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Erstes Kapitel

Die Kapelle des Schlosses von Weißenfels war an einem lachenden Sommertage des Jahres 1744 mit Hunderten von Wachskerzen beleuchtet; der reiche Stuck, die Vergoldungen, die Blumengewinde am Altar schimmerten im doppelten Glanze des Tages und des künstlichen Lichts. Die Glocken läuteten, und der Orgelton rauschte durch das Gotteshaus.

Eine festlich geschmückte Versammlung, die Frauen in starrer Seide über bauschenden Reifröcken, mit hochgepudertem Haar, glänzendem Schmuck und ungeduldig bewegten Fächern, die Männer in bordierten Atlasröcken mit breiten Spitzenjabots, seidenen Strümpfen, den Klapphut unterm Arm, stand harrend und die weit offene Kirchentür beobachtend zu beiden Seiten des Altars.

Galt es doch heute die Taufe eines Prinzen des herzoglichen Hauses zu feiern. Zwei früh verstorbene Söhne Johann Adolfs II., Herzogs von Sachsen-Weißenfels, ruhten schon unter den Füßen der geputzten Gäste in der Familiengruft; dieser Täufling war der zweite lebende Sohn des Herrscherpaares. Und allen den adligen Gästen lag daran, daß ihr herzogliches Haus, dem sie Glanz, Würde, Vergnügen verdankten, nicht ausstürbe, wie es den beiden anderen sächsischen Nebenlinien von Zeitz und Merseburg geschehen war. Was sollten sie auch ohne ihre Sonne beginnen? Welches Glück, welche Freude, daß es wieder einen jungen Prinzen gab!

Die Festlichkeit versprach heute besonders glänzend zu werden. Von nah und fern waren Gäste herbeigeströmt. Der wichtigste von allen, ein Weißenfelser Kind, der Sohn des Hofmarschalls v. Brühl, Heinrich v. Brühl, der seine Hofkarriere als Page der Herzogin Elisabeth hier am Hofe begonnen hatte, war gestern abend angekommen. Außer dem üblichen Gefolge des großen Herrn begleitete ihn sein Vertrauter, der Geheimrat Christian Hennicke; dieser, als junger Mann Lakai am Hofe von Zeitz, hatte sich durch geschäftliche Brauchbarkeit und Verschlagenheit von einer Stufe zur anderen emporgearbeitet. Er war zuerst Inspektor, dann Bergrat und Kammerdirektor in Zeitz geworden, darauf nach Dresden berufen und nun zum Kammerpräsidenten und Geheimrat avanciert. In prächtigen Staatskarossen war gestern der Einzug dieser Dresdener Gäste erfolgt, und nun war Graf Brühl der Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit. Jeder suchte etwas wie eine alte Beziehung zu diesem gewaltigen Manne, dem allmächtigen Minister, herauszufinden und war neugierig gespannt, wie der Günstling des Kurfürsten sich benehmen werde.

Endlich schwieg die Orgel, und die draußen aufgestellte Hofkapelle intonierte mit Trompeten, Pauken, Zinken und Posaunen einen feierlichen Marsch.

Die Kirchentür mündete auf den weiten Schloßhof. Nach drei Seiten umgaben der breite Hauptbau und zwei mächtige Flügel des Schlosses – welches so viele Fenster zählte, wie das Jahr Tage – in fest geschlossenen Linien den Innenhof. An der vierten Seite lag die breite Einfahrt, überbaut mit einer reich mit Orangen und anderen Kübelgewächsen besetzten Terrasse.

Aus dem Schloßeingang, der Kirche gegenüber, bewegte sich jetzt der feierliche Taufzug quer über den Hof auf den Eingang des Gotteshauses zu. Schweizer Wachen bildeten Spalier. Voran schritt der Hofmarschall mit seinem goldenen Stabe, ihm folgten paarweise sechs Pagen, die Wachsfackeln trugen, nun kam die Amme mit dem Täufling, von den vier hübschen Kammerfräulein der Herzogin umgeben.

Jetzt das herzogliche Paar. Johann Adolf hielt mit den Fingerspitzen seiner Rechten die Linke seiner Gemahlin – Friederike, Prinzessin zu Sachsen-Gotha-Altenburg – empor, und führte sie also feierlich und zierlich vorwärts. An der anderen Seite der hohen Frau ging Graf Heinrich von Brühl, der kurfürstliche Abgesandte und Ehrengast des Weißenfelsischen Hauses. Der Hofstaat schloß sich an. –

Die kirchliche Feier war dem Programm nach würdig verlaufen. Der ganze Zug, von den auswärtigen Gästen begleitet, bewegte sich unter Glockengeläute und Kanonendonner ins Schloß zurück, wo die Gratulationskur im roten Galasaal entgegengenommen wurde. Darauf folgte im Speisesaale das Festdiner. Nach diesem sollte der Kaffee auf der Orangerie-Terrasse über der Einfahrt eingenommen werden. Geräumig, wie alle Verhältnisse des Schlosses, gewährte sie einer großen Gesellschaft genügenden Platz. Man ging paarweise vom Speisesaale durch das gelbe Konferenzzimmer dorthin.

Der Herzog trat in das gelbe Zimmer zurück und der Minister Graf Heinrich Brühl folgte ihm: die Türen des Gemaches wurden geschlossen und die Gesellschaft auf der Terrasse tat in bester Form, als ob sie das Verschwinden der beiden Hauptpersonen nicht bemerkte. Man plauderte, schlürfte aus Meißner Täßchen Kaffee und lauschte den Klängen der unten aufgestellten Musik.

Der Herzog; ein frischer Fünfziger von kräftigem Bau und mittlerer Größe, lud mit einer Handbewegung den Minister ein, sich ihm gegenüber auf einen der gelben Damast-Fauteuils niederzulassen, die neben dem vergoldeten Tischchen standen. Brühl folgte mit einer Verbeugung dem Winke und nahm Platz. Er war jünger als der Herzog, lang und mager und trug sich weniger straff. Seinem feinen Gesicht mangelte der offene Ausdruck.

»Sie wünschen ein Privatgespräch, mein lieber Graf«, sagte der Herzog einfach, »womit kann ich Ihnen dienen.«

»Eure hochfürstliche Durchlaucht«, begann der Minister, »haben mich seit der Stunde meiner Ankunft so vollständig durch die Freuden der Geselligkeit, den Glanz höchst Ihres Hofes beglückt und in Anspruch genommen, daß ich noch keinen Augenblick Muße gefunden habe, eine geschäftliche Angelegenheit zu berühren.«

»Die gemeinsamen Interessen von Kursachsen und Sachsen-Weißenfels«, unterbrach der Herzog mit erstauntem Ton den Stockenden, »werden ja durch meinen Bevollmächtigten in Dresden erledigt.«

»Allerdings, die laufenden Geschäfte; wenn es sich aber um einen Kardinalpunkt, eine Frage von Wichtigkeit handelt, so kann diese nur durch Serenissimus selber und den Ministerregenten höchst Ihres erhabenen Agnaten Sr. Majestät August III., Königs von Polen und Kurfürsten von Sachsen ventiliert werden.«

»Eure Erlauchte Exzellenz nehmen ja einen großen Anlauf, da bin ich neugierig«, meinte der Herzog mit gutmütiger Ergebung in des andern Wunsch; es war ersichtlich, daß der leichtlebige Herr diese Stunde nach dem Diner lieber im Kreise seiner Gäste heiter verplaudert, als mit einer politischen Auseinandersetzung ausgefüllt hätte.

Graf Brühl räusperte sich, wandte die Augen zu der in Stuck und Vergoldung prangenden Decke und hub endlich an: »Durchlaucht wollen verzeihen, wenn ich peinliche Vorkommnisse erwähne. Unter der Regierung höchst Ihres in Gott ruhenden Vorgängers und Bruders hat die Schuldenlast Sachsen-Weißenfels fast zum Staatsbankerott getrieben. Eine von Kursachsen abgesandte Kommission hat mit aller Mühe und Sorge kaum dem Ruin vorgebeugt –«

»Was wollen Sie?« fuhr der Herzog auf, »es ist alles möglichst geordnet –, wie kann man mich für die Verschwendung meiner Vorgänger zur Rechenschaft ziehen?«

Der Minister suchte mit einer geschmeidigen Bewegung zu beschwichtigen, im mildesten Tone sagte er: »Die Oberhoheit Kursachsens ist von vornherein gewahrt, dem Haupthause steht die Entscheidung über Krieg und Frieden zu.«

»Gewiß, gewiß, ich habe es nie an aller Observanz, Liebe, Treue und Ehrerbietung fehlen lassen. Brauche ich daran zu erinnern, in wie vielen Kriegen ich mit Blut und Leben für Sachsens Wohl eingestanden?«

»Eurer hochfürstlichen Durchlaucht vollkommene Loyalität«, fuhr der Unterhändler mit höflicher Verneigung fort, »ermutigt meinen hohen Gebieter zu Vorschlägen und Hoffnungen, welche –«

»Nun?« rief der Herzog gespannt.

»Welche einen Zwitterzustand beenden und für beide Teile von Vorteil sein würden.«

»Graf, ich verstehe Sie nicht!«

»Wollen Durchlaucht mir geneigtest dero Ohr leihen. Die Verfügung des Kurfürsten Johann Georg I., welche 1656 eine Teilung Sachsens unter seine vier Söhne veranlaßte, war ein politischer Mißgriff.«

»Es war die Gewissenhaftigkeit eines zärtlichen Vaters und glaubensstrengen Protestanten.«

»Durchlaucht wissen, daß jenes Testament Streitigkeiten hervorrief, welche –«

»Durch einen freundbrüderlichen Hauptvergleich, der des Vaters Willen bestätigte, beigelegt wurden.«

»Welche«, fuhr der Minister unbeirrt und mit stärkerer Betonung fort, »durch die Unterbrechung in hundertfältigen kleinen Störungen und Konflikten die Kraft und einheitliche Machtentfaltung Sachsens schwächten.«

»Das ist Ihre Ansicht, Graf! Die meinige ist, daß unsere kleinen Höfe Herolden der Zivilisation gleichen, sie fördern Kunst und feine Sitte, denken Sie an das alte Griechenland.«

»Dem sei wie ihm wolle«, entgegnete Brühl mit Achselzucken, »Eurer hochfürstlichen Durchlaucht scharfem Geiste muß sich die Ueberzeugung aufdrängen, daß dero Stellung weder souverän noch mediatisiert –«

»Nicht souverän?« schrie der Herzog und sprang empor. »Nicht souverän?« grollte er und flammte den zusammen fahrenden Minister mit großen Augen an. »Was fehlt meiner Souveränität, meiner Machtvollkommenheit, meiner Oberherrlichkeit? Ebenso wie mein Vetter von Kursachsen bin ich nach gültigem Erbrecht Herr meines Landes, bin von Gottes Gnaden souveräner Fürst zu Sachsen-Weißenfels. Mit Gewalt könnt Ihr meine Souveränität nehmen, denn Ihr seid stärker als ich, mit Recht und meinem Willen niemals! Ein Mensch, der sein gutes Recht aufgibt, ist ein Feigling, ein Erbärmlicher, ein Sklave, einer, der sich selbst unter die Füße seiner Feinde wirft und winselt: tretet mich, mir geschieht nach Verdienst! Ich bin ein Mann des Krieges; ich habe alle Feldzüge mitgemacht, die es Zeit meines Lebens gab; zwei ältere Brüder hatten vor mir diesen Platz inne, ich habe nie an die Regierung gedacht, jetzt da sie mir nach Gottes Ratschluß zufällt, halte ich sie wie mein Schwert in eiserner Faust und rate jedem, sie nicht anzutasten!«

»Dies würde nur nach gütlicher Uebereinkunft und mit vollkommenster Berücksichtigung von Eurer Durchlaucht Wünschen und Neigungen geschehen«, sagte Graf Brühl, der sich gleichfalls erhoben hatte, in unterwürfigem Ton. »Hochfürstliche Durchlaucht haben durchaus über dero ergebensten Diener zu befehlen.«

Der Herzog beachtete die Phrase nicht, er schritt mit auf den Rücken gelegten Händen im Gemach hin und her. »Sie wählen Ihre Zeit schlecht, mir solche Vorschläge zu machen; heute, am Tauftage eines zweiten Sohnes und Erben« – stieß er hervor.

»Nach dem Aussterben der beiden Linien von Zeitz und Merseburg drängt sich meiner Regierung der Wunsch lebhafter auf, den Zustand vor 1656 zurückzuführen. Und was die herzoglichen Prinzen betrifft, würde eine glänzende Apanagierung –«

»Kein Wort mehr! Die Ehre und das Recht meiner Prinzen werde ich – liegen sie auch noch in den Windeln – zu schützen wissen.«

»Durchlaucht verloren schon zwei Söhne durch den Tod«, zischelte der Minister. »Wer kann wissen?«

»Das hat Gott getan; was der Herr tut, das ist wohlgetan!« sprach der Herzog mit einem großen Blick nach oben. »Soll ich auch diese Kinder missen – o Gott, erspare mir das Leid! – so stirbt mein Haus aus, so hat Kursachsen das Erbe. Will aber der Herr alles Lebens meinen Stamm vor dem meines Vetters erhalten, so kann die Linie Sachsen-Weißenfels, so gut wie des Kursachsens, alle Albertinischen Lande unter ihrer Souveränität vereinen. Dies mein angeborenes Recht gebe ich nimmermehr auf! Sagen Sie das Ihrem Herrn, Exzellenz. Doch nein, in Augusts III. gutmütiger Seele entsprang Ihr Vorschlag nicht; ich habe mich mit dem Urheber selbst eben darüber abgefunden.«

Er grüßte leicht, öffnete die Tür zur Terrasse und trat geröteten Angesichts unter die heitere Versammlung.

Traf ihn auch verstohlen mancher neugierige Blick, so tat doch jeder, als sei des Herzogs Gehen und Kommen mit nichts besonderem verknüpft. Nur ein schönes Augenpaar ruhte mit banger Frage auf seinem Antlitz. Es war das der Herzogin Friederike, die ihrem Gatten eine tiefe Erregung ansah.

Der Minister hatte den Ausdruck des Verdrusses über seine Niederlage, die er halb und halb erwartet hatte, mit weltmännischer Gewandtheit unterdrückt und lächelte heiter dem Kreise der artigen Frauen zu.

Johann Adolf schlug vor, daß man sich zu zwanglosem Ergehen in den Luftgarten hinabbegebe, und alle erhoben sich, um dieser Aufforderung zu folgen.

Graf Brühl reichte der Herzogin die Fingerspitzen, um sie hinunter zu führen, der Herzog ging an der andern Seite seiner Gemahlin, und die ganze übrige Gesellschaft schloß sich ihnen an.

Während die Herzogin Friederike die Höflichkeiten des Ministers mit gezwungener Freundlichkeit erwiderte, flog mancher zärtliche, besorgte Blick nach der anderen Seite zu ihres Gemahls düsterer Stirn empor. Ihre fein empfindende, ahnungsvolle Seele erriet, daß etwas Ernstes und Großes eben zwischen diesen beiden Männern zum Austrag gekommen sei. Eine unwillkürliche Furcht vor dem allmächtigen Minister des oberhoheitlichen Herrscherhauses beunruhigte sie schon seit langem und schien ihr jetzt aus den Fingerspitzen des ränkesüchtigen Mannes wie ein kalter Schauder durch den ganzen Körper zu rinnen. Sie nannte Brühl innerlich einen Emporkömmling ohne Gewissen, der zur Befriedung seiner Wünsche, zur Erreichung seiner ehrgeizigen Zwecke kein Mittel, auch das schlechteste nicht, unversucht lassen würde. Und mit diesem Menschen, weil sie ihn für gefährlich hielt, schön tun, ihn allen anderen Gästen vorziehen, wie schwer war das!


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