Anna Croissant-Rust
Pimpernellche
Anna Croissant-Rust

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Duo, Trio und Duo

Draußen vor der Stadt, hinter dem Wall mit seinen hohen Linden- und Akazienbäumen, stand das kleine Haus, das ihr der Selige hinterlassen. Er war nicht allzulange zwischen den buchsumfaßten Beeten gewandelt, angethan mit seinem geblümten Schlafrock und dem Fez auf dem haarlosen Kopf; der Tod hatte ihm nicht vergönnt, sich seines neuen kleinen Besitztums zu erfreuen. An einem kühlen Frühlingsmorgen, als die Niederung voll Nebel war, und die Obstbäume nur mit den Kronen aus den Dunstlaken sahen, die durch den Garten gespannt waren, hatte er sich's geholt. Kaum drei Tage lag er krank, dann ging's zu Ende. Frau Christiane, die »Chrischtine«, wie sie die alten Rebberger immer noch nannten, betrauerte ihn, wie's schicklich war; sehr tief ging der Schmerz nicht, denn er hatte sich in den letzten Jahren ihrer 190 Ehe besonders zänkisch und nörgelnd gezeigt, und die ursprüngliche Rohheit seines Charakters nicht mehr verbergen können. Der Selige hatte sich nämlich vom Metzger zum Kellner, vom Kellner zum Oberkellner und dann zum Hotelier emporgeschwungen und lebte erst in seinen alten Tagen, als er die »Chrischtine« geheiratet, von seinen Renten, bewundert und beneidet von seinen Rebberger Mitbürgern.

Frau Christiane war nicht gern an den Lebensgang des Gatten erinnert; bei ihrer Verlobung war er Rentier, trat mit großem Selbstbewußtsein auf und zeigte gute, wenn auch etwas knappe Manieren, er hatte sich seinen Schliff in England geholt und ließ das auch im Umgang deutlich merken. Sie dagegen war durch lange Jahre in Frankreich gewesen und kannte nichts Höheres als Paris, und sprach fast von nichts als von Paris, wenn sie einmal wieder in die Heimat kam. Bei einem ihrer seltenen Besuche in Rebberg hatte sie den alten Ehrhardt getroffen, und er, geblendet von ihrem Witz, ihrer reizenden Art, sich über ihre alten gemeinsamen Bekannten zu moquieren, von ihrer Bildung, ihrer Eleganz und ihren guten, 191 etwas gezierten Umgangsformen, hatte alles darangesetzt, sie zu seiner Frau zu bekommen. Die »Chrischtine« hatte zu Rebbergs hellem Erstaunen zuerst durchaus nicht dran gewollt. Sie fühlte dumpf, daß dem Mann mit der rötlichen, etwas apoplektischen Gesichtsfarbe und den tadellos geschnittenen englischen Kleidern, die aber immer ein wenig verfleckt waren, das fehlte, was ihrer Seele den Schwung gab; aber daß sie eine Heimat bekam, daß sie in ihrer Vaterstadt als reiche Frau sitzen konnte, die sie als armes Mädchen verlassen, daß das Herumbücken und Komplimentieren bei den Fremden ein Ende hatte, daß sie nicht mehr »das Fräulein«, nicht mehr »Mamsell«, nicht mehr Dienstbote zu sein brauchte, sondern selbst Herrschaft wurde, das verlockte sie. Auch daß sie sich nicht allein als die reichste, sondern auch als die gebildetste Frau in Rebberg fühlen konnte! Denn wenn Bildung und Eleganz mit Reichtum gepaart waren, bemerkten es auch die Rebberger. Sonst, im allgemeinen, galt ihnen Bildung nichts, eher lächelten sie darüber, aber mit der Basis, die der alte Ehrhardt schaffen konnte, sah sich die Sache schon anders an.

192 Unglücklich wurde die Ehe gerade nicht. Frau Christiane schickte sich in die gelegentlichen Derbheiten des Gatten, wie sie sich in die Launen der Herrschaften geschickt hatte, unterdrückte viel von dem, was ihr am Herzen und auf der Seele lag und hatte eine wirkliche Freude an ihrer großen und schön eingerichteten Wohnung. Er war stolz auf seine feine und elegante Frau und dehnte sich behaglich in dem Bewußtsein, ihr einen Luxus zu bieten, den sich das arme Mädchen wohl nie geträumt. Was wollte sie denn mehr? Daß sie für sich ein Leben haben wolle und für sich Wünsche hegen könnte, fiel ihm gar nicht ein. Aber in der kleinen, zierlichen Frau Christiane regte sich ein unbändiger Eigenwille, den die Jahre unter den Fremden geknechtet hatten, und der sich nun von Zeit zu Zeit zu des Alten Erstaunen ganz plötzlich und zwar sehr bemerkbar machte. Er nannte es zuerst Schrullen und lachte, und meinte, so lange es ihn nicht betreffe, könne sich's seine Frau leisten, aber bei einer sehr wichtigen Angelegenheit betraf's auch ihn, und die Schrulle wollte ihm nicht in den Kopf. Das war, nachdem er das reizende, kleine Haus vor der Stadt gekauft, und man nun 193 daran gehen sollte, den Garten umzuwandeln, denn diesen Rebberger Haus- und Gemüsegarten wollten sie nicht, alle Beide nicht. Daß es etwas ganz Feines, Elegantes, oder wie Frau Christiane in ihrem Pfälzer Dialekt, den sie nie abgelegt, sagte »etwas Foines, Elegontes« werden müsse, darüber waren sie ganz einig.

Aber er wollte den Garten englisch, natürlich, darüber war nicht zu reden, grüne Bosquets, Rasen, viel Schatten, aber sie redete doch darüber und zwar ganz nachdrücklich, so nachdrücklich, wie er sie nie gehört. Sie wollte den Garten französisch, natürlich, darüber war auch nicht zu reden, denn nur ein französischer Garten passe zu dem Stil des weißen Häuschens. Das müsse man eben verstehen. Und wie er sich auch erstaunte, wie er wetterte und fluchte, sie blieb unerschütterlich. »Ich will mei Quatorze-Gärtche hawwe.« Und sie stampfte dabei mit dem Fuße, sie die Stille, Sanfte, Bescheidene! Sie schalt seinen Geschmack plebejisch, sie verlachte ihn, zuletzt schmiß er wütend seinen Fez in die Ecke und unterlag ihrem französischem Geschmack und ihrer französischen Bildung.

194 Und das »Quatorze-Gärtche« kam.

Kam mit lang gestreckten Beeten an beschnittenen Hecken hin, mit Rasenplätzchen neben einem kleinen eckigen Teiche, mit Rabatten, gesäumt von steifem, blechernem Buchs; die alten Bäume fielen, und durch eine schnurgerade Buchenallee sah man auf die Wellenlinien der Pfälzer Berge. Klein, zierlich, niedlich alles.

»Puppenwirtschaft!« fluchte er, wenn er, schwer und ungeschlacht, auf den weißen Kieswegen hin- und hertrabte, auf die die Sonne brannte. Wie würde er erst geflucht haben, hätte er den Sommer erlebt! Welche Glut auf den schattenlosen Wegen, welche Qual, in dem reizenden Garten zu wandeln!

Frau Christianens zweite Schrulle war die Aufstellung eines weißen Götterbildes an dem kleinen Teich, der in dem geschorenen Rasen ruhte. Im Prinzip war er ja einverstanden, besonders nachdem sie ihm kurz erklärte: »Ich will mei' Statue hawwe.« Den Ton kannte er nun und fügte sich diesmal gleich, schon weil es nobel aussehen und die Rebberger ärgern mußte.

Aber als die Kiste aus der Residenz anlangte, die Emballage fiel, und er sah, was seine Frau 195 gekauft, erlitt er fast einen Ohnmachtsanfall. Das für ihren Garten, das für Rebbergs keusche Augen und schnelle Zungen! Seine ganze englische Bildung empörte sich – der weiße Gott hatte nämlich nichts, gar nichts an! Und er sah ganz unbefangen dabei aus, der schöne Götterjüngling, ganz wie wenn er es in der Ordnung fände, vollständig splitternackt vor den Augen der Menschen zu stehen! Er machte nicht einmal den Versuch, seine unanständige Nacktheit durch eine halbwegs verblümte Stellung oder Bewegung zu verbergen. Es war einfach skandalös! Das hatte seine Frau gewählt das gefiel ihr, darin fand sie nichts! Und der ehemalige Hotelier, der mit unerschütterlicher Ruhe, mit tadellosem Gleichmut und vollendetem Takt das Unanständigste in seinem eigenen Hotel übersehen und sogar toleriert hatte, wurde kirschrot im Gesicht und brüllte wie ein Stallknecht. Damals fiel von ihren Lippen – ihren gebildeten Lippen! – ein Wort, das er ihr bis zu seinem Tode nicht verzieh: »Unkultivierter Beefsteakfresser!« Das war also ihre wahre Meinung über ihn!

Er ermangelte nicht, ihr zu erwidern, gleichsam ihr Idol von Land mittreffend, wie sie das seine 196 getroffen: »Ausgeschämte Grisette!« Sie warf aber nur die Lippen auf und zuckte die Achseln. Ja, wenn es eine weibliche Figur gewesen wäre! aber, daß sie an dieser offenbaren, unbekleideten Männlichkeit nicht nur keinen Anstoß nahm, sondern sich daran erfreute, und daß sie ihn höhnisch verspottete, seiner Entrüstung halber, und dazu die Ideale spielen wollte! Schöne Idealität!

Nein, darin verstand er keinen Spaß, und nach heftigem Hadern wanderte der arme Apoll wieder in die Residenz zurück, und sie mußte sich nach langem Hin- und Herwählen, da er durchaus nichts nacktes Männliches erlaubte, für eine Venus entscheiden. – Frau Venus war zwar auch ganz ohne Kleider, aber sie wußte wenigstens, wozu sie die Hände hatte und befleißigte sich mit deren Hilfe sogar einer einigermaßen schamhaften Stellung.

Ja sogar einer ziemlich schamhaften Stellung; und das war gewiß dutzendmal anständiger, wenn es nun einmal des Stiles halber »was Nackiges«, sein mußte, wie Christiane zu sagen pflegte. Das Weibliche war auch seinen Augen eigentlich viel angenehmer und empörte ihn im Grunde gar nicht, doch darüber sagte er kein Wort.

197 Seine Frau liebte die Venus nicht sehr und ließ hohes Schilf ringsum pflanzen, das sie fast bis zur Hälfte bedeckte, was er ziemlich unnötig fand.

Frau Christianens dritte Schrulle war in seinen Augen die bedenklichste von allen und hatte ihm oft Anlaß gegeben, die brutalsten und rohesten Eigenschaften seines Charakters zu zeigen und gerade ihre feinsten und delikatesten zu verletzen. Ohne Arg hatte er die Besuche eines Kollegen, eines ehemaligen Hoteliers, angenommen. Er empörte sich zwar immer gegen den geschniegelten, gebügelten, alten Gecken, der ihm gegenüber gern den Franzosen heraushängte, weil er die meiste Zeit in Paris gewesen war, aber sie hatten gemeinsame Erinnerungen aus ferner gemeinsamer Jugendzeit, auch wußte Lampert Haas ein gutes Menu und einen guten Tropfen zu würdigen, unbeschadet aller Ästethik und aller idealen Anwandlungen. Diese Schlange!

Kaum war er ein paarmal in seinem Hause gewesen, begann er ritterlich scheu sich seiner Frau zu nähern und wurde Partei gegen ihn, Partei gegen England, Partei für Frankreich. Bei jedem Disput stand er mit zartester Rücksicht auf ihrer 198 Seite; so war's schon in der Anlage des Gartens, so war's in der denkwürdigen Statuen-Affaire – (selbst hier entblödete sie sich nicht, sein Urteil zu begehren!) und so blieb's. Machte er ihr Vorwürfe, so wagte sie ihm ernst und bestimmt zu sagen: »Ich will mein Courmächer hawwe!« Gerade wie das Quatorze-Gärtche und den Apoll. Aber Lampert Haas ließ sich nicht verschicken und in etwas Weibliches umtauschen wie der unglückselige Griechengott; er saß fest.

Mit ihm, mit Lampert Haas, sprach sie natürlich nur im gewähltesten Französisch, da sollte er nun stillsitzen dabei, er, der keine Ahnung von dieser gottverdammten Sprache hatte!

Da hockten sie beieinander und schwärmten. Sie nannten es Erinnerungen austauschen, und man hörte nichts wie »achs« und »ohs« und Seufzer und »Paris, Paris«. Und wie sie's aussprachen! Ganz verzückt, mit verklärten Augen, das Wort bekam förmlich eine Gloriole, es ruhte auf Goldgrund, leuchtend und schimmernd. Sie redeten mit gespitzten Lippen, wie von etwas ganz Großem, Überwältigendem, das man nur mit Schauer nennen 199 konnte und nicht profanieren durfte. Da sollte doch der Teufel dreinfahren! London war doch auch nicht von Pappe! Wagte er es einmal von London zu sprechen, so hatten sie ein erhabenes geduldiges Lächeln, so ein nachsichtiges, überlegenes, halb geistesabwesendes Warten, und auf ihren Lippen lag »ja schön, schön, England ist auch ein Land. London ist auch eine Stadt, – aber Frankreich! aber Paris!« Sie sagten 's nicht, aber er hörte es wohl.

Und je öfter dieser alte, gezierte, parfümierte Franzose kam, desto inniger wurde die Freundschaft, natürlich in den besten Formen, dazu waren sie doch zu gebildet, er hätte auch nur was sehen sollen! Nein sie knixten und machten Komplimente und erröteten, trotzdem, ihm riß die Geduld und er verbot ihr wutschnaubend den Umgang mit Lampert Haas.

Sie wurde trotzig, fast wäre es bis zum Fußstampfen gekommen: »Mein' Courmächer will ich hawwe!«

Nun packte es der Englandverehrer anders an. Zuerst verblümt, dann endlich deutlicher machte er dem Kollegen seine Unerwünschtheit klar, das wirkte, 200 der zartbesaitete Französling verschwand von der Bildfläche.

Von nun an aber wandelte sein Gespenst zwischen den beiden Ehegatten, wenn auch sein Name nie genannt wurde; Frau Christiane besonders erwähnte ihn nie, aber jede Laune, jedes herbe Wort, jede Unfreundlichkeit, jeder vorwurfsvolle Blick, jede Thräne, jeder Seufzer hieß Lampert Haas.

Er bemerkte den Umschwung nur zu wohl; keinen freundlichen Blick bekam er mehr, ihr ganzer Witz und ihre sprühende Laune waren zum Kuckuck, oh, und das Übergewicht ihrer Bildung ließ sie ihn fühlen! Der geplagte Hotelier hätte beinahe den Freund wieder hergebracht, wenn ihn nicht sein Stolz abgehalten hätte. Vielleicht, wenn der Anstrengungen gemacht hätte, aber er war und blieb für das Hans Ehrhardt verschwunden.

Erst das letzte Geleit gab er dem alten Kameraden in tadellosem Traueranzug und in tadelloser Rührung. Tadellos war auch sein Kondolenzbesuch, ganz in den Formen der Etikette; nur beim Abschiednehmen, als Frau Witwe Ehrhardt noch einige Thränen wischte und dann seine beiden Hände in alter, warmer Herzlichkeit drückte, beugte 201 er sich nieder auf ihre ringgeschmückte Hand und küßte sie: »Madame!« Ein Klang aus früherer Zeit!

Die Thränen schossen ihr nur so über die Wangen, und sie schluchzte im reinsten, unverfälschtesten Pfälzisch: »Ach, kummen Se wiedder, kummen Se recht oft, ich bin so alleen, Sie glaaben 's gar nit, Monsieur Lampert!«

Nie hatte sie es über ihre Lippen gebracht, ihn etwa Monsieur Haas zu nennen, das klang doch geradezu empörend, absurd. Schickte sie aber etwas nach seinem Hause oder sprach von seiner Familie zu Andern, so fiel ihr nichts dabei ein zu sagen wie die Andern auch: »in's Haase«.

Und Monsieur Lampert kam. Seltener anfangs und nur zu kurzen Besuchen steif, dann auf ihre wiederholte Aufforderung hin öfter, wenn auch immerhin mit merklicher Zurückhaltung.

»Was hawwe Se denn?« fragte sie ihn endlich und schaute ihn verwundert an.

Monsieur Lampert aber schlug die Augen nieder, wurde unsicher, stotterte – er sei doch Junggeselle und sie jetzt Witwe, und die Rebberger – eine Weile standen sich die beiden alten Leutchen 202 blutübergossen und ratlos gegenüber und konnten keine Worte finden. Endlich ermannte sich Madame als der weibliche und beweglichere Teil und als fixe Rheinpfälzerin; sie lächelte, sie lachte, sie platzte endlich heraus: »Allons donc, allons Monsieur Lampert, nous étions à Paris! Losse Se se gehn.«

Von nun an kam der alte Franzose jeden Tag zu seiner Freundin vor dem Wall herausgewandert. Da er ein korrekter Mann war und seine Zeit genau einteilte, verband er seinen täglichen Spaziergang damit. Er war wie Madame ein passionierter Blumenfreund und kam nie ohne eine schöne Blüte oder ein kleines Sträußchen, kein Stäubchen auf den glänzenden Schuhen, kein Stäubchen auf dem eleganten Anzug.

Das war schon immer die heimliche Wut des Beefsteakfressers gewesen, die fleckenlose Reinheit des rosigen weißhaarigen Kollegen, auch seine Art der Höflichkeit seiner Frau gegenüber, diese gemessene, sentimentale Form der Zuneigung, wie sie zur Zeit der Dosenfreundschaften in Schwung war, von ihrer Seite allerdings gewürzt mit ein klein wenig Schalkheit und Pikanterie.

Da saß das alte Pärchen nun in dem zierlichen 203 Duodezgarten und schaute über das Grün auf die weißen Götter, denn auch der beschimpfte, verhöhnte, verjagte Gott war mit Triumph und unter Rebbergs Geschrei wieder eingezogen.

»Wie kann mer norre so sein, der nackig Kerl is doch zu scheen!« seufzte Frau Christiane, und auf Augenblicke zog der Geist des Seligen wieder an ihr vorbei »Oh il était borné,« murmelte sie, damit war aber der Apoll nicht gemeint.

Und Lampert drückte ihr verstehend und voll Zartgefühl die Hände, und sie fingen ihr altes, wehmütiges, begeistertes, ewiges, unerschöpfliches Thema an, ihr hohes Lied der Liebe von Paris. Vor ihren Augen erstanden die Gärten von Versailles und Trianon, wenn sie auf den armseligen, mageren kleinen Garten blickten, erwachte die Stadt ihrer Sehnsucht, ihr göttliches Paris.

Es tauchte vor ihnen auf in der heißen, zitternden Luft eines Sommernachmittags und löste sich aus den spinnwebigen Nebeln eines Herbstabends. Es zauberte sich gleich einer Fata Morgana über die runden Wipfel der Lorbeerbäume, die in gerader Reihe den Eingang säumten, es stand über dem weißen heißen Kies der Wege, es strahlte ihnen 204 aus dem kleinen Weiher entgegen, es dehnte sich aus bis zu den Wellenlinien der Pfälzer Berge, ihr einziges, ihr heißgeliebtes, ihr bezauberndes, ihr göttliches Paris! Sie fühlten wieder seine Unrast ringsum branden, sie liefen auf seinem glühenden Asphalt, sie hörten sein Murmeln, sein Grollen, sein Jauchzen, sein Triumphieren, die Seine rauschte, sie atmeten die Luft des Bois, sie zitterten in dem heißen, versengenden, wirbelnden, lustigen Leben, schrankenlos gaben sie sich dem Zauber hin. Sie hatten sich bei den Händen gefaßt, sie sprachen in abgerissenen, französischen Worten und sie liebkosten sie förmlich, diese armen, stockenden, scheuen Worte.

Die Wangen der alten Dame brannten in hellem Feuer, und Monsieur Lampert's Augen flackerten in dem gutkonservierten rosigen Greisengesicht.

Und dann kamen die ersten Sommernächte, die lauen, mit ihrem weichen, schweren Akazienduft, der volle Mond stand über dem Rhein, und der Garten dehnte sich weit, weit – und da fingen sie an ganz leis, ganz zag, wie die Vögel am Morgen zwitschern, von ihrer Jugend, von ihrer Liebe zu erzählen. Und Monsieur Lampert sah wie eine Vision seine geliebte Braut, die kleine Dorette vor 205 sich, und Madame ihren einzigen, süßen Freund, Charles, die sie beide verloren.

Und sie bebten, wie sie abends bei den verstohlenen Rendezvous an Straßenecken gebebt, wenn der Herbstwind um die Ecken pfiff, sie fühlten die langen Küsse im nächtlichen Dunkel, wo sie zitternd vor Liebe an den Brückenpfeilern lehnten, während das große Paris schlief und die Seine drunten rauschte, sie jauchzten in den hellen Frühlingssonntag hinein, wo sie auf dem bewimpelten Schiff den Fluß hinunterfuhren mit fröhlichem Volk in's Grüne, in's Blühen – ihre ganze Jugend wurde wach, Vergangenes, Verlorenes, Vergessenes, Vergrabenes stieg herauf, und schluchzend sanken sie sich plötzlich in die Arme und küßten sich, küßten sich, wie sie als junges Volk geküßt, und hatten nur den einen Wunsch, sich immerfort so in den Armen zu halten, den süßen Zauber nicht zu scheuchen. Thränen liefen über ihre Wangen, Thränen des Glückes und der Sehnsucht, und bebend kam's von ihren Lippen: Je t'aime, je t'aime.

 


 


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