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»Gut! gut doch! Die Chosen kennen wir! . . . Aoh! . . Yes . . Goddam . . shocking! . . . Sobald Sie weder bezahlen noch Rede und Antwort stehen wollen, bedienen Sie sich immer dieser Münze . . . Aber bei Bibi zieht so 'was nicht mehr! . . . Hier heißt's berappen, alter Gauner . . .«
»Fürwahr, Master Lebeau, Sie b'auchen Wo'te zu mir . . Wo'te von eine' Vehemenz! . . .«
Und um das Wort Vehemenz auszusprechen, das er mit Stolz in seinem Wortschatze aufzuzählen schien, – denn er wiederholte es zwei-, dreimal hintereinander – warf sich J. Tom Lewis in die Brust, daß seine Hemdkrause sich steif herausbauschte, und verschwand innerhalb der weißen Predigerhalsbinde von mächtigem Umfange, die ihm den Hals einzwängte. Gleichzeitig hiermit begann sein Augapfel die bekannte Drehung um die eigene Achse zu machen, wodurch in seinen weit offenstehenden Augen seine unentzifferbaren Gedanken ganz durcheinander rumort und verwirrt wurden, während der unter gesenkten Lidern wallende, kriechende Blick seines Gegners der schlimmen Zunge des Engländers die List entgegenstellte, die auch in einer schmalen, haarlosen Wieselschnauze sichtlichen Ausdruck fand.
Das helle, gekräuselte und gerollte Haar, seine streng in Schwarz gehaltene Kleidung, der bis zum Halse hinauf geknöpfte Leibrock, die Tadellosigkeit seiner bedächtigen umsichtigen Haltung lieh dem Meister Lebeau ein Aussehen, das einiges von einem Staatsanwalt im alten Châtelet an sich hatte. Da aber nichts so sehr darnach angethan ist, die wirkliche Art der menschlichen Naturen zur Geltung zu bringen, wie Interessen-Streit und Erregung über den Geldpunkt, so ließ in diesem Augenblicke auch dieser sonst so wohlerzogene Mann, der glatt geschliffen war wie seine Nägel, der feine, leckere Lebeau, das Schoßkind der königlichen Vorgemächer, der einstmalige Leibdiener im Tuilerienschlosse, den häßlichen alten Schurken erkennen, der er war, erpicht auf Geldgewinn und Jägerrecht.
Um vor einem Frühlingsschauer, der sich mit reichen Wassermengen über den Hof ergoß, geborgen zu sein, hatten sich die beiden Gevatter in die geräumige Remise geflüchtet, deren frisch getünchte weiße Wände bis zur Hälfte ihrer Höhe hinaus mit dicken Matten ausgeschlagen waren, um die hier Rad an Rad aufgestellter zahlreichen und prächtigen Equipagen gegen die Feuchtigkeit zu schützen. Von der Staatskarosse aus lauter Spiegelwand und strotzend von Gold, bis herunter zum bequemen »Four-in-hand« der Jagdfrühstücke, zum leichten Phaeton der Korsofahrten, bis zu dem Schlitten herunter, welcher die Königin bei Frostwetter über die Seeen trug, bewahrten all' die hier beherbergten Gefährte – in ihrem Zustande der Ruhe, in dem Zwielichte der Remise – ihre gebrechliche, oder ihre plumpe Physiognomie von Luxustieren, blitzend und teuer wie die phantastischen Pferde in den Märchen aus der assyrischen Königszeit. Schicklich ergänzt wurde dieser Eindruck von Komfort und vornehmem Leben durch die Nachbarschaft der Ställe, aus denen herüber das Schnauben der Rosse, das gegen die Holzverkleidung schallende Stampfen der Hufe zu hören war; durch die halboffenstehende Sattelkammer, deren gewichster Parkettboden, deren mit Billardtuch ausgeschlagene Wände man sah mit all den Peitschen im Kastenregal, mit all den Geschirren und Sätteln über Böcken, die rings an den Wänden herum trophäenartig aufgestellt waren, deren Stahlzeug blitzte und glitzerte, deren Zaumzeug Guirlanden bildete.
Tom und Lebeau zankten sich in einem Winkel, und ihre Stimmen schwollen an, vermischt mit dem Geräusche, welches der auf die asphaltierten Steige im Hofe niederklatschende Regen verursachte. Der Kammerdiener vor allem, der sich hier zu Hause fühlte, schrie sehr laut. War wohl dieser Flibustier von Lewis zu begreifen! . . . Und wer hätte sich wohl eines solchen Streiches versehen? . . . Als Ihre Majestäten das Pyramiden-Hotel verlassen hatten, um ihren Wohnsitz nach Saint-Mandé zu verlegen, wer hatte denn das Geschäft entriert? War es Lebeau? ja, oder nein? Und zwar, aller Welt zum Trotz, den offenkundigsten, unverhülltesten Feindseligkeiten zum Trotz . . . Worüber war man gegenteils einig geworden? Sollten nicht sämtliche Kommissions- und Provisionsgelder, sämtliche Trinkgelder und Prozente der Lieferanten zur Hälfte zwischen die beiden »Macher« geteilt werden? War es so? he? war es so?..
»Ach . . . yes . . . So war es freilich . . .«
»Warum dann schwindeln?«
» No . . no . . niemals schwindeln . . .« sagte J. Tom Lewis, die Hand auf der Busenkrause.
»Vorwärts dann, alter Gauner . . . die sämtlichen Lieferanten geben Euch vierzig Prozent; dafür habe ich den Beweis . . . Und Ihr habt mir gesagt, daß Ihr zehn bekämet . . . Hiernach habe ich, ich! von der Million, welche die Einrichtung in Saint-Mandé gekostet hat, meine fünf Prozent, also fünfzigtausend Francs; und Sie, Sie haben fünfunddreißig Prozent, nämlich sieben mal fünfzigtausend Francs . . dreimalhundert und fünfzigtausend Francs . . . dreimalhundert und fünfzigtausend Francs . . . dreimalhundert und fünfzig . . .«
Er erstickte vor Wut an dieser Ziffer, die ihm wie eine Gräte im Halse steckte. Tom versuchte ihn zu besänftigen. Fürs erste wäre dies alles weit übertrieben . . . . Und dann hätte der Agent doch riesige Kosten . . . Seine Miete in der Rue Royale sei gesteigert worden . . er hätte so sehr viel Außenstände, die Gelder kämen so außerordentlich schwer herein . . . ganz ungerechnet den weiteren Umstand, daß es für ihn doch nur ein vorübergehendes Geschäft wäre, während Lebeau immer hier bliebe; und in einem Hause, in welchem jährlich mehr als zweimalhunderttausend Francs ausgegeben würden, sollte es an Gelegenheiten zum Geldverdienst doch wahrlich nicht mangeln!
Der Kammerdiener lieh aber solchen Reden kein Ohr. Seine Geschäfte gingen niemand etwas an, und von einem Geizkragen von Engländer ließe er sich nicht die Gurgel zusammenschnüren!
»Herr Lebeau! Sie sind eine unve'schämte Mensch . . . Ich wollen mit Ihnen sp'ech' kein Wort mehr . . .«
Und Tom Lewis machte Miene, die Thüre zu gewinnen. Der andere aber vertrat ihm den Weg. »Fortgehen und nicht bezahlen! . . . Aber ja doch . . .« Seine Lippen waren bleich. Seine wutschnaubende Wieselschnauze streckte sich vor, zitternd und bebend, nach dem Engländer hin, der noch immer seine Ruhe wahrte und eine so erboßende Kaltblütigkeit an den Tag legte, daß schließlich der Kammerdiener aller Rücksicht, jeglichen Taktgefühls verlustig ging und ihm mit einem groben Schimpfworte die Faust unter die Nase hielt.
Mit der Rückfläche der Hand, flink wie eine Hieb-Parade, die aber mehr nach dem Pantoffelspieler als nach dem Boxer aussah, schlug der Engländer die Faust von sich hinweg und rief dem Diener im unverfälschtesten Dialekte des Faubourg Saint-Antoine zu:
»Hand von der Neese . . . oder ich haue zu!«
Die Wirkung dieser wenigen Worte war phänomenal. Lebeau war vor Erstaunen schier wie zu Boden geschmettert und suchte im ersten Augenblicke mechanisch um sich herum, wie um zu sehen, ob es denn auch wirklich der Engländer wäre, welcher diese Worte gesprochen hätte. Dann fiel sein Blick zurück auf Tom Lewis, der plötzlich über und über rot geworden war und die Augäpfel wieder ihre Drehung um ihre Achse machen ließ – und entflammte jäh von einem tollen, lustigen Feuer, aus welchem die Funken seines Zorns auf der Stelle entstiebten, und das schließlich auch den Geschäfts-Agenten selbst ergriff.
»O! vermaledeiter Großhans! Vermaledeiter Großhans! – So 'was hätte mir doch plausibel sein sollen! – Ist also Engländer nicht mehr als soviel!«
Sie lachten noch und konnten vor Lachen nicht zu Atem kommen, als sich hinter ihnen plötzlich die Thüre des Sattelraumes aufthat, und die Königin erschien. Seit einem Augenblicke war sie in dem anstoßenden Saale aufhältlich gewesen, wo sie eben ihre Lieblingsstute selbst angebunden hatte, und hatte dort kein Wort von der Unterhaltung verloren. Der von so untergeordneter Stelle geübte Verrat berührte sie wenig. Sie wußte seit langem schon, was sie von Lebeau zu halten hatte, von diesem Tartüff im Lakeienrock, dem Zeugen aller Demütigungen, die sie erlitten, alles Elends, das über sie hereingebrochen war. Den anderen, den Mann im Cab, kannte sie kaum – er war ein Lieferant! Aber diese Menschen hier hatten ihr Kunde gegeben von ernsten, wichtigen Sachen. Die Einrichtung in Saint-Mandé kostete also eine Million; ihre Lebensführung, die sie für so bescheiden, für so eingeschränkt hielten, kostete zweimalhunderttausend Francs im Jahr, und sie besaßen doch kaum vierzigtausend Francs Einkünfte. Wie hatte sie so lange blind bleiben können über ihre Lebensweise – über die Unzulänglichkeit ihrer wirklicher Hilfsquellen! – Wer also gab das Geld her zu allen diesen Ausgaben? Wer bezahlte demnach für sie diesen Luxus, Haushaltung, Pferde, Wagen, ja ihre Toiletten und persönlichen Bedürfnisse! Eine Empfindung von Scham und Schande sengte ihr bei diesem Gedanken die Wangen, während sie in kerzengerader Haltung quer über den Hof unter dem Regen hin schritt und rasch und lebhaft den Fuß auf die kleine Freitreppe der Intendantur setzte.
Rosen war eben damit beschäftigt, Rechnungen zu ordnen, auf denen sich lange Reihen von Louisdors summierten, und sprang erstaunt über ihren Anblick mit einem einzigen Satze in die Höhe.
»Nein! Bleiben Sie!« rief sie mit schroffer Stimme. Dann bückte sie sich über den Schreibtisch des Herzogs; ihre Hand, auf der noch der Reithandschuh saß, streckte sich über das Pult hin, und entschlossen, eindringlich, befehlend fuhr sie fort:
»Rosen! wovon leben wir seit zwei Jahren? . . . O! keine Ausflüchte! . . Ich weiß, daß alles, was ich gemietet glaubte, in unserem Namen gekauft und bezahlt worden ist. Ich weiß, daß Saint-Mandé ganz allein uns über eine Million kostet – jene Million, die wir aus Illyrien mit hierher gebracht haben. Sie werden mir zu sagen belieben, wer uns seitdem beisteht, und aus welchen Händen uns das Almosen fließt?«
Das verdutzte Gesicht des Greises, das klägliche Zittern seiner schwachen, von Falten und Runzeln gefurchten Hände gaben Friederiken Kunde.
» Sie! . . . Sie sind es!«
Das wäre ihr niemals in Gedanken gekommen. Und während er sich entschuldigte, Worte lallend, wie »Pflicht, Wiedereinsetzung,« rief sie heftig:
»Herzog! Der König nimmt nicht das zurück, was er geschenkt hat; und die Königin hält man nicht aus wie eine Dame vom Ballett!«
Zwei Thränen drangen aus ihren Augen hervor, wie Funken – Thränen des Stolzes, die den Weg nicht nach unten fanden.
»O! Verzeihung . . Verzeihung!«
Er war so demutsvoll und küßte ihr mit einem solchen Ausdrucke schmerzlichen Bedauerns die Spitze der Finger, daß sie, einigermaßen besänftigt, fortfuhr:
»Sie werden einen Auszug machen, mein lieber Rosen, welcher alle Ihre Vorschüsse genau verzeichnet. Es wird ein Schuldschein darüber ausgestellt werden, und der König wird sich dieser Schuld so bald wie nur irgend möglich entledigen. Was die zukünftigen Ausgaben angeht, so gedenke ich mich von jetzt ab mit ihnen persönlich zu befassen. Ich werde streng darüber wachen, daß sie unsre Einnahmen nicht übersteigen. Wir werden Pferde und Wagen verkaufen. Das Dienstpersonal wird verringert werden. Fürsten, die im Exil leben, müssen sich mit wenigem begnügen.«
Der alte Herzog nahm einen Anlauf.
»Lassen Sie einen Irrtum wie diesen beiseite, Königliche Hoheit! Gerade im Exil ist das Königtum all seines Glanzes und Ansehens bedürftig! Ach! wenn man auf mich gehört hätte, dann würden Ihre Majestäten nicht dahin gekommen sein, hier, in einer Vorstadt von Paris, mit einer Einrichtung, die für eine Saison im Bade höchstenfalls auskömmlich ist, leben zu müssen. Ich hätte es gern gesehen, wenn Ihre Majestäten in einem Palaste, angesichts des vornehmen Paris, gelebt hätten; denn ich bin überzeugt, daß das, was die entthronten Könige am meisten zu fürchten haben, eben gerade jenes Sichgehenlassen ist, in welches sie leichtlich verfallen, sobald sie auf das Niveau der Straße hinabgesunken sind, sobald sie dem Umgange, der Begegnung mit jedermann ausgesetzt sind . . . Ich weiß, ich weiß . . man hat mich gar oft mit meinen Etikette-Fragen, mit meinem kindischen und überlebten Wesen peinlicher Strenge für albern, für lächerlich gehalten. Und doch sind diese Formensachen weit wichtiger denn je; sie helfen den Stolz der Haltung zu wahren, welcher im Unglück so leicht verloren wird. Es ist die unbeugsame Rüstung, welche den Soldaten stramm erhält, selbst wenn er auf den Tod verwundet ist.
Sie verweilte einen Augenblick lang, ohne zu antworten. Auf ihre reine und edle Stirn trat ein Gedanke, der sie eben traf. Dann richtete sie den Kopf empor und sagte:
»Es ist unmöglich! Es giebt noch einen Stolz, der über jenem anderen Stolze steht! Es ist mein Wille, daß von heute Abend ab die Dinge jene Wandlung nehmen, wie ich eben gesagt habe.«
Darauf er, in eindringlichem, fast flehendem Tone:
»Aber Ihre Majestät denken doch nicht daran . . . Ein Verkauf von Pferd und Wagen, das würde ja einer Art von königlichem Bankerott gleichkommen! Welch ein Aufsehen würde das machen! Welch ein Ärgernis würde das geben!«
»Was jetzt vorgeht, ist noch ein weit schlimmeres Ärgernis!«
»Wer weiß es? . . . Wer ahnt es bloß? . . . Wie soll irgendwer auf die Vermutung kommen, daß dieser alte Geizkragen von Rosen . . . Sie selbst zauderten doch eben jetzt noch . . . O! Madame, Madame! ich beschwöre Sie, nehmen Sie an, was Sie geruhen wollen meine Ergebenheit zu nennen . . . Erstlich würde ein solches Beginnen ja gleichbedeutend damit sein, das Unmögliche zu versuchen! Wenn Sie wüßten . . . Aber Ihre Einkünfte von einem einzigen Jahre würden ja kaum für die Spielbörse des Königs ausreichen!«
»Der König wird nicht mehr spielen, mein Herr Herzog!«
Das wurde in einem Tone gesprochen! und mit Augen! Rosen beharrte nicht länger mehr auf seiner Meinung. Indessen gestattete er sich noch die Bemerkung:
»Ich werde thun, was Ihre Majestät wünschen. Aber ich bitte Sie darum, dessen eingedenk zu bleiben, daß alles, was ich besitze, Ihrer Majestät gehört, und daß ich es wohl verdient habe, daß man sich in einem Falle der Bedrängnis zuerst an mich wende!«
Er hatte die Gewißheit, daß dieser Fall nicht lange auf sich warten lassen werde.
Vom andern Morgen an nahmen die Reformen ihren Anfang. Die Hälfte der Dienerschaft wurde entlassen, die unnötigen Wagen nach dem Tattersall geschafft, wo sie zu ziemlich günstigen Bedingungen verkauft wurden, mit einziger Ausnahme der Staatskutschen, die für Privatleute die Aufmerksamkeit in allzu belästigender Weise auf sich zogen. Man entledigte sich indes auch ihrer. Ein amerikanischer Cirkus, der sich eben in Paris mit großem Aufwande an Reklame aufgethan hatte, erstand sie – und diese prächtigen Gefährte, die Rosen, um seinen Fürsten einiges von der verschwundenen Pracht zu erhalten, und erfüllt von der fernen Hoffnung auf eine Rückkehr nach Laibach, hatte bauen lassen, dienten nun zu Produktionen mit chinesischen Zwergen und gelehrten Affen, zu historischen Reiter-Aufzügen und zu Apotheosen à la Franconi. Wenn die Vorstellungen ihrem Ende entgegen gingen, dann sah man diese fürstlichen Karossen mit den kaum verwischten Wappenschildern dreimal die Fahrt um die Arena machen, während sich über den Rand ihrer ausgekippten Spiegel irgend eine, Grimassen schneidende und wunderliche Fratze neigte oder irgendwelcher berühmte Akrobat seinen dummen Schädel mit dem kurz geschornen Haar, oder seine Büste unter rosaseidenen Maschen herausreckte und die Menge mit seiner von Pomade und Schweiß leuchtenden Stirne begrüßte. Alle diese in die Manège und in das Manège-Stroh gestürzten, zwischen die Gäule und die Wunder-Elephanten geschobenen Salbungs-Überbleibsel – welch eine Prophezeiung waren sie für das Königtum!
Dieser Verkauf im Tattersall, mit welchem zugleich, auf großen Mauer-Anschlägen, der Verkauf der Diamanten der Königin von Galizien im Hotel Drouot angekündigt wurde, machte einiges Aufsehen; aber Paris hält sich nicht lange bei einer und derselben Sache auf – seine Gedanken und Begriffe folgen dem fliegenden Blatte der Zeitungen. Man redete vierundzwanzig Stunden lang über die beiden Verkäufe. Am folgenden Tage dachte man nicht mehr daran. Christian der Zweite nahm die von der Königin gewünschten Reformen ohne Widerstreben hin; seit jenem traurigen Aufzuge, den er bei Gelegenheit des Empfanges der königstreuen Abgeordneten aus seinem Lande gespielt hatte, bewahrte er ihr gegenüber eine fast verlegene, betretene Haltung, indem er jenes freiwillig zur Schau getragene kindische Wesen, woraus er für seine losen Streiche eine Entschuldigung, einen Vorwand zu drehen schien, noch tiefer setzte.
Was gingen denn ihn übrigens die Reformen, die Veränderungen an, welche innerhalb des Hauses vorgenommen wurden! Sein nur der Lüderlichkeit, nur dem Vergnügen gewidmetes Leben verfloß außerhalb des Hauses. Es war eine Sache zum Staunen, zum Verwundern! binnen einem halben Jahre hatte er nicht ein einziges mal zu Rosens Börse seine Zuflucht genommen. Dieser Umstand stärkte sein Ansehen um einiges wenige in den Augen der Königin, die auch den andern Umstand mit Befriedigung wahrnahm, daß sie das gespenstische Cab des Engländers nicht länger mehr in einem Winkel des Hofes stehen sah, daß sie jenem unterwürfigen Lächeln auf höfischem Gläubiger-Gesichte nicht mehr auf den Treppen begegnete.
Und doch verschwendete der König viel Geld, amüsierte sich und »leistete sich« mehr denn je. Wo fand er Geld hierzu? Elysée erfuhr es auf die seltsamste Weise durch den Onkel Sauvadon, jenen biederen Mann, welchem er ehedem »Ideen über die Dinge« einflößte. Der Onkel Sauvadon war der einzige von seinen alten Bekanntschaften und Beziehungen, welche er nach seinem Einzuge in die Rue Herbillon nicht hatte fallen lassen. Von Zeit zu Zeit nahm er zusammen mit ihm in Bercy ein Frühstück, wenn er ihm Nachrichten von Colette brachte, die ihm zu seiner Bekümmernis nicht mehr vor die Augen kam. Diese Colette, sein angenommenes Kind, war die Tochter eines armen Bruders, den er herzlich geliebt und bis zu seinem Tode unterstützt hatte. Ihr Wohl hatte ihm immer am Herzen gelegen; er hatte ihr Ammen gehalten, als sie noch Wickelpüppchen war, hatte den Taufgroschen für sie bezahlt und später sie auf seine Kosten im allervornehmsten Pariser Kloster erziehen lassen. Sie war sein Laster, seine lebendige Eitelkeit, die niedliche Puppe, die er mit all dem Ehrgeiz, all der Sucht schmückte, die ihm, dem Parvenu-Millionär, in seinem plebejischen Kopfe herumspukten. Wenn im Sprechsaal des Klosters zum Heiligen Herzen die kleine Sauvadon ihrem Onkel ganz leise ins Ohr sagte: »Sieh! die dort ist Baronin oder Herzogin oder Marquise,« dann antwortete ihr der Onkel Millionär mit einem Rucke der derben Schultern: »Wir werden aus Dir noch etwas weit Besseres machen.« Er machte sie zur Prinzessin, als sie ihr achtzehntes Jahr erreicht hatte. An Hoheiten, die auf der Suche nach Mitgiften sind, fehlt es nicht in Paris. Die Agentur Lewis hielt ihrer ein ganzes Sortiment auf Lager – es handelte sich einzig und allein darum, den Preis für sie zu normieren. Und Sauvadon fand, daß zwei Millionen nicht zuviel Geld dafür wäre, an den Abenden, an welchen die junge Prinzessin von Rosen Besuche bei sich empfing, in einer Ecke ihres Salons zu figurieren, nicht zuviel Geld für den Besitz des Rechtes, in einer Nische seinen breiten Mund, zwischen seinen Bart-Coteletten mit den seit Ludwig Philipp aus der Mode gekommenen Büschel-Enden, zu einem Lächeln zu verziehen, das von einem Ohre bis hinüber zum andern reichte. Kleine graue, lebhafte und kluge Augen – die nämlichen Augen, wie sie Colette hatte – schwächten einigermaßen ab, was von Dummheit, Einfalt und Unrichtigkeiten aus diesem dicken, ungehobelten, wie aus dem Hufe eines Gauls geschnittenen Munde seinen Weg nahm – milderten die Offenbarungen, welche dies derbe, vierschrötige Händepaar kündete, das selbst in strohgelben Handschuhen der Zeiten gedachte, als es auf dem Kai Eimer und Fässer rollte.
Zu Anfang mißtraute er sich, sprach ungern, that verwundert, erschreckte die Leute durch sein stummes Verweilen. Der Tausend! im Speicher in Bercy, beim Handel mit Südweinen, die mit Fuchsin oder Campêche-Holz verschnitten werden, lernt man die schönen Redensarten nicht! Nachher bildete er sich durch Méraut's Hilfe diese und jene fix und fertige Meinung, verstieg sich zu kecken Aphorismen über das Ereignis vom Tage, das Buch der Mode. Der Onkel redete nun und zog sich, von einigen Schnitzern freilich, über die man aus dem Häuschen geraten konnte, und von dem bleichen Entsetzen abgesehen, das gewisse, in pittoresker Weise kundgethane Theorieen nach Art de Maistre's in der Umgebung dieses Wasserträgers in weißer Weste hervorriefen, nicht allzu übel aus der Sache. Da aber geschah es, daß ihm das Herrscherpaar Illyriens zugleich seinen Ideen-Lieferanten und das Mittel, mit Ideen zu paradieren, hinwegnahm. Colette, die durch ihre Ämter als Ehrendame bei Hofe festgehalten war, verließ Saint-Mandé mit keinem Fuße mehr, und Sauvadon kannte den Chef des Civil- und Militär-Kabinetts viel zu gut, daß er hätte hoffen mögen, dort Zutritt zu erhalten. Er hatte hiervon auch nicht mit einem Worte nur gesprochen. Den Herzog, der solch eine Person bei der stolzen Friederike einführte und vorstellte, hätte man erst sehen müssen! . . . Einen Weinhändler aus Bercy! Und dazu keinen Kaufmann, der sich in Ruhestand gesetzt hat, sondern im Gegenteil einen, der in voller Thätigkeit steht; denn trotz seiner Millionen, trotz der flehentlichen Bitte seiner Nichte arbeitete Sauvadon noch immer, brachte sein Leben im Speicher, auf dem Kai zu, mit der Feder hinter dem Ohre, den Haarschopf zerzaust, mitten unter Kärrnern und Schiffern, die Fässer aus- und aufladen, oder auch zwischen den gigantischen Bäumen des alten, verstümmelten, zerrissenen Parkes, wo seine Reichtümer sich unter den Speichern, in unzähligen Gebinden und Fässern aufgestapelt, aneinander reihten. »Es würde mein Tod sein, wenn ich aufhören wollte,« war seine Rede. Und er lebte wirklich von dem Lärme der im Rollen befindlichen Fässer und von dem guten Schnittwein-Geruche, der aus diesen großen Speichern in feuchten Kellern heraufstieg, wo er vor fünfundvierzig Jahren als Küferbursche in das Gewerbsleben getreten war.
Dorthin kam Elysée zuweilen, um seinen alten Zögling aufzusuchen und sich an einem von jenen Imbissen zu laben, die man nur in Bercy zu bereiten versteht unter den Bäumen des Parks oder im Gewölbe eines Küfers, wobei der Wein frisch vom Fasse verzapft, der Fisch aus dem Weiher geholt wird, bei denen es Fischsuppen giebt, wozu die Rezepte, wie hinten in Languedoc oder in den Vogesen, auf örtlicher Weisheit beruhen. Jetzt war die Rede nicht mehr von »Ideen über die Dinge,« da man ja bei Colette nicht mehr zur Soiree ging. Aber der Biedermann liebte es, Méraut plaudern zu hören, ihn so recht ungeniert essen und trinken zu sehen; denn ihm schwebte noch immer das ärmliche Loch von Wohnung vor Augen, das Elysée in der Rue Monsieur-le-Prince als Wohnung hatte, und er behandelte Elysée nach wie vor als einen rechten und schlechten Schiffbrüchigen des menschlichen Lebens. Rührende Rücksichten eines Menschen, welcher den Hunger gekannt hat, gegen einen andern Menschen, den er als armen Teufel kennt. Méraut brachte ihm Nachrichten von seiner Nichte, von dem Leben, das sie in Saint-Mandé führte, übermittelte ihm so den Abglanz der irdischen Größe, zu welcher er seine Nichte erhoben, die ihm so schweres Gold gekostet hatte und die er mit eigenen Augen niemals sehen sollte. Zweifelsohne fühlte er sich stolz in dem Gedanken daran, daß die junge Ehrendame mit Königen und Königinnen zu Tische saß, im Rahmen der Hof-Etikette und des Hof-Ceremoniells; allein der Kummer darüber, daß er sie nicht selbst sah, vermehrte seine schlimme Laune, seinen Groll und Verdruß gegen den alten Rosen.
»Was besitzt er denn für Ursache, sich so stolz zu haben? Seinen Namen? seinen Titel? . . . Aber mit meinem Gelde habe ich sie doch mir bezahlt! Seine Ordenskreuze? Bänder? Sterne? Ei! sobald es mir belieben wird, werde ich sie auch besitzen . . . Ach, richtig doch! mein lieber Méraut! Das wissen Sie ja noch nicht! Seit ich Sie nicht mehr gesehen habe, ist mir ein großes Glück widerfahren.«
»Welches denn, mein liebes Onkelchen?«
Er nannte ihn »liebes Onkelchen« infolge einer zuthulichen Vertraulichkeit, wie sie ein Gut der Länder des Südens ist, die ihm die Lust eingab, der besonderen Sympathie, die er – ohne daß von einem geistigen Bande zwischen ihnen die Rede war – für diesen großen Kaufmann fühlte, ein Etikett aufzudrücken.
»Mein lieber Freund! ich besitze den Löwenorden von Illyrien, das Kommandeur-Kreuz! Ei! und da thut sich der Herzog so breit mit seinem Groß-Kordon! . . . Wenn ich ihm am Neujahrstage meine Visite mache, dann hänge ich mir das Ding an . . . Das wird ihm den Standpunkt schon klar machen . . .«
Elysée wollte nicht daran glauben. Den Löwen-Orden! einen der ältesten, begehrtesten Orden in ganz Europa! Diesen Orden an Sauvadon verliehen? an Onkel Sauvadon verliehen? an »mein liebes Onkelchen?« . . Und warum? weswegen? . . . Dafür, daß er in Bercy verschnittenen Wein verkauft hat? –
»O! das ist sehr einfach!« sagte der andre, indem er die kleinen grauen Augen zusammenkniff – »ich habe mir den Grad eines Kommandeurs gekauft, wie ich vorher den Prinzen-Titel bezahlt hatte . . . . Hätte ich ein bischen mehr Geld angelegt, so besäße ich den Groß-Kordon des Ordens; denn er war auch zu verkaufen.«
»Wo denn?« fragte Elysée erbleichend.
»Ei! in der Agentur Lewis . . . Rue Royale . . . Bei diesem sakrischen Engländer findet man alles . . . Mein Kreuz hat mich zehntausend Francs gekostet; der Kordon galt ihrer fünfzehntausend! Und einen jemand kenne ich, der ihn sich zugelegt hat – erraten Sie, wer das ist? . . . Biscarat, der große Haarkünstler! . . . Biscarat auf dem Boulevard des Capucines! – Aber, mein lieber Méraut! was ich Ihnen da sage, das ist ja doch bekannt in ganz Paris! Gehen Sie doch zu Biscarat! Dort werden Sie im Hintergrunde des großen Saals, wo er inmitten von seinen dreißig Gehilfen seines Amtes waltet, eine Photographie von gewaltiger Größe hängen sehen, die ihn als Figaro darstellt mit dem Rasiermesser in der Hand und mit dem Kordon des illyrischen Hausordens um den Hals! Die Zeichnung ist verjüngt auf allen Flaschen im Laden dargestellt.. Wenn der General das sähe, so würde ihm sein Schnurrbart nach der Nase hinauf steigen! . . . Sie wissen doch, wenn er . . .«
Er versuchte, die Grimasse, die der General so gern schnitt, nachzuahmen; da er aber keinen Schnauzbart hatte, ging es damit durchaus nicht recht von statten.
»Sie haben Ihr Patent, Onkelchen? . . . Wollen Sie es mir zeigen?«
Elysée nährte die Hoffnung, daß irgend ein schriftliches Betrugsmanöver, eine Fälschung, mit welcher die Agentur Lewis gewissenlosen Schacher trieb, dahinter stecken möchte. Nein! Es schien alles richtig und in Ordnung, angefertigt wie es die Form erheischte, gestempelt mit dem illyrischen Landeswappen, versehen mit der Unterschrift Boscowichs und unterzeichnet mit dem Namenszuge Christian des Zweiten. Es war ein Zweifel nicht mehr möglich; es wurde ein Handel getrieben mit Kreuzen und Kordons, der mit der Genehmigung des Königs ins Leben gerufen worden war. Im übrigen brauchte ja Méraut, wenn er sich völlige Überzeugung schaffen wollte, nichts weiter zu thun als, sobald er nach Saint-Mandé zurückgekehrt sei, zu dem Geheimrat hinaufzugehen.
In einem Winkel der mächtigen, geräumigen Halle, welche die ganze Höhe des Hotels einnahm, die dem König Christian – trotzdem er nie arbeitete – als Arbeitskabinett diente, die ihm als Fechtsaal, Turnsaal, Bibliothek-Zimmer diente, traf er Boscowich an, zwischen den Kästen und Schiebläden, den großen Kanzleipapier-Hüllen, den übereinandergelegten Blättern, auf denen, eine über der anderen, die jüngst gesammelten Pflanzen trockneten. Seitdem das Exil dauerte, hatte sich der Gelehrte in den Pariser Wäldern von Vincennes und Boulogne, welche die reichste Flora von Frankreich bergen, den Anfang zu einer Sammlung angelegt. Ferner hatte er das Herbarium eines berühmten Naturforschers, der jüngst mit Tod abgegangen war, käuflich an sich gebracht; und in die Prüfung seiner neuen Schätze vertieft, den blutleeren Kopf, dem man kein Alter ansah, über das vergrößernde Glas einer Lupe gebeugt, hob er vorsichtig, eins nach dem andern, die schweren Blätter auf, zwischen welchen die Pflanzen zum Vorschein kamen, von der Krone bis zu den ausgespreizten, breitgepreßten Wurzeln an den Rändern ihrer Farben verlustig. Er stieß einen Ausruf der Freude, der Bewunderung aus, wenn das Specimen unversehrt und wohlerhalten war, betrachtete es lange mit feuchter Lippe, während er laut den lateinischen Namen, die am Fuß eines kleinen Zettels geschriebene Bemerkung hierzu las. Zu anderen Malen entrang sich ihm ein zorniger Schrei, wenn er sah, daß die Blume verletzt, von jenem unmerklichen, den Pflanzensammlern wohlbekannten Wurme durchlöchert war, jenem vom Pflanzenstaube geborenen und von ihm lebenden Atome, welches die Gefahr, oft auch der Verlust der Sammlungen ist. Der Stengel hielt sich noch; sobald man aber an dem Papierblatte rührte, fiel alles in sich zusammen, verflog alles, Blüten und Wurzel, in einem einzigen Staubwirbel.
»Das ist der Wurm . . . das ist der Wurm,« sagte Boscowich, mit der Lupe vorm Auge; und zeigte mit einer Miene, die trostlos und stolz zugleich war, auf eine durchlochte Stelle, ähnlich jener, welche der Bohrkäfer im Holze frißt, und die den Weg des Ungetüms anzeigt. Elysée konnte an einem Verdacht, einem Argwohn nicht länger festhalten. Dieser vom Wahne Besessene war einer gemeinen schädlichen Handlung unfähig, nicht minder aber auch des geringsten Widerstandes unfähig. Beim ersten Worte, das von Ordensauszeichnungen fiel, fing er an zu zittern, und sah furchtsam und mißtrauisch über seine Lupe hinweg . . . Was redete man ihm denn da? freilich hatte der König ihn in dieser letzten Zeit eine Menge von Patenten aller Rangstufen in Vorrat schreiben lassen; aber etwas weiteres wußte er nicht darüber und würde sich auch niemals die Freiheit genommen haben, nach etwas zu fragen.
»Nun denn, Herr Geheimrat,« sagte Elysée mit Ernst und Feierlichkeit – »ich setze Sie davon in Kenntnis, daß Seine Majestät seine Orden durch die Agentur Lewis verschachern läßt!«
Im Verfolg dessen erzählte er ihm die Geschichte von dem großmäuligen Barbier, über welche zur Zeit sich ganz Paris ergötzte. Boscowich stieß einen seiner matten Fistelrufe aus. Im Grunde war seine Erregung über den Vorfall nur sehr gering. Sein in Laibach zurückgelassenes Herbarium stellte für ihn das Vaterland dar; das andre Herbarium, mit dessen Einrichtung er jetzt beschäftigt war, das Exil in Frankreich.
»Aber hören Sie! das ist doch schmählich . . . daß ein Mann wie Sie zu solch abscheulichen Schwindeleien die Hand bietet!«
Und der andre, trostlos darüber, daß man ihm die Augen gewaltsam über das öffnete, was er nicht hatte sehen wollen:
»Aber, aber! was kann ich denn dazu thun, mein lieber Herr Méraut? . . . Der König ist doch nun einmal der König . . . Wenn er sagt: ›Boscowich! hier schreiben Sie das!‹ dann leistet meine Hand Gehorsam, ohne sich Gedanken zu machen . . . besonders, da Seine Majestät so gütig und großmütig gegen mich ist. Seine Majestät haben mir, als Sie mich über den Verlust meines Herbariums in Verzweiflung sah, dies andre hier zum Geschenk gemacht . . . Fünfzehnhundert Francs! ein prachtvolles Gelegenheitsgeschenk! . . . Und als Zugabe habe ich den Hortus Cliffortianus von Linné in der editio princeps erhalten!«
Harmlos und cynisch legte der arme Teufel sein Gewissen bloß. Alles war trocken und tot, Herbarium-Farbe. Die Manie hatte, grausam wie der unbemerkbare Wurm der Naturforscher, alles durchlöchert, von einer Seite zur andern zernagt. Er geriet erst in Erregung, als Elysée ihm drohte, der Königin Mitteilung zu machen. Da erst ließ der Wahn-Umnachtete seine Lupe fallen und machte mit leiser Stimme, während sich ihm, wie einer im Beichtstuhl sitzenden Büßerin, schwere Seufzer über die Lippen rangen, Geständnisse. Es gingen vielerlei Dinge unter seinen Augen vor, die er nicht verteidigen konnte, die ihn in Verzweiflung setzten. Der König wäre von schlimmer Gesellschaft umgeben . . . E poi che volete? Er fühlte nicht die Berufung in sich, Herrscher zu sein . . . fand keinen Geschmack am Throne . . . hatte niemals Geschmack an ihm gehabt! . . . »Ei! aber warten Sie doch! da besinne ich mich eben . . . es ist schon sehr lange Zeit her damit . . . es lebte der hochselige Leopold noch . . . an jenem Tage, als der König, wie er vom Tische aufstand, seinen ersten Schlaganfall bekam und man Christian gesagt hatte, daß er seinem Oheim nun ohne Zweifel bald auf dem Throne nachfolgen werde, da fing das Kind – er war kaum zwölf Jahre alt und spielte in dem patio des Residenzschlosses Crocket – zu weinen an, zu weinen . . . bekam einen tüchtigen Nervenanfall . . . sagte: »Ich will nicht König sein . . . ich mag nicht König sein – man soll doch meinen Vetter Stanislaus an meine Stelle setzen!« Ich habe mich nun dieses Vorkommnisses schon sehr oft erinnert, wenn ich ihn in Christian des Zweiten Augen wiederfand, jenen verschüchterten und furchtsamen Ausdruck, den er an jenem Morgen hatte, als er sich mit seiner ganzen Kraft an seinen Crocket-Hammer klammerte, ganz so, wie wenn er Furcht davor hätte, daß man ihn in den Thronsaal schleppen möchte, und dabei schrie: »Ich mag nicht König werden!«
Der ganze Charakter Christians des Zweiten fand Erklärung durch diese Anekdote. O nein! ein schlechter Mensch war das nicht, aber ein kindischer Mensch, der in zu jugendlichem Alter verheiratet worden, ein Mensch mit brodelnden Leidenschaften und angeerbten Lastern. Das Leben, welches er führte, die Nächte, die er im Club verlebte, die Damen, mit denen er Umgang hielt, die Soupers, die er gab, ein solches Leben ist in einer gewissen Gesellschaftsklasse der normale Zug der Ehemänner. Alles gewann hier einen ernsteren, tieferen Charakter durch diese Königsrolle, die er nicht festzuhalten verstand, durch diese Verantwortlichkeiten, die über seine Fähigkeiten und Kräfte hinausgingen, vor allem durch dieses Exil, das ihn langsam entsittlichte. Festere und kräftigere Naturen als die seinige verstanden es nicht, diesem entfesselnden Einflusse Widerstand zu leisten, welchen der Bruch mit langen Gewohnheiten übt, dieser beständigen Erneuerung der Ungewißheit und des Zweifels Widerstand zu leisten, die zusammen mit der unsinnigen Hoffnung, mit den Ängsten, mit der entnervenden Wirkung des Wartens auf ihn einstürmte. Wie das Meer, so hat auch das Exil seine lähmende Wucht. Es ermattet und versumpft. Es ist eine Übergangs-Phase. Man entrinnt der ermüdenden Langweile von langen Überfahrten allein durch geschäftiges Schaffen oder regelmäßige Studienzeiten. Aber womit kann sich ein König beschäftigen, welcher kein Volk mehr hat, der keine Minister, keinen Staatsrat mehr hat, der über nichts zu entscheiden, der nichts zu unterzeichnen hat und doch viel zu viel Geist oder Skepticismus besitzt, um sich an dem Trugbilde all dieser Dinge zu erlustigen? der viel zu viel Unwissenheit besitzt, um eine Schwenkung nach irgend welcher anderen ernsten und emsigen Arbeit hin zu versuchen? Das Exil, wie gesagt, ist das Meer; es ist aber auch der Schiffbruch, der die Passagiere der ersten Kajüten, die bevorzugten unter den Menschenklassen, durcheinander würfelt mit den Zwischendecks-Passagieren, mit jenen, die unterm Sternenzelte nächtigen. Es ist ein gar stolzes Prestige, ein echtes, richtiges Königs-Temperament nötig, um sich gewappnet zu halten gegen rangverderbende Vertraulichkeiten, gegen entwürdigenden Umgang mit niedrigeren Personen, gegen Dinge, worüber man später zu erröten, worunter man später zu leiden haben wird – sich als König zu wahren und zu erhalten inmitten von Entbehrungen, Bedrängnissen, Besudelungen, die innerhalb eines ärmlichen Menschentums die Rangstufen vermehren und verwischen.
Ach! ach! diese Bohème, dieses Vagabonden- oder Zigeunertum des Exils, vor welchem es der Herzog von Rosen um den Preis großer Opfer so lange bewahrt hatte, fing an das Königshaus von Illyrien zu überfluten. Der König griff zu allerhand Mitteln, schlug allerhand Wege ein, um sich das Geld, dessen er für seine Zerstreuungen bedurfte, zu verschaffen. Den Anfang machte er damit, daß er quer schrieb wie ein kurz gehaltener Sohn aus reichem Hause; denn er fand es ganz ebenso einfach und mit J. Tom Lewis'scher Hilfe sogar weit bequemer, als diese »Anweisungen auf unsere Kassette,« die er ehedem an den Chef des Civil- und Militär-Kabinetts überschrieb. Die Wechsel wurden fällig, wurden prolongiert und wuchsen dadurch beträchtlich, bis schließlich der Tag herankam, an welchem Tom Lewis selbst auf dem Trockenen saß und, da das Königs-Metier in Ermangelung von Staat und Volk und Civilliste keine andere Hilfsquelle mehr bot, auf jenen allerliebsten Handel mit Ordenspatenten und Diplomen verfiel, von welchem Méraut so unerwartete Kenntnis gewonnen hatte. Der arme Löwe von Illyrien wurde zervierteilt wie ein gemeines Stück Vieh, in Viertel und Schlegel zerlegt, im Wege des Meistgebots und auf dem Scharren verkauft: so und soviel für die Mähne und für die Nuß, für die Keule und für die Klauen. Und das war erst der Anfang. Einmal im Cab von Tom Lewis, durfte der König auf so stattlichem Wege nicht inne halten. Das war's, was Méraut sich sagte, als er von Boscowich wegging. Er sah wohl, daß man auf den Geheimrat in keinerlei Weise bauen konnte, daß er leicht zu fangen war wie alle Leute, die unter einem Wahne leiden. Er selbst war zu neu, zu fremd in dem Hause, um über Christians Geist irgend welche Macht zu üben. Wenn er sich an den alten Rosen wendete? Aber bei den ersten Worten, welche der Erzieher und Lehrer redete, schleuderte der Herzog ihm den Blick eines Menschen zu, der sich in seinem heiligen Glauben beleidigt fühlt. Für diesen Mann blieb der König, wenn er auch so tief gesunken war, wie er sinken konnte, eben immer der König. Keine Hilfe war auch von seiten des Mönches zu erhoffen, dessen grimmes Gesicht nur in langen Zwischenräumen zwischen Ende und Anfang einer Reise sichtbar wurde, und jedesmal verbrannter und magerer aussah.
Die Königin? . . . aber er sah ja seit Monaten, wie traurig, wie erregt sie war, wie über ihrer schönen, verschwiegenen Stirn Kummer und Sorge ihre steten Schatten warfen, so daß sie, wenn sie dem Unterricht beiwohnte, nur zerstreut zuhörte, daß ihr Geist anderswo weilte, während die Hände still und müßig über ihre Arbeit ausgestreckt lagen. Schwere Kümmernisse hielten sie in Aufregung, Kümmernisse, die ihr fremd waren, und die sie bis ins Innerste ihrer Seele hinein trafen, Geldsorgen, die demütigende Abweisung all dieser ausgestreckten Hände, die sie nicht mehr zu füllen imstande war. Lieferanten, Bedürftige, Exils- und Unglücksgefährten – dies klägliche Herrscher-Metier hat Pflichten selbst dann noch, wenn es keine Rechte mehr hat. Alle diejenigen, welche den Weg nach dem im Wohlstande befindlichen Hause finden gelernt hatten, harrten jetzt stundenlang in den Vorzimmern und gingen oft, des Wartens müde, mit Worten auf den Lippen fort, welche die Königin, ohne daß sie sie hörte, aus den unzufriedenen Mienen der Leute erriet, aus ihrer Art, sich nicht vom Flecke zu rühren, wie jemand, der schon zwei- oder dreimal weggeschickt worden. Sie bemühte sich wirklich und wahrhaftig, Ordnung in ihren neuen Lebensgang zu bringen; aber es mischte sich das Unglück darein; Gelder wurden übel angelegt, Werte wurden lahmgelegt; es mußte Zeit gewonnen werden, wenn nicht alles verloren gehen sollte. Arme Königin Friederike, die alles im Punkte des Herzeleids zu kennen vermeinte! ihr gebrach es noch an jenen Nöten, welche welk machen, an der harten und nagenden Berührung des gemeinen und alltäglichen Lebens! Es kamen letzte Monatstage, an die sie, gleich dem Prinzipal eines Handlungshauses, des Nachts mit Zittern und Zagen dachte. Manchmal, wenn die Löhnung der Dienstboten im Rückstande war, fürchtete sie aus der verzögerten Ausführung einer Weisung, aus einem ein bischen weniger demütigen Blicke die Unzufriedenheit eines Bediensteten herauslesen zu müssen. Endlich lernte sie auch Schulden kennen – Geldschulden, die langsam quälen und peinigen, die durch die Frechheit ihrer Verfolgungen die höchsten, die schönstvergoldeten Thüren erbrechen. Der alte Herzog, der ernst und stumm verharrte, spähte alle Ängste, alle Qualen seiner Königin aus und hielt sich fortwährend in ihrer Nähe, als wenn er ihr sagen wollte: »Ich bin da.« Aber sie hatte es sich fest vorgenommen, erst alles zu erschöpfen, ehe sie ihr Wort zurücknahm, ehe sie sich um Hilfe an denjenigen wandte, den sie so hart und streng angelassen hatte.
Eines Abends saß man im großen Saale beisammen. Es war ein eintöniger Abend, ein Abend so wie alle Abende, der wiederum, wie gewöhnlich, ohne die Gegenwart des Königs verlebt wurde. Unter den silbernen Leuchtern hatte man sich zu einem Whist niedergesetzt – man nannte dies ›das Spiel der Königin‹: der Herzog Ihrer Majestät gegenüber mit Frau Eleonore und Boscowich zu Partnern. Die Prinzessin saß am Piano und spielte mit gedämpftem Tone einige von jenen »Echos aus Illyrien,« die Friederike zu hören nicht müde ward, und bei dem kleinsten Beifallszeichen setzte die Musikantin voll ein zum Kriegs- oder Heldengesang. Diese Klänge aus der Heimat, die ein thränenfeuchtes Lächeln, einen heldenhaften Ausdruck auf die am Tische sitzenden Spieler lockten, unterbrachen allein in diesem reichen, Majestäten beherbergenden Bürger-Salon diese Atmosphäre resignierten Exils und gewonnener Gewohnheiten.
Es schlug zehn Uhr.
Die Königin ließ, statt wie allabendlich das Zeichen zur Aufhebung der Tafel durch ihr Aufstehen zu geben und sich in ihre Gemächer zu verfügen, einen zerstreuten Blick über ihre Umgebung schweifen. Dann sagte sie:
»Sie können sich zurückziehen. Ich habe mit Herrn Méraut zu arbeiten.«
Elysée, der neben dem Kamine saß und las, verneigte sich, klappte die Schrift zu, in welcher er blätterte, und ging in den Studiersaal, um Federn, Tinte und anderes Schreibmaterial zu holen.
Als er zurückkam, war die Königin allein und lauschte dem Rasseln der Wagen im Hofe, lauschte noch, während das große Portal wieder geschlossen wurde und auf den Gängen und Treppen des Hotels die auf- und abgehenden Schritte schallten, die in einem zahlreich bewohnten Hause der Ruhestunde voraufgehen. Endlich trat die Stille ein; die Stille, die durch zwei Meilen Wald noch gesteigert, vertieft wurde, in dessen Windes- und Blätterrauschen die fernen, von Paris herübergesandten Geräusche erstickten. Der öde, in dieser einsamen Ruhe noch voll erleuchtete Saal schien bereit zu stehen für irgend welchen Vorgang tragischer Natur. Friederike, mit dem Ellbogen auf die Tafel gestützt, schob mit der Hand die von Méraut in Bereitschaft gehaltene Schreibunterlage zurück.
»Nein, nein! Wir arbeiten heute Abend nicht,« sagte sie – »es war nur ein Vorwand! Setzen Sie sich, und lassen Sie uns zusammen reden!«
Dann setzte sie mit leiserer Stimme hinzu: »Ich muß Sie um etwas bitten.«
Aber was sie ihm zu sagen hatte, das kostete ihr wahrscheinlich viel Mühe; denn sie sammelte sich eine Minute lang, während sie Mund und Augen halb geschlossen hielt und jener tiefgealterte schmerzhafte Ausdruck auf ihr Antlitz trat, den Elysée zuweilen schon dort gesehen hatte, der ihm dieses schöne Antlitz noch schöner erscheinen ließ; dieses Antlitz, gezeichnet durch alle die Liebe, die sie geübt, durch alle die Opfer, die sie gebracht; dieses Antlitz, zerfurcht und gehöhlt in ihren lauteren Linien durch die lautersten Empfindungen der Königin und des Weibes. Es war eine Achtung von religiösem Charakter, die sie so ihm einflößte! Endlich raffte sie all ihren Mut wieder zusammen, und sehr leise, furchtsam, ihre Worte wie schüchterne Schritte eins nach dem andern setzend, fragte ihn Friederike, ob ihm nicht in Paris einer von jenen . . . von jenen Plätzen bekannt sei, wo man . . . auf Pfänder Gelddarlehen gäbe . . .
Eine solche Frage an Elysée richten! an diesen Hauptvertreter der Pariser Bohème, der alle Leihhäuser kannte, sich ihrer seit zwanzig Jahren als Ablagerungsstätte bedient hatte, wohin er des Winters seine Sommerkleider, des Sommers seine Winterkleider trug! . . . Ob er »den Nagel« kannte! ob er »meine Tante« kannte! . . . Dieses aus seinen Jugend-Erinnerungen aufsteigende Rotwelsch wirtschaftlicher Not zwang ihm auf einen Augenblick ein Lächeln auf die Lippen. Die Königin aber fuhr fort, indem sie ihrer Stimme wieder Festigkeit zu leihen suchte:
»Ich möchte Ihnen etwas anvertrauen, dorthin zu schaffen . . . Juwelen . . . Es kommen ja schwierige Augenblicke im Leben . . .«
Und ihre jetzt aufgeschlagenen schönen Augen enthüllten einen tiefen Abgrund ruhigen und übermenschlichen Schmerzes . . . . Dieses Elend, diese Not von Königen . . . soviel menschliche Größe in Niedrigkeit gezogen! . . . War das denn möglich?
Méraut gab durch ein Nicken zu verstehen, daß er bereit sei, sich allem zu unterziehen, was man von ihm begehren würde.
Hätte er ein Wort gesprochen so würde er geschluchzt haben; hätte er eine Gebärde gemacht, so wäre es keine andere gewesen, als sich dieser erhabenen Pein zu Füßen zu werfen! Und doch fing andererseits Mitleid an, sich in seine Bewunderung zu senken. Die Königin erschien ihm nun um einiges minder hoch, um einiges minder erhaben über die Alltäglichkeit des Daseins, ganz so wie wenn er in dem traurigen Einbekenntnis, das sie ihm eben gemacht, einen Ton aus der Bohème verspürt hätte, ein Etwas, das der Anfang des Niedergangs des Sturzes war und sie ihm näher rückte.
Plötzlich stand sie auf und hob aus der bergkrystallenen Schachtel die alte vergessene Reliquie, um sie auf die Tischplatte zu setzen wie eine Handvoll Edelsteine aller Strahlungen.
Elysée erbebte . . . Die Krone! . . .
»Ja, die Krone! . . . Sechs Jahrhunderte nun weilt sie im Hause von Illyrien! Könige sind gestorben, Ströme edelmännischen Bluts sind geflossen, sie zu verteidigen . . . Jetzt muß sie uns helfen, das Leben zu fristen. Es bleibt nur dies uns noch übrig!«
Es war ein herrliches Diadem aus altem Feingold, aus einem Stücke gearbeitet; seine mit Zierrat aufgeblickten Reifen liefen auf der mit scharlachnem Sammet überkleideten Wölbfläche zusammen. Auf den Reifen, auf der Bandleiste aus gefranstem Filigran, im Herzen eines jeden ihrer als Nachahmung der Fasern des Kleeblatts gedachten Blumenzierrate, an der Spitze der durchbrochen festonnierten Bogengänge waren die sämtlichen Varietäten bekannter Steine gefaßt: das durchsichtige Blau der Saphire, das Samtblau der Türkise, das Flammenrot der orientalischen Rubine und die wie Wassertropfen auf Blättern schimmernden Smaragde, der kabbalistische Opal und die Perlen in milchichten Irisfarben. Aber sie alle überragend, vereinigten die überallhin gesäeten Diamanten in ihren Fassungen all jene tausende von abgetonten Feuern und schmolzen, dämpften gleich verstreutem Lichtstaub, wie eine von der Sonne gekreuzte Wolke, den Glanz des durch die Jahrhunderte schon gedunkelten Diadems mit milden Strahlen roten Lampenlichts im tiefen Grunde eines Heiligtums.
Die Königin legte ihren zitternden Finger hierhin und dorthin.
»Es müßten ein paar Steine ausgebrochen werden . . . die größten . . .«
»Womit?«
Sie sprachen mit leiser Stimme wie zwei Verbrecher. Da sie aber nichts in dem Saale entdeckte, was sich hätte eignen können, sagte Friederike:
»Leuchten Sie mir!«
Sie gingen nach der glasbedeckten Veranda, woselbst die hochgetragene Lampe wunderliche Schatten warf und einen langen Lichtstreifen zeichnete, der sich in der Nacht, die draußen über dem Garten lagerte, auf den Rasenplätzen verlor.
»Nein, nein! keine Schere!« flüsterte sie, als sie sah, wie er die Schritte nach ihrem Handarbeitskörbchen hin lenkte – »sie ist nicht stark genug; damit habe ich es schon versucht.«
Zuletzt fanden sie auf dem Kübel eines Granatbaumes, dessen feines Geäst am Fenster im Mondlicht spielte, eine Baumschere. Sie traten beide in den Salon zurück. Elysée versuchte mit der Spitze des Instruments einen ovalen Saphir von mächtiger Größe, den ihm die Königin bezeichnete, herauszuheben; aber der solid gefaßte, polierte Stein leistete Widerstand, entschlüpfte dem Eisen, wich und wankte nicht in seiner goldenen Klammer. Übrigens war die Hand des Operateurs, der den Stein zu verderben oder die Fassung, die schon in Kratzstellen auf ihrem Golde die Spuren früherer Versuche an sich trug, abzulöten fürchtete, weder kräftig noch sicher. Der königstreu gesinnte Mann litt Qualen, empörte sich gegen den Schimpf, den man durch ihn der Krone anthun ließ. Er fühlte, wie sie bebte und zitterte, wie sie widerstand, sich gegen den Schimpf wehrte . . .
»Ich kann nicht . . ich kann nicht . .« sagte er und wischte sich den Schweiß ab, der ihm die Stirn feuchtete.
Die Königin antwortete:
»Es muß sein . . . es muß . . .«
»Aber man wird es sehen!«
Ihr Gesicht zeigte ein stolzes, ironisches Lächeln.
»Sehen? es sehen? Sieht man sie denn bloß noch an? Wer denkt denn hier an sie? wer beschäftigt sich hier mit ihr? Mit Ausnahme von mir?«
Und während er sich, das leichenblasse Haupt gesenkt, wieder an die ihm zuerteilte Aufgabe machte – während er, dem das lange Haar in die Augen herein hing, das königliche Diadem zwischen die Kniee gequetscht hielt, – während die Baumschere an dem goldenen Reife herumbohrte, ihn zerstückelnd, zerhackend, zerfetzend, stand Friederike da mit hochgehaltener Lampe und überwachte das Attentat, so kalt wie jene Steine, die zusammen mit Goldstücken auf der Tischdecke leuchteten, unversehrt und herrlich in ihrer Pracht trotz der durch das Losreißen von der Krone an ihr verübten Gewalt.
Am nächstfolgenden Tage hatte Elysée den ganzen Morgen über außer dem Hause geweilt und kehrte erst dorthin zurück, nachdem die Glocke schon den ersten Schlag zum Dejeuner gethan. Ergriffen, verwirrt, setzte er sich zur Tafel. Er mengte sich kaum mit einem Worte in die Unterhaltung, deren Leuchte und Hebel er für gewöhnlich war. Diese Erregung erfaßte auch die Königin, ohne indes weder ihr Lächeln, noch die Reinheit ihrer Altstimme irgend zu beeinflussen. Und als die Mahlzeit beendigt war, verweilten sie noch geraume Zeit, ehe sie sich nähern, ehe sie frei unter vier Augen reden konnten; die Etikette, die im Hause festgesetzten Verhaltungs- und Lebensregeln, der Dienst der Ehrendame, die eifrige Überwachung seitens der Frau von Silvis hielten sie im Auge. Endlich kam die Unterrichtsstunde. Während der kleine Prinz sich dorthin begab und seine Bücher zurechtlegte, fragte die Königin:
»Was ist Ihnen denn? Was steht mir denn noch bevor?«
»Ach, Majestät! . . . die Steine sind sämtlich unecht . . .«
»Unecht?«
»Und sehr sorgfältig nachgeahmt in Flittergold-Fassung . . . Wie ist das zugegangen? . . und wann? . . Es ist demnach ein Übelthäter hier im Hause!«
Sie war bei diesem Wort Übelthäter fürchterlich blaß geworden. Plötzlich preßte sie die Zähne zusammen, daß sie knirschten, und Zorn und Verzweiflung blitzten in ihren Augen auf.
»Es ist wahr,« rief sie – »es ist wahr – es ist ein Übelthäter hier – und Sie und ich, wir kennen ihn gut . . .«
Dann packte sie mit fieberhaftem Griffe Elysée's Handgelenk und preßte es gewaltsam zwischen ihren Fingern – als gelte es, einen Pakt zu schließen, der bloß ihnen beiden bekannt sei, bekannt sein dürfe:
»Aber wir werden ihn niemals zur Anzeige bringen – nicht wahr?«
»Niemals!« sagte er und wendete die Augen ab –denn sie hatten einander verstanden mit einem einzigen Worte.