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In dieser Nacht gab es nicht viel Schlaf im Militärposten. Die Fußtritte eilender Ordonnanzen erschallten zwischen den Baracken; aus den Fenstern des Offizierklubs strömten Lichtfluten; aus den vorschriftsmäßig verdunkelten Räumen der Mannschaftsquartiere drang der Stimmenlärm erregt streitender Männer. Um Mitternacht wurde die Hälfte der Mannschaft von Ransons Schwadron verhaftet und auf die Wache gebracht. Weil sie den Rest des Regiments mit schweren Kavalleriestiefeln attackiert hatten. Als sie auf ihrem Weg zur Wache an Ransons Baracke vorbeikamen, und ihn mit brennender Zigarette auf der Veranda auf und ab gehen sahen, brachten sie, gegen alle Disziplin, ein donnerndes Hurrah auf ihn aus. Um zwei Uhr kam aus dem Hospital die Meldung, beide Verwundeten seien außer Lebensgefahr; denn es hatte sich herausgestellt, daß Sergeant Clancey sich in seiner eiligen Diagnose geirrt hatte. Nicht Hendersons Herz war getroffen, sondern die Wunde lag sechs Zoll tiefer.
Als einer der Kavalleristen, die Ranson bewachten, ihm diese gute Neuigkeit meldete, meinte der Gefangene nur: »Na, ich hoffe trotzdem, daß der Mann aufgehängt wird, der's getan hat. Man sollte nicht einen Mann hängen, weil er gut geschossen hat, und ihn laufen lassen, weil er schlecht geschossen hat.«
Während des Ueberfalls war Mary Cahill eine halbe Meile vom Militärposten weg gewesen, im Lager der Kiowas, wohin sie auf Bitten von Lightfoots Squaw geritten war. Als sie zurück kam, fand sie nur den Indianer Pete in der Forthandlung. Ihr Vater hatte einen Ritt nach dem Indianerdorf gemacht, um sie abzuholen, wie ihr Pete sagte. Aber während er noch sprach, kam der Forthändler.
»Tut mir leid, daß ich dich verfehlt habe,« rief ihm seine Tochter entgegen.
Cahill wandte sein Pferd scharf den Ställen zu, als er die Stimme hörte.
»Ich hatte 'n Pferdehandel – mit dem Häuptling,« antwortete er, über seine Schulter hinweg sprechend. »Als ich in Lightfoots Zelt kam, warst du schon fort.«
Als er abgestiegen war und ins Haus trat, bemerkte seine Tochter, daß seine rechte Hand mit einem Taschentuch verbunden war, und stieß einen Ruf des Erschreckens aus.
»Ist nicht schlimm,« protestierte Cahill. »Hab' mit einem der neuen Armeerevolver herumgespielt. Dabei ist das Dings losgegangen, während ich die Hand über die Mündung hielt. Schuß in die Handfläche.«
Miß Cahill schrie auf und zog des Vaters verwundete Hand an ihre Lippen.
Der Vater riß seine Hand rauh zurück.
»Laß!« brummte er. »Geschieht mir ganz recht.«
Wenige Minuten später klopfte Mary Cahill, ein Töpfchen mit Salbe für die Wunde tragend, an ihres Vaters Schlafzimmer und fand es leer. Als sie von der Treppe aus durchs Ladenfenster guckte, sah sie, wie er mit der unverletzten Hand an seinen Steigbügelriemen schnallte. Sie rief ihn, und er sprang mit einem Fluch in die Höhe. Fast klang es, als gelte das harte Wort ihr.
»Du hast mich erschreckt,« murmelte er. Seine Augen wanderten mißtrauisch von ihr zum Sattel. »Diese Steigbügelriemen – sie sind zu kurz,« erklärte er. »Pete oder irgend ein anderer hat meinen Sattel benützt.«
»Ich wollte dir nur deine Hand verbinden,« sagte seine Tochter.
»Das ist nicht schlimm mit meiner Hand,« meinte Cahill ungeduldig die Achsel zuckend. »Geh' ins Bett. Ich muß mit der Inventaraufnahme anfangen.«
»Nachts?«
»Untertags ist keine Zeit dafür übrig. Geh ins Bett!«
Beinahe eine Stunde lang lag Miß Cahill noch wach auf ihren Vater horchend, der im Laden rumorte. Noch nie hatte er so rauh zu ihr gesprochen, und sie war sehr unglücklich darüber, weil sie wußte, daß es ihm nachher sehr leid tun würde.
Ranson stand in der Nachteinsamkeit auf seiner Veranda und starrte den Hügel hinab nach dem Lichtpünktchen in Mary Cahills Fenster. Er fragte sich, ob sie schon von seiner Verhaftung gehört hatte, ob der Gedanke an ihn es war, der sie noch wach erhielt.
»Ich Esel! Ich Idiot!« brummte er. »Sorgen hab ich ihr gemacht; sie ängstigt sich! Sie glaubt jetzt, ein Offizier ihrer geliebten Armee sei ein Mörder und ein Dieb.«
Er verfluchte seine Dummheit in kräftigen bilderreichen Ausdrücken – aber der Gedanke, daß sie sich vielleicht um ihn sorgte, machte ihn gar nicht besonders unglücklich. Im Gegenteil. Wenn er auf den Lichtschein da unten hinsah, wurde ihm warm ums Herz. Und noch lange nach Erlöschen des Lichts verwandte er keinen Blick von des Forthändlers Häuschen, während er sich immer wieder überlegte, daß er bald der Armee nicht mehr angehören würde, daß er sein früheres Leben wieder aufnehmen würde, aber – nicht allein! Das schwor er sich.
Am nächsten Morgen, als die jungen Offiziere ins Kasino kamen und erklärten, weshalb Ranson fehlte, hörte Miß Cahill, was sich zugetragen hatte. Statt aller Antwort packte sie sofort sein Frühstück in ein Körbchen und machte sich auf den Weg zu ihm. Sie hätte Pete den Indianer schicken können, aber, so sagte sie sich, wenn einer ihrer Offiziere im Unglück war, so sollte er sich nicht mit Dienstboten plagen müssen. Nein, (versicherte sie sich selbst) nicht deswegen, weil zufällig Ranson es war. Für jeden anderen hätte sie es auch getan. Als Curtis und Haines an Influenza erkrankt waren, hatte sie da nicht auch allerlei gute Sachen gekocht und sie ihnen gebracht?
Aber der Gang wurde ihr schwer. Während sie über den Exerzierplatz schritt, erkannte sie, daß Ransons Häuschen das Zentrum des allgemeinen Interesses geworden war und jeder, der sich ihm näherte, von der ganzen Garnison beobachtet wurde. Offiziere, die beim Kommandanturgebäude standen, wandten sich nach ihr um, die Damen auf Frau Bollands Balkon zischelten, und die Soldaten, die vor dem Kasernenhof ihre Pfeifen rauchten, steckten die Köpfe zusammen. Als sie Ransons Baracke erreichte, war sie die Zielscheibe von vielen Augen. Und sie errötete. Ranson sprang zur Gartentür und nahm ihr das Körbchen mit einer tiefen Verbeugung ab wie einen Theatermantel. Er setzte es nieder und stützte sich nervös mit beiden Händen auf das Zaungeländer. Er war freilich nicht im Bett gewesen, aber der Mangel an Schlaf allein konnte sein sonderbares Verhalten nicht erklären. Noch nie hatte sie ihn so außer Fassung und betreten gesehen.
»Sie hätten es nicht tun sollen,« stotterte er. »Wirklich – wirklich, Sie sind viel zu gut zu mir. Aber Sie hätten nicht kommen sollen.«
Seine Stimme zitterte ein wenig.
»Warum denn nicht?« fragte Mary Cahill. »Ich konnte Sie doch nicht hungern lassen.«
»Oh, Sie wissen doch, daß es das nicht ist,« sagte er. »Es handelt sich darum, daß Sie überhaupt gekommen sind. Nur drei von meinen Kameraden haben mich heute morgen besucht. Und die nur aus Pflichtgefühl. Das weiß ich – ich konnte es herausfühlen. Sie hätten nicht kommen sollen! Mit mir darf man nicht verkehren; ich bin ein Verbrecher. Man könnte meinen, dies sei ein Pesthaus, man könnte glauben, ich sei ein Aussätziger. Die Töchter Stickneys zum Beispiel betrachten mich schon den ganzen Morgen lang durch einen Feldstecher.« Er klammerte sich an die Zaunlatten. »Diese Leute glauben wahrhaftig, ich hätte es wirklich getan,« rief er, verwirrt wie ein Kind. »Alle glauben sie es!«
Miß Cahill lachte. Ihr Lachen wirkte auf ihn beruhigend und tröstend. Es riß ihn aus Extremen, brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Noch mehr tat dies ihre nächste Frage:
»Haben Sie schon gefrühstückt?«
»Frühstück!« stammelte Ranson. »Nein, die Wache brachte mir etwas, aber ich konnte nichts essen. Diese Geschichte hat mir die Lebenskraft ausgesaugt – der Gedanke ist unerträglich, daß normale, vernünftige Menschen – Kameraden obendrein – imstande sind, daran zu glauben, ich würde stehlen, ich würde einen Menschen um Geldeswert töten.«
»Ja, ich weiß,« sagte Miß Cahill besänftigend. »Aber Sie haben nicht geschlafen, Sie müssen jetzt Kaffee trinken.« Sie hob den Deckel von ihrem Körbchen. »Sonst wird ja alles kalt,« sagte sie. »Kümmern Sie sich nicht darum, was die Leute denken. Sie dürfen nicht vergessen, daß Sie im Arrest sind. Sie können nicht erwarten, daß die Offiziere Sie so häufig besuchen, wie sonst. Was wollen Sie?« fragte sie lachend. »Soll der Oberst vielleicht das Musikkorps herüberschicken und Ihnen ein Ständchen bringen lassen?«
Einen Augenblick lang starrte Ranson sie verständnislos an. Dann aber fing er an, zu begreifen. – Er warf den Kopf zurück und stimmte lustig in ihr ausgelassenes Lachen ein.
Von Verandas, Mannschaftsquartieren und der Kommandantur aus registrierten vierhundert Augenpaare diesen Beweis von Herzlosigkeit mit den verschiedensten Gefühlen. Unbekümmert darum beugte Ranson sich vor, und wieder kam ein forschender Ausdruck in seine schwarzen Augen. So nahe stand er bei ihr, daß sie zurücktrat. Da senkte er seine Stimme zu einem Flüstern und sprach rasch.
»Miß Cahill, wie es auch mit mir wird, dies werde ich nicht vergessen. Wie Sie zu mir kamen – wie Sie mir Mut machten. Das werd ich nie vergessen. Sie waren der einzige Mensch, der das tat. Ich habe Sie nicht gefragt, ob Sie es glauben, daß ich –«
Sie hob vorwurfsvoll die Augen und lächelte. »Sie wissen, wie unnötig diese Frage ist,« sagte sie.
Da griff der Gefangene in den Zaun, als wolle er die Schranke zwischen ihnen niederreißen. Er atmete tief auf – als ob er frische Morgenluft eintrinke.
»Nein,« sagte er mit klingender Stimme, »ich wußte es, ohne zu fragen!«
Er warf einen raschen Blick nach rechts und links. Das Bajonett des Postens verschwand gerade um die Ecke. Für die vierhundert anderen wachsamen Augen hatte es den Anschein, Ranson spreche mit Cahills Tochter über das Menu des Mittagessens. Aber seine Augen senkten sich tief in die ihrigen und seine Finger umklammerten die Zaunbrüstung, als drücke er Mary Cahills Hände.
»Mary,« sagte er, und es schien ihm, als setze sein Herzschlag aus, während er ihren Namen sprach. »Mary!« flüsterte er, leise, andächtig, »du bist das süßeste, liebste, tapferste Mädchen in der ganzen Welt. Monatelang schon habe ich es gewußt, und heute mußt auch du es wissen: Nie werde ich ein anderes Weib lieben als dich.«
Mary Cahill schreckte zurück, zweifelnd, wundernd.
»Ich wollt' es dir noch gar nicht sagen,« flüsterte er, »aber jetzt kann ich nicht mehr warten. Letzte Nacht wußte ich es. Als ich hier stand und zu deinem Fenster hinüberstarrte, und an nichts denken konnte als an dich! Sogar mein Gefangensein hab' ich vergessen. Und du mußt mir versprechen, daß, wenn ich einmal aus dieser Patsche heraus bin – daß, – – du mußt mir versprechen, daß du dann …«
Als Mary Cahill ihre Augen zu ihm erhob, waren sie feucht und glänzend. Ein treues Versprechen, eine Welt voller Liebe und Zärtlichkeit lag in ihnen. Aber Ranson fuhr auf, als er das sah.
»Nein,« sagte er leise, »du darfst noch nichts versprechen – nichts! Ich hätte dich nicht darum bitten dürfen. Später erst. Wenn dies alles vorbei ist, wenn es vorüber ist mit dem Kriegsgericht – dann mußt du mir versprechen, daß du immer, immer bei mir bleiben wirst.«
Miß Cahill faltete die Hände und wandte sich ab. Das Glück im Herzen stieg ihr zur Kehle empor wie eine gewaltige Melodie und wollte sie fast ersticken. Vor ihr lag im zaghaften Frühlingssonnenschein das Viereck häßlicher brauner Häuschen; der Exerzierplatz, in dessen Mitte Trompeter Tyler stand, zum Signalblasen bereit; die brandgeschwärzte Prärie, die sich, unendlich wie der Ozean, bis an die Himmelsränder erstreckte. Aber von all dem sah sie nichts. Statt dessen nahm eine Welt der Schönheit sie in ihre Arme, eine lachende Welt voll warmen Sonnenscheins, voll prächtiger Farben, eine jubelnde Welt, eine Welt der Liebe und des Glücks.
Sie wandte sich zu ihm und in ihrem Gesicht spiegelte sich alles wieder, was ihr Herz fühlte.
»Bitte nicht!« bat er zitternd. »Bitte, nicht antworten. Ich könnt' es nicht ertragen – wenn du »Nein« zu mir sagtest.« Mit einer raschen Kopfbewegung deutete er auf die Wachtposten hin. »Warte, bis ich vor Gericht gestanden bin, bis die Schande von mir genommen ist!« Er rüttelte an der Zauntüre, als seien die schwachen Holzlatten die Eisengitter einer Gefängniszelle.
Mary Cahill aber hob stolz den Kopf.
»Das dürfen Sie nicht sagen. Sie tun mir nur weh!« flüsterte sie. »Sehr weh!«
»Es tut dir weh?« rief er aus.
Sie preßte ihre Hände fest zusammen. Es war unmöglich: sie konnte ihm nicht sagen, was sie fühlte; welchen Stolz, welches Vertrauen, welche Liebe. Von dem neuen Wunder, das in ihr Leben gekommen war, konnte sie ihm nicht sprechen, während der Zaun sie und ihn trennte, während auf beiden Seiten Posten auf und ab schritten, während die neugierigen Augen der Garnison sie bewachten.
»Verstehst du denn nicht?« sagte sie leise. »Was kümmere ich mich um ein Kriegsgericht! Ich kenne dich. Du bist du, bist dir gleich geblieben. Du bist, was du mir immer gewesen bist – was du mir immer sein wirst.«
Sie reichte ihm ihre Hand hin, die er umklammerte, aber sofort wieder sinken ließ. Dann trat er, als fürchte er, seine Selbstbeherrschung zu verlieren, ins Haus zurück, während sie mit eiligen Schritten den Rückweg antrat.
*
Kapitän Carr, der auf den Philippinen Ransons Kapitän gewesen war und große Freundschaft für ihn hegte, war zu seinem Verteidiger bestellt worden. Als er an diesem Morgen seinen Klienten besuchte, um einen Verteidigungsplan mit ihm zu besprechen, fand er, daß Ranson dazu neigte, die ihm drohende Gefahr mit anmaßender Geringschätzung und sorgloser Leichtfertigkeit zu betrachten. Noch nie war ihm Ranson so tadelnswürdig erschienen.
»Sie können ja die Anklage einen Blödsinn nennen, wenn es Ihnen Spaß macht,« protestierte er in scharfem Ton. »Aber ich möchte Sie doch darauf aufmerksam machen, daß sonst kein Mensch dieser Ansicht ist, und wenn Sie die Offiziere des Kriegsgerichts und die Zivilbehörden von Ihrer Unschuld zu überzeugen wünschen, so müssen Sie an die Arbeit gehen und mir beweisen helfen, daß die Anklage ein Blödsinn ist. Diese Miß Post erzählte, sobald sie hier ankam und die Sache noch für einen lustigen Streich hielt, daß der Straßenräuber sie mit einer Schere bedroht habe – nicht mit einem Revolver. Nun – Crosby und Curtis werden bezeugen, daß Sie bei Cahill eine Schere mitnahmen. Uebrigens hat Miß Post auch Ihren Ring gesehen und wird ihn wahrscheinlich wiedererkennen. Also –«
»Oh, die Schere geben wir zu,« erklärte Ranson mit einer großartigen Handbewegung. »Den ersten Ueberfall gestehen wir ein!«
»Den Teufel tun wir das!« schrie Carr. »Als Ihr Verteidiger rate ich Ihnen, nichts dergleichen zu tun.«
»Sie raten mir, zu lügen?«
»Herr!« rief Carr. »Sich »Nichtschuldig« zu bekennen, ist nur eine juristische Formalität. Und wenn Sie bedenken, daß schon der erste Ueberfall an und für sich genügt, Sie Ihr Offizierspatent verlieren zu lassen …«
»Na, es ist mein Offizierspatent,« sagte Ranson. »Die ganze Sache war überhaupt nur ein schlechter Witz. Und das Kriegsministerium muß etwas Sinn wenigstens für Humor haben, sonst hätte ich niemals ein Offizierspatent bekommen. Wir geben selbstverständlich den ersten Ueberfall zu, aber für den zweiten lehnen wir die Verantwortung ab. Damit habe ich nicht mehr zu tun als mit Jack dem Aufschlitzer.«
»Wie wollen wir das beweisen?« fragte Carr. »Wo ist Ihr Alibi? Wo waren Sie nach dem ersten Ueberfall?«
»Auf dem Wege nach Hause, so schnell ich reiten konnte,« sagte Ranson. Plötzlich hörte er mit seinem Wandern durchs Zimmer auf und blieb vor seinem Verteidiger stehen.
»Kapitän Carr,« verlangte er in ernstem Ton, »ich bitte Sie, mich in einer juristischen Frage zu beraten!«
Carrs Gesicht hellte sich auf. Also Ranson empfand doch den Ernst der Beschuldigungen, die gegen ihn erhoben wurden!
»Dazu bin ich da!« meinte er ermutigend.
»Nun, Kapitän,« sagte Ranson, »wenn ein Offizier unter Arrest ist, wie ich es bin, und seine Wohnung nicht verlassen darf, wie ich, ist es ihm dann gestattet oder ist es ihm dann nicht gestattet, nach dem Klub hinüber zu schicken und eine Flasche Champagner holen zu lassen?«
»Ranson!« rief der Kapitän wütend. »Sie sind unmöglich!«
»Ich will ja nur ein Fest feiern!« sagte Ranson ganz bescheiden. »Ich bin nämlich sehr glücklich. Ich bin der glücklichste Mann auf der ganzen Welt. Ich möcht' über die Prärie galoppieren und zwei Revolver auf einmal abfeuern und jauchzen wie ein Cowboy. Statt dessen bin ich eingesperrt und muß mich mit Ihnen unterhalten über einen Straßenraub, der mich weder amüsiert noch mich etwas angeht – über den ich gar nichts weiß und noch weniger wissen will. Sie sind dazu abkommandiert, meine Unschuld zu beweisen. Das ist Ihre Pflicht und Ihre Pflicht müssen Sie erfüllen. Aber mich könnten Sie doch in Ruhe lassen! Ich habe an weit wichtigere Dinge zu denken!«
Maßloses Erstaunen, Wut, Verzweiflung waren auf des Kapitäns Gesicht geschrieben.
»Ranson!« brüllte er. »Spielen Sie Komödie oder sind Sie verrückt geworden? Sehen Sie denn nicht ein, daß Sie sehr nahe daran waren, wegen Mordes gehängt zu werden und daß Sie in großer Gefahr stehen, wegen Straßenraubes ins Gefängnis zu wandern? Ich will Ihnen die außerordentlich unangenehme Lage klarmachen, in die sich zu versetzen Sie Esel genug waren. Sie scheinen die Situation noch nicht recht zu verstehen! Sie erzählen zwei Kameraden, Sie wollten den Postwagen berauben. Als Verkleidung zu diesem Zweck benützen Sie einen Poncho und ein rotes Taschentuch und entfernen die Armeesteigbügel von Ihren Steigbügelriemen. Sie berauben dann diesen Postwagen, oder überfallen ihn wenigstens, und Sie werden dabei erkannt. Wenige Minuten später ereignet sich auf der gleichen Straße und in derselben Richtung, die Sie eingeschlagen hatten, ein zweiter Ueberfall, diesmal auf den Zahlmeister. Der Mann, der den Zahlmeister ausraubt, trägt einen Poncho und ein rotes Taschentuch und hat ebenfalls keine Steigbügel in seinen Riemen. Die beiden Ueberfälle finden auf einer Strecke von einem halben Kilometer statt, der zweite fünf Minuten nach dem ersten. Kann man nun vernünftigerweise annehmen, daß in letzter Nacht zwei Männer sich in den Hügeln versteckten, um Raubüberfälle auszuführen; beide in Armeeponchos, beide rote Taschentücher als Maske tragend, beide ohne Steigbügel reitend? Wenn ich zwischen der Annahme solch eines wunderbaren zufälligen Uebereintreffens und der Annahme, daß Sie der Täter sind, wählen muß, so will ich mich hängen lassen, wenn – ich nicht annehme, Sie taten es!«
»Ich mache Ihnen keinen Vorwurf daraus,« sagte Ranson. »Was kann ich tun, um Sie zu beruhigen?«
»Nun, geben Sie mir genau an, welche Personen von Ihrer Absicht, den Postwagen zu überfallen, Kenntnis hatten.«
»Curtis und Crosby; sonst niemand.«
»Nicht auch Cahill?«
»Nein, Cahill trat ein, gerade ehe ich davon sprach, daß ich die Postkutsche aufhalten würde, und ich erinnere mich genau, daß ich mit Sprechen wartete, bis er in den Nebenraum gegangen war.«
»Und Crosby sagte mir,« fuhr Carr fort, »daß er sofort nach Ihrem Weggehen in den Nebenraum hineinsah und Cahill in der von der Tür am weitesten entfernten Zimmerecke bemerkte. Er kann nichts gehört haben.«
»Wenn Sie mich um meine Meinung befragten, so würde ich sagen, daß Sie nach meiner Ansicht die Sache falsch angefaßt haben,« meinte Ranson. »Müßte ich nach dem Roten Reiter suchen, so würde ich in Kiowa-City nach ihm forschen.«
»Weshalb?«
»Weil hier, an diesem Ende der Poststraße, nur einige Offiziere Kenntnis hatten, daß der Zahlmeister kommen würde, während in Kiowa die ganze Stadt davon wußte, denn man sah ihn abfahren. Irgend ein Cowboy konnte sehr leicht vorausreiten und zwischen den Hügeln auf ihn warten. Es gibt verschiedene Menschenexemplare in Kiowa, denen dergleichen zuzutrauen ist. Jeder würde wegen zwanzig Dollars einen Mann berauben – und erst um einer Beute von Zehntausend willen! Da ist »Abe« Fisher und Foster King, und die Chase Jungens, und ich glaube, der alte »Pap« Henderson selbst würde sich keine Skrupel daraus machen, einen seiner eigenen Postkutscher zu überfallen.«
»Jedenfalls geht seine Skrupellosigkeit nicht so weit, sich dabei selber in die Lunge zu schießen,« meinte Carr ironisch. »Unsinn. Nein, ich bin davon überzeugt, daß irgend jemand Ihnen von hier aus folgte, als sie fortritten, und vielleicht kann uns Cahill sagen, wer das war. Ich sandte heute morgen nach ihm, und er wartet jetzt in meiner Wohnung. Soll ich ihn bitten lassen, hierher zu kommen? Dann können wir die Sache durchsprechen.«
Ehe er antwortete, überlegte Ranson mit halbgeschlossenen Augen. Er konnte nicht wissen, ob Mary Cahill ihrem Vater von dem Gespräch des Morgens irgend etwas gesagt hatte. War dies jedoch der Fall, so wollte er Cahill zunächst nicht gern in Gegenwart eines Dritten gegenübertreten.
»Am liebsten wäre es mir,« sagte er schließlich, »wenn Sie mir gestatten würden, zuerst allein mit Cahill zu reden. Was ich mit ihm besprechen möchte, hat mit dem Raubüberfall nichts zu tun,« fügte er bei. »Es geht nur uns beide an, aber ich möchte die Sache gern erledigt haben, ehe wir ihn als Zeugen befragen.«
Carr stand auf. »Natürlich!« sagte er. »Ich schicke ihn herüber und wenn ich wieder kommen soll, rufen Sie mich. Ich werde auf meiner Veranda sitzen. Ich hoffe, Sie haben sich mit Cahill nicht überworfen – das heißt, ich hoffe, daß diese persönliche Angelegenheit ihn nicht gegen Sie einnehmen wird.«
Ranson lächelte. »Hoffentlich nicht,« sagte er. »Nein, wir haben uns nicht gestritten – bis jetzt!«
Carr zögerte. »Cahill wird wahrscheinlich ein sehr wichtiger Zeuge für die Gegenpartei sein – –«
»Das möchte ich bezweifeln,« sagte Ranson leichthin. »Cahill macht nicht gerne seinen Mund auf, aber wenn er spricht, so tut er's ohne Umschweife. Er wird die Wahrheit sagen. Das kann uns nicht schaden.«
Als Cahill aus Kapitän Carrs Wohnung trat und auf seinem Wege zu Ranson über den Exerzierplatz schritt, drängten sich in seinem Gehirn in jagender Eile Zweifel, Erinnerungen und Entschlüsse. Für ihn hatte diese Unterredung keine Schrecken; er ängstigte sich nicht über das Resultat. Um seiner Tochter willen war er entschlossen, Ranson zu opfern. Die Schande, den Vater entlarvt zu sehen, mußte der Tochter erspart bleiben. Um eine Dame aus ihr zu machen (und zu seinem Begriff von einer Dame gehörte Geld!), hatte er in sechs mondleuchtenden Nächten sich in seiner roten Maske sechsmal auf die Poststraße gewagt und hatte die von Kiowa kommende Post sechsmal ausgeraubt. Er wußte freilich genau, daß auch noch andere sich als Roten Reiter verkleideten. Es gab Nächte, in denen der Postwagen überfallen wurde, während er harmlos hinter seinem Ladentisch stand, angesichts der ganzen Garnison. Diese Nächte nützte er weidlich aus. Es waren Alibis, die seine Rivalen ihm verschafften! Sie lenkten den Verdacht von ihm ab, und er war, aus dem gleichen Motiv, unermüdlich in der Behauptung, daß die »Arbeitsweise« des Roten Reiters schlagend beweise, es könne sich nur um ein einziges Individuum handeln.
»Natürlich kommt er von Kiowa,« pflegte er zu sagen. »Es ist irgend 'n Junge, der in Kiowa lebt, nahe beim Posthaus, und genau weiß, wenn Passagiere da sind, die Geld haben. Habt ihr schon gehört, daß er einen Postwagen mit Rekruten oder Cowboys überfallen hätte? Die Geschäftsreisenden und die Minendirektoren, die sind es immer, auf die der Rote Reiter lauert. Woher soll er wissen, daß sie den Postwagen benutzen, wenn er nicht sieht, wie sie von Kiowa abfahren? Fragt »Pap« Henderson! Fragt »Abe« Fisher! Vielleicht wissen die mehr, als sie sagen wollen …«
Das Geld, das Cahill bei seinen verschiedenen Unternehmungen auf der Kiowa-Route geraubt hatte, lag in einer New Yorker Bank, und die Verjährungsklausel des Strafgesetzes gestattete ihm, jetzt nach New York zurückzukehren und es sich zu holen. Seine Ersparnisse waren schon bedeutend genug, um damit sowohl seiner Tochter Unterhalt als auch seinen eignen in einer jener Riesenstädte des Auslandes zu bestreiten, von denen seine Tochter so oft gesprochen hatte, nach denen sie hungerte, wie er genau wußte. Und seit fünf Jahren hatte sein Leben keinen Zweck gehabt, als den einen, ihr auch den leisesten Wunsch zu erfüllen. Sein Gehirn spielte ihm, während er über den Exerzierplatz schritt, den sonderbaren Streich, ihn zu zwingen, sich einer längst vergessenen Szene in New York zu erinnern. Einer Szene im Hinterzimmer von McTurks Salon, dessen rechte Hand er gewesen war. Zum Greifen deutlich stand das Bild vor ihm. Eine Nacht vorher hatte ein Mädchen Selbstmord begangen in diesem Hinterzimmer; sie war die dritte innerhalb eines Monats. Er erinnerte sich an die Gesichter der Reporter, die McTurk mit kaltem Ekel betrachteten, als dieser Schrecken der Bowery flehend vor ihnen auf die Knie fiel.
»Meine Töchter werden es ja lesen,« hatte McTurk gebettelt. »Wenn sie nun das glauben, was Sie mich nennen, was Sie über mich schreiben! Machen Sie mir doch keinen schlechten Namen bei meinen Töchtern, gentlemen! Ich kann nichts dafür, daß das Mädel hier gestorben ist. Sie wollen doch nicht, daß meine Töchter denken sollen, ich sei daran schuld? Sie sind Damen, meine Töchter, sie sind gerade aus dem Kloster gekommen und wissen nicht, daß es auf der Welt solche Frauen gibt, wie sie hier bei mir verkehren. Und sie sollen nichts Schlechtes denken von ihrem alten Vater. Um Gottes willen, gentlemen, lassen Sie meine Töchter nichts erfahren!«
Cahill erinnerte sich, mit welcher Verachtung er seinen Brotherrn aus der knienden Stellung emporgerissen hatte – heute aber erschien ihm McTurks Flehen gerechtfertigt und natürlich. Sein Standpunkt war derjenige eines liebenden und sorgenden Vaters. Um Fragen der Moral handelte es sich bei Cahill nicht. Wenn es eine Sünde war, seine Tochter reich und zu einer Dame zu machen, sie aus dem Leben des Fortladens herauszuheben, so war diese Sünde seine Sache und er war bereit »dafür einzustehen«. Und wie McTurk wollte er dafür sorgen, daß die Sünde des Vaters nicht an dem Kinde gerächt wurde. Ranson war reich, närrisch reich, selbstsüchtig reich; sein Vater war Senator der Vereinigten Staaten mit Einfluß genug und Geld genug, um gegen das Gesetz zu kämpfen – um seinen Sohn aus dem Gefängnis loszukaufen. Lieber sollte Ranson ins Gefängnis wandern, zur Hölle, seinetwegen, als daß seine Tochter erfahren durfte, ihr Vater sei einer von jenen, die des Roten Reiters Maske trugen. Mit diesem Ultimatum im Sinn trat Cahill dem Manne, der sein Schwiegersohn werden wollte, in gelassenem Selbstvertrauen gegenüber.
Ranson begrüßte ihn respektvoll, und während Cahill sich setzte, schleppte er, liebenswürdig plaudernd, Zigarren und Gläser herbei. Dann begann das Gespräch; mit jenem Thema, das Ranson am meisten am Herzen lag.
»Miß Cahill war so freundlich, mir heute morgen mein Frühstück zu bringen,« sagte er. »Hat sie Ihnen erzählt, was ich sagte?«
Cahill schüttelte den Kopf. »Nein, ich hab' sie nicht gesehen. Hatte sehr viel im Laden zu tun den ganzen Morgen über.«
»Dann – dann hat sie Ihnen nichts über mich gesagt?« fragte Ranson.
Der Forthändler blickte erstaunt auf. »Nein. Kapitän Carr sprach mit mir über Ihre Gefangennahme und sagte dann, Sie wünschten zuerst in einer Privatsache mit mir zu sprechen.« Der Forthändler fixierte Ranson mit seinen durchdringenden Augen. »Was könnte das sein?« meinte er.
»Hm, es hat gar keine Eile,« stotterte Ranson, »ich kann warten bis Miß Cahill es Ihnen sagt.«
»'ne Beschwerde über das Essen?« fragte der Forthändler.
Ranson lachte nervös. »Nein, das ist es nicht,« sagte er. Dann stand er auf und sprach von etwas anderem, um das Geheimnis noch zu bewahren, wie Miß Cahill das offenbar wünschte.
»Sehen Sie, Mr. Cahill,« erklärte er, »Sie leben so lange hier in der Gegend und kennen so viele Leute, daß ich dachte, Sie könnten mir einen Rat oder einen Anhaltspunkt geben, damit ich herausbekomme, wer von dieser Kiowabande eigentlich den Zahlmeister beraubt hat.« Ranson öffnete eine Whiskyflasche, aber als er dies sagte, schob Cahill das vor ihm stehende Glas zurück und schüttelte den Kopf. Ranson sah ihn fragend an und lächelte.
»Sie glauben, ich selbst sei der Täter?«
»Kapitän Carr hat mir nichts davon gesagt,« begann der Forthändler schwerfällig, »daß Sie mich um meine Meinung zu befragen wünschten. Er sagte nur, es sei möglich, daß ich bezeugen müßte, wer letzte Nacht in meinem Laden war.«
»Natürlich! Mehr wollen wir auch nicht,« antwortete Ranson mit gewinnender Liebenswürdigkeit. »Ich dächte nur, Sie könnten mir vielleicht so nebenbei einen oder zwei freundschaftliche Winke geben. Und wenn es Ihre Meinung ist, daß ich die Tat beging, so wollen wir diese Meinung natürlich nicht hören. Das braucht Sie aber nicht davon abzuhalten, mit mir zu trinken, nicht wahr? Nur keine Angst. Ich denke nicht daran, Sie zu bestechen. Ich denke auch nicht daran, einen Zeugen zu vergiften, sei er auch noch so wichtig für die Gegenpartei. Schenken Sie sich ein!«
Cahill griff nach der Flasche mit der linken Hand. Seine Rechte blieb in der Seitentasche seines Rockes verborgen.
»Was ist mit Ihrer rechten Hand los?« fragte Ranson. »Halten Sie einen Revolver für mich in Bereitschaft? Wirklich, Mr. Cahill, Sie sind ungemein vorsichtig!«
Ranson sah sich im Zimmer um, als täte es ihm leid, daß bei diesem netten Gespräch keine dankbaren Zuhörer zugegen waren. »Er ist so 'n wichtiger Zeuge,« rief er seelenvergnügt, »daß er zuerst fürchtet, ich wolle ihn vergiften und nicht mit mir trinkt, und dann einen Revolver für mich parat hat.«
Cahill zog widerstrebend seine Hand hervor. »Letzte Nacht, als ich meinem Pony den Zaum auflegte,« sagte er, »hat er mich gebissen.«
»Das ist aber schlimm!« rief Ranson voll Mitgefühl. »Da müssen Sie sehr vorsichtig sein. Pferdebisse führen so leicht zu Blutvergiftung.« Er betrachtete vergnügt seine beiden Hände. »Na, wenn ich meine rechte Hand so verbandagiert hätte, so würde ich ganz gewiß aufgehängt werden, ganz gleichgültig, ob's ein Biß, oder eine Brandwunde, oder eine Kugel wäre.«
Cahill hob sein Glas zu den Lippen und nippte mit der Langsamkeit eines Kenners an dem Whisky. »Warum?« fragte er.
»Warum? Aber wissen Sie denn nicht, daß der Zahlmeister sich letzte Nacht im Hospital rühmte, er habe den Räuber an der Hand verwundet? Er sagt – –«
Cahill schnaubte verachtungsvoll. »Wie kann er das wissen? Wie kommt er darauf?«
»Aber so lassen Sie ihn doch bei seinem Glauben!« bat Ranson inbrünstig. »Entmutigen Sie ihn mir nicht. Das ist bis jetzt die einzige für mich günstige Zeugenaussage. Er sagt, er habe geschossen, um den Mann zu entwaffnen, und gesehen, wie er nach dem Schuß den Revolver in die Linke nahm. Die Kugel, die des Obersts Arm zerschmetterte, ist mit der linken Hand abgefeuert worden. Nun weiß aber jedermann, daß ich mit der linken Hand nicht einmal eine Scheune treffen würde. Und was die Frage anbetrifft, ob ich irgend welche Wunden an meinem Körper versteckt trage« – Ranson zeigte, wie ein Zauberer, Innenflächen und Außenflächen seiner Hände – »na, man kann ja suchen! Wenn also der Zahlmeister bei dieser Darstellung bleibt – daß er den Mann getroffen hat – so wird mir das bedeutend helfen.« Ranson setzte sich auf den Tisch und baumelte mit den Beinen. »Viel helfen würde es mir natürlich auch, wenn Sie sich daran erinnern könnten, wer in Ihrem Laden war, als ich von meinem Plan sprach, die Postkutsche zu überfallen. Irgend jemand muß zugehört haben, irgend jemand muß meine Verkleidung nachgemacht haben, und dieser Irgend Jemand ist der Mann, den wir finden müssen. Wenn der Räuber nicht aus Kiowa kam.«
Cahill schob sein Glas von sich weg über den Tisch und starrte, die Hände auf die Knie gestemmt, seinen Gastgeber trotzig und kalt an. Ranson bemerkte das Drohende seiner Haltung. Da er aber über ihre bevorstehenden verwandtschaftlichen Beziehungen natürlich besser informiert war als Cahill, lächelte er geduldig.
»Mr. Ranson,« begann Cahill, »gegen Sie persönlich hab' ich nichts. Ich habe 'n freundschaftliches Gefühl für alle jungen Herren in meinem Kasino. Aber Sie spielen mir gegenüber nicht ehrliches Spiel. Ich verstehe, was Sie wollen, und ich kann Ihnen sagen, daß Sie und Kapitän Carr Ihrer Sache nicht gerade nützen, indem Sie mich einladen, hier mit Ihnen zu trinken und zu rauchen, obgleich Sie wissen, daß ich der wichtigste Zeuge bin, der gegen Sie auftritt.«
Ranson starrte seinen zukünftigen Schwiegervater in ehrlichem Erstaunen an und lachte dann unbefangen.
»Aber lieber Mr. Cahill,« rief er, »ich würde niemals auch nur daran denken, Sie mit so schlechtem Whisky wie diesem hier, bestechen zu wollen. Und ich wußte gar nicht, daß Sie wirklich ein so wichtiger Zeuge seien. Freilich, wenn Ihre Zeugenaussage ungünstig für mich ist, so tut mir das leid – sehr leid. Ich vermute, Sie werden aussagen, daß niemand im Laden war, der meinen Plan überhört haben konnte?«
Cahill nickte.
»Und da 's nicht wahrscheinlich ist, daß zwei Männer zu genau der gleichen Zeit auf den Gedanken kamen, auf ganz gleiche Manier die Post zu überfallen, so muß ich den Raubanfall ausgeführt haben?«
Cahill streichelte mit der Linken bedächtig seine bandagierte Hand.
»Das herauszubekommen ist Sache des Gerichts,« brummte er. »Ich beabsichtige, die Wahrheit zu sagen.«
»Und die Wahrheit ist? – –« fragte Ranson.
»Die Wahrheit ist, daß letzte Nacht niemand im Fortladen war als Sie, drei Offiziere und ich. Wäre jemand ins Kasino gekommen, so würde er von Ihnen gesehen worden sein, nicht wahr? Und wäre jemand in den Nebenladen gekommen, so müßte ich ihn gesehen haben. Aber es kam niemand. Ich war allein dort – und ich habe von Ihrem Plan nichts gehört, und ich hab' den Postwagen nicht überfallen. Als Sie fort waren, ritt ich nach dem Indianerdorf. Die halbe Reservation kann bezeugen, daß ich den ganzen Abend dort war – also scheide ich aus. Crosby und Curtis kommandierten die Eskorte – das ist ihr Alibi. Bleiben also nur noch Sie übrig, Leutnant, soweit ich es beurteilen kann!«
Ranson lachte und schüttelte den Kopf. »Ja, es sieht wirklich schlimm für mich aus,« sagte er. »Ich seh' nur nicht ein, weshalb Sie so verdammt vergnügt darüber sind.« Er lächelte grimmig. »Wären Sie nicht ein so hochanständiges Mitglied der Fort-Crockett-Gesellschaft, so würde ich sagen, Sie hätten an der Tür gehorcht und seien, in einen Ihrer eigenen Ponchos verkleidet, mir nachgeritten. Was das Indianerdorf anbetrifft, so ist das kein Alibi. Ein Kiowa schwört, seine eigene Haut sei so weiß wie die Ihrige, wenn Sie ihm einen Schluck Whisky dafür geben!«
»Hab' ich deswegen diesen Schluck Whisky hier bekommen?« meinte Cahill. »Bin ich ein Kiowa?«
Ranson lachte und schob seinem Schwiegervater in spe die Flasche hin.
»Oh, verstehen Sie keinen Spaß?« meinte er. »Schenken Sie sich doch nochmal ein.«
Vor der Baracke erklang eine Stimme, so leise, daß der zornige Cahill sie überhörte; Ranson jedoch hörte das Flüstern und sprang auf.
»Bleiben Sie hier!« befahl er. Er lief zur Türe und traf auf der Türschwelle den Sergeanten Clancey.
»Fräulein Cahill, Leutnant,« sagte der Sergeant. »Wünscht ihren Vater zu sprechen.«
Cahill war Ranson zur Tür gefolgt. »Möchtest du mit mir sprechen, Kind?« fragte er.
»Ja,« rief Miß Cahill, »und auch mit Mr. Ranson, wenn ich darf.« Sie ergriff ihren Vater eifrig beim Arm, aber ihre Augen sahen Ranson an – freudestrahlend. Frohe Erregung leuchtete aus ihnen. Ihre Stimme zitterte.
»Es handelt sich um eine Entdeckung, die ich gemacht habe,« rief sie, »soeben gemacht habe, und ich glaube – oh, wie ich es hoffe – sie ist sehr wichtig. Ich glaube, sie wird Mr. Ranson entlasten!« sagte sie, vibrierend vor Glück. »Zum mindesten ist nun bewiesen, daß außer ihm noch ein Anderer letzte Nacht darauf ausging, die Post zu berauben, gerade so verkleidet wie er.«
Cahill lachte kurz auf. »Ein Anderer? Wie heißt er?« fragte er spöttisch. »Hast du ihn gesehen?«
»Gesehen hab' ich ihn nicht und ich weiß nicht, wie er heißt, aber – –«
Cahill brummte irgend etwas vor sich hin und nahm seinen Sombrero vom Tisch. »Dann ist's doch nicht so wichtig,« meinte er. »Bist du nur deshalb hierhergekommen?«
»Die Hauptsache ist, daß sie da ist,« sagte Ranson. »Dafür ist der arme Gefangene ihr dankbar – ihr und dem Manne in Maske und Poncho, den sie nicht gesehen hat und dessen Namen sie nicht weiß. Mr. Cahill, ich bestehe darauf, daß Sie Ihren Whisky austrinken, so schlecht er auch ist. Miß Cahill, nehmen Sie Platz, bitte.«
Er schob ihr einen Stuhl hin und sah ihr dabei voll ins Gesicht, mit so viel Liebe und so viel Glück, daß sie die Augen abwandte.
»Nun?« fragte Cahill.
»Ich muß, damit Leutnant Ranson mich versteht, zuerst bemerken, Vater,« sagte seine Tochter, »daß heute der Tag unserer Inventuraufnahme ist.«
»Das erinnert mich an etwas,« fiel Ranson ein. »Vergessen Sie ja nicht, daß ich Ihnen noch den Preis eines roten Taschentuches und eines Gummiponchos schulde. Ich kann die Sachen auch zurückgeben, wenn Sie es wünschen. Dort, wohin ich gehe, brauche ich keinen Regenmantel.«
»Nicht – nicht …« sagte Miß Cahill. »Lassen Sie mich weiterreden, bitte. Als ich Ihnen Ihr Frühstück gebracht hatte, konnte ich nicht sofort weiterarbeiten. Ich dachte – an etwas anderes. Alle Leute sprachen über Sie, über Ihre Gefangennahme, und ich hatte wenig Lust, mit dem Zählen des Warenbestandes zu beginnen.«
Sie sah Ranson mit einem um Verständnis bittenden Blick an.
»Als ich aber anfing, begann ich bei den Ponchos und den roten Taschentüchern. Und da machte ich eine Entdeckung.«
Cahill lauschte seiner Tochter in sonderbarer Angst, während Ranson auf ihre Worte gar nicht achtete und nur für das Glücksstrahlen in ihrem Gesicht Augen hatte. Dennoch fragte er lächelnd:
»Und was war das?«
»Sehen Sie,« fuhr Miß Cahill eifrig fort, »ich habe von jedem Artikel ein Dutzend auf Lager, und sobald ich etwas verkaufe, mache ich mir eine Notiz darüber. Nun kaufte vorgestern Frau Bolland einen Poncho für den Oberst. Bleiben also elf Ponchos übrig. Einige Minuten später gab ich Lightfoot ein rotes Taschentuch für seine Squaw. Das verringerte den Bestand auf elf Taschentücher.«
»Halt!« rief Ranson. »Miß Cahill,« sagte er streng, »ich will nicht hoffen, daß Sie die Absicht hatten, die Gemahlin meines verehrten Obersts oder Madame Lightfoot, die Prärieblume, zu verdächtigen. Ich bin mit diesen Damen persönlich befreundet; ich lehne es ab, an ihre Schuld zu glauben. Und haben Sie Frau Bolland jemals zu Pferde gesehen? Sie tun ihr unrecht. Es ist unmöglich.«
»Bitte,« bat Miß Cahill, »bitte, lassen Sie mich ausreden. Als Sie fortritten, um die Postkutsche zu überfallen, nahmen Sie einen Poncho und ein Taschentuch mit. Also sollten von jedem Artikel zehn übrig geblieben sein. Als ich aber heute morgen zählte, waren nur noch neun rote Taschentücher und nur noch neun Ponchos da.«
Ranson schlug sich schallend aufs Knie. »Gut!« sagte er. »Das ist interessant.«
»Und was soll damit bewiesen werden?« fragte Cahill.
»Es beweist nichts, oder – alles!« sagte Miß Cahill. »Für mich ist damit zweifellos erwiesen, daß irgend jemand Mr. Ransons Plan überhörte, daß dieser Jemand sich verkleidete wie er, um den Verdacht auf ihn zu lenken, und daß dieser Jemand derjenige war, der den Zahlmeister beraubte. Dabei nun kannst du uns helfen, Vater. Du warst anwesend. Versuche, dich zu erinnern. Es ist so wichtig. Wer kam in den Laden, als die Offiziere fortgegangen waren?«
Cahill warf den Kopf in die Höhe wie ein wütender Stier.
»An fünfzig verschiedenen Stellen auf diesem Militärposten,« protestierte er, »kann ein Mann einen Poncho bekommen. Jeder Soldat besitzt einen Regenmantel.«
»Aber Vater, wir wissen nicht, ob von ihren Mänteln einer fehlt,« rief Miß Cahill, »aber wir wissen, daß aus unserem Laden ein Poncho fehlt. Halte mich nicht für töricht. Meine Entdeckung schien mir so wichtig und ich hoffte, damit helfen zu können.«
»Tun Sie auch – sehr!« rief Ranson aus. »Ich halte die Spur für ungeheuer wichtig. Nur kann uns unglücklicherweise das Zeugnis Ihres Vaters nichts nützen, denn er hat mir soeben erklärt, daß niemand im Laden war als er selbst. Niemand kam und er war ganz allein.« – Ranson war eifrig im Sprechen, aber entweder seine eigenen Worte oder die intensive Spannung, mit der Cahill ihm zuhörte, veranlaßte ihn zu einem zögernden Unterbrechen … »absolut – allein!«
»Sobald Sie fort waren,« sagte Cahill schweratmend, »ritt ich nämlich ins Indianerdorf.«
»Aber nein, Vater,« widersprach Miß Cahill. »Erinnerst du dich nicht, daß du mir letzte Nacht sagtest, du seist bei Lightfoots Zelt angekommen, als ich es eben verlassen hatte? Und mindestens zwei Stunden vorher schon waren die Offiziere aus dem Kasino fortgegangen.« In ihrem Eifer packte sie ihren Vater beim Arm, ihn kräftig schüttelnd.
»Und erinnerst du dich nicht, ob nicht doch irgend jemand in den Laden kam, ehe du fortrittest?« fragte sie. »Gar niemand?«
Cahill hatte seine Hand nicht wieder in die Tasche seines Rockes gesteckt, sondern sie zwischen die Knöpfe seiner Jacke geschoben. Als Mary Cahill seinen Arm ergriff, drückten ihre Finger auf seine verwundete Hand, und er verzog das Gesicht in plötzlichem Schmerz.
»Oh, Vater,« rief Miß Cahill, »deine Hand! Es tut mir so leid. Hab' ich dir weh getan? Bitte – laß sehen.«
Cahill zog die Hand heftig zurück.
»Nein!« sagte er. »Laß das! Komm', wir müssen fort.«
Aber Miß Cahill nahm die verwundete Rechte ihres Vaters in beide Hände. Als Ranson sie anblickte, sah er zärtliche Fürsorge in ihren Augen.
»Ich hab' ihm wehgetan,« sagte sie traurig. »Er verwundete sich letzte Nacht mit einem von diesen neuen Zylinder-Revolvern.«
Ihr Vater riß seine Hand weg und versuchte, das Gespräch zu beenden, indem er zur Türe ging.
»Komm'!« rief er. »Hörst du?«
Aber seine Tochter erzählte weiter in ihrem Mitleid: »So hielt er die Hand, und der Revolver entlud sich, und die Kugel ging hier durch.« Dabei zeigte sie mit der Spitze ihres schlanken Fingers auf die Handfläche ihrer Rechten.
»Die Kugel!« schrie Ranson und wiederholte tonlos: »Die Kugel!«
Plötzliches, lautloses Schweigen. Draußen schallten die schweren Fußtritte der Wache auf dem Kies, und vom Ballplatz hinter den Mannschaftsquartieren hörte man die scharfen Schläge, wenn die geschwungene Ballkeule eines Spielers den Ball traf. Später dachte Ranson noch oft daran, wie er, während sein Hirn in furchtbarster Erregung über die Enthüllung war, dennoch unbewußt auf diese Ballschläge gelauscht hatte. Unendliche Zeit schien ihm vergangen zu sein, ehe er seine Augen von Miß Cahills Hand wandte und ihren Vater ansah – mit einem Blick, der Cahill nach dem Revolver in seiner Hüftentasche tasten ließ, was Mary nicht bemerkte.
Ranson aber sah die Bewegung und streckte beide Hände aus. Er lachte hysterisch, das sonderbare, unreife Lachen eines Jungen, und sprang vorwärts, zwischen Cahill und die Türe.
»Hände weg von Ihrem Revolver!« flüsterte er. »Mein Gott, Mann,« bat er, »seien Sie kein Narr!« Dann rief er laut: »Mr. Cahill, Sie dürfen nicht fortgehen, ehe Sie alles wissen. Er soll es doch wissen; ja, Mary?« Er sprach ihren Namen fast befehlend aus, im Stolz des Besitzers. »Mr. Cahill,« rief er dann jubelnd, »wir haben Ihnen etwas zu sagen. Sie müssen wissen, daß ich trotz allem, was ich getan habe – ich wiederhole, trotz allem, was ich getan habe – – ich meine, trotz dieser Geschichte und der Schande und dem allem – es wagte, Ihre Tochter zu bitten, mein Weib zu werden.« Er führte Miß Cahill zu ihrem Vater. »Oh, ich wußte, er würde nicht einverstanden sein: Siehst du! Ich sagte es dir! Du mußt mich mit ihm allein sprechen lassen. Du mußt hinausgehen und draußen warten. Ich kann besser sprechen, wenn du nicht da bist. Ich werde ihn rasch herumkriegen!«
»Vater!« bat Miß Cahill verschüchtert, während Ranson hinter ihrem Rücken den Forthändler in pantomimischem Kopfschütteln anwies, ja nichts zu sagen. »Es ist doch besser, wenn sie hinausgeht und wartet, nicht wahr, Mr. Cahill?« schlug er im Tone eines Befehls vor.
Der Forthändler tat, wie ihm befohlen war, und nickte nach der Tür hin. Die auf ihn einstürmenden Ereignisse überwältigten, lähmten ihn.
»Vater!« sagte Miß Cahill. »Es ist nicht so, wie du denkst. Mr. Ranson hat mich allerdings gebeten, seine Frau zu werden – das heißt – ich wußte wenigstens, daß er mich zu heiraten wünschte. Aber ich habe nicht gesagt – daß ich – daß ich ihn heiraten würde. Ich meine damit, daß es sich nicht um eine beschlossene Sache handelt, sonst würde ich es dir gesagt haben. Du mußt nicht denken, daß ich es vor dir verbergen wollte – mein Glück vor dir verbergen, vor dir, der immer alles getan hat, um mich glücklich zu machen.«
Ihre Augen sahen flehend in ihres Vaters Gesicht, das einen harten, starren, gehetzten Ausdruck trug.
»Du wirst doch nicht nein sagen, lieber Vater? bat sie. »Es bedeutet so viel für mich. Ich – kann dir das nicht sagen.« Sie deutete mit ihrer Hand aus Ranson, als sei er ein höheres Wesen. »Ich kann es ja nicht einmal ihm sagen! Aber wenn du hart mit ihm bist, oder mit mir, so wirst du mir das Herz brechen. Denn so wie ich dich liebe, Vater, so liebe ich ihn und – es muß sein. Es muß! Denn ich liebe ihn so. Ich habe ihn immer geliebt. Vater,« wisperte sie, »ich liebe ihn so!«
Ranson faßte das Mädchen in stummer Dankbarkeit bei der Hand, führte sie sanft nach der Veranda und schloß die Tür. Dann kam er wieder ins Zimmer und sah seinen zukünftigen Schwiegervater mit einem Blick amüsierten Aergers an, die Hände tief in den Taschen seiner Reithose vergraben, mit dem Kopfe nickend.
»Na,« rief er aus, »diese Sache haben Sie verdammt niedlich verwurstelt, heh?«
Cahill hatte sich schwer in einen Stuhl fallen lassen und starrte Ranson mit stupiden, verwunderten Augen an, so wie ein Tier, das in seinem Schmerz stumm ist. Einige Sekunden lang sahen sich die beiden Männer in die Augen und das Lächeln verschwand von Ransons Gesicht. Langsam, als werde es ihm sauer, richtete sich Cahill auf.
»Ich hab's getan,« murmelte er, »für sie. Ich hab's getan, um sie glücklich zu machen.«
»Das ist in schönster Ordnung,« sagte Ranson rasch. »Sie wird glücklich werden. Wir alle werden glücklich werden.«
»Und statt dessen,« fuhr Cahill fort, als habe er die Unterbrechung gar nicht bemerkt, »hab' ich Schande über sie gebracht.«
Plötzlich sprang er auf. Er litt seelisch so sehr, daß sein gewaltiger Körper erzitterte. Er sah ein, wie gründlich er sich in seinen Plänen »verwurstelt« hatte. Er sah jetzt, daß alles, was er durch sein verbrecherisches Tun für seine Tochter hatte erreichen wollen, ihr durch die Heirat mit Ranson zugefallen wäre. Die sie zu einer Dame gemacht hätte, die sie reich gemacht hätte, die sie glücklich gemacht hätte. Wären seine mitternächtlichen Raubanfälle nicht gewesen, so würde sie geehrt, geliebt und beneidet worden sein, sogar von der Frau des Obersts selbst. Nun aber war durch ihn Schande über sie gekommen, Schande und Sorge. Nicht als Senator Ransons Schwiegertochter würde man sie nunmehr kennen, sondern als die Tochter des Diebes, der im Gefängnis des Staates seine Strafe verbüßte. Als er daran dachte, trat Cahill schwankenden Schrittes zurück, als habe er einen Schlag ins Gesicht erhalten. Plötzlich schrie er laut auf. Dann zuckte seine Hand nach dem Revolver, aber noch ehe er die Waffe gegen sich wenden konnte, hatte Ranson mit beiden Händen sein Handgelenk gepackt. Schweigend aber ingrimmig rangen sie. In dem Kampf fand Cahill seine gewaltige Stärke wieder.
»Sie tun es nicht!« murmelte Ranson. »Mann, denken Sie an Ihre Tochter. Lassen Sie das Dings fallen!«
»Ich tue es doch,« keuchte Cahill. »Ich denke ja an meine Tochter. Es ist der einzige Ausweg. Hände weg von mir – ich will!«
Ranson preßte seine Faust hart in die verwundete Hand, die sich öffnete und den Revolver fallen ließ. Dabei entlud sich aber die Waffe, mit einem Knall, der dröhnend durch das Gebäude hallte, und sofort kamen eilende Schritte die Verandastufen heraufgestürmt. Da sprangen die beiden Männer auseinander, sich verlegen anstarrend wie ertappte Schuljungen.
Als Sergeant Clancey und die Wache zur Türe hereinpolterten, stand Ranson vor ihnen, den Revolver um seinen Ringfinger wirbelnd wie ein Cowboy, und sagte zu dem Sergeanten in bitterer Ironie:
»Oh! da sind Sie endlich! Sind Sie taub? Weshalb kamen Sie nicht, als ich Sie rief?« Der Ton, den er anschlug, drückte aus, daß er guten Grund zu haben glaubte, ärgerlich zu sein.
»Ich kam auf den Schuß hin – –« begann Clancey.
»Jawohl, das hoffte ich auch. Deshalb hab' ich ihn abgefeuert,« knurrte Ranson. »Ich möchte zwei Whiskies – und – Sodas haben. Schnell!«
»Zwei – –« murmelte Clancey, nach Luft schnappend.
»Whiskies–und–Sodas! Sehen Sie mal zu, daß einer von euch schnell nach dem Klub hinüberläuft und sie holt. Und wenn ich das nächste Mal etwas zum Trinken haben will, möchte ich nicht die gesamte Garnison aufwecken müssen.«
»Als die Soldaten sich zurückzogen, sah Ranson Miß Cahills schreckensbleiches Gesicht auftauchen. Er eilte herbei und machte die Türe einen Spalt breit auf.
»Alles geht gut,« flüsterte er tröstend. »Ich hab' ihn beinahe herumgekriegt. Warte noch eine Minute, und er wird uns seinen Segen geben.«
»Aber der Revolverschuß?« fragte sie.
»Ich wollte nur die Wache damit herbeirufen. Die elektrische Klingel ist kaput, und dein Vater wollte etwas zu trinken haben. Das ist ein gutes Zeichen, nicht? Zeigt, daß er freundschaftlich gesonnen ist. Was für eine Whiskysorte wünschten Sie eigentlich, Mr. Cahill – Schottischen oder Bourbon?« Ranson warf einen raschen Blick auf Cahills regungslose Gestalt und öffnete dann die Tür weit genug, um den Kopf herauszustecken.
»Sergeant!« rief er. »Schottische – alle beide – aber ja nicht zuviel Sodawasser!«
Dann schloß er die Türe wieder und wandte sich an den Forthändler. »Also Schwiegervater,« sagte er energisch, »Sie müssen sich aus dem Staub machen und zwar schleunigst. Wir sagen ihnen, daß Sie nach Fort Worth fahren, um den Verlobungsring zu kaufen, weil ich nicht fort kann, da ich unter Arrest bin. Statt dessen fahren Sie nach Duncan-City und von dort aus nach – –«
»Mich aus dem Staube machen?« wiederholte Cahill wie betäubt. »Aber Sie werden ja vor ein Kriegsgericht gestellt werden!«
»Zu einem Kriegsgericht wird es gar nicht kommen!«
Cahill sah auf. »Ich verstehe,« sagte er. »Ich soll ein schriftliches Geständnis abfassen und es Ihnen geben!«
»Geständnis! Solch' ein Blödsinn!« rief Ranson aus. »Man kann mir nicht das Geringste beweisen. Jedermann weiß nunmehr, daß zwei Männer auf der Poststraße lauerten, aber man weiß nicht, wer der andere Mann war, und niemand soll es jemals erfahren – besonders Mary nicht!«
Cahill schlug mit der Faust auf den Tisch. »Darauf laß ich mich nicht ein,« schrie er. »Ich habe Sie in diese Patsche gebracht und ich werde – –«
»Ins Gefängnis wandern werden Sie!« unterbrach ihn Ranson. »Niedlich werden Sie aussehen hinter einem Eisengitter, heh? Ihre Tochter wird auf Ihren gestreiften Sträflingsanzug stolz sein! Reden Sie keinen Unsinn! Sie werden sich aus dem Staub machen und sich in irgend einem Versteck aufhalten, an irgend einem Ort, wo Mary und ich Sie später besuchen können. Sagen wir – Kanada. Nein, nicht Kanada. Lieber würde ich Sie im Gefängnis besuchen als in einem Hotel von Montreal. Sagen wir Tanger, oder Buenos Aires, oder Paris. Jawohl, Paris ist sicher genug – und so amüsant.«
Cahill ließ sich schwer auf einen Stuhl niederfallen. »Ich hab' Sie in diese Patsche gebracht,« sagte er. »Das wissen Sie. Und ich gedenke, Ihnen auch wieder herauszuhelfen. Ich dulde nicht, daß auf den Mann, den mein Kind heiratet, der Schatten eines solchen Verdachtes fällt. Ich dulde nicht, daß ihr Mann eingesperrt wird.«
Ranson war zu seinem Schreibtisch geeilt und hatte ihm ein Päckchen Banknoten entnommen. Mit diesen in der Hand, trat er zu Cahill.
»Jawohl, Paris ist der richtige Platz,« sagte er. »Hier sind dreihundert Dollars. Ich kable Ihnen das Fehlende. Sie waren noch nie in Paris? Es ist angefüllt mit den wundervollsten Sehenswürdigkeiten – da ist Henrys American Bar, zum Beispiel, und der Hof des Grand-Hotel und Maxims. Alle guten Amerikaner kommen nach Paris, wenn sie gestorben sind, und die schlechten Amerikaner kommen sogar nach Paris, während sie noch leben. Sie werden 'ne Menge von beiden Sorten finden, und Sie werden den ganzen Tag lang auf den Trottoirs sitzen und Bock trinken und den ungarischen Musikkapellen zuhören. Und Mary und ich werden zu Ihnen kommen und mit Ihnen in das Boulogner Wäldchen fahren. Also, Sie reisen sofort ab. Mary werde ich sagen, Sie seien nach New York gefahren, um mit meinem Vater zu sprechen und den Ring zu kaufen. Später dann werde ich sagen, Sie seien nach Paris gereist, um uns eine Wohnung für den Honigmond zu mieten. Irgendwie mach' ich es schon plausibel. Das ist doch besser, als ins Gefängnis zu wandern und schuld daran zu sein, daß Mary und ich unsere Häupter in Schmerz beugen?«
Nun trat Cahill an den Schreibtisch, setzte sich und begann mit fliegender Feder zu schreiben.
»Was schreiben Sie?« fragte Ranson.
»Ein Geständnis,« sagte Cahill, während seine Feder eifrig kratzte.
»Ich nehm' es nicht!« erklärte Ranson. »Noch werd' ich Gebrauch davon machen.«
»Ich hab' nicht die Absicht, es Ihnen zu geben,« bemerkte Cahill über die Schulter hinweg. »So töricht bin ich nicht. Sie würden es zerreißen. Aber ich gehe nicht nach Paris, ohne ein Geständnis zu hinterlassen. Rufen Sie die Wache,« befahl er. »Ich brauche zwei Zeugen.«
»Eher sehe ich Sie gehenkt!« sagte Ranson.
Da schritt Cahill zur Tür, riß sie auf und rief: »Korporal der Wache!«
In diesem Augenblick schritten Kapitän Carr und Frau Bolland, von Fräulein Post und ihrer Tante begleitet, über den Exerzierplatz. Einen Augenblick lang betrachtete der Forthändler sie zweifelnd, dann trat er auf die Veranda und winkte ihnen.
»Ich habe dieses Dokument hier geschrieben, Kapitän,« sagte er, »und möchte Sie bitten, meine Unterschrift zu beglaubigen. Es ist meine Zeugenaussage für das Kriegsgericht!«
»Dann wäre es besser, wenn jemand Anderes mitunterschriebe,« meinte Carr. »Es könnte parteiisch aussehen, wenn ich es täte.« Er wandte sich an seine Begleiterinnen. »Die Damen sind auf dem Wege, Ranson zu besuchen und können ja mitunterschreiben.«
Miß Cahill, die von der anderen Seite der Veranda kam, und die Besucher traten zusammen ins Zimmer.
»Frau Truesdall!« rief Ranson überrascht aus. »Sie häufen feurige Kohlen auf mein sündiges Haupt. Und Miß Post! Wahrlich, das ist zuviel der Ehre. Nach der Art und Weise, wie ich Sie letzte Nacht behandelte und Sie zu erschrecken versuchte, hätte ich erwartet, Sie würden mich zum mindesten henken wollen; statt dessen sind Sie gekommen, um, wie ich hoffe, bei mir Tee zu trinken.«
»Nichts dergleichen,« sagte Frau Bolland strenge. »Diese Damen bestanden darauf, ich sollte sie hierherführen, damit sie Ihnen sagen könnten, wie leid es Ihnen tut, daß sie durch ihr vieles Sprechen Ihnen diese Unannehmlichkeiten verursacht haben. Sie verstehen, Mr. Ranson,« fügte die Gemahlin des Obersts würdevoll hinzu, »daß ich nicht offiziell als Frau Bolland hier bin, sondern nur als Freundin dieser Damen.«
»Sie sind mir willkommen, in welcher Eigenschaft Sie auch erscheinen, Frau Bolland,« rief Ranson, »und glauben Sie es mir, ich befinde mich nicht in Unannehmlichkeiten – durchaus nicht in Unannehmlichkeiten. Ich bin in Wirklichkeit der zufriedenste Mann der Welt. Frau Bolland, trotz des Schattens, der augenblicklich meinen guten Namen verdunkelt, bin ich sehr stolz, Ihnen mitteilen zu können, daß diese junge Dame hier mir die Ehre erwiesen hat, meine Bewerbung um ihre Hand anzunehmen. Ihr Vater, mein sehr alter und lieber Freund, hat seine Einwilligung gegeben. Und ich nehme diese Gelegenheit wahr, um Ihnen mein Glück zu melden, in Ihrer offiziellen Eigenschaft sowohl wie auch als meiner Freundin.«
In dem Chor von Glückwünschen zeigte sich Frau Bolland als getreue Gattin und als gesellschaftlicher Diplomat. Sie erkannte in des Forthändlers Tochter die Erbin der Ranson-Millionen und die Schwiegertochter eines Senators, der in dieser Eigenschaft auch Vorsitzender des Senatkomitees für militärische Auszeichnungen und Beförderungen war. Sie fiel Miß Cahill um den Hals und küßte sie auf beide Wangen. Dann wandte sie sich eifrig zu Frau Truesdall und sagte:
»Alice, du kannst dir vorstellen, wie ich fühle, wenn ich dir sage, daß ich dieses Mädchen immer als eines meiner eigenen Kinder betrachtet habe.«
Carr schüttelte kräftig Ransons Hand. Sergeant Clancey wurde rot im Gesicht vor Freude und stahl sich zur Veranda zurück, wo er freudig mit den Posten flüsterte. Einen Augenblick später sah man, wie ein vorübergehender Kavallerist jubelnd nach dem Ballplatz hinüberraste. Fast gleichzeitig traten die Leutnants Crosby und Curtis und der Regimentsadjutant aus der Wohnung des Obersts, liefen eilig über den Exerzierplatz und rannten die Stufen zu Ransons Häuschen hinauf. Auf der Veranda blieb Leutnant Crosby mit einem verblüfften Gesicht stehen, als er sah, wie vergnügt Ranson und seine Gäste waren, wie sie lächelten, wie zufrieden sie schienen.
»Oh,« rief er enttäuscht aus, »irgend jemand hat es Ihnen schon gesagt?«
Ranson lachte und schüttelte Crosbys Hand, die dieser ihm entgegenstreckte. »Niemand hat mir etwas gesagt,« meinte er. »Im Gegenteil – ich habe diesen Herrschaften hier etwas gesagt!«
»Dann haben Sie es noch nicht gehört?« jubelte Crosby. »Das freut mich. Ich bat, der Erste zu sein, der es Ihnen sagen durfte, weil es mir so leid tat, daß ich an Ihnen gezweifelt hatte. Meinen herzlichsten Glückwunsch! Sie sind frei!«
»Frei?« lächelte Ranson.
»Jawohl – Ihr Arrest ist aufgehoben,« rief Crosby freudig aus. Er wandte sich und ließ sich vom Adjutanten Ransons Degen geben. »Und der Oberst hat Ihrer Schwadron die Regimentsmusik bewilligt. Ihre Leute wollen Ihnen ein Ständchen bringen.«
Aber auf Ransons Gesicht zeigte sich keine Genugtuung über die frohe Nachricht.
»Weshalb bin ich denn aus dem Arrest entlassen?« fragte er.
»Weshalb? Weil der Andere ein Geständnis abgelegt hat!«
Ranson stellte sich plötzlich vor Mary Cahill, als wolle er sie schützen. Verstohlen blickte er nach dem Schreibtisch hin, auf dem Cahills Geständnis lag. Noch hatte es niemand gelesen. Noch war es nicht unterschrieben. Cahill starrte Ranson verwirrt, totenbleich an.
Kapitän Carr stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, der gerade kein Kompliment für seinen Klienten war.
»Wer hat gestanden?« rief er.
»Pap' Henderson,« sagte Crosby.
»Pap' Henderson!« schrie Cahill. Seine Wunde vergessend, schlug er wütend mit der Faust auf den Tisch. Dies war das erstemal, daß man ihn erregt sah.
»Pap' Henderson, beim Allmächtigen!« rief er. »Und daran hab' ich nie gedacht!«
»Jawohl!« erklärte Crosby eifrig. »Abe Fisher hatte seine Hand im Spiel. Henderson überredete zuerst den Zahlmeister, mit ihm allein im Einspänner zu fahren. Dann verkleidete er Fisher als Roten Reiter und schickte ihn voraus, um den Einspänner zu überfallen. Das erbeutete Geld sollte später geteilt werden. Fisher feuerte jedoch auf Pap', um nicht teilen zu müssen, und Pap' will sich nun revanchieren. So hat er, weil er dachte, er würde sterben, und weil er Fisher hereinlegen wollte, und weil er nicht wollte, daß Sie gehenkt würden, schließlich alles eingestanden. Wir haben heute morgen nach Kiowa telegraphiert und Fisher ist schon verhaftet. Das Geld wurde bei ihm gefunden, und er hat auch bereits ein Geständnis abgelegt.«
»Aber der Poncho und das rote Taschentuch?« meinte Carr zweifelnd. »Und die fehlenden Steigbügel?«
»Oh, Fisher hatte die Verkleidung parat liegen!« lachte Crosby. »Henderson behauptet, Fisher sei der einzige »Original-Rote-Reiter!« Was die Geschichte mit den Steigbügeln anbetrifft – na, daran bin ich schuld, fürchte ich. Ich fragte Oberst Patten, ob der Mann nicht ohne Steigbügel geritten sei, und er sagte ja. Der Wunsch war der Vater des Gedankens. Der Oberst bildete sich nur ein, keine Steigbügel gesehen zu haben. Er war verwirrt. Also, alter Junge,« (er wandte sich an Ranson), »hier haben Sie Ihren Degen zurück und – viel Glück!«
Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht von Ransons Unschuld über den Militärposten verbreitet, und die Verandas der Mannschaftsquartiere füllten sich mit jubelnden Kavalleristen. Von den Ställen und vom Ballplatz drang der Lärm vieler Fußtritte, Hurrarufe, Cowboy-Juchzen. Vom Exerzierplatz kam die Regimentskapelle marschiert, den berühmten Gassenhauer spielend, der in den Kämpfen auf Kuba zum Leitmotiv der Gefechte geworden war:
»Heut' ist der Teufel los im Städtchen …«
Aber Sergeant Clancey rannte dem Kapellmeister entgegen und schrie ihm ins Ohr:
»Er will Miß Cahill heiraten. Ich hab' gehört, wie er's der Frau des Obersts erzählte. Spielen Sie 'was Passendes. So 'n Tralala aus 'ner Operette oder so 'was!«
»Den Teufel werd' ich!« schrie der Kapellmeister beleidigt, hob den Taktstock und stoppte die Musik. »Ich versteh' mein Geschäft!« Und unter den Klängen eines Brautmarsches marschierte die Kapelle vor Ransons Wohnung. Während Frau Bolland Miß Cahill auf die Veranda führte, um sie den jubelnden Soldaten zu zeigen, schleppte Ranson seinen Schwiegervater in eine verschwiegene Ecke des Zimmers, – und hielt ihm das Schriftstück mit dem Geständnis unter die Nase.
»Wollen Sie mir gefälligst erklären, was dies bedeuten soll,« verlangte er. »Was beabsichtigen Sie denn eigentlich mit dieser Komödie?«
Cahill rückte verlegen an seinem Sombrero.
»Ich hab' nur versucht, Sie aus der Patsche zu ziehen,« stotterte er. »Ich – ich dachte, Sie hätten's wirklich getan.«
»Sie glaubten, ich sei der Täter?«
»Natürlich. Hab' nie 'was anderes geglaubt.«
»Warum erklärten Sie dann, Sie hätten's getan?«
»Oh, weil –« stotterte Cahill in tödlichster Verlegenheit, »– wegen Mary, weil Mary Sie doch so gerne heiraten wollte – weil Sie Mary heiraten wollten.«
»Na – aber – weshalb wollten Sie sich denn erschießen? Was hätte das genützt?«
»Oh, das?« Cahill warf den Kopf zurück, als wolle er eine unangenehme Erinnerung abschütteln. »Ich dachte, hm, Sie seien hinter meine Schliche gekommen; ich meinte, Sie hätten mich erwischt, Mary und Sie!«
»Sie erwischt! Also waren doch Sie es, der –«
»Nein, aber versucht hab' ich es. Ich hörte Ihren Plan und ich folgte Ihnen wirklich, in Poncho und Maske verkleidet. Wollte die Kutsche überfallen und es Crosby und Curtis überlassen, den Beweis zu liefern, daß Sie es waren. Aber Sie erreichten den Postwagen vor mir, und ich ritt wieder zurück und verbrachte den Rest des Abends im Indianerdorf. Hab' den Wagen, in dem der Zahlmeister fuhr, überhaupt nicht gesehen, wußte gar nichts von der ganzen Geschichte bis heute morgen. Aber da Mary den Poncho aus dem Laden vermißte und weil meine Hand verwundet war, dacht' ich mir, der Verdacht würde sich bald genug auf mich lenken. Ich merkte, daß Sie glaubten, ich sei's gewesen. Na, und da überlegt' ich mir, ich könnte eigentlich die Geschichte eingestehen. Wenn ich's auch nicht getan hatte, so hatt' ich doch wenigstens die Absicht gehabt!«
Ranson betrachtete seinen Schwiegervater mit einem vergnüglichen Grinsen.
»Und wie ist die Kugel in Ihre Hand gekommen?«
Cahill lachte verlegen. »Darüber red' ich verdammt ungern. Es ist genau so passiert, wie ich sagte. Mein neuer Revolver ging los, als ich an ihm herumspielte und gerade die Hand über die Laufmündung hielt. Und dabei bin ich der beste Schütze im Indianer-Territorium! Als ich aber hörte, daß der Zahlmeister behauptete, er habe den Roten Reiter an der Hand verletzt, wußte ich, daß kein Mensch mir glauben würde, wenn ich die Wahrheit sagte. Also log ich!«
Ranson besah sich noch einmal das Geständnis und riß dann das Schriftstück langsam in kleine Fetzen.
»Und Sie waren davon überzeugt, daß ich den Raubanfall begangen hatte, und glaubten dennoch, daß ich von diesem Ding hier Gebrauch machen würde? Was für eine Sorte von Schwiegersohn glauben Sie eigentlich bekommen zu haben?«
»Aber Sie dachten doch, ich hätte den Zahlmeister ausgeraubt, nicht wahr?«
»Jawohl!«
»Und trotzdem wollten Sie mich laufen lassen und sich der Anklage aussetzen, es selbst getan zu haben, nicht wahr? Na, das ist die Sorte von Schwiegersohn, die ich bekommen habe!«
Die beiden Männer streckten sich gleichzeitig die Hände entgegen.
Von der Veranda trat Mary Cahill auf sie zu, errötend, strahlend vor Stolz. Sie lachte und sie war glückselig, aber sie sah Ranson mit zärtlichem Vorwurf an.
»Warum hast du mich gerade jetzt verlassen?« sagte sie. »Es war fürchterlich. Sie rufen nach dir. Sie schreien immer Hurrah!«
»Mr. Cahill,« befahl Ranson, »gehen Sie hinaus und halten Sie eine Rede!«
Dann nahm er Marys beide Hände in die seinen. »Ich bin der glücklichste Mann der Welt,« sagte er. »Ich hab' mir das Einzige errungen, das des Erringens wert war. In einer Minute, Lieb, laufen wir davon und reiten zum Wasserfall. Weißt du noch?« fragte er sehnsüchtig.
Mary Cahill hob das Köpfchen und lächelte. Er beugte sich atemlos vor.
»Auch du hast es damals schon gewußt?« fragte er.
Sie lächelte bejahend.
»Wer ich hab' doch gar nichts gesagt, damals?« flüsterte Ranson. »Ich kannte dich ja kaum. Aber ich wußte an jenem Tage, daß ich – daß ich entweder dich heiraten würde oder keine. Und dachtest auch du, daß –«
»Ja!« sagte Mary Cahill leise.
Da bückte er sich und küßte ihre Hand.
»Dann wollen wir noch heute morgen zum Wasserfall reiten und ihm sagen, daß alles gut gegangen ist. Und jetzt müssen wir vor diesen komischen Leuten da draußen unsere Knixe machen; vor diesen märchenhaften Traumleuten, die gar nicht wissen, daß es überhaupt keine Menschen gibt auf der Welt außer mir und dir, und daß wir einander lieben.«
An der Türe stieß Ranson auf eine aufgeregte Ordonnanz mit einem Tablett und zwei Gläsern.
»Hier sind die zwei Schottischen mit Soda,« keuchte der Soldat. »Konnt's nich' früher bringen. Die anderen wollten mir den Whisky wegnehmen – um auf Miß Cahills Gesundheit zu trinken.«
»Sollen Sie auch,« erklärte Ranson. »Sagen Sie ihnen, sie sollen die Kantine trocken trinken – auf meine Rechnung, 's ist gegen die Vorschriften? Aber was ist 'n unbedeutendes Ding wie Vorschriften zwischen Freunden? Sie haben mir ja meine militärischen Manieren beigebracht. Mr. Cahill!« rief er.
Der Forthändler kam von der Veranda.
Ranson reichte ihm feierlich eines der beiden Gläser und hob das andere hoch empor.
»Wir trinken auf die Hoffnung, daß der Rote Reiter niemals mehr auf Raub reitet,« sagte er; »und auf die zukünftige Frau Ranson – auf Mary Cahill. Gott segne sie!«
Er zerschmetterte das leere Glas am Kamin und faßte Cahills Hand.
»Schwiegervater!« sagte Ranson. »Versprechen wir einander, ein neues Leben anzufangen! Ein besseres!«