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Ein Nachwort schicke ich dieser zweiten Auflage als Vorwort voraus. Ungefähr gleichzeitig mit der ersten Auflage von Mensch und Gott erschien Adolf von Harnack's Marcion: Das Evangelium vom fremden Gott, womit zum ersten Male die Gestalt und die Lehre des großen Reformators des zweiten Jahrhunderts – sonst in einer Wolke von Verleumdungen und Gehässigkeiten verborgen – vor aller Augen klar enthüllt ward. Ein edler Mann, der ein edles Lebensziel zum Heile des Christentums im Herzen trug! Da nun Marcion's religiöse Überzeugungen auffallende Übereinstimmungen mit den in diesem meinem Buche vertretenen aufweisen, will ich ein paar Worte ihnen hier widmen.
Der Gott der Liebe, der Vater Jesu Christi, ist nach Marcion nicht identisch mit Jahve, dem Gott der Juden: »Er ist nicht der Schöpfer, nicht der Gesetzgeber, nicht der Richter, er zürnt und straft auch nicht, sondern er ist ausschließlich die verkörperte, erlösende und beseligende Liebe« (S. 18). Darum – wegen seiner Weltfremdheit – wird er auch »der fremde Gott« genannt. Der Weltschöpfer Jahve steht unermeßlich tief unter dem Gott der Liebe; er trägt die Verantwortung für das Elend, das die Welt erfüllt und für die Schlechtigkeit der Menschen; die Schrift zeigt ihn ja als rachsüchtig, listig, betrügerisch, zornig und er erwählt die Juden, – »ein besonders schlimmes, störrisches und untreues Volk« – (S. 113), zu seinen auserkorenen Schützlingen und verspricht ihnen die Herrschaft über die ganze Welt: kurz, er ist ein böser Geist, der vom Dasein des Gottes der Liebe nichts weiß, bis er es durch Jesum Christum erfährt, den er zum Lohn dafür durch die Juden ans Kreuz schlagen läßt. Sein Gesetz ist das Gegenteil von Religion: es führt von dem Gott der Liebe hinweg, anstatt zu ihm hinzuführen. »So mußte dem Marcion der Judengott samt seiner Urkunde, dem Alten Testament, zum eigentlichen Feinde werden« (S. 30).
Keiner hat klarer die Grundverderbnis in die das Christentum durch seine Vermählung mit dem Judentum unfehlbar verfallen mußte, eingesehen als Marcion und er machte es sich zur Lebensaufgabe, die Christenheit vom Alten Testament zu befreien und ihr eine Sammlung von eigenen neuen heiligen Büchern zusammenzustellen: Marcion ist der eigentliche Urheber des Neuen Testamentes. Mit der Befreiung vom Alten Testament scheiterte er dagegen – zum dauernden Unheil für das Christentum. Harnack urteilt, daß die damalige Kirche recht daran tat, an dem Alten Testament festzuhalten, denn das »geschichtliche Vakuum, das hinter der christlichen Religion« sich aufgetan hätte, wäre ihr tödlich gewesen, doch fügt er die bemerkenswerten Worte hinzu: »das Alte Testament im 16. Jahrhundert beizubehalten war ein Schicksal, dem sich die Reformation noch nicht zu entziehen vermochte; es aber seit dem 19. Jahrhundert als kanonische Urkunde im Protestantismus noch zu konservieren, ist die Folge einer religiösen und kirchlichen Lähmung« (S. 248).
Die Frage, wovon Christus uns erlöst hat, hat sehr verschiedene Beantwortungen erfahren; Marcion's Antwort lautet erfrischend eindeutig: »Jesus Christus hat uns von der Welt und ihrem Gott erlöst, um uns zu Kindern eines neuen und (uns) fremden Gottes zu machen« (S. 31).
Diese kurze Skizze möge genügen, die Teilnahme des Lesers für einen der bedeutendsten Männer aller Zeiten auf dem Gebiete der Religion zu wecken. Hoffentlich greifen viele nach dem erwähnten vortrefflichen Buch von Harnack.
Diese Auflage schmückt das Christusbild von Hans Thoma aus dem Jahre 1896, welches besonders harmonisch zu unserem Buche paßt, indem es den Heiland in freier Natur zeigt und ihn als Schöpfer der Gleichnisse vom Reiche Gottes verherrlicht. Meinen wärmsten Dank für die großmütige Erlaubnis dem hochverehrten Meister hier auszusprechen ist mir Herzensbedürfnis!
Meiner gnädigsten Freundin, Frau Elise Küchler in Frankfurt a. M., bin ich für die Übernahme aller Arbeiten, die der Druck der zweiten Auflage dieses Buches mit sich brachte, aufrichtig erkenntlich. Sie hat ein gleiches Liebeswerk für mehrere andere Neudrucke meiner Schriften auf sich genommen und mit peinlichster Treue durchgeführt.
Mein hilfreicher Freund, Herr Dr. Paul Gonser, hat die große Freundlichkeit gehabt, ein vollständiges Verzeichnis der Anführungen aus dem Neuen Testament und ebenfalls ein Verzeichnis der Eigennamen anzufertigen, womit er sich gewiß manchen Leser zu Dank verpflichtet hat.
Houston Stewart Chamberlain.
Bayreuth zu Weihnachten 1922.