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Der Leibjäger

Deutsch von Wladimir Czumikow

 

Ein heißer, schwüler Mittag. Am Himmel kein Wölkchen ... Das sonnenverbrannte Gras sieht trüb und hoffnungslos aus. Wenn auch Regen kommen sollte, grün wird es doch nicht mehr ... Der Wald steht schweigsam und regungslos, als sehe er mit seinen Wipfeln angestrengt in die Ferne oder als erwarte er etwas ...

Die Holzung entlang geht lässigen Schrittes ein hoher, schmalschultriger Mann von ungefähr vierzig Jahren, in rotem Bauernhemd, geflickten Herrschaftshosen und hohen Stiefeln. Er geht den Weg entlang zwischen dem Gehölz und dem goldigen, wogenden Meere des reifen Roggens ... Er ist rot und schweißbedeckt. Auf seinem schönen, blondgelockten Kopf sitzt keck eine weiße Sportmütze – wohl das Geschenk irgendeines splendiden Herrn. Ueber der Schulter hängt die Jagdtasche mit einem zerzausten Birkhahn daran. In der Hand hält der Mann einen Zwilling mit gespannten Hähnen, und mit den Augen verfolgt er das Schnuppern des alten, mageren Hundes, der ihm vorausläuft ... Ringsum ist alles still, kein Ton ... Alles Leben hält sich vor der Hitze verborgen ...

»Jegor Wlassitsch!« hört der Jäger plötzlich eine leise Stimme.

Er fährt zusammen, schaut sich um und zieht die Stirn in Falten. Neben ihm steht, wie aus dem Boden gewachsen, ein blasses Weib von ungefähr dreißig Jahren, eine Sichel in der Hand. Sie sucht ihm in die Augen zu sehen und lächelt.

»Ah, du bist es, Pelageja!« sagt der Jäger und bleibt stehen und läßt die Hähne langsam herunter. »Hm ... Wie bist du denn hierher gekommen?«

»Hier arbeiten die Weiber aus unserem Dorf, da bin ich also mit ihnen ... Als Taglöhnerin, Jegor Wlassitsch.«

»So-o ...« brummt Jegor Wlassitsch und geht langsam weiter.

Pelageja folgt ihm. Sie gehen schweigend vielleicht zwanzig Schritte.

»Ich habe Sie schon lange nicht mehr gesehen, Jegor Wlassitsch ...« sagt Pelageja, zärtlich die Gestalt des vorwärtsschreitenden Jägers betrachtend, »seit Sie zu Ostern in unser Haus traten, um Wasser zu trinken, hab ich Sie nicht mehr gesehen ... Damals kamen Sie auf einen Augenblick herein, und das auch noch Gott weiß wie ... in betrunkenem Zustand ... Schimpften mich, schlugen mich und gingen davon ... Ich habe gewartet, gewartet ... mir die Augen nach Ihnen ausgeguckt ... Ach, Jegor Wlassitsch, Jegor Wlassitsch! Wären Sie doch nur einmal gekommen!«

»Was soll ich denn bei dir machen?«

»Ja, zu tun gibt es freilich nichts, aber nur so ... es ist doch immerhin ein Haushalt ... Um nachzuschauen, wie es steht ... Sie sind doch der Herr vom Hause ... Einen Birkhahn haben Sie geschossen, Jegor Wlassitsch, so! Setzen Sie sich nicht etwas? Wollen wir nicht ausruhen?«

Während Pelageja das sagt, lacht sie wie eine Närrin und schaut auf zu Jegor ... Ihr ganzes Gesicht strahlt vor Glück und Freude.

»Mich setzen! Meinethalben ...« sagt Jegor gleichgültig und sucht sich ein Plätzchen zwischen zwei nebeneinander stehenden Tannen aus, »was stehst du denn? Setz dich auch!«

Pelageja setzt sich abseits in den Sonnenbrand und bedeckt den lachenden Mund mit der Hand, weil sie sich ihrer Freude schämt. Einige Minuten vergehen in Schweigen.

»Wenn Sie nur einmal hinkommen würden,« sagt Pelageja leise.

»Wozu?« seufzt Jegor und nimmt seine Mütze ab und wischt sich mit dem Aermel die rote Stirn. »Ich sehe durchaus keine Notwendigkeit. – Komm ich auf ein paar Stunden hin, so gibt das nur Tändelei und unnütze Aufregung für dich, und für immer im Dorf bleiben, das kann ich nicht aushalten ... Du weißt ja selbst, daß ich verwöhnt bin ... Ich muß ein reines Bett haben und guten Tee und feine Gespräche ... mit allen Schikanen, während es bei dir im Dorf nur Armut und Schmutz gibt ... Nicht einen Tag würde ich es aushalten ... Käme jetzt zum Beispiel so ein Gesetz heraus, daß ich durchaus bei dir leben müßte, so würde ich entweder das Haus anzünden oder mir selbst etwas antun ... Ich bin schon mal von Kind auf verwöhnt, da ist jetzt nichts zu machen ...«

»Wo leben Sie denn jetzt?«

»Bei Herrn Dimitrij Iwanytsch, als Leibjäger ... Ich liefere ihm das Wild zur Tafel, sonst aber hält er mich mehr so, zu seinem eigenen Vergnügen ...«

»Es ist aber doch sozusagen keine solide Beschäftigung, die Sie da haben, Jegor Wlassitsch ... Andere Leute treiben das nur so zum Spaß, nebenbei, aber bei Ihnen ist es wie ein wirkliches und rechtes Handwerk, wie eine Arbeit.«

»Das verstehst du dummes Frauenzimmer nicht,« sagt Jegor und schaut schwärmerisch zum Himmel hinauf. »Du hast es nie verstanden und wirst es auch nie verstehen, was ich für ein Mensch bin ... Nach deiner Ansicht bin ich ein verkommener, unnützer Mensch, während Leute, die was davon verstehen, mich für den besten Schützen im ganzen Bezirk halten. Die Herrschaften wissen das wohl, und sogar in einer Zeitschrift ist über mich geschrieben worden ... Was die Jagd anlangt, kommt keiner neben mir auf ... Vor eurer Dorfarbeit fliehe ich nicht aus Stolz oder Uebermut ... Du weißt ja, daß ich von Kindesbeinen an keine andere Beschäftigung als die Flinte und die Hunde gekannt habe. Nahm man mir die Flinte, griff ich zur Angel, nahm man die Angel, schaffte ich mit den Händen ... Auch mit Pferden hab' ich mich abgegeben, hab' auf den Jahrmärkten, wenn ich Geld hatte, herumgehandelt. Und das weißt du ja, wenn ein Bauer anfängt, sich mit Jagd und Pferden abzugeben, dann ist es mit dem Pflug vorbei! Ist der freie Geist einmal in den Menschen eingedrungen, treibt man ihn durch nichts mehr aus ... Genau so, wenn jemand von den Herrschaften Schauspieler oder sonst ein Künstler wird, dann taugt er zum Beamten oder Landwirt niemals mehr. Du bist ein Frauenzimmer und begreifst das nicht, und das will begriffen sein.«

»Ich begreife schon, Jegor Wlassitsch.«

»Es scheint doch nicht, wenn du jetzt anfangen willst zu heulen ...«

»Ich ... ich weine ja nicht ...« Pelageja wendet sich ab. »Es ist eine Sünde, Jegor Wlassitsch! Wenn Sie auch nur einen Tag mit mir armem Weib leben würden! Zwölf Jahre schon bin ich mit Ihnen verheiratet, und ... und wir haben uns noch keinmal geliebt! Ich ... ich weine nicht ...«

»Geliebt ...« brummt Jegor und kratzt sich die Schulter. »Es kann auch gar keine Liebe zwischen uns sein ... Es heißt nur, daß wir Mann und Frau sind ... Und ist es denn in Wirklichkeit so? Ich bin für dich ein wilder Mensch, du bist für mich ein einfaches Weib ohne Verstand. Passen wir denn zusammen? Ich – frei, verwöhnt, müßig, du eine schmutzige Bäuerin, jahrein jahraus beugst du den Rücken bei der Arbeit ... Ich selbst halte mich für einen Schützen und Jäger ersten Ranges, während du mich bemitleidest ... Was ist denn das für ein Paar?«

»Aber wir sind doch getraut, Jegor Wlassitsch!« schluchzt Pelageja.

»Ja, aber nicht aus freiem Willen ... Oder hast du's vergessen? Dem Grafen Ssergej Pawlowitsch kannst du's danken und ... dir selber. Der Graf hat aus Neid, daß ich besser schieße als er, mich einen ganzen Monat lang eingesäuft, und einen Betrunkenen kann man nicht nur trauen, sondern auch einen andern Glauben annehmen lassen. Einfach aus Rache mich in betrunkenem Zustande mit dir verheiratet! Einen Leibjäger mit einer Viehmagd! Du sahst doch, daß ich betrunken war. Wozu nahmst du mich denn? Du warst ja keine Leibeigene, dich hätte niemand zwingen können! Es ist ja natürlich für eine Viehmagd ein großes Glück, einen Leibjäger zu heiraten, aber man muß doch Verstand haben! Jetzt hast du die Qual und die Tränen, während der Graf lacht ... Mach was du willst ...«

Sie schweigen ... Ueber den Wald fliegen drei Wildenten. Jegor sieht ihnen nach und verfolgt sie so lange mit den Augen, bis sie sich jenseits des Waldes als drei kleine Punkte senken.

»Wovon lebst du denn?« fragt er, die Augen von den Enten auf Pelageja wendend.

»Jetzt gehe ich auf Arbeit, und für den Winter nehm' ich mir aus dem Findelhaus einen Säugling, nähr' ihn mit der Saugflasche. Drei Rubel monatlich bekommt man dafür ...« »So ...«

Sie schweigen wieder. Vom Felde her tönt ein Lied herüber, das gleich am Anfang wieder stockt ... Es ist zu heiß zum Singen.

»Man sagt, daß Sie der Akulina ein neues Haus gebaut haben,« sagt Pelageja.

Der Jäger schweigt.

»Also haben Sie sich wohl lieb ...«

»Ja, das ist nun mal so dein Pech, dein Schicksal!« sagt der Jäger sich streckend. – »Halt also aus, was ist da zu machen! Uebrigens leb wohl, ich halte mich auf ... Zum Abend muß ich nach Boltowo.«

Jegor erhebt sich, dehnt sich und wirft die Flinte über die Schulter. Pelageja steht auf.

»Wann kommen Sie denn ins Dorf!« fragt sie leise.

»Wozu ... Nüchtern komme ich niemals, und wenn ich betrunken bin, hast du an mir wenig Freude. Im Rausch bin ich wütend ... Leb wohl!«

»Leben Sie wohl, Jegor Wlassitsch ...«

Jegor setzt die Mütze auf, ruft seinen Hund und macht sich auf den Weg. Pelageja bleibt stehen und schaut ihm nach ... Sie sieht seine Beine, seinen starken Nacken, den lässigen faulen Tritt, und ihre Augen werden von Trauer und weicher Zärtlichkeit erfüllt ... Ihr Blick gleitet über die hohe, magere Figur des Mannes und liebkost ihn schmeichelnd ... Er fühlt gleichsam diesen Blick, bleibt stehen und sieht sich um ... Er schweigt, aber in seinem Gesicht und den gehobenen Schultern erkennt Pelageja, daß er ihr etwas sagen will. Sie tritt schüchtern an ihn heran und blickt ihn mit flehenden Augen an.

»Da hast du, nimm ...« sagt er, sich abwendend.

Er gibt ihr einen zerfetzten Rubelschein und geht schnell von dannen.

»Leben Sie wohl, Jegor Wlassitsch!« sagt sie, den Rubel mechanisch annehmend.

Er geht den langen Weg entlang, der wie ein ausgespannter Riemen sich gerade hinzieht ...

Bleich und regungslos wie eine Statue steht sie da und verfolgt mit den Augen jeden seiner Schritte. Sie sieht ihn noch lange ... Endlich beginnt die rote Farbe seines Hemdes mit dem Braun der Hosen zu verschmelzen, die Schritte erkennt man nicht mehr, den Hund kann man nicht mehr von den Stiefeln unterscheiden. Man sieht nur noch die Mütze, aber ... plötzlich biegt Jegor nach rechts in den Wald und die Mütze verschwindet im Gesträuch ...

»Leben Sie wohl, Jegor Wlassitsch!« flüstert Pelageja und hebt sich auf die Spitzen, um wenigstens noch einmal seine weiße Sportmütze zu erblicken ...


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