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Fünf Briefe an Andres

 

Erster Brief

Du möchtest gern mehr von unserm Herrn Christus wissen. – – Andres! wer möchte das nicht?

Aber bei mir kömmst Du unrecht. Ich bin kein Freund von neuen Meinungen und halte fest am Wort. So gar hasse ich das Kopfbrechen an Religionsgeheimnissen; denn ich denke, sie sind eben darum Geheimnisse, daß wir sie nicht wissen sollen, bis es Zeit ist.

Wenn wir ihn nicht selbst sehen können, Andres, so müssen wir denen glauben, die ihn gesehen haben. Mir bleibt anders nichts übrig.

Was in der Bibel von ihm steht, alle die herrlichen Sagen und herrlichen Geschichten sind freilich nicht er, sondern nur Zeugnisse von ihm, nur Glöcklein am Leibrock; aber doch das Beste, was wir auf Erden haben, und so etwas, das einen wahrhaftig freuet und tröstet, wenn man da hört und sieht, daß der Mensch noch was anders und bessers werden kann, als er sich selbst gelassen ist.

Und was in der Bibel von ihm steht, das hab' ich gelesen mehr als einmal und nehme es, so wie es da steht, ohne zu noch ab zu tun. Willst Du also davon mit mir schreiben und sprechen, so gut ich's kann und salvo meliori judicio; von Herzen gern! Ich weiß für mich nichts Liebers und Erfreulicheres als von Hülfe und Errettung, und wem's anders ist, der muß nie in Not gewesen sein, noch andre darin gesehen haben. Rufet doch ein Weib, das ihren verlornen Groschen wieder funden hat, ihren Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: »Freuet euch mit mir, denn ich habe meinen Groschen funden, den ich verloren hatte.« Und was ist das für eine Not, daraus man mit Geld errettet werden kann!

Besinnest Du Dich noch unsrer ersten Schiffahrt, als wir den neuen Kahn probierten und ich mitten auf dem Wasser herausfiel? – Ich hatte schon alles aufgegeben und dachte nur daran, wie mir der Tod schmecken und was meine arme Mutter sagen würde; da sah ich Deinen ausgestreckten Arm herkommen und hakte an! und ich seh' ihn noch immer, Andres, wenn ich nur von ungefähr Deinen Namen lese oder oft nur auf ein großes A stoße. Im Grunde war Deine Hülfe nur ein Palliativ; denn was damals ohne Dich das Wasser würde getan haben, das werden nun die andern Elemente noch tun, und Du wirst mich nicht retten. Aber ich kann doch den Arm nicht wieder vergessen! und ich glaube, daß er bei unsrer innigen Freundschaft die Hand viel mit im Spiel habe. Das ist hier einmal mit uns nicht anders: Not lehrt beten, und Hülfe und Errettung erfreut!

Und nun ein Erretter aus aller Not, von allem Übel! Ein Erlöser vom Bösen! Und nun ein Helfer, wie die Bibel den Herrn Christus darstellt, der umher ging und wohl tat und selbst nicht hatte, wo er sein Haupt hinlege; um den die Lahmen gehen, die Aussätzigen rein werden, die Tauben hören, die Toten aufstehen und den Armen das Evangelium gepredigt wird; dem Wind und Meer gehorsam sind, und der die Kindlein zu sich kommen ließ und sie herzte und segnete; der bei Gott und Gott war und wohl hätte mögen Freude haben, der aber an die Elenden im Gefängnis gedachte und verkleidet in die Uniform des Elends zu ihnen kam, um sie mit seinem Blut frei zu machen; der keine Mühe und keine Schmach achtete und geduldig war bis zum Tode am Kreuz, daß er sein Werk vollende; – der in die Welt kam, die Welt selig zu machen, und der darin geschlagen und gemartert ward und mit einer Dornenkrone wieder hinausging! –

Andres, hast Du je was ähnliches gehört, und fallen Dir nicht die Hände am Leibe nieder? Es ist freilich ein Geheimnis, und wir begreifen es nicht; aber die Sache kömmt von Gott und aus dem Himmel, denn sie trägt das Siegel des Himmels und trieft von Barmherzigkeit Gottes...

Man könnte sich für die bloße Idee wohl brandmarken und rädern lassen, und wem es einfallen kann zu spotten und zu lachen, der muß verrückt sein. Wer das Herz auf der rechten Stelle hat, der liegt im Staube und jubelt und betet an.

Sprich und schreibe also davon mit mir, Du mein herzlieber Andres, wie und was Du willst, und will Dir keine Antwort schuldig bleiben.

Dein etc.

 

Postskript

Es gibt einige Leute, Andres, die alles bekehren wollen und mit der Bibel in der Hand hinter jeden hochfahrenden Geist und Taugenichts herlaufen. Das soll aber nicht sein und ist ärgerlich anzusehen, wo auch der Fehler stecke. Die Lehre Christi, die nicht einer wert ist zu hören, mag allerdings allen Menschen geprediget werden; aber sie soll nicht weggeworfen werden, und wer's nicht besser haben will, der mag's bleiben lassen.

Unser Herr Christus spricht auch gar anders über die Jüngerschaft. »Wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und sitzet nicht zuvor und überschlägt die Kosten, ob ers habe hinauszuführen? auf daß nicht, wo er nur den Grund gelegt hat und kann's nicht hinausführen, all die es sehen, fahen an, seiner zu spotten und sagen: dieser Mensch hub an zu bauen und kann's nicht hinausführen. – Also auch ein jeglicher unter euch, der nicht absaget allem, das er hat, kann nicht mein Jünger sein.« Und in seiner Instruktion an seine ausgehenden Apostel: »Wo ihr aber in eine Stadt oder Markt gehet: da erkundiget euch, ob jemand drinnen sei, der es wert ist; und bei demselben bleibet, bis ihr von dannen ziehet – und wo euch jemand nicht annehmen wird, noch eure Rede hören: so gehet heraus von demselbigen Hause oder Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen.«

Und nun erwarte ich Deine weiteren Befehle.

 

Zweiter Brief

Also ich soll Dir zum Anfang die Geschichte vom Zinsgroschen erklären! – Daß ich Dir etwas erklären soll, dünkt mich eben so, als wenn ich abends vom Lehnstuhl vor meinem seligen Vater predigen mußte. Indes ich bin zu Deinem Dienst.

Aber Andres, Du machst es mit Deinen Texten wie auf der Hochzeit zu Kana in Galiläa, wo zuerst der geringere Wein gegeben ward. Die Pharisäer fahren hier freilich sehr übel; was ist aber da eben für große Freude daran? – Im Grunde müssen sie einen doch dauern. Und Christus und die Weltweisheit sind nicht Partie egal; man weiß vorher, daß sie immer den Kürzeren ziehen muß. Die Art freilich, wie unser Herr Christus sie den Kürzern ziehen läßt, die ist überköstlich und macht alles gut; und so will ich nur gleich anfangen, und weil Du die Geschichte doch so lieb hast, etwas weitläuftiger sein, als sonst wohl nötig wäre.

»Da gingen die Pharisäer hin und hielten einen Rat, wie sie ihn fingen in seiner Rede.«

In diesem Rat ward ein Projekt beliebt: ihn sagen zu machen, daß dem Kaiser der Zins nicht gebühre. Eigentlich waren die Pharisäer wider den Kaiser, hatten ihm auch keinen Eid schwören wollen; aber der König der Wahrheit war ihnen noch mehr zuwider, weil sie bei dem noch mehr zu verlieren hatten. Und so schickten sie sich in die Zeit und machten Allianz mit dem Kaiser, um sich durch den geringem Feind den größern vom Halse zu schaffen. Christus sollte sagen: es sei nicht recht, daß man dem Kaiser Zins gebe, und denn war er verloren, meinten sie, und scheinen sie auf die prompte Justiz in Kameralsachen gerechnet zu haben.

Aber wie macht man ihn das sagen? – Die schlauen Füchse kannten sich und wußten, daß eine Wanne mit Wasser eher überfließt, wenn sie in Bewegung gesetzt ist. Deswegen beschlossen sie weiter: ihm durch verstelltes Lob und Anerkennung seiner Kompetenz das Herz vorher groß zu machen, seine Wahrhaftigkeit, seinen graden Sinn und sein Nichtachten der Person vor dem Volk zu loben, damit er geneigt würde, gleich davon eine Probe gegen den Kaiser zu geben.

Das alles war hier nun freilich nicht angebracht; aber sie verstunden das nicht besser, und so sandten sie denn ihre Jünger und sprachen:

»Meister, wir wissen, daß du wahrhaftig bist und lehrest den Weg Gottes recht, und du fragest nach niemand; denn du achtest nicht das Ansehen der Person. Darum sage uns, was dünket dich? Ist's recht, daß man dem Kaiser Zins gebe oder nicht?«

Und Herodis Diener mußten gleich mitgehen, damit es bei dem Zeugenverhör desto weniger Weitläufigkeit gäbe, oder als gute Freunde, die den Sieg mit ansehen und ausbreiten helfen sollten. Ja! oder Nein! – und in beiden Fällen siegten die Pharisäer. Denn sollte Christus den Zins gut heißen und also dem Hauptprojekt ausweichen, so verdarb ers beim Volk, das den Zins ungern bezahlte und von seinem Messias Befreiung von allem fremden Joch erwartete.

Die Sache war sehr klug angelegt, und wäre ceteris paribus gewiß zehn- gegen einmal durchgegangen. Hier, wie gesagt, ging's nicht.

»Da nun Jesus merkete ihre Schalkheit, sprach er: ihr Heuchler, was versuchet ihr mich?«

Das war der freimütige gerade Sinn etc., den sie aus Schalkheit gelobt hatten, wahrhaftig; aber anders, als sie erwarteten.

Mathematisch gewiß waren wohl die Pharisäer des guten Ausgangs nicht, denn sonst wären sie selbst gekommen und hätten nicht ihre Jünger geschickt; indes hatten sie doch ohne Zweifel gute Erwartungen, und sie haben ohne Zweifel den deputierten Jüngern in einem nicht geringen Ton von ihrer klugen Anlage und Erfindung gesprochen, und diese hatten gewiß ihre heimliche Freude: daß Christus von dem allen nichts wisse und ihrem ehrbaren Gesicht nicht ansehen werde, was hinter ihrer Frage stecke. Und Du kannst denken, wie sie erschrocken sind, als unser Herr Christus anfing zu sprechen, und, seiner Gewohnheit nach, nicht dem Gesicht, sondern dem Herzen antwortete.

»Da nun Jesus merkete ihre Schalkheit, sprach er: ihr Heuchler, was versuchet ihr mich? Weiset mir die Zinsmünze. Und sie reichten ihm einen Groschen dar. Und er sprach zu ihnen: wes ist das Bild und die Überschrift? Sie sprachen zu ihm: des Kaisers. Da sprach er zu ihnen: so gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gotte, was Gottes ist.«

Andres, was ist doch für Sinn in allem, das aus seinem Munde kömmt! Es vermahnt mich damit so, wie mit den Schachteln, wo immer eine in der andern steht. Seine Antwort kann wohl so ausgelegt werden: ihr habt die Hoheit und den Schutz des Kaisers anerkannt und sein Geld in euren Taschen; so müßt ihr auch tun, was das mit sich bringt! Und ich wüßte nicht, was der größte Staatsmann anders hätte sagen können. Aber Christus war mehr als Staatsmann.

»Wes ist das Bild und die Überschrift?«

Er sprach hier zu Pharisäern, die auf Moses Stuhl saßen, die zwar weder für sich noch für andere aufschließen konnten, aber doch die Schlüssel der Erkenntnis an einem großen Haken an der Seite trugen und sich mit dem Buchstaben des Gesetzes, als die einzigen wahren Ausleger desselben, brüsteten. Christus verwies ihnen bei einer anderen Gelegenheit diesen ihren blinden Stolz: daß sie meinten, das ewige Leben in der Schrift zu haben, und nicht wüßten, wo sie es suchen sollten. Hier was ähnliches. So große Ausleger des Moses mußten ja die Lehre von dem Ebenbilde verstehen und wo das hingehört, denn es war seine Hauptlehre. Wie konnten sie denn fragen, ob der Zinsgroschen dem Kaiser gehöre, da sein Bild darauf stand? – Gott hatte den Menschen gemacht, ein Bild, das ihm gleich sei; der Kaiser hatte auch sein Bild machen lassen, und das war von Silber und stand auf der Zinsmünze. – Moses und die Propheten hatten Israel den Weg gelehret, sich vor fremdem Joch und Zinsmünze zu bewahren, nämlich wenn sie an Gott, ihrem Urbilde, von ganzem Herzen hingen und keine andre Götter hätten neben ihm etc. –

»Wes ist das Bild und die Überschrift?«

Fühlst Du nicht den feinen Sinn? – Es war 'n Zipfel ihnen vom Rock abgeschnitten! 'n Pfeil aus ihrem eignen Zeughause ihnen gewiesen! aber auch nur gewiesen.

Über das Ebenbild Gottes hatten die Eiferer für die Religion nichts zu fragen, wohl aber über das silberne Ebenbild des Kaisers. – Die Zinsmünze und das Geben oder Nichtgeben derselben war im Grunde eine kleine unbedeutende Angelegenheit, die über ihre Glückseligkeit nichts entschied. – Überhaupt war die ganze Frage über das Recht und Unrecht der Zinsmünze eine sehr alberne Frage und grade so viel, als wenn ein Ehebrecher fragen wollte: ob es recht sei, die auf den Ehebruch gesetzte Strafe zu bezahlen. – Du siehst, wie die Pharisäer eigentlich standen, und was von allen Seiten für Anlaß und Raum zu bitterer Antwort war, und Gott weiß, daß sie hier nicht unverdient gegeben wäre. Aber er war zu gut, bitter zu sein. Auch war er nicht gekommen, das letzte Wort zu behalten und über die Künste der Pharisäer und Weltweisen zu triumphieren, sondern die Künstler selig zu machen; und das treiben alle seine Handlungen und Reden.

Er sagte:

»So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gotte, was Gottes ist.«

Wie unser Herr Christus, so waren auch seine Handlungen und Reden. In sich: Gnade und Wahrheit und ewigs Gut, und auswendig: armes Fleisch und Blut und Knechtsgestalt.

Wenn er des Jairi gestorbnes Töchterlein vom Tode auferwecken will, spricht er: »Das Mägdlein schläft«, und nimmt sie, als ob sie wirklich nur schliefe, bei der Hand und ruft: »Mägdlein, stehe auf«; und ihr Geist kam wieder etc.

Wenn er von der über alle Maße hohen Seligkeit seiner wahren Nachfolger sprechen will, sagt er: »Wer mein Wort hält, der wird inne werden, ob meine Lehre von Gott sei.« So auch hier:

»Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gotte, was Gottes ist.«

Wie klein von außen! Und doch enthalten die Worte nichts geringers für sie als einen und den einzigen Rat: aus aller ihrer Not zu kommen; denn außer der Herstellung des Ebenbildes Gottes in ihnen war alles übrige löcherichte Brunnen.

Aber nun noch inniger und Mann an Mann.

So wenig die Pharisäer es auch glaubten und wußten, so waren sie doch blind und elend und brauchten Hülfe. Darum hofften sie auch, wiewohl mit Unverstand, auf einen Messias und lehrten das Volk, auf ihn hoffen. Der vor ihnen stand und mit ihnen redete, war der große Heiland, der diese Hülfe brachte und sie und alle verirrte Schafe vom Hause Israel in seine Arme sammeln wollte! Ihn verkennen sie und wollen ihn mit Fragen über das Ebenbild des Kaisers überlisten und in Unglück bringen. Und er ... vergibt ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun; und er weist sie hin auf Hülfe, die ihnen so nahe war, und öffnet die Arme.

»Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gotte, was Gottes ist.«

Das heißt antworten! – Selig ist der Leib, der Dich getragen hat, und die Brüste, die Du gesogen hast!

Und wir haben noch unsre verkehrten Begriffe vom Gelde, vom Menschen und dem Reiche Gottes. Was meinst Du, wenn wir das alles mit andern Augen ansehen könnten? Da würden wir erst seine Antwort verstehen, und die Fülle von Gnade und Wahrheit, die in ihr ist.

Sieh Andres, so geht er mit den Pharisäern um. Willst Du aber sehen, wie sie selbst mit sich umgehen, so lies unter andern die Geschichte von dem Blindgebornen, Johannis 9 vom 10. bis 34. V. inclusive. Ich weiß wohl, die Bibel liegt immer nicht weit von Dir; sie könnte doch aber grade einmal in der andern Kammer liegen; und so will ich herschreiben:

»Da sprachen sie zu ihm: Wie sind deine Augen aufgetan? Er antwortete und sprach: Der Mensch, der Jesus heißt, machte einen Kot und schmierte meine Augen und sprach: Gehe hin zu dem Teiche Siloha, und wasche dich. Ich ging hin und wusch mich und ward sehend. Da sprachen sie zu ihm: Wo ist derselbige? Er sprach: Ich weiß nicht. Da führeten sie ihn zu den Pharisäern, der weiland blind war.

Es war aber Sabbath, da Jesus den Kot machte und seine Augen öffnete.

Da fragten sie ihn abermals, auch die Pharisäer, wie er wäre sehend geworden? Er aber sprach zu ihnen: Kot legte er mir auf die Augen, und ich wusch mich und bin nun sehend. Da sprachen etliche der Pharisäer: Der Mensch ist nicht von Gott, dieweil er den Sabbath nicht hält. Die andern aber sprachen: Wie kann ein sündiger Mensch solche Zeichen tun? Und es ward eine Zwietracht unter ihnen. Sie sprachen wieder zu dem Blinden: Was sagest du von ihm, daß er hat deine Augen aufgetan? Er aber sprach: Er ist ein Prophet.

Die Jüden gläubten nicht von ihm, daß er blind gewesen und sehend geworden wäre, bis daß sie riefen den Eltern des, der sehend war worden. Fragten sie und sprachen: Ist das Euer Sohn, welcher Ihr saget, er sei blind geboren? Wie ist er denn nun sehend? Seine Eltern antworteten ihnen und sprachen: Wir wissen, daß dieser Sohn unser ist, und daß er blind geboren ist. Wie er aber nun sehend ist, wissen wir nicht; oder wer ihm hat seine Augen aufgetan, wissen wir auch nicht. Er ist alt genug, fraget ihn; lasset ihn selbst für sich reden. Solches sagten seine Eltern, denn sie furchten sich vor den Jüden. Denn die Jüden hatten sich schon vereinigt, so jemand ihn für Christum bekennete, daß derselbige in den Bann getan würde. Darum sprachen seine Eltern: Er ist alt genug, fraget ihn.

Da riefen sie zum andernmal dem Menschen, der blind gewesen war, und sprachen zu ihm: Gib Gott die Ehre. Wir wissen, daß dieser Mensch ein Sünder ist. Er antwortete und sprach: Ist er ein Sünder, das weiß ich nicht; eines weiß ich wohl, daß ich blind war und bin nun sehend.

Da sprachen sie wieder zu ihm: Was tät er dir? Wie tät er deine Augen auf? Er antwortete ihnen: Ich hab's Euch jetzt gesaget; habt Ihr's nicht gehöret? Was wollet Ihr's abermals hören? Wollet Ihr auch seine Jünger werden? Da fluchten sie ihm und sprachen: du bist sein Jünger; wir aber sind Mosis Jünger. Wir wissen, daß Gott mit Mose geredet hat; diesen aber wissen wir nicht, von wannen er ist. Der Mensch antwortete und sprach zu ihnen: Das ist ein wunderlich Ding, daß Ihr nicht wisset, von wannen er sei; und er hat meine Augen aufgetan. Wir wissen aber, daß Gott die Sünder nicht höret; sondern so jemand gottesfürchtig ist und tut seinen Willen, den höret er. Von der Welt an ist's nicht erhöret, daß jemand einem gebornen Blinden die Augen aufgetan habe. Wäre dieser nicht von Gott, er könnte nichts tun. Sie antworteten und sprachen zu ihm: Du bist ganz in Sünden geboren und lehrest uns? Und stießen ihn hinaus.«

Nicht wahr, ärger konnten sie doch sich nicht prostituieren? Und es fehlt nur noch, daß sie eine Kommission von Naturkündigern und Ärzten niedergesetzt hätten: das Faktum zu untersuchen und darüber ihr Bedenken einzugeben.

Ich setze kein Wort zum Text hinzu; und, die Wahrheit zu sagen, es dünkt mir das als die beste Methode, wenn man nichts hinzusetzt, denn man verdirbt doch nur daran.

Dein etc.

 

Dritter Brief

Du frägst: welche Geschichten mir die herrlichsten dünken?

Alle, Andres, alle! ... ein jedes Wort, das aus seinem Munde gegangen ist, eine jede Bewegung seiner Hand ... seine Schuhriemen sind mir heilig. Und wer kann sich was wollen dünken lassen?

Wenn er sagt: »Friede sei mit Euch«, so haben wir unser ganzes Leben zu tun und werden es wohl im Himmel erst verstehen lernen, was das einzige Wort Friede in seinem Munde heiße.

Andres, Du kannst denken, daß alles, was ihn angehet und was er gesagt und getan hat, viel Sinn und Bedeutung habe; und daß wir zu klein sind, über die Herrlichkeit der Geschichten zu richten.

Indes machen sie doch, wie sie da stehen, auf unser Herz verschiednen Eindruck; und da, muß ich sagen, freuen mich die am meisten, wo er vom ewigen Leben spricht und von einem Tröster, den er senden will; wo er den Blinden die Augen auftut; wo er die Seinen liebt bis ans Ende und mit ihnen das Abendmahl hält, und wo er Tod und Teufel meistert.

Denk einmal, Andres, wenn der Teufel, der so mächtig ist, und der nur Freude daran hat zu quälen und alles um sich her elend zu machen, wenn der freie Hand und niemand über sich hätte; was würde aus der Welt und uns armen Menschen werden! Muß es einen denn nicht freuen, wenn man sieht, daß er einen Übermann hat, und daß gerade der sein Übermann ist, der da half und gesund und selig machte alle, die zu ihm kamen, und des Barmherzigkeit kein Ende hat? Und der Tod! Er ist doch schrecklich, Andres, und der Wurm am Zaun krümmt sich vor ihm, denn er nimmt uns alles. Wenn Du nun siehst, daß unser Herr Christus zu Nain einen Toten erweckt, den sie zu Grabe trugen, und zu Bethanien einen, der schon vier Tage im Grabe gelegen war etc., wenn Du ihn nun von Hütten des Friedens sprechen hörest, wo wir unsern Anselmo wieder sehen sollen, und wo die guten und frommen Menschen aller Zeiten und Völker sollen versammelt werden; wenn Du ihn nun sagen hörst, daß wer an ihn glaubt, nicht sterben soll, ob er gleich stürbe – freut Dich das nicht, Andres? und wünschest Du nicht von Herzen, an ihn zu glauben? Aber »der Glaube ist nicht jedermanns Ding«, und er steht nicht so zu Gebot, Andres. Die Apostel selbst, die um ihn waren, und die gesehen und gehört hatten, sprachen zu dem Herrn: »stärke uns den Glauben«. – Ich sehe an dem kananäischen Weiblein und andern Exempeln: daß man wenig wissen kann und großen Glauben haben; und an den Pharisäern etc., daß man viel wissen kann und doch nicht glauben. – Christus sagte zu den Pharisäern: »wie könnet Ihr glauben, die Ihr Ehre von einander nehmet«; und Paulus spricht von »Menschen von zerrütteten Sinnen, untüchtig zum Glauben« usw.

Daher sehe ich die Geschichten, wo vom Glauben die Rede ist, fleißig an und merke auf den Sinn solcher Leute, um daraus zu lernen: nicht was ich noch wissen muß, um glauben zu können, sondern was ich noch vergessen, mir aus dem Sinn schlagen und von mir abtun muß, damit der Glaube recht an mich haften könne.

Dein etc.

 

Vierter Brief

Freilich gibt es Leute, Andres, die den Teufel leugnen; die, wie Doktor Luther sagt, »keine Sünde, kein Fleisch, keinen Teufel, keine Welt, keinen Tod, keine Fahr, keine Hölle haben, das ist, der keines glauben, ob sie wohl bis über die Ohren darin stecken.«

Die ganze Natur und Religion supponieren einen Teufel; Christus wird vom Teufel versucht; treibt Teufel aus, und seine Apostel sagen: daß er gekommen sei, die Werke des Teufels zu zerstören – Und nun tritt einer auf und meint: es sei kein Teufel! – Das bedarf doch wohl keiner Antwort.

Weiter sagst Du von den Wundergaben und dem heiligen Geist, und daß die aufgehört hätten, weil sie, nachdem das Christentum gegründet sei, nicht mehr nötig wären! –

Das von den Wundergaben versteh' ich nicht, und Du mußt Dich an die Theologen wenden. Aber in die Gründung des Christentums und die Unnötigkeit des heiligen Geistes kann ich mich nicht finden. Mich dünkt: der heilige Geist ist immer nötig, und wenn der fehlt, fehlt alles. In Summa, ich glaube einfältig mit der christlichen Kirche: daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christum meinen Herrn glauben oder zu ihm kommen kann; daß der heilige Geist zur Besserung jedes einzelnen Menschen unentbehrlich sei; und daß es ohne ihn keine Besserung, kein Leben und keine Seligkeit gebe.

Ohne ihn, Andres, sind wir ja wieder uns selbst gelassen. Und von da gingen wir aus, daß wir uns selbst gelassen nichts können, wir mögen sein Juden oder Heiden, oder wer wir wollen; denn in Christo gilt nicht »Beschneidung noch Vorhaut«, nicht Bischofsmütze noch Doktorhut, nicht Zwingel noch Luther, sondern eine »neue Kreatur« wie St. Paulus saget.

Die Wiedergeburt ist, wie Johannis am 3ten zu sehen ist, ein Geheimnis, und die Meister in Israel kannten sie nicht alle, auch nicht einmal von Hörensagen.

Dein etc.

 

Fünfter Brief

Sein Reich ist nicht von dieser Welt! – Darum haßten ihn die Juden und verfolgten und töteten ihn ...

Laß uns nicht verdammen, Andres!

Es ist himmelschreiend, was sie getan haben, und davon ist nicht die Rede.

Aber Unser Herr Christus gibt keinem das Recht, den ersten Stein aufzuheben, als der rein ist. Und wer ist rein? –

Wir sollen nicht lieb haben die Welt und was in der Welt ist; wir sollen unser eigen Leben hassen und verlieren, und es soll geistlich bei uns gerichtet sein. –

Nicht verdammen, Andres!

Es ist recht und wahr von Dir geschrieben, Andres, daß man ihn so innig lieben und so mit ganzem Herzen an ihn hangen kann, weil er so durchaus und über alles gut ist; auch ist das sehr recht und wahr, daß einen die Menschengestalt an ihm so wunderbar freuet. Aber, daß Du so gerne im gelobten Lande sein möchtest! –

Es dünkt einen freilich so, Andres, als wäre von den Wegen, die er gewandelt, von den Bergen, darauf er mit seinen Jüngern gesessen ist, noch der Segen nicht wieder genommen; als werde man auf dem Ölberge noch Spuren seines Nachtlagers, auf dem Tabor noch Strahlen seiner Verklärung finden; als stehe, wo er die Stadt ansahe und über sie weinte, wo er niederkniete und betete, wo er das heilige Abendmahl einsetzte, wo er gekreuziget und gestorben ist, noch immer ein Kreis Engel und gelüste, in das Geheimnis hineinzuschauen, und bewache den Ort; kurz, als sei er uns im gelobten Lande näher. Wir wissen aber, daß er einmal auf Erden erschienen ist, sichtbar, damit alle Menschen wüßten, daß er sei, und wes sie sich zu ihm zu verstehen haben; und daß er unsichtbar allenthalben ist. Und wo er ist, Andres, ist das gelobte Land.

Wie gesagt, solche Empfindungen, so lieblich und lobenswert sie sind, können zu weit führen, und sie sind nicht die Sache.

Uns und unserm verderbten Willen aufrichtig entsagen und seinen Willen tun, das ist die Sache; und es ist in keinem andern Heil.

Gott sei mit Dir, mein lieber Andres, und besuche mich bald.


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