Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Bild der Mutter

1817

 

Erstes Kapitel.

Es war an einem Sonntage gegen Abend, als Georg Haberland, der Maler, müde und durstig vor dem Wirthshause zum goldnen Bock anlangte.

Im Sonntagsschmuck, festliche Erwartung auf den Gesichtern, zogen Männer, Weiber und Kinder in bunten Schaaren durch das weitgeöffnete Thor nach dem Hofraum. Vor der Hausthür aber stand ein bepackter Reisewagen, und vor dem Wagen ein ältlicher Herr, der eben einer darin sitzenden Dame die Hand zum Aussteigen reichte.

»Unter zwei Stunden keine Pferde!« hörte ihn Georg sagen. »Sie müssen es sich nun schon so lange hier gefallen lassen, liebe Natalie! Der Zufall sorgt indeß für unsere Unterhaltung. Eine wandernde Truppe hat den Thespiskarren in dieses Haus geschoben und eröffnet heut eben ihre Bühne.«

Während dieser Worte hatte er seiner Begleiterin den Arm geboten und führte sie langsam nach dem Hause. Es war eine schlanke, herrliche Gestalt. Ein Schleier entzog Georgen ihr Gesicht. – »Aber, lieber Onkel,« sprach sie auf italienisch, indem sie an ihm vorüber gingen, »lieber Onkel, Sie wissen doch – in einer solchen Stimmung« – – »Mir zu Liebe!« unterbrach sie dieser – »Mir zu Liebe, theure Natalie, und sich selbst zum Besten!«

Georg stand und sah ihnen nach. Die Stimme der Unbekannten hatte ihn auf eine seltsame Weise berührt. Noch nie, schien es ihm, hatte sein Ohr eine so wunderliebliche vernommen, und dennoch dünkte sie ihm bekannt, vertraut. Eine dunkle Erinnerung regte sich träumend in seinem Innern; all sein Nachsinnen aber war vergebens; er vermochte sie nicht zum klaren Erwachen zu bringen.

Als er endlich ins Haus trat, stellte sich ihm an dem Eingang zur Wirthsstube ein besonderer Auftritt entgegen.

Diesseits der Thür stand ein langer, hagerer Mann mit kahlem Kopfe, in einem grünen, mit goldpapiernen Streifen reich besetzten Kleide, welcher eine jenseits befindliche, kleine, breitschultrige Figur in Hanswursttracht beim Arm gefaßt hatte, und sich aus allen Kräften bemühte, dieselbe theils mit Gewalt, theils mit Bitten und Versprechungen über die Schwelle zu ziehen. Der Hanswurst aber stemmte den freien Arm gegen die Thürpfoste, und antwortete hartnäckig auf alle Bitten, Ermahnungen und Verheißungen nichts weiter, als: »I will nit!« – und: »I spiel nit!« –

Der Alte ließ ihn los und rannte mit verzweifelnder Geberde aus dem Flur hin und wieder. – »O Schicksal, du entsetzliches!« rief er. »Wird denn dein eiserner Arm nie von mir ablassen? Ist es dir denn nicht genug, daß ich von Kindesbeinen an der wahre Sündenbock alles schlechten Gesindels auf Erden gewesen bin? Mußt du auch jetzt noch sogar die Hanswurstjacke anziehen, um in der Person dieses Furcifer mich zu kujoniren? Theurer Junge!«– wandte er sich wieder zu jenem – »du wirst mich doch heut, doch nicht in diesem Augenblicke im Stiche lassen? Ein neues Trauerspiel wird gegeben, welches mich an neuen Dekorationen, Gold- und Silberpapier, Colophonium und andern Requisiten ein Beträchtliches kostet; die Lichter brennen schon; hochverehrtes Publikum sitzt zahlreich auf den Bänken; Standespersonen sogar kommen angefahren und respective angegangen und zahlen nach Belieben; und du willst nicht spielen? Du willst mich zu Schanden machen vor aller Welt? Mein letztes Haar möchte ich mir ausraufen, wenn ich das Unerhörtentsetzliche bedenke!« – Er rannte wieder ein paar Schritte hin und her und kehrte dann zurück. – »Sey doch kein Esel, himmlische Seele!« fuhr mit sehr weicher Stimme fort. »Du spielst ja doch überall die Hauptrolle. Ohne dich wär' ich ein geschlagener Mann. Das nächstemal sollst du den Max spielen, ja den Tell, wenn du ihn haben willst; ich verspreche es dir. – O mein Schöpfer! Hörst du, wie die Hoch- und Höchstverehrten da hinten schon trommeln vor Ungeduld? Was begehrst du noch weiter? Was verlangst du? Wähle! Fordere! Meine Türkenpfeife? Meine rothe Plüschweste, die du so oft concupiscirt? Nimm sie hin, Satanos! Ich schenke sie dir, wenn sie dich glücklich macht, Geliebter!«

Da jener indeß allzeit bei seiner Weigerung verharrte, so stieß ihn endlich der Alte zurück, drang selbst in die Stube und rief, sich auf einen Stuhl werfend, nach Wein. – » Sic erat in fatis!« sprach er leise in gänzlicher Erschöpfung. »Ich ergebe mich! Es ist aus! Fahr hin! Mag nun tragiren und dirigiren wer will: mein Stündlein ist gekommen. An einem Hanswurst sollt' ich sterben: Ansi soit-il!« Er schenkte ein und reichte dem andern das volle Glas hin; »Trink, nequam! Guter Junge, rascal, trink! Ich danke dir für deinen Todesstoß. Bald ists vorüber und der Erde geb' ich,

der ew'gen Sonne die Atome wieder,
die sich zu Schmerz und Lust in mir gefügt,
und von dem mächt'gen Talbot, der die Welt
mit seinem Kriegsruhm füllte, bleibt nichts übrig,
als eine Hand voll leichten Staubs! – So geht
der Mensch zu Ende.«

Hanswurst ergriff das dargebotene Glas und leerte es auf einen Zug, indem sich sein Gesicht dabei auf eine höchst possierliche Art zum Weinen verzog. Der Alte reichte ihm schnell ein zweites, und legte dann den Kopf über die Rücklehne seines Stuhls zurück. – »Hinauf! Hinauf!« rief er – »Wie wird mir? Leichte Wolken – àpropos! du sollst fortan Direktor seyn, ich will es: dem Narrenkönig gehört die Welt!«–Die hellen Thränen liefen dem Harlequin über die Backen. Er schenkte sich schluchzend das dritte Glas selber ein, stürzte es aus, ergriff dann schluchzend des Direktors Arm und schrie ihm ins Ohr: »Ihr hobt gemeint, i will nit spiele? I spiel! 's kann angeh!« Und mit zwei großen Sprüngen war er aus dem Zimmer.

Der Alte richtete sich empor. » Bestia quadrata!« sprach er, setzte die Flasche an den Mund und trank den Rest aus. – »Sehen Sie, Hochgeschätztester– er wandte sich an Georg, welcher dieser Scene mit großem Behagen zugesehen hatte, »dieser Mensch hat sich entêtirt, durchaus die ersten Liebhaber- und Heldenrollen spielen zu wollen, und setzt mir auf vorgelegene Weise bei jedem neuen Stücke Daumschrauben an. O Schöpfer! ich versichre Sie, verehrter Herr, ohne die feste Hoffnung, daß jedem Schauspieldirektor jenseits der Himmel werden müsse, da ihm der liebe Gott auf Erden schon die Hölle zugewiesen, – ich nehme jedoch ausdrücklich die Direktores von Hundekomödien aus, welche hienieden die wahrhaft paradisische Wonne genießen, ihre malveillanten Akteurs mit der Peitsche zu korrigiren, während ich die meinigen nicht einmal ein wenig ausschimpfen darf, als etwa auf lateinisch oder englisch, was sie nicht verstehen. – ohne jene Hoffnung, glauben Sie mir, Werther, hätte ich schon längst nicht allein die Schauspielkunst an den Nagel gehangen, sondern auch mich selber mit. Aber das hält mich aufrecht! Nunc ingens iterabimus aequor!«

Er sprang auf: »Sie werden uns doch auch beehren, Ihro Gnaden? Ich darf Ihro Gnaden etwas mehr als Gewöhnliches versprechen. Mein erster Liebhaber, welcher der Verfasser des Stücks ist, sucht auch als Schauspieler seines Gleichen, und ich hoffe, daß alles zu einer eminenten Rekreation und Satisfaktion höchster Standespersonen prosperiren wird.« Er neigte sich bei diesen Worten abermals gegen den Maler und schritt mit vieler Würde zur Thür hinaus.

Georg folgte ihm, nachdem er von dem Wirth erfahren hatte, daß die fremde eben angelangte Herrschaft gleichfalls nach dem Theater sich begeben. Es war in einer geräumigen Scheune hinten im Hose ausgeschlagen.

Das Glück wollte Georgen so wohl, daß er auf einer Bank, dicht hinter dem Stuhl der Unbekannten noch ein Plätzchen fand. Indem er sich setzte, wandte sich die letztere nach ihm um; sie hatte den Schleier zurückgeschlagen. Georg schaute in ein jugendliches, aber bleiches Gesicht voll Milde und Hoheit, wie in den klaren Himmel einer stillen Mainacht. Ein Blick aus den dunkeln Augen begegnete dem seinigen, und sein Herz bebte. Ach, er kannte dieses Auge wohl; er kannte diese siegenden Strahlen, die so bescheiden sich in die langen, schwarzen Wimpern hüllten; er kannte diese schönen Züge, er mußte sie kennen! er war dessen so gewiß, und doch konnte er sich nicht erinnern, wo, noch wann er sie gesehen!

Die schöne unbekannte Bekannte saß zwischen ihrem Oheim und einer ältlichen Frau, die gleichfalls zu ihr zu gehören schien. –

»Ich bin doch ein recht leichtsinniges Kind« – sprach sie nach einer Weile– »daß ich mich von Ihnen hieher führen lasse, um ein Trauerspiel zu sehen! Als hätte ich nicht schon überall der Trauer genug!« – »Lassen Sie sich nur durch den Namen nicht angst machen!« fiel jener ein. »Ich hoffe dieses Trauerspiel soll uns blos ein recht ergötzliches Spiel mit der Trauer und nicht wenig zu lachen geben.« »Desto schlimmer!« entgegnete sie. »Ein solches Spiel hat für mich etwas Unangenehmes und wirklich Trauriges, ja Herzzerschneidendes.«

Indem fingen die zwei oder drei Violinen des Orchesters an zu knarren; eine Flöte, die einen halben Ton zu tief stand und hörbarlich am Asthma litt, wehklagte darein; unwillig grunzte der Baß; zwei Oboen wimmerten jämmerlich, und eine aufgebrachte Trompete sprang alles niederschmetternd durch die höllische Harmonie. Endlich rollte der Vorhang in die Höhe, und nachdem Hanswurst als Prologus sein Publikum in behagliche Stimmung gesetzt und selbst in dem Maler eine günstige Erwartung erregt hatte, begann das Stück, ruhig, klar, in kräftigen Zügen auseinander setzend, dann rascher fortschreitend, mit sich fortreißend in die Verwicklung. Das Interesse wuchs mit jeder Scene; immer gewaltiger regte sich der Sturm des Lebens; wie eine dunkle Gewitterwolke, aus welcher einzelne Blitze zuckten, zog die bange Ahnung einer ungeheuern That heraus, und die kunstreich eingewebten Scherze der lustigen Person hoben nur um so kräftiger den furchtbaren Ernst. Ja sogar die armseelige, zusammengeflickte Kleidung des größern Theils der Darstellenden, so wie der schneidende Contrast ihres Spiels mit den Worten, die aus ihrem Munde gingen, schienen fast der Wirkung des Ganzen beförderlich zu seyn, und dienten wenigstens dazu, das vollste Licht auf die Heldin des Stücks, den alten Direktor und einen jungen Schauspieler zu werfen, die ihre Rollen in überraschender Vollendung gaben.

Die Unbekannte war nicht minder von dem Inhalte des Stücks und der Darstellung sichtlich bewegt; doch schien ihre Theilnahme sehr bald sich in eine heftige Unruhe zu verwandeln, die immer höher stieg, je weiter das Spiel seiner Entwicklung entgegen ging.

»Was ist das? Wohin haben Sie mich geführt? Welche Stimme!« hörte sie Georg auf italienisch zu ihrem Begleiter sagen, dessen anfängliche Heiterkeit gleichfalls verschwunden schien. – »Die Stimme,« sprach er verlegen, »ja, Sie haben Recht! Aber im Gesicht doch gar keine Ähnlichkeit!– Georg merkte, daß diese Worte auf den jungen Schauspieler sich bezogen. Auch auf ihn hatte seine Erscheinung einen besonderen Eindruck gemacht, und es ward ihm endlich klar, daß er an Gestalt, Stimme und Bewegung, die größte Aehnlichkeit mit einem Offizier an sich trug, der ihm in Rom einen sehr wichtigen Dienst erzeigt, ja dem er beinah das Leben zu verdanken hatte.

Indeß bat der Oheim Natalien mehrmals dringend, sich mit ihm zu entfernen. Allein, wider Willen an ihren Platz gefesselt, saß Natalie, die Augen unverwandt auf die Bühne heftend; ihr Busen hob und senkte sich in stürmischer Bewegung. Sie sah die verbrecherische Liebe der beiden Brüder zu ihrer Stiefmutter in immer wilderer Glut gegeneinander streitend sich erheben, sie sah die entsetzlichen Flammen sich endlich drohend nach dem Leben des Vaters strecken, und zwischen ihnen die unglückliche Hildegunde im Kampfe mit der eignen strafbaren Neigung: Georg bemerkte, daß sie zitterte; ihre Hand faßte mehrmals ängstlich nach dem Arm ihres Begleiters.

Es ward Nacht auf der Bühne. Der alte Fürst lag im Hintergrunde auf einem Ruhebette schlummernd. Der Narr, der ihn mit Mährchen in den Schlaf gelullt hatte, saß zu seinen Füßen auf der Erde; vor ihm lag der umgeworfene goldne Becher, den er geleert; der Schlummer hatte auch ihn beschlichen, sein Kopf neigte sich auf die Brust. Es war Todesstille rings um. Eine Lampe, von der Decke herabhängend, verbreitete einen düsterrothen Schimmer in dem Gemach. Von Zeit zu Zeit aber richtete der Narr aufschreckend sich empor und fuhr zwischen Traum und Wachen in dem angefangenen Mährchen fort; doch schien er nicht über eine Stelle darin hinaus kommen zu können, zu welcher er immer wieder alles durcheinanderwirrend zurückkehrte.

»Und der Eichbaum« – sprach er mit leiser, lallender Stimme – »und der Eichbaum, da er den Alten so ruhig schlummern sah in seinem Schatten, und die Männer von weitem schaute, die ihn suchten, da rauschte eine böse Ahnung durch des Eichbaums Zweige, die Blätter zitterten und flüsterten leise:

Schlaf nit, schlaf nit, du alter Mann!
Ich schau zwei Männer, die schleichen heran.
Ich schau ihre Hände, die sind so roth.
Und was sie sprechen, das bringt dir Noth.
Und der Nachtwind kam von der Haide herüber und wimmerte:
Schlaf nit, schlaf nit, du alter Mann,
Ich schau zwei Männer, die schleichen heran.
Ich schau ihre Hände, von Blut so roth.
Und was sie sprechen, das ist dein Tod.
Aber der Alte hörte nichts und schlief ruhig fort.«

Und indem der Narr dieses sein Sprüchlein zum zweitenmal gesprochen hatte, und ihm der Kopf wieder auf die Brust hinab nickte, da öffnete sich leise die Thür, und der jüngste Sohn des alten Fürsten trat, von seinem blutdürftigen Wahnsinn getrieben, bleich, mit wildem Blick herein, und trat an das Ruhebett; und als er des Vaters ehrwürdige Züge und sein greises Haupt erblickte, bebte er schaudernd zurück, und es war an dem, daß er sich wendete zur Flucht: in dem Augenblick aber stürzte Hildegunde, von einem entsetzlichen Traum aufgeschreckt, in das Gemach; bei ihrem Anblick rafft die rasende Leidenschaft sich von neuem empor: er umschlingt die Geliebte, sie ist sein, nichts wird sie ihm entreißen, er schaudert vor keinem Verbrechen mehr; den Himmel hat er aufgegeben, der Hölle will er dienen um solchen Preis; und von der eigenen Neigung bedrängt, entzündet von der wilden Glut des Jünglings, wankt Hildegunde; der gräßliche Augenblick ist nahe, wo sie erliegen wird; dazwischen stammelt der Narr wieder sein: Schlaf nit, schlaf nit, du alter Mann! der Dolch blinkt in des Sohnes Hand; mit schwarzem Fittich rauscht der Mord über die Bühne; halb fortgerissen, halb dem Jüngling folgend schwankt Hildegunde mit ihm nach dem Ruhebette hin. –

Ein dumpfer Schrei rang sich aus Nataliens Brust; bewußtlos sank sie hintenüber. Georg fing sie auf; mit starkem Arme hob er sie empor und trug sie durch das Gedränge, über den Hof weg, nach ihrem Zimmer. In höchster Bestürzung folgte der Oheim.

Unter den Bemühungen ihrer Frauen schlug Natalie bald die Augen wieder auf. Der Oheim faßte des Malers Hand und sprach mit leiser Stimme: »Wir sind Ihnen großen Dank schuldig, junger Mann; doch vergeben Sie es wohl der Verwirrung des Augenblicks, wenn ich Sie bitte, sich jetzt zu entfernen.«

Er fragte nach seinem, Namen, und als er ihn vernommen, rief er, ihm die Hand reichend: »Georg Haberland? Der Maler? Nun dann sehn wir ja recht bald uns wieder!«

Georg schlich wie ein Träumender nach seinem Zimmer. Er hörte das Klappern der Pferde, die vor den Wagen gelegt wurden, und riß das Fenster auf. Natalie trat, auf ihre Frauen gestützt, aus dem Hause und stieg ein. Das Posthorn schmetterte, und in der seltsamsten Bewegung schaute Georg, an das Fenster gelehnt, dem dahin rollenden Wagen nach hinaus in den dämmernden Abend.

Zweites Kapitel.

Georg fand am andern Morgen, als er, im Begriff seinen Stab weiter zu setzen, in die Wirthsstube trat, den alten Schauspieldirektor schon beim Becher.

»Ich wünsche Ihnen Glück zu dem gestrigen Abentheuer!« rief ihm dieser sogleich entgegen. Eine schönere Last hat wohl nicht leicht eines Mannes Arm getragen, obwohl ich mich fast getraue zu behaupten, daß die Gräfin Mathilde, ihre Schwester, sie an Schönheit noch übertrifft.«

»Sie kennen sie?« rief Georg hastig.

»Allerdings!« entgegnete jener. »Es war die junge Gräfin Roseneck mit ihrem Onkel dem Baron Freileben, dem edlen Mäcen jeder edlen Kunst.«

Höchst überrascht und nicht ohne Herzklopfen vernahm Georg den letzten Namen. Denn eben dieser Baron Freileben, der ihn nach seinem neuerbauten Schlosse beschieden, war ja die Ursach seiner jetzigen Reise. Eine leise Hoffnung, Natalien wieder zu sehn, ließ ihn nicht länger rasten. Er grüßte den Alten freundlich zum Abschied und wandte sich nach der Thür, als dieser von seinem Tisch aufspringend ihm in den Weg trat.

»Sis licet felix ubicunque mavis,
et memor nostri vivas«!

rief er aus. »Sie sind zu etwas Hohem berufen, verehrter Herr, wenn mich diese Linemente nicht trügen, und ich fühle mich versucht, mich im voraus Dero Gnade zu recommandiren. Der Himmel und der gute Genius der Kunst sey mit Ihnen. Wir sehen uns bald wieder, hoff ich!«

Georg reichte ihm lächelnd die Hand, die jener mit einer tiefen Verbeugung an den Fingerspitzen ergriff sie leise drückend, und machte sich dann mit raschen Schritten auf den Weg. Hoffnung und Verlangen begleiteten ihn, mit manchem bunten Feenschloß den Nebelvorhang der Zukunft ausschmückend, und die Prophezeiung des wunderlichen Alten ging, wie er nicht ohne Lächeln über sich selbst bemerkte, jenen beiden bei dieser Arbeit gar hülfreich und geschickt zur Hand.

Der dritte Abend, seitdem er das Wirthshaus zum goldnen Bock verlassen, fing schon an die Wipfel der Bäume um ihn her und die Wolken über seinem Haupte zu vergolden, als er aus dem Walde, durch den ihn sein Weg einen großen Theil des Tages geführt, wieder ins Freie gelangte.

Ein heiteres Thal lag zu seinen Füßen. Jenseits des breiten Wiesenteppichs, der den Vordergrund der einmüthigen Landschaft bildete, ragte auf einem flachen Hügel ein hohes Gebäude mit vier Thürmen an den Ecken hell im Abendlicht empor. Die Straße schien hart daran vorüber zu leiten, und Georg schritt mit einem seltsamen Gefühl darauf zu. Denn je näher er kam, desto lebhafter sprach in seiner Seele eine dunkle Erinnerung, daß er das wunderliche Gebäu und seine Umgebungen schon sonst gesehen. Es war ihm fast zu Muth wie einem irren Wanderer bei Nacht, dem plötzlich der Mond, zwischen finstern Gewitterwolken heraustretend und wieder verschwindend, bald hier, bald dort einen Gegenstand aus der dunkeln Landschaft klar hervorhebt, ohne ihm jedoch ein deutliches Bild der Gegend zu gewähren und ihm auf den rechten Weg zu helfen.

In der Nähe des Schlosses trabte ihm aus einem Seitenwege von einem Bedienten begleitet, ein Reiter entgegen, in welchem er alsbald den Baron Freileben erkannte. Auch dieser gewahrte ihn, hielt an, und indem er ihn freundlich begrüßte, lud er ihn zur Einkehr auf dem Schlosse seines Schwagers ein. »Ein besonderes Ereigniß,« sprach er, »ruft mich plötzlich hieher zurück. Morgen hoff ich Sie nach Freileben zu führen. Sie finden indeß hier noch eine Person, die Sie kennen, und die sich freuen wird, Ihnen selbst ihren Dank abtragen zu können.«

Durch einen dunkeln Lindengang über eine niedergelassene Zugbrücke gelangten sie auf einen geräumigen Hof. – Kein Diener kam ihnen weder hier, noch auf dem schallenden Hausflur entgegen. »Was bedeutet das?« rief der Baron verwundert, und stieg hastig die Treppe hinan. Georg folgte ihm.

Sie schritten flüchtig hin durch mehrere Gemächer und gewölbte Säle, alle mit Gemälden, Schnitzwerk und kostbaren Tapeten zwar ganz altmodisch aber sehr reich verziert. Endlich erreichten sie ein Zimmer, dessen Fenster durch grünseidne Vorhänge dicht verhüllt waren. Durch die halboffne Thür eines angränzenden schimmerte ihnen Kerzenlicht entgegen. Der Baron trat schnell hinein.

Der Thür gegenüber stand ein Bett mit rothen Gardinen, bei welchem die gesammte Dienerschaft des Hauses sich versammelt zu haben schien, und traurig schweigend umherstand. Vor den Hereintretenden öffnete sich ehrerbietig der Halbkreis: Georg sah eine Frau, bleich und starr, dem Anschein nach todt auf dem Bette liegen. Der Baron schlug voll Entsetzen die Hände zusammen und blieb von dem Anblick versteinert lange ohne Regung stehen. Ein alter Diener näherte sich ihm endlich besorgt und sprach: »Wir haben alles versucht, wiewohl vergeblich, doch hoff ich immer noch, daß es nur eine tiefe Ohnmacht ist; der Arzt, nach dem ich gleich geschickt, muß nun bald kommen.« Der Baron ergriff seine Hand und ging mit ihm nach dem Fenster, wo sie leise mit einander sprachen.

Indem Georg mit den Augen ihnen folgte, bemerkte er jetzt erst einen alten Mann, der in Schlafrock und Nachtmütze auf einem großen, mit grünem Tuch beschlagenen Sopha saß, und unbekümmert, wie es schien, um alles, was um ihn her vorging, lediglich damit beschäftigt war, weiße und gelbe Stecknadeln, die er in einem Kästchen neben sich stehen hatte, mit künstlerischer Wahl und Überlegung in den Sopha zu stecken, und so der grünen Fläche einen Garten der seltsamsten arabeskenartigen Zeichen und Figuren entblühen zu lassen. Seine Blicke waren unverwandt auf die Arbeit gerichtet; und wenn er von Zeit zu Zeit mit etwas zurückgelegtem Oberleibe und seitwärts geneigtem Kopfe sein Werk überschauend betrachtete, dann flog ein höchst zufriedenes, seliges Lächeln verklärend über das ohnehin sehr freundlich gutmüthige Gesicht.

Georg stand schwankend zwischen Erstaunen und wehmüthiger Rührung. Die Frage beschäftigte ihn lebhaft, ob er hier wirklich Nataliens Eltern vor sich sehe; unwillkührlich näherte er sich dem Bette, und aus den Zügen der darauf Ruhenden trat ihm wenigstens in Hinsicht der Mutter, die Antwort sogleich deutlich entgegen, denn die Ähnlichkeit mit Natalien war auffallend groß; zugleich aber, wie er so in das bleiche Antlitz niederschaute, von dessen milder Hoheit im Leben selbst der Tod noch sprach, da stieg ihm ein schmerzlich süßes Gefühl an das Herz; er sah keine Unbekannte mehr vor sich liegen, es war ihm, der nie eine Mutter gekannt, jetzt auf einmal, als hätte er die geliebte, so oft vermißte Mutter endlich gefunden; heiße Thränen füllten seine Augen, er streckte die Arme voll Sehnsucht nach ihr aus; sein Herzblut hätt' er hingegeben, sich nur einmal noch Sohn nennen zu hören von diesen freundlichen Lippen, die nun doch vielleicht auf ewig sich geschlossen hatten! Ohne der Umstehenden zu achten, kniete er an dem Bette nieder, und faßte leise, sie mit seinen Thränen benetzend, die kalte Hand, die einst, so kam ihm vor, seine Kindheit liebreich gepflegt und geleitet.

Als er sich empor richtete, sah er Natalien neben sich stehn, deren Blicke mit Verwunderung auf ihm ruhten. Sie schien ihn sogleich zu erkennen; ein flüchtiges Roth überlief ihre Wangen. Georg stand auf und, von der Empfindung des Augenblicks hingerissen ergriff er gleichfalls ihre Hand und führte sie an seine Lippen. Natalie zog sie nicht zurück. – In diesem Augenblick rasselte ein Wagen in den Hof. »Der Marchese!« rief der Baron hastig, und eilte nach der Thür. Natalie erschrack sichtlich und ließ sich erbleichend auf einen Stuhl am Bette nieder.

Die Thür öffnete sich mit Geräusch; von dem Baron begleitet trat ein ältlicher Mann von hohem Wuchs und edlem Anstand rasch herein und ging ernst und feierlich grade auf das Bett zu. Georg wich unwillkührlich auf die Seite; auch Natalie stand auf und trat etwas zurück. Wenige Schritte von dem Bett blieb der Fremde stehen, streckte den Arm mit ausgespreizten Fingern nach der Liegenden aus, und heftete unverwandt seine starren Blicke auf sie. Ringsum war alles still; kaum wagte ein halbunterdrückter Athemzug sich leise aus einer Brust. Selbst der Baron stand sehr ernst erwartungsvoll dem Treiben des Fremden zuschauend.

Mit den mannigfachen Regungen seines Innern beschäftigt, nahm Georg erst wenig wahr von dem, was um ihn her vorging; eine dumpfe Bewegung jedoch, die mit halblauten Ausrufungen und leisem Geflüster durch den Kreis der Umstehenden lief, zog bald seine Aufmerksamkeit wieder noch außen. Er sah alle Gesichter voll freudiger Erwartung nach dem Bette gerichtet, und als er hinblickte, bemerkte er, daß das Gesicht der darauf Liegenden nicht mehr wie eines Todten, sondern wie eines Schlummernden erschien. Die bleichen Wangen belebten sich; um den Mund zuckte ein mildes Lächeln; nach einer Weile bewegte sie die Lippen, als ob sie sprechen wollte. Der Marchese hob, Stille gebietend, die Hand auf. Endlich fing sie mit leiser Stimme an: »Seyd nur ganz ruhig, lieben Kinder, es wird alles gut. Jetzt liegt alles klar vor mir. Auch meinen armen Georg hab' ich gesehen, den armen zweimal Verlornen. Er lebt. Habt nur Geduld; ich bring' ihn seinem Vater wieder.«

Georg mochte eine schnelle Bewegung nach dem Bette zu, als er seinen Nomen hörte. Der Marchese wandte sich unwillig gegen ihn, und, sein ernster Blick blieb, wie es schien, mit einiger Überraschung und Verwunderung, aus ihm haften. So wenig Georg sonst Menschenfurcht kannte, so schlug er doch vor diesem Blick, der in die geheimsten Tiefen seines Wesens zu dringen schien, ein wenig scheu die Augen nieder und trat zurück. Darauf ergriff der Fremde sich umwendend die Hand des Barons, und zog ihn auf die Seite, wo er leise und hastig zu ihm sprach.

Der Mann aus dem grünen Sopha aber erhob jetzt seine Stimme und sagte zu dem alten Diener, der sich freundlich aufmerkend zu ihm gesellte: »Sieh, Heinrich, ist das nicht das Leben? – Hier ein Knöpfchen, da ein Knöpfchen, hinüber, herüber, Kreutz und Quer! Wer drin befangen, darin verloren ist, der sieht überall nur Unordnung, Willkühr, blinden Zufall, und ängstigt sich ab in dem wilden Irrgarten; wessen Auge aber frei darüber schwebt, der sieht überall Zusammenhang, Gestalt, Bedeutung und Einheit. Das Ganze kann freilich nur der liebe Gott überschauen, allein stückweise wenigstens, so weit seine Kunst reicht, soll es auch der Künstler, wenn er ein rechter ist!«

Natalie warf einen schmerzlichen Blick auf Georg und senkte ihn dann zur Erde. Indem trat der Marchese freundlich, doch mit leiser Stimme grüßend zu ihr; der Baron aber erklärte, wie derselbe wünsche, mit der Kranken, allein zu bleiben; alle Gefahr sey vorüber und gänzlich ungestörte Ruhe das einzige, was Noth thue.

Georg schaute noch einmal in das ruhig lächelnde Antlitz der Schlummernden,, dann neigte er sich gegen Natalien und den Marchese, und ging begleitet von dem Baron, der dem alten Diener winkend, ihnen vorzuleuchten, seinen Gast selbst nach dem für ihn bestimmten Zimmer führte.

»Morgen,« sprach er Abschied nehmend, »morgen muß ich Sie noch bitten, hier zu verweilen; dann aber hoffe ich Ihnen ganz angehören und mit Ihnen mich vor dem Andrang des Lebens in das heitre Gebiet der Kunst retten zu können. Hier« – fuhr er fort und schloß die Thür eines anstoßenden Zimmers auf – »diese kleine Bibliothek gewährt Ihnen vielleicht indeß einige Unterhaltung. Auch finden Sie dort alles erforderliche Malergeräth, wenn etwa der Geist Sie treibt. Meine Nichten versuchen sich beide mit Liebe in Ihrer Kunst.«

Gern hätte Georg von ihm noch erforscht, wer der Georg sey, von dem die Kranke gesprochen, allein er wagte nicht zu fragen, da der Baron geflissentlich alle Erklärungen über das Vorgefallene zu vermeiden schien. Von dem alten Diener, der ihm beim Abendessen aufwartete, erfuhr er indeß ungefragt, daß die Kranke ohne Zweifel einen Knaben gemeint habe, der einst bei Tagesanbruch auf der Thürschwelle des Schlosses gefunden, mit den Kindern des Hauses auferzogen worden, und endlich in einem Alter von 6 Jahren auf eine unbegreifliche Weise plötzlich verschwunden sey, und den die Gräfin sehr geliebt habe. Bei dieser Gelegenheit hörte er auch mit Verwunderung, daß der Marchese Nataliens Schwester zum Gemahl bestimmt, und die Hochzeit ganz nahe sey.

An dem offnen Fenster, welches in den Garten schaute, brachte Georg einen großen Theil der Nacht zu. Die Lust war still und warm; eine finstre Wolke von häufigen Blitzen durchfurcht, stand am fernen Horizont, und der leise Wind, der zuweilen durch die hohen Linden rauschte, wehte ihn mit dunkeln Ahnungen und Erinnerungen an.

Drittes Kapitel.

Es mochte schon gegen Morgen gehen, als eine Reihe wunderlicher Traumgeschichten, aus dunkelm Grunde mit den lebhaftesten Farben anschießend, vor dem Schlummernden vorüberzog.

Er sah sich hoch oben auf einem mächtigen Gebürge sitzen, von einem hellen Lichte umgeben, welches aber nicht von der Sonne, denn es war Nacht, sondern von einem ungemein prächtig strahlenden und funkelnden Nordlicht herkam, das den ganzen Himmel mit seinem rothen Feuer entzündet zu haben schien. Tief unter ihm hatte sich weit hin gedehnt ein weißes Wolkenmeer gelagert und benahm ihm jede Aussicht in die Thäler zu seinen Füßen. Nah und fern rings im Halbkreise ragten mehrere Gebirgsgipfel, wie der seinige, daraus hervor und aus allen sah er riesenhafte, menschliche Gestalten sitzen, – er selbst ward immer größer, je länger er saß – von denen ihm verschiedene wie alte Bekannte vorkamen; ja, in seinem nächsten Nachbar glaubte er deutlich den alten Mann vom grünen Sopha, Nataliens Vater, zu erkennen, und er vernahm auch gleich darauf seine Stimme, die ihm zurief: »Nun, mein Bester, wir können froh seyn, noch so gute Plätze bekommen zu haben; da unten im Parterre ist es zum Ersticken heiß! Es wird gleich angehen: sehen Sie, dort wird schon die Ouvertüre herausgeschoben.« Eine dunkele Gewitterwolke mit leuchtenden Säumen hob sich am jenseitigen Horizont empor. Einzelne Blitze zuckten herüber, »Hören Sie die Trompeten?« rief der Alte. Je näher die Wolke kam, desto lebendiger und gewaltiger fing es darin an zu wogen; wunderbar herrliche Gestalten ballten sich zusammen und zerflossen, um wieder neuen Platz zu machen; der Glanz des Nordlichts aber gegenüber bildete aus der dunkeln Masse einen buntleuchtenden Regenbogen, der in siegender Klarheit über dem Drängen und Treiben unter ihm ruhte, und Georg sah nun, daß es die Ouvertüre des Don Juan war, welche die Wolke aufführte. Indem aber stürzte sie sich krachend, zischend und prasselnd in das Nebelmeer zu seinen Füßen, welches nun gleichfalls in heftiger Bewegung aufkochend, hin- und herwogend, bald hier bald dort, bald nah und fern einen Fleck des darunter liegenden Landes enthüllte und wieder verdeckte, und so mit Blitzesschnelligkeit eine Folge der mannigfaltigsten Scenen vor Georgs Blicken vorüber führte.

Er sah ein altes Schloß von gothischer Bauart, und in seinen hohen Hallen und weitläuftigen Gärten sich selbst als Kind mit zwei wunderschönen Mädchen spielen, und als er der einen in die dunkeln Augen schaute, da ward ihm mit einemmale klar, warum Natalie ihm so bekannt vorgekommen, denn diese und keine andere war eben das schöne kleine Mädchen. – Gleich darauf sah er sich in einem finstern Walde, eine verschleierte Frau von edler Gestalt eilte auf ihn zu, und sich vor ihm auf die Knie werfend schloß sie ihn heftig weinend an die Brust und nannte ihn ihren Sohn, und führte ihn endlich nach einem Wagen, ein alter Mann hob ihn hinein, und der Wagen rollte fort. – Das Haus des alten Lorenz Haberland zeigte sich, seines treuen Lehrers und Pflegers, den er bisher fälschlich, wie er in diesem Augenblick erfuhr, für seinen Vater gehalten hatte; das Haus verwandelte sich in das Innre einer Kirche, vor dem Altar kniete eine weibliche Gestalt, die ihm, so wie der Mann, der an ihrer Seite kniete, sehr bekannt vorkam, doch die Wolkenstreifen, die schnell wechselnd über das Ganze zogen, hinderten ihn, ihre Züge zu unterscheiden; ein Priester legte beider Hände in einander, und indem die Braut das verhängnißvolle Ja aussprach, sank sie ohnmächtig zur Erde. Georg glaubte in diesem Augenblick deutlich zu sehen, daß es Natalie war. »O Gott!« rief er laut – »Verheirathet!« und verhüllte sein Gesicht. Da erschallte über ihm in der Luft ein lautes, widerliches Gelächter, und als er sich voll Grimm und Abscheu wandte und in die Höhe schaute, sah er hoch über sich auf einem Gletscher – er stellte die Gallerie vor – einen häßlichen Affen sitzen, und der Affe war niemand anders, als der Hanswurst im goldnen Bock. »Das ist die Welt!« rief er, lächerliche Fratzen schneidend, herunter. – Georgs Blicke fielen indem auf seinen Nachbar, und er bemerkte, daß der alte Mann dort drüben bitterlich weinte.

Immer schneller und unzusammenhängender durcheinander jagten sich indeß die Scenen aus dem großen Theater unten. Es erschien ein ungeheurer Spiegel ihm gegenüber, und als er hineinschaute, trat ihm statt seines eigenen Abbildes der junge Schauspieler, den er kürzlich gesehen, drohend mit gezücktem Dolche daraus entgegen; darauf sah er sich in einem Wäldchen am Ufer eines Sees, Natalie lag in seinen Armen, aus ihren Augen strahlte ihm das Morgenroth eines neuen Lebens, aus der holdseeligen Knospe ihres Mundes brach das süße Geständniß ihrer Liebe; plötzlich wieder baute sich aus Wolken eine gewaltige Staffelei, er hatte Pinsel und Palette in der Hand, warf aber beides mit Entsetzen von sich, als er wahrnahm, daß an der Stelle von Nataliens Portrait, welches er malen wollte, eine abscheuliche Fratze unter seinem Pinsel sich auf der Leinwand gestaltete: darüber erhob der häßliche Affe aus der Gletschergallerie von neuem sein widerliches Gelächter, unter ihm aber erscholl eine Stimme heraus, die er alsbald für die Stimme des alten Schauspieldirektors erkannte, und die zornig rief: »Hier lacht man nicht!« – Indeß hatte sich der Schauplatz schon wieder verändert. Wie der alte Fürst in dem Trauerspiel, welches Georg vor wenig Tagen gesehen, lag der Marchese schlummernd auf einem Ruhebette; dieselbe weibliche Gestalt, die vorhin als Braut vor dem Altare stand, trat herein von dem jungen Schauspieler begleitet, dieselbe Scene aus dem Trauerspiel wiederholte sich, der Jüngling trat an das Bett und zielte mit dem blinkenden Dolche nach dem Herzen des Vaters. Darüber entstand in dem unsichtbaren Parterre ein entsetzlicher Tumult; tausend Stimmen schrien durcheinander, doch lauter als alle schrie der Schauspieldirektor: »Gewalt! Mord! Feuer! Laßt den Vorhang nieder! Löscht die Lichter aus!« – Heulend fuhr der Sturm aus den Klüften der Berge, die Erde bebte, das Nordlicht fiel prasselnd vom Himmel herab; Georg befand sich auf einmal unten im Thal, in großer Angst sich Bahn machend durch das Toben und Gedränge, denn hinter sich erblickte er den Schauspieler, jetzt in Uniform, und den Marchese, die ihn beide mit gezogenem Degen verfolgten, und welchen sich immer mehr und mehr von den Zuschauern anschlossen, bis endlich, lawinenartig fortgezogen, der ganze Haufe sich hinter ihm drein in Bewegung setzte; mitten darunter aber rennte der alte Schauspieldirektor und schrie: er sey ein ruinirter Mann, das zerbrochene Nordlicht komme ihn allein über 50 Reichsthaler zu stehen und sey im neusten Geschmack gewesen, die zerrissenen Dekorationen könne er noch gar nicht berechnen, man solle ihm seinen Schaden doch nur einigermaßen ersetzen! – So ging die tolle Jagd bergauf, bergab; immer höher stieg Georgs Angst, immer näher kamen ihm seine Verfolger, denn an seinen Füßen schienen bleierne Gewichte zu hängen; da nahm ein anmuthiger Buchwald ihn auf, plötzlich ward es nun stille hinter ihm, und fernab zur Seite verhallte der tosende Lärm. Erquickung und stiller Friede trat ihm aus den grünen Schatten entgegen und legte sich besänftigend an seine hochklopfende Brust. Ein Gefühl überkam ihn, als ob er sich einer geliebten Heimath nähere, und dennoch nahm alles um ihn her eine fremdartigere Gestalt an, je weiter er fortschritt. Unbekannte Bäume tauchten ihre Wipfel in den Morgenhimmel, Blumen von ungewöhnlicher Größe und Farbenpracht blühten zu seinen Füßen. Endlich trat er auf einen freien Platz, und vor ihm stand die schöne Frau mit dem Schleier, die er schon gesehen, und die ihn Sohn genannt. Ein sanfter Schimmer schien von der edlen Gestalt auszugehen, ihr Antlitz strahlte von seliger Verklärung. Mild lächelnd streckte sie die Arme ihm entgegen. Ergriffen, überwältigt von einer Empfindung, die jetzt zum erstenmal seine Brust hob, sank er zu ihren Füßen nieder, schaute dann zu ihr empor und konnte sich nicht satt sehen an der unendlichen Liebe und Güte dieses holden Angesichts und an den dunkelblauen halb in Seligkeit und halb in Wehmuth schwimmenden Augen. »Mutter, meine theure Mutter,« rief er, »meine arme Mutter!« Thränen benetzten seine Wangen. Sie neigte sich zu ihm hinab und lispelte: »Georg, mein geliebter Sohn, bringe deinem Vater und deinem armen Bruder meinen Gruß!« – er wollt? ihre Hand fassen, da wich sie zurück, und entfernte sich immer weiter von ihm und weiter, und ihre Züge wurden immer undeutlicher, und immer dichter hüllte sie der lange Schleier ein, bis endlich die ganze geliebte Gestalt in ein lichtes Wölkchen zerfloß, das von der Morgensonne geröthet zum Himmel aufschwebte.

Von der heftigen Bewegung seines Innern erwachte er.

Viertes Kapitel.

Die Sonne warf ihre ersten Strahlen auf die Wand des Zimmers. Eine goldne Wolke zog, langsam durch den blauen Himmel schiffend, eben vor dem hohen Fenster vorüber.

»Mutter! meine Mutter!« rief Georg laut, und streckte weinend, zitternd vor Freude, Schmerz und Sehnsucht seine Arme der Fliehenden nach.

Es dauerte lange, ehe er sich besinnen und sich überzeugen konnte, daß er nur geträumt; allein auch dann, als er endlich es sich eingestehen mußte, blieb doch seine ganze Seele davon erfüllt und im Innersten ihres Wesens aufgeregt.

»Nein,« rief er »nein, das war kein Spiel des erhitzten Blutes, das war keine Gaukelei des Zufalls! Ich habe sie gesehen wirklich und wahrhaftig, sie ist mir erschienen, es war meine Mutter, sie muß es seyn! Was ist denn Wahrheit, wenn diese Gestalt, wenn dieses Auge, dieser Mund gelogen? Was ist denn Leben, wenn es dieser Traum nicht war? Nein, ich habe dich gesehen, du geliebte Mutter, du arme Mutter, der ich es niemals sagen konnte, wie ich sie liebe, die nur im Traum mich ihren Sohn genannt! Und ach, nun haben wohl deine Lippen sich für diese Welt auf immer geschlossen! Doch leben soll das Bild, das du mir zurückgelassen, auch außer mir; ich will es hinstellen, wie es in mir leuchtet und strahlt, in seiner Anmuth, Milde und Verklärung, daß alle Menschen, die es sehn, dich lieben sollen!«

Er sprang auf, zog sich dann hastig an und eilte, der gestrigen Weisung des Barons sich erinnernd, nach dem anstoßenden Zimmer. Er fand hier in der That alles was er brauchte, und fesselte die Züge des theuern Bildes, das vor seiner Seele schwebte, in einer flüchtigen Zeichnung auf dem Papier. Dann aber konnte er sich nicht enthalten, es auch sogleich auf eine große, grundirte Leinwand überzutragen, die auf der Staffeley stehend, ihn dazu einzuladen schien; auch fing er auf der Stelle mit dem Untermalen an.

Bei dieser Arbeit jedoch wurden nun auch die andern Gestalten seines Traumes wieder rege, und drängten sich herbei. Natalie als Kind, Natalie in seinen Armen, sein Verhältniß zu dem Hause, worin er sich befand, sein Vater, der nicht sein Vater seyn sollte, der Marchese und Nataliens Schwester – alles das stellte sich vor seine Seele und versetzte sie, indem es sich mit der Erinnerung an seinen Eintritt in das Schloß und an seine Empfindung bei dem Anblick von Nataliens Mutter verband, in eine immer steigende unruhige Bewegung.

Er ging eben, Pinsel und Palette noch in der Hand, mit hastigen Schritten im Zimmer auf und nieder, als die Thür sich öffnete, und der Baron schnell eintretend ohne ein Wort zu sagen auf ihn zukam, vor ihm stehen blieb und ihm, wie es schien, von etwas Ungewöhnlichem ergriffen, doch sehr freundlich ins Gesicht schaute.

Georg wollte sich eben entschuldigen, daß er hier in der fremden Werkstatte als Herr und Meister schalte, als jener, ohne darauf zu hören, ihn unterbrach. »Ja,« rief er »es trifft alles zu! Die blauen Augen mit den schwarzen Augenbraunen, die Narbe an der Stirn, auch der Name derselbe! Und wie alt sind Sie?«

»Drei und zwanzig Jahr!« antwortete Georg verwundert und erwartungsvoll. Sein Herz klopfte.

»Sechs und siebzehn – Richtig!« rief der Baron. »Und dieser unterstrichene Tag –?« – Er hielt ihm einen Zettel mit verblichener Schrift hin. Georg fing an zu lesen: »dieser Knabe hat in der Taufe den Namen Georg erhalten, und ist geboren den 12ten März – – – Das ist mein Geburtstag,« sprach er, »wie mein Vater mir gesagt!«

Der Baron streckte die Arme gegen ihn aus; seine Augen füllten sich mit Thränen. »So ist es wirklich wahr?« sprach er endlich mit bewegter Stimme: »Unser guter Georg! Unser armer Georg! So haben wir Dich wieder!« Er umarmte ihn, und drückte ihn an seine Brust.

Georg stand wie ein Träumender. Er konnte sich in ein Verhältniß, das er geahnt, ja gewünscht hatte, jetzt da es ihm wirklich entgegentrat, nicht finden.

»Ach mein theurer Freund,« fuhr der Baron fort – »sehen Sie mich nicht mit dieser fremden Verwunderung an! Sie sind kein Fremdling mehr in diesem Hause. Von dem Augenblick an, wo Sie an seiner Schwelle mit diesem Zettel gefunden wurden, galten Sie für ein Kind desselben. Von meiner Schwester wurden Sie erzogen; wir alle haben Sie so herzlich geliebt. Und als Sie auf eine so unbegreifliche Weise plötzlich verschwanden, war es da nicht jedem von uns, als hätte er seinen eigenen Sohn verloren? Nun, Gott sey Dank, daß wir Sie wieder haben! Der kleine Georg hat sich freilich verändert, und ist groß und stattlich geworden, doch unsere Liebe ist immer noch die alte geblieben!«

Georg faßte, gerührt von der Herzlichkeit, mit welcher der Baron sprach, die Hand desselben, und drückte sie an sein Herz, indem er ihn bat, ihm seine Überraschung und sein Erstaunen zu gut zu halten, besonders da er noch immer nicht begreife, auf welche Art diese für ihn so wichtige Entdeckung geschehen seyn könne.

»Ja so, das wissen Sie noch nicht?« sagte der Baron. »Damit hätte ich freilich anfangen sollen. Die Geschichte ist ganz kurz diese. Einer von den Leuten des Marchese, der vor siebzehn Jahren in Diensten einer Frau von Wallenrodt stand, half damals Sie aus diesem Schlosse entführen und begleitete dann seine Herrschaft zu dem alten Lorenz Haberland, welchem sie übergeben wurden, und dem er seit dieser Zeit eine Reihe von Jahren hindurch jährlich eine ansehnliche zu Ihrer Erziehung bestimmte Summe überbringen mußte. Er sah Sie gestern, hörte Ihren Namen, und hielt es für seine Pflicht, uns alles zu entdecken. Wer übrigens jene Frau von Wallenrodt eigentlich gewesen, das wissen wir eben so wenig, als was sie vermocht, Sie uns zu rauben. Indeß geht so viel aus der Erzählung des Dieners hervor, daß sie wirklich Ihre Mutter war und ebendieselbe, die Sie fünf Jahre früher auf der Schwelle unsers Hauses ausgesetzt hatte. Doch kommen Sie jetzt zu meiner Schwester, kommen Sie geschwind! Sie erwartet Sie mit Sehnsucht.«

Er zog ihn mit sich fort. Auf der Treppe begegneten sie dem Bedienten des Marchese. Georg wußte sich noch sehr deutlich zu erinnern, den alten Mann mehrmals in dem Hause seines Pflegevaters gesehn zu haben. Hundert Fragen drängten sich auf seine Lippen; allein der Baron ließ ihm jetzt keine Zeit dazu, sondern führte ihn in das Zimmer der Gräfin.

Sie saß aus dem Sopha, der Thür gegenüber. Natalie stand neben ihr. Georg fühlte sich beim Eintritt von einer Beklommenheit, ja selbst Verlegenheit ergriffen, die ihm sonst fremd war. Doch so wie er sich der Gräfin näherte, und ihre Gesichtszüge ihm klar wurden, verschwand auch alsbald alle Scheu; denn Güte und Liebe kamen ihm wie alte Bekannte aus ihren freundlichen Augen entgegen, er fühlte sich nicht mehr fremd, siebzehn Jahre waren vergessen, und er war noch immer der geliebte Sohn dieser freundlichen, geliebten Mutter. Schweigend und durch Thränen lächelnd reichte sie ihm die Hand; er kniete innig bewegt vor ihr nieder und drückte ihre Hand bald an seine Lippen, bald an seine Brust. »O meine theure Mutter!« rief er. »So darf ich Sie doch noch nennen?« Sie neigte sich gegen ihn und küßte ihn leise auf die Stirn. »Ja,« sprach sie sanft, »ich bin noch deine Mutter, wie ich es sonst gewesen; und Du bist meiner Liebe werth geblieben; ich weiß es wohl; Du bist mein wackrer Georg! Wir verlassen uns nicht wieder.«

»Sie sind glücklich, Gräfin!« sprach eine fremde Stimme, und als Georg sich wandte, sah er den Marchese stehen, der indeß hereingetreten war. »Sie sind glücklich!« wiederholte er – »Sie haben einen Sohn!«

»Ihnen, lieber Marchese,« sagte die Gräfin sanft, »Ihnen hat die Natur gegeben, was mir das Herz. Sie dürfen mich um mein Glück nicht beneiden.«

Bitter lächelnd erwiederte er: »Sie unterscheiden richtig! Die Natur hat mir einen Sohn gegeben, aber sein Herz straft die Natur Lügen. Sein Herz weiß nichts von seinem Vater! Unglücklicher Vater! Zwei Söhne und doch kinderlos! Den einen hab' ich verloren, eh' er mich lieben konnte, den andern hab ich verloren, weil er mich nie geliebt. Verloren! Verloren! Ich habe keinen Sohn!«

Es lag etwas Herzzerschneidendes in der anscheinenden Ruhe und in der fast tonlosen Stimme, womit der Marchese diese Worte sprach. Georg fühlte sich von innigem Mitleid ergriffen, und er hätte vor ihn hintreten und ihm sagen mögen! Du armer Mann, laß mich Deinen Sohn seyn: ich will Dich lieben!

»Marchese!« rief die Gräfin erschüttert – »Sie haben Ihren Sohn verstoßen, wie kann er Sie lieben?«

Er richtete sich kalt empor; doch eine schnelle Glut, die seine Wangen überflog, zeugte von der Bewegung seines Innern. »Darum eben!« sprach er: »Es ist vorbei. Ich habe keinen Sohn mehr!«

Die Thür ging auf. Ein Frauenzimmer trat herein, die Georg sogleich für die Gräfin Mathilde, Nataliens Schwester, erkannte. Der alte Schauspieler hatte nicht zu viel von ihr gesagt.

Der Marchese ging ihr schnell entgegen und ihre Hand ergreifend rief er: »dies ist die Hand, die mir Ersatz bringt für alles, was ich verloren; dies ist der Friedensengel, der allen Streit schlichten wird in dieser Brust und mich sanft geleiten bis an die Pforte seiner Heimath!«

Georg glaubte zu bemerken, daß Mathilde erbleichte und zitterte; Natalie wendete sich ab und verbarg ihr Gesicht an dem Arm ihrer Mutter; die Gräfin und der Baron schlugen beide schweigend und verlegen die Augen nieder, und es entstand eine seltsame bange Stille von einigen Augenblicken, die Georgen befremdete.

»Nun, Mathilde,« rief endlich die Gräfin mit dem sichtlichen Bestreben, eine andere Wendung des Gesprächs herbeizuführen – »nun, meine Kinder, da habt ihr den treuen Spielgefährten eurer Kindheit wieder! Ihr hättet den kleinen Georg wohl nicht erkannt?«

Mathilde hob die großen, schwarzen Augen gegen ihn auf, und sagte wehmüthig lächelnd: »Es war eine gute Zeit, da wir drei noch Kinder waren!« Dann ging sie schnell auf Natalien zu und warf sich an ihre Brust. Natalie schloß sie mit heftiger Innigkeit in ihre Arme, und nun eilten beide zu ihrer Mutter, und knieten zu ihren Füßen nieder, und die Mutter mit Blicken voll unendlicher Liebe und tiefer Rührung legte ihre Hände auf das Haupt der blühenden Töchter und liebkosete ihnen; Georg aber stand in dem Anschaun der reizenden Gruppe verloren.

»Ach, meine Mutter,« sprach Mathilde leise, »warum können wir nicht allzeit Kinder bleiben!«

Fünftes Kapitel.

Georg war mit dem Baron hinausgegangen, den alten Diener des Marchese genauer zu befragen. Als er jetzt wieder zur Gräfin gerufen wurde, fand er den Marchese nicht mehr. Er war, wie es hieß, auf einige Tage verreist.

»Du hast uns viel zu erzählen, mein Sohn,« rief ihm lächelnd die Gräfin entgegen. »Setze Dich nur zu uns. Wir haben einander lange nicht gesehen.« – Und Georg setzte sich und fing an zu erzählen von seinem Pflegevater, dem Maler Lorenz Haberland; wie dieser ihn geliebt als seinen eigenen Sohn, ihn sorgsam und in frommer Sitte erzogen, und da er in ihm Neigung und Anlage zu seiner eignen Kunst zu verspüren geglaubt, ihn ernst und treu zu derselben angeleitet; und indem er so erzählte, legte sich nach und nach das Klopfen seines Herzens, mit dem es im Anfang jedem Worte das Geleit gegeben hatte bis auf die Lippen; seine Blicke, begeistert durch die freundliche Theilnahme, die sie aus dem Gesicht des Barons und der Gräfin fanden, wagten sich nun auch mitunter seitwärts hinüber nach den schönen Spielgefährtinnen von ehemals, und je öfter dies geschah, desto wärmer ward es ihm in der Brust, desto lebendiger floß der Strom seiner Rede, und er wußte so viele Züge aus seinem Leben bei dem alten Maler so anschaulich hervorzuheben, er wußte diesen letztern selbst mit seiner schönen für die Kunst mit der frommen Kindlichkeit seines Herzens, mit der Liebe zu ihm, seinem Pflegling, und mit der seltsamen Unbehülflichkeit im gewöhnlichen Leben, so wahr, so ergötzlich und so rührend zugleich zu zeichnen, er wußte ihn mit allen seinen Eigenthümlichkeiten und Sonderbarkeiten so treffend und mit einer solchen Fülle von Leben darzustellen, daß er seine Zuhörer dadurch in die heiterste Stimmung versetzte.

»O führ' ihn her zu uns,« rief die Gräfin »führ' ihn zu uns, den wackren Alten! Wie gern möcht ich ihm danken für seine treue Liebe zu Dir, mein Sohn!«

Georg schwieg einige Augenblicke und heftete seine Blicke an den Boden; dann sagte er leise mit bewegter Stimme: »Ach, liebe Mutter, er lebt nicht mehr! Ich war vergangnes Jahr noch in Rom,« fuhr er fort, »als ich einen Brief von ihm erhielt, worin er mich beschwor, schnell nach Deutschland zurück zu kehren: er fühle sein Ende herannahen, und wünsche sehnlich, mich vor seinem Tode noch einmal zu sehen, und nur etwas Wichtiges zu entdecken. Ich eilte sogleich zurück; doch ich kam zu spät: als ich ins Haus trat, hatten sie den guten Vater schon hinaus getragen.«

Der Baron schüttelte nachdenkend den Kopf. »Und er hat Ihnen niemals einen Wink über Ihre Herkunft gegeben?«

»Nein; niemals,« erwiederte Georg. »Und ich ahne, daß ihn weniger irgend eine Verpflichtung dazu bewogen hat, als vielleicht die Furcht an meiner Liebe zu verlieren, wenn ich erführe, daß er nicht mein Vater sey. Seine Frau war frühzeitig gestorben, und hatte ihm keine Kinder hinterlassen. Sein Herz fühlte das Bedürfniß, irgend etwas sein zu nennen und zu lieben auf der weiten Erde; es hing sich mit allen Kräften seines reichen Lebens an mich, den er seinen Sohn nannte, eine langjährige Gewohnheit und die herzliche Liebe, womit ich ihm die seinige vergalt, zogen das Band immer fester, ich war wirklich sein Kind, sein Sohn geworden, er wollte vergessen, wie er zu meinem Besitz gelangt war, und entfernte geflissentlich alles, was seinem Herzen diese schöne Selbsttäuschung zu rauben drohte, ja er konnte selbst den Gedanken nicht ertragen, nach seinem Tode nicht als mein Vater in meinem Andenken fortzuleben; denn nur so kann ich es mir erklären, daß ich auch unter seinen hinterlassenen Papieren nicht die geringste Nachweisung über meine wahre Herkunft fand.«

»Die er doch ohne Zweifel hätte geben können!« – fuhr der Baron fort. »Denn nach der Aussage des alten Dieners hat jene Frau von Wallenrodt, die wir für Georgs Mutter halten müssen, und die einige Jahre nach Georgs Entführung von hier in einer Herrnhutherkolonie gestorben ist, kurz vor ihrem Tode dem alten Lorenz Haberland ein versiegeltes Papier mit der Aufschrift: an meinen Sohn Georg, zustellen lassen.«

Die Gräfin reichte Georgen ihre Hand und sagte freundlich: »Ich kann dem guten Alten deshalb am wenigsten zürnen. Er hat mir dadurch mein Mutterrecht auf Dich erhalten, und wer weiß, hätte ich es an seiner Stelle nicht eben so gemacht!«

»Ach, womit,« fragte Georg gerührt »womit hab' ich so viel Güte, so viel Liebe verdient?«

»Du sollst Dir meine Liebe auch noch erst verdienen,« entgegnete die Gräfin, »dadurch daß Du mich eben so herzlich wieder liebst.«

»O meine Mutter,« rief Georg mit Begeisterung, und drückte die dargebotene Hand an die von reiner, kindlicher Liebe und Dankbarkeit hochschlagende Brust – »meine theure Mutter, dann hab ich sie schon verdient!«

Sechstes Kapitel.

In vertraulichem Gespräch und lebendiger Mittheilung, von theuren Erinnerungen und genußreicher Gegenwart gleich lebhaft in Anspruch genommen, war der Tag vergangen. Manche Vermuthung war aufgestellt und verfolgt, mancher Entwurf für die Zukunft gemacht worden, und Georg fing allmählig an heimisch zu werden in dem schönen Kreise. Allein ob er gleich des seltsamen Traumes der vergangenen Nacht erwähnt, und die Erscheinung seiner Mutter erzählt hatte, so entschlüpfte ihm doch kein Wort von der entworfenen Zeichnung und von dem angefangenen Gemälde, und dazu bewog ihn weniger künstlerische Eitelkeit, als ein nicht ganz klares, aber eben darum desto lebhafteres Gefühl in seiner Brust, welches sich dagegen sträubte, das Bild der Mutter, das in dem Glanze einer himmlischen Erscheinung vor seiner Seele stand, als einen unvollkommenen und dürftigen Entwurf vor fremde Blicke zu bringen. Nur in möglichster Vollendung, mit allen Zaubern der Kunst gerüstet, in der Verklärung der Farbe sollte es vor die Augen der Welt treten und mehr noch als ihre Bewunderung sich ihre Liebe ersiegen.

Jetzt stand er spät am Abend dieses reichen Tages wieder vor dem Bilde, mit klopfendem Herzen mit hochaufathmender Brust, von Furcht und von Hoffnung, von Sehnsucht und Entzücken, von Schmerz und Lust bewegt; und wie ein Schiffender, der in den gegeneinander streitenden Wogen eines wild aufgeregten Meeres unterzugehen fürchtet, zu seinem Schutzheiligen um Hülfe ruft, so hob er Augen und Hände flehend zu der Mutter.

Der zarte Keim der Liebe, den schon das erste Zusammentreffen mit, Natalien in seinem Herzen geweckt hatte, war heut in dem Frühlingsathem ihrer Gegenwart, in dem milden Sonnenstrahl ihrer Blicke schnell empor geschossen, und entfaltete sehnsüchtig seine Blüthen. Allein der Gedanke an Nataliens Stand und an seine eigne zweideutige Herkunft fuhr wie ein eisiger Nordwind darüber hin, und griff schmerzlich zerstörend an ihr innerstes Leben.

»Du armer Findling,« sprach er leise für sich hin – »Du armer Findling!«

Er trat an das offne Fenster. Die Nacht war still und warm. Der Mond schaute hell aus dunkelm Gewölk hervor. Georg fühlte sich eingeengt zwischen seinen vier Wänden; draußen im Freien, hoffte er, sollte seine Brust auch sich freier und leichter heben, und das ungestüm klopfende Herz sich beruhigen.

Er löschte sein Licht aus und schlich sich die Treppe hinab, um in den Garten zu gehen. Doch er fand die dorthin führende Thür schon verschlossen, und war eben, unmuthig darüber, im Begriff, den Rückweg nach seinem Zimmer anzutreten, als er jemand sacht die dunkle Treppe herab sich entgegen kommen hörte. Er stand still. Der Entgegenkommende auch. Gleich darauf aber fühlte er sich beim Arm gefaßt, und eine leise Stimme sagte mit vertraulichem Tone zu ihm: »Sie wollen wohl auch zum König Hans?« – Georg wußte nicht, was er denken sollte. – »Wir sind auf gleichem Wege!« fuhr die Stimme fort. »Belieben Sie mir nur zu folgen. Ich weiß Bescheid.« – Der Sprechende trat jetzt von der Treppe herab in den etwas helleren Hausflur, und Georg glaubte zu seinem nicht geringen Schreck den alten Grafen zu erkennen. Ehe er sich indeß besinnen und zu einem Entschluß kommen konnte, hatte ihn dieser schon über den Flur hinweg in einen Seitengang gezogen. Der Mond schien durch die hohen Fenster; Georg sah, daß er sich nicht getäuscht hatte: es war wirklich der alte Graf.

Er fühlte sich in der größten Verlegenheit. Sollte er um Hülfe rufen? Es war schon spät in der Nacht, das ganze Haus, wie es schien, in tiefem Schlafe; der Lärm, der unausbleiblich daraus entstand, mußte die Frauen aufs heftigste erschrecken, ja er konnte für die kaum genesene Gräfin von den übelsten Folgen seyn. Sollte er versuchen, den Grafen selbst wieder nach seinem Zimmer zu bringen? Es war voraus zu sehn, daß er Widerstand leisten würde, und dann dasselbe zu befürchten. Ängstlich blickte er auf allen Seiten umher und horchte nach einem lebendigen Laut. Es war alles still; nichts regte sich als der Wiederhall ihrer Schritte in den hohen sich durchkreuzenden Gängen, durch die ihn der Graf unaufhaltsam mit sich fortriß.

»Aber um Himmelswillen, Herr Graf? rief Georg mit halblauter Stimme »wohin wollen Sie? Es ist späte Nacht! Ich dächte – –«

»Wohin? wohin?« unterbrach ihn jener hastig, doch ebenfalls leise – »Wohin wir alle gehen müssen: zum König Hans, mein werther Freund! Dorthin müssen wir alle, alle, sag ich euch. Früh oder spät, wir gehen alle diesen Pfad. Seyd ihr etwa ein König, guter Freund? Ihr müßt zum König Hans: er ist mächtiger als ihr. Seyd ihr ein Kaiser? Kann euch nichts helfen; ihr müßt zum König Hans! Alles Leben ist dem König Hans verfallen. Kann Ihnen nicht helfen, Sire! Sie selbst sind nur sein Lehnsträger. Hei, Hei, Hei! Fort, fort! drückt euch die Krone fest! Stolpert nicht über euren Purpurmantel! Nun gehts ans Fliegen! Husch! Spüren Ew. Majestät die Flügel an den Beinen? Husch – – sch –!«

Der Graf spreitete die Arme weit aus, doch ohne seinen Begleiter loszulassen, und machte halbspringend gewaltige Schritte. Eine kleine Anwandlung von Entsetzen rieselte Georgen kalt über den Nacken. Es war, ihm fast, als fingen die Gedanken in seinem eignen Kopfe an sich zu drehen und untereinander zu wirren.

Der Graf hielt plötzlich seine Schritte an. »Ihr seyd ein Künstler,« sprach er, »ich besinne mich, ein Maler. Ein Maler! Und ihr wollt den König Hans nicht kennen lernen? Der Künstler soll das Leben studiren: richtig! Aber, ihr beschränkten Thoren, der kennt das Leben ja nur halb, der nicht den Tod auch kennt! Kommt. Es ist jetzt die rechte Stunde. Um Mitternacht speist König Hans zu Nacht mit den Gespenstern, und die Welt hat einen Augenblick Ruhe; aber nur einen Augenblick: dann faßt er wieder nach der Sense, und das rothe Leben wird von neuem bleich. Seht ihr, wenn wir diesen Augenblick ergreifen können, dann ist ein großer Schatz unser, der da drin in den Gräbern begraben liegt. Aber nehmt euch in Acht! Ich habe von Leuten reden hören, die dabei wahnsinnig geworden sind. Nehmt euch in Acht!«

Sie standen jetzt vor einer kleinen eisernen Thür. Der Graf schwieg, und schien sich auf etwas zu besinnen. Georg hoffte, daß hier endlich das Ziel des nächtlichen Spaziergangs seyn, und es ihm nun gelingen werde, seinen Begleiter zur Rückkehr zu bewegen. Allein er hatte sich geirrt. Der Graf zog mit geheimnißvollen Geberden einen Schlüssel hervor, und winkte Georgen damit aufzuschließen. Nun regte sich doch die Neugier bei diesem, zu wissen, was denn hinter dieser kleinen eisernen Thür verborgen sey: er nahm den Schlüssel und versuchte zu öffnen. Das Schloß war ganz eingerostet, und nur Georgs angestrengter Kraft gelang es endlich seinen Widerstand zu überwinden. Knarrend that sich die Thür auf; der Graf legte behutsam den Finger an den Mund, schritt zuerst hindurch und zog Georgen hinter sich her.

Sie befanden sich im Innern einer Kirche, nicht weit von dem Altare. Zu beiden Seiten des Schiffs hinab an den Pfeilern schienen Grabmale, mit mannichfaltigem Bildwerk geziert, zu stehen. Ihnen grade gegenüber, halb in die Wand eingemauert, hob sich die riesige Gestalt eines geharnischten Mannes. Der Mond warf eben von der Seite ein helles Licht darauf, und es sah aus, als schritte der alte Ritter mit drohender Geberde aus der Wand ihnen entgegen.

»Seht ihn nur gar nicht an!« sagte der Graf leise. »Nicht wahr, er droht und schneidet uns Gesichter? Laßt es euch aber nicht anfechten. Bevor die Glocke zwölfe schlägt, kann er nicht heraus aus der Mauer, dann aber geht er zur Tafel.«

Indem ließ sich an der entgegengesetzten Seite der Kapelle ein Geräusch vernehmen. Die große Flügelthür öffnete sich schnell, und schloß sich wieder. Der Graf winkte Georgen mit der Hand Stille zu, und zog ihn nach einem nicht weit von ihnen an der Wand stehenden Betstuhl. Georg folgte ihm, begierig auf die neue Wendung, welche die Sache zu nehmen schien.

Eine lange hagre Mannsgestalt näherte sich mit eiligen Schritten. Der Graf drängte sich dichter an Georg und flüsterte ihn zu: »das ist der König Hans! Haltet euch ruhig um Gotteswillen! Er ist heut nur in Civilkleidern,« fuhr er fort, »aber ich kenne ihn doch. Hört nur, wie das alte Knochengeripp klappert bei jedem Schritt!«

Je näher die Gestalt kam, desto bekannter schien sie Georgen. In der Mitte der Kapelle blieb sie stehen und sah sich, wie etwas suchend, rasch nach allen Seiten um. Der Mond schien ihr hell ins Gesicht; Georg konnte beinah nicht mehr zweifeln, daß es der alte Schauspieldirektor war.

Die Flügelthür im Hintergrunde knarrte abermals sich öffnend; die Gestalt in der Mitte lief schnell nach einem der Grabmale zur Seite, kletterte mit ängstlicher Behendigkeit daran in die Höhe, und verschwand hinter den darauf stehenden Steinbildern. Georgs Erstaunen und begierige Erwartung wuchs mit jedem Augenblick. Zwei neue Personen traten ein. Eine derselben trug eine Blendlaterne. »Nun gehts bald zu Tisch,« sagte der Graf. »Die Gäste kommen schon. Wenn sie uns nur nicht merken, sonst müssen wir mitessen. Habt ihr Hunger?« – Die beiden Männer schritten den Mittlern Gang heraus nach dem Altare zu. Sie waren in lange Mäntel gehüllt. Vor dem Grabmal, auf welchem der alte Schauspieldirektor saß, blieben sie stehen. Der eine brachte zwei Kerzen unter dem Mantel hervor, zündete sie an seiner Laterne an und steckte sie auf die zwei Leuchter eines kleinen Altars, der vor dem Grabmale stand und mit demselben durch einen in großen Falten und Bogen herabwallenden Umhang von schwerem Seidenstoffe verbunden war. Nachdem dies geschehen, gingen sie auf den Hauptaltar zu. Schweigend wurden hier gleichfalls zwei brennende Kerzen aufgesteckt, sodann wandten sie sich rückwärts nach dem in der Wand eingemauerten Steinbilde des alten Ritters. Der eine warf seinen Mantel ab, und legte Hacke und Spaten, die er darunter verborgen getragen hatte, neben sich auf den Boden. Georg sah ein völlig unbekanntes Gesicht. Als aber nun der Andre auch den Mantel von den Schultern fallen ließ, zwei entblößte Degen und ein großes Buch darauf legend, da schrack Georg zurück wie vor einer gespenstischen Erscheinung, denn er sah, daß es niemand anders war, als der Marchese.

Der alte Graf an seiner Seite, der bisher alle diesem mit gespannter Aufmerksamkeit zugeschaut hatte, stand jetzt hastig von seinem Sitze auf; seine Augen rollten wild; über das sonst so freundliche Gesicht zog jetzt erst der Wahnsinn seine furchtbare Larve. Georg schauderte; doch sich gleich wieder ermannend faßte er muthig und mit Kraft den Arm seines Begleiters. Allein als nun eben der Marchese und sein Gefährte die zwei eisernen Ringe einer Steinplatte faßten, die zu den Füßen des Ritterbildes lag, um sie empor zu heben, da stieß der Graf einen so gräßlich gellenden Schrei aus, daß Georg in der Verwirrung und im Schreck des Augenblicks nicht anders meinte, als die Mauern müßten davon bersten und das Gewölbe über ihren Häuptern zusammen brechen, riß sich los von ihm und stürzte aus dem Betstuhl hervor gerade auf den Marchese zu, »Halt! halt! ihr Räuber!« schrie er. – »Das ist mein, was da unten liegt; das hat der alte Udo für mich aufgehoben! Fort mit euch, fort!« Und schnell eins von den aus der Erde liegenden Schwertern ergreifend hieb er in toller Wuth um sich herum. In höchster Bestürzung wichen die beiden von ihm zurück. Auch Georg, der ihm schnell gefolgt war, wagte nicht sich zu nähern.

In diesem Augenblick wurde es plötzlich ganz hell um sie her; zu gleicher Zeit vernahm Georg die Stimme des alten Schauspieldirektors, der aus aller Macht um Hülfe schrie, und als er sich wandte sah er das Grabmal, welches jener zu seinem Versteck erwählt hatte, in vollen Flammen stehn. Es sey nun, daß eine der Kerzen, dem seidnen Umhange zu nahe gestellt, diesen angezündet, oder daß sie vielleicht nur lose aufgesteckt, umfallend das Altartuch in Brand gesetzt hatte? die eine Seite brannte schon über und über, hoch schlug die Lohe empor, ein dicker Qualm wirbelte sich bis an die Wölbung. Auf der andern noch unversehrten Seite aber hing der Schauspieldirektor in verkehrter Stellung mit halbem Leibe über den Sims herab, indem seine Beine sich unterwärts vergeblich abmüheten, einen sichern Standpunkt zum Hinunterklettern zu gewinnen. Dabei schrie er aus Leibeskräften immerfort: Hülfe! Feuer! Rettung! Feuer! Auch wiederholte er dieselben Worte mitunter auf englisch oder italienisch, Georg wußte nicht, wohin er sich zuerst wenden sollte. Da that sich grade zur rechten Zeit schnell die kleine eiserne Thür auf, und herein trat der Baron, begleitet von mehreren Bedienten, die Fackeln trugen. Nur einen Augenblick stutzte dieser, überrascht von dem seltsamen Schauspiel, dann eilte er mit seinen Leuten aus den alten Grafen zu, und indem er ihm von hinten in den Arm fiel, wußte er ihn geschickt zu entwaffnen. »Marchese!« rief er sehr ernst zu diesem hinüber, der finster die Blicke an den Boden heftete – »Marchese, noch nicht genug seyd ihr gewarnt durch diesen?«

Georg aber, der nun den Grafen in Sicherheit sah, lief sogleich mit den Leuten des Barons nach dem brennenden Altar, um seinem alten Freunde, dem Schauspieldirektor, beizuspringen. Diesem war es unterdessen gelungen, mit seinen Füßen eine von den zu Seiten des Grabmals stehenden kolossalen Bildsäulen zu erreichen – sie stellte die Hoffnung vor – und er hatte in der Eile dergestalt auf ihrem Nacken sich festgesetzt, daß seine Beine ihr rechts und links über die Schultern hinab auf die Brust hingen, während er mit beiden Armen ihren Hals umklammert hielt. Die flackernde Beleuchtung von der Seite her schien die Figur zu beleben. Es sah aus, als ob sie höchst erschrocken über die ungewohnte Last mit schmerzlicher Geberde um Hülfe stehend zum Himmel aufstöhnte, und neben dem bleichen, steinernen Gesicht schaute nun die vor Furcht und Schreck beinah eben so bleiche, wunderliche Maske des Alten herüber, der in höchster Verzweiflung und in allen Zungen die Bedienten anrief, sich seiner zu erbarmen und ihn nicht hier oben auf der Hoffnung verbrennen zu lassen. Die Bedienten konnten sich des lauten Lachens nicht enthalten, und selbst Georg widerstand kaum einer heftigen Anwandlung davon. Doch sprang er ohne Säumen zu, und mit seinem Beistand gelang es dem alten Freunde endlich wieder sichern Boden unter seinen Füßen zu gewinnen. Während dieser Zeit rissen die Bedienten den seidnen Umhang vollends herunter, und thaten so dem Feuer schnell Einhalt.

»Aber um Gotteswillen,« rief der Baron, der indeß auch herbei gekommen war, »liebster Haselmayer, Sie sind es? Wie kommen Sie hierher, und welcher böse Geist treibt Sie, um Mitternacht aus dem Grabmale unsers Urgroßvaters Komödie zu spielen?«

Der Schauspieldirektor stammelte und stotterte, und konnte keine Worte finden zu seiner Entschuldigung.

»Nun, nun, Sie sind erschrocken!« sagte der Baron. »Legen Sie sich zu Bett. Wir sprechen morgen weiter. Was Sie auch hierher geführt hat, Sie sind mir jederzeit willkommen!« – Und damit faßte er den alten Grafen unter den Arm, der jetzt in einem Zustande stumpfer Abspannung ihm willig folgte, befahl die Flügelthür der Capelle von innen zu verriegeln, und trat mit dem ganzen Zuge, den Marchese und seinen Begleiter ausgenommen, die sich schon früher entfernt hatten, durch die kleine Pforte den Rückweg an. Im Gehen erzählte ihm Georg den Verlauf der Sache. Er hörte schweigend zu. Vor den Zimmern des Grafen sagte er seinen Gästen gute Nacht. Der alte Schauspieldirektor aber, nachdem er sich sein Zimmer anweisen lassen, hing sich an Georgs Arm, und folgte ihm in das seinige, wo er sich wie an allen Gliedern zerbrochen in einen Lehnstuhl warf, und in höchster Erschöpfung die Augen schloß.

Siebentes Kapitel.

Es mochte beinah eine Viertelstunde vergangen seyn, und noch immer lag der Alte in derselben Stellung unbeweglich mit geschlossenen Augen im Lehnstuhl; er erwiederte alle Fragen, die Georg besorgt an ihn that, nur mit einem ganz leisen, schmerzlichen Kopfschütteln. Da trat ein Bedienter herein, setzte eine Flasche mit zwei Gläsern auf den Tisch und sprach: der Baron lasse Herrn Haselmayer recht sehr bitten, ein Paar Gläser von diesem alten Weine zu trinken, indem er dadurch am sichersten allen übeln Folgen des gehabten Schrecks zuvorkommen würde. Jener rührte sich nicht, Doch als der Bediente das Zimmer wieder verlassen hatte, öffnete er matt das linke Auge ein wenig, warf einen Blick nach dem Tisch hinüber, und schloß es dann gleich wieder. Georg schenkte schnell ein, brachte ihm das volle Glas, und bat ihn gleichfalls, die heilsame Vorschrift des gütigen Wirthes zu befolgen, Langsam hob der Alte den Arm empor, doch ohne die Augen aufzumachen, tappte mit der Hand nach dem Glase, faßte es, kostete, und trank es aus.

»Ich bin verloren!« hob er mit leiser Stimme an – »Vernichtet! Eine Null! Ja, wenn mich einer mit dem Minusstrich bezeichnen will, ich habe nichts dawider. Streicht in Gottes Namen! Ich muß es dulden. Ich bin ja weniger als ein Mensch: ich bin ein Thier, ein Esel! Streicht!«

»Verehrter Herr,« – hier stand er auf und stellte sich mit gefalteten Händen dicht vor Georg – »haben Sie die Barmherzigkeit und geben sie mir Nasenstüber. Honny soit qui mal y pense! Ich habs verdient, und vielleicht läßt das Schicksal durch diese Büßung sich versöhnen. Denn ach! was werde ich meinem hohen Freunde und Gönner, dem Baron, nun morgen sagen? Ich muß ihn belügen! Und wird er mir glauben? Was wird er von mir denken?«

Er lief an den Tisch, schenkte sein Glas voll und stürzte es hastig aus. – »Verwünscht,« rief er, »sey alle Gutmüthigkeit und Gefälligkeit auf der Welt. Gutmüthigkeit ist der Packesel, der aller Welt Schätze zuträgt, und nichts davon hat als Disteln und Prügel. Gutmüthigkeit, glauben Sie mir, ist das wahre Laster, das seinen eignen Herrn schlägt. Sehen Sie – Ihnen will ich mich anvertrauen; Sie werden mir rathen, Sie werden mir helfen, denn ich sehe es ihnen an, – dieses runde Kinn, dieser volle, weichgeformte Mund, diese mildgerundete kleine Überschwenglichkeit am Ende der Nase – ja, mein Theuerster, Sie sind auch einer von den gutmüthigen Narren! – Nun sehen Sie, da ist der erste Liebhaber bei meinem Schauspielverein – Sie kennen ihn – dieser junge Mensch sieht vergangnes Jahr im Bade die Gräfin Mathilde; eine unselige Leidenschaft ergreift ihn mit entsetzlicher Gewalt; sie läßt ihm nicht Ruhe, noch Rast, sie verzehrt ihn, ja sie wird ihn tödten, wenn sie nicht befriedigt wird. Ich sehe das mit an, und von weibischem Mitleid bezwungen, getrieben von nichtswürdiger Gutmütigkeit und Gefälligkeit, lasse ich mich bereden, ihm hierher zu folgen, und hier mit meinen grauen Haaren, oder respective gar keinen, den Kundschafter und postillon d'amour zu spielen. Und wie ich nun so in stiller Nacht, aus Iltisfüßen durch den Garten schleiche, da kommen zwei Männer in Mäntel gehüllt auf mich zu, und an der Sprache erkenne ich schon von weitem den Marchese, den ich weit entfernt glaubte. Und, Herr! dieser Marchese ist des jungen Menschen Vater, und dieser Marchese ist der Gräfin Mathilde zum Gemahl bestimmt! In meinem tödtlichen Schreck trete ich eilig den Rückzug an; die beiden Männer folgen mir auf dem Fuße; ich finde die Thür der alten Schloßkapelle halboffen stehn, ohne Besinnen werfe ich mich hinein und glaube mich sicher. Vergebens! Auch hierher verfolgen mich die Männer, und mir bleibt nichts übrig, als mich auf jenem unglückseeligen Grabmal zu verbergen. Das übrige wissen Sie.«

»Der Marchese ist der Vater des jungen Schauspielers?« rief Georg voll Erstaunen. »Der Marchese?«

»St! sprechen Sie nicht so laut,« sagte der Alte und legte den Finger aus den Mund. »Zu Ihnen nur hab' ichs gesagt. Sie werden mich nicht verrathen, mich und ihn nicht unglücklich machen. Er ist sein Vater. O mir grauset vor diesem Marchese! Nachdem er eine geliebte Gemahlin und seinen jüngern Sohn auf eine seltsame Weise, und wie man erzählt, nicht ohne seine Schuld, verloren, hat er auch diesen Erstgebornen verstoßen und hängt nun sein verwaistes Herz an das unheimliche Verkehr mit geheimen Wissenschaften und Künsten; nachdem er seinen Himmel weggeworfen, hat er sich der Hölle hingegeben, und alles was ihm nahet muß mit hinab. Den alten Grafen hat er auch verlockt zu seinem dunklen Treiben, und sehen Sie, in einer Nacht da sind die beiden einst hinabgestiegen in die Schloßkapelle und haben den Stein gehoben von dem Grabe des alten Udo, dessen Bild dort eingemauert steht in der Wand, und von dem die Sage geht, daß er, in der schwarzen Kunst hoch erfahren, das Pergament, worauf er sein Geheimniß niederschrieb, mit hinabgenommen in seinen Sarg. Was nun weiter dort geschehen, das hat niemand je erfahren, aber wahnsinnig ist der alte Graf seit jener Nacht. Und jetzt, um Gotteswillen, lieber Herr, jetzt diese unglückliche Verbindung des Marchese mit der Gräfin Mathilde! Was kann daraus entstehen? Mir ist als schaute ich in einen dunkeln Abgrund. Wie man sagt, so haben in früherer Zeit, in einer Stunde schwärmerischer Begeisterung, der Graf und der Marchese sich mit einem furchtbaren Eide zugeschworen, sie wollten, ihr Bündniß zu besiegeln, auch ihre Familien mit einander verbinden, und da sich jetzt der Marchese für kinderlos achtet, will er, noch in seinem Alter von heißer Liebe zu Mathilden besiegt, selbst erfüllen was er geschworen. Die Gräfin Mathilde aber glaubt sich gebunden durch den Eid ihres Vaters, und unterwirft sich in frommer Ergebung dem Willen des Himmels. Und jetzt merken Sie wohl? – jetzt grade muß der Sohn, der verstoßene Sohn die Braut des Vaters finden, und muß sie lieben, und ach! wenn mich nicht alles trügt, so wird er wieder geliebt! Da sehn Sie sie, die schwarzen Fäden, die das Schicksal ausgelegt, damit die Zeit ein gräßliches Verbrechen daraus webe! Das Schiffchen fliegt, die Räder schwirren, schwarz reihen sich die Fäden aneinander, immer schwärzer, und nun kommt der Augenblick, der den blutig rothen Einschlag dazwischen wirft, und so das Stück vollendet. Schwarz, schwarz und roth, blutroth, so seh ichs vor mir liegen – so wird es kommen! Denn

es geht ein finstrer Geist durch dieses Haus
und schleunig will das Schicksal mit ihm enden!«

Der Alte hatte über dem fremden Schicksal ganz sich selbst vergessen. Seine Stimme und Geberde war allmählig von der kleinlauten Mattigkeit der Erschöpfung, immer lebendiger werdend, endlich in das höchste tragische Pathos übergegangen, und Georg schrack jetzt beinah, von seltsamem Graun erfaßt, vor ihm zurück, wie er hoch ausgerichtet vor ihm stand, mit wilden Blicken in die schwarze Zukunft hinaus starrend, die sich vor ihm aufgeschlossen zu haben schien, und seinen bleichen bebenden Lippen die prophetischen Worte entströmten, die Georg, durch mehr als ein zartes Band an dieses Haus gefesselt, mit banger Ahnung, ja mit Entsetzen vernahm.

»Und ach! Vielleicht,« fuhr jener fort, »vielleicht in diesem Augenblick schon geschieht das Entsetzliche! Denn ist er nicht hier, der junge Marchese? Wird er, durch mein Außenbleiben befremdet, mich nicht suchen, sich selbst in den Garten wagen? Wenige Schritte vielleicht trennen ihn jetzt eben nur noch von seinem Vater! Und wenn nun Sohn und Vater, beide mit dem bittern Groll, mit der brennenden Leidenschaft in der Brust, sich treffen! – Ach und ich kann nicht hinaus, ich bin in Banden, ich bin gefangen, ich kann nicht schützen, abwenden helfen! – Horch! Was war das? Hörten Sie nicht einen dumpfen Schrei?« – Er sprang an das Fenster. – »Nein, es ist alles still, und wie ein Leichentuch liegt die schwarze Nacht über dem Garten. Nur ein dumpfes Rauschen geht durch die Lüfte. Mir ist als hört' ich den fernen Flügelschlag eines ungeheuern Schicksals, das sich langsam naht. Ach, und ich, der alte Freund und treu ergebne Diener dieses Hauses, kann es nicht abwenden, was ich kommen sehe. Wie? Abwenden? Ach! Abwenden sagst Du, Elender! Du, der Du selbst dem finstern Fatum zur Hand gehest, der Du selbst bei Nacht wie ein Marder Dich einschleichst in dieses Haus, um seinen Frieden zu erwürgen, der Du selbst die verderbenschwangere Leidenschaft des Jünglings nährst und pflegst und ihr behülflich bist, du selbst Hebamme des Entsetzlichen! O daß es nie Tag würde, oder daß dieser Tag mein letzter wäre! Quand on a tout perdu, quand on, n'a plus d'espoir, la vie est un opprobre, la mort un devoir! Mit welchem Lichte wird mich dieser Tag beleuchten? wie werd ich dem Baron erscheinen, ihm, meinem Gönner, meinem Beschützer, meinem Mäcen, der mich bis jetzt geachtet und werth gehalten? Mit dem Fuße wird er mich nun von sich stoßen, wie ein giftiges Reptil! Ach! und der schöne Contrakt, den ich eben auf so treffliche Bedingungen mit ihm abschließen wollte, um bei der Hochzeit des Marchese auf seinem Schlosse zu spielen, er ist dahin, in Nichts zerronnen, wie ein Sommernachtstraum, und die vollwichtigen Dukaten – mein Theuerster, glauben Sie mir, in dem Golde liegt noch irgend ein wunderbares Geheimniß verborgen, und nah verwandt ist es mit unserm innersten Wesen – und ach, diese herrlichen, vollwichtigen Dukaten, die ich schon wiederbelebend in meiner früh hingewelkten Tasche klingen hörte, ach! sie haben sich verflüchtiget gleich Quecksilber in dem Schmelztiegel meiner gutmüthigen Nichtswürdigkeit! Das ist das Loos des Schönen auf der Erde! – Beschimpft, verachtet, ein Spion, ein Lump, ein Bettler steh ich da; jede hohe Familie bedenkt sich künftig, mich in ihrem Hause zuzulassen; so hab ich selbst mein Glück zu Tode gejagt und alle meine Hoffnung wie eine schlechte Mähre zu Schanden geritten. Ja, zu Schanden geritten! Weh mir! Ja, das that ich. O du teuflischer Hohn des Zufalls! Ja, ich thats! Denn sagen Sie, mein theurer Freund, Sie haben es gesehen, sagen Sie, saß ich nicht rittlings auf der Hoffnung, und diese verruchten Beine schlugen ihre Brust? Ha, wer über solche Dinge nicht den Verstand verliert, der hat keinen zu verlieren! – Ich will schlafen gehn. – Zu Bette! zu Bette!« – Er ergriff mit hoher, tragischer Würde die Weinflasche, steckte sie unter den linken Arm und nahm sein Licht: – »Gute Nacht, Mutter! –« sprach er mit Hamlets Worten, und so ging er in gemeßnem Cothurnschritt zur Thür hinaus nach seinem Zimmer, und ließ den Maler in höchster Verwunderung versteinert zurück.

Achtes Kapitel.

Als Georg am andern Morgen erwachte, brachte ihm der alte Bediente des Hauses einen Abschiedsgruß von dem Schauspieldirektor, der mit Hinterlassung eines Briefes an den Baron bei Tagesanbruch bereits das Schloß verlassen hatte. Der Alte fügte noch hinzu, wie ihn Georgs Name, den er ihm abgefragt, aufs lebhafteste überrascht zu haben schien, und wie er mehrmals ausgerufen: Georg Haberland! Georg Haberland! Also dieser war es! Wie seltsam! Hatt' ich das doch eher gewußt!

»Nun, Sie werden bald Gelegenheit finden,« fuhr der Alte geschwätzig fort, »ihn über die Ursach dieser Verwunderung selbst zu befragen, denn, wie ich gehört habe, kommt er mit seiner Truppe zur Vermählung unsrer jungen Gräfin auf das Schloß des Herrn Barons. Das wird ein großes Fest geben! Und wenn mich nicht alles trügt, so feiern wir dann an diesem Tage ein doppeltes. Denn Gräfin Natalie wird sich schon noch besinnen.«

Georg starrte ihn an, und wiederholte kaum vernehmlich: »Gräfin Natalie!«

»Ei freilich!« erwiederte jener. »Der junge Fürst, dessen Güter an das unsrige gränzen, wirbt um sie; und ob sie gleich erklärt hat, daß sie das väterliche Haus nicht verlassen würde, so lange ihre Eltern noch lebten, so zweifle ich doch gar nicht an ihrer endlichen Einwilligung, denn ihre Frau Mutter wünscht es selbst, und der Fürst ist ein gar schöner und angenehmer Herr.« Und nun fing er an, die Person und den Charakter des jungen Fürsten zu beschreiben, rechnete seine weitläuftigen Besitzungen her, und setzte die Vortheile einer solchen Verbindung auseinander; Georg aber hörte nichts mehr von alledem was er sagte, sondern saß ohne Bewegung, den Kopf auf die Hand gestützt und schaute starr auf einen Fleck vor sich hin.

Irgend ein Mährchen erzählt von Einem, der in einen großen Wald gerieth, und dort unter einem Baume einschlief. Der Wald aber war ein bezauberter, und während der junge Mensch schlummerte, kamen mancherlei seltsam gestaltete Vögel herbeigeflogen, die stahlen ihm allen Muth und alle Freude und alle Hoffnung aus der Brust heraus und trugen sie davon, ja endlich raubten sie ihm alle Sinne und alle Gedanken; nur allein das Herz mußten sie ihm lassen, denn das hatte der Liebesgott mit seinem schärfsten Pfeile durchstochen, daß sie es nicht forttragen konnten; und so fühlte der Unglückliche beim Erwachen mit tausend Qualen sein ganzes Leben und Daseyn nur einzig und Allein noch in dem durchbohrten, gemarterten Herzen.

Dieses Mährchens erinnerte sich jetzt Georg, als der Alte, müde, seine Worte an einen Stummen und Tauben zu verschwenden, endlich kopfschüttelnd das Zimmer verlassen hatte. Doch kam es ihm vor, als hörte er es von einer fremden Stimme sich erzählen, und als diese es geendigt hatte, sprach sie: das ist dein Schicksal! das bist du selbst! Und Georg nickte mit dem Kopfe und sagte leise: »Ja! Allen Muth und alle Freude und alle Hoffnung!« und stützte den Kopf wieder auf die Hand, und starrte wieder auf den Tisch vor sich hin.

Doch plötzlich sich ermannend sprang er vom Stuhle empor, und indem er mit hastigen Schritten aus und ab ging, ward der Entschluß in ihm fest, das Haus zu verlassen, und Natalien nicht wieder zu sehen; er sann nur noch aus einen schicklichen Vorwand, diesen Entschluß ungesäumt zu vollführen.

Nichts konnte ihm daher erwünschter kommen, als der Baron, der bald nachher mit dem Vorschlage zu ihm ins Zimmer trat, ihn heute noch nach seinem Schlosse Freileben zu begleiten.

»Ich habe einmal auf Sie und Ihre Kunst gerechnet,« sprach er, »und wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Georg seufzte, und nachdem jener ihn verlassen hatte, eilte er, sein angefangenes Gemälde sammt der Zeichnung einzupacken; denn der Baron hatte ihm versprechen müssen, es gleichfalls noch heut nach seinem Schlosse zu befördern. Dann ging er hinab, um Abschied zu nehmen von der Gräfin.

Sie war allein mit Natalien. Beide schienen geweint zu haben. Georg mußte ihr sein Abentheuer der vergangnen Nacht nochmals erzählen, und indem er in seiner Verwirrung dabei ängstlich nach Worten suchen und das kaum Geschehene wie eine längst vergangene Geschichte sich mühsam ins Gedächtniß zurückrufen mußte, fiel ihm der Unglückliche in dem Mährchen wieder ein, dem die Zaubervögel sogar alle Sinne und alle Gedanken davon getragen hatten.

Die Gräfin erzählte ihm dagegen, daß endlich diesen Morgen der Arzt aus der Stadt erschienen sey, den Zustand des Grafen nichts weniger als bedenklich gefunden habe, ja selbst aus dem Umstand, daß er seit der gewaltsamen Erschütterung dieser Nacht wieder anfange in einzelnen hellen Blicken sich der Vergangenheit bewußt zu werden, die beste Hoffnung zu seiner Wiederherstellung schöpfe.

Indem trat der Baron reisefertig ins Zimmer, begleitet von Mathilden und dem Marchese. Georg stand auf, die letztern zu begrüßen; da schritt der Marchese ernst auf ihn zu, faßte seine Hand, sah ihm lange starr in die Augen und ließ sie dann mit einem leisen wehmüthigen Kopfschütteln wieder los. Georg aber, welchen dies in diesem Augenblick weiter gar nicht befremdete, wandte sich schnell Abschied nehmend zur Gräfin und zu Mathilden. Doch als er sich nun auch Natalien näherte, ihr Lebewohl zu sagen, überwältigte ihn der Gedanke, daß dies ein Lebewohl auf ewig sey: er drückte ihre Hand an seine hochschlagende Brust, dann an seine heißen, zitternden Lippen, und Thränen stürzen aus den Augen. Natalie sah ihn erschrocken fragend an; doch plötzlich flog eine dunkle Glut über ihre Wangen, sie schlug die Augen nieder, und mit einem ganz leisen flüchtigen Druck, der fast nur ein unwillkührliches Zucken schien, entzog sie ihm die Hand, kehrte sich ab, und trat ans Fenster. Georg verbarg seine nassen Augen durch eine tiefe Verbeugung, die er den Übrigen machte, eilte hinaus, und sich auf eins von den im Hofe bereit stehenden Pferden schwingend, jagte er davon, daß der Baron ihm kaum zu folgen vermochte.

Auf einer Anhöhe machte ihn sein Begleiter auf die malerische Ansicht des Schlosses aufmerksam. Von einem flüchtigen Sonnenstrahl, der eben durch den düstern Wolkenhimmel brach, aufs hellste beleuchtet, prangte es mit seinen vier Thürmen unten im dunkeln Thale. »Allen Muth, und alle Freude und alle Hoffnung!« sagte Georg leise für sich hin, nachdem er es lange betrachtet, wandte sein Pferd und ritt langsam den Hügel hinab, und als er einen Augenblick nachher noch einmal rückwärts schaute, war Schloß und Thal verschwunden, und vor ihm, wohin der Weg führte, dehnte sich trüb und grau die unbekannte Ferne.

Neuntes Kapitel.

Auf Schloß Freileben fanden sie alles in großer Thätigkeit. Der Bau des neuen geräumigen und prächtigen Hauses, welches der Baron am Fuße des Schloßberges aufgeführt hatte, aus dem noch die stattlichen Ruinen der alten Burg prangten, war vor kurzem erst vollendet worden; die Ausschmückung der Zimmer beschäftigte noch eine Menge Menschen. Georg mußte nach dem Wunsche des Barons, der hin und her reisend nur immer auf kurze Zeit zugegen war, die Leitung dieser Arbeiten übernehmen, und legte überall um so thätiger mit Hand an, als er von dieser Beschäftigung wirksamen Beistand gegen eine Leidenschaft erwartete, die selbst aus der Entfernung nur neue Nahrung zu ziehen schien.

Dabei aber vergaß er sein angefangenes Gemälde nicht. In einem an sein Zimmer stoßenden Kabinette, zu welchem er den Schlüssel stets bei sich trug, hatte er es vor jedem fremden Blick verborgen aufgestellt, und arbeitete unausgesetzt in den frühesten Morgenstunden daran. Hier verlebte er seine schönsten Augenblicke, und das einsame Kabinett ward ihm zum stillen Heiligthum nicht allein seiner Kunst sondern auch seiner Liebe. – Noch seinem Entschluß, Natalien nicht wieder zu sehen, flüchtete das verwaiste, wunde Herz zu der geliebten Mutter; sie allein war seine Vertraute, sie allein kannte seine Liebe, mit ihr allein durfte er von der Geliebten sprechen, und wenn nach dem Geräusch des Tages, das sie betäubte, der Abend wieder von neuem den Schmerz und die Sehnsucht weckte in seiner Brust, und er sein Heiligthum aufschloß und vor die zuerst entworfene und nun vollendete Zeichnung oder vor das Gemälde trat, das sich mit jedem Tage kräftiger aus der Leinwand heraus dem Leben entgegen hob, dann ging von den klaren milden Zügen, aus den freundlichen Augen wie von dem Sternenhimmel einer Sommernacht, Trost und Beruhigung auf ihn herab, ja oft schienen ihm die sanft geöffneten Lippen eine leise Hoffnung zuzulispeln, die er sich selbst kaum gestehen mochte und doch mit Entzücken durch sein innerstes Wesen beben fühlte.

Trotz dieser Hoffnung aber, die er selbst kindisch schalt und sich ihr doch so gern überließ, und die, er wußte selbst nicht wie und warum, immer lauter ward, je mehr das Bild seiner Vollendung zuschritt, trotz dieser leisen Hoffnung hielt er dennoch männlich seinen Entschluß fest, Natalien nicht wieder zu sehen, und widerstand jedem Vorschlage des Barons zu einem Besuch bei der Gräfin, seiner Schwester, unter mancherlei Vorwand. Nur sein Gemälde wollte er noch hier beendigen, dem Baron wollte er die Anordnungen zu dem Hochzeitfeste nur noch vollbringen helfen, dann aber am Vorabend desselben das Schloß verlassen. Das erste Ziel seiner Wanderung in die weite Welt hinaus sollte die Herrnhutherkolonie seyn, wo seine Mutter ihre letzten Tage zugebracht hatte. So waren einige Wochen vergangen, als der Baron, eines Morgens nach Hause kommend, unerwartet die Nachricht brachte, daß wegen der plötzlich nothwendig gewordnen Abreise des Marchese nach Italien die Vermählung binnen wenigen Tagen statt finden werde. Georg erblaßte.

»Sie erschrecken,« sprach der Baron, »und in der That auch mir rückt das Fest ein wenig zu schnell ins Haus. Und doch, wenn ich Ihnen die Wahrheit gestehen soll, bin ich eigentlich froh darüber, daß es so schnell geschieht. Der Marchese ist ein trefflicher Mann, dem unsere Familie große Verbindlichkeiten hat; ich freue mich über die Verbindung mit ihm; ich bin überzeugt, daß er Mathilden sehr glücklich machen wird: dennoch, ich weiß nicht warum, bin ich dieser Hochzeitfeier bis jetzt nicht mit einer fröhlichen, sondern mit einer bangen Erwartung entgegen gegangen. Eine wunderliche Ahnung, über die ich eben so wenig Herr zu werden vermag, als ich sie mir erklären kann, drückte mit jedem Tage schwerer auf mich. Doch im Grunde geschieht uns das ja mit jedem Dinge, das wir aus der dunkeln Zukunft auf uns zuschreiten sehen. Etwas Unheimliches, ja Gespenstisches hat es doch immer an sich, und ganz so, wie wir es erwarten, sieht es wenigstens niemals aus. Genug, ich bin froh, daß diese Zukunft sich so schnell in Gegenwart verkehrt, und so mit einemmale allen dunkeln Ahnungen und Träumereien die Nahrung abschneidet. Sparen Sie kein Geld, um wenigstens das Nothwendigste noch anständig zu vollenden, besonders empfehle ich Ihnen unser kleines Theater. Auch der Marchese liebt das Schauspiel, und ich habe bereits Eilboten nach unserm alten Freund Haselmeyer ausgesendet.«

»Und Gräfin Nataliens Hochzeit –?« sagte Georg mit schwankender Stimme. Die Frage, die ihm schon so lange auf dem Herzen gelegen, hatte sich nun endlich über die Lippen gewagt, und er horchte zitternd, mit niedergeschlagnen Augen und zurückgehaltenem Athem auf die Antwort.

Der Baron sah ihn eine Weile verwundert an, dann sagte er mit einem halbunterdrückten Lächeln, das um seinen Mund zuckte: »Nein, mein Georg! Nataliens Hochzeit wird für diesmal noch nicht mitgefeiert. Sie hat sich noch gestern erst sehr bestimmt gegen jede Verbindung erklärt, die sie von ihren Eltern trennen möchte.«

Georg wendete sich ab, die Glut zu verbergen, die er auf seine Wangen steigen fühlte; und indem er, seiner Bewegung einen Vorwand leihend, nach einem auf dem Tisch liegenden Zirkel und Maaßstab griff, versicherte er den Baron, daß er mit ihm zufrieden seyn sollte, und sprang aus dem Zimmer.

An seinen Sohlen schienen plötzlich Flügel gewachsen zu seyn. Er wußte selbst kaum, wie er die Treppe hinab gekommen war, und da ihm aus dem Hausflur der dicke Zimmermeister begegnete, konnte er sich in der Freude seines Herzens nicht enthalten, ihn kräftig zu umarmen.

»Ey, ey, mein lieber Herr Haberland,« sagte der alte Mann lachend– »was steht denn heut für ein Tag im Kalender? Oder von welcher Himmelsleiter kommen Sie denn gradewegs herabgestiegen?

Georg schämte sich ein wenig vor dem Alten und recht sehr vor sich selbst, nachdem er ihn daher versichert, daß von keiner Himmels-, sondern nur von einer Theaterleiter die Rede sey, und ihn gebeten hatte, gleich auf der Stelle wieder mit ihm hinaufzusteigen, sprach er vor ihm herschreitend zürnend zu sich: »Du alberner Thor, was jubilirst du denn? was für ein Heil ist dir denn widerfahren? Wenn nun auch Natalie den Fürsten nicht heirathet, ändert dies das mindeste in Deinem Verhältniß zu ihr? und bleibst Du drum denn minder der arme Findling?«

Allein er hatte gut reden: das unverständige Herz jubilirte dennoch fort, und der feste Entschluß, Natalien nicht wieder zu sehen, war gewaltig ins Schwanken gekommen.

Zehntes Kapitel.

Unter den mancherlei Arbeiten, die Georg nun in diesen Tagen in Anspruch nahmen und selbst einen Theil der Nächte hindurch rastlos beschäftigten, hatte er sich selbst und alle seine übrigen Verhältnisse beinah ganz aus den Augen verloren. Fleißigen Bergleuten gleich aber, die fern vom Lichte des Tages und von den Blicken der Menschen, unbekümmert um das Treiben der Oberwelt, in dunkler Tiefe still und emsig ihr Tagewerk fördern, hatten indeß auch seine Neigungen, Wünsche, Hoffnungen und Leidenschaften tief in der Brust unbemerkt geschäftig ihre Arbeit fortgesetzt, und als er jetzt spät am Morgen des letzten Tages vor dem Hochzeitfeste erwachte, anfangs, erschrocken über den hohen Stand der Sonne, schnell aufspringen wollte, dann aber, sich besinnend, daß ja alles nach dem Wunsche des Barons bereits vollendet sey, mit einer gewissen Behaglichkeit in die Kissen zurücksank, und nun erst wieder sich einem ruhigen und klaren Bewußtsein seiner selbst überließ, da fand er fast mit einiger Verwunderung statt des alten Entschlusses, Natalien nicht wieder zu sehen, den ganz neuen, ihre Ankunft abzuwarten und erst nach der Hochzeit abzureisen, fertig ausgearbeitet und wohl begründet vor seiner Seele stehen.

»Ja,« rief er nach einer Weile, »ja das will ich! Noch einmal will ich sie sehn, noch einmal diese herrliche Gestalt, diese geliebten Züge mit meinen Augen fassen, sie tief und unauslöschlich in mein Herz graben, und dann mit der köstlichen Beute, die niemand mir nehmen kann, hinaus eilen in das dürftige Leben und die Armuth einer ganzen Zukunft ernähren mit dieser reichen Erinnerung!«

Doch wie der Mensch nun einmal das recht eigentliche Warum seiner Handlungen vor der Welt, ja vor sich selbst zu verschweigen pflegt, so mochten auch hier wohl noch andre Ursachen des veränderten Entschlusses in seiner Seele verborgen lauschen, und die Trostaugen des mütterlichen Bildes in diesen letzt verflossenen Tagen ihm manches freundliche und hoffnungsreiche Wort zugelächelt haben.

Dieses Bild selbst gehörte wenigstens gewiß unter die Hauptgründe seines Bleibens. Es war nun beinahe ganz vollendet, und durfte sich fremden Blicken zeigen. Wie konnte es dem Künstler verdacht werden, wenn er es selbst in die Welt einzuführen, wenn er selbst Zeuge des Eindrucks zu seyn wünschte, den es aus ihm so theure Personen und besonders auf Natalien machen würde? Sein erstes Geschäft, nachdem er aufgestanden, bestand auch sogleich darin, das Gemälde nach einem hellen und geräumigen Zimmer zu schaffen, das auf der einen Seite an das seinige, auf der andern an den Schauspielsaal stieß, und es dort in dem gehörigen Lichte aufzustellen.

Er war noch nicht damit fertig, als er fernes Peitschenknallen und Wagengerassel aus dem Steindamm vor dem Schloßhofe vernahm. Das Herz fing ihm an zu klopfen; er ahnete die Ankunft der Gräfin mit ihren Töchtern und eilte nach dem Fenster. Peitschenknall und Wagengerassel kamen näher. Das Herz klopfte stärker. Jetzt polterte der Wagen dumpf dröhnend durch das gewölbte Hofthor. Georg erwartete nun den raschen Schimmelpostzug der Gräfin zu erblicken: doch siehe! da wanden sich vier schwarze, magre Bauerrößlein langsam aus der dunkeln Wölbung hervor, ein hochbeladner Wagen schwankte hinterdrein, halb mit einem schwarzen, halb mit einem rothen Teppich überdeckt. Mancherlei besondere Geräthschaften, Waffen, Fahnen und Roßschweife hingen an den Seiten herab, oder ragten ausgerichtet darüber empor; vorn aber saß darauf der breitschultrige Hanswurst, angethan mit der endlich errungenen rothen Plüschweste, und schien bitterlich zu weinen. Georg begriff nun wohl, daß Freund Haselmeyer seinen Einzug hielt, doch indem ihm jetzt auch die Erinnerung an die seltsame Nacht schnell zurückkehrte, wo er jenen zuletzt gesehn, und er alles dessen gedachte, was der Alte ihm damals anvertraut und was er verkündigt, so überfiel ihn eine plötzliche Bangigkeit; fast schaudernd sah er den schwarz und roth behangenen, wunderlich bepackten Wagen langsam über den Hof dem Schloß sich nähern, er kam ihm wie ein wandelnder Katafalk vor, und die prophetischen Worte des Alten tönten in seiner Seele wieder! schwarz, schwarz, und roth, blutroth, so wird es kommen! – Er trat von dem Fenster zurück und ging unruhig auf und nieder. Er machte sich Vorwürfe darüber, daß er den Baron nicht gewarnt, und nahm sich fest vor, ihm wenigstens, wenn der Sohn des Marchese die Verwegenheit haben sollte, auch hier seine Rolle als fahrender Schauspieler fortspielen zu wollen, dann ohne Rückhalt alles zu entdecken.

In dieser Überlegung wurde er durch die Ankunft des Schauspieldirektors unterbrochen, der hastig ins Zimmer trat und die gefalteten Hände ihm entgegen streckend ihn anflehete, schnell mit ihm hinunter zu kommen. »Mein theuerster Freund,« rief er »kommen Sie, stehen Sie mir bei, helfen Sie mir den Unhold von dem Wagen schaffen! O Gott, es ist mein Tod! der Kerl will nicht herunter. Was soll ich anfangen? Der Baron wünscht, daß ich schon heut Abend eine Vorstellung geben möchte, das hohe Brautpaar zu unterhalten, das bald eintreffen soll, und nun wirft grade heut der schwarze Dämon, der mich verfolgt, wirft eben heut meinen Pudel unter die Räder eines Wagens und tödtet ihn, und dieser Pudel war der Liebling meines Hanswursts, an den er sein ganzes Herz gehangen, den er gepflegt, geliebt mit wahrhaft mütterlicher Zärtlichkeit. Ja, es ist wahr, der Unglückliche, er liebte dieses arme Thier wie einen Sohn! Und nun sitzt er auf dem Wagen, gleich der Niobe, den Leichnam in den Armen, und weint nun schon seit einer Stunde ohne Unterbrechung, daß die Steine schmelzen möchten, und weigert sich herabzusteigen, und noch viel weniger wird er spielen wollen. Ach und, zum Teufel! ich kann den Satan nicht weinen sehen, ohne mitzuweinen. O kommen Sie, stehen Sie mir bei, mein theuerster Freund, mein geliebtester Georg Haberland! O wüßten Sie, wie theuer mir dieser Name ist, und wie ich mich freue, daß ich Sie endlich gefunden, den ich so lange gesucht! Ich habe Ihnen Wichtiges mitzutheilen. Doch davon nachher. Jetzt kommen Sie, und helfen Sie mir, ich bitte!«

Mit diesen Worten faßte er Georgen unter den Arm und zog ihn mit sich fort aus dem Zimmer die Treppe hinab auf den Hof. Hier stand der große Wagen vor der Thür; die Pferde waren abgespannt; doch oben darauf saß richtig noch der Hanswurst, die Pudelleiche auf dem Schooß, und weinte stille für sich fort. Der Baron, der eben damit beschäftigt war, die übrigen Schauspieler und ihre Sachen unter Dach und Fach bringen zu lassen, kam auch herbei. Der Schauspieldirektor trat an den Wagen, und bat den Daraufsitzenden leise, doch wie man aus seinen Geberden abnehmen konnte, sehr dringend, doch nun endlich abzusteigen, indem er ihn dabei, wie es schien, auf die Gegenwart des Barons aufmerksam machte. Hanswurst aber saß unbeweglich, ohne zu antworten, ja ohne nur die Augen aufzuschlagen, und greinte nur noch erbärmlicher.

»Aber in drei Himmelsnamen!« rief der Alte endlich »mein guter Sohn, willst Du denn ewig da oben sitzen bleiben?« Hanswurst nickte mit dem Kopfe. »Nun sehen Sie, um Gotteswillen,« schrie jener, indem er sich zu Georg wendete, »sehen Sie: der Belial nickt mit dem Kopfe! Er will ewig dort oben sitzen bleiben! – Du unvernünftiger Stock, hast du denn schon jemals nachgedacht, was ewig heißt, caudex? Und wenn du dein ganzes noch übriges Leben dort oben sitzest, so ist dies gegen die Ewigkeit grade so viel, als ob eine Laue einen Elephanten todt beißen wollte, du Tropf! Denn gegen die Ewigkeit gehalten ist es ganz das nämliche, ob du jetzt in diesem Augenblick absteigst, oder erst in hundert Jahren. Drum steig herab, Kabliau, mein lieber! Alles menschliche ist endlich. Schmerz und Freude haben ihre Gränzen. Steig herab, mein guter Junge!« – Hanswurst saß wie eine Mauer. – »Ich will dir ja gern zugeben,« fuhr der Alte fort, »daß Mylord es werth ist, daß du um ihn weinst. Es war ein herrliches Vieh! Es war eine Menschenseele in Thiergestalt! Und wie liebte er dich, wie hast du ihn wieder geliebt! Du hast ihn gepflegt, genährt, du hast ihn erzogen, ja, ich weiß es wohl, du redliches Gemüth, du hast Mutterstelle bei ihm vertreten, denn seine Mutter starb bald nach der Geburt – ja, du treue Seele weine nur, ich weiß es wohl, du hast ihn auch geliebt wie eine Mutter! – Hier ward seine Stimme sehr weich und schwankte bebend in tiefer Rührung. Hanswurst schluchzte laut. – »Doch,« hob jener nach einer kleinen Pause wieder an, »das Schicksal fragt nicht nach unsrer Liebe. Das Schicksal zertritt Pudelherzen wie Königsherzen, und was bleibt dem armen Menschen anders, als sich ihm in Demuth zu unterwerfen? Jetzt ruft uns die Pflicht, mein Sohn. Wir sollen diesen Abend spielen.« – Hanswurst schüttelte unwillig den Kopf. – »Wir sollen spielen vor unserm gnädigen Mäcen und seinen hohen Gästen. Drum fahr wohl!« – er ergriff eine herabhängende Hinterpfote des Pudels, –

»Fahr wohl, Mylord! Der Thränen schuldgen Zoll
Will ich euch redlich nach der Schlacht entrichten;
Jetzt aber ruft mich das Geschick. –
Kurz ist der Abschied für die lange Freundschaft.

Steig herunter, geliebte Seele, wir wollen unsern Freund begraben, komm, laß dich nicht länger bitten, goldner Sohn, steig ab!« – Er reichte ihm die Hand hinauf, um ihm herabsteigen zu helfen. Der Baron konnte sich des lauten Lachens nicht länger erwehren. Hanswurst aber sah ihn grimmig von der Seite an, stieß die Hand des Schauspieldirektors hinweg, und rief von Schluchzen unterbrochen: »Gehts! laßt mi ungehudelt! I bleib sitze!«

Nun verwandelte sich die Rührung des Alten plötzlich in den heftigsten Zorn. Wie ein Besessener sprang er hin und her, warf seinen Hut an die Erde und trat ihn mit Füßen. »Marterholz! carnifex!« schrie er dem Hanswurst zu – »Verdammtes Folterbrett, an das das Schicksal mich gebunden, willst du denn meine Seele aus allen Fugen renken?! Ungethüm! Verwünschte Mißgeburt, im Grimm der launischen Natur erschaffen mir zur Qual! Warum hab ich nicht schon längst dich erwürgt mit diesen Händen! Beelzebub!«

Der Baron winkte schnell einen Bedienten herbei, der eben mit einem Weinkorb in das Haus gehen wollte, und fragte ihn mit lauter Stimme, ob das Frühstück für die eben angekommenen Gäste schon bereitet sey. Der Diener bejahte es, und meinte lächelnd, die Herren und Damen würden wohl schon bei der Arbeit seyn; er wolle eben den Wein hineintragen.

»Nun denn, mein Lieber,« wandte sich der Baron nach dem Wagen hinauf, »wollen Sie nicht auch daran Theil nehmen? Ich meine, Sie haben keine Zeit zu verlieren, und mein Wein wünscht, auch bei Ihnen sich Ehre einzulegen.«

Der Anblick der Weinflaschen hatte, gleich den Augen der Klapperschlange, den Hanswurst bereits ganz unwillkührlich ein gutes Stück von seinem hohen Sitze nach unterwärts gezogen; die Worte des Barons führten seine Füße bis auf die Deichsel herab, wo er zweifelnd und unentschlossen stehen blieb. Der alte Schauspieldirektor aber, da er ihn so weit sahe, sprang, seinen Vortheil wahrnehmend, plötzlich wie ein Wüthender auf ihn los, riß ihn vollends herunter, und schleppte ihn halb tragend, halb vor sich hinschiebend trotz allem Sträuben mit ungemeiner Behendigkeit rasch ins Haus. Der Baron hielt sich die Seiten vor Lachen.

Eilftes Kapitel.

Georg war dem wunderlichen Paare in den Saal nachgefolgt, wo die ganze Gesellschaft versammelt saß; denn es lag ihm am Herzen zu wissen, ob der Sohn des Marchese mitgekommen sey. Er fand ihn nicht darunter.

Als er beruhigt und froh darüber wieder auf den Hof trat, vernahm er zum zweitenmal Peitschenknall und Wagengerassel. Und diesmal betrog ihn seine Erwartung nicht. Denn bald nachher leuchteten die Schimmel aus der dunkeln Wölbung des Hofthors hervor. Es war der Wagen der Gräfin.

Georg erschrack beinah selbst über den Aufruhr, der sich in diesem Augenblick in seinem Innern erhob. Er fühlte, wie das Blut ungestüm nach seinem Herzen schoß, gleich als wollte wetteifernd jeder Tropfen der erste seyn, der diesem die frohe Kunde überbrächte. Sein Athem stockte, seine Füße wankten. Er mußte sich an eine von den Säulen der Thürhalle lehnen um sich zu halten. Der Baron, der neben ihn stand, sich ihn verwundert von der Seite an.

Jetzt hielt der Wagen vor der Thür. Beide eilten hinzu. Georg öffnete den Kutschenschlag und reichte der Gräfin die Hand zum Aussteigen. Er warf einen Blick auf Natalien. Seine Augen begegneten den ihrigen, und sie senkte sie erröthend zur Erde. Sie trug den Schleier, den sie bei ihrem ersten Zusammentreffen getragen. Noch nie meinte er sie schöner gesehn zu haben. Seine Hand zitterte so heftig, daß die Gräfin ihn besorgt fragte, ob er krank sey.

Indem fuhr ein zweiter Wagen vor. Der Marchese, in Uniform, sprang heraus. Ein junger Mann, gleichfalls in Uniform, folgte ihm, und während Georg die Gräfin ins Haus führte, bemerkte er zurückblickend noch, daß der junge Offizier schnell herbei eilte, Natalien aus dem Wagen half, und ihr den Arm bot.

Als die Frauen sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatten, bat ihn der Baron, alles aufzubieten, damit die Schauspieler noch desselben Tages eine Vorstellung geben könnten, was er aus mehr als einem Grunde wünsche, besonders da sein Schwager, der alte Graf, der jetzt auf dem besten Wege zur vollkommenen Genesung sey, gleichfalls diesen Nachmittag noch eintreffen werde, und theilte ihm hierauf seine Meinung über einige Einrichtungen mit, die deshalb zu machen seyn möchten. Allein Georg hörte kaum, was zu ihm gesprochen wurde, und gab zum Theil so verkehrte Antworten, daß der Baron ihn mit Befremdung ansah und am Ende kopfschüttelnd fort ging.

Bei Tische ward es noch schlimmer. Es waren noch einige Gäste gekommen. Der junge Offizier hatte seinen Platz an Nataliens Seite erhalten, und Natalie schien sehr aufmerksam und freundlich gegen ihn. Georg fühlte sich auf der Folter; die Anstrengung, die er aufbieten mußte, um die Unterhaltung mit seiner Nachbarin wenigstens nothdürftig fortzuführen, vermehrte noch seine Pein. Er verwünschte die Schwäche seines Herzens, die seinen ersten Entschluß geändert und ihn zum Bleiben verkettet hatte; er kannte in diesem Augenblick kein anderes Begehr, als weit, weit entfernt von dieser Stelle zu seyn. Und doch, als gegen das Ende der Mahlzeit der Schauspieldirektor ihn durch einen Bedienten hinaus rufen ließ, konnte er sich von seiner Qual nicht trennen und blieb wie gebannt an seinen Platz noch immer zögernd sitzen, bis eine zweite Botschaft die vorige Bitte aufs dringendste und inständigste wiederholte, worauf er sich denn endlich unwillig erhob und nach dem Vorsaal begab.

Hier empfing ihn der Alte sogleich mit Klagen über den Mangel vieler nothwendigen Erfordernisse zum heutigen Schauspiel, überreichte ihm einen großen Requisitenzettel und ersuchte ihn, schleunig mit nach dem Theater zu kommen, wo er sich noch über Vieles mit ihm zu verständigen habe, was durchaus keinen Aufschub leide. Statt der Antwort fragte ihn Georg hastig, ob er den fremden Offizier gesehn, der heut mitgekommen, ob er ihn kenne, und ob es vielleicht der junge Fürst aus der Nachbarschaft sey?

Der Alte verneinte das Letztere bestimmt, und meinte, so viel ihm bekannt, sey der Offizier ein sehr naher Anverwandter der Familie.

Mit etwas leichterm Herzen trat Georg in den Theatersaal. Er fand hier sämmtliche Schauspieler versammelt, die ihn sogleich umringten und mit neuen Bitten und Forderungen bestürmten. Jeder wünschte vor den hohen Personen, denen sie sich heut zeigen sollten, mit Anstand und wo möglich mit einigem Glanze zu erscheinen; jeder suchte seine Wünsche und seine Ansprüche vor den übrigen geltend zu machen. Einem leichten Schifflein gleich, das auf ungestümem Meere von Welle zu Welle geworfen wird, ging Georg aus einer Hand in die andere, bis der alte Schauspieldirektor sich zürnend in die Brandung warf, und ihn mit mächtgem Arm herausriß. Doch geschah dies nur, um ihn sogleich für sich zu verwenden. Der Zimmermeister mit seinen Gehülfen mußte herbei; alles, was im Hause der Nadel mächtig war, wurde aufgeboten; Musiker und Statisten wurden vorgeladen; das ganze Schloß gerieth in Bewegung.

Bei diesem Treiben behielt Georg kaum so viel Zeit, sich an des Schauspieldirektors Versprechen zu erinnern, ihm etwas Wichtiges zu entdecken, ja als er sich daran erinnerte, blieb ihm kaum so viel Athem, ihn danach zu fragen. Doch der Alte bat um Gottes willen, ihn jetzo zu verschonen, da seine ganze Seele, fast möchte er sagen alle seine Glieder, nur zwischen der hohen Ehre, die ihn heut Abend erwarte, und zwischen dem Bestreben, sich ihrer würdig zu zeigen, wie Perpendikel hin und wieder gingen.

Georg bat ihn dagegen wenigstens um eine Erklärung des lebhaften Antheils, den er an seinem Namen zu nehmen schiene.

»Wie!« rief der Alte aus, »ich sollte nicht Antheil nehmen an dem Namen eines der trefflichsten Menschen, den die Welt je verkannt, oder nicht gekannt hat? Glauben Sie denn, mein junger Freund, meinen alten Lorenz ganz allein geliebt zu haben? Nun, so wissen Sie denn, der alte Lorenz Haberland war mein Schwager, er war mein vielgeliebter, treuer, ja ich mag wohl sagen der einzige Freund, den ich je gehabt auf Erden!«

»Ihr Schwager?« rief Georg voll Erstaunen. »So sind Sie derselbe Grisaldi – –? – »von dem er gewiß oft gesprochen!« fiel jener ein. – »Ja ich bins. Seine Schwester war meine Frau. In diesen beiden Menschen lebt' ich einst, mein Freund; ja damals lebt' ich! Jetzt treibt nur noch ein verworfner Schatten meines bessern Ichs sein elend jämmerliches Wesen auf der Welt.« Er sprach diese Worte mit tiefer Rührung. Eine Thräne schlich sich aus den gesenkten Augen über die Wange herab. Indem ging einer von den Schauspielern vorüber, der ein altes Staatskleid aus der Garderobe des Barons angezogen hatte, und stellte sich damit vor den Spiegel. Der Alte sprang rasch hinzu, heftete dem Menschen den Rock vor der Brust zusammen, und gab ihm den seidnen Chapeaubas gehörig unter den Arm. »Laßt euch einen Stern an die Brust nähen!« sagte er. »Es giebt ein Ansehn wo keins ist. Gepudertes Haar, Locken, Haarbeutel, Schnallenschuhe! Ich werde ein Paar weißseidne Strümpfe herausgeben.« – Er kehrte zu Georg zurück, und als ob er durch nichts unterbrochen worden war, fuhr er fort: »Wir hatten uns in fünfzehn Jahren nicht gesehn, mein alter Lorenz und ich. Der Tod meiner Frau hatte mich hinausgetrieben in die weite Welt. Als ich nun wieder über seine Schwelle trat, da dachte ich: Nun, zur Hälfte lebst du wenigstens noch! –: ich fand meinen alten Freund auf dem Sterbebette. – Was er noch zu mir gesprochen, wie er sich gesehnt nach Ihnen, was er endlich mir aufgetragen an Sie« – –

»Wie?!« unterbrach ihn Georg, »einen Auftrag haben Sie an mich von meinem lieben, lieben Vater Haberland? O ich bitte, sprechen Sie, ich beschwöre Sie!«

Der Alte drückte ihm die Hand und sprach: »Wo denken Sie hin? Jetzt! Hier! In diesem Wirrwarr! Nein, das Andenken unsers Freundes ist einer bessern Stunde werth. Heut Abend nach dem Schauspiel komme ich auf Ihr Zimmer. Dann sollen Sie alles wissen und erhalten.«

Mit diesen Worten entfernte er sich schnell von ihm, und Georg mußte sich um so mehr damit begnügen, da auch er bald wieder in den Strudel mit hineingezogen wurde, und jeden Augenblick benutzen wußte, um noch vor dem Schauspiel alles, was ihm oblag, zu Stande zu bringen und die an ihn gemachten Forderungen befriedigen.

Zwölftes Kapitel.

So war endlich der Abend und die zum Anfang des Schauspiels festgesetzte Stunde herbeigekommen. Georg ließ die Fensterladen des Theatersaales schließen, und befahl die Lichter anzuzünden. Indem es nun aber dunkel und dunkler ward, und dann wieder allmählig ein neuer künstlicher Tag um ihn aufdämmerte, schien ihm wie bei einem Menschen, der seine Augen vor dem Licht der Außenwelt verschließt, während die fantastische bunte Welt des Traumes in seinem Innern sich entzündet, ein neues wunderbares Leben in dem Raume um ihn her rege zu werden und die Ahnung von etwas Ungewöhnlichem und Außerordentlichem leise flüsternd durch den Saal zu gehn. Alles, was er in der letzten Zeit gewünscht, gehofft und befürchtet, drängte sich jetzt vereint von neuem in seine Seele. Er betrachtete den heruntergelassenen Vorhang des Theaters, vor welchem er stand, mit einer ängstlichen Scheu; es kam ihm vor, als ob hinter dieser dünnen Scheidewand irgend ein besonderes Ereigniß verborgen lausche, bereit mit jedem Augenblick, er wußte nicht ob Heil, ob Unheil bringend, auf ihn und auf das Haus des Grafen hervorzubrechen; und als er endlich von dem Schauspieldirektor an die Zeit erinnert wurde, ging er mit einer gewissen bangen Feierlichkeit zur Gesellschaft hinab, um den Beginn des Schauspiels zu melden, und bot der Gräfin den Arm, sie hinaufzuführen.

Alles nahm voll Erwartung Platz. Auch der alte Graf war gekommen und saß zwischen Natalien und ihrer Mutter. Neben Natalien saß Mathilde; hinter ihr aber Georg, den das Glück begünstigt wie damals beim Schauspiel im goldnen Bock. Das Orchester, welches wegen der geringen Erhöhung des Theaters nicht vor demselben, sondern zur Seite seine Stelle erhalten hatte, bestand aus einer zu dem Feste gedungenen Truppe böhmischer Musikanten, die noch von einigen Leuten des Barons unterstützt wurden. Es begann jetzt eine rauschende Symphonie, die sicher, rund und kräftig durchgeführt wurde. In Georgs Brust zogen die Töne mächtig aufregend und begeisternd ein, und trieben die Spannung seines ganzen Wesens immer höher. Jetzt flog der Vorhang auf. Georg schrack zusammen. Als er aber auf der Bühne den Hanswurst als Bedienten in einem Lehnsessel schlummernd und schnarchend sitzen sah, hatte er Lust über sich selbst zu lächeln; allein es wollte ihm damit nicht recht gelingen, und selbst die Scherze des kleinen Lustspiels, das nun zuerst gegeben wurde, erschienen ihm voll ernster Beziehung, fernem Wetterleuchten ähnlich, das herannahende Gewitter verkündigend.

Der Baron war während des Spiels abgerufen worden und hinausgegangen. Als jetzt der Vorhang fiel, und er immer noch nicht wiederkehrte, meinte Georg, es konnte etwas auf dem Theater vorgefallen seyn, was seinen Beistand willkommen machte, und eilte hinaus. Der Schauspieldirektor, schon im Kostüm seiner Rolle, kam mit ausgebreiteten Armen ihm entgegen gelaufen, blieb vor ihm stehen, und rief: »So ists denn wirklich wahr? So ist denn meine Ahnung, meine Hoffnung wirklich in Erfüllung gegangen? Mein theurer Freund – wenn ich Sie noch so nennen darf – welcher Stunde gehen Sie entgegen!«

»Mein Gott!« rief Georg erschrocken. »Was wollen Sie? Was ist – –?«

»Nicht mich fragen Sie,« unterbrach ihn jener – »nicht jetzt fragen Sie, ich beschwöre Sie, nicht jetzt, nicht hier! Das Trauerspiel soll eben beginnen. Ich habe alle Kräfte und Gedanken vonnöthen, um meine Neuseeländer gehörig zu handhaben, und es mit Ehren durchzuführen. Ich bin ein verlorner Mann, wenn es verunglückt. Ich bitte Sie um Gotteswillen, gehn Sie, gehn Sie, suchen Sie den Baron auf! der Baron weiß alles, der Baron hat die Papiere, die Sie betreffen.« – –

»Welche Papiere?« rief Georg. »Reden Sie! ich gehe nicht von der, Stelle, bis ich weiß!« – –!

Der Alte rang die Hände. »O du Vater und Herr! Schreien Sie nicht so! Die Papiere mein' ich, die der alte Lorenz Haberland mir für Sie anvertraut. Als ich meinen Koffer öffne, um aus seinem untersten Grunde ein Paar weißseidne Strümpfe für meinen Minister herauszulangen, fällt das versiegelte Päckchen mir in die Hände. Die Siegel haben sich gelöst. Ich erschrecke; doch werf ich einen Blick hinein, einen einzigen, und siehe! da steht es, was ich schon bei Ihrem ersten Anblick dunkel ahnte, was ich Ihnen prophezeihte, da steht es auf der ersten Seite! Meine Hände beben. Ich mag nichts weiter lesen. Keinen Augenblick länger mag ich das verhängnißvolle Papier bewahren. Ich lasse den Baron rufen und ihm vertrau' ichs an. Gehn Sie, eilen Sie, suchen Sie den Baron auf, er hat es mitgenommen, er sucht Sie vielleicht – o Himmel, da fängt die Musik schon an! gehn Sie! von ihm erfahren Sie alles!«

Georg eilte wieder hinab in den Saal. Der Baron war noch nicht da. Die Gräfin winkte ihn an ihre Seite, fragte gleichfalls nach ihrem Bruder, und theilte ihm mit Freudenthränen in den Augen den glücklichen Erfolg der Probe mit, welche der Arzt mit ihrem Gemahl vorgeschlagen. Der alte Graf hatte dem Schauspiel mit großer Aufmerksamkeit und Theilnahme zugesehen und sich darüber auf das verständigste geäußert. Er wandte sich jetzt zu Georg und reichte ihm freundlich die Hand herüber. Indem wurde der Vorhang aufgezogen; das Trauerspiel begann. Die Gräfin wünschte, daß Georg selbst Zeuge des Eindrucks seyn sollte, den es auf ihren Gemahl machen würde. Doch Georg war viel zu sehr von den Worten des alten Schauspieldirektors aufgeregt, sein Verlangen, den Inhalt der ihn betreffenden Papiere zu erfahren, war viel zu heftig, als daß er ein ruhiger Zuschauer und Beobachter hätte seyn können. Gleich nach den ersten Scenen daher, und nachdem er den ersten Auftritt des Haupthelden des Stücks, eines jungen Schauspielers abgewartet, den er noch nicht kannte, der aber in seiner Gestalt viel Ähnlichkeit mit dem Sohn des Marchese hatte, theilte er der Gräfin seine Absicht mit, den Baron aufzusuchen, und verließ eilig den Saal. Allein vergebens durchflog er das ganze Haus, vergebens durchsuchte er selbst den Garten: er war nirgends zu finden, niemand hatte ihn gesehn. Athemlos vor beklommner Erwartung, fast verzweifelnd vor Ungeduld trat er wieder in den Schauspielsaal; eben so vergeblich irrten auch hier wieder seine ängstlich suchenden Blicke hin und her. Doch in diesem Augenblick fesselte sie ein besonderes Ereigniß, und seine ganze Aufmerksamkeit wurde wider Willen nach dem Theater gezogen.

Der zweite Akt des Trauerspiels hatte bereits begonnen. Die Zuschauer schienen davon lebhaft ergriffen zu seyn. Alles schaute gespannt in größrer Stille nach der Bühne hinauf, und der eben abgehenden Schauspielerin folgte manche Thräne aus schönen Augen nach. Da, erhob sich auf einmal ein besonderes Geräusch hinter den Coulissen. Georg glaubte einen heftigen, doch leise geführten Wortwechsel und dazwischen die ängstliche Stimme des alten Schauspieldirektors zu unterscheiden. Die Bühne blieb ganz leer. Endlich trat hastig der Schauspieler ein, der die Hauptrolle gab, blieb einen Augenblick stehn, gleich als ob er die heftige Bewegung, in der er sich befand, gewaltsam niederdrücken und sich sammeln wollte, und schritt dann rasch bis ins Proscenium, von wo seine Blicke, wie etwas suchend, wild durch den Saal schweiften. Georg folgte mit mißtrauischen Augen allen seinen Bewegungen, die ihm, er wußte selbst nicht warum, etwas Unheimliches zu verrathen schienen. Doch wie ward ihm, als jener aus der gepreßten, athemlosen Brust jetzt die ersten Worte hauchte! Es war nicht die Stimme des jungen Schauspielers, den er vorhin gesehn, obgleich Gestalt und Kleidung ganz dieselbe! Als er ihn jetzt noch schärfer ins Auge faßte, bemerkte er auch deutlich die Verschiedenheit der Gesichtszüge. Eine entsetzliche Vermuthung hatte kaum Zeit, in seiner Seele zum Bewußtseyn zu kommen, als die nächsten Worte des Schauspielers, mit lauterer, ruhigerer Stimme gesprochen, sie schon zur vollen Gewißheit erhoben. Es blieb kein Zweifel: der Mensch dort oben auf den Brettern war der Sohn des Marchese! Eine kalte Hand faßte an Georgs Herz. Sein erster Gedanke war Natalie und ihre Schwester. Er sah hin. Beide schienen etwas zu ahnen. Mathilde hatte sich entfärbt und starrte erschrocken nach der Erscheinung auf der Bühne. Natalie schaute rasch nach allen Seiten umher; dann blieb ihr Blick ängstlich fragend auf Georgen haften und schien ihn zur Hülfe aufzufordern. Auch der Marchese war sichtlich von der bekannten Stimme getroffen, und immer steigende Unruhe zeigte sich auf seinem Gesicht. Doch was sollte Georg nun beginnen? Der Baron, der hier allein rathen konnte, war nicht zu finden, und irgend etwas ohne seinen Willen zu unternehmen, hielt Georg für um so bedenklicher, da bei der Verwegenheit des jungen Menschen, die ihn selbst hierher unter die Augen des Vaters führte, das Dazwischentreten eines Fremden leicht eine gewaltsame Entwickelung des Spiels veranlassen konnte, die sonst aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht in dem Plane des kecken Spielers lag.

Während er nun so zweifelnd und fürchtend, in banger Ungewißheit und angstvoller Erwartung schwankend stand, führte jener auf der Bühne seine Rolle weiter. Alles, was unglückliche Liebe und Verzweiflung Rührendes und Erschütterndes hat, schien sich aus den geheimsten Tiefen einer gequälten Brust gewaltsam ans Licht zu ringen. Einem mächtigen Strome gleich, der aus geöffneten Schleußen rauscht, drangen seine Worte an das Herz des Hörers und rissen es mit sich fort in das empörte Meer der Leidenschaft. Es war hier von keinem Spiel, von keiner Täuschung mehr die Rede; es war die Wahrheit selbst, die mit geharnischter Hand an jeden Busen schlug, und das Leben an seinen innersten Wurzeln faßte. Die gewaltigste Wirkung zeigte sich unten im Saal. Kein Auge blieb trocken. Mathilde hatte krampfhaft den Arm ihrer Schwester ergriffen, und lehnte sich halb ohnmächtig an ihre Schulter. Auch Georg fühlte sich tief erschüttert und mit fortgerissen in den Strom. Was jener dort oben so mächtig aussprach, er hatte es ja selbst empfunden, ach! er empfand es bebend ja in diesem Augenblick noch!–Und immer fesselloser regte sich auf der Bühne der Sturm der Leidenschaft. Bald schien die Rede nicht mehr hinreichend, ihn zu fassen und zu gestalten. Nur abgerissene Worte drängten sich noch aus der ringenden Brust des Unglücklichen. Jetzt trat er schweigend vor bis an den Rand des Theaters. Seine Blicke, bald erlöschend, bald wieder auflodernd in wilder Glut, hefteten sich aus Mathilden. In seiner Seele schien ein furchtbarer Kampf zu toben. Er zitterte und wankte. Seine Knie bebten. Dann wieder spannten sich alle Muskeln krampfhaft an. Doch jetzt siegte die Leidenschaft: er sank in die Knie; er riß eine Maske ab, die einen Theil seines Gesichts bedeckte, Thränen brachen aus seinen Augen; er streckte die zitternden Arme nach Mathilden aus; dann aber plötzlich mit einem schmerzlichen Schrei raffte er sich empor, sprang von dem Theater hinab und warf sich zu Mathildens Füßen hin. »Hier laßt mich sterben!« rief er erschöpft. »Nur ihres Kleides Saum laßt mich berühren! Nur einmal laßt mich ihr sagen, daß ich sie liebe! Dann will ich sterben! Ach, ich will's so gern! Ich muß ja sterben! Marchese, tödtet euern Sohn! Ihr übt Barmherzigkeit. Was soll das Leben ihm, das Ihr verstoßen und verflucht? ach! Das Ihr um seinen schönsten Preis betrogen?«

Der Marchese hatte, zum Steinbild erstarrt, bleich und regungslos gesessen; jetzt zog eine dunkle Röthe aus sein Gesicht, er erhob sich, und mit bebenden Lippen tief er: »Elender Comödiant! Verächtlicher Bube!« – – Da sprang rasch der Sohn empor, seine Hand faßte nach dem Degen an seiner Seite; doch auf halbem Wege sank sie zurück, und mit halb erstickter Stimme, die zornglühenden Blicke fest auf den Vater gerichtet, sprach er: »Wenn ich es wäre, wer trüg' die Schuld?«

Der Marchese, mit Anstrengung seinen Grimm, zurückhaltend, trat auf ihn zu und faßte seinen Arm: »Was wir miteinander zu sprechen haben, leidet keine Zeugen. Folgt mir!«

»Wohl!« erwiederte jener – »ich scheue mich nicht Rechenschaft zu geben von meinem Thun!– Er beugte sich über die Hand Mathildens, die ohnmächtig in Nataliens Armen lag, drückte sie an seine Lippen und folgte seinem Vater schnell nach der nahen Thür des Seitenzimmers. Der Marchese stieß die Thür auf, und beide verschwanden.

Jetzt erst erhielt Georg Besinnung und Bewegung wieder, die ihm das Entsetzen geraubt hatte. Der Sohn des Marchese war richtig, wie er es früher vermuthet, sein Retter in Rom. Er hatte ihn erkannt, ohne den allgemeinen Aufstand weiter zu beachten, der sich nun erhob, ohne auf den alten Schauspieldirektor zu hören, der händeringend auf dem Theater stand, und, ihn erblickend, seinen Namen rief, flog er jetzt nach dein Seitenzimmer. Die Thür war von innen verriegelt. Doch Georg, sich schnell besinnend, daß dieses Gemach aus der andern Seite an das seinige stieß, – es war dasselbe, wo er sein Bild ausgestellt hatte – eilte aus dem Saal, durch den Corridor nach seinem Zimmer. Hier fand er den Baron, Papiere vor sich ausgebreitet, am Tische sitzend und emsig lesend. »Mein Georg!« rief dieser »Mein theurer Georg!« und kam ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen. Doch jetzt wurde im Nebenzimmer die wüthende Stimme des Marchese laut, der seinem Sohn zuschrie: »Zieh, Elender, vertheidige Dich!« – »Um Gotteswillen!« rief Georg – »helfen Sie, retten Sie!« und stürzte nach der Seitenthür. Er riß sie auf und wich erstarrend zurück vor dem entsetzlichen Anblick.

Der Marchese hatte den Degen gezogen und drang wuthschnaubend und laute Schmähungen ausstoßend auf seinen Sohn ein, und eben jetzt riß auch dieser endlich, auf das Äußerste getrieben, wüthend seinen Degen aus der Scheide, und der gräßliche Kampf zwischen Vater und Sohn entbrannte. Doch der gute Engel dieser Stunde stand ja sichtbar über ihnen, und zwang die aus der Hölle aufzüngelnde Flamme wieder in den Abgrund zurück!

Der Luftzug, durch das schnelle Aufreißen der Thür entstanden, hatte den Vorhang ergriffen, womit Georg das Bild seiner Mutter verhüllt; er gleitete herab und fiel mit einigem Geräusch zur Erde. Ein flüchtiger Blick des jungen Marchese, der dem Bilde grade gegenüberstand, traf darauf. Wie von einem Blitzstrahl berührt, bebte er zurück; schnell wich aus seinem Gesicht der Zorn dem freudigen Staunen, »Meine Mutter!« rief er und streckte die Arme nach dem Bilde und eilte darauf zu, und wieder rief er: »meine Mutter!« – Der Marchese hatte sich betroffen gewendet, und da er das Bild erblickte, bebte auch er zurück, und Staunen und Überraschung nahmen ihm die Sprache, Doch endlich stürzte er mit dem lauten Rufe: Rosamunda! gleichfalls nach dem Bilde hin und hob in heftiger Bewegung die Arme zu ihm empor, und wie mit einem Schrei des Schmerzens rief er: Rosamunda! Und Rosamunda schaute wehmüthig lächelnd herab auf Vater und Sohn. Der junge Marchese aber verstand das wehmüthige Lächeln, und schleuderte plötzlich den Degen weit von sich weg, und stürzte hin zu des Vaters Füßen, und umschlang seine Knie, und weinte laut. »Mein Sohn! mein Sohn!« sagte der Vater leise mit hervorbrechenden Thränen – »Rosamunda! du giebst mir meinen Sohn wieder?« – Und er neigte sich hinab, und wollte ihn aufheben, und vermochte es nicht, und schwankte zitternd. Da flog Georg voll freudiger Rührung und noch freudigerer Ahnung tief bewegt, herbei und fing den Vater in seinen Armen aus, und legte das Haupt an des Vaters Brust. Und auch der Baron trat jetzt hinzu und rief: »Du glücklicher Vater! Ja, wie könnt ich es dir verschweigen! Auch dieser, dieser ist dein Sohn!«

Staunend, ja fast erschrocken starrte ihn der Marchese an. Doch jener hielt ihm schnell die Papiere hin, die er in der Hand trug, und sprach: »Kennen Sie Rosamundens Hand? Dies enthält ihr Vermächtniß an ihren Sohn Georg, und dieser ist es. Zweifeln Sie nicht, glücklicher Vater, es ist Ihr Sohn!« Georg sank neben seinen Bruder zu den Füßen des Vaters. Der Marchese griff hastig nach den Papieren, sein Auge durchflog die ersten Zeilen; er drückte die Blätter an seine Lippen; dann hob er Augen und Hände zum Himmel und rief: »O Gott, es ist zu viel, zu viel! Ich hab es nicht verdient!« Und neigte sich hinab zu seinen Söhnen und segnete sie; dann hob er sie empor, küßte beide aus die Stirn, umschlang sie mit seinen Armen und schloß beide an das nun nicht mehr verwaisete Herz. Durch das Fenster aber warf die Abendsonne ihre letzten, goldnen Strahlen auf das Bild, und von leichten Wolken emporgetragen, von überirdischem Glanz umflossen, stand die Mutter in seliger Wonne und Verklärung und lächelte segnend herab auf den Vater mit seinen Söhnen.

»Hier nimm,« sprach der Marchese endlich, »nimm das theure Vermächtniß. Ich will die letzten Worte der geliebten Mutter nicht länger von dem Herzen zurückhalten, an das sie gerichtet sind. Geh' und lies. Ich will mir indeß erzählen lassen. Und wenn diese Blätter,« fuhr er fort, indem er Georgs Hand ergriff – »wenn sie dir die Schuld deines Vaters enthüllen, so richte nicht zu hart; denn, sieh nur hin, sie hat mir ja vergeben!«

Georg nahm die Papiere, und umarmte seinen Bruder. »Ich darf nicht erst dich lieben lernen,« sagte er zu diesem – »du hast es mich ja schon längst gelehrt!«

Er ging nach seinem Zimmer. Hier entfaltete er mit zitternden Händen die Blätter und fing an zu lesen. Doch als der freundliche, liebevolle Gruß der Mutter, recht aus der innigsten Tiefe des mütterlichen Herzens quellend, gleich in den ersten Zeilen ihm entgegen trat, da überwältigte ihn die Rührung; seine Brust, von dem schnellen Wechsel der Ereignisse und Empfindungen bedrängt, erleichterte sich in sanften Thränen. Ach, wenn die Hand, die diesen Gruß niederschrieb, nun auch schon längst verwest war, dennoch, das fühlte er in diesem Augenblick, die Liebe, die ihn sendete, sie lebte noch, sie umgab ihn mit ihrer Gegenwart, und vertrauend hob er seine Augen auf zum Himmel, wo sie wohnte.

Er fand nun auf den ersten Blättern seine Herkunft festgestellt, die Herkunft und Erziehung seiner Mutter und ihre Verbindung mit seinem Vater erzählt.

Von protestantischen Eltern geboren, hatte sie in ihrem siebzehnten Jahre sich mit dem Marchese gegen den Willen ihrer Eltern vermählt, die in der Verschiedenheit der Religion ein unübersteigliches Hinderniß dieser Verbindung fanden. Sie war ihrem Gemahl nach Italien gefolgt. Im ersten Jahre ihres dortigen Aufenthalts war der älteste Sohn Fernando geboren worden; zwei Jahre später Georg, der nach ihrem Vater genannt wurde. In dieser Zwischenzeit aber schien eine unglückliche Veränderung sowohl in ihr selbst, als auch in dem Verhältniß zu ihrem Gemahl vorgegangen zu seyn. Mit großer Zartheit, um nicht den Vater bei dem Sohne anzuklagen, war hier die Ursache derselben nur leise berührt, doch errieth Georg aus dem Ganzen, daß eine neue Leidenschaft den Marchese gefesselt und ihn seiner Mutter entfremdet haben mochte. Von dem Gram darüber geweckt, hatte nun erst das Gefühl der Verlassenheit im fremden Lande sie ergriffen, nun erst fand sie von den fremden Sitten, von den fremden Religionsgebräuchen, sie allein die Protestantin, unter Katholiken, sich schmerzlich verletzt, die Weigerung ihrer Eltern vollkommen gerechtfertigt, und der Fluch derselben, mit dem sie sich beladen glaubte, drückte mit jedem Augenblick lastender ihre Seele nieder. Mit der Bewilligung ihres Gemahls trat sie endlich eine Reise nach Deutschland an, um ihre Eltern zu versöhnen, und nahm ihren Sohn Georg mit, der damals erst ein Jahr alt war. Sie fand ihren Vater todt, ihre Mutter auf dem Sterbebette. Noch in den letzten Augenblicken aber vermochte diese sie zu dem feierlichen Versprechen, wenigstens den jüngstgebornen Liebling in der Religion zu erziehen, zu der sie sich selbst so eifrig bekannte, und durch welche sie allein sein Heil gesichert wähnte. Die Einwilligung des Marchese dazu war indeß auf keinen Fall vorauszusetzen; daher beschloß Rosamunde, ihr Kind der geliebtesten Freundin, ihrer Jugend, der Gräfin Roseneck anzuvertrauen. Doch sollte diese selbst nichts von seiner wahren Herkunft ahnen. So geschahs, daß Georg als ein Findling auf Schloß Roseneck erzogen wurde. Der Marchese ward durch die falsche Nachricht seines Todes getäuscht. Rosamunda kehrte nach Italien zurück. Allein zu tief hatte die Spaltung zwischen beiden Gemüthern schon gerissen, als daß ihre Rückkehr nicht noch schroffere Trennung hätte herbei führen sollen. Da erhob sich endlich in ihrer Seele der Gedanke, freiwillig auch das äußere Band eines Verhältnisses zu zerreißen, das in seinem innersten Leben längst zerstört war, ihrem Gemahl die Freiheit wieder zurück zu geben, die ihn allein glücklich machen zu können schien. Lange kämpfte dieser Entschluß in der Brust der unglücklichen Mutter mit der Liebe zu ihrem ältesten Sohn, den sie verlassen sollte; jener siegte endlich, da die Sehnsucht nach ihrem jüngsten an seine Seite trat. Den Tod im Herzen nahm sie schriftlich Abschied von dem Marchese, und war wenigstens für ihn wirklich von diesem Augenblick an gestorben. Sie reiste nach Deutschland. Unter dem Namen einer Frau von Wallenrodt lebte sie verborgen in der Nähe des Schlosses Roseneck, und sah hier heimlich und unerkannt zuweilen ihren Sohn. Indeß aber war die alte Liebe zu ihr, jetzt da er sie wirklich verloren hatte, in dem Herzen des Marchese neu erstanden; die schmerzlichste Reue verfolgte ihn; er zerbrach die unwürdigen Fesseln, die sein beßres Selbst so lange niedergedrückt, und eilte nach Deutschland, Rosamunden aufzusuchen. Sie floh vor ihm nach Frankreich. Als sie von dort endlich zurückkehrte, fand sie den Marchese, der sie nun wirklich für todt hielt, auf Schloß Roseneck als den vertrautesten Freund des Grafen. Die Furcht, daß ein Zufall ihr Geheimniß verrathen, daß ihr Gemahl seinen Sohn erkennen möchte, bewog sie, diesen von dort zu entführen und zu dem Maler Lorenz Haberland zu bringen, der ein Freund ihres Vaters gewesen war. Sie selbst begab sich nach einer Herrnhutherkolonie, dort ihr Leben zu beschließen. Hier hatte sie einige Jahre später das Glück, ihren ältesten Sohn, der mit dem Vater nach Deutschland kam, durch Vermittelung des alten Lorenz Haberland noch einigemal heimlich zu sehn und zu umarmen. Der Knabe hatte das Geheimniß der Mutter treu bewahrt. –

So weit war Georg gekommen, als der Baron ihn unterbrach, indem er ihn von dem Verlangen seines Vaters, ihn zu sehn, unterrichtete.

Er fand nun auch alle Übrigen in dem Nebenzimmer um das Bild versammelt. Die Gräfin kam ihm entgegen und schloß ihn tief bewegt in ihre Arme. »Sohn meiner geliebtesten Freundin,« sagte sie leise, »auch mein geliebter Sohn! Deswegen also hab' ich dich so sehr geliebt vom ersten Augenblicke an!«

Mathilde, auf den Arm ihrer Schwester gelehnt, trat jetzt herein. Der Marchese ging mit festem Schritte auf sie zu, und faßte ihre Hand. »Ich bin so reich geworden, meine Mathilde,« sprach er, »daß ich daran denke, Schätze zu vergeben! Darf ich für meinen Sohn um diese theure Hand werben, die mich beglücken wollte? Dem Glücke seines Kindes kann der Vater nicht im Wege stehen. Seyn Sie der Schutzengel des armen Verstoßenen! Sie können es.« – Mathilde stand zitternd, erröthend und erbleichend. Der Baron eilte hinzu und führte Mathilden und Natalien zu ihren Eltern; dann zog er Georg und seinen Bruder herbei und sprach: »Wenn ich Blicke zu deuten verstehe, so liegt hier noch ein Glück in der Knospe, das nur euern Segen erwartet, um aufzublühen.« Natalie verbarg die Glut ihrer Wangen an der Brust der Mutter, und lächelnd legte diese die Hand ihrer Tochter in die Hand des glücklichen Georg.

» Felicissime, beatissime, ter et amplius!« schrie der Schauspieldirektor, der mit seinem Hanswurst im Hintergrunde gestanden hatte. Er trat jetzt schluchzend hervor und sagte: »Vergebung, höchstverehrte gnädige Versammlung, daß ich so ungebührlich schreie! Aber wenn ward je ein solches Bild vollendet, und wenn ward jemals einem Künstler ein solcher Lohn? Erlauben Sie mir, daß ich in der Freude meiner Seele wenigstens diesen Stock an mein Herz drücke!« – Er umarmte den Hanswurst, der gleichfalls weinte. »O Animal di Sant' Antonio di Padua!« – rief er – »was heulst du? Freue dich, jubiliere, du Schildkröte! Ich will dir meine Türkenpfeife schenken!« –


 << zurück weiter >>