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Ich durchstreifte die Stadt, ging ins Schauspiel, ins Ridotto. Ich spielte, gewann vierzig Zechinen und kam ziemlich spät nach Hause, da ich überall Zerstreuung gesucht hatte, wo ich sie zu finden hoffte.
Mein Page erwartet mich, eine Fackel in den Händen, unten an der Treppe, überläßt mich der Sorgfalt eines Kammerdieners und entfernt sich, nachdem er mich gefragt, zu welcher Stunde ich geweckt sein wolle.
»Zur gewöhnlichen,« antwortete ich, ohne zu wissen was ich sagte und ohne zu bedenken, daß niemand mit meiner Lebensweise bekannt war.
Ich erwachte andern Morgens spät und stand sogleich auf. Ich warf die Augen zufällig auf die Briefe meiner Mutter, die auf dem Tische liegengeblieben waren. »Ehrwürdige Frau!« rief ich aus, »was beginne ich hier? Warum begebe ich mich nicht in den Schutz deiner weisen Ratschläge? Ja, ich komme, ich komme, das ist das einzige, was mir zu tun übrigbleibt!«
Da ich laut sprach, bemerkte man, daß ich wach sei; man trat ein und da sah ich wieder sie, die Klippe, an der meine Vernunft scheiterte. Sie sah so uneigennützig, bescheiden und unterwürfig aus, und dies machte sie mir um so gefährlicher. Sie meldete mir einen Schneider mit Stoffen; ich machte ihm meine Bestellung und sie verschwand mit ihm bis zum Mittagessen.
Ich aß wenig und eilte, mich wieder mitten in den Strudel der Vergnügungen zu stürzen. Ich besuchte Maskenfeste, hörte frostige Scherze an und machte sie mit, und begab mich schließlich in die Oper und zum Spiel, das bisher meine größte Leidenschaft gewesen war. Diesmal gewann ich noch weit mehr als das erstemal.
In solchem Zustand des Herzens und des Geistes vergingen zehn Tage unter den gleichen Zerstreuungen. Ich traf alte Bekannte und bekam neue. Ich wurde in den vornehmsten Gesellschaften eingeführt und zu den Veranstaltungen der Nobili in ihren Kasinos zugelassen.
Alles ging gut, hätte mich nur mein Glück im Spiel nicht verlassen; aber ich verlor im Ridotto an einem Abend dreizehnhundert Zechinen, die ich zusammengescharrt hatte, wieder. Niemand konnte je unglücklicher spielen. Früh um drei Uhr ging ich vollkommen ausgebeutelt hinweg und blieb meinen Bekannten noch hundert Zechinen schuldig. Ich verbarg meinen Ärger über dies Mißgeschick nicht, und Biondetta schien davon bewegt, sagte aber kein Wort.
Am andern Morgen stand ich erst spät auf. Ich ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab und stampfte mit den Füßen. Vom Frühstück nahm ich nicht einen Bissen. Nachdem es abgetragen, blieb Biondetta ganz gegen ihre Gewohnheit bei mir. Sie sah mich einen Augenblick an, dann kamen ihr die Tränen: »Sie haben verloren, Don Alvaro, vielleicht mehr, als Sie bezahlen können ...«
»Und wenn es so wäre, was sollte ich dann tun?«
»Sie kränken mich; meine Dienste stehen Ihnen stets zur Verfügung. Aber es stünde traurig darum, beschränkten sie sich nur auf Geringfügigkeiten, die Sie sofort zu entlohnen imstande sind. Erlauben Sie, daß ich mir einen Stuhl nehme? Wollen Sie sich zugrunde richten? ... Warum spielen Sie mit solcher Leidenschaft, wenn Sie nicht zu spielen verstehen?«
»Sind diese Spiele nicht von Glückszufällen abhängig? Gibt es da etwas zu verstehen? Etwas zu lernen?«
»Gewiß! Man lernt diese Spiele, die Sie mit Unrecht Glückszufälle nennen. Es gibt keinen Zufall in der Welt. Alles war und ist eine notwendige Folge von Kombinationen, die man nur durch die Wissenschaft der Zahlen, begreift, deren Grundsätze so tief und abstrakt sind, daß man sie sich nicht anders als unter Anleitung eines Lehrers aneignen kann, den man aber zu finden und sich zu verbinden verstehen muß. Ich kann Ihnen diese erhabene Kenntnis nur durch ein Bild darstellen. Die Verkettung der Zahlen bewirkt die Bewegung des Universums und regelt das, was man zufällige und bestimmte Ereignisse nennt, indem sie alles durch unsichtbare Gewichte zwingt, zu steigen und zu fallen, und zwar von den größten Dingen an, die in den entferntesten Sphären vor sich gehen, bis auf die geringsten Wechselfälle des Glücks herab, die Sie heute um Ihr Geld gebracht haben.«
Diese gelehrte Tirade in dem Munde eines Kindes, dieser etwas aufdringliche Vorschlag, mir einen Lehrer zu geben, erregten mir einen leichten Schauder. Ich fühlte wieder etwas von jenem Angstschweiß, der mir im Gewölbe von Portici ausgebrochen war. Ich heftete den Blick auf Biondetta, die die Augen niederschlug. »Ich will keinen Lehrmeister,« sagte ich zu ihr, »ich würde fürchten, zuviel von ihm zu lernen. Aber versuche mir zu beweisen, daß ein Edelmann etwas mehr als das Spiel kennen und nützen darf, ohne sich zu entwürdigen.«
Sie nahm den Beweis auf und dies ist im wesentlichen das Ergebnis ihrer Beweisführung.
Die Bank beruht auf der Basis eines übermäßigen Vorteils, der sich mit einer jeden Taille erneut. Liefe sie gar keine Gefahr, so würde die Republik unstreitig einen offenbaren Diebstahl am Einzelnen begehen. Aber die Berechnungen, die wir machen können, sind imaginär und die Bank hat immer ein leichtes Spiel, indem unter zehntausenden, die ihre Opfer sind, nur ein Unterrichteter gegen sie hält. Sie überführte mich weiter und zeigte mir nur eine einzige Kombination, die allem Anschein nach sehr einfach war. Ich erriet ihr Prinzip nicht; aber noch am nämlichen Abend erkannte ich ihre Untrüglichkeit am Erfolge.
Mit einem Worte, ich gewann, sie befolgend, alles wieder, was ich verloren, bezahlte meine Spielschulden und erstattete an Biondetta die Summe zurück, die sie mir geliehen hatte, damit ich mein Glück von neuem versuche.
Ich war bei Gelde; aber in größerer Verlegenheit als je. Mein Mißtrauen gegen die Absichten des gefährlichen Wesens, dessen Dienste ich angenommen, hatte sich erneuert. Wußte ich doch nicht ganz gewiß, ob ich mich würde wieder von ihm freimachen können; jedenfalls hatte ich nicht die Kraft, es zu wollen. Ich wandte die Augen ab, um es nicht zu sehen, wo es war, und sah es doch überall, wo es nicht war.
Das Spiel lockte mich nicht länger mehr. Seitdem das Pharo, das ich leidenschaftlich liebte, den Reiz des Wagens für mich verloren, fand ich nichts mehr daran, was mich lockte.
Die Karnevalspossen langweilten mich, das Schauspiel fand ich abgeschmackt. Hätte ich auch das Herz frei genug gehabt, mit einer Frau aus der vornehmen Welt eine Liebschaft anzuknüpfen, so schreckte mich im voraus das Geschmachte, das Zeremoniell und der Zwang des Cicisbeats ab. Es blieb mir nichts übrig als die Zuflucht der Adelscasini, wo ich nicht mehr spielen wollte, und die Gesellschaft der Kurtisanen. Unter den Frauen dieser Art gab es einige, die sich mehr durch den feinen Geschmack ihres Gepränges und die muntere Gesellschaft, als durch persönliche Reize auszeichneten. Ich fand in ihren Häusern eine wirkliche Freiheit, wie ich sie zu genießen liebte, eine geräuschvolle Fröhlichkeit, die mich betäuben konnte, wenn sie mir auch nicht gefiel; kurz, einen immerwährenden Mißbrauch der Vernunft, der mich auf Augenblicke aus den Verwicklungen der meinigen erlöste. Ich war gegen sie alle, bei denen ich Zutritt hatte, galant, ohne es auf eine einzige abgesehen zu haben. Dagegen hatte aber die berühmteste von ihnen ihre Absichten auf mich, die sie bald deutlich werden ließ.
Man nannte sie Olympia. Sie war sechsundzwanzig Jahre alt, sehr schön, talentvoll und geistreich. Sie ließ mich bald die Neigung erkennen, die sie zu mir gefaßt, und, ohne daß ich etwas Ähnliches für sie empfand, warf ich mich ihr an den Hals, um mich gewissermaßen meiner selbst zu entledigen.
Unsere Verbindung nahm einen ziemlich plötzlichen Anfang, und da ich nicht eben besonderen Reiz darin fand, so meinte ich, sie werde auf gleiche Weise endigen, und Olympia, meiner Gleichgültigkeit müde, sich umso eher einen Liebhaber suchen, der ihr mehr Gerechtigkeit widerfahren lasse, als wir ohnedies auf dem Fuße der uneigennützigsten Leidenschaft miteinander standen; aber unser Schicksal hatte anders entschieden. Und es mußte ohne Zweifel zur Züchtigung dieser stolzen, heftigen Frau, und damit ich in Verlegenheiten anderer Art geriete, geschehen, daß sie unbezähmbare Liebe zu mir faßte.
Schon stand es nicht mehr in meinem Willen, des Abends in meine Herberge zurückzukehren, und während des Tages wurde ich von ihren Briefen, Botschaften und Spionen im höchsten Grade belästigt. Man beklagte sich über meine Kälte. Eine Eifersucht, die noch keinen Gegenstand gefunden hatte, hielt sich an alle Frauen, die meine Blicke hätten fesseln können, und würde mich sogar zu Unhöflichkeiten gegen sie genötigt haben, wenn mein Charakter beeinflußbar gewesen wäre. Diese fast unaufhörliche Qual war mir sehr verdrießlich; aber ich mußte mich wohl darein finden. Ich bestrebte mich aufrichtig, Olympia zu lieben, um nur etwas zu lieben und mich von der gefährlichen Neigung, die ich an mir kannte, abzulenken; inzwischen bereitete sich ein lebhafterer Auftritt vor.
Ich wurde in meiner Wohnung, dem Auftrage der Kurtisane gemäß, heimlich beobachtet. »Seit wann«, sagte sie eines Tages zu mir, »haben Sie den schönen Pagen, an dem Sie solchen Anteil nehmen, und den Sie so sehr berücksichtigen, ja, den Sie jedesmal mit den Augen verfolgen, wenn er Sie zu bedienen in Ihr Zimmer tritt? Warum halten Sie ihn so streng verborgen, daß man ihn nirgends in Venedig sieht?«
»Mein Page«, versetzte ich, »ist ein junger Mensch von guter Herkunft, dessen Erziehung mir anvertraut wurde. Er ist ...«
»Er ist«, fiel sie mir mit zornglühenden Blicken in die Rede, »ein Weib! Einer meiner Vertrauten hat ihn durch das Schlüsselloch sich ankleiden sehen ...«
»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß er kein Weib ist.«
»Füge nicht noch eine Lüge zum Verrat. Sie hat geweint; man hat es gesehen; sie ist nicht glücklich. Du verstehst nur die Herzen zu foltern, die sich dir ergeben. Du hast sie betrogen, wie du mich betrügst, und verläßt sie. Schicke das Kind zu den Ihrigen zurück, und wenn deine Verschwendung dich unfähig gemacht hat, gegen sie gerecht und billig zu sein, so will ich es tun, aber ich verlange, daß sie morgen verschwindet ...«
»Olympia,« erwiderte ich so gelassen als ich es vermochte, »ich habe Ihnen beteuert, und ich wiederhole Ihnen und beteure Ihnen nochmals, daß der Page kein Weib ist. Wollte Gott! ...«
»Was sollen diese Lügen und dies: Wollte Gott!? Du Ungeheuer! Schick sie fort, sage ich dir, oder ... Aber ich habe andere Hilfsmittel, ich werde dich entlarven, und wenn du keine Vernunft annehmen willst, so wird sie es tun ...«
Von diesem Strome von Beleidigungen und Drohungen übermannt, aber mir den Anschein gebend, dafür nicht empfindlich zu sein, ging ich, wenn auch spät, nach Hause.
Meine Leute und besonders Biondetta schienen sich über meine Ankunft zu verwundern. Sie zeigte einige Besorgnisse wegen meiner Gesundheit; ich entgegnete, ich befände mich wohl. Ich hatte seit meinem Verhältnisse mit Olympia fast nicht mehr mit Biondetta gesprochen, und dies hatte in ihrem Betragen gegen mich keine Veränderung hervorgerufen, obwohl es sich in ihren Zügen bemerkbar machte. Es drückte sich in ihrem ganzen Gesicht eine gewisse Ermattung und Schwermut aus.
Am nächsten Morgen war ich kaum erwacht, als Biondetta zu mir ins Zimmer trat, einen offenen Brief in der Hand. Sie reichte ihn mir hin und ich lese:
»›An den vermeintlichen Biondetto!
Ich weiß weder, wer Sie, noch weswegen Sie bei Don Alvaro sind, Madame; aber Sie sind jung genug, um entschuldigt, und in so schlechten Händen, um nicht bemitleidet werden zu müssen. Dieser Edelmann wird Ihnen versprochen haben, was er aller Welt verspricht und mir noch alle Tage zuschwört, obschon er entschlossen ist, uns zu verraten. Sind Sie ebenso klug als schön, so werden Sie für einen klugen Rat empfänglich sein. Sie stehen in einem Alter, Madame, in dem Sie noch wieder gutmachen können, was Sie an sich selbst verschuldet haben; ein gefühlvolles Herz bietet Ihnen die Mittel dazu an. Es wird um die Größe des Opfers, das es Ihrer Ruhe zu bringen hat, nicht mit Ihnen markten. Dieses Opfer muß Ihren Verhältnissen, den Opfern, die Sie selbst schon gebracht haben und den Aussichten, die man Ihnen etwa für die Zukunft eröffnet, angemessen sein, so daß Sie seinen Umfang selbst zu bestimmen haben. Sollten Sie aber hartnäckigerweise unglücklich und betrogen bleiben und andere unglücklich machen wollen, so hüten Sie sich vor alledem, was die Verzweiflung an Gewaltätigem einer Nebenbuhlerin eingeben kann. Ich erwarte Ihre Antwort.«
Nachdem ich diesen Brief gelesen hatte, gab ich ihn Biondetta wieder zurück. »Antworten Sie dieser Frau,« sagte ich, »daß sie eine Närrin sei; Sie wissen ja besser als ich, in welchem Grade sie das ist ...«
»Sie kennen sie, Don Alvaro; fürchten Sie nichts von ihr? ...«
»Ich fürchte, daß sie mich noch längere Zeit langweilt, darum verlasse ich sie, und um mich desto sicherer von ihr loszumachen, werde ich noch diesen Morgen ein hübsches Haus mieten, das man mir an der Brenta angeboten hat.« Ich kleidete mich sofort an und ging, den Handel abzuschließen. Unterwegs überdachte ich Olympias Drohungen. »Die arme Närrin!« sprach ich, »will den ...« Ich vermochte, ich wußte nicht wie es kam, durchaus nicht auszusprechen, wen sie töten wollte.
Nach abgemachter Sache kehrte ich heim, aß zu Mittag und beschloß bei mir, im Laufe dieses Tages weiter nicht auszugehen, um nicht von der Macht der Gewohnheit zu der Kurtisane hingezogen zu werden.
Ich nehme ein Buch zur Hand. Unfähig, zu lesen, lege ich es wieder weg. Ich trete ans Fenster, und die Menge und Mannigfaltigkeit der Gegenstände ist mir eher zuwider, als daß sie mich hätte zerstreuen können. Ich messe das Zimmer mit großen Schritten und suche Ruhe des Geistes in fortwährender Bewegung des Körpers.
In diesem unschlüssigen Zustande trete ich von ungefähr in eine finstere Kleiderkammer ein, wo meine Leute verschiedene zu ihrem Dienste gehörige Sachen aufzubewahren pflegten, die nicht gerade bei der Hand sein mußten. Ich war nie darin gewesen, die Dunkelheit des Ortes gefällt mir. Ich setze mich auf einen Koffer und verweile einige Minuten.
In dieser kurzen Zwischenzeit höre ich in einem anstoßenden Gemach Geräusch. Ein matter, mir in die Augen fallender Lichtschimmer zieht mich nach einer ungangbaren Türe hin. Der Schimmer drang durch das Schlüsselloch; ich halte das Auge daran.
Ich sehe Biondetta mit verschränkten Armen ihrem Klavier gegenüber in der Haltung eines Menschen sitzen, der in tiefes Nachdenken versunken ist. Sie bricht das Stillschweigen.
»Biondetta! Biondetta!« spricht sie. »Er nennt mich Biondetta. Das ist das erste und einzige liebkosende Wort, das seinem Munde je entschlüpft.«
Sie schweigt und scheint in ihre Träumereien zurückzusinken. Sie legt endlich die Hände auf das Klavier, das ich sie hatte ausbessern gesehen. Vor ihr auf dem Pult liegt ein zugeschlagenes Buch. Sie präludiert und singt mit halber Stimme, indem sie sich dazu begleitet.
Ich merkte auf der Stelle, daß sie keine bestimmte Komposition sang. Näher hinhorchend, höre ich meinen und Olympias Namen. Sie improvisierte in Prosa über ihre vermeintliche Lage und über die ihrer Nebenbuhlerin, die sie weit glücklicher als die ihrige fand, zuletzt über meine Härte gegen sie und meinen Verdacht, der ein Mißtrauen erzeuge, das mich von meiner Glückseligkeit entferne. Sie würde mich auf die Bahn des Aufstiegs, des Reichtums und des Wissens geleitet und ich auch sie glücklich gemacht haben. »Ach!« sagt sie, »das fällt nun hin. Wenn er mich einmal als das erkennt, was ich bin, werden meine schwachen Reize ihn nicht mehr fesseln; eine andere ...«
Die Leidenschaft riß sie hin und sie schien in Tränen zu ersticken. Sie steht auf, holt ein Schnupftuch, trocknet ihre Tränen und tritt zum Instrument. Sie will sich wieder setzen, und als ob die geringe Höhe des Sitzes ihr vorher zu beschwerlich gefallen, nimmt sie das Notenbuch vom Pult und legt es auf das Taburett, dann setzt sie sich und präludiert von neuem.
Ich nahm alsbald wahr, daß das zweite Musikstück dem erstem nicht ähnelte. Ich erkannte die Melodie einer damals in Venedig sehr beliebten Barkarole. Sie spielte sie zweimal, und darauf sang sie mit festerer und lauterer Stimme die folgenden Worte:
Ach, was muß ich nun erleiden,
Kind der Lüfte, das ich bin,
Das für irdsche Liebesfreuden
Gab das ganze Weltall hin.
Willig hab ich mich begeben
Alles Glanzes, aller Macht,
Als Verschmähte muß ich leben,
Die Livree ist meine Tracht.
Schmeichelt doch dem edlen Pferde
Auch die Hand, die es regiert;
Daß es wohl behütet werde,
Sorgt, wer's bändigt und dressiert.
Mag man es auch immer zwingen,
Zähmen und gar spornen sehr,
Wird es ihm nur Ehre bringen,
Doch Erniedrigung nimmermehr.
Einer Anderen als eigen
Muß Alvaros Herz ich sehn;
Daß dein Kaltsinn mußte weichen;
Sage mir, wie dies geschehn?
Sie nur liebst du treu vor allen,
Ihr vertraust du deine Ruh,
Sie gefällt dir, mir gefallen
Ist allein dein Mißtrau'n zu.
Das ich, ohn' es zu erregen,
Jetzt wie Gift empfinden lern',
Die du scheust, bin ich zugegen,
Die du hassest, bin ich fern.
Leide ich, soll ich betrügen,
Seufze nimmer in der Tat,
Spreche ich, so will ich lügen,
Schweige ich, so ist's Verrat.
Liebe, du bist der Verräter
Und ich büße deine Schuld,
Räche mich früh oder später,
Gib mir wieder seine Huld.
Laß ihn endlich mich erkennen,
Und wie immer es gescheh',
Laß ihn keine Schwäche kennen,
Die er nicht für mich begeh.
Meine Feindin triumphieret,
Und sie gibt mein Schicksal an.
Ach! Ich sehe mich verführet,
Zwischen Tod und zwischen Bann.
Bleib in deinen Banden liegen,
Meines Herzens wilde Pein,
Würde sonst dich Haß bekriegen;
Darum laß uns ruhig sein.
Der Ton ihrer Stimme, der Gesang, der Sinn der Verse, dies alles stürzte mich in eine Verwirrung, die ich nicht beschreiben kann. »Gespenstisches Wesen, verderbliches Blendwerk!« rief ich aus, indem ich mit Ungestüm aus meinem Verstecke floh, wo ich schon zu lange verweilt hatte. Kann man überzeugender die Wahrheit und die Natur vortäuschen? Wie glücklich bin ich, erst heute dieses Schlüsselloch entdeckt zu haben! Wie oft würde ich sonst hierhergekommen sein, mich in Trunkenheit versetzen zu lassen, wieviel würde ich nicht dazu beigetragen haben, mich selbst zu betrügen! Fort von hier, nach der Brenta, schon sobald es Tag wird, nein, noch heute abend!
Ich rufe ohne Zögern einen Bedienten und lasse alles, was ich nötig hatte, die Nacht in meiner neuen Wohnung zuzubringen, in eine Gondel schaffen.
Es würde mir allzu schwer gefallen sein, die Nacht in dem Gasthause zu bleiben. Ich verließ es. Ich ging aufs Geratewohl in der Stadt umher. Beim Umschreiten einer Straßenecke glaubte ich jenen Bernadillo, der Soberano auf unserm Spaziergange nach Portici begleitete, in ein Kaffeehaus gehen zu sehen. »Ein neues Gespenst!« sage ich; »sie verfolgen mich.« Ich bestieg meine Gondel und durchfuhr ganz Venedig, von Kanal zu Kanal. Es war elf Uhr, als ich zurückkehrte. Ich wollte nach der Brenta aufbrechen; da aber meine ermüdeten Gondeliere mir den Dienst verweigerten, sah ich mich genötigt, andere holen zu lassen. Sie kamen, und meine von meinem Plan im voraus unterrichteten Leute stiegen, mit ihren eigenen Sachen bepackt, vor mir in die Gondel. Biondetta folgte hinter mir drein.
Kaum habe ich den andern Fuß in den Kahn nachgezogen, als mich ein Schrei veranlaßt, mich umzuwenden. Eine Maske erdolcht Biondetta, »Du entreißt ihn mir; stirb, stirb, verhaßte Nebenbuhlerin!«
Die Tat geschah so schnell, daß einer der Gondeliere, der am Ufer zurückgeblieben war, sie nicht hatte verhindern können. Er wollte über den Mörder herfallen und ihm mit der Fackel ins Gesicht schlagen, aber ein anderer Verlarvter springt hinzu und stößt ihn mit einer drohenden Gebärde, mit einem Ausruf zurück, an dem ich Bernadillos Stimme wiederzuerkennen meinte.
Wie ein Sinnloser stürze ich wieder aus der Gondel. Die Mörder sind verschwunden. Beim Schein der Fackel erblicke ich Biondetta, bleich, in ihrem Blute gebadet, sterbend.
Mein Zustand läßt sich nicht schildern. Ich bin unfähig, etwas zu denken; ich sehe nur noch ein angebetetes Weib, das Opfer einer sinnlosen Eifersucht und meiner eitlen unerhörten Sorglosigkeit geworden, dem ich die grausamsten Kränkungen bereitet habe. Ich werfe mich über sie. Ich rufe sogleich nach Hilfe und nach Rache. Ein von dem Lärm herbeigelockter Wundarzt tritt heran. Ich lasse die Verwundete auf mein Zimmer schaffen, und in der Besorgnis, daß man nicht behutsam genug mit ihr umgehe, trage ich ihre Last zur Hälfte selbst.
Als man sie entkleidet hatte und ich den schönen, blutigen Leib von zwei so ungeheuren Wunden getroffen sah, die beide bis an die Quellen ihres Lebens gedrungen zu sein schienen, sprach und beging ich tausend Unsinnigkeiten.
Biondetta, die man für bewußtlos hielt, konnte sie nicht vernehmen; aber der Wirt und seine Leute, der Wundarzt und zwei herbeigeholte Ärzte waren der Meinung, es dürfe der Verwundeten gefährlich werden, mich bei ihr zu dulden. Man entfernte mich aus dem Zimmer und ließ meine Leute bei mir; da aber einer von ihnen die Ungeschicklichkeit beging, mir zu sagen, die Ärzte hätten die Wunden für tödlich erklärt, brach ich in schmerzliches Wehklagen aus.
Von meiner Erregung schließlich erschöpft, versank ich in einen Zustand, der endlich in Schlummer überging.
Ich glaubte, meine Mutter im Traume zu sehen, ich erzählte ihr mein Abenteuer, und um es ihr anschaulicher zu machen, führte ich sie nach den Ruinen von Portici.
»Nicht dahin, mein Sohn!« sprach sie zu mir, »du bist in einer offenen Gefahr.« Als wir nun durch einen Engpaß kamen, in dem ich getrost voranschritt, stieß mich plötzlich eine Hand in einen Abgrund; ich erkannte sie, es war Biondettas Hand. Ich fiel, eine andere Hand zieht mich zurück, und ich befinde mich in den Armen meiner Mutter. Ich wache, noch vor Schrecken keuchend, auf. »Geliebte Mutter!« rief ich aus, »du verlässest mich nicht, nicht einmal im Traume. Biondetta, du willst mich verderben?« Aber dieser Traum ist die Wirkung meiner aufgeregten Phantasie. Ach! Hinweg mit solchen Gedanken, die mich gegen die Dankbarkeit und Menschlichkeit würden sündigen lassen.
Ich rufe einen Bedienten und bestürme ihn mit Fragen. Zwei Wundärzte wachen; man hat viel Blut abgelassen, man fürchtet das Fieber.
Am andern Morgen, nachdem man den Verband abgenommen, erklärte man, die Wunden seien nur ihrer Tiefe wegen gefährlich; aber das Fieber kehrt zurück, nimmt zu, und man muß die Kranke durch neue Aderlässe erschöpfen.
Ich bat so dringend, eingelassen zu werden, daß man meinem Ersuchen nicht widerstehen konnte.
Biondetta phantasierte und wiederholte unaufhörlich meinen Namen. Ich sah sie an; sie war mir noch nie so schön erschienen.
»Das also«, sagte ich zu mir, »hielt ich für ein glänzendes Phantom, für ein Dunstgebilde, nur dazu da, meine Sinne zu verblenden? Sie lebte wie ich, und verliert ihr Leben, weil ich nicht auf sie habe hören wollen, weil ich sie willkürlich preisgegeben. Ich bin ein Tiger, ein Ungeheuer! Wenn du stirbst, liebenswürdigstes Wesen, dessen Wert ich so ungerechterweise verkannt habe, so mag ich dich nicht überleben. Ich werde dir in den Tod folgen, nachdem ich dir auf deinem Grabe die grausame Olympia geopfert! Wirst du mir wiedergegeben, so bin ich der Deine; ich werde deine Wohltaten erkennen, deine Tugenden, deine Geduld krönen, ich vereinige mich dir mit unauflöslichen Banden und erfülle meine Pflicht, dich glücklich zu machen, indem ich dir alle meine Gefühle, ja meinen Willen blind ergebe.«
Ich mag nicht die mühsamen Anstrengungen der Kunst und Natur schildern, einen Körper ins Leben zurückzurufen, der den für ihn aufgebotenen Hilfsmitteln zu erliegen schien.
Einundzwanzig Tage vergingen, während man zwischen Furcht und Hoffnung schwankte; endlich verminderte sich das Fieber und schien es, als gewänne die Kranke ihre Besinnung wieder.
Ich nannte sie meine liebe Biondetta, sie drückte mir die Hand. Von diesem Augenblicke an erkannte sie alles, was sie umgab. Ich saß an ihrem Kopfkissen: ihre Augen richteten sich auf mich; die meinen waren voll Tränen. Ich vermag den Liebreiz, den Ausdruck ihres Lächelns, als sie mich ansah, nicht zu beschreiben. »Liebe Biondetta!« sprach sie, »ich bin Alvaros, liebe Biondetta.« Sie wollte mehr sagen, man nötigte mich abermals, mich zu entfernen.
Ich zog vor, in ihrem Zimmer an einer Stelle zu bleiben, wo sie mich nicht sehen konnte. Man erlaubte mir endlich, wieder näherzutreten. »Biondetta!« sagte ich, »ich lasse die Mörder verfolgen.«
»Ach! schonen Sie sie,« entgegnete sie, »sie haben mich glücklich gemacht Wenn ich sterbe, ist's für Sie; lebe ich, so ist's um Sie zu lieben.«
Ich habe Grund, die zärtlichen Auftritte nicht weiter auszumalen, die zwischen uns stattfanden, bis die Ärzte mir versicherten, ich dürfe Biondetta an das Ufer der Brenta bringen lassen, wo die Luft geeigneter sein werde, ihre Kräfte wiederherzustellen. Wir schlugen dort unsere Wohnung auf. Ich hatte ihr, nachdem ihr Geschlecht, durch die Notwendigkeit ihre Wunden zu verbinden, erkannt worden war, zwei Zofen zu ihrer Bedienung gegeben. Ich ließ es ihr an nichts fehlen, was zu ihrer Bequemlichkeit dienen konnte, und beschäftigte mich nur damit, ihr hilfreich zu sein, sie zu unterhalten und ihr zu gefallen.
Ihre Kraft mehrte sich zusehends und ihre Schönheit schien Tag für Tag an Glanz zu gewinnen. Endlich, als ich glaubte, sie werde ein längeres Gespräch ohne Nachteil für, ihre Gesundheit ertragen können, sagte ich zu ihr: »Oh, Biondetta! ich bin von Liebe erfüllt, versichert, daß Sie kein gespenstisches Wesen sind, überzeugt, daß Sie mich trotz meines bisherigen empörenden Betragens gegen Sie lieben. Aber Sie wissen, ob ich Grund für meine Zweifel hatte. Enthüllen Sie mir das Geheimnis der seltsamen Erscheinung, die meine Blicke in dem Gewölbe von Portici traf. Woher und wohin kamen jenes widerwärtige Scheusal, jenes kleine Hündchen, die vor Ihnen da waren? Wie und warum erschienen Sie an deren Stelle, um bei mir zu verweilen? Geben Sie meinem Herzen, das Ihnen ganz gehört und sich Ihnen für das ganze Leben ergeben will, vollends seine Ruhe wieder!«
»Alvaro,« antwortete Biondetta, »jene Nekromanten, die über Ihre Verwegenheit erstaunt waren, wollten sich mit Ihrer Demütigung eine Kurzweil machen und Ihr Entsetzen dazu benutzen, Sie zum elenden Sklaven ihres Willen herabzuwürdigen. Sie setzten Sie dem höchsten Schrecknis aus, indem sie Sie anreizten, den mächtigsten und furchtbarsten aller Geister zu beschwören. Und mit Hilfe jener Geister, deren Kategorie ihnen unterworfen ist, machten sie Sie zum Zeugen eines Schauspiels, das Sie durch Entsetzen getötet haben würde, hätte nicht die innere Kraft Ihrer Seele den listigen Anschlag Ihrer Kameraden gegen diese selbst sich wenden lassen.
Sowie die Sylphen, die Salamander, die Gnomen, die Undinen Ihre heldenmütige Haltung wahrnahmen, beschlossen sie, von Ihrem Mute entzückt, Ihnen allen Vorteil über Ihre Feinde einzuräumen. Ich bin ursprünglich eine Sylphide, und zwar eine der angesehensten. Ich erschien in Gestalt des kleinen Hündchens und empfing Ihre Befehle, und darauf bestrebten wir uns um die Wette, denselben nachzukommen. Je gebieterischer, entschlossener und unbefangener, je mehr mit uns einverstanden Sie über uns verfügten, desto mehr erhöhte sich unsere Bewunderung vor Ihnen und unser Eifer. Sie geboten mir, Sie als Page zu bedienen und als Sängerin zu vergnügen. Ich gehorchte mit Freuden und fand in meiner Unterwerfung einen solchen Reiz, daß ich beschloß, mich Ihnen für alle Zeit zu widmen. Entscheide jetzt, sagte ich zu mir selbst, dein Glück und dein Geschick. In dem öden Luftraume einem notwendigen steten Wechsel hingegeben, ohne Empfindungen, ohne Genüsse, eine Sklavin der Beschwörungen der Kabbalisten, ein Spielball ihrer Launen und demnach in deinem ganzen Wesen und Wissen beschränkt, kannst du da noch einen Augenblick über die Wahl der Mittel unschlüssig sein, deinem Dasein einen höheren Wert zu verleihen? Es ist uns erlaubt, uns zu verkörpern, um uns dadurch zu weisen Menschen zu gesellen; hier ist ihrer einer. Ich will mit dieser freiwilligen Verwandlung auf das natürliche Recht der Sylphiden und auf die Gemeinschaft mit meinesgleichen verzichten, und mir also das Glück erwerben, zu heben und geliebt zu werden, indem ich nichts bin, als nur ein Weib. Meinem Überwinder dienend, will ich ihn die ganze ihm noch unbewußte Erhabenheit seiner Natur erkennen lassen und er wird uns mit den Elementen, deren Gebiet ich verlassen habe, die Geister aller Sphären unterwerfen. Er ist dazu geschaffen, König der Welt zu sein, und ich werde die Königin, seine von ihm angebetete Königin sein. Diese Betrachtungen, die in einem mit Organen nicht beschwerten Wesen schneller, als Sie glauben können, aufeinanderfolgten, bewirkten auf der Stelle meinen Entschluß. Ich nahm einen mir äußerlich gleichenden weiblichen Körper an, um ihn nur mit meinem Leben wieder zu verlassen. Sobald ich mich verkörpert hatte, Alvaro, erkannte ich, daß ich ein Herz besaß. Ich bewunderte, ich liebte Sie; aber was wurde aus mir, als ich in Ihnen nur Abneigung und Haß antraf! Ich konnte mich nicht zurückverwandeln, ja, nicht einmal bereuen. Allen Unfällen unterworfen, die Geschöpfe Ihrer Art betreffen, von dem Unwillen der Geister, von dem unversöhnlichen Hasse der Nekromanten verfolgt, war ich ohne Ihren Schutz das unglücklichste Wesen unter der Sonne. Was sage ich! Ich würde es ja ohne Ihre Liebe noch immer sein. Die tausendfältige Anmut und Holdseligkeit, die ihre Gesichtszüge und Gebärden, die der Ton ihrer Stimme dabei ausdrückte, unterstützte das Blendwerk dieser anziehenden Mitteilung. Ich begriff nichts von dem, was ich hörte. Aber was war denn überhaupt Begreifliches an meinem Abenteuer? Es kommt mir alles wie ein Traum vor, sprach ich zu mir, doch, was ist das ganze menschliche Leben anders als ein Traum? Ich träume nur ungewöhnlicher als ein anderer, das ist alles. Ich habe es mit meinen Augen gesehen, wie sie, fast an den Pforten des Todes und Erschöpfung und Schmerzen jeglicher Art erleidend, von der Kunst alle Hilfe empfing.
Der Mann wurde aus ein wenig Staub und Wasser geschaffen. Warum sollte ein Weib nicht aus Tau, Dünsten der Erde und Lichtstrahlen, aus verdichteten Regenbogenteilchen entstehen? Wo ist das Mögliche, wo das Unmögliche?
Das Ergebnis meiner Betrachtungen war, daß ich mich meiner Neigung noch mehr hingab, indem ich meine Vernunft zu beraten suchte. Ich überschüttete Biondetta mit Aufmerksamkeiten und unschuldigen Liebkosungen. Sie überließ sich ihnen mit einer Unbefangenheit, die mich bezauberte, und mit jener natürlichen Verschämtheit, die ebensowenig aus Furcht, wie aus Absieht entspringt.
Ein Monat war mir in Genüssen vergangen, die mich trunken gemacht hatten. Die völlig wiederhergestellte Biondetta konnte mich auf allen Spaziergängen begleiten. Ich hatte ihr ein Amazonenkleid machen lassen, und in diesem Kostüm, zu dem sie einen großen Federhut trug, zog sie die Blicke aller auf sich, so daß wir uns niemals öffentlich zeigten, ohne daß mein Glück der Gegenstand des Neides all jener wurde, die an schönen Tagen die reizenden Ufer der Brenta bevölkerten. Ja, die Frauen sogar schienen in bezug auf Biondetta die Eifersucht aufgegeben zu haben, deren man sie beschuldigt, und entweder von ihrer unverkennbaren Überlegenheit überwunden oder von ihrem Anstande entwaffnet zu sein, der da eine so gänzliche Unbewußtheit ihrer Vorzüge kundgab.
Aller Welt als der begünstigte Liebhaber eines so hinreißenden Wesens bekannt, wurde ich bald ebenso stolz als verliebt, und noch übermütiger, wenn ich mir mit dem Gedanken an ihren glänzenden Ursprung schmeichelte.
Ich konnte nicht bezweifeln, daß sie die seltensten Kenntnisse besaß, und mit Recht durfte ich vermuten, daß es ihre Absicht war, mich damit auszustatten, aber dennoch sprach sie mit mir nur von gewöhnlichen Dingen und schien jenen andern Punkt ganz aus den Augen verloren zu haben.
»Biondetta,« sagte ich eines Abends zu ihr, da wir auf der Terrasse meines Gartens lustwandelten, »als Ihre, meinerseits nur allzuwenig verdiente Neigung zu mir Sie bewog, Ihr Schicksal mit dem meinigen zu verbinden, versprachen Sie, mich Ihrer würdig zu machen, indem Sie mir Kenntnisse mitteilten, die nicht für jedermann bestimmt seien. Scheine ich Ihnen nun Ihre Aufmerksamkeit nicht mehr zu verdienen? Muß nicht eine so zärtliche, so zarte Liebe wie die Ihrige verlangen, ihren Gegenstand geadelt zu sehen?«
»Oh, Alvaro!« antwortete sie, »ich bin seit sechs Monden Weib und es ist mir, als sei meine Leidenschaft noch keinen Tag alt. Verzeihen Sie mir, wenn die süßeste aller Regungen ein Herz trunken macht, das noch niemals zuvor etwas empfunden. Ich wollte, ich könnte Sie lehren, zu lieben wie ich; so würden Sie schon allein durch dieses Gefühl über ihresgleichen erhoben werden; aber ich weiß, der menschliche Hochmut strebt nach anderen Genüssen. Eine natürliche Ungeduld erlaubt ihm nicht, ein Glück zu ergreifen, wofern es ihm nicht die Aussicht auf ein viel größeres eröffnet. Ja, ich werde Sie unterrichten, Alvaro! Ich vergesse mit Freuden meinen Vorteil. Er will es, da ich meine Größe in der Ihrigen wiederfinden muß. Aber es ist nicht genug, daß Sie mir versprechen, mir anzugehören, Sie müssen sich mir ohne Einschränkung und für immerdar ergeben.
Wir saßen auf einer Rasenbank, unter einem Laubendach von Geißblatt, im entlegensten Teile des Gartens; ich warf mich vor ihr nieder. »Liebe Biondetta!« sprach ich zu ihr, »ich gelobe Ihnen unverbrüchliche Treue!«
»Nein,« sagte sie, »Sie kennen mich nicht, Sie kennen sich nicht: Sie müssen sich mir gänzlich hingeben. Das allein kann mich beruhigen und mir genügen.«
Ich küßte ihr die Hand mit Entzücken und verstärkte meine Schwüre; sie hielt mir ihre Besorgnisse entgegen. Im Feuer des Gesprächs neigen sich unsere Köpfe zueinander, treffen sich unsere Lippen ... In diesem Augenblick fühle ich mich am Rockschoße erfaßt und mit einer seltsamen Kraft geschüttelt ...
Es war mein Hund, ein kleiner Däne, den ich geschenkt erhalten hatte. Ich ließ ihn alle Tage mit meinem Schnupftuch spielen. Weil er am vergangenen Abend aus dem Hause entlaufen war, hatte ich ihn, um es zum zweiten Male zu verhüten, anbinden lassen. Er hatte seine Bande zernagt und mich ausgespürt, wo er mich dann am Rock zupfte, um mir seine Freude zu bezeigen, und mich neckte. Ich mochte ihn mit Geste und Zuruf wegscheuchen wie ich wollte, es war nicht möglich, ihn zu entfernen: er sprang und bellte solange um mich herum, bis ich, seiner Zudringlichkeit müde, ihn beim Halsband faßte und ins Haus zurückführte. Als ich wieder zu Biondetta in die Laube kam, folgte mir ein Diener fast auf dem Fuße nach und meldete, daß angerichtet sei, worauf wir uns zu Tisch setzten. Biondetta hätte können dabei verlegen scheinen. Glücklicherweise waren wir nicht allein, ein junger Nobile brachte den Abend mit uns zu.
Am nächsten Morgen begab ich mich zu Biondetta, fest entschlossen, ihr mitzuteilen, welche ernstlichen Betrachtungen ich über Nacht angestellt hatte. Sie lag noch zu Bett, und ich setzte mich neben sie. »Wir waren gestern nahe daran,« sagte ich, »eine Torheit zu begehen, die mich mein ganzes Leben lang gereut haben würde. Meine Mutter verlangt durchaus, daß ich mich verheirate. Ich vermöchte keiner andern als Ihnen anzugehören und kann doch auch keine ernste Verbindung ohne mütterlichen Rat eingehen. Ich betrachte Sie schon als meine Gattin, liebe Biondetta, und es ist also meine Pflicht, Sie zu achten.«
»Muß ich Sie denn etwa nicht ebenfalls achten, Alvaro? Aber wenn dieses Gefühl das Gift der Liebe wäre? ...«
»Sorgen Sie nicht,« versetzte ich, »es ist ihre Würze ...« »Eine schöne Würze, die Sie so kalt wie Eis wieder zu mir kommen läßt und mich selbst versteinert. Ach, Alvaro, Alvaro! Ich kenne glücklicherweise weder Vernunft noch Rücksichten, habe weder Vater noch Mutter, und will von ganzem Herzen ohne solche Würze lieben. Sie haben Pflichten gegen Ihre Mutter zu erfüllen, das ist natürlich; aber es ist schon genug, daß ihre Zustimmung die Vereinigung unserer Herzen bestätige, weshalb muß sie ihr vorangehen? Die Vorurteile sind euch aus Mangel an Einsicht angeboren und ihr mögt nun richtig oder unrichtig folgern, so gestalten sie euer Betragen ebenso folgewidrig wie verwunderlich. Während ihr wahrhaften Pflichten unterworfen seid, legt ihr euch deren auf, die, wo nicht unmöglich, so doch unnütz zu erfüllen sind, und wollt euch kurz und gut in der Erstrebung eines Gegenstandes von dem rechten Weg entfernen, wo der Besitz euch als das wünschenswerteste erscheint.
Unsere Verbindung, unser Verhältnis zueinander wird von eines andern Willkür abhängig gemacht. Wer weiß, ob Donna Mencia finden wird, daß ich von genügend gutem Hause sei, um in die Familie der Maravillas aufgenommen zu werden? Und ich sollte mich vielleicht abgewiesen sehen? Oder anstatt, daß Sie selbst sich mir hingeben, Sie ihr zu verdanken haben? Ist dies ein zu hoher Wissenschaft berufener Mann, der mit mir spricht, oder ein erst aus dem Gebirge von Estremadura kommender Knabe? Und habe ich etwa kein Zartgefühl, da das anderer um soviel mehr als das meinige geschont wird? Alvaro! Alvaro! Man rühmt die Liebe der Spanier; aber Sie zeigen zu jeder Zeit mehr Stolz und trotziges Wesen als Liebe.«
Ich hatte Auftritte erlebt, die außerordentlich genug waren; auf einen solchen konnte ich nicht vorbereitet sein. Ich wollte meine Rücksicht auf meine Mutter entschuldigen; die Pflicht schriebe sie mir vor, und noch vielmehr Dankbarkeit und Anhänglichkeit. Aber ich wurde nicht gehört. »Ich bin nicht umsonst ein Weib geworden, Alvaro: Sie verdanken mich mir, ich will Sie Ihnen verdanken. Donna Mencia mag nachher ihre Zustimmung versagen, wenn sie eine Törin ist. Sprechen Sie mir nicht mehr davon! Seitdem Sie mich und sich und alle Welt achten, werde ich noch unglücklicher als ich war, da Sie mich haßten.« Und damit fing sie zu schluchzen an.
Glücklicherweise bin ich stolz, und dies Gefühl bewahrte mich vor der Schwäche, die mich verleiten wollte, Biondetta zu Füßen zufallen, um womöglich ihren unvernünftigen Zorn zu beschwichtigen und die Tränen zu stillen, deren bloßer Anblick mich in Verzweiflung stürzte. Ich verließ sie und ging in mein Kabinett. Hätte mich einer darin angekettet, so würde er mir einen Dienst geleistet haben. Zuletzt lief ich zu meiner Gondel, weil ich den Ausgang des Kampfes fürchtete, den ich bestand: eine von Biondettas Frauen begegnete mir unterwegs. »Ich fahre nach Venedig,« sagte ich. »Meine Anwesenheit dort ist in dem gerichtlichen Verfahren nötig, das ich gegen Olympia eingeleitet habe.« Und sogleich fahre ich ab, der peinlichsten Unruhe preisgegeben, und mit Biondetta, noch mehr aber mit mir selbst unzufrieden, weil ich erkennen mußte, daß mir nur erniedrigende und verzweifelte Auswege übrig blieben.
Ich komme zur Stadt und halte am ersten Aussteigeplatz an. Ich durchlaufe ganz verstört alle Straßen, die mir im Wege liegen, und bemerke nicht, daß ein furchtbares Unwetter auf mich einzubrechen droht und daß ich Ursache habe, mich nach einem Obdach umzusehen.
Es war eben Mitte Juli. Bald wurde ich von einem Regengusse überrascht, der mit Hagel vermischt herabstürzte.
Ich sehe vor mir eine Tür offen stehen; es war die Kirchenpforte des großen Franziskanerklosters; und ich flüchtete mich da hinein.
Mein erster Gedanke war, daß es eines solchen Unfalles bedurft hatte, um mich zum ersten Male seit meinem Aufenthalt auf dem Gebiete der Republik wieder in eine Kirche zu führen, der nächste, daß ich mich wegen dieses gänzlichen Vergessens meiner Pflichten vor mir selbst rechtfertigte.
Um kurz zu sein, meinen Gedanken zu entfliehen, betrachtete ich die Gemälde und Denkmäler, die in dieser Kirche aufgestellt sind: eine Art Entdeckungsreise, die ich rings um Schiff und Chor herum mache. So gelangte ich endlich in eine tiefe, von einer Ampel erhellte Kapelle, in die kein Tageslicht dringen kann, meine Blicke stoßen auf etwas, das sich aus dem Hintergrunde der Kapelle hervorhebt; es war ein Denkmal.
Zwei Genien senkten eine weibliche Figur in ein Grab von schwarzen Marmor, zwei andere Genien daneben vergossen Tränen. Die Figuren waren von weißem Marmor und ihr von dem Kontrast erhöhter Glanz schien, im Zurückstrahlen des schwachen Ampelschimmers, sie mit mattem Tag zu umgeben und die Tiefe der Kapelle mit sanftem Licht zu füllen.
Ich trat näher und betrachtete die Figuren; sie scheinen mir von schönstem Ebenmaße, voll Ausdruck und von hoher Vollendung zu sein. Ich richte mein Auge auf den Kopf der Hauptfigur. Wie wird mir? Ich glaube das Bildnis meiner Mutter zu sehen. Lebhafter, inniger Schmerz, heilige Ehrfurcht ergreifen mich. Oh, meine Mutter! Soll ich also durch diesen kalten Stein, der deine teuren Züge entliehen hat, daran gemahnt werden, daß meine geringe Zärtlichkeit gegen dich und mein ausschweifender Lebenswandel dich ins Grab stürzen werden? Oh, du würdigste aller Frauen! So verirrt auch dein Alvaro ist, hat er dir dennoch deine Gewalt über sein Herz nicht entzogen. Ehe er dir den Gehorsam kündigt, den er dir schuldig ist, würde er lieber tausendmal sterben: zum Zeugen dessen ruft er diesen unempfindlichen Marmor an. Ach! ich werde von der allergrausamsten Leidenschaft verzehrt, und es ist mir ferner unmöglich, sie zu beherrschen. Du sprichst hier zu meinen Augen: Sprich, oh, sprich zu meinem Herzen! Und wenn ich sie herausreißen soll, so lehre mich es vollbringen, ohne daß es mir das Leben kostet.
Während ich diese dringende Beschwörung mit Kraft aussprach, hatte ich mich mit dem Antlitz zu Boden geworfen und erwartete in dieser Lage die Antwort, die ich in meiner Ekstase fast gewiß war, zu empfangen.
Ich bedenke jetzt, was ich damals nicht imstande war zu tun, daß wir zu allen Zeiten, wo wir einer außerordentlichen Hilfe bedürfen, um unser Tun und Lassen zu bestimmen, sie nur mit rechter Innigkeit ansprechen müssen, weil wir dann auch für den Fall, daß wir nicht erhört werden, doch wenigstens, indem wir uns sammeln, den Vorteil genießen, alle Hilfsquellen unserer eigenen Klugheit geltend zu machen. Ich hätte verdient, von der meinigen im Stiche gelassen zu werden, und sie gab mir diesen Rat: du mußt die Erfüllung einer Pflicht und einen beträchtlichen Raum zwischen deine Leidenschaft und dich schieben: so werden dich die Ereignisse aufklären.
»Wohlan!« sprach ich, mich rasch erhebend, »ich will mein Herz meiner Mutter erschließen und mich noch einmal zu dieser geliebten Zufluchtsstätte retten.«
Ich begebe mich zu meinem gewohnten Gasthause, treibe einen Wagen auf, und schlage, ohne mich mit Gepäck zu beschweren, die Straße nach Turin ein, um durch Frankreich nach Spanien zu reisen. Zuvor aber füge ich zu einer Anweisung von dreihundert Zechinen auf die Bank den nachstehenden Brief:
»An meine geliebte Biondetta!
Ich entreiße mich Ebnen, meine Teuerste! und würde mich damit dem Leben entreißen, wenn nicht die Hoffnung baldigster Rückkehr mein Herz tröstete. Ich besuche meine Mutter; von Ihrem holdseligen Bilde beseelt, werde ich sie überreden, und mit ihrer Zustimmung sodann wiederkehren, um eine Verbindung einzugehen, in der mein ganzes Glück beruht. Zufrieden, meine Pflicht erfüllt zu haben, ehe ich mich der Liebe gänzlich hingegeben, werde ich mein ganzes übriges Leben Ihnen widmen. Sie werden einen Spanier kennen lernen, meine Biondetta; Sie werden aus seinem Betragen entnehmen, daß, wenn er den Forderungen der Ehre und des Blutes genügt, er doch auch ebenso andere Verpflichtungen zu erfüllen versteht. Wenn Sie die guten Folgen seiner Vorurteile sehen, werden Sie das Gefühl, welches ihn damit verknüpft, nicht Stolz nennen. Ich kann an Ihrer Liebe nicht zweifeln; sie hatte mir einen unbedingten Gehorsam zugesagt. Ich werde sie noch vollkommener aus dieser kleinen Nachgiebigkeit gegen Absichten erkennen, die nichts anderes zum Gegenstande haben, als unsere gemeinsame Glückseligkeit. Ich sende Ihnen beiliegend, was etwa zum Unterhalt unseres Hauswesens erforderlich ist, und werde Ihnen ferner aus Spanien zukommen lassen, was ich Ihnen nur Ihrer irgend Würdiges bieten kann, bis daß die leidenschaftlichste Zärtlichkeit auf der Welt Ihnen für immer Ihren Sklaven wiedergibt.«
Ich befand mich auf dem Wege nach Estremadura. Es war eben die schönste Jahreszeit und alles schien meiner ungeduldigen Sehnsucht nach dem Wiederanblick meines Vaterlandes entgegenzukommen. Ich entdeckte schon die Türme von Turin, als eine übelzugerichtete Postchaise meinen Wagen überholt, anhält und mich hinter ihrem Schlage eine Dame sehen läßt, die mir ein Zeichen gibt und sich anschickt, herauszuspringen.
Mein Postillon hält von selbst an; ich steige aus und halte Biondetta in meinen Armen, in denen sie ohnmächtig und bewußtlos liegen bleibt. Sie hatte nur die wenigen Worte stammeln können: »Alvaro, Sie haben mich verlassen!«
Ich trage sie in meine Chaise, den einzigen Ort, wo ich sie bequem niederlassen konnte, da sie zum Glück zweisitzig war. Ich tue mein Möglichstes, ihr das Atmen zu erleichtern, indem ich sie von den Kleidungsstücken befreie, die sie daran hindern, und indem ich sie so in meinen Armen halte, setze ich meinen Weg in einem Zustande fort, den man sich vorstellen kann.
Wir halten in dem ersten Gasthause, das einiges Ansehen hat; ich lasse Biondetta in das beste Zimmer tragen, lasse sie auf ein Bett bringen und setze mich neben sie. Ich hatte allerlei Elixiere herbeibringen lassen, die geeignet waren, eine Ohnmacht zu heben. Endlich schlägt sie die Augen auf.
»Man hat noch einmal meinen Tod gewollt,« spricht sie, »dem soll genügt werden.« »Wie ungerecht!« erwiderte ich, »eine Laune hält Sie ab, überlegte und notwendige Schritte von meiner Seite zu billigen. Ich laufe Gefahr, meine Pflicht zu verletzen, wenn ich nicht stark genug bin, Ihnen zu widerstehen, und setze mich damit Unannehmlichkeiten und Gewissensbissen aus, die die Ruhe unserer Verbindung beeinträchtigen würden. Ich entschließe mich zur Flucht, um die Einwilligung meiner Mutter einzuholen ...«
»Und warum lassen Sie mich Ihren Willen nicht wissen, Grausamer? Bin ich nicht dazu geschaffen, Ihnen zu gehorchen? Ich würde Sie begleitet haben. Aber mich allein und schutzlos zurückzulassen, mich der Rache der Feinde preiszugeben, die ich mir um Ihretwillen gemacht, mich den demütigendsten Kränkungen durch Ihre Schuld ausgesetzt zu sehen ...«
»Erklären Sie sich, Biondetta; sollte jemand gewagt haben? ...«
»Und was hätte er denn bei einem armen Geschöpfe meiner Art zu wagen, das ohne Heimat, Freund und Herrn ist! Der verruchte Bernadillo war uns von Venedig gefolgt; zwar ist er ohnmächtig gegen mich, seitdem ich Ihnen angehöre, aber imstande, meine Diener zu beunruhigen; kaum sind Sie also verschwunden und hat er Sie nicht mehr zu fürchten, als er Ihr Haus an der Brenta von Trugbildern, die er hervorgerufen hat, belagern läßt. Meine erschreckten Zofen verlassen mich. Einem allgemeinen Gerüchte nach, das viele Briefe bestätigen, hat ein Kobold einen Kapitän von der Garde des Königs von Neapel nach Venedig entführt. Man versichert, ich sei der Kobold und das wird fast von allen Anzeichen erwiesen. Jedermann geht mir mit Entsetzen aus dem Wege. Ich flehe um Hilfe und Mitleid, ich finde es nicht. Zuletzt verschafft mir Gold, was man der Menschlichkeit vorenthalten hat. Man verkauft mir zu hohem Preise eine schlechte Chaise, ich finde Wegweiser, Postillone; ich folge Ihnen ...«
Meine Festigkeit wäre durch die Erzählung von Biondettas Unfällen beinahe erschüttert worden.
»Ich konnte Ereignisse solcher Art nicht vorhersehen,« sagte ich zu ihr. »Ich hatte bemerkt, daß alle Bewohner der Ufer der Brenta Ihnen mit Achtung und Aufmerksamkeit begegneten, die Ihnen so wohlerworben zu sein schien. Wie konnte ich denken, daß man sie Ihnen in meiner Abwesenheit streitig machen würde? O Biondetta! Sie sind so weitblickend: konnten Sie nicht voraussehen, daß Sie mich zu verzweifelten Entschlüssen treiben mußten, indem Sie so vernünftigen Absichten, wie den meinigen, entgegenhandelten? Warum ...?«
»Kann man es denn immer über sich gewinnen, nicht zu widersprechen? Ich bin zwar ein Weib aus eigener Wahl, Alvaro, aber doch immer ein Weib, dem ausgesetzt, für alle Eindrücke empfänglich zu sein; ich bin nicht von Marmor. Ich habe zu der Bildung meines Körpers zwischen den Zonen den Urstoff ausgewählt, der sehr leicht erregbar ist; wäre er es nicht, so würde ich des Gefühls ermangeln und Ihnen gleichgültig sein, indem Sie mir keines einflößten. Vergeben Sie mir, daß ich es habe darauf ankommen lassen, mit meiner Gestalt zugleich alle Unvollkommenheiten meines Geschlechts anzunehmen, um nach Möglichkeit alle Reize desselben in mir zu vereinigen. Aber die Torheit ist geschehen, und einmal so beschaffen, wie ich gegenwärtig bin, sind meine Empfindungen von einer Lebhaftigkeit, der nichts zu vergleichen: mein Temperament ist ein Vulkan. Ich besitze Leidenschaften, deren Heftigkeit Sie allerdings erschrecken dürfte, wenn Sie nicht eben der Gegenstand der allerungestümsten wären, und wenn wir uns nicht besser auf die Prinzipien und Wirkungen solch natürlicher Regungen verständen, als man dieselben in Salamanka studiert. Man gibt ihnen da gehässige Namen, spricht wenigstens davon, sie zu ersticken. Eine himmlische Flamme zu ersticken, die einzige Schwungkraft, vermöge der Seele und Körper wechselseitig aufeinander einwirken und sich nötigen können, die erforderliche Verbindung zwischen sich aufrecht zu erhalten! Das ist sehr unverständlich, mein lieber Alvaro. Man muß wohl diese Regungen lenken, aber ihnen auch zuweilen nachgeben; wenn man sie durchkreuzt, wenn man sie zur Empörung treibt, entfliehen sie alle miteinander, so daß dann die Vernunft nicht mehr weiß, wo sie sich festsetzen soll, um zu herrschen. Schonen Sie mich in diesen Augenblicken, Alvaro; ich bin erst sechs Monate alt, und von allem, was ich empfinde, enthusiasmiert. Bedenken Sie, daß eine abschlägige Antwort, ein einziges Wort, das Sie mir unbedachterweise sagen, die Liebe kränkt, den Stolz empört, Verdruß, Mißtrauen, Furcht erweckt: was sage ich? Ich sehe schon meinen armen Kopf verdreht und meinen Alvaro ebenso unglücklich werden wie mich!«
»Oh, Biondetta!« erwiderte ich, »man kommt bei Ihnen nicht aus dem Staunen heraus; ich meine die Natur selber in den Bekenntnissen zu erkennen, die Sie mir von Ihren Neigungen machen. Wir werden einen Beistand gegen sie in unserer gegenseitigen Zärtlichkeit finden. Und was haben wir nicht auch sonst noch von dem Rate meiner würdigen Mutter zu erhoffen, die uns mit offenen Armen empfangen wird? Sie wird Sie zärtlich liebgewinnen, das sehe ich voraus, und es wird sich alles vereinigen, uns glückliche Tage zu bereiten ...«
»Ich muß wollen, was Sie wollen, Alvaro. Ich kenne mein Geschlecht besser, und kann nicht soviel hoffen wie Sie; aber ich will Ihnen folgen, Ihnen zu gefallen, und ergebe mich darein.«