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Altes Sprichwort |
Zur Zeit, als Augustus sich zum römischen Kaiser gemacht hatte, schmachtete die ganze damals bekannte Welt unter dem Joch der Römerherrschaft. Geldgierige und gewalttätige Statthalter des Kaisers sogen die Länder des Orients aus und nahmen den Bewohnern noch das wenige, was ihnen von ihren einheimischen Fürsten gelassen wurde, welche die Römer aus Gründen einer klugen Politik nicht überall abschafften. Freiheit, Leben und Eigentum der Menschen waren der Willkür der Herrschenden preisgegeben: ihr Zustand war ein trostloser, und der unterdrückte Orient seufzte nach Erlösung von dem harten Joch.
Alle unterdrückten Völker hoffen auf einen Helden, welcher sie aus der Knechtschaft erlösen wird, und die Dichter schaffen eine Sage und werden Propheten. Die aus dem Gefühl und Bedürfnis des Volkes hervorgegangene Prophezeiung wird häufig Ursache ihrer Erfüllung.
Die geknechteten Völker des Orients hofften auf einen solchen Befreiungshelden, den Messias, unter welchem sie sich eine Art von Washington oder Garibaldi dachten, der sie von dem verhaßten Römerjoche befreien sollte.
An diese Messiashoffnung klammerten sich die Menschen jener Zeit um so fester und inbrünstiger, als sie sonst keine Hoffnung und keinen Trost nach irgendeiner Richtung hin hatten und von ihrer eigenen Ohnmacht, sich selbst zu helfen, vollständig überzeugt waren. Sogar außerhalb der Erde fanden ihre trostlosen Herzen keinen Stützpunkt. Die Götter hatten ihren Kredit verloren, und der Glaube an ihre Hilfe und unparteiische Gerechtigkeit war niemals besonders groß gewesen. Der Olymp verkehrte wenig mit dem Plebs, sondern hielt sich zur Aristokratie. Die von Homer und Hesiod erfundenen Götter, denen die Griechen und ihre Geistesvasallen Tempel erbauten, waren der gebildeteren Klasse ein Spott geworden. Der Glaube des Volkes an ihre Hilfe erstreckte sich vielleicht ungefähr so weit als der norddeutscher Katholiken an die der Heiligen.
Die Hoffnung auf den Messias war unter den Juden noch lebhafter und ungeduldiger, weil ihnen die Herrschaft der Römer noch verhaßter war als anderen Völkern. Sie hatten eine Vergangenheit, auf welche sie mit Stolz zurückblickten; sie glaubten das auserwählte Volk Jehovas zu sein, welcher als ihr unsichtbarer König galt, der stets seit Moses durch die Propheten mit ihnen verkehrte. Die Knechtschaft, in welche sie verfielen, betrachteten sie als eine für ihren Ungehorsam von Jehova über sie verhängte Strafe, und da diese schon lange dauerte und hart empfunden wurde, so war es natürlich, daß ihre Dichter, die Stimmen des Volksherzens, an Prophezeiungen reich waren. Die Römer waren den Juden als Heiden ein besonderer Greuel; sie meinten, ihre Not und Demütigung könne keinen höhern Grad erreichen und die Zeit des Erscheinens des Messias müsse nahe sein. David und sein Sohn waren ihre größten Könige gewesen, und die Propheten hatten verkündet, daß der Messias aus dem Geschlechte Davids entstehen solle. Die Religion der Juden, die schon von Anbeginn hauptsächlich in der Beobachtung von bestimmten Vorschriften bestand, die Moses mit klugem Sinn für die Regenerierung des jüdischen Volkes gab und als unmittelbare Gebote Jehovas darzustellen für zweckmäßig fand, war im Laufe der Jahrhunderte zu einem leeren Zeremoniendienst ausgeartet. Die Zeit war reif für das Erscheinen des Messias. Der Erlöser erschien; allein er erschien in einer andern Gestalt, als ihn das Volk träumte; das Volk erkannte ihn nicht an, und die Aristokratie verachtete, verfolgte und kreuzigte ihn; denn kamen seine Grundsätze zur Geltung, so zerstörten sie nicht sowohl die Herrschaft der Römer, sondern machten der ihrigen ein Ende. Jesus war ein Revolutionär, der auch in unserer Zeit, wenn nicht gekreuzigt, doch standrechtlich erschossen oder in ein Zuchthaus gesperrt werden würde.
Der als der von den Propheten verheißene Messias auftretende Jesus, der Sohn eines kleinen Handwerkers aus einem Landflecken, lehrte: »Es gibt nur einen Gott, er ist ein Gott der Liebe und kein zorniges, rachedurstiges Wesen, sondern ein gütiger Vater aller Menschen. Das Leben auf dieser Erde ist nur eine Vorbereitung für ein ewiges Leben mit Gott, und es ist in die Hand eines jeden gegeben, dasselbe zu einem freudenreichen zu machen. Könige und Sklaven sind vor Gott gleich, und er richtet und belohnt die Menschen nicht nach ihrem Ansehen auf Erden, sondern nach ihren Handlungen und Absichten. Die Letzten und Geringsten, die ihre Leiden und Entbehrungen am geduldigsten tragen und tugendhaft bleiben, werden im ewigen Leben die Ersten, die Glücklichsten sein.«
Diese Lehre war Balsam für die verzweifelnden Herzen der Armen; wer an sie glaubte, fest und innig glaubte, dem gab sie Kraft, alle und selbst die herbsten Leiden nicht nur zu ertragen, sondern selbst mit Freuden zu tragen und dem Tod ohne Furcht entgegenzugehen, denn derselbe war eine Erlösung, die Pforte zu einem ewigen Leben voll Glück. Der Glaube an diese Lehre raubte in der Tat »dem Tod den Stachel«, er erlöste die Menschheit.
So trostreich diese Verheißung auch klang, so wenig ließ sich ihre Wahrheit beweisen; denn vor der prüfenden Vernunft besteht sie ebensowenig wie irgendeine andere, die über den Tod hinausreicht. Jesus substituierte nur eine Behauptung durch eine andere; da aber der Glaube an seine Behauptung die Menschheit glücklicher machte als jeder andere, da er sie von den Leiden der Erde und der Furcht vor dem Tode erlöste, so war es ein sehr verdienstliches Werk, denselben zu erzeugen. Der in der Lehre enthaltene Trost machte die Menschheit diesem Glauben sehr geneigt; allein der alte Glaube der Juden beruhte auf der Autorität von Männern, die als Propheten galten, mit Gott in direktem Verkehr zu stehen vorgegeben und dieses Vorgeben durch wunderbare Handlungen unterstützt hatten.
Aller Glaube ist Autoritätenglaube; wollte der Sohn des Zimmermanns aus Nazareth, dessen Eltern und Geschwister man kannte, Glauben an seine Autorität gewinnen und als Prophet, als der Messias anerkannt werden, so mußte er Handlungen verrichten, wie sie die Propheten verrichtet hatten. Alle Propheten von Moses an hatten »Wunder« getan; also mußte Jesus Wunder verrichten und verrichtete sie.
Selbst eine auf dem Wege vernünftiger Untersuchung gefundene Wahrheit kommt noch heutigen Tages nicht zur Geltung, wenn sie nicht durch äußere Umstände unterstützt wird und nicht in zeitgemäßem Gewände auftritt, besonders wenn sie viele Interessen verletzt, und selbst Aberglauben hat weit größere Aussicht auf augenblicklichen Erfolg, wenn er diesen Interessen schmeichelt. Der Glaube, den Jesus erzeugen wollte, obwohl dem Armen und Unterdrückten Heil verheißend, verletzte die Interessen der herrschenden Klasse. Auf ihre Mithilfe konnte Jesus nicht rechnen, und durch Wunder waren sie nicht zum Glauben zu bringen; denn die Wissenden und Eingeweihten wußten, was sie von Wundern zu halten hatten. Die Heilsamkeit des Glaubens für das Volk, den Jesus predigte, konnte sie nicht bewegen, ihn zu unterstützen, selbst wenn sie ihn einsahen; ihr Egoismus veranlaßte sie vielmehr, diesen Glauben womöglich im Keim zu unterdrücken und dessen Urheber zu vernichten. Die heutigen Hohenpriester und Pharisäer handeln ebenso wie die unter den Juden in jener Zeit.
Jesus mußte sich also gänzlich auf das Volk stützen. Er verfuhr dabei auf durchaus praktische, ich möchte sagen mathematische Weise, die zwar keinen augenblicklichen, aber einen sichern Erfolg haben mußte. Er wählte sich als »Jünger« zwölf schlichte, ungebildete Leute aus dem Volk, welchen er durch Beobachtung seines Handelns und seines reinen Wandelns persönliche Liebe und Anhänglichkeit und unbegrenztes Vertrauen einzuflößen verstand, woraus der feste Glaube an alles, was er sagte und verhieß, in ihnen erzeugt wurde. Wenn jeder von diesen Jüngern auf ähnliche Weise verfuhr und dieses System fortgesetzt wurde, so mußte sich die Zahl der Gläubigen nach einer bestimmten Progression vermehren.
Diese Jünger sahen die Wunder Jesu; sie glaubten an ihn und deshalb an seine Verheißung und lebten nach seiner Vorschrift. Seine Lehre war so einfach, daß Jesus es nicht für nötig hielt, sie niederzuschreiben; er vertraute dem lebendigen Worte der Jünger, in deren Herzen er diese Lehre niederlegte.
Derselbe Weg, den Jesus zur Ausbreitung seiner Lehre einschlug, hatte sich schon sechs Jahrhunderte vor dem Auftreten Jesu als praktisch bewährt; Buddha, der Reformator der indischen Religion, hatte ihn angewandt. Der Erfolg war derselbe und, wie wir jetzt beurteilen können, sogar in seinen Ausartungen und deren Folgen. Europäer, welche zum erstenmal in einen modernen buddhistischen Tempel in China treten, sind erstaunt über die Ähnlichkeit, die sie überall in den Gebräuchen mit denen der römischen Kirche finden. Die Buddhisten haben ihre Rosenkränze, Reliquien und Klöster so gut wie die römischen Katholiken.
Buddha war jedoch der Sohn eines Königs, Jesus der Sohn eines Handwerkers, und diese Verschiedenheit bedingte schon eine Verschiedenheit der Handlungsweise. Während dem Prinzen ein tugendhaftes Leben genügte, den Brahminen gegenüber seine revolutionären, den Kastenunterschied aufhebenden Lehre Erfolg zu sichern, mußte der unter den Juden als Prophet auftretende Handwerkerssohn außerdem »Wunder« tun und, damit »die Prophezeiungen der Propheten erfüllt würden«, für seine Lehre sterben.
Dieser Opfertod erschien Jesus als eine Notwendigkeit; er war eine reiflicher Überlegung entsprungene Handlung. Daß dieses Opfer ein sehr schweres war und Jesus unter Herzensangst darüber nachdachte, ob sich nicht ein anderer Weg finden lasse, geht aus den Evangelien ganz klar hervor. Am Ölberg betete er: »Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe.«
Wir sind es gewohnt, wenn wir an Jesus denken, ihn uns mit der Glorie vorzustellen, mit der ihn der Erfolg und neunzehn Jahrhunderte bekleideten; allein wenn er auch die Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen, das heißt der Juden und der in ihrem Lande befindlichen Römer, erregte, so war er doch vom Volke sehr bald vergessen, und sein Andenken lebte nur in dem sehr beschränkten Kreise seiner Jünger und deren Anhänger. Philo, der ungefähr zwanzig Jahre nach dem Tode Jesu starb, erwähnt ihn gar nicht. Josephus, der einige Jahre später geboren wurde und sein Geschichtswerk in den letzten Jahren des ersten Jahrhunderts schrieb, erwähnt ganz beiläufig mit wenigen Worten seine Hinrichtung; allein die Zahl der Anhänger seiner Lehre war noch so gering und unbedeutend, daß dieser Geschichtsschreiber, der alle Sekten aufzählt, die zu seiner Zeit bestanden, die Christen gar nicht mitnennt. Erst in den Schriften späterer Jahrhunderte wird Jesus als der Stifter der christlichen Religion genannt.
Alles, was wir von Jesus wissen, wissen wir durch die Schriften seiner Jünger, die aus der Erinnerung aufzeichneten, was sich das Volk von der Jugend Jesu erzählte und was sie mit ihm erlebt und er bei dieser oder jener Gelegenheit gesagt hatte. Diese Jünger waren Leute aus dem Volk, ohne besondere Bildung und Talent, die Jesus liebten und an ihn glaubten, ihn aber nur sehr unvollkommen verstanden und von seiner Seelengröße keinen Begriff hatten. Die Evangelien wurden viele Jahre nach dem Tode Jesu niedergeschrieben, und selbst das des Matthäus, welches das älteste ist, entstand erst etwa vierzehn Jahre danach. Es ist daher sehr begreiflich, daß die Reden Christi nicht so wiederholt werden konnten, wie er sie sprach, sondern meist in der Weise wiedergegeben wurden, wie sie von den Jüngern verstanden wurden. Die natürliche Folge davon ist, daß die verschiedenen Erzählungen nicht nur voneinander abweichen, sondern auch Irrtümer und Widersinnigkeiten enthalten, welche späterhin zu den wahnwitzigsten Auslegungen und Folgerungen Veranlassung gaben, wovon wir im Verlaufe dieses Werkes zahlreiche Beispiele finden werden.
Hier wollen wir nur zwei Hauptmomente in Betracht ziehen, auf welche die römische Kirche den allergrößten Wert legt, indem sie weit mehr auf diese als auf die Lehre Jesu selbst basiert ist. Es sind dies die ihm zugeschriebene Göttlichkeit und die von ihm verrichteten Wunder.
In der Einleitung haben wir uns über die Wunder ausgesprochen. Sind die dort ausgeführten Folgerungen richtig, so konnte Jesu keine Wunder verrichten, und die ihm zugeschriebenen wunderbaren Handlungen geschahen auf natürliche Weise. Die Jünger, welche darüber als Augenzeugen berichten, sprachen die Wahrheit, das heißt, sie erzählten, was sie sahen, wie sie es verstanden. Sie kannten die Mittel nicht, durch welche diese Handlungen bewirkt wurden, denn wäre dies der Fall gewesen, so würden die Wunder ihnen nicht als solche erschienen sein und gerade die damit bezweckte Absicht, Glauben an Jesus zu erwecken, verfehlt haben. Was nun die Art der Erzählung der Jünger von dem Geschehenen selbst anbetrifft, so wird man sie leicht begreifen und beurteilen können, wenn man die Erzählung eines ungebildeten Mannes, zum Beispiel eines in sein Dorf zurückgekehrten Bauern, anhört, der in der Residenz den Vorstellungen eines »Zauberers« beiwohnte, welcher sein Publikum durch geschickte und sinnreiche Anwendung von mehr oder weniger bekannten natürlichen Kräften in Erstaunen versetzt.
Die Hinweisung auf sogenannte Taschenspielerkünste in Verbindung mit den von Jesus verrichteten Wundern hat für Christen etwas Widerwärtiges und Abstoßendes; allein das liegt mehr in der besonderen Ansicht, die sich in bezug auf die Person Jesu Geltung verschafft hat, und in der verhältnismäßig geringen Achtung, in welcher moderne Zauberer in einer Zeit stehen, in welcher die Wissenschaft schon so weit vorgeschritten ist, daß ihre Resultate zu Spielereien und zur bloßen Unterhaltung des Publikums benutzt werden können, ohne dasselbe wirklich zu täuschen.
Was den Enkeln kindisch und trivial erscheint, wurde aber oft von unseren Großeltern mit dem größten und furchtbarsten Ernst behandelt, wovon zum Beispiel das Hexenwesen einen betrübenden Beweis liefert, da diesem Aberglauben Hunderttausende unschuldiger Menschen zum Opfer fielen.
Wenn wir als wahr annehmen, daß Jesus wunderbare Handlungen verrichtete, und zu dem vernünftigen Schluß gekommen sind, daß sie keine Wunder waren, so müssen wir auch erstlich zugeben, daß sie zu einem bestimmten Zweck verrichtet wurden, und andererseits, daß sie »mit natürlichen Dingen« zugingen.
Der Zweck war offenbar der, die Jünger und andere zu überzeugen, daß Jesus mit höheren Kräften begabt sei als die gewöhnlichen Menschen, was durchaus nötig war, um ihn als Propheten, als den verheißenen Messias zu legitimieren und Glauben an seine göttliche Sendung zu erwecken, ohne welchen das große, die Menschheit erlösende Werk absolut nicht zu vollbringen war und zu welchem erhabenen Zweck Jesus selbst sein Leben opferte.
Gingen die Wunder aber mit »natürlichen Dingen« zu, so mußte Jesus eine Kenntnis dieser natürlichen Dinge und diese auf irgendeine natürliche Weise erworben haben, da es auf eine wunderbare, das heißt naturwidrige Weise, nicht geschehen sein konnte. Diese Kenntnisse verborgener natürlicher Kräfte sind Resultate der forschenden Wissenschaft, und es drängt sich uns natürlich die Frage auf: wo erwarb der Sohn eines Handwerkers diese Kenntnisse, welche selbst den Gebildetsten unter den Juden verborgen waren?
Ein römischer Schriftsteller, welcher beiläufig sagt, daß in Judäa ein Mann namens Jesu hingerichtet worden sei, welcher wunderbare Handlungen verrichtete, die er in Ägypten erlernte, gibt uns einen Anhaltspunkt, da die Evangelien über die Erziehungsperiode Jesu gänzlich schweigen und uns über sein Leben von seinem zwölften bis zu seinem dreißigsten Jahr gänzlich im Dunklen lassen.
Schon in der Einleitung haben wir erwähnt, daß die ägyptischen Priester in den Naturwissenschaften weit vorgeschritten waren und ihre Kenntnisse für sich behielten, da die Wissenschaft ihnen die Herrschaft über das Volk sicherte. Diese Wissenschaft gab ihnen natürlich auch andere Anschauungen über das Wesen Gottes und die Religion, und diejenige, welche sie selbst hatten, war sehr verschieden von derjenigen, welche sie für das Volk für zweckmäßig hielten und demselben lehrten.
Ägyptische Künste waren in der damaligen Welt weit und breit berühmt, und man belegte mit diesem Namen fast alle wunderbaren Handlungen, die man sich auf natürliche Weise nicht erklären konnte. Wenn daher der römische Schriftsteller sagt, daß Jesus die wunderbaren Handlungen, die er verrichtete, in Ägypten erlernte, so ist das wohl noch nicht gerade als ein Beweis zu betrachten, daß Jesus in Ägypten erzogen wurde; allein die Wahrscheinlichkeit dieser Behauptung wird durch andere Umstände bedeutend vermehrt, – und am Ende mußte doch Jesus irgendwo zu dem Manne erzogen sein, der er war, was in Nazareth, wo seine Eltern lebten, ganz sicher nicht möglich war.
Die Ähnlichkeit der Wunder, welche Moses und nach ihm die Propheten verrichteten, mit denen Jesu macht es wahrscheinlich, daß sie aus derselben Quelle, Ägypten, stammten.
Moses war von der Tochter Pharaos gerettet und durch ihre Vermittlung mit der Erlaubnis des Königs von den Priestern so gut erzogen worden, wie es nur der Sohn des Königs selbst hätte wünschen können. Wie uns der jüdische Schriftsteller Josephus erzählt, offenbarte der Knabe einen sehr kräftigen Sinn, und es ist wahrscheinlich, daß man ihn mit großer Sorgfalt und Liebe in die Geheimnisse ägyptischer Wissenschaft einweihte und daß er in den erlernten Künsten selbst die ägyptischen Priester übertraf, welche ihm der König entgegenstellte, als er seine Wissenschaft zur Befreiung der Juden aus der ägyptischen Knechtschaft anwandte.
Seit jener Zeit vererbte sich die Wissenschaft unter den Juden, allein nur an einzelne, an Propheten, da sie sonst ihren Zweck verfehlt haben würde. Als die Könige der Juden gegen das Volk tyrannisch wurden und sahen, daß ihnen die Propheten widerstrebten, verfolgten sie dieselben, rotteten sie aus, wo sie konnten, und zerstörten ihre Schulen. Die geheimen Wissenschaften kamen in Verfall durch diese Verfolgungen und die an Unmöglichkeit grenzende Schwierigkeit, sie zu lehren. Waren doch sogar die Gesetzbücher des Moses gänzlich verlorengegangen, und selbst unter den Königen und Priestern hatten sie sich einzig auf dem Wege der Tradition nur unvollkommen erhalten. Der Priester Hilkia, unter der Regierung des Königs Josias, fand endlich eine Abschrift der Bücher Mosis durch Zufall im Tempel. Die Geburt Jesu erregte ein vorübergehendes Aufsehen durch die damit verknüpften Umstände, welche den mißtrauischen und tyrannischen Herodes veranlaßten, alle in Bethlehem innerhalb zwei Jahren geborenen Kinder ermorden zu lassen. Joseph, der Vater Jesu, heißt es, floh mit seiner Frau und dem Kinde nach Ägypten, ein Land, welches seit den ältesten Zeiten von hebräischen Handelsleuten besucht wurde und in dem eine Menge Juden wohnten, von denen viele stets zum Osterfeste nach Jerusalem kamen.
Joseph soll in Ägypten ungefähr zwei Jahre, nämlich bis zum Tode des Herodes, geblieben sein, und es ist natürlich, daß unter den Freunden, die ihm zur Flucht halfen und in Ägypten unterstützten, der Grund dieser Flucht viel besprochen wurde und daß man für das Kind stets ein besonderes Interesse behielt.
Als Jesus zwölf Jahre alt war, finden wir den Knaben im Tempel, wo er durch seine klugen Fragen und Antworten die Priester und Schriftgelehrten in Erstaunen setzt. Der aufgeweckte Geist des Knaben mochte einige der vornehmen Leute interessieren und Nachfragen nach seiner Herkunft veranlassen, wobei die bei seiner Geburt stattgehabten Vorfälle gewiß wieder zur Sprache kamen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß sich irgend jemand unter diesen Vornehmen veranlaßt fühlte, für die Erziehung Jesu Sorge zu tragen, und daß dies infolge der bei der Flucht nach Ägypten angeknüpften Bekanntschaften in Ägypten geschah.
Die Talente, die Jesus zeigte, mochten Veranlassung werden, daß er zu einer besonderen Rolle ausersehen wurde, welche die Befreiung der Juden vom römischen Joche bezweckte, wie einst Moses dieselben vom Joche der Ägypter befreit hatte.
Die eigentümliche Weise, in welcher sich der Charakter Jesu entwickelte, mochte anderen, oder wahrscheinlich ihm selbst, den weit höheren Gedanken eingeben, diese Erlösung von der Knechtschaft geistiger aufzufassen und durch Schöpfung eines neuen Glaubens die Menschen von der Last des Lebens und der Furcht vor dem Tode zu befreien.
Um diesen Zweck zu erreichen, hielt er es für unumgänglich notwendig, sein Leben zu opfern und große Leiden zu erdulden. Er fand die Kraft dazu in seiner Liebe zu der Menschheit; allein begreiflich ist es, daß die Versuchung ihm nahe trat, die ihm innewohnende geistige Kraft und die erlangte Wissenschaft auf eine andere weniger aufopfernde Weise anzuwenden, indem er als Held und Befreier des Volkes von der Römerherrschaft auftrat. Die Erzählung von der Versuchung durch den Teufel, der ihn auf einen hohen Berg führte und alle Reiche der Erde zeigte, kann schwerlich einen anderen Sinn haben.
Die Wunder des Moses, der Propheten und Jesu aus den in der Bibel enthaltenen Erzählungen erklären zu wollen, wäre ein ganz nutzloses Unternehmen.
Die römische Kirche und andere Wundergläubige werden eine solche Erklärung auch ganz überflüssig finden; sie sagen, Jesus war Gottessohn, Gott selbst, und Gott ist allmächtig. Darauf haben wir schon früher geantwortet; allein es wird nötig sein, auf diese Göttlichkeit etwas näher einzugehen, ehe wir diese Abschweifung von dem eigentlichen, historischen Zweck dieses Kapitels schließen.
Als Jesus auftrat, war der Glaube an die Götter der Griechen unter den in der Nähe der Juden und unter ihnen vorhandenen Fremden noch nicht gänzlich erloschen, und es war von jeher geglaubt, daß sich die Götter unter die Menschen mischten. Der Sohn eines Gottes war den Heiden keine so fremde Erscheinung. Große Könige und Helden wurden durch ihren Glauben zu Göttersöhnen gemacht.
Selbst unter den Juden war dieser Gedanke nicht so unerhört, denn wenn Moses auch für zweckmäßig gefunden hatte, dem Volke die Vorstellung von einem unsichtbaren Gott zu geben, so war der Jehova der alten Juden doch eine sehr verschiedene Vorstellung von dem Gott der heutigen aufgeklärten Juden. Nach den Erzählungen der Bibel sah Adam Gott, und Moses erschien er unter verschiedenen Gestalten; er war also ein persönliches, gewissermaßen körperliches Wesen. Da nun die Juden viel mit den Heiden in Berührung kamen und der Götzendienst selbst unter ihnen eine bedeutende Ausdehnung gehabt hatte, wie wir aus der Bibel sehen, so war es sehr begreiflich, daß viele unter dem Volk einen Mann, der so wunderbare Handlungen wie Jesus verrichtete, für einen Sohn Gottes hielten.
Obwohl Jesus sich Sohn Gottes nannte, so bezeichnete er doch auch alle Menschen als Kinder Gottes, und selbst das Gebet, welches er für alle gab, nennt ihn Vater. – Die Mehrheit der ersten Anhänger Jesu hielt ihn für einen bloßen Menschen, und als einige Schwärmer unter ihnen die Ansicht aussprachen, daß er nur die Gestalt eines Menschen angenommen habe, wurden sie deshalb von seinem Freunde und Schüler Johannes getadelt.
Die Göttlichkeit Jesu ist jedoch der Grundstein der römischen Kirche, und die ganze theologische sogenannte Wissenschaft beruht auf dieser Abgeschmacktheit, die sich übrigens auch in vielen anderen Religionen, namentlich in der indischen, findet und weiter nichts ist als eine Allegorie der Naturreligion.
Es würde mich zu weit von meinem Ziele führen, wenn ich mich auf einen Nachweis darüber einlassen wollte; das haben tiefere Forscher und Geschichtskundige zur Genüge getan. Ich will nur mit wenigen Worten nachweisen, daß die Lehre von der Göttlichkeit Jesu, die ihn in den Augen der Menschen erhöhen soll, abgesehen davon, daß sie eine Dummheit in sich selbst ist, das Verdienst des Erlösers zunichte macht.
Die Kirchenlehrer sind bei der Erklärung dieser Lehre noch weit unklarer als gewöhnlich und hüllen sich in einen Schwall von Worten, die dem nichtdenkenden Volke imponieren, weil es sie nicht versteht, was es in diesem Falle nicht nur mit den Denkern, sondern sogar mit den Erklärern selbst gemein hat, »denn eben wo Gedanken fehlen, da stellt ein Wort zu rechter Zeit sich ein«. So vornehm und entrüstet sich diese Erklärer auch gebärden, wenn man sie über diesen Glaubensartikel befragt, so ist es mir doch noch nie gelungen, irgendeinen klaren, rein vernünftigen Gedanken auf dem Grund ihrer Erklärungen zu finden. Die aufgeklärtesten protestantischen Geistlichen, die ich hörte, suchen den Frager damit abzufertigen, daß sie Jesus einen »Gottmenschen« nennen; was aber keine besondere Menschenrasse oder Klasse, sondern nur ein Mensch ist, dessen Geist sich zu der höchsten Vollkommenheit ausgebildet hat, die eben ein Mensch erreichen kann.
Eine solche Erklärung ist aber eine Ketzerei in den Augen der Kirche, denn diese will, wir sollen glauben, daß Jesus ein nicht von einem menschlichen Geiste, sondern von Gott, der höchsten Potenz geistiger Vollkommenheit, belebter und regierter menschlicher Körper war.
Vor und nach Jesus gab es tugendhafte Menschen, die ebenso rein und tadellos lebten, wie es seine Schüler, die ihn drei Jahre lang täglich beobachteten, von ihm erzählen, und andere, welche noch weit größere Leiden, als sie Jesus erduldete, noch standhafter als er für eine von ihnen für groß und gut gehaltene Sache ertrugen. Ihre Tugend und ihre Kraft waren ihr Verdienst, jedenfalls das Resultat der höheren Ausbildung ihres unvollkommenen menschlichen Geistes. Der Geist aber, der den Körper Jesu belebte, war nach der Kirchenlehre Gott, die höchste Potenz der geistigen Vollkommenheit, also keiner Vervollkommnung bedürftig oder fähig. Ein solcher Geist in einen menschlichen Körper gedacht, hat gar keinen Kampf zu bestehen, da er nicht einmal den Gedanken der Versuchung zuläßt. Tugend und Seelenkraft im Leiden und davon hergeleitetes Verdienst existieren nur für den Menschen, das heißt für einen ursprünglich unvollkommenen menschlichen Geist, der einen menschlichen Körper belebt. Der Gedanke an einen in Versuchung zu führenden oder leidenden Gott setzt eine so niedrige Gottvorstellung voraus, daß sie jedem selbst an einen persönlichen Gott glaubenden Menschen als eine Gotteslästerung erscheinen muß. Ein Gott, der am Kreuze verzweifelt, ist geradezu abgeschmackt und lächerlich.
Wie anders dagegen erscheint uns Jesus, wenn wir ihn als einen Menschen betrachten, dessen zarter Körper von einem rein menschlichen Geiste belebt war! Das reine Leben eines solchen Jesus können wir bewundern und mit der Hoffnung nachahmen, das hohe Muster zu erreichen, da Jesus ein Mensch war; für seine Leiden haben wir Mitgefühl und Tränen, da er ein Mensch war, und für das Opfer, welches er mit seinem Leben der ganzen Menschheit brachte, fühlen wir die innigste Liebe, da es der höchsten, reinsten und uneigennützigsten Liebe entsprungen war.
Die Versuchungen und die Zeichen der Schwäche, sozusagen die Kennzeichen seiner Menschheit, die wir an ihm entdecken, machen ihn uns noch liebenswerter. Welcher fühlende Mensch kann sich der Tränen enthalten, wenn er sich im Geist in die Lage Jesu am Ölberg versetzt. Die Stunde der Erfüllung des großen Opfers naht heran, und der rein menschliche Trieb der Lebenslust macht sich mit aller Kraft und Verlockung geltend. Alle Schrecken des Todes, dem er entgegengeht, stehen vor seinem Geiste, und noch einmal sucht er mit inbrünstiger Hoffnung nach einem anderen Wege, seinen großen Zweck zu erreichen. Er ringt mit dem Tode, und »ein Engel steigt vom Himmel herab, ihn zu stärken«; der Gedanke an die durch seinen Tod vollbrachte Erlösung der Menschen, an die Größe dieses Zweckes ist der stärkende Engel, der ihm den Tod besiegen hilft.
Wie rührend menschlich ist die Handlung Christi bei der Einsetzung des Abendmahls! Wenn seine Jünger das Brot beim Essen zerbrechen und Wein trinken, sollen sie seiner und seines großen Liebesopfers mit Liebe gedenken. Er weiß, daß seine Todesstunde herannaht, und er kennt den bösen Menschen, der als Werkzeug dienen wird, ihn den Henkern zu überliefern; der Gedanke macht ihn traurig.
Die Geschichte seines Leidens ergreift uns nur, weil wir ihn als einen Menschen betrachten, denn Gott ist über den Spott der Kriegsknechte so erhaben, daß er ihn nicht empfindet, und was die körperlichen Mißhandlungen anbetrifft, so überwanden diese ja selbst die gemeinen, mit Jesus gekreuzigten Verbrecher so weit, daß sie ihn verspotten konnten; ein Gott mußte sicher so viel Seelenkraft haben, solche körperliche Schmerzen gar nicht zu empfinden. Er empfand sie aber sehr schmerzlich, und als ihn in seiner Todespein die Kraft verläßt und ihn vielleicht der verzweiflungsvolle Gedanke überfällt, daß sein großes Opfer für die Erlösung der Menschheit nutzlos gebracht sein möchte, ruft er aus: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!« – Welches menschliche Herz erzittert hier nicht in seinen tiefsten Tiefen, und wer ehrt und liebt nicht das Andenken an diesen erhabenen Menschen, der mit vollem Bewußtsein dessen, was ihm bevorstand, aus Liebe für die Menschen sich ein so schweres Opfer auferlegte!
Die Kirche verfehlt nicht, unser Mitgefühl für diese Leiden in Anspruch zu nehmen, und betrachtet dann Jesus ganz als Mensch. Den Pfaffen ist Jesus bald Gott, bald Mensch, wie sie es eben für ihren Hokuspokus brauchen. –
Jesu trostreiche Lehre verbreitete sich mit großer Schnelligkeit. Die Apostel und deren Schüler verbreiteten sie nicht allein in Judäa und den benachbarten Ländern, sondern machten zu diesem Zwecke weitere Reisen und trugen die »frohe Botschaft« (Evangelium) von dem Erlöser der Welt in ferne Länder. Die Zahl der Anhänger, die sie gewannen, war außerordentlich groß, besonders aus der ärmeren Volksklasse, aus der Jesus und die Apostel selbst hervorgegangen waren.
Nachdem Jerusalem siebenzig Jahre nach Jesu Geburt von dem nachherigen römischen Kaiser Titus zerstört worden war, wurden die stets zum Aufruhr geneigten Juden über das ganze römische Reich zerstreut und mit ihnen die Christianer – so nannte man die Anhänger Jesu –, welche als eine jüdische Sekte betrachtet wurden, wie es deren mehrere gab. Dies trug sehr viel zur Ausbreitung des Christentums bei, und gewiß nicht wenig wirkten dafür die zahlreichen Christen unter den römischen Legionen, die der Krieg bald in dieses, bald in jenes Land führte. Zu der Zeit der Apostel und kurz nach derselben führten die Christen ein Leben, wie es den Lehren ihres Meisters würdig war; aber bald artete die Begeisterung, die sie beseelte und ohne welche keine gute Sache gedeihen kann, in religiöse Schwärmerei aus und nahm allmählich den Charakter einer Geisteskrankheit an. Man wollte sich gleichsam in Frömmigkeit überbieten und kam auf die wunderlichste Auslegung der verschiedenen, durch die Apostel aufbewahrten Aussprüche Jesu. Wo er weise Mäßigung empfahl, da glaubte man in seinem Sinne zu handeln, wenn man gänzlich entsagte, und so entstand allmählich die verkehrte Ansicht, daß die Freuden des Lebens verwerflich und eines Christen unwürdig seien. Indem man alle Genüsse mied und sich freiwillig Leiden auferlegte und quälte, glaubte man die Sündhaftigkeit der menschlichen Natur zu überwinden und sich größere Freuden im Leben nach dem Tode zu sichern.
Mit dieser Ansicht verband sich bald eine Art von Hochmut, die sich unter äußerer Demut versteckte. Der roheste Christ hielt den gebildetsten und tugendhaftesten Nichtbekenner Jesu für einen Verworfenen; ja er glaubte sich durch jede nähere Gemeinschaft mit den Heiden zu verunreinigen. Aus diesem Grunde sonderten sich die Christen bald ganz und gar von diesen ab, zerrissen die zwischen ihnen bestehenden Verwandtschafts- und Freundschaftsverhältnisse und flohen alle Lustbarkeiten und Feste gleich Verbrechen. Mit einem Wort, trotz aller Tugendhaftigkeit und Rechtschaffenheit ihres Lebens fingen sie an, kopfhängerische, trübselige Narren zu werden.
Die mit Schnelligkeit anwachsende Menge der Christen, ihr menschenfeindliches, abgesondertes Wesen, ihre geheimnisvollen Zusammenkünfte, denen die Verleumdungen der jüdischen und heidnischen Priester bald politische und verbrecherische Zwecke unterlegten, ihr feindseliges Benehmen gegen die Heiden, – alles dies erregte die Aufmerksamkeit der römischen Regierung; allein sie befolgte die sehr vernünftige Politik, sich nicht um die Religion ihrer Untertanen zu bekümmern, wenn diese nicht die Veranlassung wurde zu Feindseligkeiten gegen die Einrichtungen des Staates und seine Gesetze. Die Christen hätten also ungestört unter der römischen Herrschaft leben und sich entwickeln können, wenn sie sich von solchen Vergehungen ferngehalten hätten, die kein Staat ungestraft lassen kann. Dies taten sie aber nicht, sondern in ihrem fanatischen Eifer forderten sie gleichsam die Regierung heraus. Sie verweigerten auf Grund ihrer Religion die allgemeinen Bürgerpflichten, wollten weder in den Krieg ziehen noch öffentliche Ämter annehmen und bewiesen den Kaisern Verachtung anstatt ihnen die herkömmlichen Ehren zu erzeigen. Es war daher ganz natürlich, daß diese die Sekte der Christen für staatsgefährlich erkannten und beschlossen, sie zu zwingen, sich den Gesetzen des Staates zu unterwerfen und sie für die Verletzung derselben zu bestrafen. Darin waren die Kaiser in ihrem vollsten Recht, und wir finden, daß gerade die besten und weisesten unter ihnen gegen die widerspenstigen Christen am strengsten verfuhren.
Sie erreichten indessen ihren Zweck nicht, sondern bewirkten gerade das Gegenteil von dem, was sie bewirken wollten. Die Verachtung des Lebens und aller Leiden war bei den schwärmerischen Christen so hoch gestiegen, daß sie den Tod als höchst wünschenswert betrachteten, sich scharenweise den Händen ihrer Verfolger überlieferten und diese durch ihren herausfordernden Trotz zur größten Grausamkeit anregten. Je größere Leiden die Christen um Jesu willen erduldeten, desto größer fiel ihrer Meinung nach die Belohnung aus, die sie im verheißenen ewigen Leben erwartete.
Die Standhaftigkeit, mit welcher die Geopferten den qualvollsten Tod ertrugen, und die religiösen Ehren, welche die Gemeinde dem Andenken der Märtyrer widmete, fachten die Schwärmerei der Christen zum Fanatismus an. Der Märtyrertod erschien als das höchste Glück, weil man glaubte, daß er alle Sünden tilge und sogleich zu Jesus in das Paradies führe. Diese Märtyrerschwärmerei nahm so überhand, daß die Besonnenen unter den Christen, welche das Unmoralische einer solchen Lebensverachtung einsahen, vergeblich dagegen ankämpften.
Die Heiden, welche Zeugen von der Standhaftigkeit und Freudigkeit waren, mit welcher die Christen die ärgsten Qualen und den Tod erduldeten, wurden mit Bewunderung erfüllt für eine Religion, die solche Kraft gab, und bekannten sich in Menge zu derselben. Die Zahl der Christen nahm täglich zu, gewann immer mehr Eingang auch unter den höheren Ständen und selbst am Hofe der Kaiser. Endlich kam es dahin, daß Kaiser Konstantin, der 324 bis 337 regierte, es aus politischen Gründen für gut hielt, die christliche Religion zur Staatsreligion zu machen. –
Die Christen zur Zeit der Apostel hatten sich von der Gemeinschaft der Juden nicht getrennt, denn sie betrachteten sich vielmehr als die wahren Israeliten und Jesum als den längst erwarteten Messias. Endlich zwang sie aber die Feindseligkeit der Juden, eine eigene Gemeinde zu bilden.
Die Verfassung dieser ersten christlichen Gemeinde war wie die einer jeden Gesellschaft, die aus gleichstehenden Mitgliedern besteht, denn alle Christen nannten sich Brüder. Keiner hatte vor dem andern einen Vorrang, und sowohl ihre Pflichten als ihre Rechte waren vollkommen gleich.
Zu ihren Vorstehern wählte die Gemeinde einige in allgemeiner Achtung stehende Männer, welche Presbyteren (Älteste) oder auch Bischöfe (episcopi, Aufseher) genannt wurden. Ihr Amt war es, Ruhe, Eintracht und Ordnung in der Gemeinde zu erhalten, ohne daß sie deshalb einen höheren Rang eingenommen hätten als den, welchen ihnen die Achtung der übrigen Brüder freiwillig einräumte. Den Presbyteren standen Diakonen (Helfer) zur Seite, welche die reichlich beigesteuerten Almosen an die ärmeren Gemeindemitglieder austeilten und andere kleine Geschäfte übernahmen, die nicht schon von den Ältesten verrichtet wurden.
Die Gemeinden der ersten Christen waren vollkommene Republiken, und selbst die Apostel, welche mehrere derselben stifteten und eine Art Oberaufsicht über sie führten, maßten es sich nicht an, eigenmächtig über die Gesellschaft betreffende Einrichtungen zu bestimmen, sondern begnügten sich damit, den Gemeinden mit Rat und Tat an die Hand zu gehen. Der Apostel Petrus machte es den Ältesten ausdrücklich zur Pflicht, daß sie über die Gemeinden nicht herrschen, sondern sie durch ihr musterhaftes Beispiel leiten sollten. Das taten auch die Presbyteren der alten Zeit; sie betrachteten sich als die Diener der Gemeinde, welche sie für ihre Dienste durch freiwillige Geschenke belohnte.
Einen äußerlichen Gottesdienst kannte man nicht; die religiösen Versammlungen der apostolischen Christen fanden statt ohne alle Zeremonien und auf die Sinne berechnete Gebräuche. Man kam zusammen in irgendeinem geräumigen Saale, ohne denselben weder zu diesem Zwecke auszuschmücken, noch ihm eine besondere Weihe und Heiligkeit beizumessen, denn dergleichen erschien den Christen als heidnische Torheit.
Die Versammlungen waren einzig und allein der Belehrung und Erbauung gewidmet. Man las in ihnen die Briefe der umherreisenden Apostel vor oder Stellen aus den heiligen Büchern der Juden. Dann folgte ein belehrender Vortrag, den wohl meistens einer der Presbyteren hielt oder auch irgendein anderes Mitglied der Gemeinde, welches sich dazu geeignet und berufen fühlte. Das Gehörte wurde dann besprochen und den Unwissenden das erklärt, was sie etwa nicht verstanden hatten. So waren diese Versammlungen der Christen der apostolischen Zeit die ersten Volksschulen. Nach der Besprechung setzte man sich zu einem gemeinsamen Mahle nieder – welches Liebesmahl hieß –, und am Schluß oder auch am Anfange wurde Brot und Wein herumgereicht und beim Genuß desselben mit Rührung und Dankbarkeit des für die Menschheit gestorbenen Jesus gedacht, wobei auch wohl die Worte wiederholt wurden, die er bei der Einführung dieses schönen Gebrauchs sprach. Den Schluß der Versammlung machte eine Beisteuer für die Armen.
Leider änderte sich aber dieser würdige und einfache Zustand der christlichen Gemeinden sehr bald und ging endlich in die Form der heutigen katholischen Kirche über. Es wird für unseren Zweck genügen, nur in leichten Umrissen anzugeben, wie eine so auffallende Veränderung, die dem christlichen Geiste so sehr widerspricht, bewerkstelligt werden konnte.
Wir haben oben gesagt, daß die Presbyteren mit der Leitung der Gemeindeangelegenheiten beauftragt waren. Bei ihren Beratungen führte anfangs der Älteste den Vorsitz, aber dieser war oft eben wegen seines Alters dazu nicht immer der Tauglichste, und so zogen es denn die Presbyteren vor, den geeignetsten aus ihrer Mitte zum Vorsitzenden zu wählen, welcher, da er über alles die Aufsicht führte, zur Unterscheidung von seinen, ihm sonst übrigens durchaus gleichgestellten Kollegen vorzugsweise der Bischof genannt wurde.
Diese Bischöfe maßten sich bald einen höheren Rang an, und wir erblicken sie in den Versammlungen auf einem erhabenen Sessel, während die anderen Presbyteren auf niedrigeren Stühlen um sie her sitzen, hinter denen die Diakonen, gleich den dienenden Brüdern in den Synagogen, stehen. Die Gemeinden gewöhnten sich bald daran, in dem von ihren Vorstehern so ausgezeichneten Bischof ihren geistlichen Oberherrn zu sehen.
Besondere Umstände trugen dazu bei, das Ansehen dieser Bischöfe zu vermehren.
Die Christen auf dem Lande hatten sich anfangs den Gemeinden in den Städten angeschlossen; als ihre Zahl sich aber vermehrte, wünschten sie eigene Gemeinden zu bilden, wenn sie auch die Gemeinschaft mit den Gemeinden in den Städten nicht aufgeben wollten, da ihnen dieselbe besonders zur Zeit der Verfolgung und überhaupt von Nutzen war. Sie baten daher die Stadtbischöfe, sie mit Lehrern und Vorstehern zu versehen, und ein solcher sandte ihnen gewöhnlich einen seiner Presbyteren.
Dieser Landbischof hatte nun zwar dieselbe Gewalt über seine Gemeinde wie der Stadtbischof über die seinige; aber aus der ganzen Natur der Sache erklärt es sich, daß er in vielen Beziehungen von dem letzteren gewissermaßen abhängig wurde. Dadurch bekam der Stadtbischof einen Kirchensprengel oder, wie es damals hieß, eine Diözese (Bezirk) oder Parochie.
So wurde also schon in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts nach Jesu Geburt der Grund zur kirchlichen Aristokratie gelegt.
Nachdem man nun einmal den Anfang damit gemacht hatte, jüdische Einrichtungen auf das Christentum anzuwenden, so griff dieser Unfug um so schneller um sich, als er der Eitelkeit und Herrschsucht ehrgeiziger Bischöfe nützte, die sich bald der Leitung aller christlichen Gemeindeangelegenheiten zu bemächtigen wußten.
Am Anfange des dritten Jahrhunderts war es schon so weit gekommen, daß man die Gewalt der Bischöfe aus dem Priesterrechte des Alten Testaments herleitete und alles, was Moses über Priesterverhältnisse festsetzte, ohne weiteres auf die Bischöfe und Presbyteren anwendete. Bis dahin waren sie noch immer als das, was sie auch in der Tat waren, als Diener der Gemeinde, betrachtet worden; aber ihr Stolz lehnte sich dagegen auf, und im Laufe des dritten Jahrhunderts hatten sie schon so geschickt den Glauben verbreitet, daß sie nicht von der Gemeinde, sondern von Gott selbst eingesetzt wären zu Lehrern und Aufsehern derselben; daß sie also nicht Diener der Gemeinde, sondern Diener Gottes wären und daher sowohl das Lehreramt wie auch der Dienst der neuen Religion nur von ihnen allein versehen werden könne, weshalb sie einen von der Gemeinde abgesonderten, vorzüglicheren Stand bilden müßten.
Um die noch immer Zweifelnden vollends zu berücken, denen ein solches Verhältnis nicht den Lehren Jesu gemäß erschien, griffen die Bischöfe zu einem anderen Mittel, ihnen das, was sie durchsetzen wollten, begreiflicher und annehmbarer zu machen.
Wenn nämlich die Apostel einen Lehrer oder Presbyter bestellten, legten sie ihm die Hand auf das Haupt und riefen Gott an, daß er ihm zu seinem Amte auch den Verstand verleihen möge. Diese Sitte war dem jüdischen Ritus entnommen, ohne daß die Apostel daran dachten, welchen Mißbrauch ihre dereinstigen Nachfolger damit treiben würden. Die Bischöfe behaupteten nämlich, daß durch dieses Handauflegen der den Aposteln innewohnende heilige Geist auch auf die Geweihten übergegangen sei und daß diese auch die Kraft hätten, ihn auf dieselbe Weise an andere zu übertragen. Es gelang ihnen vortrefflich, diese Ansicht unter den Christen populär zu machen, und am Ende des dritten Jahrhunderts glaubte man allgemein daran und sah in den Bischöfen, Presbyteren und Diakonen Wesen ganz anderer Art und fand es ganz natürlich und selbstverständlich, daß sie einen Stand für sich bildeten.
So bedeutend nun auch der Einfluß der Bischöfe auf die Gemeinden schon war, so hatte die demokratische Verfassung derselben doch noch keineswegs aufgehört. Die Bischöfe konnten in den religiösen Angelegenheiten durchaus nicht nach Gefallen schalten und walten, sondern waren an die Einwilligung der Presbyteren und der ganzen Gemeinde gebunden. Dies war ihnen sehr unbequem, da sie nach unumschränkter Gewalt strebten, und zur Erlangung derselben benutzten sie die Provinzialsynoden.
Wir haben schon früher beiläufig bemerkt, wie falsch die Aussprüche und Lehren Jesu häufig von den Christen verstanden wurden. Es entspannen sich über deren Auslegung bald Streitigkeiten, und schon im zweiten Jahrhundert finden wir, daß sich mehrere Gemeinden vereinigten, um dieselben durch gemeinschaftliche Besprechungen auszugleichen. Als diese Streitigkeiten sich mit der Zeit vermehrten, fühlte man die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit solcher schiedsrichterlichen Versammlungen und ordnete sie für die Gemeinden eines bestimmten Bezirkes oder Landes regelmäßig und wenigstens einmal im Jahre an. So entstanden die Provinzial-Kirchenversammlungen. Die Gemeinden wurden auf denselben durch Abgeordnete vertreten, welche aus den Bischöfen, Presbyteren, Diakonen und einigen anderen Gemeindemitgliedern bestanden.
So bedeutend nun auch der Einfluß der Bischöfe auf die Beschlüsse dieser Kirchenversammlungen war, so standen ihnen noch immer die große Anzahl der anderen Abgeordneten der Gemeinde entgegen, und es wurde vorerst die Aufgabe der Bischöfe, diese von den Kirchenversammlungen zu entfernen. Zuerst gelang es ihnen mit den nicht priesterlichen Mitgliedern der Gemeinde, dann mit den Diakonen und endlich auch mit den Presbyteren, so daß die Gesamtheit der christlichen Gemeinden auf den Synoden einzig und allein durch die Bischöfe vertreten wurde.
Dies war zwar ein bedeutender Gewinn, denn nun konnten diese beschließen, was sie in ihrem Interesse für nötig hielten; aber noch immer bedurften die gefaßten Beschlüsse der Zustimmung der Gemeinde. Um diesen lästigen Zwang zu entfernen, erfand man ein eigentümliches Mittel, welches wir einen plumpen und ungeschickten Betrug nennen würden, wenn er – nicht gelungen wäre.
Es war nämlich bei den Christen Gebrauch geworden, jede Versammlung mit der Bitte an Gott zu eröffnen, daß er die Anwesenden durch seinen Geist erleuchten und bei ihren Beratungen leiten möge. Diese Sitte wurde auch bei der Eröffnung von Kirchenversammlungen beobachtet, und nun erzeugten die Bischöfe bei den nur zu gläubigen Christen den Wahn, daß durch dieses Gebet der Heilige Geist auch stets veranlaßt werde, bei der Synode gleichsam den Vorsitz zu führen, so daß alle ihre Beschlüsse als Aussprüche des Heiligen Geistes, also Gottes selbst, zu betrachten wären, die der Bestätigung nicht bedürften! Durch diese List waren die christlichen Gemeinden um den letzten Rest ihrer Freiheit gebracht und der eigennützigen Willkür der Bischöfe preisgegeben.
Nachdem diese einmal so weit gekommen waren, gingen sie in ihren Anmaßungen immer weiter, und es kam bald eine Zeit, wo die vor kurzem noch so ehrwürdigen Vorsteher der christlichen Gemeinden größtenteils die eigennützigsten, schamlosesten und verworfensten Menschen waren. »Aus den hölzernen Kirchengefäßen wurden goldene, aber aus den goldenen Bischöfen wurden hölzerne.«
Als Kaiser Konstantin die christliche Religion zur Staatsreligion machte, erlitten alle Verhältnisse der christlichen Kirche eine bedeutende Veränderung. Die Kaiser betrachteten sich selbst als Oberhäupter derselben; sie beriefen nicht nur nach ihrem Gefallen Kirchenversammlungen, leiteten die Wahlen der Bischöfe oder ernannten diese geradezu, sondern entschieden auch theologische Streitigkeiten nach ihrem Gutdünken. Dadurch gingen freilich viele der angemaßten Rechte der Bischöfe für den Augenblick verloren; aber die Vorteile, welche sie auf der anderen Seite gewannen, waren so groß, daß sie sich ganz außerordentlich demütig und fügsam zeigten, und so geschah es, daß alles in der Kirche nach dem Winke der Kaiser ging. Der Kaiser war der Gnadenborn, aus dem auf seine Günstlinge Ehren und Reichtümer strömten, und die Bischöfe und Geistlichen wetteiferten in niedriger Schmeichelei, um deren möglichst viel zu erschnappen. Die Armut der Kirche und ihrer Diener hatte ein Ende. Schon Kaiser Konstantin bestimmte einen Teil der Staatseinkünfte zum Unterhalte der Geistlichen und begnadigte sie mit wichtigen Vorrechten. Das allereinträglichste war aber das Gesetz, durch welches er sie für berechtigt erklärte, Schenkungen anzunehmen, welche ihnen durch testamentarische Verfügungen gemacht wurden, was nach dem Gesetze des Kaisers Diokletian keinem Verein gestattet war.
Nun war der Habgier der Geistlichkeit ein weites Feld geöffnet. Die niedrigsten und verächtlichsten Mittel wurden angewandt, um die bereits in Aberglauben aller Art versunkenen Christen zu reichen Schenkungen zu bewegen, und bereits nach zehn Jahren wagte niemand mehr zu sterben, ohne der Geistlichkeit ein Legat zu vermachen. Diese betrieb ihr Geschäft auf so schamlose Weise, daß nicht sehr lange darauf die Kaiser Gratian und Valentinian sich gezwungen sahen, durch Gesetze der Erbschleicherei der Geistlichen Einhalt zu tun.
Hieronymus, der Geheimschreiber des römischen Bischofs Damasus, der Zeuge war von dem nichtswürdigen Treiben der Pfaffen, rief bei der Bekanntmachung des Gesetzes: »Ich bedaure nicht des Kaisers Verbot, sondern mehr das, daß meine Mitbrüder es notwendig gemacht haben!« Diese Mitbrüder schildert er auf wenig schmeichelhafte Weise, indem er sagt: »Sie halten kinderlosen Greisen und alten Matronen den Nachttopf hin, stets geschäftig um ihr Lager; mit eigenen Händen fangen sie ihren Auswurf auf, und Witwen heiraten nicht mehr; sie sind weit freier, und Priester dienen ihnen um Geld.« Selbst der Bischof des Hieronymus, Damasus, hatte sich den Beinamen Ohrenkrabbler der Damen erworben.
Als Julianus (361 n. Chr.) zur Regierung kam, geriet der ganze Pfaffenschwarm in große Bestürzung, denn dem gebildeten, mit der Philosophie seiner Zeit bekannten und darin aufgezogenen Kaiser erschien das bereits durch Aberglauben und Fabeln aller Art entstellte Christentum abgeschmackt und lächerlich. Er »fiel daher vom Glauben ab«, wie die Kirchenphrase heißt, und erwarb dafür von den christlichen Geschichtsschreibern den Beinamen Apostata (Abtrünniger).
Die reine und einfache Lehre Jesu hatte in der Tat bereits eine traurige Veränderung erlitten und war durch Wundermärchen und läppische Fabeln verunstaltet worden. Vor der ersten allgemeinen Kirchenversammlung zu Nizäa (335 n. Chr.) gab es gegen fünfzig Evangelien, von denen nur die noch in der Bibel enthaltenen beibehalten wurden, weil die andern den Heiden doch gar zuviel zu spotten und zu lachen gaben. Sie enthielten die abgeschmacktesten Erzählungen und trivialsten Geschichten, und wenn auch ihre Verfasser mit der Mutter Jesu nicht so vertraut waren wie jener Portugiese, der ein »Leben Jesu im Bauche der Maria« schrieb, so berichten sie uns doch unter anderm, daß dem frechen Menschen, der Maria unzüchtig anzufassen wagte, augenblicklich die Hand verdorrte. Auch von Wundern erzählen sie, die Jesus als Kind verrichtete. Einst habe derselbe mit andern Kindern gespielt und mit ihnen aus Ton Vögel geformt; die von ihm gemachten seien sogleich fortgeflogen. Als er größer geworden, habe er einst einen Tisch gefertigt, und als er von seinem Vater gescholten worden sei, weil er zu kurz war, habe er an dem Tisch gezogen und ihn so lang gemacht, wie Meister Joseph wollte.
Kaiser Julianus versuchte es, das Christentum zu stürzen, obwohl er die Christen nicht verfolgte, und als er schon nach zweijähriger Regierung im Kriege gegen die Perser fiel, verursachte sein Tod große Freude.
Sein Liebling, der Philosoph Libanius, fragte einst spöttisch einen christlichen Lehrer zu Antiochien: »Was macht des Zimmermanns Sohn?« Er erhielt zur Antwort: »Einen Sarg für deinen Schüler.« Bald darauf starb der Kaiser, und Libanius vermutete, eben vielleicht wegen dieser Antwort, daß er durch irgendeinen fanatischen Christen seinen Tod fand. Sterbend unterhielt sich der Kaiser über die Erhabenheit der menschlichen Seele, aber die Christen erzählten, er habe eine Handvoll Blut gen Himmel gespritzt und ausgerufen: »Du hast gesiegt, Galiläer!«
Mit Julian starb der letzte heidnische Kaiser; unter seinen Nachkommen breitete sich die Macht der Pfaffen immer mehr aus.