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Eines Abends fiel eine Sache für mich besonders glücklich aus. Ich ging in der Dämmerung durch die Lombardstraße, wo der Hof zu den drei Königen ist. Da lief ein Kerl wie der Blitz an mir vorbei und warf ein Päckchen, das er in der Hand hatte, hinter mir weg, als ich an dem Eckhause auf die Seite getreten war. Als er es hinwarf, rief er: Glück zu, Jungfer, laßt es dort einige Zeit liegen! Dann lief er davon. Ihm folgten zwei andere und gleich darauf ein junger Bursche, der ohne Hut war, und schrie: Haltet den Dieb!
Das Volk verfolgte die beiden letzten so lange, bis sie das Geraubte fallen ließen, und der eine wurde noch dazu eingefangen, während der andere entwischte.
Ich stand die ganze Zeit über unbeweglich, bis der Schwarm wieder zurückkam und den einen Kerl samt der Beute daherschleppte, worüber sie alle froh waren und an mir vorbei gingen, denn ich sah aus wie eine, die nur aus dem Wege gegangen war, um ihnen Platz zu machen.
Einige Male fragte ich, was es gäbe. Aber niemand antwortete mir, und ich forschte auch nicht weiter nach. Als aber der Tumult vorbei war, nahm ich die Gelegenheit wahr, drehte mich um und hob das Päckchen, das hinter mir lag, auf. Danach ging ich fort. Hierbei war ich lange nicht so unruhig als bei meinen früheren Diebstählen, denn ich hatte die Sachen ja nicht gestohlen, obwohl sie mir als gestohlenes Gut in die Hände fielen. Ich kam mit meiner Ladung gut nach Hause, fand ein Stück schönen schwarzen Glanztafft und ein Stück Sammet in dem Bündel. Das letztere war kein ganzes Stück, enthielt aber beinahe 50 Ellen. Es schien, als ob die Buben in einem Seidenladen tätig gewesen waren und ihn geplündert hatten. Ich sage geplündert, weil das Verlorene schon von solchem Wert war, und das Wiedergefundene wohl in sechs bis acht Stücken bestand. Wie sie eine solche Menge hatten erbeuten können, war mir unbegreiflich. Da ich aber nur den Dieb beraubt hatte, so hatte ich kein Bedenken sondern war vielmehr froh, daß ich es bekommen hatte.
Ich spazierte fleißig auf den Dörfern herum, um zu sehen, ob es dort nichts für mich zu tun gäbe.
Als ich eines Tages an einem Hause unweit Stepney vorüberging, sah ich auf der Fensterbank zwei Ringe liegen, einen Diamantring und einen einfachen goldenen, die zweifellos eine Frau dorthin gelegt hatte, die mehr Geld als Vorsicht besaß und sich vielleicht nur die Hände wusch.
Ich ging verschiedene Male an dem Fenster vorbei, um zu sehen, ob wohl jemand in der Stube wäre. Obgleich ich niemanden sah, war ich doch nicht sicher. Es fiel mir ein, ich könnte mit dem Finger an das Fenster klopfen, alsdann würde gewiß jemand erscheinen, wenn mans hören würde. Kam nun jemand, so wollte ich sagen, sie möchten doch die Ringe wegnehmen, denn ich hätte ein paar verdächtige Kerle gesehen, die sie stehlen wollten. Dies war ein guter Einfall: ich klopfte ein paarmal an, es kam aber niemand. Da schlug ich stärker gegen die Scheibe, daß sie zerbrach und nahm die Ringe fort.
Nun wußte ich nicht, wo ich meine gestohlenen Sachen anbringen oder verkaufen sollte, besonders die beiden Stücke Seidenwaren, weil ich sie nicht gern unter ihrem Wert verhandeln wollte. So gehts allen unglücklichen Dieben, wenn sie, mit der größten Lebensgefahr vielleicht, ein Ding gestohlen haben, das Wert hat, so sind sie doch gezwungen, es zu einem Spottpreis zu verkaufen. Ich nahm mir aber vor, dies nicht zu tun, es koste, was es wolle. Indes wußte ich doch nicht, wie ich es anstellen sollte. Zuletzt fiel mir meine alte Hofmeisterin ein, und ich entschloß mich, die frühere Bekanntschaft zu erneuern. Die fünf Pfund für meinen kleinen Sohn hatte ich ihr alle Jahre bezahlt, solange ich Vermögen hatte, mußte es aber unterlassen, als es mit mir zurückging. Ich hatte ihr aber geschrieben, daß sich meine Lage verschlimmert und daß ich meinen Mann verloren hätte, daß ich also nicht länger zahlen könnte und bäte, sie möchte doch das arme Kind der Mutter Unglück nicht entgelten lassen.
Ich besuchte sie nun und fand, daß sie zwar ihr altes Handwerk noch betrieb, daß es aber nicht mehr so einträglich war wie früher, denn es hatte sie ein gewisser Mann belangen lassen, dem seine Tochter entführt worden, wobei sie wohl geholfen hatte, und sie war gerade noch knapp davon gekommen. Die Kosten des Prozesses hatten sie geschädigt, ihr Haus war nur schlecht bestellt, und ihr Handwerk hatte nicht mehr den früheren guten Ruf. Doch sie litt keine Not, denn da sie eine rührige Frau war und noch einen kleinen Vorrat im Hinterhalt hatte, lieh sie Geld auf Pfänder und kam ziemlich gut dabei zurecht.
Sie empfing mich sehr freundlich und sagte mit Verbindlichkeit, sie halte deswegen nicht weniger von mir, obgleich ich so zurückgekommen wäre. Dank ihrer Fürsorge leide mein Sohn keinen Mangel, trotzdem ich nicht mehr für ihn bezahlt hätte, die Frau, die ihn groß zöge, sei ganz zufrieden und ich sollte mich um ihn nur nicht bekümmern, ich würde schon instand kommen, ihm meine Sorgfalt zukommen zu lassen.
Ich sagte, es sei mir wenig Geld übrig geblieben, ich hätte aber noch Sachen, die Wert hätten, wenn ich nur wüßte, wo ich sie verkaufen könnte.
Sie fragte mich, was es sei.
Ich zeigte ihr die goldenen Perlen und sagte, es sei ein Geschenk von meinem seligen Manne. Danach zeigte ich ihr auch die beiden Stücke Seidenzeug und gab vor, ich hätte sie mir aus Irland mitgebracht. Es kam auch noch der kleine Diamantring zum Vorschein, das Silberzeug hatte ich schon selbst angebracht, und das Kindbettzeug wollte sie für sich behalten, denn sie glaubte, es sei mein eigenes. Sie sagte mir, daß sie Geld auf Pfänder leihe und die Sachen für mich verkaufen wolle, als ob sie bei ihr versetzt und verfallen wären. Sie ließ sogleich einige von ihren Abnehmern holen, welche es ihr gleich aus der Hand abkauften und auch ziemlich gut bezahlten.
Ich dachte nun, diese Frau könnte mir bei meinem elenden Zustande etwas Arbeit verschaffen, allein mit ehrlicher Arbeit hatte sie nichts zu tun. Wäre ich jünger gewesen, so hätte sie mir vielleicht helfen können, aber meine Gedanken waren von diesen Dingen gänzlich abgewandt, zumal ich bereits 50 Jahre auf dem Buckel hatte, so war in diesem Geschäft nichts mehr zu verdienen.
Endlich bat sie mich, zu ihr zu kommen und so lange bei ihr zu wohnen, bis ich etwas zu arbeiten finden würde, und versprach mir, ich sollte bei ihr so billig wie nur möglich leben. Dies nahm ich mit Dank an und brachte es mit ihrem Beistande dahin, daß mir auch der kleine Knabe, den ich von meinem letzten Mann gehabt, gegen eine jährliche Bezahlung von fünf Pfund, falls ich imstande wäre sie zu bezahlen, abgenommen wurde. Dies war mir eine so große Erleichterung, daß ich eine Zeitlang wünschte mein gottloses Handwerk an den Nagel zu hängen und gern mit meinen Händen etwas Gutes gewirkt hätte, doch aus Mangel an Bekanntschaft war es unmöglich.
Eines Abends ging ich bei einer Schenke vorüber und sah, daß die Tür eines kleinen Stübchens nahe der Straße offen war, auch daß eine silberne Kanne auf dem Tische stand, wie es zu der Zeit in den Wirtshäusern sehr gebräuchlich war. Es schien, als wären Gäste dagewesen, und der liederliche Junge hätte die Kanne stehen lassen.
Ich ging in das Stübchen, versteckte die silberne Kanne in einer Ecke auf der Bank und setzte mich davor hin, daß man sie nicht sehen konnte. Als ich nun mit dem Fuß geklopft hatte, kam der Junge, dem ich befahl mir Warmbier zu bringen, denn es war kaltes Wetter; der Junge lief hin, und ich hörte ihn die Kellertreppe hinuntersteigen, um Bier zu zapfen. Als er fort war, kam ein anderer und fragte, ob ich gerufen hätte.
Ich sagte, man hole mir schon, was ich verlangt hätte.
Ich trank mein Bier aus, bezahlte, packte die Kanne ein und sagte dem Jungen, als ich fortging, er solle sein Silberzeug wohl in acht nehmen, womit ich das silberne Krüglein meinte, aus dem ich getrunken hatte.
Der Junge sprach: Ja, ja, Madame, besucht uns nur bald wieder, und damit ging ich meiner Wege.
Als ich nach Hause zu meiner Hofmeisterin kam, dachte ich, es sei nun an der Zeit sie auf die Probe zu stellen, damit ich, wenn es mir einmal mißglücken sollte, einen guten Rückhalt an ihr hätte. Als ich ihr zu verstehen gab, ich hätte ein Geheimnis von der größten Wichtigkeit auf dem Herzen, welches ich ihr anvertrauen wollte, wenn sie verschwiegen wäre, sagte sie:
Eines von meinen Geheimnissen hätte sie treulich verschwiegen, warum sollte sie es mit dem andern nicht ebenso halten?
Ich sagte ihr darauf, mir sei wider meinen Willen das seltsamste von der Welt begegnet, und erzählte ihr darauf die ganze Begebenheit mit der Kanne.
Habt ihr sie denn mitgebracht, fragte sie.
Ja, sagte ich, und zeigte sie ihr; aber was soll ich anfangen, muß ich sie wieder hinbringen?
Wieder hinbringen? sagte sie, ja, wenn ihr Lust habt, nach Newgate zu wandern.
O, sagte ich, sie werden mich doch nicht anhalten, wenn ich die Kanne zurückbringe.
Mein gutes Kind, sprach sie, ihr kennt die Menschen nicht, sie werden euch nicht nur nach Newgate bringen, sondern sie werden euch ohne Gnade henken lassen und jede gestohlene Kanne auf eure Rechnung setzen. Da ihr die Kanne so geschickt gestohlen habt, müßt ihr sie auch behalten, da ist nichts anderes zu tun, zumal da ihr sie nötiger brauchen könnt als jene. Ich wünschte, daß ihr solchen Fang jede Woche einmal machen könntet.
Da wurde mir klar, daß meine alte Hofmeisterin, seitdem sie Geld auf Pfänder lieh, gewisse Leute um sich hatte, die nicht so ehrlich waren wie die, welche ich früher bei ihr gesehen hatte.
Es dauerte nicht lange, so kam ich völlig hinter ihre Schliche. Denn ich sah von Zeit zu Zeit silberne Gefäße, Löffel, Gabeln, Kannen und dergleichen Sachen mehr, die nicht als Pfänder, sondern zum Verkauf hingebracht wurden. Sie aber erhandelte alles, ohne zu fragen, woher es käme.
Bei diesem Geschäft war sie auch so vorsichtig, alles gekaufte Silberzeug einzuschmelzen, damit man es nicht erkennen und keinen Anspruch mehr darauf erheben konnte. Einmal kam sie zu mir und sagte, sie wolle schmelzen, und wenn ich wollte, so könnte ich meine Kanne auch umgießen lassen, damit sie niemand mehr zu sehen bekäme. Ich war hierzu bereit, und wir wogen die Kanne; sie gab mir das volle Gewicht an Silber, obgleich sie mit ihren andern Kunden nicht so verfuhr.
Ich erinnere mich noch, daß ich eines Tages etwas still war und bei mir überlegte, wie ich nunmehr ein gutes Stück Kapital vor mich gebracht hätte, und beinahe 200 Pfund bares Geld besäße, wie mich zwar anfangs die Armut verführt, wie aber nun meine Lage besser wäre, und ich durch meiner Hände Arbeit so viel verdienen könnte, als zu meinem Unterhalte nötig wäre, und wie mich nun nichts mehr triebe zu stehlen. Bis jetzt sei es immer gut abgelaufen, aber es würde wohl nicht immer so gut ausgehen, sondern wenn man mich einmal erwischte, würde es um mich geschehen sein.
Allein mein Schicksal wollte es anders haben, und der emsige Teufel, der mich verführt hatte, hielt mich gar fest in seinen Klauen. Die Armut hatte mich hineingebracht, jetzt hielt mich der Geiz in diesem unglücklichen Zustande fest, so daß ich nicht mehr zurück konnte. Alle guten Gründe, die mir die Vernunft an die Hand gab, daß ich das Handwerk niederlegen sollte, wurden von dem Geiz über den Haufen geworfen, der mir eingab: fahre nur damit fort, du hast bisher immer Glück gehabt, fahre fort, bis du 400 bis 500 Pfund zusammen hast, dann höre auf, dann kannst du in Ruhe leben, ohne an Arbeit denken zu müssen.
Diese Gedanken bewirkten bei mir wenigstens so viel, daß ich vorsichtiger zu Werke ging, besonders beim Plündern der Krambuden, wo oft rechte Argusaugen anzutreffen waren. Ein paarmal sprach ich bei den Spitzenhändlern und Galanteriewarenkrämern vor und brachte ein Stück Spitze, etwa sechs oder sieben Pfund wert, als Beute heim, aber das geschah nur einmal, es war ein Griff, der sich nicht zweimal machen ließ.
So oft ich von einem neuen Laden hörte, war ich meiner Sache sicher, besonders, wenn es solche Krämer waren, die den Handel nicht verstanden, oder die nie in dergleichen Geschäften gewesen waren.
Ich tat dann noch ein paar Gänge, aber sie brachten mir nicht viel ein. Es wollte lange Zeit nichts glücken, und ich dachte, das beste würde sein, ein für allemal aufzuhören, doch meine Hofmeisterin, die nicht Willens war mich zu verlieren, weil sie noch große Dinge von mir erwartete, brachte mich einmal in die Gesellschaft einer jungen Frau, die einen Kerl bei sich hatte, der ihr Mann sein sollte, obwohl ich hinterher erfuhr, daß sie keine Eheleute, sondern Diebesgenossen waren, die zusammen stahlen, zusammen schliefen, zusammen ins Loch mußten und auch zusammen an den Galgen gehenkt wurden.
Ich geriet in ein gewisses Bündnis mit diesen beiden Galgenvögeln durch die Vermittlung meiner Hofmeisterin, und ich wagte dann und wann einen Gang mit ihnen, sah aber bald, daß sie die Sache zu grob machten und kein Fortkommen dabei haben konnten, es sei denn durch ihre aufgelegte Unverschämtheit und durch die sträfliche Nachlässigkeit anderer Leute. Ich entschloß mich, ihnen nur selten und mit der größten Vorsicht anzuschließen. Ja, wenn sie mir zwei oder drei Vorschläge machten, nahm ich oft keinen davon an sondern redete sie ihnen aus.
Einmal hatten sie sich vorgenommen, einem Uhrmacher drei goldene Uhren auf einmal wegzunehmen. Sie hatten am Tage vorher genau gesehen, wo er sie hingelegt hatte. Einer von ihnen verfügte über so viele Schlüssel, daß er nicht zweifelte, das Schloß damit öffnen zu können, wo die Uhren lagen. Als ich aber das Ding bei Licht besah, war es auf einen regelrechten Einbruch abgesehen, wofür ich mich bedankte und sie allein gehen ließ. Sie kamen mit Gewalt ins Haus hinein, erbrachen den Ort, wo die Uhren lagen, fanden aber nur eine goldene und eine silberne, die sie zu sich steckten und glücklich aus dem Hause brachten. Indes die Leute im Hause hatten Unrat gemerkt und riefen: Diebe! Diebe! worauf der Kerl zuerst, die Frau aber, als sie schon weit fort war, ergriffen wurde, und auch das Gestohlene bei ihr gefunden wurde. Dies war meine zweite Warnung, denn sie mußten beide hängen, weil sie, obwohl noch jung an Jahren, doch alt an Verbrechen und für den Galgen reif waren.
Nun wurde ich noch vorsichtiger als zuvor, bekam aber einen neuen Versucher in meiner alten Hofmeisterin, die mir beständig in den Ohren lag. Sie führte mich gleichsam mit der Hand zu jedem Schelmenstück hin, gab mir so guten Unterricht, daß ich dadurch zur geschicktesten Diebin meiner Zeit wurde und mich so gewandt aus aller Gefahr zu wickeln wußte, daß ich, während meine Kameraden nach kaum halbjähriger Tätigkeit schon in Newgate saßen, beinahe fünf volle Jahre mein Gewerbe ausübte, ohne daß jemand in Newgate meinen rechten Namen wußte. Sie hatten zwar viel von mir gehört und hatten mich dort oft schon in einer eingelieferten Person vermutet, aber ich kam allemal davon, obgleich oft mit Lebensgefahr.
Jetzt scheute ich vor nichts mehr, bis ich in der Diebszunft allzu bekannt wurde, und mir einige, obwohl ich ihnen nichts getan hatte, vor lauter Neid gehässig gesinnt wurden, weil ich allemal so glücklich entkam, während sie es in Newgate ausbaden mußten. Diese waren es, die mir zuerst den Namen Moll Flanders beilegten, obwohl derselbe weder meinem richtigen noch einem von den falschen Namen, die ich mir beigelegt hatte, ähnlich war. Ich habe aber niemals erfahren können, bei welcher Gelegenheit und warum sie mir diesen Namen gegeben haben.
Ich bekam bald Wind davon, daß einige von den Newgate-Gästen geschworen hatten mich zu verraten. Da ich nun wußte, daß einige unter ihnen mehr als genug Beweise hatten, wenn sie es tun wollten, wurde mir so angst, daß ich lange Zeit das Tageslicht mied. Aber meine Hofmeisterin, die mit mir Verlust und Gewinn teilte, wurde endlich ungeduldig über ein solch müßiges Leben, das ihr nichts einbrachte, und machte einen neuen Vorschlag, wie ich sicher ein- und ausgehen könne, nämlich, daß ich mich in Mannskleider stecken und es auf diese Art versuchen sollte.
Ich war sehr groß und ansehnlich, aber mein Gesicht war ein wenig zu glatt für einen Mann. Doch da ich mich selten fortwagte und nur in der Nacht, so ging es schon an. Es währte lange, bis ich mich an die neue Kleidung gewöhnte, und es war mir unmöglich, in der neuen Tracht, die der Natur entgegen war, so hurtig, geschwind und geschickt zu sein wie vorher. Ich machte alles tölpelhaft und hatte demnach weder den Erfolg noch die Leichtigkeit zu entwischen wie früher. Deswegen faßte ich den Entschluß, mich nicht mehr zu verkleiden, und in meinem Entschluß wurde ich noch durch folgendes Ereignis bestärkt.
Als mich meine Hofmeisterin als Mann verkleidet hatte, gab sie mir auch einen Kerl zum Kameraden, einen jungen geschickten Burschen, mit dem ich es etwa drei Wochen zusammen trieb. Unsere Hauptbeschäftigung war, den Budenkrämern auf die Finger zu sehen und das, was etwa nachlässig hingelegt wäre, wegzufischen; wir hatten auch hierbei manchen guten Fang getan. Da wir nun fast immer zusammen waren, wurden wir sehr vertraut, jedoch er wußte es nicht anders, als daß ich wirklich ein Mann sei; ich ging auch verschiedene Male mit ihm in seine Behausung, wie es unsere Geschäfte erforderten, und schlief auch sogar vier oder fünf Nächte bei ihm. Aber wir hatten andere Dinge im Kopf, und es war höchst notwendig für mich, mein Geschlecht zu verbergen, wie man noch hören wird. Die Umstände unserer Tätigkeit, von der wir spät nach Hause kamen, und die das Licht scheute, waren so beschaffen, daß ich mich unmöglich hätte weigern können bei ihm zu liegen, es sei denn, ich hätte ihm mein Geschlecht offenbart, was mir aber nicht geraten schien.
Wir hatten verschiedentlich Beute gemacht, aber erst das letztemal lohnte es sich. Es war in einer Gasse ein Laden, welcher nach hinten einen Packraum hatte, der auf die andere Straße hinausging, denn das Haus war ein Eckhaus.
Durch das Fenster des Packraums sahen wir fünf Stücke Seidenwaren nebst andern Stoffen auf der Bank liegen, und obgleich es fast finster war, hatten doch die Kaufleute, die in dem vorderen Laden viel zu tun hatten, noch nicht die Fensterladen zugemacht, oder es vielleicht vergessen.
Dies erfreute meinen jungen Kameraden so sehr, daß er nicht an sich halten konnte. Er sagte, es läge so nahe, daß er sie fortnehmen könne, und schwur, daß er die Stücke Seide haben müsse, wenn er auch das ganze Haus niederreißen sollte. Ich riet dawider, aber es half nichts; er ging darauf los, nahm sehr behende eine Fensterscheibe heraus, bekam vier Stück Seide und brachte sie zu mir, es entstand aber augenblicklich ein schreckliches Geräusch und ein großer Lärm. Ich hatte noch kein Stück von der Ware angefaßt, da sagte ich zu ihm in großer Hast, es würde ihm den Hals kosten. Er lief wie der Blitz davon, ich auch, wobei er aber heftiger verfolgt wurde als ich, da er die Waren hatte. Zwei Stücke davon ließ er im Laufen fallen, wodurch der Pöbel ein wenig aufgehalten wurde, allein dieser verstärkte sich immer mehr und verfolgte uns alle beide. Bald darauf kriegten sie ihn zu fassen mit den beiden Stücken und dann ging es hinter mir her. Ich lief, was ich konnte, und erreichte mein Haus, doch hatten mich etliche mit den Augen so gut verfolgt, daß sie sahen, wo ich hineinlief, und dachten, sie könnten mich dort fangen. Da sie aber nicht gleich an die Tür klopften, sondern etwas warteten, hatte ich Zeit, die Mannskleider abzuwerfen und meine eigenen anzulegen, dabei hielt auch meine Hofmeisterin zunächst ihre Tür verschlossen, redete mit den Leuten aus dem Fenster und versicherte ihnen, es sei kein Mann in ihr Haus gekommen. Diese aber sagten ihr das Gegenteil auf den Kopf zu und schwuren, daß sie die Tür aufbrechen wollten.
Meine Hofmeisterin war hierbei sehr gelassen und guten Mutes, redete mit den Leuten ganz gelinde und sagte, sie sollten nur hereinkommen und das ganze Haus durchsuchen, wenn sie erst einen Polizisten geholt hätten, damit niemand anderes hereinkäme, als den er für nötig erachtete, denn es würde wohl unbillig sein, die ganze Menge hereinzulassen. Hiergegen konnten sie nichts sagen, obwohl sie in großer Menge waren. Es wurde danach ein Polizist geholt, meine Hofmeisterin öffnete die Tür, welche der Polizist bewachte. Er ließ einige von den Leuten hineingehen, welche das Haus durchsuchten und von der Alten überall begleitet wurden. Als sie an meine Kammer kamen, rief mich die Alte und sagte mit lauter Stimme:
Frau Base, seid so gut und öffnet die Tür, hier sind einige Herren, die Haussuchung halten wollen.
Ich hatte ein kleines Mädchen bei mir, die Enkelin meiner Hofmeisterin, diese ließ ich die Tür öffnen. Ich saß bei der Arbeit, meine Sachen lagen unordentlich um mich her, als ob ich den ganzen Tag gearbeitet hätte. Ich war ausgezogen, hatte nur eine Nachtmütze auf dem Kopf und einen weiten Schlafrock umgeschlagen. Meine Hofmeisterin entschuldigte sich, daß sie mich gestört hätte, und sagte mir die Ursache, weswegen sie die Leute eingelassen hätte, damit sie sich nämlich selber überzeugen könnten, denn alles, was sie ihnen gesagt, hätte nichts geholfen.
Ich saß ruhig da und sagte, sie möchten nur getrost überall herumsuchen, denn wenn auch vielleicht jemand im Hause wäre, so wüßte ich doch gewiß, daß niemand in meine Kammer gekommen wäre. Was aber die übrigen Zimmer beträfe, so hätte ich darin nichts zu sagen, ich begriffe aber nicht, was sie dort finden wollten.
Es hatte alles bei mir einen so ehrlichen und unschuldigen Anschein, daß sie mir höflicher begegneten, als ich vermutet hatte, aber sie durchstöberten doch die Kammer auf das eingehendste, unter dem Bett, im Bett, allenthalben wurde nachgesucht. Als die Sucherei vorbei und niemand gefunden war, baten sie mich um Entschuldigung und gingen hinunter.
Nachdem sie nun das ganze Haus von unten bis oben und von oben bis unten fleißig durchsucht und nichts angetroffen hatten, stellten sie das Volk einigermaßen zufrieden, meine Hofmeisterin mußte aber noch mit zum Richter gehen, wo zwei Männer eidlich versicherten, daß sie einen Kerl, den sie verfolgt hätten, in ihrem Hause hätten verschwinden sehen. Die Alte gebrauchte ihr Mundwerk und machte viel Lärm: daß man ihr Haus so überlaufen und sie selbst dadurch beschimpft hätte, ohne die geringste Schuld bei ihr zu finden. Wäre der Kerl hineingekommen, so könnte er wohl wieder herausgekommen sein, sie aber sei bereit zu schwören, daß keine Mannesperson den ganzen Tag mit ihrem Wissen über ihre Schwelle getreten wäre, was sich ja auch so verhielt. Es könne sein, während sie oben gewesen sei, hätte jemand die Tür offen gefunden, und wäre aus Angst und um sich zu verbergen hineingelaufen, allein sie wisse nichts davon, und wenn dies geschehen sei, so müßte er gewiß wieder zur andern Tür hinausgegangen sein, denn sie hätte eine Hintertür in ihrem Hause, die in ein kleines Gäßchen führe, und durch diese könnte der Kerl wohl entwischt sein.
Dies kam sehr glaubwürdig heraus, und der Richter nahm ihr den Eid ab, daß sie keinen Kerl in ihrem Hause empfangen oder hineingelassen hätte, um sich dort zu verbergen oder ihn wider Recht und Billigkeit zu schützen oder zu verstecken. Dies konnte sie mit gutem Gewissen beschwören, sie tat es auch und wurde entlassen.
Mein armer Kamerad war inzwischen übel daran, denn sie brachten ihn zum Bürgermeister, der ihn nach Newgate schickte. Seine Kläger waren so bereit wie auch im Recht, ihm den Prozeß zu machen, daß sie sich sogar erboten, Bürgen zu stellen und bei nächster Gerichtsverhandlung zu erscheinen, um die Anklage gegen ihn zu beweisen.
Dessenungeachtet wurde die Sache aufgeschoben, weil er versprach, seine Helfershelfer zu entdecken, besonders aber den Kerl, welcher beim letzten Diebstahl beteiligt gewesen wäre, er tat auch sein möglichstes und gab mich unter meinem Namen Gabriel Spender an, denn so hatte ich mich in seiner Gesellschaft genannt. Hier sah ich nun, wie klug ich gehandelt hatte, mich vor ihm nicht zu entdecken, denn sonst wäre ich sicherlich verloren gewesen.
Er wandte alle Mühe an, diesen Gabriel Spender zu entdecken, er beschrieb meine Gestalt und den Ort, wo er glaubte, daß ich wohnte, ja alle Umstände, auch die allerkleinsten, auf die er sich nur besinnen konnte, da ich ihm aber mein Gesicht verborgen hatte, so richtete er mit seinen Angaben nichts aus. Zwei oder drei Familien wurden deswegen in Unruhe gebracht, weil er vermeinte, mich dort zu finden, allein diese wußten weiter nichts von der Sache, als daß sie einen Kerl bei ihm gesehen hatten, und das war alles.
Das war nun um so schlimmer für ihn, denn da er versprochen hatte, seinen Mitschuldigen zu entdecken, und es nun nicht bewerkstelligen konnte, wurde es nur als ein Vorwand angesehen, und seine Ankläger waren um so eifriger hinter ihm her.
Es war mir doch nicht ganz wohl bei der Sache, vielmehr schrecklich angst. Damit ich nun weniger zu befürchten hätte, machte ich mich für eine Weile aus dem Staube und verließ meine Hofmeisterin. Allein ich lebte noch immer in großer Furcht, denn ich hatte keine Zuflucht, keine Vertraute, keinen Freund als meine alte Hofmeisterin, und ich wußte kein anderes Mittel als mein Leben in ihre Hand zu geben. Ich tat es auch und ließ sie wissen, wo ich mich aufhielt, empfing auch verschiedene Briefe von ihr. Einige von diesen Briefen jagten mir großen Schrecken ein, doch zuletzt bekam ich von ihr die fröhliche Nachricht, daß der Kerl gehenkt worden sei, was mir sehr angenehm zu hören war.
Ich kam wieder lustig in London an und fand meine Hofmeisterin ebenso vergnügt. Sie wollte mir, sagte sie, nie wieder einen Kameraden bringen, denn ich hätte doch das meiste Glück, wenn ich es für mich allein wagte. Und es verhielt sich auch so, zumal ich selten in Gefahr geriet, wenn ich allein war, oder wenn es doch einmal brannte, so wußte ich mich allein allemal besser herauszuwickeln, als wenn ich Leute bei mir hatte, die vielleicht weniger Vorsicht und mehr Ungeduld gehabt hatten als ich.
Ich verlor noch eine andere Gehilfin, deren Untergang mir sehr zu Herzen ging, so daß es lange dauerte, bis ich sie vergessen hatte. Die ganze Sache ging so zu. Ich hatte aus einem Laden ein Stück Damast entwendet und kam glücklich damit fort, gab es aber meiner Gefährtin beim Herausgehen aus dem Laden und nahm einen ganz andern Weg. Wir hatten uns noch nicht lange getrennt, als der Kaufmann seinen Damast vermißte und seine Leute ausschickte, den einen hierhin, den andern dorthin. Diese trafen die Frau bald an, die den Damast trug, und hielten sie fest. Ich war zu meinem Glück in ein Haus getreten, in dessen erstem Stock ein Spitzenladen war, dort hatte ich das Vergnügen oder besser den Schreck, die arme Person durch das Fenster zu sehen, wie man sie zum Richter schleppte, der sie auch sogleich nach Newgate schickte.
Ich sah mich wohl vor, daß ich in dem Spitzenladen nichts anfaßte, ließ mir aber alles zeigen, um Zeit zu gewinnen. Zuletzt kaufte ich einige Ellen schmaler Spitze, bezahlte sie und ging schweren Herzens fort, denn das arme Weib mußte ausessen, was ich eingebrockt hatte.
Hier hatte ich es nun wieder meiner alten Vorsicht zu danken, daß es nicht über mich herging. Denn obgleich ich mit diesen Leuten oft auf einen Fang ausging, so gab ich mich ihnen doch niemals zu erkennen, sie konnten auch meine Wohnung nicht entdecken, trotzdem sie mich oft belauerten. Sie kannten mich alle nur unter dem Namen Moll Flanders, viele unter ihnen glaubten auch, daß ich so hieße, wußten es aber doch nicht gewiß. Dieser Name war in jedermanns Munde, aber niemand wußte mich zu finden oder meine Wohnung zu erraten, ob sie im Osten oder Westen der Stadt läge. Und dieser Vorsicht hatte ich mein Leben bei vielen Gelegenheiten zu danken.
Ich hielt mich ganz zurück wegen dieses letzten Vorfalls, denn ich wußte, wenn mir das geringste mißglücken und ich ins Gefängnis kommen sollte, wo das besagte Weib zugegen sein würde, so würde sie mich sofort verraten, um ihr Leben durch meinen Tod zu retten. Wäre ich nun den Häschern einmal in die Hände gefallen, so wären sie wohl mit mir wie mit einer alten Missetäterin verfahren. Deshalb wurde ich bei mir zuletzt schlüssig, keinen Fuß aus dem Hause zu setzen, ehe ich nicht wußte, wie es mit dem armen Weibe abgelaufen wäre. Inzwischen ließ ich ihr heimlich zum Troste etwas Geld zustecken.
Endlich wurde sie verhört und sagte aus, sie habe die Sachen nicht gestohlen, sondern eine gewisse Frau, die man Moll Flanders nenne, welche sie aber weiter auch nicht kenne, habe ihr das Stück Damast zugesteckt, als sie aus dem Laden gekommen sei, und habe ihr gesagt, sie solle es nach Hause tragen.
Sie wurde gefragt, wo denn diese Moll Flanders sei. Allein sie konnte darüber nichts angeben.
Der Verkäufer aus dem Seidenladen schwur, daß sie im Laden gewesen wäre, als der Damast gestohlen wurde, daß man das Stück im Augenblick vermißt, sie verfolgt und es auch bei ihr gefunden habe. Hierauf wurde sie von den Geschworenen für schuldig erkannt, allein das Gericht zog in Erwägung, daß sie wohl die Person nicht sei, die den Damast gestohlen habe, aber daß es ihr wohl nicht möglich wäre, die Moll Flanders ans Licht zu bringen, obwohl sie sich dadurch hätte retten können. Deswegen wurde sie des Landes verwiesen, was das mildeste Urteil war, und es wurde ihr sogar dabei gesagt, daß wenn sie während der Zeit die Moll Flanders ausspüren und zu ihrer Verhaftung helfen könnte, es wollte man ihr Gnade widerfahren lassen; das heißt soviel, wenn sie mich ausfindig machen und an den Galgen bringen könnte, so sollte sie nicht verbannt werden. Ich trug nun Sorge, daß ihr dies unmöglich gelingen konnte, und sie wurde bald darauf zu Schiffe nach Westindien gebracht.
Ich muß aber sagen, daß mich dieses arme Weib sehr jammerte und ich mir viele Gedanken darüber machte, zumal ich wirklich die Schuld an ihrem Unglück trug. Allein die Sorge um mein eigenes Leben ging vor, und da ich sah, daß sie noch gnädig genug davonkam, gab ich mich endlich zufrieden, zumal sie nun so weit fort war und mir nun nicht mehr schaden konnte.
Nun war ich ziemlich ruhig und hatte keine Furcht mehr, daß mich jemand verraten könnte, zumal diejenigen, mit denen ich zu tun gehabt hatte, oder die mich unter dem Namen Moll Flanders kannten, entweder gehenkt oder verschickt waren. Wenn ich nun auch so unglücklich sein sollte, daß man mich erwischte, so mochte ich mich nennen, wie ich wollte, ohne zu befürchten, daß mir die geringste alte Missetat in die Schuhe geschoben würde. Also ging ich wieder von neuem aus, aber mit größerer Vorsicht.
Es kam nun die lustigste Zeit des Jahres, und der Bartholomäusmarkt ging an. Ich begab mich nach den Klostergärten und geriet in eine Bude, wo gewürfelt wurde. Ich fand hier wenig zu tun, allein es kam ein vornehmer Herr, der die Augen auf mich warf und mit mir ein Gespräch anfing, wie es in solchen Buden gewöhnlich ist. Zuerst sagte er mir, er wolle für mich setzen und ich sollte werfen, ich gewann auch, ich glaube einen Federmuff, und den schenkte er mir. Hierauf unterhielt er sich weiter mit mir, aber alles ging höflich zu, wie es unter vornehmen Leuten bräuchlich ist.
Er hielt mich so lange im Gespräch fest, bis er mich aus der Bude gezogen und zu einem Spaziergang nach den Klostergärten beredet hatte. Dort gab er mir zu verstehen, es gefiele ihm meine Gesellschaft so gut, daß er mich bäte, etwas mit ihm in seiner Kutsche umherzufahren. Er sagte mir ferner, daß er ein ehrenhafter Mann sei, der mir nichts Ungehöriges zumuten wolle. Ich stellte mich eine Weile spröde und ließ mich ein wenig bitten, dann tat ich endlich seinen Willen.
Zuerst wußte ich nicht, was ich aus diesem Herrn machen sollte, und was er mit mir im Sinn hätte, doch merkte ich bald, daß er etwas im Kopfe hatte und gern noch mehr trinken wollte. Er führte mich in den Spring-Garten, wo wir spazieren gingen und uns gut bewirten ließen. Ich merkte, daß er stark trank und mich nötigen wollte, das gleiche zu tun, ich schlug es aber ab.
Bis jetzt hatte er Wort gehalten und nichts Unbilliges von mir verlangt. Wir fuhren um zehn Uhr wieder fort und die Straßen auf und ab, bis er vor einem Hause, wo er bekannt sein mußte, still halten ließ. Sobald wir ausgestiegen, brachte er mich die Treppen hinauf in eine Schlafkammer. Ich stellte mich erst, als ob ich nicht gern hinaufginge, doch nach einer kurzen Überredung ließ ich es mir gefallen und war wirklich neugierig, das Ende von dieser Komödie zu sehen, in der Hoffnung, einen Vorteil für mich dabei herauszuschlagen. Denn was das Bett und die übrigen Dinge betraf, darum bekümmerte ich mich nicht viel.
Dann fing er an, ein wenig freier mit mir umzugehen, als er mir versprochen hatte, und ich gab immer mehr nach, bis er zuletzt machte, was er wollte. Hierbei ließ er das Glas nicht aus der Hand, er soff, daß es nur so eine Art hatte, und etwa um ein Uhr nach Mitternacht setzten wir uns wieder in den Wagen. Die Luft und das Rütteln der Kutsche bewirkten, daß ihm der Wein vollends zu Kopfe stieg, er wurde mir lästig, da er das Spiel wieder beginnen wollte, wo er aufgehört hatte, aber da ich meinen Fang nunmehr für gewiß hielt, leistete ich ihm Widerstand und brachte ihn ein wenig zur Ruhe, so daß er nach fünf Minuten einschlief.
Ich benutzte die Gelegenheit, ihn aufs genaueste zu untersuchen. Seine goldene Uhr samt einem seidenen Beutel mit Gold, die große schöne Perücke, die Handschuhe mit silbernen Fransen, den Degen und die kostbare Tabaksdose, das alles packte ich zusammen, öffnete den Schlag des Wagens ganz behutsam und hielt mich bereit, im Fahren herauszuspringen. Der Wagen wurde in einer engen Gasse aufgehalten, und diese Zeit nahm ich wahr, stieg aus, machte den Schlag wieder zu und ließ meinen Herrn samt dem Kutscher fahren, wohin sie wollten.
Dies war gewiß ein unverhoffter Zufall, an den ich nicht gedacht hatte. Doch war mir die Lust noch nicht so ganz vergangen, daß ich nicht hätte wissen sollen, wie ich mich dabei benehmen müsse, wenn es einem blöden Stutzer gefiele, eine alte Frau für eine junge zu halten. Ich sah in der Tat wohl zehn oder zwölf Jahre jünger aus als ich war. Doch konnte man mich immerhin von einem siebzehnjährigen Mädchen wohl unterscheiden. Nichts in der Welt ist so abgeschmackt, so widerlich und so lächerlich als ein Mann, den der Wein erhitzt hat, und der neben einer unbezähmbaren Begierde auch noch einen schlechten Geschmack hat. Er ist zugleich von zwei Teufeln besessen und kann sich mit der Vernunft so wenig raten, wie eine Mühle ohne Wasser mahlen kann. Seine Sinne sind von übermäßiger Begierde verblendet, und er begeht Torheiten, die er selber sieht. Je besoffener er schon ist, desto mehr will er trinken, dann hängt er sich an ein gemeines Straßenfrauenzimmer, ohne zu untersuchen, ob sie gesund oder ansteckend, rein oder unrein, ob sie schön oder häßlich, alt oder jung ist. Ein solcher Mann ist schlimmer als ein Mondsüchtiger, er weiß nicht, was er tut, wie mein armer Tropf auch von nichts wußte, als ich ihm die Taschen leerte und samt der Uhr auch die Geldbörse einsteckte.
Von diesen Leuten sagt Salomo: Sie werden wie Ochsen zur Schlachtbank geführt, bis ihnen ein Pfeil die Leber spaltet, in welchen Worten, beiläufig erwähnt, eine vortreffliche Beschreibung der furchtbaren Krankheit enthalten ist, die nichts anderes ist als eine giftige tödliche Seuche, die sich mit dem Blut vermischt, dessen Mittelpunkt die Leber ist. Durch den schnellen Umlauf des Blutes geht sofort der ganze ekelhafte greuliche Stoff durch die Leber, steckt das Blut an und ersticht die Lebensgeister wie mit einem Pfeil.
Solche Gefahr lief mein unbesonnener Galan nicht bei mir, vielmehr hatte ich mich anfangs davor gefürchtet, was ich vielleicht von ihm auflesen konnte. Es schien ein guter Mensch zu sein, ein Kavalier, der nichts Arges an sich hatte, ein verständiger Mann, der sich gut zu benehmen verstand, ansehnlich von Gestalt, von sittsamer und gesetzter Person, schön von Gesicht und auch sonst in allen Stücken angenehm. Sein Unglück war, daß er den Abend vorher einen starken Rausch gehabt und nicht ins Bett gekommen war, wie er mir erzählte, nun war er hitzig und sein Blut wurde aufs neue vom Wein entzündet, so daß die Vernunft bei ihm eingeschlafen, ja gleichsam abgetötet war.
Was mich betraf, so trachtete ich nur nach seinem Gelde und nach dem, was ich sonst von ihm bekommen konnte. Zunächst hätte ich ihn gern, wäre es möglich gewesen, unberührt nach Hause schicken mögen, weil er zweifellos Frau und Kinder hatte, die seinetwegen in tausend Sorgen waren und ihn gern bei sich gehabt hätten, seiner zu warten und ihn zu pflegen, bis er wieder zu sich selbst gekommen wäre. Mit welcher Scham und Reue würde er sich nun betrachten: Daß er sich mit einer gemeinen Hure abgegeben, die er in dem ärgsten Kellerloche unter allem Gesindel der Stadt ausgesucht hatte! Wie würde er zittern, aus Furcht, daß ihm ein Pfeil die Leber gespalten, und wie würde er sich selbst hassen, so oft er an die Unsinnigkeit seiner viehischen Lust zurück dächte! Wie würde ihm davor grauen, daß er auf seine ehrliche, tugendhafte Frau etwas Schlimmes übertragen und dadurch seine ganze Nachkommenschaft anstecken könnte.
Wenn solche Herren nur bedenken wollten, wie verächtlich sie von der Person selbst angesehen werden, mit der sie ihre Lust gebüßt haben, so würde sie ihnen nie wieder ankommen. Denn solche Weiber schätzen die Lust gering, sie haben nicht die Neigung zum Manne, sondern die Gier nach Geld, im übrigen verhalten sie sich ganz träge. Wenn ihn nun seine schändliche Lust gleichsam trunken gemacht hat, so wühlen sie mit ihren Händen in seinen Taschen und nehmen heraus, was sie finden, und das merkt er ebensowenig in diesem Augenblick, als er voraussehen kann, wohin ihn die Begierde treibt.
Ich habe eine Frau gekannt, die darauf so abgerichtet war, daß sie einem Manne, der es nicht besser verdiente, diesen Possen spielte und ihm, während er sich mit ihr abgab, nicht nur eine Börse mit 20 Guineen aus der Brusttasche stibitzte, wohin er das Geld aus Furcht vor ihr gesteckt hatte, sondern noch dazu eine andere Börse anstatt der seinigen mit vergoldeten Spielmarken hineinsteckte. Als er seine Lust befriedigt, fragte er sie, ob sie ihm nun nicht die Taschen ausgeräumt hätte.
Sie nahm es scherzend auf und sagte, er hätte nicht viel darin gehabt.
Er legte die Hand an die Brusttasche und fühlte mit den Fingern, daß die Börse da war, was ihn gänzlich zufrieden stellte. Das Weib ging indes mit dem Gelde davon und machte ein rechtes Gewerbe daraus, denn sie war allzeit mit einer falschen vergoldeten Uhr und mit einer Börse voll Spielmarken versehen, die sie bei solchen Gelegenheiten glücklich anzubringen wußte.
Mit meiner letzten Beute kam ich endlich nach Hause, und als meine Hofmeisterin die Geschichte hörte, mußte sie so sehr lachen, daß ihr die Tränen in die Augen kamen beim Gedanken daran, daß ein solcher Herr in sein Verderben gerannt war, der nur ein Glas Wein zuviel getrunken hatte.
Allein sonst war sie mit dem Handel wohl zufrieden, weil wir recht viel dabei gewonnen hatten. Und wer weiß, sagte sie, ob ihn dieser Zufall nicht weiser machen wird als alle Predigten, die er seiner Lebetage gehört hat. Es verhielt sich auch so, wie die Folge zeigen wird.