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Viertes Kapitel.

Beatrice.
Gegen meinen Willen bin ich gesandt, um Euch zum
Essen kommen zu heißen.

Benedick.
Schöne Beatrice, ich danke Euch für Eure Mühe.

Beatrice.
Ich hatte nicht mehr Mühe, diesen Dank zu verdienen,
als es Euch Mühe kostet, mir zu danken; wäre es
mühevoll gewesen, so wäre ich nicht gekommen.

Viel Lärmen um Nichts.

 

Unter dem Portal des Hauses zu Satanstoe stand meine liebe Großmutter und der berühmte Tom Bayard, um uns zu empfangen. Der erste Blick auf Letztern bewies mir, daß er ein »anständiger Mann« war; und beim zweiten gewann ich die erfreuliche Ueberzeugung, daß er gerade jetzt nur für Kate Augen hatte. Dieß zu sehen und zu wissen, war für mich eine große Beruhigung, da ich nie hätte mit gutem Gewissen meine Zustimmung dazu geben können, das liebe Mädchen einem Manne zu vermählen, der ihren Werth nicht zu würdigen gewußt, der ihre Schönheit nicht in vollem Maße bewundert hätte. Was meine liebe »gar alte« Großmutter betrifft, die jedoch nicht so sehr alt war, da sie noch unter den Siebzigen stand, so war unser Empfang von ihrer Seite gerade so wie ich ihn immer gefunden hatte: warm, herzlich und mild. Sie nannte meinen Vater, den General, immer Corny, auch wenn sie in einem Zimmer voll von Gesellschaft mit ihm sprach; doch habe ich, was das betrifft, meine Mutter, die weit mehr eine Frau von Welt war, da sie sehr viel in Gesellschaft gelebt hatte, ebenso sprechen hören, wenn sie sich allein glaubte. Ich habe in diesem oder jenem ekeln und pedantischen Buche, geschrieben ohne Zweifel von Einem, der die Menschen nur aus Büchern, dem seinigen ähnlich, kannte, solche Vertraulichkeiten verdammt gelesen; aber ich habe im Allgemeinen gefunden, daß die glücklichsten und im Grunde genommen auch die Familien vom besten und sittlichsten Tone diejenigen waren, wo man Jack, Tom, Bob, Dick, Beß und Di sagte. Was die Louisa Adelina's, und die Robert Augustusse und alle solche künstliche Respektsnamen betrifft, so gestehe ich offen, daß ich dagegen Verachtung empfinde. Das ist bei der Art von Leuten, welche Satanstoe – Dibbleton nennen, Hellgate – Hurlgate, – und sich selbst – gebildet! Dem Himmel sey Dank, solchen Unsinn hatten wir nicht zu Lilaksbush oder auf dem Landhals. Mein Vater hieß da Corny, meine Mutter Anneke, Katrinke Kate, und ich Mordy oder Mord, oder wenn man sich Zeit nahm, Mordaunt.

Tom Bayard erwiederte meine Begrüßung freimüthig und mit gentlemanischer Sicherheit des Benehmens, obgleich auf seiner Wange ein leises Erröthen sichtbar war, welches mir sagte: »Ich wünsche Eure Schwester zu gewinnen.« Aber mir gefiel das Benehmen des jungen Mannes. Da war kein hastiges Fahren nach der Hand, kein Sichvordrängen, um gleich im ersten Augenblick der Begegnung ein vertrautes Verhältniß zu erzwingen; aber er erwiederte meine Verbeugung mit anmuthiger Verbindlichkeit und sein Lächeln hiebei schien den Wunsch nach genauerer und besserer Bekanntschaft auszudrücken.

Nun habe ich auch schon gesehen, daß einer quer durch ein ganzes Zimmer schritt, um bei einer Vorstellung mit einem gänzlich Fremden die Hände zu schütteln, und während der ganzen Zeit ein so trübseliges Gesicht machte, als ob er ihm sein Beileid beim Verlust seiner Frau bezeugte. Diese Gewohnheit, mit feierlichem Ernst die Hände zu schütteln, nimmt bei uns nachgerade überhand, und wird aus einigen unsrer Schwesterstaaten eingeführt, denn gewiß ist es kein New-Yorker Brauch, außer unter vertrauten Freunden; und es ist nach meinem Dafürhalten ein schlimmer Brauch, weil er eines der besten Mittel, Gefühle abzustufen, vernichtet, und ganz besonders bei einer Vorstellung widrig ist. Aber ach! es gibt so viele solche Neuerungen, daß man nicht vorhersagen kann, wo sie aufhören werden. Ich schüttelte bei einer ersten Vorstellung, ausgenommen unter meinem eigenen Dach und wenn ich eine entschieden gastfreundliche Gesinnung an den Tag zu legen wünschte, nie die Hände bis zu meinem vierzigsten Jahre. In meinen jüngern Jahren hielten mich Manche für gemein, und ich weiß nicht gewiß, ob nicht Manche noch jetzt so denken.

In dem kleinen, altmodischen »Empfangzimmer;« wie seit einigen Jahren meine gute Großmutter sich hatte bewegen lassen, das Zimmer zu nennen, welches sonst das beste Wohnzimmer war, fanden wir Miß Priscilla Bayard, die aus Gründen, welche unerklärt blieben, nicht mit an das Portal gekommen war, ihre Freundin zu begrüßen. Sie war in der That ein reizendes Mädchen, mit schönen, dunkeln Augen, glänzendschwarzen Haaren, von zarter, vornehmer Gestalt und einer Anmuth des Benehmens, welche vollkommene Vertrautheit mit der besten Gesellschaft des Landes verrieth. Kate und Pris umarmten einander mit einer Wärme und Aufrichtigkeit, welche zu Gunsten Beider sprach, und mit vollkommener Natürlichkeit. Ein affektirtes amerikanisches Mädchen, beiläufig bemerkt, ist eine große Seltenheit, und Nichts fällt mir eher auf, wenn ich meine Landsmänninnen neben Europäerinnen sehe, als der Unterschied gerade in dieser Beziehung; die Einen erscheinen so natürlich, die Andern so verkünstelt!

Die Begrüßung, die mir von der Miß Bayard wurde, war verbindlich, doch bildete ich mir ein, irgend ein leiser Zug verrathe, daß sie sich bewußt sey, bei irgend einer müßigen Veranlassung ihren Namen in enger Verbindung mit dem meinigen aussprechen gehört zu haben. Vielleicht mag Kate in einem vertraulichen Augenblick etwas dahin Zielendes gesagt haben, oder habe ich mich vielleicht getäuscht.

Meine Großmutter erklärte bald, die ganze Gesellschaft müsse die Nacht in Satanstoe zubringen. Da wir an solche plötzliche Entschlüsse gewohnt waren, erhoben weder Kate noch ich die mindeste Einwendung, während die Bayards einem Befehle, der jedoch auch für sie, wie ich bald entdeckte, keine ungewohnte Sache zu seyn schien, mit vollkommener Bereitwilligkeit und Folgsamkeit sich unterwarfen. So in der Vertraulichkeit eines stillen und kleinen Kreises, auf einem Landhause uns zusammenfindend, machten wir in unserer gegenseitigen Bekanntschaft große Fortschritte, und bis das Mittagessen vorüber war, das heißt um vier Uhr, fühlte ich mich schon wie ein alter Bekannter von Personen, welche vor kurzer Zeit noch mir bis auf den Namen hinaus fremd gewesen waren. Bayard und meine Schwester waren vom ersten Anfang an in der besten Laune, und ich gewann die Ueberzeugung, ihre Angelegenheit war in ihren Herzen eine ausgemachte Sache; Miß Priscilla jedoch war ein paar Stunden nicht frei von einigem Zwang, wie Jemand, der eine leichte Verlegenheit empfindet. Dies verlor sich jedoch, und lange ehe wir vom Tisch aufstanden, war sie ganz sie selbst geworden, – und sehr reizend war dieses Selbst, das war ich genöthigt zuzugeben. Ich sage: genöthigt; denn trotz Allem, was ich gesagt, und trotz einem gewissen gesunden Verstande, den ich mir hoffentlich zuschreiben darf, war es mir doch unmöglich, mich ganz des Mißtrauens zu entschlagen, welches sich an den Gedanken knüpfte, man erwarte, daß ich mich in die junge Dame verliebe. Meine gute Großmutter trug auch dazu bei, dies Gefühl in mir rege zu erhalten. Die Art, wie sie ihr Auge vom Einen auf das Andere schweifen ließ, und das zufriedene Lächeln, das über ihr Gesicht flog, so oft sie Pris und mich in unbefangenem Gespräch mit einander sah, verrieth mir ganz und gar, daß sie mit im Geheimniß war und bei dem Complott, wie ich die Sache anzusehen beliebte, die Hand mit im Spiel hatte.

Ich hatte gehört, daß meine Großmutter die Heirath meiner Eltern schon ein oder ein paar Jahre, ehe die Sache sich machte, als lebhaften Wunsch im Herzen bewegt hatte, und daß sie sich immer einbildete, sehr wesentlich beigetragen zu haben zum Zustandekommen einer Verbindung, die so glücklich gewesen, wie ihre eigene. Die Erinnerung an diesen Erfolg, oder die Einbildung desselben, ermuthigte sie wahrscheinlich, auch an dem gegenwärtigen Anschlag Theil zu nehmen; und ich bin immer der Meinung gewesen, daß sie uns Alle bei dieser Gelegenheit zusammen brachte, um das große Projekt weiter zu fördern.

In der Kühle des Abends wurde ein Spaziergang auf dem Landhals vorgeschlagen, denn Satanstoe hatte manchen reizenden Pfad, hübsche Durchsichten und weite Aussichten. So machten denn wir Vier uns auf den Weg. Kate voran, als die mit der Gelegenheit des Ortes Vertrauteste. Wir befanden uns bald am Strande des Sundes und an einem Punkte, wo das zurücktretende Wasser eine feste, weite Sanddüne zurückgelassen hatte; die innere Grenze gegen das Festland bildete ein Saum von Felsen. Hier konnte man ohne allen Zwang lustwandeln, denn es war Raum genug. Paarweise oder alle Vier neben einander zu gehen, wie wir Lust hatten. Da Miß Bayard etwas schüchtern schien, und man an ihr das Bestreben bemerkte, sich immer in der Nähe ihrer Freundin zu halten, gab ich die Absicht auf, an ihrer Seite zu gehen, blieb ein wenig zurück und knüpfte ein Gespräch mit ihrem Bruder an. Auch war es mir nicht leid, so bald Gelegenheit zu finden, einen Mann etwas genauer zu prüfen, der aller Wahrscheinlichkeit nach in ein so nahes Verhältniß zu mir treten sollte. Nach wenigen Minuten lenkte sich das Gespräch auf die jüngst durchgeführte Revolution und auf die Art und Weise, wie sie auf das künftige Schicksal des Landes einwirken werde. Ich wußte, daß ein Theil der Familie meines Begleiters der Krone angehangen und durch die Confiskationsakte ihre Güter verloren hatte: aber von einem andern Theil wußte ich das Gegentheil, und es blieb meinem Scharfsinn überlassen, zu schließen, daß Toms Zweig zu den Letztern gehören müsse, da bekannt war, sein Vater befinde sich in sehr günstigen Vermögensverhältnissen, wenn er auch nicht im eigentlichen Sinne reich heißen durfte. Es stand jedoch nicht lange an, so entdeckte ich, daß mein neuer Freund ein gemäßigter milder Tory war, und daß es ihm besser gefallen hätte, wenn die von uns angesprochenen Rechte, deren Verletzung er sehr bereitwillig zugestand, ohne förmliche Trennung der beiden Länder errungen und gesichert worden wären. Da die Littlepages, und zwar drei Generationen zu gleicher Zeit, förmlich gegen die Krone unter den Waffen gewesen waren, und diese Thatsache kein Geheimniß seyn konnte, gefiel mir die Aufrichtigkeit, womit Tom Bayard seine Ansichten über diese Punkte aussprach, denn es sprach dies für die Wahrhaftigkeit und Geradheit seines Charakters überhaupt.

»Drängt es sich Euch nicht als eine nothwendige Folge der Entfernung beider Länder von einander auf,« fragte ich ihn im Verlaufe des Gesprächs, »daß eine Trennung früher oder später hätte eintreten müssen? Es ist unmöglich, daß zwei Länder lange gemeinsame Beherrscher haben, wenn ein Ocean dazwischenliegt. Zugegeben selbst, daß unsere Trennung etwas vorzeitig sey, eine Behauptung, die ich bei einer diesen Punkt ausschließlich betreffenden Erörterung läugnen würde, ist sie doch gewiß ein Uebel, welches seiner Natur nach mit jeder Stunde sich vermindert!«

»Trennungen in Familien sind immer schmerzlich und peinlich, Major Littlepage; und sie sind es doppelt, wenn sie von Zwistigkeiten begleitet sind.«

»Ganz richtig; und doch kommen sie immer vor. Wenn nicht in dieser Generation, dann in der nächsten.«

»Ich glaube in der That,« sagte Tom Bayard, und sah mich halb flehend dabei an, »wir hätten mit unsern Händeln und Zerwürfnissen fertig werden können, ohne unser Unterthanenverhältniß gegen den König abzuschütteln.«

»Ja, das ist für Tausende der Stein des Anstoßes gewesen; und doch ist es in Wahrheit der schwächste Punkt, den sie jenseits des atlantischen Meeres für ihre Ansicht geltend machen können. Was nützt das Unterthanenverhältniß gegenüber von dem Könige, wenn das Parlament seine Macht in einer Weise gebraucht, daß die amerikanischen Interessen denen Englands untergeordnet werden! Man kann gar viel Vernünftiges und Triftiges sagen zu Gunsten der königlichen Macht, das gebe ich sehr gerne zu: aber sehr wenig zu Gunsten eines Verhältnisses, bei welchem ein Volk der Unterthan des andern wird. Der Name Loyalität verblendet die Menschen gegen Thatsachen und setzt eine eingebildete Macht an die Stelle einer wirklichen. Die Frage war, ob England mittelst eines Parlaments, in welchem wir keine Vertreter haben, für uns Gesetze machen solle und dürfe, oder nicht; und nicht die: ob George III. unser Souverän seyn solle, oder ob wir die Souveränetät des Volkes begründen und aufstellen wollen.« Dies kurze Gespräch ist im Text mitgeteilt, weil es sich in der Handschrift Mr. Mordaunt Littlepage's findet, und nicht deshalb, weil etwa der Stand der heutigen Gesinnungen in diesem Lande mit den darin ausgesprochene Ansichten in Verbindung stünde. Die amerikanische Nation, als Ganzes betrachtet, ist jetzt so vollständig emancipirt von allem englischen politischen Einfluß, als ob dieser gar nie bestanden hätte. Die Emancipation ist in der That nur zu vollständig, denn sie hat eine Reaktion mit sich geführt, welche in vielen Punkten nach der entgegengesetzten Richtung hin zu Irrthümern verleitet, und die dritte unserer Handschriften wird sich auch mit den Übertreibungen dieser Ansichten zu beschäftigen haben. Aber Mr. Mordaunt Littlepage scheint ziemlich deutliche Ahnungen von den Grundsätzen gehabt zu haben, welche der amerikanischen Revolution die Entstehung gaben, obgleich damals das Princip selbst nirgends offen scheint erkannt worden zu seyn. Der König von England war ursprünglich König von Amerika, wie er König von Irland und König von Schottland war. Zwar gab es keine amerikanische Flagge, da das herrschende System die Colonieen von aller Macht auf dem Meere ausschloß; sodann war auch jede Colonie gänzlich unabhängig von den anderen, nur mit ihnen verknüpft durch das Band der gemeinsamen Abhängigkeit von der Krone. Die Revolution von 1658 verschaffte allmählich dem Parlament das Uebergewicht; und als George III. den Thron bestieg, war dies Uebergewicht schon beinahe unbestritten. Nun stand Amerika eigentlich in keiner Verbindung mit dem Parlament, welches damals nur England und Wales vertrat; und dies war ein Stand der Dinge, wobei ein Land von dem andern abhängig war; – eine Unterordnung der Interessen des einen unter die des andern, welche offenbar nur so lange dauern konnte, als die beherrschte Partei zu schwach war, sich selbst Recht zu verschaffen.

Bayard verbeugte sich, auf diese Bemerkung hin, ganz höflich gegen mich und änderte den Gesprächsgegenstand. Es war jedoch genug gesprochen worden, um mich zu überzeugen, daß wenig politische Sympathie zwischen uns bestehen würde, möchten sich auch die Familienbande noch so eng knüpfen. Die Mädchen gesellten sich zu uns, ehe wir wieder recht in ein anderes Gespräch gekommen waren; und es verdroß mich ein wenig, als ich fand, daß Kate etwas mehr auf die Ansichten ihres Anbeters über diese Gegenstände einging, als sich, meinem Dafürhalten nach, mit den ächten Gesinnungen eines Mitgliedes der Familie Littlepage, nach Allem, was vorgefallen war, vertrug. Dennoch war ich nicht gemeint, meine Schwester deswegen hart beurtheilen zu wollen, da ich selbst doch auch es gerne gesehen hätte, daß die Frau, die ich liebte, so viel als möglich mit mir in allen meinen Ansichten harmonirt hätte. Andererseits fand ich zu meiner Ueberraschung an Miß Priscilla eine eifrige, und die Wahrheit zu gestehen, eine etwas blinde Patriotin, und sie verdammte England, den König und die Bestrebungen des Parlaments mit einer Wärme, welcher nur diejenige gleichkam, womit sie alle Dinge, Beschlüsse, Maßregeln, Grundsätze und politischen Schritte vertheidigte, die rein amerikanisch waren.

Ich kann nicht sagen, daß ich so viele Duldsamkeit bewiesen hätte gegen den Patriotismus der Miß Bayard, wie gegen den kleinen Verrath meiner Schwester. Es schien ganz natürlich, daß Kate anfing, Dinge dieser Art mit den Augen eines Mannes anzusehen, welchen sie entschlossen war zu heirathen; aber es erschien weit eher als gesucht und gemacht bei ihrer Freundin, die einer Toryfamilie angehörte, so freiwillig sich den Gesinnungen eines Mannes anzuschließen, den sie noch nicht lieben konnte, da sie ihn bis zu diesem Tage noch nicht gesehen hatte.

»Ist es nicht so, Major Littlepage,« rief das reizende Geschöpf – denn sehr reizend war sie ohne alle Frage; und weiblich, und zart, und höchst fein und anständig, und Alles, was ich nur wünschen mochte, wäre sie nur ein wenig minder eine Whig und ein gut Theil mehr eine Tory gewesen; – und ihr Auge flammte und sprühte dabei, als fühlte sie Alles, was sie sagte, im innersten Herzensgrunde – »Ist es nicht so, Major Littlepage? – Amerika ist aus diesem Kriege mit unvergänglichem Ruhme hervorgegangen; und seine Geschichte wird in tausend Jahren das Staunen und die Bewunderung Aller sehn, die sie lesen?«

»Das wird einigermaßen davon abhängen, wie sich seine Geschichte von jetzt an bis dahin gestaltet. Die frühere Geschichte aller großen Nationen erfüllt uns mit Bewunderung und Theilnahme, während gewaltigere Thaten, von einem unbedeutenden Volke verrichtet, gewöhnlich vergessen werden.«

»Aber doch ist diese Revolution von der Art gewesen, daß jede Nation darauf hätte stolz seyn dürfen!«

Da es nicht schicklich gewesen wäre, dies zu leugnen, verbeugte ich mich und entfernte mich ein wenig von der übrigen Gesellschaft, unter dem Vorwand, Muscheln zu suchen. Bald gesellte sich meine Schwester zu mir, worauf folgendes kurze Gespräch zwischen uns sich entspann.

»Ihr findet an Pris Bayard eine entschlossene, standhafte Whig, Major Littlepage,« begann meine warmherzige Schwester.

»Gar sehr; aber ich hatte geglaubt, die Bayard's seyen ausnehmend neutral, wo nicht gar entschieden der andern Seite zugeneigt.«

»Oh, das ist ganz richtig bei den Meisten derselben, aber nicht bei Pris, welche schon lang eine entschiedene Whig ist. Da ist nun Tom, der ziemlich gemäßigt ist in seinen Ansichten, während Vater und Mutter ausnehmend neutral sind, wie Ihr es nennt; Pris aber ist eine Whig, beinahe so lang ich sie kenne.«

» Beinahe so lang! Also war sie auch einmal eine Tory?«

»Das kaum; obgleich allerdings ihre Ansichten eine sehr allmähliche Umwandlung erlitten haben. Wir sind Beide jung, müßt Ihr bedenken; und Mädchen, wenn sie zuerst in's Leben hinauskommen, haben gar wenig eigene Gedanken im Reden und im Handeln. Seit den letzten drei Jahren ganz gewiß, oder von ihrem siebzehnten Jahre an, ist Pris immer mehr eine Whig und immer weniger eine Tory geworden. Findet Ihr sie nicht entschieden schön, Mordaunt?«

»Ganz entschieden, und sehr gewinnend in Allem, was zu ihrem Geschlecht gehört – sanft, weiblich, feinsinnig, liebenswürdig, und durchaus eine Whig!«

»Ich wußte wohl. Du würdest sie bewundern!« rief Kate triumphirend. »Ich werde es erleben, meinen liebsten Wunsch erfüllt zu sehen.«

»Ich zweifle nicht daran, Kind; doch wird das nicht geschehen durch die Vermählung eines Mr. Littlepage mit einer Miß Bayard.«

Dieser Ausfall hatte ein Lachen und ein Erröthen von ihrer Seite zur Folge, aber durchaus kein Zeichen von Unterwerfung und Ergebung. Im Gegentheil, das eigenwillige Mädchen schüttelte den Kopf, bis alle ihre üppigen Locken sich verschoben, und sie hörte nicht auf zu lachen. Gleich darauf gesellten wir uns wieder zu unsern Begleitern, und in Folge jener Kreuzungen und Figuren, welche beim Verkehr der jungen Leute beider Geschlechter so beliebt sind, waren bald, wie wir auf den Dünen dahinwandelten, Tom an Katens Seite und ich an der Seite von Priscilla Bayard. Worüber die zwei Andern plauderten, habe ich nie erfahren, wiewohl ich denke, man könnte es errathen; die junge Lady aber, meine Begleiterin, machte wieder die Revolution zum Gegenstande des Gesprächs.

»Ihr seyd vermuthlich etwas überrascht gewesen. Major Littlepage,« begann sie, »zu hören, daß ich mich so warm zu Gunsten dieses Landes aussprach, da einige Zweige meiner Familie von der neuen Regierung hart behandelt worden sind?«

»Ihr spielt auf die Confiskationen an? Ich habe sie nie gebilligt und gerechtfertigt, und wünschte, sie wären nicht erfolgt; denn sie treffen am schwersten diejenigen, welche ganz schuldlos waren, während die Meisten unserer wirklichen Feinde mit heiler Haut entkommen sind. Aber es ist doch nicht mehr als gewöhnliches Verfahren in Bürgerkriegen, und sicherlich wäre es uns ebenso ergangen, wenn wir die unterliegende Partei gewesen wären.«

»Das hat man mir auch gesagt; aber da keine mir sehr nahestehenden Personen von einem Verluste betroffen worden sind, ist meine öffentliche Tugend im Stande gewesen, meinen Privatgefühlen zu widerstehen. Mein Bruder, wie Ihr wohl schon bemerkt habt, ist weniger ein ächter Amerikaner als ich.«

»Ich habe angenommen, er gehöre zu den äußerst Neutralen; und die, habe ich gedacht, neigen sich immer ein wenig zu der verlierenden Partei hin.«

»Ich hoffe jedoch, seine politische Vorneigung, die sehr ehrlich, obwohl sehr irrthümlich ist, werde ihm in Eurer guten Meinung nicht wesentlich schaden. Es hängt zu Viel davon ab, als daß mir dieser Gegenstand nicht am Herzen liegen sollte; und da ich allein in der ganzen Familie entschieden der Whigpartei angehöre, habe ich gedacht, ich wolle es wagen, für einen innigst geliebten Bruder zu sprechen.«

»Nun,« sagte ich bei mir selbst, »das heißt die Sache gehörig einfädeln! aber ich bin doch nicht so ganz unerfahren, daß ich mich durch eine so wenig versteckte List zum Narren haben ließe! Der Henker steckt in dem Mädchen; und doch scheint es ihr Ernst zu seyn, sie schaut mich an mit dem Vertrauen und der Einfalt einer Schwester, die noch mehr sogar fühlt als sie ausspricht, und sicherlich ist sie eines der reizendsten Geschöpfe, die mir je vor Augen gekommen. Ich darf sie nicht merken lassen, wie sehr ich auf meiner Hut bin, sondern muß der List mit List begegnen. Es müßte doch sonderbar zugehen, wenn ich, der ich eine Compagnie Continentalsoldaten mit einigem Lobe kommandirt habe, nicht fertig werden könnte mit einem Mädchen von zwanzig Jahren, wäre sie auch noch schöner und sähe noch unschuldiger aus als diese Pris Bayard, was freilich, muß ich gestehen, nicht leicht möglich ist.«

Der Leser wird verstehen, daß ich das Alles bei mir selbst sprach, und zwar war es sehr bald gesagt, denn man redet mit sich selbst erstaunlich schnell, aber was ich nach augenblicklichem Besinnen zu meiner schönen Begleiterin sagte, lautete ganz anders nach Sprache und Inhalt.

»Ich verstehe nicht, in welcher Weise meine Meinung dem Mr. Bayard etwas austragen sollte, möchte sie für oder gegen ihn seyn,« antwortete ich, mit einem ebenso unschuldigen Ausdruck, sowie ich die Sache ansah, als die junge Lady selbst in ihrem hübschen Gesichtchen gezeigt hatte, und machte hiebei, wie ich mir einbildete, meine Sache unendlich gut; »obgleich ich weit entfernt bin, irgend einen Mann hart zu beurtheilen, weil er zufällig von mir abweicht in seinem Urtheil von politischen Dingen. Die Frage war sehr kitzlicher und zarter Natur, und die redlichsten Männer sind in der Beantwortung derselben am weitesten auseinandergetreten.«

»Ihr wißt nicht, wie sehr es mich erfreut, dies von Euch zu hören, Mr. Littlepage,« erwiederte meine Begleiterin, mit einem süßen Lächeln, wie nur je von einem Weibe einem Manne gespendet wurde. »Es wird Tom ganz glücklich machen, denn ich weiß, er war sehr bange vor Euch eben wegen dieses Punktes.«

Ich antwortete nicht sogleich; denn ich beobachtete, glaube ich, die Spuren und Ausläufer dieses bezaubernden Lächelns, und suchte mich mit Vernunftgründen gegen seinen Eindruck zu wehren, mit der Hartnäckigkeit eines Mannes, der entschlossen ist, sich nicht fangen zu lassen. Dies Lächeln verfolgte mich acht Tage lang und es stand lange Zeit an, bis ich es völlig begriff. Ich entschloß mich jedoch, in Betreff Bayards und meiner Schwester sofort auf die Hauptsache loszugehen, und nicht mit indirekten Anspielungen auf den Busch zu klopfen.

»Ihr könnt doch wohl kaum meine Meinung mißverstehen, sollte ich denken!« antwortete Priscilla etwas überrascht. »Man darf nur das Paar vor uns ansehen, um zu begreifen, in wiefern Eure Meinung von dem Gentleum einen Einfluß auf ihn wenigstens üben kann.«

»Dasselbe könnte man von uns sagen, Miß Bayard, so viel mein unerfahrenes Auge zu beurtheilen vermag. Sie sind ein junges Paar, das mit einander lustwandelt; der Gentleman scheint die Lady zu bewundern und zu verehren, das will ich gern zugeben; und wir sind auch ein junges Paar, das mit einander lustwandelt, und der Gentleman scheint auch die Lady zu bewundern – oder man müßte von seinem Geschmack oder von seiner Herzensempfänglichkeit eine schlechte Meinung haben.«

»So,« sagte ich, wieder bei mir selbst: »das heißt sie ganz mit gleicher Münze bezahlen: jetzt laßt uns sehen, wie sie das nimmt!«

Priscilla nahm es sehr gut; sie lachte und erröthete gerade in hinreichendem Maße, um als das reizendste Geschöpf zu erscheinen, auf dem je mein Auge geruht hatte. Sie schüttelte den Kopf so ziemlich in derselben Art, wie meine Schwester nicht lange zuvor gethan hatte, und wies die Analogie zuerst mit ihren Geberden und dann ausdrücklich mit der Zunge ab.

»Die Fälle sind sehr verschieden, Sir,« antwortete sie. »Wir sind einander fremd, während Tom Bayard und Kate Littlepage Bekannte seit Jahren her sind. Wir lieben einander nicht im geringsten: nicht ein Bischen, obwohl wir geneigt sind, recht gut von einander zu denken wegen des Interesses, das wir an dem Paare vor uns nehmen, und weil ich die vertraute Freundin Eurer Schwester bin und Ihr der einzige Bruder meiner vertrauten Freundin. Hier jedoch,« und sie sprach jetzt mit Nachdruck, »hört unser Interesse auf, um nie über das Maß freundschaftlicher Hochachtung hinaus sich zu steigern, die, wie ich hoffe, aus unsern beiderseitigen Eigenschaften und deren gegenseitiger Anerkennung erwachsen soll. Es ist eine ganz, ganz andere Sache bei dem Paare vor uns«; hier sprach das bewegliche Mädchen wieder mit dem innigsten Gefühl; jeder Ton und jede Modulation ihrer Stimme zeugte von lebhaftester Herzenstheilnahme. »Sie sind schon lange einander geneigt und anhänglich, nicht Bewunderer von einander, wie Ihr Euch ausdrückt, Major Littlepage, sondern einander geneigt und anhänglich: und Eure Meinung von meinem Bruder ist gerade in diesem Augenblick von der höchsten Wichtigkeit für ihn. Ich hoffe, mich Euch endlich verständlich gemacht zu haben?«

»Vollkommen; und ich bin gesonnen, mich ebenso deutlich auszusprechen. Erstlich protestire ich feierlich gegen Alles, was Ihr von dem andern Paare gesagt habt, mit Ausnahme des Interesses, das wir Beide für den Bruder oder die Schwester fühlen. Sodann erkläre ich, daß Kate Littlepage ganz und gar ihre eigene Herrin ist, soweit es ihren Bruder Mordaunt angeht; und endlich spreche ich aus: daß ich durchaus Nichts in dem Charakter, der Verwandtschaft, dem Vermögen, der Person oder der Stellung ihres Anbeters, Thomas Bayard, von den Hickories, Esquire, sehe oder weiß, was im mindesten nicht ihren Ansprüchen oder Verdiensten entspräche. Ich hoffe, das ist vollkommen befriedigend.«

»Ganz! und von Grund meines Herzens danke ich Euch dafür. Ich will gestehen, ich habe einige kleine Besorgnisse gehegt wegen Toms politischer Meinungen; aber nunmehr diese beseitigt sind, kann sonst Nichts mehr die mindeste Sorge und Unruhe erregen.«

»Wie ist es aber möglich, daß Eines von Euch meinen Ansichten ein solches Gewicht glaubte beilegen zu müssen, da Kate doch einen Vater, eine Mutter und eine Großmutter am Leben hat. welche Alle, soweit ich unterrichtet bin, ihre Wahl billigen?«

»Ha, Mr. Littlepage, Ihr seyd Euch Eurer Wichtigkeit in Eurer eigenen Familie nicht bewußt, wie ich sehe. Ich weiß das besser, als Ihr selbst es zu wissen scheint. Vater, Mutter, Großmutter und Schwester, Alle sprechen in Einem Sinne von Mordaunt. Hört man den General vom Krieg sprechen, so sollte man meinen, er habe eine Compagnie kommandirt und Kapitän Littlepage das Regiment. Mrs. Littlepage ordnet sich Mordaunts Geschmack und Mordaunts Ansichten und Mordaunts Urtheilen sogar in der Haushaltung und in den Saumnähten unter. Kate sagt immer: ›Mein Bruder sagt dies‹, ›mein Bruder schreibt jenes‹, ›mein Bruder thut das und das,‹ und die alte Lady hier auf Toe, die glaubt gewiß, ihre Pfirsichen und Kirschen könnten nicht reifen, wenn nicht Mordaunt Littlepage, der Sohn ihres Sohns, Corny Littlepage – nicht ein einziges Mal entschlüpft ihr der Name ›General‹ – auf der Erde wäre, um steten Sonnenschein darüber zu verbreiten.«

Gab es je ein Mädchen wie dieses? Und diese Worte sprach sie noch dazu in der ruhigsten, sanftesten, ladymäßigsten Weise, die man sich denken kann. Daß die junge Dame Geist und Laune genug besaß, war unverkennbar; und einen Augenblick war ich im Zweifel ob nicht Beides gepaart sey mit der vollkommensten Charaktereinfalt und der vollkommensten Treuherzigkeit. Spätere Bemerkungen und Vorfälle jedoch machten bald all mein ursprüngliches Mißtrauen wieder rege.

»Das ist ein lebhaftes Bild von Familienschwäche, das Ihr da so anschaulich hingezeichnet habt, Miß Bayard,« versetzte ich; »und ich werde es nicht leicht vergessen. Was es noch lebhafter und pikanter macht, und ihm um so mehr den Beifall der Welt sichert ist der Umstand, daß Mordaunt so gar wenig die parteiische Vorliebe der Verwandten verdient, die Ihr genannt habt.«

»Der letzte Zug bildet keinen Bestandtheil meines Gemäldes, Major Littlepage, und ich weise ihn zurück. Was die Welt betrifft, so wird sie nie Etwas davon erfahren! Ihr und ich wir sind nicht die Welt, auch werden wir aller Wahrscheinlichkeit nach nie für einander die Welt seyn; ich wünschte, daß Ihr dies ganz besonders Euch merktet, da dies der Grund ist, warum ich bei einer so kurzen Bekanntschaft so offen gegen Euch bin. Ich erkläre Euch, Eure Meinung ist für Tom von der äußersten Wichtigkeit, da Eure Schwester ihn nicht heirathen würde, wenn sie glaubte, Ihr dächtet im mindesten schlimm von ihm.«

»Und sie würde es, wenn ich gut von ihm denke?«

»Das ist eine Frage, die ein Frauenzimmer für sich selbst beantworten muß. Und jetzt wollen wir Nichts mehr von der Sache sprechen, denn mein Gemüth ist beruhigt, seit ich sehe, daß Ihr keine politische Feindseligkeit gegen Tom hegt.«

»Die Menschen, bilde ich mir ein, sind weit weniger geneigt, solche Gefühle und Gesinnungen zu hegen, wenn sie einen Zwist ehrlich und tüchtig ausgefochten haben, als wenn sie nur erst darüber schwatzen. Zudem ist die gewinnende Partei gewöhnlich am wenigsten zum nachtragenden Grolle geneigt, und ihr Erfolg wird die Whigs versöhnlich stimmen. Ich gebe Euch mein Ehrenwort, keine Einwendung soll von meiner Seite gegen Euern Bruder erhoben werden wegen seiner Meinungen von der Revolution her. Meine liebe Mutter selbst ist während des ganzen Krieges eine halbe Tory gewesen, und Kate hat, wie ich finde, all ihre Menschenliebe und Milde eingesogen.«

Ein eigenthümliches und wie mich bedünkte, schmerzliches Lächeln flog über Priscilla's süßes Angesicht hin, als ich diese Bemerkung machte; aber sie antwortete Nichts darauf. Sie schien mir jetzt verlangend, den Gegenstand ganz zu verlassen und ich lenkte augenblicklich das Gespräch auf andere Dinge.

Kate und ich blieben einige Tage in Satanstoe, und Tom Bayard kam täglich auf Besuch, denn die Entfernung zwischen dem Landhals und den Hickories war nicht von Belang. Ich sah die junge Lady zweimal während dieser Zeit; einmal wie ich ausdrücklich in dieser Absicht nach dem Sitz ihres Vaters hinüber ritt, und einmal wie sie zu Pferde herüber kam, um ihre Freundin zu besuchen. Ich gestehe, nie war ich mehr in Verlegenheit, einen Charakter zu verstehen, als bei diesem jungen Frauenzimmer. Sie war entweder Meisterin in der Verstellungskunst, oder unschuldig und einfach wie ein Kind. Es war leicht zu sehen, daß ihrem Bruder, meiner Schwester, meiner Großmutter, und wie ich mir einbildete, den Eltern der jungen Lady selbst Alles daran lag, daß ich mit Pris, wie sie sie Alle nannten, auf möglichst gutem Fuß stände, während ich ihre eigenen Gefühle und Gesinnungen in dieser Hinsicht nicht zu ergründen vermochte. Es wäre unnatürlich gewesen, wenn ich nicht gern ihre außerordentliche Schönheit angeschaut, wenn ich nicht ihr ausnehmend anmuthiges und weibliches Benehmen bewundert hätte, welches gerade so war, wie man es sich nur wünschen konnte, vollkommen sicher, leicht und bequem, ohne im entferntesten frei oder vorlaut zu seyn und ich weidete mich an jener und bewunderte dieses in demselben Augenblick, wo ich am geneigtesten war ihrer Aufrichtigkeit zu mißtrauen und ihre Natürlichkeit für Vollendung der Kunst zu halten. Es gab Zeiten, wo ich mich versucht fühlte mir einzubilden, diese Pris Bayard sey eine so geschickte und gründliche Schauspielerin, als eine Person von ihrem Geschlecht, ihren Jahren und ihrer Stellung im Leben irgend werden könne, ohne gänzlich zu fallen; und dann kamen auch wieder Augenblicke, wo sie von den besten und seelenvollsten Eigenschaften ihres Geschlechts durchdrungen und erfüllt schien.

Es ist kaum nöthig zu sagen, daß unter solchen Umständen mein Herz unverwundet blieb, trotz der nicht zu verkennenden Wünsche meiner Verwandten und der großen Vorzüge der jungen Lady. Ein Mann fällt so wenig blindlings in Liebe, wenn er aus Mißtrauen glaubt, es sey Etwas nicht wie es seyn sollte, als er dies je glaubt, wenn er blindlings sich verliebt. Es hat mich oft überrascht und staunen gemacht, wie oft und wie gründlich die Weisesten des sterblichen Geschlechtes Alles darauf anlegen, sich selbst zu betrügen. Wenn einmal der Verdacht rege geworden, so hat man kein Zeugniß mehr nöthig, die Verdammung folgt ganz wie ein logischer Schluß, obwohl auf nichts Besseres gegründet, als auf scheinbaren Zweifel; während anderer Seits, wo Vertrauen einmal besteht, Zeugnisse und Beweise nur gar zu gerne nicht beachtet werden. Frauen insbesondere sind nur allzu geneigt, dem Zug ihrer Empfindungen und Neigungen statt Vernunftsgründen zu folgen, in allen Fällen wo es sich um eine Schuld handelt. Es hält schwer, sie von der Unwürdigkeit derer zu überzeugen, welche mittelst der Beziehungen des Gefühls ihnen angehören, weil die Gefühle bei ihnen gewöhnlich stärker sind als die Denkkräfte. Wie hängen sie z. B. so standhaft an ihren Priestern, wenn die kühleren Köpfe und größere Erfahrung der Männer schon verdammen; und das nur darum, weil ihre Phantasie sich darin gefällt, die Schuldigen mit dem Schmuck und Glanz der Religion zu umkleiden, die sie verehren und die ihr Halt ist! Der müßte ein gescheuter Mann seyn, der die Linie zwischen dem Wirklichen und dem Falschen in diesen Dingen zu ziehen vermöchte; aber der ist gewiß ein Schwachkopf, der Zeugnisse nicht beachtet, wenn sie klar und bündig sind. Daß wir Alle unsre Sünden und Fehler haben, ist außer Zweifel, aber gewiß gibt es Merkmale der Unwürdigkeit, welche untrüglich sind und nie außer Acht gelassen werden sollten, weil sie denjenigen Mangel an Grundsätzen beurkunden, der einen ganzen Charakter verunstaltet.

 


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