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XII.

 

Kanonenfutter! Sie füllen einen Graben so gut, als bessere Leute.

Shakespeare.

 

 

Die drei eintretenden Fremden schienen durch die Gegenwart der Gesellschaft, in die sie kamen, keineswegs eingeschüchtert zu werden, ob sie schon nur ein grobes, vom Wetter mitgenommenes Matrosengewand trugen, dem man die eben geleisteten Dienste recht gut ansah. Sie gehorchten schweigend dem Fingerzeige des Kapitains, der ihnen einen entfernteren Winkel des Zimmers anwies, und schienen zu wissen, was dem Höhern gebühre, während sie daran gewöhnt waren, sich mit allen Wechseln des Schicksals zu versuchen. Oberst Howard begann jetzt sogleich das Examen.

»Ich denke, Ihr seyd brave, loyale Unterthanen,« war sein erstes Wort, das wohl erwogne Achtung für die Unschuld aussprach. »Allein die Zeiten sind jetzt so, daß der ehrlichste Mensch verdächtig wird; und wenn unsere Meinung sich irrig erweisen sollte; so müßt Ihr den Mißgriff übersehen und auf Kosten der traurigen Lage setzen, in welche das Reich durch Rebellion gekommen ist. Wir haben gerechte Vermuthung, daß der Feind einen Plan gegen unsere Küste im Schilde führt, indem er, wie wir wissen, mit einem Schooner und einer Fregatte erschienen ist. Die Kühnheit der Rebellen gleicht nur ihrer schamlosen, gottlosen Verachtung aller Rechte unsers Herrschers.«

Während Oberst Howard diese Schutzrede und Einleitung machte, hefteten die Gefangenen ihre Augen lebhaft auf ihn. Kaum spielte er auf den gefürchteten Angriff an, als sich zwei derselben, aufmerksamer geworden, wie er endigte, verstohlene, vielsagende Blicke zuwarfen. Eine Antwort gaben sie indessen nicht. Der Oberst schwieg ein Weilchen, um seine Worte gehörig wirken zu lassen.

»Wir haben keinen Beweis,« fuhr er fort, »so viel ich in Erfahrung brachte, daß Ihr im Entferntesten mit den Feinden des Landes in Verbindung steht. Aber Ihr seyd nicht anf der königlichen Landstraße, oder vielmehr Ihr seyd auf einem Fußpfade betroffen worden, den die Leute in der Gegend, offen gestehe ich das, häufig einschlagen, der aber doch immer nur ein Fußweg ist; und so wird es blos Pflicht der Selbsterhaltung, Euch einige Fragen vorzulegen, die Ihr hoffentlich genügend beantworten werdet. Um Eurer Schiffersprache dabei ihr Recht anzuthun, sey die erste: Woher seyd Ihr, und wohin seyd Ihr gemiethet?«

»Aus Sunderland und nach Whitehaven!« erwiederte eine tiefe Baßstimme.

Kaum war diese einfache und klare Antwort mit festem Tone gegeben, als die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf Alix Dunscombe gelenkt wurde. Sie schrie auf und sprang unwillkührlich in die Höhe. Ihr Auge rollte und schaute wild umher.

»Seyd Ihr nicht wohl, Alix?« fragte die süße, sanfte Cecilie. »Wirklich! Ihr seyd nicht wohl. Kommt, lehnt Euch an mir an. Ich will Euch in Euer Zimmer führen.«

»Hörtet ihr's, oder war's Phantasie?« sagte sie, und ihre heiße Wange ward mit Todtenblässe bedeckt, ihr ganzer Körper zitterte krampfhaft. »Sagt, hörtet Ihr's auch?«

»Ich habe weiter nichts als die Stimme meines Onkels gehört, der hier bei Euch steht, und so ängstlich, wie wir alle, darauf hofft, daß Ihr Euch wieder von dieser schrecklichen Unruhe erhohlt.«

Alix sah immer noch wild umher. Ihr Auge ruhte nicht blos auf den sie Umgebenden. Mit halbem Wahnsinne schaute sie auch auf die Gestalten der drei Männer, die demüthig dastanden, und schweigend unbewegliche Zeugen des außerordentlichen Vorfalls waren. Endlich bedeckte sie ihr Auge mit beiden Händen, als suche sie einer fürchterlichen Erscheinung zu entgehen; dann zog sie sich zurück und lächelte matt, als winke sie Cecilien und Katharinen, sie aus dem Zimmer zu bringen. Dem zuvorkommenden, thätigen Beistande der Herren dankte sie nur durch Blicke und Gebehrden. Als sie bei der Wache vorbei war, und die drei Mädchen allein waren, holte sie einen tiefen, langen Seufzer und war wieder im Stande, zu sprechen.

»Das war eine Stimme aus dem tiefen Grabe!« sagte sie, »aber es konnte blos eine Täuschung seyn. Nein, nein! es ist eine gerechte Strafe, wenn man das Herz mit einem Bilde der Kreatur beschäftigt, statt daß es blos vom Schöpfer eingenommen seyn sollte! Ach, Cecilia, theure Katharina, noch seyd ihr beide jung, stolz auf Schönheit und Liebenswürdigkeit: aber Ihr kennt nicht, Ihr fürchtet nicht die Versuchungen und Irrgänge der sündigen Welt.«

»Ihre Gedanken sind irre!« lispelte Katharine mit ängstlicher Theilnahme. »Irgend ein furchtbarer Schlag hat ihre Sinne verwirrt.«

»Ja wohl sind meine sündigen Gedanken irre, und beschwören Töne herauf, die, hörte ich sie in der That und in diesen Mauern, furchtbar wären!« seufzte Alix, aber gefaßter, und mit dem Ausdrucke des Schreckens, als sie die beiden schönen bekümmerten Mädchen ansah, die sie, die halb Ohnmächtige, leiteten. – »Doch der Augenblick der Schwäche ist vorbei. Ich fühle mich stärker. Bringt mich nur in mein Zimmer, und kehrt dann zurück, um nicht die wieder mit dem Obersten angeknüpften Verhältnisse zu zerreißen. Ich befinde mich wohler, ich bin ganz wieder hergestellt.«

»Sprecht nicht so, theure Miß,« erwiederte Cecilie. »Eure Wange widerspricht dem, was die Freundschaft Euch sagen läßt. Ihr seyd krank, sehr krank, und selbst Euer Befehl sollte mich nicht bestimmen, Euch allein zu lassen.«

»Nun so bleibt denn!« sagte Alix mit einem dankenden Blick auf die liebenswürdige Helferinn. »Katharine mag in's Zimmer zurückgehen und den Thee bereiten, und Ihr bleibt bei mir, als meine treue Pflegerinn!«

Sie waren indessen bis zu ihrem Zimmer gekommen. Katharine half der Base, Alix ins Bett zu bringen, und ging dann zurück.

Oberst Howard unterbrach sein Verhör, als sie eintrat, um sich höflich und besorgt nach der Kranken zu erkundigen, und als er Antwort hatte, fuhr er fort:

»Nun, Borroughcliffe, die Leute reden, wie brave Männer; sie sind in Sunderland abgedankt, und haben Bekannte und Verwandte in Whitehaven. Dahin gehen Sie also, um Arbeit und Unterhalt zu suchen. Das klingt Alles ordentlich und ganz unschuldig.«

»Nicht anders, mein verehrter Wirth;« erwiederte der lustige Kapitain. »Allein es scheint doch ein hartes Mißgeschick, wenn ein Kleeblatt von solchem Fleisch und Blut nirgends sollte Gelegenheit finden, die Sehnen und Knochen in Bewegung zu setzen, da so viele Schiffe Sr. Majestät auf dem Ozean hinter den Feinden von Altengland Jagd machen.«

»Auch wahr! sehr wahr!« rief der Oberst. »Was meint Ihr, Leute, wollt ihr mit den Franzmännern und den Dons Anspielung auf den spanischen Adel. d. Ueb., oder auch mit meinen rebellischen Landsleuten fechten? Nein beim Himmel! aus Spaß darf Se. Majestät nicht des Dienstes von solchen drei Helden beraubt werden. Hier ist ein Fünfguineenstück für jeden; so wie Ihr an Bord der Alacrity geht, – und das kann leicht geschehen, denn es liegt dieser Kutter hier in dieser Nacht nur zwei Seemeilen nach Süden hin vor Anker, – bekommt Ihr es. Es ist da eine Bucht, wo man so sicher vor dem Sturme ist, wie in einem Zimmer hier.«

Einer von den Leuten that, als ob er nach dem Gelde mit gierigem Auge schaute, und fragte dann, als ob er über die Bedingungen der Kapitulation nachdächte:

»Gilt denn die Alacrity für ein gutes Schiff, und ist für die Mannschaft gut zu leben darauf?«

»Gut zu leben!« wiederholte Burroughcliffe. »Nun, was das anbetrifft; so ist sie der erste Kutter in der ganzen Flotte. Ihr habt Euch in der Welt umgesehn: ich wette darauf. Habt Ihr denn auch so einen Platz gesehn, wie das Marine-Arsenal zu Karthagena, in Altspanien ist?«

»Freilich, Herr!« erwiederte der Seemann gelassen und besonnen.

»Wirklich? Nun siehe; hast Du auch einmal ein Haus in Paris getroffen, das man die Tuilerien nennt? Das ist eine Hundehütte gegen die Alacrity.«

»Nun, ich bin auch einmal in das Haus gerathen, das Ihr nanntet,« sprach der Matrose, »und muß sagen, der Kutter wäre ein gutes Plätzchen für unser Einen, wenn er Eurer Beschreibung entspräche.«

»Der Henker hole die Blaujacken!« brummte Borroughcliffe, indem er sich, darauf kaum achtend, zu Katharinen wendete, die gerade neben ihm stand. »Sie laufen mit ihren Theergesichtern in der ganzen Welt herum, und setzen Jedermann mit seinen Vergleichungen in Verlegenheit. Wer Teufel konnte nun denken, daß der Bursche sein seewasserfarbiges Auge je auf den Palast König Ludwig's gerichtet habe?« Katharine achtete nicht auf ihn. Sie sah unruhig und verwirrt auf die Gefangenen, als Oberst Howard wieder das Gespräch anknüpfte.

»Still, still, Borroughcliffe!« sagte er, »wir müssen den Leuten keine solche Rekrutenmährchen vormachen, sondern in gutem, reinen, ehrlichen Englisch reden. Gott segne die Sprache und das Land, für welches sie zuerst geschaffen ward! Wir brauchen den Leuten, wenn sie, wie es scheint, wirkliche Matrosen sind, nicht zu sagen, daß ein Kutter von zehn Kanonen nicht den Raum und die Bequemlichkeit von einem Palast haben kann.«

»Nun und auf englische Bauart und englische Kost gebt Ihr nichts, Herr Wirth?« fuhr der unbeugsame Kapitain fort. »Denkt Ihr denn, mein Bester, ich messe Raum und Bequemlichkeit mit Winkelmaaß und Zirkel aus, wie wenn ich den Plan zu Salomo's Tempel machte? Ich will damit nur sagen, die Alacrity ist ein Schiff von sonderbarer Bauart und wunderbarer Eintheilung im Raume. Wie das Zelt des hübschen Bruders von der Fee in dem Mährchen der tausend und einen Nacht, wird sie größer und kleiner, je nachdem es nöthig ist. Nun jetzt, hol' mich der Henker! hab' ich mehr deshalb gesagt, als ihr Kommendant thun würde, wenn er mir zu einem Rekruten verhelfen sollte; und wäre im ganzen Reiche kein Mensch, der von freien Stücken probierte, wie der rothe Rock zu breiten Schultern paßt.«

»Die Zeit ist noch nicht da, und Gott verhüte, daß sie je komme, so lange der Monarch Soldaten braucht, seine Rechte zu schützen!« rief der Oberst. »Aber was meint Ihr denn, Ihr guten Leutchen? Ihr habt nun gehört, was der Kapitain vom Kutter Gutes gesagt hat. Es ist Alles vollkommen wahr, ein wenig Uebertreibung in der Sprache abgerechnet. Wollt ihr Dienste darauf nehmen? Soll ich ein Glas Branntewein für Jeden holen lassen, und das Geld hinlegen, – bis ich vom Kutter benachrichtigt werde, Ihr seyd unter der Fahne des besten Königs angestellt?«

Katharine Plowden schien kaum zu athmen, so gespannt und theilnehmend sah sie auf die Matrosen. Sie glaubte, ein heimliches Lächeln auf ihren Gesichtern zu bemerken. Allein, wenn auch ihre Vermuthung richtig war; so hielt wenigstens die fröhliche Stimmung der Leute nicht lange an. Der, welcher bisher das Wort geführt hatte, erwiederte in derselben ruhigen Weise:

»Ihr werdet es nicht übel deuten, wenn wir den Dienst auf dem Kutter abschlagen. Wir sind an weite Reisen und große Schiffe gewöhnt. Die Alacrity aber dient blos an der Küste, und ist nicht von der Größe, daß sie sich mit einem Don oder Franzmann, der zwei Reihen Zähne hat, Bord an Bord legen kann.«

»Nun, wenn Ihr den Dienst vorzieht, so geht nach Yarmouth. Hier werdet Ihr Schiffe finden, die mit Allem, was schwimmt, anbinden!«

»Je nun, vielleicht wollen die Herren die Sorgen und Gefahren des Ozeans mit einem lustigen und nichtsthuenden Leben vertauschen?« fiel der Kapitain ein. »Eine Hand, die lange mit den Kloben umgegangen ist, kann den Hahn so anmuthig abdrücken, wie ein Mädchen die Taste bei ihrem Klavierspielen. Das Leben des Soldaten und Seemanns hat viel Aehnliches mit einander, aber auch viel Unähnliches. Beim Soldaten – da giebt es keine Stürme, keine halbe Portionen; kein Segel wird eingezogen; es geht kein Schiff unter. Aber immer ist gerade so viel und noch mehr, guter Grog da; man singt, man schlägt die Sorgen todt, indem man bei der vollen Flasche und dem offenen Schnappsack sitzt. Ich habe auch manchmal den Ozean durchkreuzt, und muß sagen, gut Schiff und gut Wetter ist allenfalls mit einem guten Quartier oder Lager zu vergleichen.«

»Wir zweifeln gar nicht, daß Alles wahr sey, was Ihr sagt!« bemerkte der Sprecher wieder: »aber was Euch beschwerlich dünkt, macht uns Freude. Wir haben zu vielen Stürmen getrotzt, um eine Mütze voll Wind zu fürchten, und würden denken, windstill unter dem Aequator zu liegen, wären wir in einer von Euren Baracken, wo es nichts als Kommißbrod zu essen giebt, und auf einem Stückchen Rasen hin und her gegangen wird. Wir wissen kaum die Mündung der Flinte von der Kolbe zu unterscheiden.«

»Nichts damit!« rief Borroughcliffe nachsinnend, und ging rasch auf sie zu, indem er kommandirte: »Achtung! – Rechts um!«

Der Sprecher und der ihm zunächst stehende Matrose sahen ihn schweigend und sich verwundernd an. Aber der dritte, welcher etwas in den Winkel getreten war, als wünsche er unbemerkt zu bleiben, und der vielleicht auch seine gefährliche Lage überdachte, richtete sich bei dem unerwarteten Zuruf so geschwind rechts, als stünde er auf dem Paradeplatze.

»Ei, Ihr seyd gute Rekruten, und könnt was lernen! Das sehe ich schon!« fuhr der Kapitain fort. »Hört, Oberst, ich denke, das Beste ist, wir behalten die Leute bis Morgen früh da. Aber ich möchte ihnen doch gern eine bessere Lagerstätte anweisen; als die Wachtstube hat.«

»Handelt nach Euerm Belieben, Kapitain!« versetzte Howard. »Ich weiß, Ihr habt blos die Pflicht gegen unsern königlichen Herrn vor Augen. An Essen soll er ihnen nicht fehlen, und über den Domestikenzimmern können sie Quartier bekommen.«

»Drei Stuben, Oberst, müssen wir haben, und sollt' ich meine eigne hergeben,« raunte der Kapitain dem Wirthe in's Ohr.

»Es sind mehrere leere Gemächer da,« gab dieser zur Antwort, »wo ein Lager zurecht gemacht werden kann. Eine Schildwache kann davor kommen, wenn Ihr es nöthig haltet, ob ich sie schon für gute, ehrliche Matrosen halte, die sich eine Ehre daraus machen mögen, ihren König zu dienen, und mit dem größten Vergnügen jeden Don oder Monsieur begrüßen würden.«

»Morgen wollen wir mehr darüber sprechen;« sagte der Kapitain treibend. »Ich sehe, Miß Plowden wird böse, weil wir ihre Geduld so lange mißbrauchen, und kalter Thee ist, wie die Liebe mit grauem Haar, eben nichts Angenehmes. Kommt ihr Leute. En avant! Ihr habt die Tuilerien gesehen, und müßt also ein Bischen Französisch gelernt haben. Herr Christoph Dillon, wißt ihr, wo ihre drei Zimmer liegen, und wie sie beschaffen sind, wie Ihr in Euern Akten sagt?«

»O ja, mein Kapitain!« erwiederte das gefällige Rechtsmännchen. »Ich werde Euch recht gern dahin bringen. Euer Benehmen ist ganz dem eines klugen und thätigen Offiziers entsprechend, denn ich zweifle sehr, ob Durham Castle, oder jedes andere Schloß, lange für sie fest genug seyn wird.«

Die Leute waren, während er so sprach, bereits hinaus, und auf sie hatten diese Bemerkungen keinen Eindruck gemacht. Aber Katharine Plowden war einige Augenblicke allein. Sie dachte über das, was sie gesehn und gehört hatte, mit einem, ihrem fröhlichen, lebendigen Geiste sonst fremden Ernste nach. Jetzt hörte sie den Fußtritt der Fortkehrenden schwächer werden. Ihr Vormund kam allein zurück, und ermahnte das Mädchen an ihre Schuldigkeit.

Während sie den Theetisch ordnete, warf sie manchen heimlichen Blick auf den Obersten. Er schien ernst und nachdenkend, ohne daß aber auf seiner offenen Stirn Strenge oder Verdacht zu lesen war.

»Das heißt, sich recht viel unnütze Mühe mit den wandernden Seeleuten machen!« sagte endlich Katharine. »Es scheint ordentlich dem Herrn Christoph Dillon eigenthümlich zu seyn, Alles, was in seine Nähe kommt, zu quälen.«

»Was hat denn Dillon mit der Verhaftung der Leute zu schaffen?«

»Was? Nun, hat er nicht damit angefangen, bei ihrer Verhaftung Gevatter zu stehn? Bei meiner weiblichen Gelassenheit! Ich denke, Oberst, dieser Vorfall wird der Abtei St. Ruth noch neuen Ruhm erwerben. Sie heißt bereits Haus, Abtei, Palast, hier und da gar Schloß! Laßt Dillon nur sein Wesen vier Wochen lang treiben; so wird noch der Name ›Gefängniß‹ dazu kommen.«

»Dillon ist nicht so glücklich, Miß Plowden's Gunst zu besitzen. Aber doch ist er ein braver junger Mann, ein guter junger Mann, und ein verständiger junger Mann. Ja, und was noch mehr, als das Alles sagen will, Christoph Dillon ist auch ein getreuer und loyaler Unterthan unsers Königs. Seine Mutter war mir Geschwisterkind, und wer weiß, wie bald ich ihn meinen Neffen nennen kann. Die Dillon's sind von guter inländischer Abkunft, und ich denke, selbst Katharine Plowden giebt zu, daß die Howard's auch auf einen Namen Anspruch machen können.«

»Ach, das ist es ja eben, worauf ich anspiele!« versetzte Katharine schnell. »Vor einer Stunde erst waret Ihr böse, lieber Vormund, daß ich Euch zu verstehen gab, man könne wohl den Kerkermeister hinter dem Namen Howard setzen, und jetzt laßt Ihr Euch das Amt desselben in Gottes Namen aufbürden.«

»Ihr vergeßt, Miß, daß der Wille eines Offiziers Sr. Majestät über die Verhaftung dieser Leute entschied.«

»Aber ich denke, die glorreiche brittische Konstitution, die Ihr mir so oft vorhaltet, giebt Jedem, der diese gesegnete Küste berührt, die Freiheit? Ihr wißt ja, wie wenig von zwanzig Schwarzen, die Ihr mitbrachtet, Euch übrig blieben. Die Andern flogen auf den Flügeln der britischen Freiheit dahin!«

Das hieß im Herzen des Obersten eine verharschte Wunde aufreißen, und das ihn herausfodernde Mädchen kannte die Wirkung, die ihre Worte wahrscheinlich haben würden, recht gut. In heftigen Zorn gerieth der Vormund nicht, wie wohl bei unbedeutenden Gelegenheiten zu geschehen pflegte; aber mit aller Würde im Blicke stand er auf, und unterdrückte seine Gefühle, soweit der Anstand es nöthig machte, sich zu empfehlen.

»Die Brittische Constitution ist wohl glorreich!« sagte er. »Diese Insel ist der einzige Ort, wo die Freiheit eine Stätte finden kann. Die Tyrannei und Unterdrückung des Congresses, der die Kolonieen in Armuth und Elend stürzt, ist dieses Namens nicht werth. Rebellion besudelt Alles, womit sie in Berührung kommt. Oft beginnt sie unter dem geheiligten Namen der Freiheit; aber immer endet sie mit Despotismus. Dies zeigt die Weltgeschichte von den Zeiten der Griechen und Römer bis auf den heutigen Tag. Da war ein gewisser Julius Cäsar – auch so ein Volksmann – der wurde endlich Tyrann. Oliver Cromwell erst ein Rebell, ein Demagoge, endlich ein – Tyrann. Diese Stufen sind so unvermeidlich, wie die der Kindheit und Jugend, der Jugend und des Alters. Was die kleine Angelegenheit betrifft, die Ihr da von meinen Privatverhältnissen vorbringt: – hm, da kann ich nur bemerken, daß Staatsangelegenheiten nicht nach häuslichen Vorfällen zu beurtheilen sind, so wenig die letztern mit der Politik zusammenfallen.«

Der Oberst nahm den Gegensatz, wie mancher Logiker, für einen Beweis selbst, und schwieg einen Augenblick, seine eigne Beredsamkeit zu bewundern. Allein der Gedankenstrom, der sich bei ihm über den Gegenstand gebildet hatte, riß ihn in seinem Laufe fort.

»Ja,« sagte er wieder, »ja, hier allein wird die wahre Freiheit gefunden. Und mit dieser feierlichen Versicherung, die nicht in den Wind hinein gegeben wird, sondern die Frucht von sechzigjähriger Erfahrung ist; empfehle ich mich, Miß Plowden. Laßt Euch das zur sorgfältigen Ueberlegung gesagt seyn: denn ich weiß recht gut, daß Eure politischen Irrthümer Euch in Eurer Schwachheit bestärken. Bedenkt es, Eurer selbst wegen, wenn Ihr in der Welt nicht blos glücklich, sondern nach geachtet und in Ansehn seyn wollt. Was die schwarzen Hunde anbelangt, wovon Ihr sprecht; so gehören sie zu einer rebellischen, meuterischen, undankbaren Raçe – und treffe ich je auf einen der verdammten – «

Der Oberst hatte seinen Unwillen so weit bezähmt, daß er bereits zur Thür hinaus war, ehe er mit der Lobrede auf die Schwarzen zu Ende kam. Katharine stand noch einen Augenblick, und hielt den Finger auf den Mund, immer noch lauschend, was er auf dem Korridor declamirte, bis endlich die Töne, als eine ferne Thüre verschlossen war, nicht mehr gehört wurden. Das wilde Mädchen schüttelte jetzt die schwarzen Locken, und ein selbstzufriedenes Lächeln mischte sich mit dem Ausdrucke des Bedauerns, als sie mit geschäftiger Hand das Theezeug in einen unordentlichen Haufen zusammenschob, und mit sich selbst sprach:

»Das Experiment war vielleicht grausam; aber es hat gewirkt. Wir sind zwar Gefangene; aber doch für die übrige Nacht frei. Die geheimnißvollen Seeleute müssen näher erforscht werden. Wenn nicht der stolze Blick Eduard Griffith's unter der schwarzen Perücke des Einen glänzte, will ich mich auf kein Gesicht mehr verstehn. Und wo muß denn der Herr Barnstable sein niedliches Gesichtchen versteckt haben? Denn unter den Andern war er nicht! – Doch jetzt zu Cecilien!«

Und damit schlüpfte die flüchtige Gestalt, immer noch sprechend, aus dem Zimmer. Sie eilte durch die spärlich erleuchteten Gänge dahin, und verschwand in einer der Gallerieen, die zu den verborgensten Zimmern der Abtei führte.

 

Ende des ersten Theils.


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