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Von allen hübschen Redensarten, Sprichwörtern und Sinnsprüchen, womit die Bauern der Provence ihre Gespräche zu verbrämen pflegen, scheint mir keines so bezeichnend und eigentümlich, als das folgende. Man sagt auf fünfzehn Stunden in der Runde von meiner Mühle von einem rachsüchtigen, unversöhnlichen Menschen: »Dieser Mensch da! traue ihm nicht! . . er ist wie das Maultier des Papstes, das sieben Jahre lang seinen Fußtritt aufhebt.«
Lauge Zeit habe ich danach gesucht, wo dieses Sprichwort herkommen möge und was für eine Bewandtnis es mit diesem päpstlichen Maultiere und mit dem sieben Jahre lang aufgehobenen Fußtritt habe. Niemand hier hat mir darüber Auskunft geben können, nicht einmal Francet Mamaï, mein Querpfeifer, der doch sämtliche provençalische Legenden am Schnürchen herzusagen weiß. Francet denkt wie ich, daß das Sprichwort seinen Ursprung irgend einem Vorgange verdankt, der sich vor alters in Avignon ereignet hat; aber er hat von demselben nie anders, als durch das Sprichwort, gehört.
»Sie werden darüber schwerlich etwas wo anders finden, als in der Bibliothek der Grillen,« sagte mir lachend der alte Querpfeifer.
Die Idee schien mir vortrefflich, und da die Bibliothek der Grillen dicht vor meiner Thüre liegt, so habe ich sie sofort aufgesucht, um mich auf acht Tage darin einzuschließen.
Das ist eine wunderbare Bibliothek, auf das reichste ausgestattet, Tag und Nacht den Dichtern geöffnet und von kleinen Bibliothekaren bedient, die euch überdies die ganze Zeit durch Musik ergötzen. Ich habe darin köstliche Tage verlebt und endlich nach einwöchentlichen Nachforschungen – auf dem Rücken – gefunden, was ich suchte, nämlich die Geschichte meines Maultiers und des sieben Jahre lang aufgehobenen Fußtritts. Die Geschichte ist hübsch, wenn auch ein wenig naiv und ich will versuchen, sie euch zu erzählen, wie ich sie gestern in einem vergilbten Manuskript gefunden habe, welches nach trocknem Lavendel duftete und in welchem große Sommerfäden als Buchzeichen lagen.
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Wer nicht Avignon zur Zeit der Päpste gesehen hat, hat nichts gesehen. An Fröhlichkeit, Leben, Bewegung, Festlichkeiten gab es nie eine ähnliche Stadt. Da gab es vom Morgen bis zum Abend Prozessionen und Pilgerzüge, da waren die Straßen mit Blumen übersäet, mit Teppichen geschmückt, da kamen auf dem Rhône Kardinäle an, mit im Winde flatternden Fahnen, da sangen die Soldaten des Papstes auf den Platzen lateinische Lieder und die Bettelmönche ließen ihre Klappern erschallen; dann ertönte aus den Häusern, die sich summend um den großen päpstlichen Palast drängten wie die Bienen um ihre Königin, von oben bis unten das Ticktack der Spitzenklöppler, das Geräusch der hin und her gehenden Schiffchen, die die goldnen Fäden in die Meßgewänder webten, die kurzen Hammerschläge der Ciseleure bei Anfertigung der Meßkännchen, das Stimmen der Musikinstrumente bei den Lautenverfertigern, die Gesänge von Arbeiterinnen; darüber das Läuten der Glocken und beständig das Rasseln einiger Tamburins da unten, von der Seite der Brücke her. Denn wenn bei uns das Volk zufrieden ist, da muß es tanzen, ja es muß tanzen; und da zu jener Zeit die Straßen der Stadt für die Farandole zu eng waren, so postierten sich Querpfeifen und Tamburins auf die Brücke von Avignon in den frischen Wind des Rhône und Tag und Nacht tanzte man dort, tanzte man . . . . Ach! die glückliche Zeit! Die glückliche Stadt! Hellebarden, die nicht schnitten; Staatsgefängnisse, in welche man Wein schickte um die Gefangenen zu erfrischen. Niemals Mangel; niemals Krieg . . . . So wußten die Päpste von Avignon ihr Volk zu regieren, das ist der Grund, warum ihr Volk sie so sehr bedauert hat! . . .
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Namentlich war es einer, ein guter Alter, Namens Bonifacius . . . O! wie viel Thränen sind in Avignon vergossen worden, als er starb! Es war ein so liebenswürdiger, so einnehmender Fürst! Wie lachte er so freundlich von seinem Maultier herab! Und wenn jemand an ihm vorüberging, mochte es ein armer kleiner Färber oder der erste Richter der Stadt sein, wie erteilte er ihm so höflich seinen Segen! Ein wahrer Papst von Yvetot, aber von einem Yvetot der Provence, mit einem Zug von Schlauheit in seinem Lächeln, einem Stengel Majoran an seinem Barett und nicht der geringsten Jeanneton . . . . Die einzige Jeanneton, die man jemals von ihm gekannt hat, das war sein Weingarten – ein kleiner Weingarten, den er selbst gepflanzt hatte, drei Stunden von Avignon, in den Myrten von Château-Neuf.
Jeden Sonntag, sobald er aus der Vesper kam, machte der würdige Mann ihm seine Aufwartung; und wenn er da oben war und in der lieben Sonne saß, sein Maultier neben ihm, seine Kardinäle rund um ihn her gelagert, dann ließ er eine Flasche von seinem Gewächs entkorken – eine Flasche dieses schönen rubinfarbenen Weins, den man später den Château-Neuf der Päpste genannt hat – und schlürfte ihn in kleinen Zügen, indem er seine Weinpflanzung mit gerührter Miene betrachtete. Wenn dann die Flasche geleert war und der Tag zu Ende ging, dann kehrte er fröhlich nach der Stadt zurück, gefolgt von seinem ganzen Kapitel und wenn er die Brücke von Avignon passierte zwischen den Tamburinschlägern und den Farandoletänzern hindurch, dann nahm sein Maultier, von der Musik angefeuert, einen gelinden, hüpfenden Paßgang an, während er selbst mit seinem Barett den Takt zum Tanze nickte, was seine Kardinäle sehr skandalisierte, das ganze Volk aber in den Ruf ausbrechen ließ: »Ach! der gute Fürst! Ach! der brave Papst!« –
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Was der Papst nächst seinem Weingarten in Château-Neuf auf der Welt am meisten liebte, das war sein Maultier. Der gute Mann war in das Vieh ganz vernarrt. Alle Abend vor dem Schlafengehen sah er nach, ob sein Stall gut verschlossen sei, ob seine Krippe genügendes Futter enthalte und niemals würde er sich von der Tafel erhoben haben, ohne unter seinen Augen eine große Bowle Wein à la française bereiten zu lassen mit vielem Zucker und aromatischen Kräutern, den er ihm eigenhändig brachte, trotz der Bemerkungen seiner Kardinäle . . . . Allerdings muß man auch sagen, daß das Tier der Mühe wert war. Es war ein schönes, schwarzes, rotgeflecktes Maultier mit sicherem Gange, glänzendem Felle, breitem und vollem Hinterteil, das seinen kleinen, mageren, mit Bällchen, Schleifen, silbernen Schellen und Quasten überdeckten Kopf stolz trug; dabei sanft wie ein Engel, das Auge aufrichtig und zwei lange Ohren, beständig in Bewegung, was ihm das Ansehen eines guten Kerls gab . . . . Ganz Avignon erwies ihm Achtung und wenn es durch die Straßen ging, behandelte es jedermann mit der größten Zuvorkommenheit, denn jedermann wußte, daß dies das beste Mittel war sich bei Hofe angenehm zu machen und daß das Maultier des Papstes trotz seiner unschuldigen Miene manch einem zum Glück verholfen hatte. Beweis: Tistet Védène und sein wunderbares Abenteuer.
Dieser Tistet Védène war, der Hauptsache nach, ein unverschämter Gassenjunge, den sein Vater, der Goldschmied Guy Védène, hatte aus dem Hause jagen müssen, weil er nichts thun wollte und die Lehrlinge zur Liederlichkeit verführte. Sechs Monate lang sah man ihn in allen Straßen Avignons, namentlich aber in der Nähe des päpstlichen Palastes sich herumtreiben, denn der Schlingel hatte schon seit langer Zeit seine Gedanken über das Maultier des Papstes und ihr werdet sehen, daß es sich um einen schlauen Streich handelte . . . . Eines Tags, als seine Heiligkeit ganz allein mit seinem Tiere auf dem Walle spazieren ging, sieh! da kommt mein Tistet und redet ihn an, indem er die Hände mit einer Miene der Bewunderung faltet:
»Ach, mein Gott! großer Heiliger Vater, was haben Sie da für ein braves Maultier! . . . Gestatten Sie, daß ich es ein wenig betrachte . . . . Ach, mein Papst, das schöne Maultier! . . . Der Kaiser von Deutschland hat kein solches.«
Und er liebkoste es und sprach zu ihm so sanft, als ob er zu einem Fräulein spräche:
»Kommen Sie her, mein Juwel, mein Schatz, meine edle Perle . . . .«
Und der gute Papst sagte ganz gerührt zu sich selbst:
»Was für ein guter kleiner Bursch! . . . Wie liebenswürdig er mit meinem Maultier ist!«
Und wißt ihr, was am nächsten Morgen geschah? Tistet Védène vertauschte seine alte gelbe Jacke mit einem schönen Spitzenchorhemd, einem Mäntelchen von violetter Seide und Schnallenschuhen und trat in die Dienste des Papstes, zu denen vor ihm nur Söhne der Adligen und Neffen der Kardinäle zugelassen wurden . . . . Soweit kann man es durch Ränke und Kniffe bringen! – Aber Tistet blieb dabei nicht stehen.
Einmal im Dienste des Papstes, setzte der Schlingel das Spiel fort, das ihm so gut geglückt war. Grob gegen alle Welt, war er voller Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit gegen das Maultier, und stets begegnete man ihm in den Höfen des Palastes mit einer Handvoll Hafer oder einem Bündchen Esparsette, dessen rosige Traubenblüten er sanft hin und her bewegte, indem er nach dem Balkon des Heiligen Vaters einen Blick warf, der zu sagen schien: »Siehst du? Wem ich das wohl bringe? . . .« So ging es fort, bis am Ende der Papst, welcher fühlte, daß er alt wurde, dahin kam, daß er ihm die Sorge überließ, über den Stall zu wachen und dem Maultier seine Bowle mit Wein à la française zu bringen; was den Kardinälen durchaus nicht zum Lachen war.
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Aber auch dem Maultier war das nicht zum Lachen . . . . Jetzt, wenn die Stunde seines Weins kam, sah es fünf oder sechs Pagen vom Dienst bei sich ankommen, die sich eilig mit ihren Mänteln und Spitzen in das Stroh einpaddelten; dann nach wenig Augenblicken verbreitete sich ein warmer, angenehmer Duft nach gebranntem Zucker und aromatischen Kräutern durch den Stall und Tistet Védène erschien, vorsichtig die Bowle mit Wein à la française tragend. Dann begann die Marter des armen Tiers.
Diesen Wein, den es so sehr liebte, der es erwärmte, der es beflügelte, hatte man die Grausamkeit hierher zu bringen, hierher in seinen Stall, so daß es den Duft desselben einatmen mußte. Und wenn es dann die Nase davon voll hatte . . . Vorbei! ich habe dich gesehen, ich habe dich gerochen! . . Der schöne Stoff, so rosig, so feurig, so duftend, verschwand in den Kehlen dieser Taugenichtse . . . . Und hätten sie es noch dabei bewenden lassen, ihm seinen Wein zu stehlen; aber diese kleinen Pagen waren wie die Teufel, wenn sie getrunken hatten! . . . Der eine zog es bei den Ohren, der andre bei dem Schwanze; Quiquet setzte sich auf seinen Rücken, Béluguet probierte ihm sein Barett auf und nicht einer dieser Schlingel dachte daran, daß das gute Tier mit einem gut gezielten Fußtritt sie alle in den Polarstern oder noch weiter hätte schicken können . . . . Aber nein! Man ist nicht umsonst das Maultier des Papstes, das Maultier der Benediktionen und Indulgenzen . . . . Die dummen Jungen hatten gut machen, das gute Tier geriet nicht in Zorn und es war nur Tistet Védène, dem es grollte . . . Wenn es merkte, daß der hinter ihm stand, dann juckte es ihm in dem Hufe, und wahrhaftig, es hatte Grund dazu. Dieser Taugenichts Tistet spielte ihm so abscheuliche Streiche! Er erfand so grausame Quälereien, wenn er getrunken hatte! . . .
Kam es ihm nicht eines Tags in den Sinn, das gute Tier auf den Glockenturm des Palastes zu führen, hinauf, ganz hinauf, bis zu der Spitze! . . Und was ich da erzähle, ist nicht etwa eine Fabel, zweimalhunderttausend Provençalen haben es mit angesehen. Ihr könnt euch das Entsetzen des unglücklichen Maultiers denken, als es nach stundenlangem Herumtappen auf einer finsteren Wendeltreppe, nach mühseliger Erklimmung von – ich weiß nicht wie vielen Stufen, sich plötzlich auf einer Plattform befand, rings von blendendem Licht überflutet, und als es tausend Fuß unter sich ein ganzes phantastisches Avignon erblickte, die Buden auf dem Markte nicht größer als Nußschalen, die Soldaten des Papstes vor ihrer Kaserne wie rote Ameisen und dort unten über einen Silberfaden eine kleine mikroskopische Brücke, auf der man tanzte . . . tanzte . . . tanzte! – Ach, du armes Tier! Welches Entsetzen! Von dem Geschrei, das es ausstieß, erzitterten alle Fensterscheiben des Palastes.
»Was giebt es denn da? Was hat man ihm gethan?« rief der gute Papst, indem er auf seinen Balkon stürzte.
Tistet Védène war bereits unten im Hofe und that, als ob er weine und sich die Haare ausraufe:
»Ach! großer Heiliger Vater, was es giebt! Ihr Maultier . . . Mein Gott, was fangen wir nur an? Ihr Maultier ist auf den Glockenturm hinaufgestiegen.«
»Ganz allein ???«
»Ja, großer Heiliger Vater, ganz allein . . . Sehen Sie, blicken Sie nur hinauf, da oben . . . Sehen Sie die Spitzen seiner Ohren, die da hervorstehen? Man sollte meinen, es wären ein Paar Schwalben . . .«
»Gottes Barmherzigkeit!« schrie der arme Papst die Augen erhebend . . . . »Ja, ist es denn toll geworden! Aber es wird sich den Tod holen . . . Willst du wohl wieder herunter kommen, Unglückstier! . . .«
Beim Himmel! Das arme Geschöpf hätte selbst wohl nichts lieber gewollt, als wieder hinunter zu kommen . . . .; aber wie? Auf der Treppe? Daran war nicht zu denken: da kann man wohl allenfalls hinaufkommen, aber herunter! Gott bewahre, da würde man ja hundertmal die Beine zerbrechen . . . . Das arme Maultier war untröstlich und dachte, indem es seine Augen voller Schwindel auf der Plattform herum schweifen ließ, an Tistet Védène:
»O, Bandit! wenn ich davonkomme . . . . Welchen Fußtritt morgen früh!«
Dieser Gedanke an den Fußtritt flößte ihm wieder etwas Mut in den Leib, sonst wäre es nicht imstande gewesen sich zu halten . . . . Endlich gelang es, das arme Tier wieder herunterzubringen, aber es war eine schwierige Geschichte. Man mußte dabei eine Winde, verschiedene Seile und eine Trage zu Hilfe nehmen. Und nun denkt euch: welche Demütigung für das Maultier des Papstes, da oben in der Luft zu hängen und mit den Beinen darin herumzurudern, wie ein Maikäfer am Ende eines Fadens! Und ganz Avignon sah das mit an.
Das unglückliche Tier konnte darüber die Nacht nicht schlafen. Immer kam es ihm vor, als ob es sich auf der verdammten Plattform herumdrehte und die Stadt unten darüber lachte; dann dachte es an diesen niederträchtigen Tistet Védène und an den hübschen Fußtritt, den es ihm am nächsten Morgen verabreichen werde. O, meine Freunde, was für ein Fußtritt! Den Dampf davon sollte man bis nach Pampérigouste sehen . . . . Aber wißt ihr, was Tistet Védène that, während man ihm diesen schönen Empfang im Stalle zudachte? Der schwamm singend auf einer päpstlichen Galeere den Rhône hinab und ging an den Hof von Neapel mit der Schar der jungen Adligen, welche die Stadt jedes Jahr in die Umgebung der Königin Johanna schickte, um sich in der Diplomatie und in feinen Sitten zu üben. Tistet war zwar nicht adelig, aber der Papst hielt darauf, ihn für die Sorge, die er für sein Maultier getragen, und namentlich für die Thätigkeit zu belohnen, die er am Tage der Errettung entwickelt hatte.
Wie fühlte sich das Maultier am nächsten Morgen in seiner Erwartung getäuscht!
»Ah! der Bandit! der hat etwas geahnt!« – dachte es, indem es seine Schellen wütend schüttelte . . . . »aber einerlei, geh nur, du Schuft! wenn du wiederkommst, sollst du ihn doch bekommen, deinen Fußtritt . . . ich hebe ihn dir auf.«
Und es hob ihn auf.
Nach Tistets Abreise kehrte das Leben des Maultiers in sein ruhiges Gleis zurück. Kein Quiquet, kein Béluguet kam mehr in den Stall. Die schönen Tage des Weins à la française waren wieder gekommen und mit ihnen die gute Laune, die langen Siesten und der kurze Tanzschritt, wenn es über die Brücke von Avignon ging. Indes zeigte man ihm seit seinem Abenteuer in der Stadt stets ein wenig Kälte. Es gab Geflüster auf der Straße, die alten Leute zuckten die Achseln, die Kinder lachten und zeigten nach dem Glockenturm. Der Papst selbst hatte nicht mehr das alte Vertrauen zu ihm und wenn er sich Sonntags bei der Rückkehr von dem Weingarten gehen ließ, ein kleines Schläfchen auf seinem Rücken zu machen, so konnte er niemals den Hintergedanken los werden: »Wenn ich nur nicht einmal da oben auf der Plattform wieder erwache!« Das Maultier sah das und litt darunter, ohne etwas zu sagen. Nur zitterten, wenn man vor ihm den Namen Tistet Védène aussprach, seine langen Ohren und dann schärfte es mit einem Anflug von schadenfrohem Lächeln seine Hufeisen auf dem Pflaster . . .
So vergingen sieben Jahre; am Schluß des siebenten kehrte Tistet Védène vom Hofe von Neapel zurück. Zwar war seine Zeit dort unten noch nicht um; aber er hatte gehört, daß der erste Senfbereiter des Papstes in Avignon plötzlich gestorben war, und da die Stelle ihm gut erschien, so hatte er sich in großer Eile aufgemacht, um sich als Mitbewerber zu melden.
Als er nun in den Saal des Palastes trat, da hatte der Heilige Vater Mühe, den alten Ränkeschmied Védène wieder zu erkennen; so groß und stark war er geworden. Freilich war der gute Papst seinerseits recht alt geworden und konnte ohne Brille gar nicht gut mehr sehen.
Tistet ließ sich dadurch nicht einschüchtern.
»Wie? großer Heiliger Vater, Sie erkennen mich nicht wieder? . . . . Ich bin es, Tistet Védène! . . .«
»Védène? . . .«
»Ei freilich! . . Wissen Sie: der, der Ihrem Maultiere den Wein à la française brachte.«
»Ah! ja, ja, . . . ich erinnere mich . . . . Ein guter kleiner Junge, dieser Tistet Védène! . . . . Und nun, was will der jetzt von uns?«
»Oh! nicht viel, großer Heiliger Vater . . . . Ich kam um Sie zu bitten . . . . Apropos, haben Sie es noch immer, Ihr Maultier? Es geht ihm doch gut? . . . Ah, um so besser! . . . Ich kam Sie um die Stelle des ersten Senfbereiters zu bitten, der vor kurzem gestorben ist.«
»Erster Senfbereiter, du! . . . . Aber du bist zu jung. Wie alt bist du denn?«
»Zwanzig Jahr und zwei Monat, erhabener Pontifex; gerade fünf Jahre älter, als Ihr Maultier . . . . Ah! gerechter Gott, das brave Tier! . . . . Wenn Sie wüßten, wie ich dieses Maultier lieb gehabt habe! . . . wie ich mich in Italien nach ihm gesehnt habe! . . . Würden Sie nicht die Gnade haben, es mich sehen zu lassen?«
»Ja, mein Sohn, du sollst es sehen,« sagte der gute Papst ganz gerührt . . . . »Und da du es so sehr liebst, das brave Tier, so will ich nicht, daß du fern von ihm lebst. Von heute an nehme ich dich daher in meine Dienste als ersten Senfbereiter . . . . Meine Kardinäle werden darüber schreien, aber um so schlimmer für sie! Ich bin daran gewöhnt . . . . Komm also morgen nach dem Nachmittagsgottesdienst, da werden wir dir die Insignien deiner Würde in Gegenwart unseres Hofes übergeben und dann . . . . werde ich dich zu meinem Maultiere führen und du wirst mit uns beiden nach dem Weingarten kommen . . . . he! he! nun geh . . . .«
Ich habe wohl nicht nötig zu sagen, daß Tistet Védène sehr zufrieden war, als er den großen Saal verließ und daß er mit großer Ungeduld die Ceremonie des nächsten Tages erwartete. Und doch gab es im Palaste noch jemand, der noch glücklicher und noch ungeduldiger war, als er: das war das Maultier. Von dem Moment an, wo Védène zurückkehrte bis zum Nachmittagsgottesdienst des folgenden Tages hörte das schreckliche Tier nicht auf sich mit Hafer vollzupfropfen und mit den Hufen der Hinterfüße nach der Mauer auszuschlagen. Es bereitete sich ebenfalls auf die Ceremonie vor . . .
Den nächsten Tag also nach dem Nachmittagsgottesdienst, trat Tistet Védène in den Hof des päpstlichen Palastes. Die ganze hohe Geistlichkeit war da versammelt, die Kardinäle in roten Gewändern, der Advokat des Teufels in schwarzem Sammet, die Abbés mit ihren kleinen Mitren, die Kirchenvorsteher von Saint-Agrico, die violetten Mäntelchen des Dienstes, auch die niedere Geistlichkeit, die Soldaten des Papstes in großer Uniform, die drei Brüderschaften der Büßer, die Eremiten des Mont Ventoux mit ihren wilden Mienen und der Mesner, der hinterdrein geht und das Glöckchen trägt, die Brüder Geißler nackt bis auf den Gürtel, alle, alle bis zu dem Spender des Weihwassers und dem, der die Kerzen anzündet und dem, der sie auslöscht . . . Es fehlte nicht einer . . . . Ah, das war ein schönes Weihefest! Glocken, Schwärmer, Sonnenschein, Musik und dazwischen beständig die Tamburins, die wie toll zum Tanz ertönten, dort unten auf der Brücke von Avignon . . .
Als Védène in der Mitte der Versammlung erschien, erregte seine stattliche Haltung und sein schönes Gesicht ein Murmeln der Bewunderung. Er war ein prächtiger Provençale, aber einer von den blonden, mit langen, am Ende gekräuselten Haaren und einem kleinen närrischen Barte, der aus den Abfällen des edeln Metalls gemacht schien, die unter dem Grabstichel seines Vaters, des Goldciseleurs gefallen waren. Es ging das Gerücht, daß in diesem blonden Barte die Finger der Königin Johanna zuweilen gespielt hätten; und in der That hatte der Herr von Védène ganz das gloriöse Ansehen und den zerstreuten Blick der Männer, die von Königinnen geliebt wurden . . . Am heutigen Tage hatte er zur Ehre seines Vaterlandes seine neapolitanische Kleidung mit einer Jacke à la Provençale vertauscht, die mit rosafarbiger Borte besetzt war und auf seiner Kopfbedeckung zitterte eine große Ibisfeder von Camargue.
Sobald er eingetreten war, grüßte der erste Senfbereiter die Versammlung mit höflicher Miene und schritt auf den erhöhten Platz zu, wo ihn der Papst erwartete, um ihm die Insignien seiner Würde zu überreichen: den Löffel ans gelbem Buchsbaum und das safrangelbe Gewand. Das Maultier stand am Fuße der Treppe ganz angeschirrt und bereit, nach dem Weingarten aufzubrechen . . . Als er nahe an ihm vorbeiging, zeigte Tistet Védène ein süßes Lächeln und blieb stehen, um seinem Rücken zwei oder drei freundschaftliche Klapse zu applizieren, wobei er seitwärts nach dem Papste schielte, um zu sehen, ob dieser ihn bemerke. Die Stellung war gut . . . . das Maultier nahm seinen Anlauf:
»Da! nimm, Bandit! Sieben Jahre habe ich ihn dir aufgehoben!«
Und damit verabreichte ihm das Maultier einen fürchterlichen Fußtritt, so fürchterlich, daß man selbst von Pampérigouste aus den Dampf sah, einen Wirbel von blauem Dampf, in welchem eine Ibisfeder herumtanzte: das war alles, was von dem unglücklichen Tistet Védène übrig war . . .
Gewöhnlich sind die Fußtritte der Maultiere nicht so zerschmetternd; dies aber war ein päpstliches Maultier; und dann bedenkt doch: es hatte ihm denselben sieben Jahre lang aufgehoben . . . . Es giebt kein schöneres Beispiel geistlicher Rachsucht. –