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Sechstes Buch.

*

 

I.

Prachtvoll ging die Sonne des jungen Tages auf über dem Maintal: der Himmel strahlte in wolkenloser Bläue: auf wieviel Glück und Freude sah er hernieder!

Viele Tausende von Menschen, die mit Entsetzen, mit Furcht vor schwerer Strafe durch den allwissenden Richter die Mitternacht herangewacht hatten, lagen nun auf den Knieen und priesen, unter strömenden Tränen, die oft von seligem Lächeln, ja von lauten Jubelrufen unterbrochen wurden, die Gnade des großen, des barmherzigen Gottes, der seinen Geschöpfen nach wie vor die süße Lust des Atmens belassen und vergönnt hatte.

Wo heute in Würzburg nahe der Brücke der stattliche »Vier-Röhren-Brunnen« steht, da scharen und verweilen sich am Morgen und am Abend gar gern die Mägde, nachdem sie das Wasser in ihre auf dem Rücken getragenen »Butten« geschöpft haben. Gar oft läuft die Butte über, weil zwar sie mit Wasser gefüllt ist, aber noch nicht das harrende Mägdelein mit den Neuigkeiten – meist nicht so lauterer Art wie Brunnenwasser! – welche ihr die Nachbarsmagd, die Freundin, zuträgt; oder mit den Koseworten, die ihr der schon lang hier ihrer wartende Schatz zu sagen hat.

Damals schon war an derselben Stelle ein tiefer Ziehbrunnen gegraben, der reichlich Wasser spendete: ein paar Lindenbäume standen im Kreis um das runde Gemäuer aus rotem Sandstein herum und in den Ästen eines derselben war das Holzbild Sankt Kilians, in grellsten Farben gemalt, unter einem vorspringenden dreieckigen Schutzdach angebracht.

Dieser Brunnen und seine schattige und zugleich geweihte Umgebung war auch damals schon ein Lieblingsort der Würzburger, die schon damals erstaunlich viel über sich selbst – und zumal über andre Leute! – zu plaudern hatten; hier und auf den Stufen, die zu der nahen Brücke hinanführten, drängten sich die Leutchen zusammen, wann es etwas zu erzählen gab. Und es gab immer etwas zu erzählen zu Würzburg, obwohl – streng genommen – nicht gerade sehr viel dort, in der frommen und weinfrohen Stadt, sich zu ereignen pflegte.

Aber heute, – am fünfundzwanzigsten des Brachmondes des Jahres eintausend, – da gab es allerdings einiges zu erzählen! Und es ist den Würzburgern von damals kein Vorwurf daraus zu machen, daß sie diese Gelegenheit, sich einmal auszusprechen, sich nicht entgehen ließen, sondern recht ergiebigen Gebrauch davon machten. Das wichtigste von allem war ihnen, daß sie überhaupt noch vorhanden waren; auf diese erfreuliche Tatsache kamen sie immer wieder zurück.

Um den Brunnen und auf den Stufen der Brücke und auf dieser selbst wogte eine mächtig bewegte Menge, Männer, Weiber und Kinder, Bürger, Geistliche, Mönche, Reisige des Bischofs – alles durcheinander. Es litt die Menschen nicht in der Einsamkeit, nicht in den engen Häusern: das Gemüt, von so gewaltigen, widerstreitenden Eindrücken der Furcht, des Grauens, der aufatmenden, aufjauchzenden Erlösung durchzittert, suchte nach dem Ausdruck seines aufs tiefste erregten Innern. So liefen denn die Leute überall zusammen und wurden nicht müde zu reden von der überstandenen Angst, von dem wilden Kampf mit den Wenden, von der Gewißheit der Errettung. Zumal auf der Mainbrücke standen die Menschen dicht gedrängt, sahen flußaufwärts und flußabwärts und hinan zu der ragenden Burg und freuten sich, daß sie noch lebten, und zeigten einander, wie schön und freundlich alles sei, die bewaldeten Hügel und die rebenbewachsenen Gelände und der helle glitzernde Sonnenschein auf dem lieben alten Main! So schön, meinten sie wohl, sei's noch gar nie gewesen in der trauten Heimat. –

»Nun,« sprach einer der jungen Bürger, – dem alten Bezzo auf die Schulter klopfend, »gar manchem kamen die Wenden zum Verderben, aber Euch kamen sie zur Erleuchtung.« »Und mir zum Glück!« rief Gericho, sein Liebchen um die Hüfte fassend. »Freilich,« lächelte Rosbertha, sich an ihn schmiegend. »Sonst hätt' der Vater nie eingesehen, wieviel mehr du wert bist als der dicke Spedilo mit all' seinem Gelde.« »Nun ja,« rief Bezzo gutgelaunt, »wie konnt' ich glauben, daß mein bester Freund ein solcher Tropf ist? Wir standen nebeneinander auf der Wiese gegen die wendischen Reiter: – im ersten Anlauf ritten sie uns über den Haufen! – ich lag unter einem erstochenen Gaul, der mich schier zu Tode drückte. Da lief Spedilo an mir vorbei.« »Nach Hause!« lachte Gericho, unterbrechend. – »›Hilf mir, Nachbar,‹ keuchte ich, ›hilf mir hervor. Ich ersticke.‹ Was antwortete mir der Lump? ›Schad' nicht! Erstickt ist auch gestorben.‹ Und lief weiter. Aber dieser wackre Bursche da – oft gab ich ihm zu Unrecht harte Namen! – er sah mich von fern, brach sich Bahn mitten durch die Wenden, riß mich unter dem Roß hervor, deckte mich mit seinem Leib und – rettete mein Leben.« »Ja, und Hieb und Stich traf ihn dabei,« klagte Rosbertha zärtlich. »Bah, Kopf und Herz und auch beide Arme blieben ganz,« lachte Gericho, umschlang und küßte sie.

»Aber sagt,« forschte der Alte, »noch weiß ich immer nicht – wir standen ja am weitesten rechts ab – wie kam es denn, daß von links her der alte Rado – gerad' noch zu rechter Zeit! – den Wenden in die Flanke brach, mitten aus dem Grafenwald hervor?« »Ja,« erwiderte Gericho, »das hab' ich auch nur zum Teil herausgebracht aus den letzten Worten, die er mit Junker Hellmuth – Gott segne seine Klinge! – tauschte. Als sie den Herrn Bischof auf den Schild gelegt hatten, kniete Herr Hellmuth – ich kam gerade dazu – neben dem Alten nieder und wollte seiner Wunde pflegen. Da sprach der: ›Laßt's gut sein! Ich fahre zu Ihm! Dem Sieghelfer. Gut hat er diesmal geholfen. Lange, lange harrte ich auf Euch, Junker, an der beredeten Stelle, – Ihr kamt nicht – ‹« »Versteh' ich nicht,« meinte Bezzo. – »Versteh's auch nicht. Aber der Junker verstand ihn; er antwortete: ›Mich führte höhere Pflicht in die Stadt zurück.‹ Und Rado fuhr fort: ›Plötzlich entbrannte tief unter mir – auf der Straße, – bald auch neben mir in den Weinbergen der Kampf. Ich sah – wie wir's vorausgeschaut – die schwarzen Scharen von Süden gen Norden vorstürmen: – immer mehr Raum gewannen sie! – Da lief ich zu den Bürgern, nördlich von mir, die in den Weinbergen nur noch schwer standhielten, raffte ein Häuflein, das mir gern folgte, zusammen, eilte mit ihnen in den Wald und auf Pfaden, die nur dem Luchs, mir und noch Einem bekannt, führte sie den Unholden in Flanke und Rücken. Und Woden half: er tat das übrige.‹« »Woden!« flüsterte Rosbertha und bekreuzte sich, »den darf man gar nicht nennen.« – »Der Junker und ich sahen wohl, daß der Alte dem Tode nahe sei: denn er redete nun ganz wirr: daß er den Schwarzen, den Rauchriesen nun doch glücklich erschlagen habe – Und der Junker erfüllte die letzte Bitte des Alten, daß er nicht, wie alle Verwundeten, in die Stadt gebracht werden solle – auch die Feinde, so hatte der Herr Bischof noch befohlen – zur Heilung und, falls sie stürben, zur Bestattung: – sondern vier Bürger trugen Rado auf seinen Wunsch an den Main hinab unter die alte Rabenesche. Sein grauer Hund, aus tiefer Wunde blutend, wich nicht von seiner Seite.«

»Da schaut!« rief Rosbertha. »Wer fährt dort davon – gegen das Osttor hin – in dem Wagen, – dem leinwandüberzogenen?« »Das ist Isaak, der Jude,« antwortete Bezzo. »Aber Vater, er ist ja getauft,« mahnte Rosbertha. – »Bah, scheint nicht geholfen zu haben auf die Dauer.« »Wieso?« fragte Gericho. »Er fehlte nie in der Dommesse.« – »Wohl! Aber jetzt – wißt ihr's noch nicht!« »Nein! Was denn?« fragten viele Stimmen zugleich. »Heute früh,« erzählte Bezzo, »kam seine Mutter zu meinem Röschen da –« »Die wackre Frau!« rief das Mädchen. »Hat mir oft die frühverstorbene Mutter ersetzt.« – »Und teilte ihr mit, sie und ihr Sohn verließen für immer die Stadt, ja sogar das Reich. Sie gingen nach Jerusalem. Ihr Sohn ... –« »Er war oft recht wenig freundlich gegen sie!« schalt Röschen. – »Ja, aber jetzt sei er ganz lammfromm und so voll Ehrfurcht und Gehorsam gegen seine alte Mutter! Und die Alte übergab meiner Tochter eine Schrift: für den Herrn Bischof – es kann ja niemand zu dem Sterbenden! – darin verschenkt Renatus seinen Hof in der Stadt und alles, was drin steht und liegt: aber an wen? Nicht an die Heiligen, nicht an seine Glaubensgenossen, die Christen! Nein! Der Herr Bischof soll alles verkaufen und der Erlös soll eine Stiftung werden zur Unterstützung armer – Juden in Stadt und Bistum. Da grüßt die Alte nochmal mit der Hand aus dem Wagen! Nun, gute Fahrt nach Jerusalem!«

»Ob der Herr Bischof das wohl so ausführt?«

»Gewiß! Wenn er mit dem Leben davon käme. Aber ...« »Man sagt, es steht sehr, sehr schlecht!« – »Ja! Das Messer, das seinen Hals traf, soll vergiftet gewesen sein. Er muß sterben!«

»O der arme, brave Herr!« klagte Rosbertha. »Der herrliche Held!« rief Gericho. – »Seine beiden Junker pflegen ihn.« »Und Herr Blandinus.« – »Nein. Der liegt selber wund danieder.« – »Wo? Im Bischofshause?« – »Nein! Bei Wartold draußen. Er eilte, sowie der Bischof zurückgebracht war, dorthin. Der Knecht Wartolds erzählte es mir, der in die Stadt lief, einen Arzt zu erbitten von den grauen Mönchen.« »Ja, ja,« lächelte Röschen. »Der Junker strich immer hinter der runden Runel drein.« »Blandinus kam eilends, um zu sehen, was aus ihr geworden,« fuhr Gericho fort. »Als er sie heil und unversehrt fand, atmete er tief auf und brach zusammen. Er hat sich in dem Strauß – hätt's ihm nicht zugetraut! – manchen Hieb und Stoß geholt. Nun liegt er draußen in dem Gärtnerhaus und die schlimme Runel pflegt ihn und weint dabei, daß ihr die hellen Tränen über die dicken Backen laufen und Schnufilo – sonst eben nicht sein Freund! – leckt ihm die Hände. So erzählte der Knecht, selbst voll Staunen. Ja, ja! es hat sich gar manches gewendet mit der Sonne in dieser Sonnwendnacht.«

»Aber sagt,« fragte Bezzo, »wie konnte es nur geschehen, daß die Leute in dem Gärtnerhof verschont blieben, während doch die Wenden ... –?« »Da kommt der alte Wartold selbst!« rief Gericho. »Mit einem großen, wunderschönen Strauß von Lilien,« sprach das Mädchen. »Kommt, Vater Wartold, Ihr seid müde. Man sieht's an Eurem Schritt. Setzt Euch ein wenig zu uns, hier, auf den Brunnenrand. Wir rücken zusammen. Erzählt uns doch, wie es Euch ergangen. Ihr seid gar seltsam bewegt.«

*

 

II.

»Dank euch, danke, gute Leute,« erwiderte der freundliche Greis, mit dem sanften, rosigen Gesicht, vom weißen Haar umwallt. »Bewegt! Ja, liebe Nachbarn! Welch Gemüt soll da nicht bewegt sein, bei so wunderbarer Führung durch den Herrn? Den Bruder hab' ich diese Nacht verloren und die alte Großmutter: und doch hab' ich Gott für reiche Gnade zu danken.« »Erzählt, erzählt!« drängten alle. »Ja, ja,« begann er langsam. »Wunderbar sind die Dinge verlaufen in dem kleinen taubenumflatterten Haus. Es war schon fast dunkel geworden, da sprach ich zur Großmutter: ›Mutter Ute, gebt mir Urlaub, mir und dem Kind Fullrun.‹ ›Wohin, mein Sohn?‹ fragte sie. ›Die Stunde des Gerichtes naht. Wir wollen sie doch miteinander erwarten und erleben.‹ ›Gewiß!‹ tröstete ich. ›Lange vor Mitternacht sind wir zurück. Ich habe noch eine dringende Arbeit.‹ ›Aber Wartold!‹ mahnte die Gute. ›In ein paar Stunden ist alle Menschenarbeit zunichte, und ihre Frucht vergeblich.‹ ›Nicht die meine, Mutter,‹ erwiderte ich. ›Sieh, unsre Lilien hier im Garten sind verblüht und versengt vor der Zeit. Es war gar so heiß in diesen letzten Tagen und so trocken hier oben und staubig neben der großen Straße. Ich gehe hinunter an den Fluß und hole frische aus meinem Neugarten dort. Soll ich die Stirnen der Seligen mit welken Lilien schmücken? Für meine Friedlindis ist nur das Schönste schön genug.‹ In dem weit abgelegenen Neugarten angelangt mit dem Kinde, konnt' ich mich lange nicht trennen von meinen Blumen, geraume Zeit, nachdem ich die schönsten ausgesucht und geschnitten. Auch die ich stehen ließ, sprengte ich – zum Abschied! – noch mit Wasser aus dem Fluß.

Als ich nun mit meiner Arbeit zu Ende war und allmählich an die Rückkehr dachte, da loderte in der Ferne südlich von unserm Höflein eine rote Flamme in den dunkeln Nachthimmel: bald folgte, immer näher rückend, der Heerstraße entlang, eine zweite, dritte: und während wir noch zagend berieten, was das zu bedeuten habe, drangen auch schon von der Stadt her die Waffenrufe der Wächter auf den Walltürmen, ja bald auch von der Straße her verworrener Lärm, Schreien, Waffenklirren an unser Ohr. Erschrocken barg ich mich und vor allem mein holdblühendes Kind in den dichten Gebüschen des Gartens: – denn daß hier Räuber und Feinde drohten, war mir bald klar: ich dachte es seien die schlimmen Bauern! – Hier lauschten wir, bis der Lärm, der unverkennbare, eines scharfen Kampfes vertoset war: jetzt erst wagte ich – immer noch sehr vorsichtig – den Rückweg einzuschlagen. Wir trafen unsern Hof unversehrt: so weit waren die Wenden nur auf ganz kurze Zeit vorgedrungen, wir fanden bloß die Spuren weniger Rosse im Sandweg des Gartens, der alten Frau taten sie nichts zuleid.« »Aber wehe, trafen sie Fullrun!« rief Gericho. – »Das nächste Haus, etwa dreihundert Schritte weiter südlich, stand in hellen Flammen: wie staunten wir, als wir die blinde Frau auf der Schwelle aufrechtstehend fanden: ihr weißes Haar flog im Nachtwind: sie wies mit der ausgestreckten Rechten auf die rote Flammensäule und rief: ›Seid ihr endlich zurück? Ich erwarte euch schon solange. Sehet ihr, sehet ihr? Alles erfüllt sich wie mein Konrad gesagt. Der Tag des Gerichts, der Tag des Herrn ist angebrochen. Hörtet ihr nicht das Gefecht? Und die Drommeten der Engel des Herrn? Ich hörte sie vorbeirasseln auf ihren Rossen, hörte ihre Waffen klirren: sie haben gekämpft gegen die Unholde des Abgrunds: grell schrillte deren Geschrei – wie einst der Hunnen! – in mein Ohr: sie waren schon ganz nah: – ich meine, ich hörte sie im Garten. Die Teufel sind geworfen und geflohen. – Dort aber – dort – von wo der Rauchqualm herweht – dort – ich seh' es mit den Augen der Seele! – da nahet in flammenden Lohen, im weißen Gewande der Seligen mein Kurt, das Mägdlein trägt er – wie damals – auf dem Arm! Er holt mich! Er winkt! Er ruft mir. Ich komme. Du hast wahr gesprochen: im Sterben seh' ich dich wieder. Ich komme.‹ Und sie sank, ein selig Lächeln um die Lippen, zurück in meine Arme und war tot.« Und er weinte bittre Tränen, der alte Mann.

»Welch' schöner Tod!« schluchzte Rosbertha, sich an ihren Schatz schmiegend und die Augen wischend.

»Die schönsten meiner Lilien wand ich um ihre Stirn. Diese hier bring' ich dem guten Herrn Bischof – ach! für seinen Dom waren sie bestimmt: – nun werden sie wohl seine Totenbahre schmücken.« »Und was ist mit Eurem Bruder?« fragte Gericho. »Der Knecht erzählte – ist es wahr? ... er ist nicht gefunden worden unter der Rabenesche?« »Es ist so,« nickte Wartold. »Weder er noch Giero, sein Hund! Ihr wißt, der Baum steht nahe dem Fluß: – es schien auch eine Blutspur über die Wiese an das Ufer zu führen. Aber vergeblich suchte ich mit dem Knecht und den Nachbarn das ganze Ufer ab, vergeblich mit den Mainschiffern – die kennen gut die Wirbel und die Löcher im Bette – auch den Fluß. Ich wollte doch so gern die Leiche in geweihter Erde bestatten, aber wir fanden nicht Mann, nicht Hund. Und schon – gleich nachdem das fruchtlose Suchen vorüber war« – – er erschauerte und bekreuzte sich. »Nun? was geschah?« forschte Röschen in bangem und doch süßem Gruseln. – »Nichts geschah, liebes Kind. Aber die Nachbarn, die Schiffer, alle, die davon hören, raunen – – –«

»Nun was raunen sie denn? Sagt's doch geschwind!« – »Ihr wisset, der Rabenbaum ist der Sitz – ist geweiht dem ... –« »Den man nicht nennen darf!« warnte das Mädchen und schlug rasch wieder ihr Kreuz. – »Nun, eben dem soll – sagen sie – mein armer Bruder längst seine Seele geweiht haben. Und der – sagen sie – habe ihn geholt, samt seinem Hund, ewig mit ihm zu jagen. Ja, ein Schiffer, der sich im Mainschilf vor den Wenden verborgen hatte, will gesehen haben, wie noch vor vollem Sonnenaufgang zwei Raben –« »O weh!« schrie das Mädchen. »Das sind seine Begleiter.« – »Vom Feuerschein der brennenden Dächer grell beleuchtet über das tosende Schlachtfeld hin geflogen sind und auf der Esche aufgebäumt haben. So betet manchmal, liebe Nachbarn, betet für meines armen Bruders Seele.«

*

 

III.

In Vertretung des Bischofs hatten Hellmuth und Fulko alle erforderlichen Maßregeln getroffen.

Die Toten vor dem Südtor wurden bestattet, die Spuren und Schäden des Kampfes nach Möglichkeit getilgt. Hellmuth ritt als Herold, einen Drommetenbläser voran, durch die Straßen, verkündete den in der Stadt Verbliebenen, zu welchen doch nur wirre, abgerissene Kunde der Ereignisse dieser Nacht gelangt war, feierlich das Geschehene und forderte alle Burgensen auf, mit Weibern, Kindern, Knechten und Mägden in den Dom und in die übrigen Kirchen und Kapellen der Stadt zusammenzuströmen, wo überall Dankgottesdienst gehalten werden sollte. Sie sollten beten für die Erhaltung ihres tapferen Bischofs, der, ein echter Hirte, sein Blut gelassen in Verteidigung seiner Herde, – und den nur ein Wunder Gottes noch vom Tode retten könne.

Es war allbekannt, die kurzen Wurfmesser der Wenden waren vergiftet. Und als der Wunde schon während er, von Blut überströmt, auf einem breiten und langen Standschilde von sechs seiner Reisigen behutsam in die Stadt zurückgetragen wurde, das Bewußtsein verlor, da gaben seine Getreuen ihn verloren. Und man wagte doch nicht die tödliche Klinge aus der Wunde zu ziehen: man fürchtete, alsdann werde der Bischof, der schon sehr viel Blut verloren, sich rettungslos verbluten. Man hatte das Lager des bleichen Mannes in dem geräumigsten luftigsten Gelasse des Dombaues, der Bücherei, aufgeschlagen: man wußte, sie war – nach dem Waffensaal, aus dessen Vorräten die Bürger waren ausgerüstet worden – der Lieblingsaufenthalt Herrn Heinrichs gewesen. Wie viele Nachtstunden hatte er hier durchwacht, den schweigenden Gang der Sterne verfolgend, ein stiller, einsamer Mann, »wachend und betend« und doch gar oft »in Anfechtung fallend«!

Der Wunde fand die volle Besinnung nicht wieder: auch nicht, als er sanft von dem Schild herab auf ein Pfühl in der Bücherei gelegt wurde; wohl war es ihm einmal, gleich beim Eintritt in die Stadt – noch unter dem Torbogen – gewesen, als beuge sich ein bleiches, schönes Frauenantlitz auf ihn herab, als fühle er eine leise Berührung ihres Mundes: – dann hatte er eine große, große Erleichterung des Atmens verspürt – aber er sagte sich gleich selbst, das sei ein Gebilde seiner Träume, des Wundfiebers.

Lange, lange Zeit lag er so. –

In dem Bischofshause sammelten sich, nachdem die weltliche Arbeit des Tages erledigt und der schuldige Dank dem Himmelsherrn dargebracht war, die nächsten Zugehörigen des wunden Mannes. Es waltete nicht nur in der Bücherei, auch in den andern Räumen des Hauses jene bange, atemverhaltende Stille, welche die Sorge um das Leben eines geliebten Kranken verbreitet; wer einmal ihren beengenden Druck lasten gefühlt auf der Seele, vergißt sein nie mehr.

 

In einem Vorsaale der Bücherei saßen Hand in Hand die beiden Liebespaare: sie sprachen in bangem, leisem Flüsterton.

»Wie traurig!« klagte Fulko. »Wir andern alle dürfen uns der geschenkten Welt erfreuen. Ist es doch, als habe Gott der Herr die Erde zum zweitenmal für uns geschaffen! und nur Er – der Beste von uns allen! – soll sich nicht mit uns des gesicherten Daseins erlaben.« »Ja, aber, Liebster,« koste Minnegard, verschämt das Köpflein an seiner Schulter versteckend. »Nun steht die Welt immer noch! Und die Welt und alle Leute werden schelten: – – – es ist schreckbar, wie sie alle schelten werden! Und wenn sie erst alles wüßten, wie der liebe Gott es weiß, dann würden sie gar nie mehr aufhören!«

Fest sah Edel dem Geliebten in die Augen: »Ich sage der Welt und dem Herrn Bischof, bevor er stirbt, alles. Und fürchte mich nicht.« Er drückte schweigend ihre Hand.

»Ja, das ist keine Kunst, streng Schwesterlein,« lächelte die Braune. »Erstens hat der Herr Bischof dich nie zur Nonne bestimmt: – was will er Besseres für dich als einen Eheherrn wie dieser junge Ritter Georg? Und zweitens« – sie stockte, sie errötete, und schmiegte das Haupt wieder an die Brust des Geliebten. »Nun, was, mein Liebling?« – »Kann's nicht sagen.« – »Nur mir ins Ohr – ins Herz vielmehr.« – »Die andre hat wohl nicht soviel zu gestehen – oder doch im stillen zu bereuen: nein,« brach sie leidenschaftlich aus, »nicht soviel zu bereuen, nein, selig zu bejubeln!« Und sie küßte ihn heiß auf den Mund und umschlang seinen Nacken mit beiden Armen.

*

 

IV.

Schon fielen sie seitlich ein, die Strahlen der sinkenden Sonne des langen, langen Sommertages durch die Öffnung des Bogenfensters: – der dunkelgelbe Vorhang war zurückgeschlagen –: ein goldiger Streif spielte auf dem dunkelfarbigen Kopfpolster und berührte das bleiche Antlitz des stillen, blassen Mannes: – da holte der auf einmal tief und voll Atem und schlug die Augen weit auf.

»Wo bin ich?« fragte er matt. »Nicht im Sarg! Nein. Es ist hell. Nicht im Jenseits – nein – das ist – was da hängt – o Gott! es ist mein Schwert! – Ringsum die Wände – meine Bücherei. Ja, ja! Die Welt steht! Mitternacht war ja auch schon vorbei. Gott – ich danke, daß du die Heiden von der Stadt gewehrt – ich sah sie fliehen! – nun will ich gern sterben.« »Nein, Herr Bischof, nicht sterben. Leben sollt – leben werdet Ihr jetzt,« sprach da eine wunderliebliche Stimme und über ihn neigte sich ein sanftes bleiches Antlitz und zwei Tränen fielen auf seine Wangen. »Heilfriede! Nein, das war diesmal kein Traum. Und wir sind nicht gestorben – beide?« Sie schwebte leise an die Türe des Vorsaals und winkte den dort Harrenden, einzutreten. »Gestorben? Nein. Gerettet seid Ihr, Herr Bischof!« jubelte Fulko und küßte seine Hand. »Gerettet durch diese Frau!« rief Edel. »Das ist gar keine Frau,« besserte Minnegard, »das ist eine Heilige.« »Ein Engel auf Erden,« schloß Hellmuth. »Und es war auch kein Traum,« lächelte die stille Frau, die nun zu seiner Linken kniete und ihm einen Heiltrunk reichte, »daß Ihr mich schon vor Stunden gesehen.« »Wir zagten, wir verzweifelten ob Eurer Wunde –« begann Fulko. »Wir fürchteten das Gift, und wußten – auch der Klosterarzt nicht – Hilfe,« klagte Edel. »Aber Frau Heilfriede!« fuhr Minnegardis freudig fort. »Weiß Gott, wie sie auf einmal, – schon im Torbogen – da war,« rief Fulko. »Sie beugte sich sofort über Euch,« ergänzte Hellmuth. »Und obwohl der Klosterarzt verbot, das Messer zu entfernen, zog sie es sanft heraus. Viel Blut floß nach! Und dann ... Ja dann! Obwohl der Arzt sie warnte, es gebe Gift, das nicht nur im Blut, auch im Magen den Tod bringe –« »Kein Wort sprach sie,« rief Fulko, »ihren Mund preßte sie auf Euren Hals und sog die Wunde aus in tiefen Zügen.«

Da schaute Herr Heinrich verklärten Blickes auf zu der Errötenden; die schlug die langen blonden Wimpern nieder.

Nun schloß auch der Wunde die Augen: – aber er konnte doch nicht hindern, daß sie weinten; er griff nach ihrer Hand; sie ließ sie ihm willig. »Aber auch ich werde nicht sterben,« sprach sie beschwichtigend. »Viele Stunden ist's her. Längst hätte das Gift gewirkt. Ich aber – ich bin ganz wohl. Ach, und ich bin so glücklich.« – »Wie ... wie war doch alles ... vorher? Nach unsrer Unterredung? – Was hab' ich doch ... dann – vor dem Gefecht – noch getan?« Da fiel sein im Saal umhersuchender Blick auf das Räucherbecken. Er stieß einen jähen Schrei aus und fuhr empor aus den Decken: er wollte sich aufrichten: aber matt sank er zurück. »Um Gott!« stöhnte er. »Nun steht die Welt noch! Und ich – ich Unseliger! Was hab' ich getan! Weh mir! Sankt Burchhards Recht – den Beweis! – hab' ich zerstört. Die Schenkung ... die Urkunde Kaiser Karls hab' ich verbrannt!« Und er hob die beiden geballten Fäuste und wollte sie sich in das Antlitz schlagen. Schrecken ergriff die andern: aber zwei weiche Hände haschten die Fäuste und zogen sie sanft hernieder auf die Bettdecke: »Daran habt Ihr sehr recht getan, Herr Heinrich,« sprach die herzgewinnende Stimme. »Ich wollte Euch gerade bitten, es zu tun. Denn sie war falsch.« »Was? Was sagt Ihr?« rief Heinrich. »Unmöglich! Jener ... Berengar ... verstand sich scharf auf Urkunden.« – »Jawohl. Nur allzu scharf! Er verstand auch, sie zu fälschen. Gemäß Eurem Gebot ward auch er in die Stadt getragen. Ich sah nach seiner Wunde; ich sagte ihm, er müsse sterben. Und nun sterbend, in den Qualen des Todes, zitternd vor der Hölle, hat er all' seine Schuld bekannt und bereut. Er hatte mit Zwentibold abgeschlossen: – er glaubte nicht an das Ende der Welt: er wollte die Wenden in die Stadt lassen und Euch ermorden. Er starb, nachdem er mir aufgetragen, Euch zu bitten, sein Machwerk zu zerstören.« »Ihr wollt mich ...? Nein, dieses Antlitz kann nicht täuschen,« rief der Bischof und atmete beseligt auf. – »Die Schenkung Kaiser Karls war falsch: Ihr wart im vollen Unrecht gegen meinen Mann. Aber eine andre Schenkung – eines andern Kaisers – die ist echt. Eine Ersatzurkunde – für die verbrannte falsche – ist Euch erworben.« – »Ihr ... Ihr habt ...?« – »Nicht ich. Und nicht aus meiner Hand sollt Ihr sie nehmen. Aus einer andern Hand. – Herr Heinrich,« flüsterte sie in sein Ohr – »der Herr hat so große Gnade an Euch getan ...« – »Durch seinen lichtesten Engel!« – »Ihr könnt jetzt nicht Groll in der Brust tragen.« – »Nein. Ich vergebe dem toten Fälscher.«

»Auch nicht gegen Lebende Groll. Herr Heinrich: unten im Waffensaale steht mein Mann. Er traf bei Sonnenaufgang auf dem Schlachtfeld ein, mit dem Aufgebot der nächsten Gaue: – er hatte von dem Zug der Wenden auf Würzburg gehört, war ihnen auf dem Fuße gefolgt und hat die Flüchtigen in den Main gesprengt. Er wartet. Er hat Euch was zu bringen. Aus Italien. Vom Kaiser Otto. Er selber hat's bewirkt, – schon vor vielen Wochen – und mitgebracht. Es ist was Freudiges! Freude wird Euch nicht schaden – wird Euch gut tun. Darf ich Graf Gerwalt rufen?«

Er konnte nur stumm nicken.

»Aber vorher noch,« sprach die ernste Frau jetzt gar holdselig lächelnd – »vor den Staatsgeschäften – eine Stärkung. Sagt, ihr tapfern Junker – ihr wißt doch sicher, wo hier im Bischofskeller der beste Wein liegt?«

Beide waren schon an der Türe! Die Gräfin und die Mädchen folgten ihnen.

*

 

V.

»Supfo, Supfo!« rief Hellmuth lautschallend durch das Haus. »Wo ist Supfo? Wo steckt der dicke Schalk?« »Ich hab' eine Ahnung!« lachte Fulko und eilte durch die Vorhalle auf die Falltüre zu, welche die Kellertreppe schloß.

Da ward diese Türe von unten aufgestoßen und auf der obersten Stufe erschien Supfo, ein strahlendes Lächeln auf dem stark geröteten hübschen rundlichen Gesicht; auf seiner linken Schulter lag, behaglich schnurrend Mucia, die Kluge, in der Rechten trug er einen mächtigen erzgetriebenen Krug, aus welchem ein starker, herzerfreuender Duft aufstieg.

»Ja Supfo! Wo wart Ihr denn die ganze Zeit?« – »Da, wo ich hingehöre, ihr Gelbschnäbel!« – »Supfo – ist es möglich? – Ihr habt? – während des Untergangs der Welt ...?« – »Na, ist sie untergegangen?« – »Aber sie sollte doch.« – »Nicht doch! Sie sollte eben nicht! Hab' ich's euch nicht vorausgesagt? Mucia und ich, wir wußten es besser.« – »Aber Supfo! – Wann seid Ihr denn da hinunter?« – »Vorgestern abend.« – »Und die ganze Zeit verschlafen?« – »Das ist Verleumdung. Nur die zweite Hälfte.« – »Und das Sturmblasen von allen Türmen! Das Hinaussprengen der Reisigen, den Auszug und den Einzug? Ihr hättet wirklich die Posaunen des Gerichts auch verschlafen.« – »Haben sie geblasen? – Was ich tat in der ersten Hälfte der Zeit? Nun, der Griechenwein ist zu Ende. Das ist die Neige – diesen Vollkrug hab' ich für den Herrn Bischof und für euch gespart. – Wer war nun der klügste Mann in ganz Würzburg?« Und er lachte, daß ihm das runde Bäuchlein bebte, bis ihm Fulko erzählte, aus welchen Gefahren und Sorgen sie sich eben erst geborgen wußten. Da humpelte der Dicke – unglaublich rasch – die Treppe hinauf und an Herrn Heinrichs Lager und sank dort auf die Kniee und weinte, weinte Tränen des Schmerzes und der Freude durcheinander.

 

Während Hellmuth den Grafen Gerwalt aus der Waffenhalle holte, wartete die Gräfin mit den beiden Mädchen und Fulko im Vorsaal.

Da trat Minnegard an Frau Heilfriede heran und begann, ziemlich kleinlaut: sie schlug die Wimpern nieder – denn allzu glücklich für eine zage Bitte und geheimen Glückes zu süß bewußt leuchteten – sie fühlte das – ihre minneseligen Augen: »Was soll nun werden aus ... aus uns beiden armen jungen Paaren? Wir hatten uns ganz darauf eingerichtet, daß heute nur der liebe Gott, der – leider Gottes! – doch ohnehin alles weiß, mit uns rechten werde können über das, was wir Mädchen diese Nacht getan – oder doch: erlitten« seufzte sie, »und vielleicht nicht ganz heftig genug abgewehrt: – wer konnte aber heute nacht um Hilfe gegen Entführer schreien? Es hätte doch niemand darauf gehört!« Da lachte Fulko. »Mein süßes ... Kind. Deiner Mutter Klosterwunsch galt nur für die alte Welt: – die ist heut' nacht versunken: – nicht bindet er für die neue, die uns der Herr Gott heute geschenkt.« »Das würde der Herr Bischof schwerlich gelten lassen,« meinte die Frau Gräfin, drohend den weißen Finger gegen Fulko hebend: »aber getrost. Herr Heinrich steht so tief in der Schuld des gnädigen Himmelsherrn, –« »Und in der Eurigen,« riefen die drei andern. – »Daß er auch ein Übriges an Güte tun muß – und wird. Seid ganz getrost. Ich – ich führe eure Sache – aller vier.«

»Dann ist sie gewonnen!« jubelte Minnegardis, warf sich an ihre Brust und küßte sie stürmisch. »Wie sollen wir Euch danken?« fragte Edel, tief gerührt. – »Mein Dank ist – euer Glück. Ich war auch einmal jung. – Da kommt mein Mann. Nun zu ihm ... zu Herrn Heinrich.«

 

Am Lager Herrn Heinrichs stand Graf Gerwalt, eine stattliche, mannhafte Kriegergestalt in voller Waffenrüstung, nur ein paar Jahr jünger als der Bischof, aber sein blondes Haar war weit weniger ergraut. Er hielt des Wunden Hand gefaßt und sprach: »Ihr habt mir nicht zu danken. Was ich getan, ich tat's nicht Euch zu lieb' – ich tat's fürs Reich. Ich kam zu der Einsicht, daß, wie die Dinge hier in der Stadt, und im Gau nun einmal liegen, Bischof und Graf, auch wenn sie beide nicht solche Streitköpfe sind wie wir, auch bei friedfertigem Sinn – unablässig in Hader über die Grenzen ihrer Rechte kommen werden, kommen müssen. Deshalb hab' ich – und allerdings auch, weil ich den Rothenburger Heinrich als einen Mann kenne, der Land und Leute trefflich zu leiten und – wir haben's diese Nacht wieder erlebt! – zu schirmen weiß, bei Kaiser Otto mit Hilfe Eures klugen Bruders, des Herrn Kanzlers, durchgesetzt, was fortab – nun, ich lese Euch seine Urkunde vor«; und er ließ sich von Frau Heilfriede ein Pergament reichen mit dem großen kaiserlichen Siegel und las:

»In dem Namen der heiligen unzerteilten Dreifaltigkeit Otto der Dritte, ein Knecht Jesu Christi und römischer Kaiser, Mehrer des Reichs, nach dem Willen Gottes, unsres Seligmachers und Erlösers. Was von unsrer Majestät zu Erhöhung der Kirchen Gottes und seiner Heiligen gegeben wird, das, so hoffen wir, wird sonder Zweifel zur Stätigung unsres Reiches und uns zur Freude des ewigen Lebens ersprießlich sein. Darum sei kund allen unsern gegenwärtigen und künftigen Getreuen, daß wir um Willen der Bitten des ehrwürdigen Erzbischofs und Kanzlers unsres Reiches, Herrn Heriberts, auch auf verständige und für des Reiches Nutz zuträgliche eindringliche Vorstellung des tapfern Herrn Gerwalt, bisher Grafen des Ran- und Waldsassengaues und dazu aus besonderer Ehrung der wackern Dienste in Krieg und Frieden, die uns Herr Heinrich, weiland Graf von Rothenburg ob der Tauber, nunmehr aber Bischof von Würzburg, geleistet hat, diesem Herrn Bischof Heinrich und all' seinen Nachfolgern zu Ehren des allmächtigen Gottes, Seligmachers der Welt, und der kostbarlichsten Märtyrer Sankt Kilian, Sankt Coloman und Sankt Totnan geweihet haben, geschenkt und gewidmet zwo Grafschaften, genannt Waldsassen – mitsamt Stadt und Weichbild von Würzburg – und genannt Rangau in dem Lande, das man das Morgenfrankenland heißt, gelegen, die wir mit allem Zwang, allen Satzungen und unserm königlichen Banne, mit Ordnung und Gerichtsbarkeit, nichts ausnehmend von dem allen, was die Grafen oder sonst irgendein Mensch von Herkommen und Gewohnheit wegen haben sollen, und dies alles mit aller Nutzbarkeit den obgeschriebenen Märtyrern zu eigen gegeben und aus unsern Rechten und unsrer Herrlichkeit in des ehrwürdigen Bischofs Heinrich und seiner Nachfolger Recht und Herrlichkeit gänzlich übertragen haben: nämlich in der Gestalt, daß gemeldeter, ehrwürdiger Bischof Heinrich und alle seine Nachfolger die vorgenannten Grafschaften wie immer es ihnen gefallen wird für und für ordnen, selbst verwalten oder einen andern als Grafen damit belehnen mögen, ohne daß wir, unsre Nachfolger oder sonst männiglich Eintrag und Widerspruch erheben mögen. Und damit diese unsre kaiserliche Übergabe nun und hinfort desto beständiger verbleibe, haben wir diesen Brief mit eigener Hand gefestigt und zu besiegeln geboten. Gegeben den dreißigsten Tag des Maien, nach der Menschwerdung des Herrn im tausendsten Jahr, in der dreizehnten Römer Zinszahl, in unsres des dritten Otten Königtum dem sechzehnten und unsres Kaisertums im fünften Jahr. Gegeben zu Rom: seliglich. Amen.«

Herr Heinrich reichte ihm die Hand und suchte sein Auge, gewaltig hob sich ihm die Brust in tiefem Atmen. Es dauerte geraume Zeit, bis er sagen konnte: »Dank! – Heißen Dank! Und war mir doch geweissagt, ich würde nicht sterben, bevor ich meinen schlimmsten Feind erschlagen! Ich meinte, das ... war ...« »Nicht ich!« sprach Graf Gerwalt und strich ihm über die Stirne.

»Nein! – Das war ... ein andrer! – Aber Graf Gerwalt, was wird aus Euch?« Heilfriede legte die Hand auf ihres Gatten gepanzerte Schulter und sprach mit stolzfreudigem Blick: »Markgraf von Meißen wird er, mit herzoglichem Recht und Rang. Der große Held, Markgraf Eckhart, der Schreck der Slawen, der Schirmer unsrer Marken dort, ist gestorben. Mein Mann tritt an seine Stelle. Sobald Ihr vom Lager erstanden seid, brechen wir dorthin auf.«

Herr Heinrich nickte: »Er hat's verdient. – Zwei Grafschaften kann ich allein nicht selbst verwalten. Hellmuth soll den Rangau – Wo ist Hellmuth? ah dort! Sieh, Hand in Hand mit Edel? Nun möcht' ich doch wissen auch von gar manchen andern noch: von dem Geschicke so vieler der mir anvertrauten Seelen – wie hat all' das gewirkt auf ...? – ach auf viele! Und wie kommt es, – daß Minnegard, – sie lehnt an Fulkos Brust! Ei schlimme Mündel! Berichtet und erklärt!«

»Nein,« sprach Frau Heilfriede sanft, den Finger auf die Lippen legend, »heute wird nichts mehr berichtet und erklärt. Es ist genug, fast schon zuviel gewesen für einen wunden Mann. Morgen dann – da uns der liebe Gott nicht mehr bedroht! – morgen ist auch noch ein Tag. Da mögt Ihr alles vernehmen: – wird Euch wohl manches wundern! Aber Ihr werdet mir eine Bitte nicht verweigern, Herr Hezilo?«

»Keine, Heilfriede!« – »Jetzt, Herr Bischof, sprecht Euer Nachtgebet. Es wird draußen schon dunkel. Jetzt scheidet ... auch du, mein Gerwalt – geht nun alle hinaus. Der Kranke muß ruhen, schlafen.« »Aber er darf nicht allein bleiben,« rief Minnegard. »Gewiß nicht! Ich will ...« sprach Edel eifrig. »Nein, liebes Kind,« erwiderte die sanfte Frau, ihre Wange streichend. »Das ist mein Recht: ich bin doch seine älteste Freundin.«


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