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Eine Kompanie Soldaten zieht durch die Straße.
»Ei darum, Maderl, Maderl, wink, wink, wink! Unter einer grünen Lialind Sitzt ein kleiner Fink, Fink, Fink, Ruft nur immer: Maderl, wink!« |
Vor der Tür des Martlbräustüberls stehen vier Mädchen und winken: die Tochter der Wirtin, die Kellnerin, die Frieda und die Hanni. Und es winkt die Tochter dem jungen Leutnant mit den spiegelnden Ledergamaschen, die Kellnerin der ganzen Kompanie, die Frieda dem gestrengen Feldwebel und die Hanni dem Offizier, der auf seinem Fuchsen hinter der Mannschaft dreinreitet, eine Zigarre in der behandschuhten Linken hält und die Rechte mit der eleganten Reitpeitsche grüßend an die Mütze führt, indes ein leises Lächeln über sein Gesicht huscht. Die Hanni schaut mit großen, brennenden Augen dem tänzelnden Pferd mit seinem Reiter nach. Und sie hört kaum, daß der Briefträger vor sie hintritt und sagt: »Hat euch des zwoafarbige Tuch wieder ganz und gar vom Verstand bracht! He da! – Frailn Johanna Rumpl! Für Eahna hab i heut allerhand: amal was Amtlichs, und was Grichtlichs und an Briaf vom Schatz. Und für d' Frau Martl hab i heut aa was. Hier, Frailn Berta. Es is vom Herr Bruader. Soo. Und jetz is's gar. Jetz habe die Ehre, meine Damen!« Das Fräulein Berta reißt hastig den Brief aus dem Umschlag, überliest den Inhalt und läuft mit dem Ruf: »Der Ferdl kommt!« lachend ins Haus zur Mutter. Die Hanni aber starrt auf die drei Schreiben und kann sich auf keine Weise einbilden, was sie enthalten. Und so öffnet sie zuerst den Brief, der zu Schönau gestempelt wurde. »Von dahoam«, murmelt sie mit einem seltsamen Gefühl; »wer denkt denn da no an mi? ... «
»... Geschrieben zu Öd in Baiern den Irtag vor Pfingsten. Liebe Rumplhanni ich mache dir kunt und zu wissen, daß mir die Wabm wo deine Grosmuter ist heute eingraben ham. Ist recht guet gstarbm und hat es dir vermacht ales mitsamt den Hauß. Ich habe es den Herr Bezirksamt gesagt und du wirst es schon erfahren. Jetz ist auch meine libe Wabm wo ich mich so guet unterhalten kann gegangen. Wan wird entlich auch mir meine Stunt schlagen. ich bin ein fünftes Rat am Wagen. Der Pauli hatz Gschäft von mir kauft und er heurat osent in ein sechs Wochen die Enhueberkellnerin wos du wol kenst die Res. Sie habm ihm z' Frankreich ein Hax abgschossen. Lebe gesunt und klüglich und sei gegrißt von deinen Nachpar Schmied. Das meine zwo Bubm gefallen sind wirst du wol wissen. wan wird er auch mich holen, der boanerne Gfater. ich bin bereit, Grus Huffschmied.«
Die Hanni steht stumm und bleich; und ihr Gedenken eilt hin in das Häuslein zu Öd, hin in die niedere, armselige Kammer, darin ihr Ähnlein in den letzten tiefen Schlaf gesunken ist. Sie steht vor der Heimgegangenen, begleitet sie auf dem letzten weiten Weg, hin zum Freithof in Schönau; und sie steht vor dem schwarzen Hügel mit dem verrosteten Kreuz, betrachtet im Geist die düstere Kammer, hört das Rieseln und Kollern der Erdschollen, das Beten des Pfarrers, das Singen des Lehrers; sie schaut auf das Häuflein Menschen, die da um die Grube stehen, gaffen und lusen und gedankenlos ihr Vaterunser um eine friedliche Ruhe für die Entschlafene herunterleiern, indes abseits einer ist, der alt Hufschmied von Öd, dem das Wasser in den Augen steht und der seufzt: »Wann kommt endlich auch deine Stund?«
Und langsam füllen sich auch ihre Augen mit Wasser, rollt eine Zähre auf das Papier. Mittendrin aber schüttelt sie etwas von sich ab, strafft sich zur Höhe und wischt sich rasch über die Augen. Dann öffnet sie die beiden andern Schreiben, ersieht daraus, daß ihre Mutter, die sie eigentlich nie recht kannte, irgendwo in einem Krankenhaus verstarb, und daß sie, die Johanna Rumpl von Öd bei Schönau in Bayern, die alleinige Erbin des Besitzes und der Habe ihrer Großmutter ist. – Also mehrt sich das Gut der Hanni um ein gerechtes Häuflein Geld und Sach; davon besonders zu benennen ist das Kästlein in der alten Gewandtruhe mit siebzehnhundert alten Silbergulden und einem vergilbten Schrieb desselbigen rothaareten Steinmüllersohnes von Kreuz, den das Urahnl der Hanni beinah als seinen Eheherrn hätt um die Finger wickeln können, wenn das schwarzhaarete Kindl nicht gewesen wär. In dem Schrieb aber bekannte er sich noch: als den in Lip demütigen und getreien Knecht und Buhl Andreas, wünschte seinem Waberl eine gute Zeit und glückhafte Genesung von einem liplichen Kindtlein. – Die Hanni hält das rauhe, modrige Papier lang in ihren Händen, und ihr Blick betrachtet die ungelenken Schriftzüge des Toten. Und es kriecht langsam in ihr eine verlegene, ungute Scham herauf darüber, daß auch sie einen Burschen einhandeln wollt um eine Spitzbubentat. Aber da blinken und gleißen die Guldenstücke lockend aus dem Kästlein und ziehen den Blick hinweg vom Betrachten und Erkennen, vom Bereuen und Fürnehmen. So daß die Dirn darauf vergißt und lieber mit den Fingern in den hellklingenden Münzen wühlt und dabei summt: »Wanns Kronataler regnen tuat – und Guldnstückl schneibn, – nachher bitt i unsern Hergott, – es möcht's Wetter a so bleibn!«
Im Hause des Martlbräu herrscht Lust und Freud. Der einzige Sohn, der Ferdl, ist auf Urlaub heimgekommen und wurde empfangen mit Blumen und Girlanden, mit Willkommengrüßen auf Transparenten und einer Jubelhymne auf dem Klavier. Und die Mutter preist ihr Glück, daß sie ihren Buben wiedersieht, freut sich über seine goldenen Borten und die Knöpfe an seiner grauen Uniform, die ihn als Vizewachtmeister der Feldartillerie kennzeichnen, und läßt Freund und Nachbarn teilnehmen an Glück und Freud; indes der Vater zufrieden und wohlwollend den Erzählungen des Sohnes lauscht und das schlichte schwarze Kreuz in der Hand hält, betrachtet und es danach den Stammgästen zeigt. Die Schwester des Herrn Vizewachtmeisters aber prangt in Festgewändern, hüpft und tänzelt um den feschen Bruder herum, hat hundert Pläne im Kopf und eine Menge Vorschläge im Mund, wie der Ferdl am besten seine zehn Tag Urlaub in Saus und Braus und in ihrer Gesellschaft hinbringen könnt, und weint schließlich vor heller Enttäuschung und Verzweiflung darüber, daß der »fade Mensch« am liebsten bei der Mutter in der Küche oder beim Vater in der Stube hockt, raucht und sich darüber freut, daß er endlich ein bißl ausruhen und zu sich selber kommen kann.
Eine aber ist, die dies Heimhocken des Herrn Ferdinand Martl nicht bedauert, die Hanni. Für sie ist die Ankunft des Sohns vom Haus ein Ereignis, wie die Erscheinung eines neuen Kometen für den Sterngucker. Und ein Gedanke steigt in ihr auf, wächst riesengroß und beherrscht am End das ganze Denken, Sinnen und Trachten der Dirn: der Gedanke, eine Brücke zu bauen hin zu den Besitztümern des Martlbräu. Also beginnt sie sogleich ihr Werk; sie kleidet sich nach dem Vorbild etlicher feiner Herrschaftsmädchen, die abends immer das Bier holen, nur mehr in himmelblaue, getüpfelte Waschkleider, trägt weiße Schürzen mit gestickten Spitzenträgern und zwängt die Füße in schmale, braune Spangenschuhe. Auch versucht sie, ihr dichtes schwarzes Haar modisch zu richten, wellt und brennt und steht abends lang vor dem Spiegel, frisiert und probiert, flicht sich Zöpfe und löst sie wieder, macht sich Schnecken und Locken, Scheitel und Tuffen, bis sie endlich eine Haartracht findet, die ihr vorteilhaft genug erscheint, um sich in den Augen des Herrn Ferdinand ins rechte Licht zu setzen. Dazu ist sie von einer frischen, kindlichen Heiterkeit, schafft und werkt mit einer riegelsamen Emsigkeit und macht sich also schier unentbehrlich bei der Wirtin, die, des Lobes voll über die Hanni, wiederholt zu ihrem Sohn sagt: »So oane, wie d'Hanni, so tüchtig und so nett, Ferdi, und dazua aus an guatn Haus, so oane möcht i glei als Schwiegertochter. Der tät i's Gschäft schon anvertraun!«
Und der Herr Ferdl schmunzelt, sagt gar nichts und ist gegen die Hanni von einer gleichmäßigen höflichen Freundlichkeit, läßt sich von ihr die Uniform ausbürsten, die Ledergamaschen polieren und sagt zu seinem »Danke« stets auch noch.- »liebs Hannerl« oder »liebs Kind«, kneift sie in die Wange oder tätschelt sie schier väterlich zärtlich. Dabei dann die Hanni alle Register ihrer galanten Kunst gezogen hat, lacht, scherzt, mit Blicken betört und mit allerhand Reizen lockt, die Zähne zeigt und die frischen roten Lippen spitzt, und doch wieder sich scheu und schier unnahbar macht, wenn ihr der gesunde, heißblütige Mensch gefährlich erscheint. So treibt sie dies Spiel eine ganze Woche und bringt damit ihren unentwegten Verehrer, den Metzgerhans, in nicht geringe Wut und Verzweiflung, also daß er in groben Worten seine Meinung sagt: »Laß dir nur Zeit! Es is scho oana, der wo sorgt, daß d' Baam net in Himmel wachsen! Dei Hochmuat tuat scho aa no an Kniafall, wart nur!« Doch die Hanni lacht und denkt: Du brummst mir guat! Du hast glei ausbrummt, wann amal i da herin was z' redn hab! Du wirst dein Strohsack schnell vor der Tür habn!
Inzwischen geht die Zeit des Urlaubs rasch dahin, und der letzte Sonntag, an dem der Herr Ferdl noch zu Haus bei den Eltern weilt, bricht an. Und der Herr Vizewachtmeister sagt am Vormittag zu seiner Mutter: »Heut nachmittag möcht i no gern an Kameraden aufsuchen. Wenn i abends net heimkomm zum Essen, bin i dort eingladen; daß d' es weißt.« Die Hanni hört's. Und sie sagt sich: »Heut oder nie. Heut hab i mein Ausgang. Der Kamerad wart't schon.« Also steht sie gleich nach der Mittagszeit droben in ihrer Kammer, wäscht und schrubbt an sich herum, kleidet sich vom Fuß bis zum Kopf nagelneu und betrachtet endlich befriedigt ihr Spiegelbild. In dem einfachen schwarzen Lüstergewand mit dem feinen weißen Spitzenkragen, dem soliden Hut und dem sauberen Schuhwerk sieht sie besser aus als manche Bürgerstochter, die in Modefähnchen und auf überspannten Stöckelschuhen einhertrippelt. Ihre Finger schlüpfen in die schwarzen Lederhandschuhe, sie nimmt den neuen Schirm aus dem Koffer und geht hinab in die Küche, wo sie von der Frieda und dem Fräulein Berta sogleich wegen ihres »feschen« Aussehens bewundert wird. Da aber in dem Augenblick draußen an der Schenke der Herr Ferdinand seinem Vater grad zum Abschied die Hand gibt, so hört die Hanni nicht mehr auf das Gerede, sagt kurz: »Pfüagood« und geht durch die große Toreinfahrt aus dem Haus.
Der Herr Vizewachtmeister geht langsam, seine Handschuhe zuknöpfend, mit rasselndem Säbel, der Straßenbahn zu. Die Hanni folgt ihm in kurzem Abstand. Er zündet sich eine Zigarette an und besteigt einen Wagen, der stadteinwärts fährt. Die Hanni springt geschwind in den Anhängwagen, verlangt: »So weit's geht!« und läßt ihren Vogel nicht aus den Augen. Der steht rauchend und sinnierend in einer Ecke, bis der Schaffner ruft: »Maximilian-Lenbach-Platz die nächste!« Da wird er unruhig, zündet sich an der abgebrannten Zigarette eine neue an, schaut suchend aus dem Wagen, faßt den Säbel und steigt aus. Auch die Hanni verläßt den Wagen und folgt dem rasch Dahineilenden, wie der Jäger einer Wildspur. Jetzt biegt er in die schattige Anlage ein, grüßt einen Offizier, dankt etlichen Soldaten und verlangsamt seine Schritte. Elegante, aufgeputzte Menschen gehen an ihm vorüber, folgen ihm, überholen ihn. Und die Hanni denkt: »Jetz is der rechte Augenblick da. Jetz kann er net aus!«
Sie überlegt, wie sie ihn begrüßen, anreden soll; da läßt ihr etwas das Blut schier gefrieren ... Eine hochgewachsene Dame in duftigen Gewändern eilt plötzlich auf den Herrn Ferdl zu, er streckt ihr beide Hände hin, sie begrüßen sich mit einer großen Zärtlichkeit und Freude und schlingen ihre Arme ineinander, indem sie lachend und scherzend zu einem Wagen gehen, dem Kutscher etwas zurufen und davonfahren. Und also die Hanni, schier zur Salzsäule erstarrt, stehen lassen.
Es währt eine gute Weile, bis die starre Bewegungslosigkeit von ihr weicht, die Augen sich langsam grünlich färben, die Zähne sich knirschend aufeinanderpressen und die Brust wild arbeitet vor Wut und Enttäuschung. Mit einem Ruck macht sie kehrt und geht planlos dahin, bis sie sich doch zu guter Letzt daheim in ihrer Magdkammer wiederfindet. Am Abend dieses Tages sagt die Hanni das erstemal zum Metzgerburschen: »Lieber Hansl!«