, wenn auch hoffnungslos,
Denn dieser Schrecken war zu groß –
Mir war's, als ob ein Laut erklang,
Ein starker Ruck, die Kette sprang,
Ich stürzte hin – er war nicht mehr!
Um mich war Alles öd' und leer,
Ich war allein, ich ganz allein
Zog diese Kerkerluft noch ein;
Das einz'ge, letzte, liebste Band,
Das mich, den letzten Sprößling, band
An Jene, die schon ausgelitten,
Es war mit einem Mal zerschnitten:
Der eine Bruder eingescharrt,
Des Andern Leiche kaum erstarrt!
Und meine Hand ergriff die seine
Ach, fast so kalt war auch schon meine;
Kaum hatt' ich Kraft, mich zu erheben,
Kaum das Bewußtsein, noch zu leben,
Nur noch zu leben, um zu wissen,
Daß mir das Theuerste entrissen!
Warum ich's dennoch hab' ertragen,
Vermag ich selber kaum zu sagen,
Der Glaube war's, der mir verbot,
Selbst zu beschleun'gen meinen Tod.

 

IX.

Was nun zunächst mit mir geschah,
Das weiß und wußt' ich nie gewiß,
Nur daß den Tag ich nicht mehr sah
Und dann auch nicht die Finsterniß;
Ich dachte, fühlte nichts mehr, nein –
Stein war ich zwischen dem Gestein.
Ich glich in der Gedankenleere
Dem kahlen Fels im Nebelmeere;
Ringsum war's trübe, grau und bleich,
Der Nacht nicht, noch dem Tage gleich,
Auch meines Kerkers Dämmerlicht,
Das ich so haßte, war es nicht;
Es war des Raums Unendlichkeit –
Ein Starrsein – ohne Ort und Zeit –
Von Erd' und Himmel nichts zu sehn –
Kein Halt – kein Wechsel – kein Geschehn,
Ein Mittelding von Tod und Leben
Schien in der Oede ich zu schweben,
Und Alles um mich rings herum
War blind, bewegungslos und stumm!

 

X.

Da zuckt' es wie ein heller Strahl –
Ich hörte einen Vogel singen,
Er schwieg, er sang zum zweiten Mal,
Nie hört' ich etwas schöner klingen;
Und meine Augen wurden naß
Von Freudenthränen, ich vergaß
In froher Ueberraschung gar,
Daß elend ich noch immer war;
Langsam zuerst, dann immer schneller
Ward mein Bewußtsein wieder heller,
Ich sah, daß meines Kerkers Wand
Noch so wie sonst rings um mich stand,
Ich sah, daß durch die Mauer sich
Wie sonst die Sonne schimmernd schlich
Und in dem Spalt, durch den sie kam,
Saß auch der Vogel, sanft und zahm,
So zahm, als säß' er zwischen Zweigen,
Ein liebes Thier mit blauen Schwingen,
Er sang zu mir von tausend Dingen,
Als wollt' er mir sein Mitleid zeigen;
Niemals noch sah ich solch Gefieder
Und nimmer wohl erblick' ich's wieder.
Wie mir schien ihm ein Freund zu fehlen,
Doch schien's ihn nicht, wie mich, zu quälen;
Um mich zu lieben, war er da,
Mir war sonst keine Liebe nah,
Und weckte von der Mauerzinne
Zu neuem Leben meine Sinne.
War er der Lüfte freier Sohn?
War er dem Käfig jüngst entflohn?
Beklagt hätt' ich das liebe Thier,
Wenn es gefangen wär' gleich mir!
Es kam vielleicht, so schien's mir fast,
Vom Paradiese dieser Gast.
Verzeih' mir, Gott! wenn ich so dachte,
Da mich's vor Freude weinen machte,
Genug, mir war's, als käme hier
Des Bruders Geist herab zu mir;
Doch endlich war er fortgeflogen,
Ein sterblich Wesen mußt' er sein,
Sonst wär' er nicht hinweggezogen
Und ich nicht doppelt jetzt allein,
Allein – wie in dem Sarg die Leiche,
Allein – wie in dem lichten Reiche
Der Sonne man ein Wölkchen sieht,
Das einsam hoch am Himmel zieht
Als Flecken auf dem blauen Grunde,
Das nicht befugt zu dieser Stell' ist,
Wenn alles Andre rein und hell ist
Am Himmel und im Erdenrunde.

 

XI.

Und eine Aendrung zeigte sich,
Die Wärter wurden gegen mich
Mitleidiger, obgleich daran
Gewöhnt, stets fremdes Leid zu sehn;
Sie wandten wen'ger Strenge an,
Doch weiß ich nicht, warum's geschehn;
Und sie befestigten nicht wieder
Die abgerißnen Kettenglieder.
Frei konnt' ich jetzt nach allen Seiten
Der Kammer auf- und nieder schreiten,
Und ich spazierte hin und her,
Der Länge nach und in die Quer',
Um jeden Pfeiler, fing sodann
Denselben Weg von Neuem an,
Und suchte nur dabei die beiden
Schmucklosen Gräber zu vermeiden.
Schritt achtlos ich auf jene Seite,
So fühlt' ich, daß ich sie entweihte,
Mein Athem stockte, und ein Schmerz
Durchzuckte schneidend mir das Herz.

 

XII.

Und endlich grub ich in den Stein
Die Spuren meiner Füße ein;
Ich dachte nicht mehr an's Entfliehn,
Das kaum mir als ein Glück erschien,
Denn Alle sah ich ja bestatten,
Die mich geliebt im Leben hatten;
Ich meinte, daß die ganze Erde
Mir nur ein weitrer Kerker werde.
Allein und elend war ich, kannte
Nicht Kind, noch Vater, noch Verwandte;
'S war gut, denn denkend an die Lieben
Wär' ich zum Wahnsinn sonst getrieben!
Nur eins erfüllte meinen Sinn,
Zum Gitterfenster zog's mich hin,
Und spähend sucht' ich mit Entzücken
Das Hochgebirge zu erblicken.

 

XIII.

Ich, selbst ein Andrer, sah die Höh'n
Noch immer unverändert schön,
Ich sah den tausendjähr'gen Schnee
Und unten lag der weite See,
Die blaue Rhone sah ich fließen
Und hörte über Felsgerölle
Die Bäch' in ungestümer Schnelle
Sich vom Gebirg herab ergießen;
Ich sah das weiße Städtchen liegen
Und manches Boot vorüberfliegen.
Auch war ein kleines Eiland da,
Das lächelnd mir in's Antlitz sah,
Kein andres war zu sehn;
Ein grünes kleines Eiland, kaum
So groß wie meines Kerkers Raum,
Drei große Bäume standen dort,
Die Bergluft kühlte diesen Ort,
Ringsum des frischen Wassers Lauf
Und Blumen überall darauf,
So duftig und so schön!
Ich sah die Fisch' im Wasser spielen,
Sie schienen fröhlich sich zu fühlen;
Es strich der Adler vor dem Winde
Noch niemals, dacht' ich, so geschwinde,
Wie heute, durch des Himmels Bläue.
Die Thränen strömten mir auf's Neue,
Ich ward betrübt, ich wollt', ich hätte
Niemals verlassen meine Kette;
Als nun vom Fenster ich herab
In meinen Kerker mich begab,
Ergriff der dumpfe Aufenthalt
Mein Herz mit doppelter Gewalt.
Er schien ein frisches Grab zu sein,
Der liebsten Wesen Leichenstein,
Doch hatte sich mein Blick, geblendet,
Dem Dunkel willig zugewendet.

 

XIV.

Zuletzt, nach Tagen, Monden, Jahren, –
Ich weiß nicht mehr wie viel' es waren,
Und hoffte nichts in dieser Oede,
Auch mein Gesicht ward trüb' und blöde –
Da traten Männer zu mir ein,
Um wiederum mich zu befrein.
Ich fragte nicht warum? woher?
Am Ende war's mir einerlei,
Ob ich gefesselt war', ob frei,
Ich kannte keine Hoffnung mehr.
Als nun sie endlich zu mir kamen
Und meine Fesseln von mir nahmen,
Da waren meines Kerkers Wälle
Mir lieb wie einem Mönch die Zelle!
Mir schien es fast, die Männer kämen,
Die zweite Heimat mir zu nehmen;
Betrachtet hatt' ich oft die Spinnen,
Um ihre Freundschaft zu gewinnen,
Der Mäuse Spiel im Mondenschein,
Warum denn sollt' ich anders sein?
Wir wohnten all' an einem Ort
Und ich erschien als Herrscher dort,
Mein war ihr Leben – sonderbar,
Daß unter uns stets Friede war!
Selbst meine Kette ward mir lieb,
Denn es beherrscht, was auch er sei,
Den Menschen der Gewohnheit Trieb: –
Mit einem Seufzer ward ich frei.

Anmerkungen zum Gefangenen von Chillon.

Das Original des »Gefangenen«, der im Sommer 1816 in der Schweiz gedichtet wurde, enthält nachstehendes Vorwort:

»Als ich dieses Gedicht verfaßte, war ich noch nicht genug mit der Geschichte Bonnivards bekannt; ich würde sonst den Muth und die Tugenden des Helden würdiger zu feiern versucht haben. Hier einige Nachrichten über sein Leben. Ich verdanke sie der Gefälligkeit eines Bürgers jener Republik, die immer noch stolz ist auf das Andenken eines Mannes, welcher in der schönsten Epoche der alten Freiheit einen Ehrenplatz verdient hätte.

Franz von Bonnivard, Ludwig von Bonnivards Sohn, gebürtig von Seyssel und Herr von Lunes, wurde im Jahre 1496 geboren. Er studirte in Turin. Sein Oheim, Jean Aimé von Bonnivard, trat ihm 1510 das Priorat von St. Victor ab, welches sich bis an die Mauern von Genf erstreckte und ein bedeutendes Einkommen abwarf.

Dieser große Mann – den Namen verdient Bonnivard wegen der Stärke seiner Seele, der Redlichkeit seines Herzens, der Würde seiner Bestrebungen, der Weisheit seiner Rathschläge, des Muthes bei seinen Thaten, des Umfangs seiner Kenntnisse und der Aufgewecktheit seines Geistes – dieser große Mann, welcher Alle, die von heldenmüthiger Tugend noch gerührt werden, zur Bewunderung hinreißen muß, erweckt gewiß noch den lebhaftesten Dank in den Herzen der Genfer, die Genf lieben. Stets war Bonnivard eine der festesten Stützen dieser Stadt. Er trug kein Bedenken, oft seine Freiheit aufzuopfern, um die der Republik zu sichern; er vergaß seine Bequemlichkeit, er verachtete seine Reichthümer, er unterließ nichts, um das Glück eines Vaterlandes zu befestigen, das er durch seine Wahl geehrt hatte. Von dem ersten Augenblicke seines Aufenthaltes daselbst liebte er es wie der eifrigste seiner Bürger. Er diente ihm mit heroischer Unerschrockenheit und schrieb die Geschichte desselben mit philosophischer Unbefangenheit und patriotischer Wärme. Er sagt im Anfange seiner Geschichte von Genf, schon früher, als er die Geschichte der Völker zu lesen begonnen, hätte ihn Vorliebe zu den Freistaaten erfüllt; ihre Angelegenheiten ihn stets zur lebhaftesten Theilnahme angeregt. Diese Freiheitsliebe war ohne Zweifel die Ursache, daß er Genf zu seinem Vaterlande wählte. Bonnivard, noch jung, verkündigte sich laut als Genfs Vertheidiger gegen den Herzog von Savoyen und gegen den Bischof.

Im Jahr 1519 begannen Bonnivards Leiden für sein Vaterland. Da der Herzog mit 500 Mann in Genf eingerückt war, und Bonnivard seinen Zorn fürchtete, so wollte er sich, um den Folgen dieses Zornes zu entgehen, nach Freiburg zurückziehen; allein er ward durch zwei seiner Begleiter verrathen und auf Befehl des Fürsten nach Grolée abgeführt, wo er zwei Jahre lang in Gefangenschaft blieb. Bonnivard hatte Unglück auf seinen Reisen. Da sein Eifer für Genf durch sein Mißgeschick nicht geschwächt worden war, so war er immer noch ein gefährlicher Feind für Die, welche es bedrohten, und blieb deshalb auch ihren Streichen fort und fort ausgesetzt. Im Jahr 1530 fielen ihn auf dem Jura Räuber an, plünderten ihn und lieferten ihn wieder in des Herzogs Hände. Dieser ließ ihn in das Gefängniß von Chillon werfen, wo er ohne Verhör bis 1536 blieb. Jetzt erst wurde er von den Bernern befreit, die sich des Waadtlandes bemächtigt hatten.

Bonnivard hatte die Freude, Genf frei und reformirt wieder zu finden. Die Republik beeilte sich, ihm ihre Dankbarkeit an den Tag zu legen und ihn für seine ausgestandenen Leiden zu entschädigen. Sie ertheilte ihm im Juni 1536 das Bürgerrecht, schenkte ihm das Haus, das ehedem der Generalvikar bewohnt hatte, und wies ihm für die Dauer seines Aufenthaltes in Genf eine Pension von 200 Reichsthalern in Gold an. Im Jahre 1537 ward er in den Rath der Zweihundert aufgenommen.

Bonnivard fuhr fort, seinem Vaterlande Dienste zu erweisen; nachdem er dahin gearbeitet hatte, Genf frei zu machen, gelang es ihm auch, es zur Duldsamkeit zu bringen. Bonnivard vermochte den Rath, daß er den Geistlichen und Landleuten eine hinlängliche Frist zur Prüfung der ihnen gemachten Bedingungen zugestand; dies glückte ihm namentlich durch seine Sanftmuth: Wenn man das Christenthum mit Liebe predigt, so predigt man es stets mit Erfolg.

Bonnivard war gelehrt. Seine Manuscripte, die in der öffentlichen Bibliothek aufbewahrt werden, beweisen, daß er die lateinischen Klassiker zu lesen verstand und in der Theologie und Geschichte einheimisch war. Dieser große Mann liebte die Wissenschaften und war überzeugt, daß sie viel zu Genfs Ruhm beitragen könnten; deshalb vernachlässigte er nichts, um sie in dieser aufblühenden Stadt einzubürgern. Im Jahre 1551 schenkte er der Stadt seine Büchersammlung; sie ward der Anfang zu unsrer öffentlichen Bibliothek, und die seltenen und schönen Ausgaben aus dem 15. Jahrhundert, die man in dieser sieht, sind zum großen Theil aus jener Sammlung. Endlich setzte der edle Patriot noch in demselben Jahre die Republik zu seiner Erbin unter der Bedingung ein, daß sie sein Vermögen zum Unterhalt der Schule verwende, die man damals zu errichten im Begriffe stand. Bonnivard starb wahrscheinlich 1570; man kann dies aber nicht mit Sicherheit behaupten, weil in den Leichenbüchern vom Monat Juli 1570 bis 1571 eine Lücke ist.« – –

*

»Auch nicht in einer Nacht,
Wo jäher Schreck entfärbt die Haare.« Seite 44.

Ein Beispiel davon geben Ludwig Sforza u. A. Dasselbe wird von Ludwigs XVI. Gemahlin Maria Antoinette berichtet, obschon es sich bei ihr nicht in so kurzer Zeit zugetragen hat. Gram, sagt man, bringe dieselbe Wirkung hervor, und diesem, nicht der Furcht, war die Entfärbung der ihrigen zuzuschreiben.

» Die Mauern Chillons unterwühlt.« Seite 47.

Schloß Chillon liegt zwischen Clarens und Villeneuve, welches letztere sich an dem einen Ende des Genfersee's befindet. Zu seiner Linken mündet die Rhone und gegenüber sind die Höhen von Meillerie, sowie die Alpenkette oberhalb Boveret und St. Gingo.

Nahe hinter dem Schloß an einem Hügel fließt ein Bergstrom; den See, der unten seine Mauern bespült, hat man 800 Fuß tief gefunden. In dem Gebäude ist eine Reihe von Gefängnissen, in denen die ersten Reformatoren und später viele Staatsgefangene eingekerkert wurden. Quer über eins der Gewölbe zieht sich ein vom Alter geschwärzter Balken, an welchem, wie man uns benachrichtigte, sonst die Verurtheilten hingerichtet wurden. In den Zellen sind sieben Pfeiler – oder vielmehr acht, der eine ist nur halb in die Mauer gesenkt; – an einigen derselben sind Ringe angebracht für die Fesseln und die Gefesselten. Bonnivards Schritte haben im Estrich Spuren zurückgelassen; – er war hier mehre Jahre eingekerkert.

An dieses Schloß hat Rousseau die Katastrophe in seiner »Neuen Heloise« geknüpft, indem hier Julie eines ihrer Kinder aus den Fluthen rettet. Der Schrecken und die durch den Sprung in's Wasser herbeigeführte Krankheit ist der Grund ihres Todes.

Das Schloß ist groß und wird in weiter Entfernung vom See gesehen; die Mauern sind weiß.

» Auch war ein kleines Eiland da.« Seite 55.

Zwischen der Rhonemündung und Villeneuve, nicht weit von Chillon, ist eine ganz kleine Insel, die einzige, die ich auf meiner Reise um und auf dem Revier seinem ganzen Umfange nach bemerkt habe. Sie enthält wenige Bäume – ich glaube nicht über drei – und macht durch ihre abgeschiedene Lage und ihren geringen Umfang einen ganz eigenthümlichen Eindruck auf die Beschauer.


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