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Sir Thomes Lawrence. – Mr. Leslie. – Mr. Newton. – Diner bei Mr. Rogers. – Die Prinzessin von Wales und Sir Walter Scott. – Mr. »Conversation« Sharp. – Englische Gesellschaften. – Mrs. Siddons. – Mrs. Lockhart. – Sir Walter Scott und Lady Scott. – Mr. Rogers.
An Herrn Richard Cooper in Cooperstown.
Der letztere Monat ist in der Erfüllung der strengen Pflichten mit Messer und Gabel verstrichen. In Folge der Gastlichkeit und Artigkeit des Mr. Rogers habe ich nicht weniger als dreimal nur bei ihm gespeist.
Das erstemal bestand die Tischgesellschaft aus den Lords Landsdown, Grey und Gower Der jetzige Herzog von Sutherland., Sir Thomas Lawrence, Mr. Luttrell und mir. Von dem Diner selbst habe ich Ihnen nichts mitzutheilen, das einem jeden andern ziemlich ähnlich war. Mir kam es vor, als ob manche Anwesende zu dem großen Mann mit scheuer Ehrfurcht aufblickten, wovon ich den Grund nicht einsah; denn hier ist Niemand, gegen den ich mich mit mehr Unbefangenheit benehmen kann, als gegen Lord Grey. Wohl ist es natürlich, daß man einen Mann von seinen Jahren und von seinem hohen Ruf mit Ehrerbietung behandelt, doch außerdem empfand ich nichts, was mich in der Unterredung mit ihm hätte verlegen machen können.
Der Maler ist ein schöner und vorzüglich begabter Mann, aber er schien sich nicht ganz behaglich zu fühlen. Im Verlauf der Unterhaltung an diesem Abend frug er mich, ob ich mit Gilbert Stuart bekannt wäre? Er kannte ihn nur oberflächlich und erkundigte sich: »ob er nicht ein recht witziger Gentleman sei?« Ich äußerte dagegen, Stewart erfinde Mancherlei, wann es gelte, die zu unterhalten, welche ihm sitzen. Darauf erwiderte Sir Thomas, dies erkläre ihm ein Gerücht, als habe Mr. Stuart ihn als seinen Schüler genannt, eine Ehre, die er, wie es schien, sich höflich verbitten wollte. Unser künstlerischer Freund scheint hier nicht sonderlich bekannt zu sein. So ist es jetzt Mode, hier Mr. West fast eben so sehr zu tadeln als man ihn früher überschätzte, da die britischen Inseln wegen des Krieges noch aller Kunst des Festlandes fest verschlossen waren.
Wir verfallen gar zu leicht in das andere Extrem, die Berühmtheit unserer Leute in diesem Welttheil zu hoch anzuschlagen. So weit meine Erfahrungen reichen, sind Washington und Franklin die einzigen Amerikaner, deren großer Ruf durch ganz Europa feststeht. Damit meine ich, daß, wenn Jemand ihre Namen in einer Gesellschaft nennt, auch Jedermann weiß, wer diese Männer waren, wodurch sie sich vorzüglich ausgezeichnet haben, und welches die wichtigsten Punkte in ihrem thatenreichen Leben gewesen sind. Dann kennt man zunächst noch etwa Mr. Jefferson. Aber außer diesen kennt man höchstens nur den Stand oder den Beruf von unsern ausgezeichneteren Männern.
Es gibt Leute, die davon leben, daß sie zu periodischen Schriften ihre Beiträge liefern; und so groß ist der Heißhunger nach Neuigkeiten dieser Gattung, daß Erde und Himmel Stoff zu Gegenständen dieser Art hergeben müssen. Auf diese Weise ist es möglich geworden, daß dann und wann auch ein Artikel erscheint, der von amerikanischen Gegenständen und von amerikanischen Namen handelt, und in der Einfalt unserer Herzen möchten wir wähnen, die Welt stelle Betrachtungen über unsere fortschreitende Bedeutsamkeit an, während in der That diese periodischen Schriften selbst wenig Aufmerksamkeit erregen. Eins von den Dingen, die hier einen angenehmen Eindruck auf mich gemacht haben, ist die Art und Weise, wie die Leute hier ihre Urtheile aus sich selbst schöpfen, ohne andern Leuten blos nachzusprechen. Anpreisungen und Ankündigungen tragen hier zwar ebenfalls dazu bei, ein Werk unter die Leute zu bringen oder dessen Absatz zu befördern; aber sie bringen keins in Ruf, wie dies bei uns so häufig geschieht. Nichts ist gewöhnlicher, als daß man über Bücher oder Kunstgegenstände verschiedene Urtheile hört; aber ich erinnere mich noch nie eine Bemerkung in Beziehung auf die Ansichten eines Recensenten gehört zu haben. Welchen Einfluß daher die Kritik auf die niedern Stände auch haben mag, so hat sie doch wenig oder gar keinen Einfluß auf das Urtheil der höhern Stände. Die fortschreitende Intelligenz, die vielseitige Bildung, der ausgezeichnete Ton, der geläuterte Geschmack, die Freiheit im Umgang vereinigen sich mit solchem überwiegenden Erfolg in diesen großen Städten, daß sie nicht blos dem Einfluß des Alltäglichen und der Beschränktheit wehren, sondern überdies einen eigenthümlichen Glanz von sich ausstrahlen, der selbst außer ihren kleinen Kreisen lichtverbreitend wirkt; während man bei uns, wie etwa bei der Plünderung preisgegebenen Schätzen, immerfort auf der Hut sein muß, daß keine Barbaren uns plötzlich überfallen, die dann auch von Zeit zu Zeit uns tüchtig mit ihren räuberischen Klauen anzupacken pflegen.
Mr. Alston ist hier weniger bekannt, als ich vermuthete, doch wo er bekannt ist, scheint er auch nach Verdienst geschätzt zu werden. Auch könnte ich sagen, daß man im Publikum weit mehr von Mr. Leslie findet, als von irgend einem andern amerikanischen Künstler. Doch außer England scheint er wenig bekannt zu sein, denn Gemälde können freilich nicht überall sein, wie Bücher. Mr. Newton's Ruf ist sehr beschränkt. Wir sind vielleicht zu stolz auf diese Männer; ich sage nicht auf ihre Verdienste, denn jeder von ihnen hat sein eignes großes Verdienst, ich meine aber, keiner von beiden findet wirklich diese Celebrität bestätigt, die unsere selbstgefällige Werthschätzung ihm gern erzwingen möchte. Mr. Leslie ist ein sanfter Mann, der wenig nach großem Ruf fragt; er folgt mehr seinem besondern Geschmack und seinen eignen Neigungen; letztere sind nicht grade ausschließlich amerikanische Liebhabereien. Er ist in London geboren und hat mir gesagt, seine frühesten Erinnerungen beträfen meist England. Mr. Newton hat mir ganz spitz zu verstehen gegeben, er sei ebenfalls ein britischer Unterthan und er betrachte sich als einen Engländer.
Wenn Jemand zu entschuldigen ist, daß er sein Vaterland verläugnet, so ist es der amerikanische Künstler. Selbst seine Studien nöthigen ihn dazu, und bei uns findet er Wenig, woran sein Geschmack sich ausbilden kann. Was nun zunächst diese beiden Leute angeht, so treffen die Zufälligkeiten ihrer Geburt mit den Zufälligkeiten ihres Kunststrebens nahe zusammen, und es scheint mir in der That, daß wir mehr Selbstachtung darin zeigen sollten, indem wir es ihnen überließen, ihr Vaterland sich selbst zu wählen.
Beim zweiten Diner waren Damen zugegen, und die Schwester des Dichters führte den Vorsitz bei Tische. Wir mußten eine ziemliche Zeit die Ankunft dreier Herren abwarten, welche gerade im Hause der Lords waren, wo, wie es schien, eine interessante Debatte über Parteiangelegenheiten vorgekommen sein mochte; endlich setzten wir uns ohne sie zu Tische. Unter den Gästen befanden sich Mr. Thomas Grenville; Lord Ashburnham, der, als die Rede darauf kam, uns versicherte, er sei seit siebzehn Jahren nicht im Oberhause gewesen, ausgenommen bei der Beeidigung; ferner Lady Aberdeen, die Gattin des Ministers. Auch Lady – – befand sich in unserer Gesellschaft. Die Ausbleibenden ließen große Lücken an der Tafel, und unser Mahl war tant soit peu einfältig.
Im Laufe der Abendunterhaltung erzählte Mr. Grenville eine unterhaltende Anekdote von Scott. Sie waren nämlich bei einem Diner der Prinzessin von Wales, während sie in ihrem berüchtigten Exil in Blackheath wohnte. Nach der Mahlzeit war die Gesellschaft um den Stuhl der Prinzessin versammelt, und sie sagte auf einmal: »Man behauptet, Mr. Scott, Sie erzählten die schönsten schottischen Mährchen, die es auf der Welt geben kann. Haben Sie die Güte, mir eins zu erzählen.« Dies war nicht vielmehr als eine Neckerei gegen den Dichter, wie man sich leicht denken kann; aber seine Hochachtung für ihren Rang war so groß, daß er bereitwillig eine Verbeugung machte und sagte: »O ja, Madam,« und begann sogleich: »Unter der Regierung des Königs u. s. w. lebte in den schottischen Hochlanden ein Laird u. s. w.« – und so fuhr er ohne Anstoß fort, als ob er seine Legende aus einem Buche ablese. Die Geschichte war kurz, gut erzählt und erregte einen guten Eindruck auf alle Anwesenden. »Bravo! Mr. Scott, welch eine herrliche Erzählung!« rief die Prinzessin aus, die, wenn Alles wahr ist, was man von erblichen Neigungen und angestammten Eigenschaften erzählt, etwas überspannt sein mochte, »sein Sie so gütig, mir noch eine zu erzählen.« – »Ja wohl, Madam,« erwiderte Scott, und ohne sich einen Augenblick zu besinnen, begann er von Neuem, wie ein Schüler, dem seine Aufgabe überhört wird.
Mr. Grenville fragte mich, ob John Jay noch lebe? Als er hörte, er lebe noch, sprach er von ihm mit vielem Lobe, wie von einem Manne, der große Fähigkeiten besitze und dessen Gesinnungen durchaus gediegen seien. Ich möchte fast sagen, daß Mr. Jay hier eine bessere Meinung zurückgelassen habe, als irgend ein Diplomat, der von uns hier war. Im Allgemeinen ist man zwar geneigt, unsre Landsleute »mit verstelltem Lobe zu verdammen,« doch schienen mir die achtungsvollen Ausdrücke von Mr. Grenville aufrichtig zu sein und aus seinem Herzen zu kommen. Dr. Franklin ist in London nicht sonderlich beliebt; mehr als einer von den ausgezeichneteren englischen Staatsmännern sprachen in meinem Beisein von ihm, aber in nichts weniger als bewundernden Ausdrücken.
Man würde selten sicher gehen, wenn man die Meinung Englands über irgend einen amerikanischen Staatsmann sich zur Richtschnur nehmen wollte; denn bei ihnen gilt öfter das: tant mieux, tant pis. Doch unter den zum bessern Theil der Nation gehörigen Männern besteht ein kräftiger redlicher Sinn, welcher ihrem Urtheil in allen Dingen, die auf persönliche Offenheit und billige Anerkennung Bezug haben, einen weit größeren Werth gibt.
Nach der Mahlzeit kamen unsere erwarteten Peers, noch voll von den erlebten Debatten und so lustig und aufgeräumt an, als wären sie ganz junge Leute. Lord Holland befand sich unter ihnen, und dieser war besonders heiter gelaunt über das, was vorgekommen war. Es schien, als habe mein guter Freund, der Bischof, eine Rede gehalten, und sie fällten das harte Urtheil über ihn, es sei kein gesunder Menschenverstand in derselben gewesen.
Bald darauf gesellte sich auch Sir Walter Scott zu uns. Obschon er gegen eine Prinzessin so gefällig gewesen war, so zeigte er doch an diesem Abend, daß er nicht mit sich spielen lasse. Eine Dame höhern Standes befand sich in der Gesellschaft, welche bisweilen etwas zu anspruchvoll sich zu benehmen pflegte, und die, wenn die Gelegenheit es mit sich brächte, im Stande wäre, statt zwei, sich lieber drei Geschichten erzählen zu lassen. Kaum erschien der große Dichter in der Thüre, so wandte sie sich, obgleich in dem entlegenen Theile des Gemachs, sogleich mit entschiedenem Tone an ihn, erkundigte sich nach seinem Befinden, und drückte ihr besonderes Vergnügen aus, ihn zu sehen. Den alten Mann rührte dies aber so wenig, wie den Gipfel des Ben-Nevis, vielmehr spazierte er wohlgemuth bis in die Nähe von Miß Rogers, welcher er, als der Dame des Hauses, seine Ehrfurcht bezeigte, während die dieser schuldigen Höflichkeit die andere in ihrem Wortstrom kaum unterbrach, und dann erst wandte er sich mit höflicher Erwiederung an die letztere. Und dabei benahm er sich mit solcher festen ruhigen Haltung, mit einem so richtigen unterscheidenden Tact, wie etwa ein Lafayette, der gewiß einer der feinsten Männer von Welt seiner Zeit ist. Scott scheint überhaupt in London weit mehr sich behaglich zu fühlen, als in Paris, wo das romantische und »empressirte« Benehmen der Französinnen ihn nicht wenig in Verlegenheit setzte.
Das dritte Diner von Mr. Rogers wurde vorzüglich dem Sir Walter Scott zu Ehren gegeben, wie ich glaube. Bei Tische waren Sir Walter Scott selbst, Mr. Lockhart und Miß Anne Scott; Mr. Chantry, Lord John Russell und Mr. Sharp, dem man den Beinamen »Conversation-Sharp« gegeben hat, Sir James Mac Intosh und ein Mr. Jekyll, der, wie man mir sagte, wegen seines vertrauten Umgangs mit Georg dem Vierten den Beinamen des »königlichen Spaßmachers« erhalten hatte. Mr. Leslie kam, als wir eben vom Tisch aufstehen wollten, und im Besuchzimmer fanden wir darauf noch Mrs. Siddons und noch andere Damen.
Dergleichen zahlreich besetzte Mahlzeiten haben etwas zu viel Fechtschauspielähnliches, als daß sie behaglich und unterhaltend sein könnten. Als ein Beweis von Hochachtung für Scott mochte die Sache hingehen; aber es fehlte der leichte und ungezwungene Ton, welcher das Anmuthige der Unterhaltung ausmacht. Niemand plauderte recht frei aus dem Herzen heraus, selbst Mr. Sharp nicht, der doch in dieser Beziehung in so hohem Rufe steht; er machte nur einige wenige drollige Bemerkungen, um die Unterhaltung nicht stocken zu lassen. Ich bin öfter mit diesem Herrn in Gesellschaft gewesen, und obschon ich ihn für einen gescheidten und leutseligen Mann halten mußte, so habe ich doch gar nicht recht begreifen können, wie er zu jenem Zunamen gekommen ist. Im Vergleich mit der Unterhaltungsgabe des Sir James Mac Intosh ist seine Unterhaltung ganz gewöhnlich. Damit meine ich nicht, daß Mr. Sharp sich mit trivialen Dingen abgebe; doch ist es mir aufgefallen, daß er weder Geistesgegenwart, noch Unterhaltungsstoff, noch Eigenthümlichkeiten des Vortrags, noch schlagenden Witz, noch Gewandtheit der Sprache in gehörigem Grade besaß, um ihm in einer Stadt wie London einen Ruf zu verschaffen, und doch nennt man ihn überall: »Conversation-Sharp« (Schärfe [Würze] der Unterhaltung). Kurz, wenn man mir nicht gesagt hätte, daß dies sein Spitzname sei, so hätte ich ihn nicht anders als für einen leutseligen, belesenen Mann halten können, der sich artig zu benehmen weiß, weder vorzüglich gut unterhält, noch auch so schlecht, um besondere Aufmerksamkeit zu erregen, und nicht mehr und nicht weniger zu sprechen pflegt, als es sich für einen Mann in seinen Jahren schickt. Er scheint übrigens etwas mehr, als man es sonst gewohnt ist, dazu geneigt, das förmliche Schweigen zu unterbrechen, wodurch englische Gesellschaften oftmals ganz unleidlich werden, und hat vielleicht durch dieses Streben einiges Aufsehen gemacht; denn derjenige, welcher es unternimmt und wirklich dahin bringt, eine englische Gesellschaft in gute Laune zu versetzen, verdient gewiß, daß man ihn auszeichne. Vor diesem Diner erinnere ich mich indessen nicht, in den bessern englischen Gesellschaften so viel von dieser ehrfurchtdurchdrungenen Stille früher bemerkt zu haben. Einige Stufen tiefer in der geselligen Rangordnung hat sie etwas Bezeichnendes hinsichtlich des englischen Nationalcharakters, mit Ausnahme jedoch derjenigen Stände, die tief genug stehen, um gleich den höchsten natürlich sich benehmen zu dürfen. Denn im Ganzen halte ich das englische Volk für bei Weitem offner, herzlicher und freimüthiger im geselligen Benehmen, als das Volk bei uns; wiewohl ich es nicht blos für weniger »kirchsprengelmäßig« halte, sondern wirklich überzeugt bin, daß die Engländer letzteres weit weniger sind, als wir. Die Erläuterung des von mir gebrauchten Ausdrucks will ich Ihnen selbst überlassen. Wer das Wenigbezeichnende mancher Spitznamen, ihre Entstehung aus übermüthiger Lustigkeit, ohne entschiedene Veranlassung, als plötzlicher Einfall irgend einer munteren Coterie, und ihre allmähliche Verbreitung ohne andern Grund, als des trockenen Spaßes wegen, erwägt und dabei bedenkt, daß solche Spitznamen oft nach langen Jahren aus der gänzlichen Vergessenheit wieder auftauchen, und ohne daß man die Veranlassung recht kennt, woher sie entstanden, dennoch beibehalten werden – der würde gewiß nicht, wie unser C., über einen Spitznamen nachgrübeln wollen. In einer schweigsamen Gesellschaft, wie sie oben beschrieben wird, mochte man einem Fremden auch wohl schwerlich die scherzhafte Seite eines Landsmannes blosstellen. Ob übrigens das von C. gerügte »kirchsprengelmäßige« Benehmen seiner Landsleute konsequenter bei der Ertheilung von Spitznamen verfahre, möchte noch eine große Frage sein; wenigstens möchte in letzterem Falle ein Spitzname mehr Beleidigendes haben, als daß er als gutmüthiger Scherz durchgehen könnte.
Mr. Jekyll steht in dem Rufe, daß er anständigen Witz habe. An diesem Tage zeichnete er sich jedoch keineswegs in dieser Eigenschaft aus, wiewohl ich bemerkte, daß die Anwesenden gelegentlich seine Einfälle belächelten, als ob sie passende Beziehungen zu den Gegenständen der Unterhaltung dargeboten hätten. Doch in dieser Hinsicht möchte ich wohl fragen, ob es einen Mann in London gibt, der über die gewöhnlichen Gaben lustiger Erzähler und launiger Gesellschafter sich erhebend, in angenehmen und unterhaltenden Einfällen unserm Mr. W – – gleich kommt? Für einen Fremden muß es schwer fallen, über witzige Aeußerungen, die oftmals örtliche Beziehungen haben, ein richtiges Urtheil zu fällen; nicht immer lassen diese Beziehungen sich dem Nichteinheimischen mittheilen, und der größte Reiz geht dadurch für ihn verloren. So wohnte ein mitteldeutscher Diplomat einst in Gesellschaft mehrerer hochgebildeter Standespersonen in Wien der Vorstellung eines damals ausgezeichneten Komikers bei, der in seinen Rollen die witzigsten Bemerkungen einzuflechten verstand. Der fremde Diplomat blieb ganz gleichgültig, während die Witze des Komikers die übrige Gesellschaft und sämmtliche Zuschauer in die lustigste Laune versetzten. »Sie versteh'n 's nicht,« sagte man dem erstaunten Fremden, »und können 's nicht verstehen; denn Sie sind, halt, kein Wiener!«
Auffallend finde ich es, daß die Engländer sich in ein förmliches Benehmen einzwängen, das eine unheimliche Wolke über ihren geselligen Verkehr zieht. Von Natur sind sie der Beweglichkeit der Rede entfremdet, und der prickelnde Reiz, den feinen Ton der höchsten Cirkel nachahmen zu wollen, hat auf jeden Fall eine unbehagliche Wirkung; denn es kann ja ein Mann sowohl als Peer, wie als Bürgerlicher, eine ausgezeichnete Stellung haben, ohne daß er deßhalb eine geistige Ueberlegenheit besitzt. Es ist zwar wahr, daß die Engländer dieser Klasse im Allgemeinen achtungswürdige Leute sind; aber der achtungswürdige Charakter reicht nicht hin, sie zu Mustern des geselligen Tons zu machen; und wenn eine Körperschaft von blos achtungswürdigen Leuten ihren Ton zum herrschenden unter mehreren Andern macht, während eben dieser Ton ihre Unfähigkeit, gut zu unterhalten, offenbar macht, so wird dadurch unfehlbar die Entwickelung des eignen Talents der Geselligkeit zurückgehalten. Einzelne Individuen, wie Sir James Mac Intosh und Mr. Coleridge, brechen sich zwar ihre eigne Bahn, vermöge des ihnen inwohnenden Dranges und des Bewußtseins ihrer geistigen Ueberlegenheit; aber tausend Männer, gleichfalls hochbegabt, wenn auch weniger, als diese beiden, fühlen sich beengt durch die zwängenden Formen, die ihnen überall hemmend begegnen. Doch dies würde zu allerlei nutzlosen Betrachtungen führen, und diese möchten für Sie daher ohne eigentliches Interesse sein. Vieles Auffallende in diesen Bemerkungen kann auch durch die Voreingenommenheit des Verfassers für den Ton der französischen Gesellschaften erklärt werden. Anm. d. Uebers.
Ich habe schon gesagt, daß Mrs. Siddons und mehre andere Damen an diesem Abend die Gesellschaft belebten. Mr. Rogers stellte mich der erstern vor; aber ihr Empfang war kalt und fremd. Da ich aufgefordert worden war, noch zu verweilen, eben um diese Dame kennen zu lernen, so konnte ich mich nicht plötzlich entfernen, ohne einige Worte mit ihr zu sprechen; und ich bemerkte daher, unsere Zeitungen hätten, vielleicht ohne hinreichenden Grund, uns Amerikanern mit der Hoffnung geschmeichelt, daß sie unser Land besuchen werde. Sie entgegnete, daß, wenn sie zwanzig Jahre jünger wäre, eine solche Reise ihr Vergnügen machen würde; ihr jetziges Alter aber mache ein solches Unternehmen ganz unausführbar. Ihr Benehmen hatte etwas Hochtrabendes, und, wiewohl es ihre natürliche Art zu sein schien, so erinnerte es doch etwas zu sehr an Heldinnenrollen. Ihre Stimme hatte das Geschraubte einer tragischen Königin und ihre Ausdrucksweise war ziemlich pedantisch. Wenigstens war in einem Gesellschaftszimmer, wo man angenehme Unterhaltung sucht, ihr eigenartiger Ton nicht an der rechten Stelle, und in vieler Hinsicht trat das Schauspielerische gar zu grell hervor.
Ich könnte Ihnen manche Dinge ähnlicher Art mittheilen, welche ganz das Gegentheil von dem ausdrücken möchten, was Sie früher sich vorstellten; aber die Quellen, aus welchen Sie die periodischen Beurtheilungen zu schöpfen pflegen, wenn sie Schilderungen literarischer Persönlichkeiten mittheilen, verdienen öfter nur wenig Zutrauen. So kenne ich unter andern einen ausgezeichneten englischen Schriftsteller, dessen Gewohnheit es nun einmal ist, in immer wiederholten Lobpreisungen die Anmuth und Liebenswürdigkeit einer Person zu erheben, welche, wie ich mit Wahrheit sagen kann, eine der ungenießbarsten ist, die ich jemals in gebildeter Gesellschaft angetroffen habe. Schmeichelei, wie Bosheit, wenn sie von der Nachgiebigkeit der Menschen unterstützt werden, fügen der Wahrheit beträchtlichen Schaden zu. Obschon hier persönliche Schilderungen vorkommen, so hofft der Verfasser doch auf seiner Hut gewesen zu sein, die Personen nicht zu verletzen, von denen die Rede ist. Seine Bekanntschaft mit Mrs. Siddons ging nicht weiter, als auf die Beobachtung ihres äußeren Benehmens an einem einzigen Abend; sie selbst ist zu weit aus dem Bereiche der Meinungen des Verfassers entfernt, falls ferne Bemerkungen auch wirklich ihren Charakter näher berührten. Von den Personen, welche an jenem Abend um den Tisch des Mr. Rogers beisammen waren, sind Sir Walter Scott, Miß Scott, Sir James Mac Intosh, Mr. Sharp und Mr. Jekyll sämmtlich nicht mehr unter den Lebenden. Anm. d. Verf.
Mr. Lockhart war so artig mich seiner Gattin vorzustellen, welche eine Tochter von Sir Walter Scott ist. Sie ist, in hohem Grade, was die Franzosen eine »gracieuse« nennen; sie wäre grade recht dazu geeignet, durch ihr liebenswürdig-unbefangenes Benehmen, sowie durch den großen Namen ihres Vaters in Paris die beste Aufnahme zu finden. Sie schien mir viele Gewandtheit in raschem Urtheil und viel Gegenwart des Geistes zu besitzen, um jeden anmuthigen Zug heiterer Laune treffend aufzufassen. Scott selbst war die ganze Zeit über schweigsam und ruhig, wiewohl er sogar mit einer stattlichen Zwiesprache durch Mrs. Siddons geehrt wurde, die zu ihm mit wahrhaft Shakspear'schem Redefluß sich wandte.
Den Tag darauf erhielt ich am Morgen einen Besuch von Sir Walter, der sich bei mir zu entschuldigen kam, daß er sein Versprechen nicht halten könne, mit Mr. Rogers und mit mir nach Hampton-Court zu gehen, wo sein Sohn, der Major Scott, im Quartier liegt. In der Unterredung, welche dieses Versprechen betraf, hatte ich zufällig meines Consulats erwähnt, worauf Sir Walter mit einiger nähern Theilnahme fragte, ob ich vielleicht amerikanischer Consul in Lyons sei? Ich sagte ihm, ich sei es meiner Bestallung und dem Namen nach, obschon ich nie dort gewesen sei. »Ah, so!« bemerkte Mr. Rogers mit einer bedeutungsvollen Miene, wie dieses seine Art ist – »das ist kein verächtliches Geschäftchen.« – Auf diese Bemerkungen hatte Sir Walter genau Acht gegeben, und er kam absichtlich, um weiter über diesen Gegenstand mit mir zu sprechen, wie er sagte, und nicht blos der erwähnten Entschuldigung wegen.
Die verstorbne Lady Scott war nämlich eine Tochter eines Eingebornen von Lyons, wie es schien; ihr Familienname war nämlich eigentlich Charpentier, später englisch umgewandelt in Carpenter. Wie nun Sir Walter mir die Sache erzählt, so war Jemand aus dieser Familie nach Ostindien gereist und hatte sich dort ein bedeutendes Vermögen erworben; für Sir Walters Kinder war es daher sehr wichtig, ihre Verwandtschaft mit diesem Manne beweisen zu können; um dies thun zu können, war vor allen Dingen erforderlich aus den Ortsregistern den nöthigen Auszug beizubringen, sowie das Tauf- oder Geburtszeugniß von Mr. Charpentier. Er hatte ein Verzeichniß dessen, was er wünschte bei sich, und ich versprach ihm, solches sogleich an den Konsularagenten zu besorgen, um die nöthigen Urkunden ihm zu verschaffen. In der Notiz die mir Sir Walter deshalb gab, hatte er den Herrn Charpentier als einen maître d'armes, also als einen Fechtmeister beschrieben, ein Beruf der natürlich seinen ritterlichen Ideen besonders Wohlgefallen haben mochte.
Der Entschuldigungsgrund, weßhalb der Besuch im Hampton-Court verschoben werden sollte, war eine Einladung vom Könige, in Windsor zur Tafel zu erscheinen; ein solcher Befehl mußte freilich von allen anderweitigen Versprechungen entbinden. Er bat mich höflich, einen andern Tag zu der vorgenommenen kleinen Reise zu bestimmen; aber bei meinem Unwohlsein und vielen sich häufenden Geschäften war ich nicht im Stande, ihm willfährig zu sein. Ihre Tante, die wegen ihrer Trauer von aller Gesellschaft sich zurückzog und nun zum ersten Mal in London war, hatte ebenfalls Anspruch an meine Zeit, so daß ich sie anderer Leute wegen nicht zurücksetzen konnte. Sie wünschte sehr, nach Windsor und Richmond und nach Hertfordshire zu reisen; und so mußte ich denn nothgedrungen dem seltenen Vergnügen entsagen, als der dritte Mann mit Walter Scott und Samuel Rogers eine kleine Reise machen zu können.
Meine Unpäßlichkeit hat mich eben auch um den Genuß gebracht, Mr. Wadsworth kennen zu lernen. Er speiste bei Mr. Rogers und ich wurde gebeten, mit dabei zu sein; aber mein alter Feind, das Kopfweh, und eine ernsthafte nervöse Aufregung nöthigten mich dennoch, mich entschuldigen zu lassen, obgleich ich alles anwandte, um mein Uebel los zu werden, und den ganzen Morgen über mir einen warmen Kräutertrank eingoß, um mich wieder auf die Beine zu bringen. Mr. Rogers schickte nochmals, mich dringend zu bitten, wenigstens nach Tische an demselben Abend noch zu kommen, aber ich lag schon im Bette. Da die Landluft das Beste thun dürfte, so beschlossen wir, sogleich nach Windsor abzureisen.