Lena Christ
Madam Bäuerin
Lena Christ

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Es ist gerade um die Vesperzeit, als die Schiermoserin mit ihrem Fuhrwerk und ihrer Begleiterin daheim anlangt.

Ihr Sohn, der Franz, steht eben mit Rosalie unter der Haustür und lacht und scherzt und bettelt um eine kleine Gunst, als der Schimmel gemächlich in den Hof trabt.

Da will der Bursch eilends hin und seiner Mutter beim Ausspannen helfen, aber auf halbem Wege bleibt er stehen und starrt in den Wagen, indem er murmelt: »Jessas, d' Marai! Was möcht denn die da?«

Doch die Schiermoserin läßt ihm nicht viel Zeit zum Sinnieren. Sie schwatzt ihm mit schier unnatürlicher Lebhaftigkeit von den Ferkeln vor, von ihrem Besuch und von Marai.

Indes Rosalie einen unsicheren Blick auf die Reisertalertochter wirft und danach eilends wieder ins Haus geht und sich eine Arbeit sucht.

Draußen sagt grad der Franzl ein wenig hölzern: »Soo, hast ins aa a mal hoamgsuacht, Marai?«

Worauf ihm seine Mutter ins Wort fällt: »Dees siechst ja! – Red't der Bua no dumm daher! Hilf ihr liaber a bissl aus'm Wagl außa! Stehst da wie a hölzerner Wandheiliger und rührst di net!«

Das Marai lacht hell und geziert und meint dann: »Laß nur, Franzl, i kimm scho alloans aa abe aufn Bodn. Hinab gehts leichter, wia herauf!«

Die Schiermoserin tut wichtig: »Ja, ja, a diam scho! Aber a so a bravs Madl, wia du, braucht net von abekemma z'redn! Dees kimmt, solang's lebt, alleweil no besser auffe! Gar, bals eahm oan nimmt, der wo rechtschaffa is! An bravn Mo und an richtign Bauern. – Der nachher aa no so viel goldene und silberne Pflasterstoa auf der Seiten hat, daß er, wenn's grad nöti is, a paar Löcher zuamacha kann, durch die der Hof eppa aberutschen kunnt.«

Ihr Sohn hat derweil das Marai ruhig allein aus dem Wagen steigen lassen; nun sagt er bloß kurz: »Weibergwasch!« und weist danach den Schimmel in den Stall.

Die alte Großmutter las eben droben in ihrer Kammer still in ihrem Andachtsbuch.

Da sie aber ihre Tochter kommen hört, steht sie so rasch, als es ihre alten Knochen erlauben, auf und begibt sich hinab zu ihr und der »Hochzeiterin«.

Schöne Reden kreuzen sich wieder, die Schiermoserin gießt dem Marai ein Glas Met ein, und die Alte kann das schöne Haar, das frische Rot des Gesichts und das hübsche Blau des Gewandes von dem Maidl nicht genug bewundern.

Bald ist das Gespräch da, wo man es haben will, und man begibt sich hinauf in das obere Stockwerk des Hauses.

Nur der, den's eigentlich angeht, und der, dem's recht sein muß, daß eine Reisertalertochter Schiermoserin wird die – beiden sind nicht da.

Der Bauer selber ist mit seinen Leuten auf dem Feld; Franz hat sich lautlos aus dem Stall davongemacht und sitzt nun hinter dem Holzschupfen, wo er etwas am Sattelzeug der Rösser flickt.

So kommt es, daß die Schiermoserin mit ihrer Mutter ganz allein für die Unterhaltung Marais sorgen muß und daß sie nicht Zeit hat oder auch gar nicht daran denkt, für die Leute zu kochen.

Die Schiermosertöchter sind gleich den andern auf dem Felde, und es möchte wahrscheinlich übel aussehen mit der Abendsuppe für Mensch und Vieh, wenn nicht Rosalie, trotz ihres seltsam unruhigen Gemüts, für den Rest des Tages die Bäuerin machte.

So aber versorgt sie wieder den Stall, trägt die Eier ab, sperrt die Hühner ein und richtet danach den Mehlschmarren und den Apfeltauch.

Ihre Mutter, die Rätin, liegt derweil droben in ihrer Stube schwer gichtkrank und wird von Tante Adele gepflegt.

Das heißt, die Schwägerin braucht alle ihr zu Gebote stehenden Mittel, um die Rätin davon zu überzeugen, daß doch alles in der Welt so kommen würde, wie es eben vorbestimmt wäre.

Man könne höchstens im Fall, daß es sich um irgendein Glück drehe, dies Glück ein wenig korrigieren. Und dies tue sie auch, fügt sie in bestimmtem Tone bei, trotz aller Zustände und allen Sträubens der Schwägerin!

Mittlerweile wird es unversehens Abend.

Das Gesinde kommt hungrig heim, setzt sich an den Tisch, und der Schiermoser pfeift seinem Eheweib und Franz zum Essen.

Rosalie trägt wie mittags selber das Essen auf und sagt genau, wie sie es gewohnt ist von der Schiermoserin: »Vater, tua bet'n, ogricht is.«

Und da die Bäuerin endlich daran denkt, daß es Essenszeit ist – da sie sich durch den Pfiff des Bauern plötzlich wieder in die Wirklichkeit des Alltags versetzt sieht, nachdem sie sich den ganzen Tag in ihre ehrgeizigen Pläne hineingesponnen hatte –, da findet sie drunten in der Eßstube bereits alles einträchtig beieinander sitzend, mit vollen Backen essend und sich lustig unterhaltend.

Und Franz, für den sie eben die Hochzeiterin zur Tür hereinbringt, sitzt lachend neben der Stadtjungfer und tut, als wär' er seit Jahr und Tag mit ihr verheiratet!

Und er selber, der Schiermoser – er sitzt zur Rechten dieses Weibsbildes, lobt ihre Kochkunst, ihre Tüchtigkeit und sagt vor dem ganzen Gesinde: »Guat hast dei Sach' g'macht, Bäuerin! Da brauch' ma die Alt' gar nimmer, balst du alleweil dableibst!«

So eine Niedertracht!

Wie mag's dem Marai zumut sein!

Aber die läßt sich nichts anmerken.

»Aha, eßt's scho«, sagt sie bloß, »bals erlaubt is, nachher gehn mir aa a weng zuawa.«

Und damit geht sie mit der Schiermoserin, die vor Wut ganz blaurot im Gesicht wird und gar keine Worte mehr findet, in die Stube.

Rosalie beeilt sich, noch zwei Löffel aus der Tischlade zu nehmen und sagt: »Ruckts z'samm da drent und laßts mich aa hin, daß sich der B'such und d' Bäuerin auf eahnan Platz hinsetz'n können!«

Aber Franz befiehlt ihr ganz energisch: »Du bleibst, wost bist!« und läßt sie nicht von seiner Seite.

Der Schiermoser dreht sich halb um auf seinem Sitz, schaut auf die Reisertalertochter und sagt: »Ja, was is dees? D' Marai! – Hock di nur zuawa, Marai. Is scho no a Platz auf der Bank!«

Auf die Bank zu dem Dienstvolk läßt er sie sitzen!

Die Schiermoserin droht der Schlag zu treffen.

Und sie kann nicht anders, sie muß sich dreinmischen: »Freili! Auf d' Bank! Nix da! D' Marai sitzt si neben 'n Franzl, daß d' es woaßt! D' Sommerfrischlerin g'hört a so net an Tisch her!«

Leider hat ihre Rede gar keinen Erfolg, außer diesen, daß Franz erwidert: »Wer kocht hat, ißt aa mit. Und wen i neben meiner sitzen lass', der sitzt neben meiner. – Gell, Marai, du hast scho Platz da, neb'n der Liesl!«

Freilich hat sie dort auch Platz!

Mit süßsaurem Lächeln beteuert sie es.

Aber gutmachen kann er diesen Fehler nie mehr.

Niemals!

Und wenn sie zehnmal Schiermoserin werden sollte!

Nachtragen wird sie es ihm, solange er lebt, daß er sie einer Städtischen zulieb auf den Gesindeplatz genötigt hat g'rad an dem Tag, an dem sie gekommen war, sich und ihre Geldsäcke ihm anzutragen!

Dasselbe denkt auch die Bäuerin.

Und es ist ihr unmöglich, auch nur einen Bissen zu genießen, schon weil es die da gekocht hat!

Daß der Alte auch noch mittut bei der Lumperei!

Aber gnade Gott!

Dem würde sie es heut' abend schon hinsagen!

Der erhält seinen Landler!

Der Rüpel! Der Tropf, der alte!

»Geh weiter, Marai!« sagt sie sehr freundlich zu ihr, »geh mit mir ausse, nachher koch' ma ins selber epps. Werd' z'erscht recht epps G'scheits sei, was die z'sammkocht ham.«

Doch leider geht es ihr auch mit dieser Rede nicht sonderlich gut. Denn einstimmig wird ihr von allen, ja sogar von den Töchtern, versichert, daß man noch nie einen so guten Schmarren gegessen hätte – und dann will Marai plötzlich »gern« da sitzen bleiben, nimmt den Löffel zur Hand und versucht die Kunst dieser Person, die alle miteinander rein verhext hat!

Ja, Marai betrachtet es plötzlich als eine heilige Mission, Franz wieder aus dem Bann dieses Weibsbildes zu erlösen!

Und sie beginnt damit sofort, indem sie sagt: »No hoaklig seids ös net! Bei ins dahoam essat ma an solchen Schmarrn net! Bei ins werd er scho besser g'macht! – Wer hat 'hn denn kocht?«

Jetzt wird es wohl kommen, das, was ihr und der Schiermoserin Musik in den Ohren ist!

Aber nein, es kommt nicht!

Denn Franz sagt ganz kurz und sachlich: »Dees is gleich, wer 'hn kocht hat. Ins schmeckt er. Wie daß 'hn ös kochts, dees is uns gleich.«

Und der Schiermoser ißt gerade jetzt, als hätte er schon seit drei Tagen nichts mehr gehabt und sagt dabei: »I woaß 's net, mir schmeckt er recht guat. Recht guat. Wahr is's!«

Freilich, Rosalie fühlt sich nicht wohl in dieser Stunde.

Aber ringsum sieht sie Mienen, die ihr wohlgewogen zulächeln – sie spürt den Druck der Finger des Jungen und hört den Lobspruch des Alten – da weicht ihr unbehagliches Gefühl doch wieder einem angenehmeren.

Immerhin ist sie froh, als der Bauer seinen Löffel ans Tischtuch wischt, das Zeichen zum Aufstehen gibt und das Tischgebet hersagt.

Das Geschirr trägt sie nicht mehr hinaus.

Sie bittet Barbara, die eine Tochter, darum und begibt sich sogleich hinauf in ihre Stube.

Nun erst wird es dem Mädchen schwer ums Herz. Dazu macht sich doch eine große Müdigkeit und Abspannung bemerkbar, so daß sie sich kurzerhand entschließt, zu Bett zu gehen.

Und also sucht sie ihr Lager auf und gibt keine Antwort mehr, als Franz nach einer Weile unter ihrem Fenster steht und ruft: »Roserl! Roserl! Geh no a weng außa! – I muaß dir was sag'n!«

Aber sie weint ihre ersten heißen Tränen in die Kissen des Schiermoserbettes.

Nachdem an diesem Abend das Gesinde Feierabend gemacht und auch der Schiermoser sich auf die Hausbank gesetzt hat, tritt die Reisertalertochter hinter der Schiermoserin aus der Kuchel und vors Haus.

Und die Hausfrau nötigt sie, doch neben dem Bauern auf der Bank Platz zu nehmen, bis der Franzl mit seinem Tagwerk fertig wär' und auch käme.

Aber Marai äußert plötzlich sehr bestimmt den Wunsch, sie möchte doch lieber heute noch nach Haus.

»I woaß, d' Muatta braucht mi«, sagt sie, »und da is mir do net extra guat wo anderst. Und dees, was d' mir zoag'n hast woll'n, dees hast mir zoagt. Sinst ham mir ja nix mehr z'redn mitanand, denk i. Zweg'n dee Fakai kannst ja mit'n Vatan selber aushandeln.«

»Aber um Gott's willen!« ruft da die Schiermoserin erschrocken aus, »heut no hoamfahr'n! Kimmst ja in de stockfinster Nacht eini! Naa, naa! Bleib nur bei ins über Nacht! Jetz hab i dir dei Bett scho aufdeckt. Und morg'n früah muaß i dir epps sag'n, was dir a Freud macht. Woaßt, heunt san d' Mannsbilder müad und d' Weibsbilder z'wider. Aber morgen is a jed's frisch und lusti, da kinnts enk nachher aa a weng unterhalten mitanand!«

So und auf ähnliche Weise sucht sie Marai zum Bleiben zu überreden. Sie stößt ihren Eheherrn wütend in die Seite und flüstert ihm zu: »Alsdann, zwiderns Mannsbild! Red halt aa mit, wennst siechst, daß s' extra da is, d' Marai!«

Der Schiermoser zündet sich die Pfeife an.

»I hab koan Fiduz drauf, heunt auf d'Nacht.«

»Aber so viel kunntst do sagn, obs dir recht is oder net!«

»Mir is alls recht, was an Buam recht is. Bal er die rechte gfunden hat, nachher werd ers scho sagn. Nachher kann i allweil no mei Meinigung dazua äußern, obs mir paßt oder net.«

Damit bläst er dicke Wolken vor sich hin und schaut geradeaus.

Die Schiermoserin zittert vor Zorn.

Mit süßen Worten nötigt sie Marai, doch noch ein wenig auf der Bank Platz zu nehmen, bis der Franzl mit seiner Arbeit fertig wär'.

Aber das Marai hat kein Verlangen danach, sondern besteht auf ihrem Wunsch: sie möchte wieder heim.

Nun soll sie doch wenigstens der Franz heimbringen, denkt die Schiermoserin, der es zumut ist, als stünde sie vor einem Abgrund, in dem all ihre Hoffnungen und Wünsche begraben liegen.

Und sie rennt im ganzen Hof herum, ihn zu suchen.

Aber als sie ihn endlich in seiner Kammer im Bett findet, kann sie vor Verdruß und Zorn nicht einmal mehr sagen, was sie sagen wollte.

Und so geht sie voller Bitternis zum Hans, ihrem Knecht, und bittet ihn, daß er das Marai gegen eine Extramaß noch nach Reisertal hinüberbringe.

Der murmelt zwar etwas vom Leut und Viech zusammenschinden, sagt, daß er aber erst morgen früh wieder zurückkäme und richtet dann scheltend und greinend das Fuhrwerk.

Der Abschied ist sehr kühl und frostig, und das Marai schaut nicht einmal zurück, als sie, neben dem Knecht sitzend, dahinfährt.


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