Conrad Ferdinand Meyer
Huttens letzte Tage
Conrad Ferdinand Meyer

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Dämonen

LVII Der wilde Hutten

Glückselig schreit' ich hier im Abendglanz,
In klaren Lüften zittert Mückentanz.

Das Heute war so sonnig, wolkenrein,
Das Morgen wird noch wolkenloser sein.

Ein Zug von Tagen warm und wonniglich
Geleitet zu den Todesschatten mich.

So heiter glaubt' ich nicht davon zu ziehn,
Der wilde Hutten fährt in Frieden hin.

Nicht allzu köstlich, reiche Erde, hast
Du mich bewirtet, deinen armen Gast!

Nun nehm' ich Urlaub und zur Scheidezeit
Erweisest du mir alle Lieblichkeit.

Nun geh' ich und du sprichst mit leichtem Sinn:
Du wanderst, Hutten? Sieh, wie schön ich bin!
 
 

LVIII Herzog Ulrich

Er war's! Mir pocht das Herz von Groll bewegt
Und jede Fiber zittert aufgeregt.

Er war's! Er stand auf meiner Friedensstatt,
Der mir den Vetter Hans erschlagen hat,

Der ihm, zu seinem Weib entbrannt in Lust,
Den Degen meuchlings rannte durch die Brust,

Der ihm, da bang er mit dem Tode rang,
Ein Henker! um den Hals den Gürtel schlang,

Den ich vertrieb von seiner Väter Herd
Mit meines Gurts und meiner Rede Schwert,

Auf dessen Spur ich wies den Furienchor,
Auf dessen Scheitel ich die Acht beschwor...

Ich saß im Hauskleid still am Hügelrand,
Ein philosophisch Büchlein in der Hand,

Da hört' ich einen Fremden halb bezecht
Den Schaffner loben, wie man lobt den Knecht.

Ich kannte dieser hohen Stimme Schrein!
Er lachte widrig – er gewahrte mein.

Der Trunkne trat mit vollem Humpen vor –
Mir sträubte sich vor Graus das Haar empor;

Mich starr betrachtend, zweifelnd, ungewiß:
"Trink", schrie er, "siecher Bettler, und vergiß!"

Ich bin der Hutten, rief ich, den du kennst!
Er lallte: "Grabentstiegenes Gespenst!"

Ihn stieß ich weg, daß er den Wein vergoß,
Der purpurn über seine Hände floß.

Mit roten Händen, wie im Walde dort
Von meines Vetters Leiche, stürzt' er fort.

Verschollen bin ich auf der Erde schon!
Er wußte nicht, daß ich hieher geflohn.

Warum betrat er meine Friedensflur,
Der Bösewicht, dem ich Verderben schwur?

Der Schaffner wirbt! Schon lange weiß ich drum!
Es treibt sich öfter hier Gesindel um.

Zum Lachen ist's! An meinem Sterbehaus
Hangt Herzog Ulrichs Werbefähnlein aus!

Um Blut gefeilscht wird neben meiner Gruft
Und Schweizerlanzen führen heim den Schuft.

Es scheint, er ist in Zürich angesehn,
Man sieht ihn fleißig in die Predigt gehn.

Doch Ulrich Zwinglis lautres Auge kennt
Den Mann, in dessen Blick die Hölle brennt.

Er weiß, daß dieser wohlbeschaffne Christ
Ein Mörder und ein Ehebrecher ist.

Ich tat Bekenntnis meinem Glück zum Trutz,
Der schnöde Bube tut's aus Eigennutz!

Was mir aus tiefstem Herzen quoll empor,
Hält dieser Heuchler sich als Larve vor!

Mit Christi Jüngern sitzt im Tischverband
Wie Judas er, den Beutel in der Hand.

Der Schurke nahm den reinen Glauben an;
Potz Blut und Wunden, er hat wohl getan!

Der Meuchler hat das reine Wort bekannt!
Darüber jubiliert das Schwabenland!

Der Gleisner Ulrich zahlt – es ist bequem –
Nicht für den Ulrich mehr von ehedem!

"Rom oder Luther", spottet er beim Wein,
"Schuh oder Stiefel – Herzog will ich sein!"

Ich glaub's, daß er in Stuttgart Einzug hält –
Wer thront im Himmel? Wer regiert die Welt?

Wir stehn in gleichem Lebensalter schier,
Um zehen Jahre schien er jünger mir!

Er ist in voller Manneskraft erblüht,
Ich welke mit verbittertem Gemüt!

Ich büße leichte Jugendsünde schwer,
Den Fluch des Bösen überwindet er!

Er atmet unbeklommen, altert heil,
Und ich? Mir keucht die Brust – das Grab mein Teil!

Er wird von einem guten Sohn geehrt,
Wann längst mich ekles Erdgewürm verzehrt...

Dort gleitet durch die Flut des Mörders Boot –
Kein Wetter brütet, keine Wolke droht!

Gerechtigkeit, bist du nicht außer Amt,
Wirf einen Blitz, der tötend niederflammt!

Dort fährt ein Mörder! Hör, Gerechtigkeit,
Was dir der Hutten in die Ohren schreit!

Der Himmel lacht in unverwölktem Licht –
He, hast du Ferien, himmlisch Hofgericht?

Die Waage falsch! Gefälscht das Schuldenbuch!
Wie Wetterlaunen walten Heil und Fluch –

Halt! Frevle nicht! Die Lästrung sei verweht!
Beleid'ge, Hutten, nicht die Majestät!
 

LIX Sturm und Schilf

Mit Gott zu hadern ist nicht wohlgetan,
Es lockt Gesellschaft von Dämonen an.

Durch meine Fensterluke späh' ich vor,
Der Wurf der Welle sprüht zu mir empor.

Den schwarzen Riesenbaum am Inselhorn
Umlodert flammender Gewitterzorn.

Aufrauscht's im Schilf, wild fährt der Sturm einher,
An tiefsten Lebenswurzeln rüttelt er.

Der Teufel saust im Wind und pfeift und lacht
Und meinen Namen ruft er durch die Nacht.

"Hei Hutten, der, von Wellenschaum umspritzt,
Auf einer öden Klosterinsel sitzt!

Du gleichst dem Helden deines Scherzgedichts,
Du bist der Niemand und zerinnst in nichts!

Der du gedurstet und gehungert hast,
Hinweg! Mach Raum für einen klügern Gast!

Dir schlag' ich eine Grabesinschrift vor:
'Er focht für Wolken und er war ein Tor.'

Fahr hin! Doch eh' du stirbst, der Welt ein Spott,
Erleichtre dir das Herz und lästre Gott!"

– Gebärde, Teufel, dich nicht allzu wild!
Entgegen halt' ich dir des Glaubens Schild!

Den lichten Helm des Heils zerspellst du nicht
Mit deinen Feuerpfeilen, Bösewicht!

Ein Gutes gibt's! Du bist mir ärgerlich –
Und eine Wahrheit! Teufel, hebe dich!

Gesättigt wird das menschliche Geschlecht
Mit Wahrheit werden und getränkt mit Recht!

Der Sturm verstummt. Der Hohn des Bösen schweigt...
Dort! Ein Gebilde, das dem Schilf entsteigt!

Es ringt die Hände, wie ein Geist in Pein!
Gebückt und jammernd, wie mein Mütterlein!

"Was wandeltest den Frieden du in Streit?
Warum zerstörtest du die alte Zeit?

Wo dich die Kirche liebevoll umfing
Mit ihrer sieben Gaben heil'gem Ring!

Wo dich die Kirche mütterlich begrub
Und triumphierend in die Himmel hub!

Der den erprobten Segenskreis zerriß,
Bist, Hutten, du des neuen Pfads gewiß?"

– Wer flüstert mir so traute Worte zu?
Verschlagner Dämon, wieder bist es du!

Ich glaube nicht an alter Zeiten Glück!
Ich breche durch und schaue nicht zurück!

Hinüber retten wir in neue Zeit
Und edle Form den Hort der Frömmigkeit...

Wir ziehn! Die Trommel schlägt! Die Fahne weht!
Nicht weiß ich, welchen Weg die Heerfahrt geht.

Genug, daß ihn der Herr des Krieges weiß –
Sein Plan und Losung! Unser Kampf und Schweiß!

Gesiegt! Doch schwer! Mir keucht die Brust so bang
Wie einem Menschen, der mit Riesen rang.
 
 

LX Die Menschheit

Ich schaute – wundersamer Morgentraum –
In eines Kampfs gestaltenvollen Raum.

Ein mächtig Ringen war's der Geisterwelt,
Von wehnden Flammen wechselvoll erhellt.

In Welschland, wenn ich mich besinnen mag,
Sah schier ich so gemalt den jüngsten Tag:

Wo, streng gerichtet, was von Even stammt,
Zur Hälfte steigt, zur Hälfte sinkt verdammt.

Doch nein! Die letzte Scheidung war es nicht.
Es war ein mut'ger Sturm empor ins Licht!

Sie rangen alle mit vereinter Kraft,
Beseelt von eines Kranzes Leidenschaft.

Wankt' einer wie gelähmt von Pfeilgeschoß –
Den riß empor ein stärkrer Kampfgenoß

Und mancher Kühne stieg in schwerem Flug,
Der einen Wunden auf der Schulter trug.

Da hab' ich eines Führers Ruf gehört:
"Der Kerker", schrie er, "Geister, ist zerstört!

Das Tor gebrochen! Offen ist die Bahn!
Befreit die Brüder! Auf! Empor! Hinan!"

Aus lichten Wolken scholl Posaunenton,
Doch war's ein Siegesjubel, nicht ein Drohn.

Da plötzlich stund ich im Gewölke vorn
Und stieß aus voller Brust ins Jägerhorn.

Aufschwebt' der sel'ge Zug in mächt'gem Drang,
Ich stieß ins Horn, daß mir das Herz zersprang.
 
 


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