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Man muß an die Einfalt, an das Einfache, an das urständig produktive glauben, wenn man den rechten Weg gewinnen will. Dieses ist aber nicht jedem gegeben; wir werden in einem künstlichen Zustande geboren und es ist durchaus leichter, diesen immer mehr zu bekünsteln als zu dem Einfachen zurückzukehren.
( Goethe)
Der Titel dieses Buches könnte großartig weltumspannend verstanden werden und ein entsprechend kühnes, ja überkühnes Unternehmen erwarten lassen; einer derartigen Annahme muß ich gleich entgegentreten und versichern: die Benennung »Mensch und Gott«, weit entfernt, auf ein unmögliches Unterfangen zu deuten, soll nach meinem Sinne schlicht anzeigen, daß die folgenden Seiten der Befassung mit zwei Begriffen gewidmet sind, welche jeden von uns – er sei auch, wer er möge – nahe betreffen, so nahe, daß ein Jeder im Laufe eines langen Lebens sich eine gewisse Zuständigkeit erwirbt und damit auch ein Recht, darüber zu reden; an den Anderen liegt es, ob sie zuzuhören belieben oder nicht. Über beide Begriffe ist so viel nachgedacht und sind so viele Gedanken mitgeteilt worden – häufig von den bedeutendsten Denkern und den erhabensten Heiligen – daß keiner sich leicht einbilden wird, neue Aufklärung beitragen zu können; jedenfalls bildet es sich der Verfasser des vorliegenden Werkes nicht ein; doch meint er, aus neuen Bedürfnissen entstünden neue Aufgaben, und hierin liege die Berechtigung eines derartigen Versuches, der seinen Zweck erreicht, sobald er nur einigen bedürftigen Seelen willkommene Hilfe leistet.
Bei einem solchen Vorhaben kommt es in erster Reihe darauf an, den Standort des Betrachters genau zu bestimmen: in diesem Buche redet der Laie, nicht der Geistliche, es redet der Weltmann, nicht der Fachgelehrte. Freilich, es hat dieser Weltmann sein Leben lang den betreffenden Fragen nahegestanden und redlich gestrebt, sich zu unterrichten – wobei er keine Mühe scheute, stets das Bedeutendste, das Gründlichste, das Zuverlässigste ausfindig zu machen und es sich, soweit es ihm seine Laienbildung gestattete, anzueignen, und zwar dieses Beste allein mit grundsätzlicher Außerachtlassung alles Minderwertigen und namentlich alles Phantastischen und Dilettantenhaften: daraus folgt eine Kenntnis der Ergebnisse gelehrter Forscher und ihre Fruchtbarmachung, nicht aber die Geistesrichtung des fachmännischen Gelehrten mit ihren Vorzügen und Beschränkungen. Man darf nicht übersehen, daß bei den hier behandelten Fragen manches jegliche Gelehrsamkeit weit übersteigt, so daß Denkkraft und Seelentiefe mehr als Wissen zu bedeuten haben; während andrerseits die Ergebnisse derjenigen Forschungen, zu denen ausgedehnte philologische und historische Kenntnisse vonnöten sind, von jedem gebildeten Laien verstanden und aufgenommen werden können. Ein bedeutendster unter den neueren Religionsforschern, F. Crawford Burkitt, sagt hierüber: »Es liegt garnichts in dem Wesen der von uns Theologen behandelten Gegenstände, was geeignet wäre, den aufmerksamen Leser zu verhindern, jeden Schritt des zurückgelegten Weges mitzumachen; auch kann er das Recht beanspruchen, darüber zu urteilen, ob er uns folgen will oder nicht« ( The Gospel History and its Transmission, 3. Aufl., S. 7). Der deutsche Leser wird wohl daran tun, sich diese Worte einzuprägen; denn die übertriebene Einschätzung der ausschlaggebenden Bedeutung, nicht allein des Wissens der Fachgelehrten, sondern auch ihres Urteils, wirkt verhängnisvoll; wer sich nicht die volle Selbständigkeit des Urteils bewahrt, begibt sich der Würde eines freien Menschen und verliert damit zugleich die Fähigkeit, sich das durch die gelehrten Arbeiten Errungene wirklich anzueignen; besser ist es, manches falsch zu verstehen als sich willenlos dem Urteil Anderer zu fügen – woraus gar keine Seelenüberzeugung, vielmehr nur ein blasses Fürwahrhalten sich ergibt.
Hier muß nebenbei eine Bemerkung eingeschaltet werden, die, ohne große Bedeutung zu besitzen, immerhin für die Beurteilung des vorliegenden Werkes nicht belanglos ist. Die besonderen Bedingungen, unter denen diese Arbeit zur Ausführung kam, erschwerten in einem solchen Maße das Nachsuchen in Büchern und Aufzeichnungen, daß hiermit so sparsam wie möglich vorgegangen werden mußte; wer darum nur die im Text genannten Schriften beachtet, wird eine weit schmälere Grundlage der durchgeführten Studien voraussetzen als die, welche in Wirklichkeit vorliegt. Daraus erklärt sich auch das Fehlen manches mit Recht erwarteten Namens. Dies sei ein für allemal in Kürze ausgesprochen.
Die Erwähnung von Lücken gemahnt mich daran, fernerstehende Leser aufmerksam zu machen, daß ich schon in mehreren meiner Bücher die Gelegenheit fand, mich eingehend sowohl mit den allgemeinen Fragen aller Religion, wie auch mit vielen darauf bezüglichen Einzelfragen, einzelnen Zeitläuften und einzelnen Persönlichkeiten zu beschäftigen – ich nenne Richard Wagner, Die Grundlagen, Worte Christi, Arische Weltanschauung, Immanuel Kant, Goethe, Deutsches Wesen, Lebenswege: meine unüberwindliche Abneigung gegen Wiederholungen hat mich veranlaßt, alle diese Stellen als bekannt vorauszusetzen.
Für den Standpunkt des Verfassers wären weiter zu berücksichtigen Rassenangehörigkeit, Bildungsgang und Lebensschicksal: die Beantwortung dieser Fragen erteilt mein im Jahre 1919 erschienenes Buch Lebenswege meines Denkens.
Bei einem der Religion gewidmeten Buch kommt namentlich der Frage nach der Absicht, aus der es entstand, Bedeutung zu. Hierauf antworte ich am besten historisch.
Die erste Anregung, ein Buch über Religion zu schreiben, erhielt ich vor etwa achtzehn Jahren von einem süddeutschen Verleger; diesen hatte Otto Pfleiderer, der in weitesten Kreisen bekannte, erst vor kurzem gestorbene Berliner Theologe, veranlaßt, sich an mich zu wenden, indem er mich, auf Grund der Abschnitte über Jesus Christus und über Religion und Kirchengeschichte in meinen Grundlagen für befähigt hielt, ein allgemein umfassendes volkstümliches Werk auszuführen. So sehr dieser Vorschlag mich auch verlockte, nie habe ich mich entschließen können, seine Ausführung in Angriff zu nehmen: ich mußte befürchten, einerseits ins Uferlose zu geraten, andrerseits keine Gelegenheit zu finden, dasjenige zu sagen, was zu sagen ich auf dem Herzen hatte. Später drangen verehrte Freunde – unter denen ich nur Julius Wiesner und Leopold von Schröder nennen will – in mich, eine ganz anders geartete Schrift zu verfassen: eine Art religiösen Bekenntnisses oder eine Erzählung meiner allerpersönlichsten religiösen Erlebnisse. Auch dieser Anregung habe ich mich nicht entschließen können zu folgen: ein gewisses Scheugefühl hielt mich davon ab. Es klangen mir die Worte der »schönen Seele« in den Ohren: »Hätte ich doch immer geschwiegen, und die reine Stimmung in meiner Seele zu erhalten gesucht! Hätte ich mich doch nicht durch Umstände verleiten lassen, mit meinem Geheimnisse hervorzutreten!« Dennoch kreiste unablässig im innersten Gemüte die Sehnsucht, mir selber einige der beseligendsten Herzenserfahrungen durch Gestaltung möglichst deutlich zu vergegenwärtigen, zugleich mit der Vorstellung, ein derartiges Beginnen könne den Freunden meines Schrifttums einige Freude und vielleicht auch Anleitung gewähren. Eines Tages gewann dieser Wunsch gebieterische Gewalt: ich legte meine anderen Arbeiten aus der Hand und widmete mich dieser (vergl. Lebenswege, S. 152).
Erzähle ich das so umständlich, so geschieht es, weil ich mir bewußt geworden bin, daß die beiden nicht zur Ausführung gekommenen Vorschläge dennoch die vorliegende Schrift beeinflußt haben: ohne Pfleiderer's Anregung hätte ich vielleicht doch nicht so weit umhergeschaut, wie hier geschehen ist; und hätte mich nicht der Gedanke an eine Bekenntnisschrift lange beschäftigt, so wäre ich schwerlich auf die Beschränkung geraten, die jetzt gebietet und dieses Buch, zwar nicht zu einem ausdrücklichen, aber dessen ungeachtet zu einem geheimen Bekenntnis geschaffen hat. Namentlich letzterer Umstand besitzt für den »Standpunkt« des Verfassers, den wir zu bestimmen suchen, entscheidende Bedeutung: habe ich auch überall Tatsachen und gelehrte Ergebnisse herangezogen nach Maßgabe des mir zu Gebote Stehenden, so habe ich mich doch fast an keiner Stelle über die Grenze dessen hinausgewagt, was mir im Laufe des Lebens zu einem Herzensbekenntnis geworden ist; denn wo dies nicht der Fall war, fühlte ich mich wankend und fand keine Freude daran, bloße Meinungen vorzutragen. Zwar habe ich überall streng an mich gehalten, in der Überzeugung, man sage mehr, wenn man die letzten Worte unausgesprochen lasse; nichtsdestoweniger findet die rechte Fühlung zu diesem Buche nur derjenige, der den Herzschlag darin vernimmt.