Daniel Defoe
Oberst Hannes
Daniel Defoe

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Da meine Lebensbeschreibung fast so buntscheckig und würflicht aussieht wie eine eingelegte Tischlerarbeit, und ich nunmehr imstande bin, von einem weit sicherern Ausblick auf mein Leben zurückzusehen als den Gesellen der ehrbaren Zunft, zu welcher ich ehemals gehörte, ihr Schicksal insgemein erlaubt, so hoffe ich: meine Geschichte wird von der großen Welt ebenso gut aufgenommen werden wie manche andere auch, die ich sie alle Tage mit Vergnügen lesen sehe, obschon sie nicht so lustig und erbaulich und nicht so voller Abwechselung sind, als man hoffentlich die meinige befinden wird.

Meine Herkunft ist vielleicht so vornehm wie die eines andern, denn meine Mutter hat, wie ich glaubwürdig berichtet bin, keinen schlechten Umgang gepflogen. Allein dieser Punkt gehört mehr in ihre als in meine Geschichte. Alles was ich davon weiß, habe ich nur vom Hörensagen. Meine Pflegemutter erzählte mir, meine Frau Mutter sei eine Edelfrau und mein Herr Vater eine Standesperson gewesen, weil sie – nämlich meine Pflegerin – ein gut Stück Geld bekommen habe, damit sie mich annähme und meinen Herrn Vater und meine Frau Mutter von den Ungelegenheiten befreite, welche gemeinhin das Unglück begleiten, wenn ein Kind geboren wird, von dem nichts gehört oder gesehen werden soll.

Wie es scheint, hat mein Herr Vater meiner Pflegemutter noch etwas darüber gegeben, als meine Frau Mutter in ihrem Vergleiche ausgemacht hatte, und zwar nach einem feierlichen Versprechen, daß sie mich wohl halten und in die Schule schicken wolle. Wobei er ihr auch noch dieses eingeschärft: wenn ich größer und ein wenig zu Verstande gelangt sein würde, so daß ich wüßte, was es zu bedeuten hätte, so sollte sie jederzeit Sorge tragen, mich mit Nachdruck zu erinnern, daß ich ein junger Edelmann wäre. Und dieses, habe er gesagt, wäre das hauptsächlichste, worauf sie bei meiner Auferziehung achten sollte. Denn er zweifle nicht, habe er hinzugefügt, daß mir diese bloße Weisung schon Gedanken einflößen würde, die meiner Geburt gemäß wären, sodaß ich mich gewißlich als ein Edelmann aufführen würde, wenn ich nur glaubte, daß ich einer wäre.

Allein meine Unsterne waren nicht so bald auf einen guten Endzweck gerichtet, wie solches auch nur selten mit Unglücklichen geschieht. So wie die Großen in der Welt gleichsam stufenweise zum Gipfel ihrer Herrlichkeit steigen, in welcher sie prangen, also sinken auch die Elenden gleichsam durch eine beständige Reihe von Unglück zu der Tiefe ihres Elends hinab und schweben sozusagen lange zwischen Tür und Angel oder auf der Folter und in der Klemme ihrer jämmerlichen Umstände, ehe das Glücksrad sich umkehrt und ihnen, wenn es überhaupt geschieht, die Aussicht einer Erlösung zeigt.

Meine Pflegemutter kam dem, was sie versprochen, so redlich nach, als man von einer ihrem löblichen Gewerbe zugetanen Person nur erwarten konnte. Wenigstens erwies sie sich als so ehrlich, wie es ihre Umstände erlaubten. Denn sie zog mich mit ihrem eigenen und noch einem andern unter ebensolchen Bedingungen angenommenen Sohne sehr sorgfältig auf.

Mein Name sei Johannes, hat sie mir berichtet. Allein weder sie noch ich wußten etwas von einem Zunamen, der mir gehörte. Also war es mir freigestellt, mich zu nennen wie ich wollte, je nachdem mir das Glück und bessere Umstände die Gelegenheit dazu an die Hand geben würden.

Nun trug es sich zu, daß ihr eigener Sohn – denn sie hatte selbst einen kleinen Jungen, der ungefähr ein Jahr älter als ich sein machte – auch Johannes hieß. Und ungefähr zwei Jahre danach nahm sie noch einen andern fremden Sohn an, um solchen ebenfalls aufzuziehen, dessen Name ebenso Johannes war.

Gleichwie wir nun alle Johannes hießen, also hießen wir auch alle Hannes und wurden auch so gerufen. Denn in demjenigen Teile der Stadt, wo wir aufgezogen wurden, werden die Johannes gemeinhin Hannes gerufen. Allein meine Pflegemutter, welche die Freiheit zu haben vermeinte, ihren eigenen Sohn vor den übrigen zu unterscheiden, wollte haben, man sollte ihn, weil er der älteste wäre, den Hauptmann nennen.

Ich wurde darüber sehr aufgebracht, daß dieser Junge sollte Hauptmann gerufen werden, fing an zu weinen und vermeldete meiner Pflegemutter, daß ich Hauptmann genannt sein müßte, denn sie hätte mir doch gesagt, daß ich ein Edelmann wäre, daher wollte ich auch Hauptmann sein. Darauf hieß sie mich Oberst, was um ein groß Teil besser wäre als Hauptmann. Denn, mein lieber Kind, sprach sie, jedweder Schiffsknecht, wenn er blos ein Leutnant von einem kleinen Schiff wird, das Gaffelsegel führt, wird schon Hauptmann genannt, aber Obersten, das sind Kriegshelden, wozu niemand gemacht wird, es sei denn, er könnte seinen Adelsstand dartun. Überdies habe ich Obersten gekannt, setzte sie hinzu, die Lords und Generale geworden sind, ungeachtet sie von Geburt nur Bankerte waren, und deshalb sollst du auch Oberst genannt werden.

Hiermit wurde ich nun für diesesmal beruhigt, aber nicht gänzlich zufriedengestellt, bis ich sie eine kleine Weile hernach zu ihrem eigenen Jungen sagen hörte, daß ich ein Edelmann wäre, und er mich daher Oberst nennen müsse. Darüber fing er an zu heulen, und nun wollte er Oberst genannt werden. Dieses vergnügte mich im Grunde meines Herzens, daß der Junge deswegen schrie, denn dadurch ward ich für gewiß überzeugt, daß Oberst mehr als ein Hauptmann sein müßte.

So allgemein hat der Ehrgeiz in den menschlichen Gemütern Sitz genommen, daß auch kein Betteljunge zu finden ist, der nicht seinen Teil davon hätte.

Also gab es nun einen Obersten Hannes und einen Hauptmann Hannes. Was den dritten Jungen anbelangte, so wurde er etliche Jahre lang nur schlechtweg Hannes gerufen, bis er durch das Verdienst seiner Geburt, wie man an seinem Orte hören wird, ebenfalls einen Vorrang erlangte.

Wir waren alle drei hoffnungsvolle Burschen und verhießen sehr frühzeitig durch viele Umstände unseres Lebens, daß wir alle miteinander einstmals Erzgalgenvögel werden würden. Indes kann ich nicht anders sagen, wenn das, was ich von meiner Pflegerin Gemütsart erzählen kann, wahr ist: daß die ehrliche Frau alles getan hat, was ihr möglich gewesen, dieses zu verhüten.

Ehe ich mit der Erzählung unserer Geschichte weiter fortfahre, wird es nicht undienlich sein, von unserer unterschiedlichen Gemütsart, soweit ich mich in meinem Gedächtnis entsinnen kann, eine kurze jedoch unparteiliche Nachricht zu geben.

Der Hauptmann Hannes war der älteste unter uns allen, und zwar um ein ganzes Jahr älter als wir. Er war ein quatschlicher, starker, ausgewachsener Junge und verhieß ein stämmiger Kerl zu werden, schwerlich aber konnte man ihn lang aufgeschossen und schlank von Leibe nennen. Von Natur war er schlau, verdrießlich, heimtückisch, boshaft und rachgierig. Dabei hatte er etwas Gewalttätiges, Grausames und Blutgieriges an sich. Seinen Sitten nach war er ein rechter Bauer, der hinter dem Mistkarren auferzogen worden, war leichtfertig wie ein Gassenrange sein muß, aber ein recht dummer und ungelehriger Klotz von Kindheit an. Er hatte gar vieles von der Art eines Bullenbeißers an sich. Er war verzweifelt kühn, aber gar nicht großmütig. Alle Schulmeister, zu denen wir gingen, konnten ihm nichts, ja nicht einmal die ersten Buchstaben des ABC beibringen. Und gleichwie er zu einem Spitzbuben geboren war, also pflegte er alles zu stehlen, was ihm zu nahe kam, auch schon von der Zeit an, da er kaum reden konnte, und nicht nur von seiner Mutter, sondern von jedermann, sogar von uns, die wir seine guten Brüder und Spielkameraden waren. Er war von Natur ein Spitzbube und ein Dieb von Mutterleibe an. Denn er pflegte die leichtfertigsten, gottlosesten Schelmenstreiche aus eigenem Triebe und aus Neigung vorzunehmen. Er hatte gar kein Gefühl für das, was Ehre heißt, ich meine auch in Ansehung seiner andern Kumpane oder Spitzbubengesellen, oder woraus andere Diebe eine Ehrensache machen, nämlich sich ehrlich gegeneinander zu erweisen.

Der andere, nämlich der jüngste unter uns drei Hannes, wurde der Major Hannes genannt, und zwar mit folgendem Grunde: Die ehrliche Frau, welche unserer Pflegemutter dieses Liebespfand anvertraute, hatte ihr gestanden, daß ein Major von der Garde Vater von diesem Kinde wäre, sie wäre aber verbunden seinen Namen zu verschweigen, und das sei genug. Also wurde er erst Johannes der Major, hernach Major, und endlich, als wir anfingen miteinander herumzuschweifen, nach dem Beispiele der übrigen Major Hannes genannt. Denn sein Name war ebenfalls, wie ich bereits vermerkte, Johannes.

Der Major Hannes war ein lustiger, aufgelegter, artiger Junge, hatte einen guten natürlichen Verstand und wußte gleich, wie man sagt, einen Schwank aus dem Stegreif zu erfinden. Er hatte auch etwas von einem Edelmann an sich: er besaß von Natur eine wahre männliche Herzhaftigkeit, fürchtete sich vor nichts und konnte ohne Zittern dem Tod in die Augen sehen. Und auch, wenn er den Vorteil hatte, erwies er sich als der großmütigste und mitleidigste Mensch von der Welt. Die Höflichkeit schien ihm gleichfalls angeboren zu sein, ohne von dem brutalen und schrecklichen Wesen, wie es der Hauptmann an sich hatte, versteckt zu werden. Es fehlte ihm mit einem Wort nichts mehr als die Ehrlichkeit, um ihn zu einem vortrefflichen Menschen zu machen. Er hatte Lesen gelernt ebenso wie ich, und gleichwie er sehr wohl zu reden wußte, also schrieb er auch überaus vernünftig und in einer sehr reinen Sprache, wie man aus dem Verfolg seiner Geschichte ersehen wird.

Was nun, lieber Leser, deinen gehorsamen Diener, den Obersten Hannes, betrifft, so war er ein armer, gutwilliger, unglücklicher Narr, der Anlage und Gelegenheit genug hatte alles zu lernen, wenn er nur jemand besseren als den Teufel aus der Hölle zum Schulmeister gehabt hätte. Er begab sich so frühzeitig hinaus in die Welt, daß, als er anfing Übles zu tun, er weder die Gottlosigkeit desselben noch auch, was er danach zu erwarten hatte, recht verstand. Ich entsinne mich noch sehr wohl, daß einmal, als ich wegen eines Diebstahls, dessen ich nicht schuldig war, vor den Richter geführt wurde, und mich durch Beweistum verteidigte und die Irrtümer meiner Ankläger aufzeigte, wie sie einander widersprächen, der Richter zu mir sagte, es wäre schade um mich, daß ich zu nichts Besserem gebraucht worden wäre, da ich gewiß eines Besseren belehrt worden sein müsse. Worin sich indes der gute Herr Richter irrte, denn es war mir niemals etwas anderes gelehrt worden als ein Dieb zu werden, ausgenommen Lesen und Schreiben, und das war bis zu meinem zehnten Jahre alles. Allein ich hatte die Gabe der natürlichen Rede und wußte so viel mit gutem Geschick zu einer Sache vorzubringen als mancher andere nicht, der eine geraume Zeit länger studiert hat als ich.

Ich galt unter meinen Kameraden als ein kühner, unerschrockener Junge, der sich mit dem Teufel und seiner Großmutter herumgeschlagen hätte. Allein ich hegte eine ganz andere Meinung von mir selbst und vermied daher das Prügeln soviel als ich konnte, wagte es aber doch etliche Male und kam sehr gut davon, weil ich ziemlich stark und zugleich hurtig von Beschaffenheit war. Wo ich aber meine Hände nicht für zureichend hielt, schlug ich mich zuweilen mit der Zunge durch, und zwar sowohl als erwachsener Mann wie schon damals, als ich noch ein Knabe war. Ich bewies mich behutsam und geschickt in meinem Handwerk und wurde nicht so oft erwischt wie meine Spießgesellen. Denn solange ich diesem sauberen Handwerk nachging, bin ich doch – dem Himmel sei Dank – nicht gehängt und, wie man hernach hören wird, nicht ein einziges Mal ins Gefängnis gekommen.

Was meine Person betrifft, so ist freilich nichts anderes zu vermuten als daß ich, solange ich noch ein schmutziger Glashüttenjunge war, der des Nachts in der Asche schlief und den ganzen Tag in der Gasse im Dreck manschte, demjenigen glich, der ich in der Tat gewesen, nämlich ein barfüßiger, lausiger, nackichter Betteljunge, verächtlich und elend im höchsten Grade. Und dennoch erinnere ich mich, daß die Leute von mir zu sagen pflegten: dieser Junge hat ein feines Gesicht, und wenn er nur gewaschen und sauber gekleidet wäre, würde er ein artiger Knabe sein, seht nur, was für schöne Augen er hat und was für ein hübsches lächelndes Gesicht! Es ist schade um ihn – ich wundere mich, wer des Schelmen Vater und Mutter gewesen sein mögen! Alsdann pflegten sie mich zu sich zu rufen und mich zu fragen, wie mein Name wäre. Ich sagte ihnen dann: mein Name wäre Hannes.

Aber wie heißt dein Zuname, du Schelm? sprachen sie.

Das weiß ich nicht.

Wie, hast du denn keinen gehabt? fragten sie wieder.

Nein, sprach ich, ich weiß von keinem.

Da schüttelten sie denn ihre Köpfe und pflegten zu sagen: du armer Junge! es ist schade! und dergleichen – und ließen mich wieder laufen. Allein ich schrieb mir alle diese Reden hinter die Ohren.

Ich war ungefähr zehn Jahre alt, der Hauptmann elf und der Major etwa acht, als die gute Frau, unsere Pflegemutter, ihren Abschied von der Welt nahm. Ihr Mann war ein Schiffer gewesen und nicht gar lange vorher mit einem von des Königs Schiffen untergegangen, welches zur Zeit des Königs Carl des Zweiten mit dem Herzog von Yorck nach Schottland gesegelt und verschlagen worden: und weil die arme Frau sehr arm starb, so wurde sie auf des Kirchspiels Unkosten begraben. Wir drei Jungen gingen hinter der Leiche: ich, denn wir wurden alle wie ihre eigenen Kinder gehalten, trug das Leid oder vertrat die Stelle des hinterlassenen betrübten Witwers, während der Hauptmann als der älteste Sohn ganz traurig hinterdrein ging.

Da nun die gute Frau gestorben war, stand uns drei Hänsen die ganze Welt offen. Das Kirchspiel hätte uns zwar versorgen müssen, allein danach sehnten wir uns gar nicht. Wir streiften alle drei überall herum, und weil uns die Leute im Rosmariengäßchen, in Ratcliff und da herum sehr gut kannten, so bekamen wir leicht satt zu essen und zwar ohne erst lange darum zu bitten.

Ich für meinen Teil erwarb mir bald den Ruf eines anständigen ehrlichen Jungen. Denn wenn ich nach etwas geschickt wurde, so verrichtete ich es allemal auf das genaueste und sorgfältigste und kam in einem Augenblick wieder. Und wenn mir etwas anvertraut wurde, so rührte ich es nicht an, sondern machte mir eine besondere Ehre daraus, allem, was mir geheißen wurde, aufs genaueste nachzukommen, während ich doch in allen andern Fällen ein so arger Erzdieb war als nur irgendeiner von der übrigen Kameradschaft. So pflegten mich einige von den armen Kramern öfters vor ihrer Tür auf ihren Laden achtgeben zu lassen, wenn sie bei Tische waren oder über die Gasse in ein Bierhaus gingen, was ich jederzeit überaus freudig und willig tat und mich recht ehrlich dabei aufführte.

Der Hauptmann Hannes dagegen, ein trotziger, tückischer, roher Junge, dem nichts Gutes aus den Augen blickte, brachte kein Wort hervor, was Geschick oder Sinn hatte. Er konnte nicht mehr sagen als Ja und Nein, wenn er gefragt wurde, das war alles. Er führte sich so auf, daß ihm kein Mensch zugetan war. Wenn er fortgeschickt wurde, so vergaß er die Hälfte von dem, was ihm aufgetragen war, oder ging dem Spiel nach, wenn er ein paar Jungen traf, aber ging nicht dahin, wohin er sollte, oder er kam überhaupt nicht wieder zurück. Er hatte ein so unachtsames und liederliches Betragen, daß ihm kein Mensch gut gesinnt war, sondern über ihn jedermann sagte: der Spitzbube sähe ihm aus den Augen, und er würde noch einmal gehängt werden.

Mit einem Wort: er bekam von keinem Menschen gutwillig etwas, sondern sah sich gleichsam gezwungen ein Dieb zu werden, damit er nur einen Bissen Brot zu essen bekäme. Denn wenn er bettelte, so tat er es mit einer so unangenehmen Stimme und auf so trotzige Art, daß er die Leute mehr anzuherrschen als sie um etwas anzusprechen schien, so daß einer, der ihm etwas gegeben hatte und ihn kannte, eines Tages zu ihm sagte: Hauptmann Hannes, du bist schon jetzt, wo du erst ein Junge bist, ein garstiger häßlicher Bettler, ich besorge, wenn du nur etwas älter geworden bist, wirst du geschickter sein, jemanden um seinen Beutel anzusprechen als um ein Almosen!

Der Major war ein lustiger aufgeräumter Geselle, immer fröhlich, niemals traurig, er mochte etwas zu essen haben oder nicht. Er beklagte sich niemals und machte sich so sehr durch seine gute Aufführung beliebt, daß ihm die Nachbarn recht gewogen waren und er auf die eine oder andere Weise zu essen und zu trinken genug bekam.

Also waren wir alle drei bemüht, wie wir uns des Hungers erwehren möchten. Was unser Quartier betraf, so lagen wir zur Sommerszeit um die Wachthäuser und äußersten Teile der Schiffe, oder um die Türen der Kramläden, wo wir bekannt waren, herum. Was ein Bett war, wußten wir nach unserer Pflegemutter Tode viele Jahre nicht: im Winter krochen wir in die Aschenlöcher und warmen Mauern einer Glashütte im Rosmariengäßchen oder im Ratcliff-Highway.

Auf diese Art lebten wir etliche Jahre, und da konnte es denn nicht fehlen, daß wir unter die gleiche Rotte lumpiger, nackichter Galgenschwengel geraten mußten, als wir selbst waren: nämlich so saubere Bürschchen, wie sie sich der Teufel in der Hölle in einem so frühen Alter nur wünschen konnte, reif zu aller Art Unfug.

Ich erinnere mich, daß wir einmal in einer kalten Winternacht aus unserer Ruhe von der Scharwache aufgescheucht wurden, welche mit ihrem Geschrei einen, den sie Krummhals hießen, suchte, der eine Spitzbüberei verübt hatte und den die Wache unter den Betteljungen in dem warmen Gemäuer der Glashütte anzutreffen hoffte. Wir wurden unter Lärm mit der Aufforderung geweckt: Kommt heraus ihr Teufelsbrut! Kommt heraus und laßt sehen, wer ihr seid! – Dann wurden wir alle hervorgeholt. Einige kamen von selbst heraus, rieben sich die Augen und kratzten sich an den Köpfen, andere wurden mit Gewalt hervorgezogen. Wenn ich mich recht erinnere, waren wir unser zusammen siebzehn. Aber der Krummhals, den sie suchten, war nicht darunter. Wie ich später erfuhr, war dieser ein dicker stämmiger Junge, der die Nacht vorher bei einer Dieberei dabei gewesen war und den sein Kamerad, der ergriffen worden, in der Hoffnung, der Strafe zu entgehen, genannt hatte und auch angezeigt, wo er für gewöhnlich seine Herberge aufzuschlagen pflege. Allein dieser hatte den Braten gerochen und sich, wenigstens für eine Zeitlang aus dem Staube gemacht.

Also erhielten wir Erlaubnis, wieder in unser warmes Lager unter die Steinkohlenasche zurückzukriechen, wo ich manche kalte Winternacht, ja ich kann wohl sagen, manchen Winter so sanft und vergnügt geschlafen habe, wie seit der Zeit nicht wieder in den allerbesten Quartieren.

Auf diese Art lebten wir eine gute Weile fast zwei Jahre dahin und taten niemandem viel zuleide, was auch kaum in unserer Absicht lag. Wir gingen gemeinsam alle drei miteinander. Denn der Hauptmann war ein so ungeschickter Tölpel und hatte etwas so Unbequemes an sich, daß er wohl Hungers hätte sterben müssen, wenn wir ihn nicht bei uns behalten hätten. Wir waren auch fast überall beisammen und daher allgemein unter dem Namen die drei Hannes bekannt. Aber der Oberst Hannes hatte in vielen Stücken jederzeit den Vorzug. Der Major war lustig und kurzweilig, aber der Oberst ließ sich jederzeit mit den freundlichen Leuten, die sich auch mit Betteljungen abgaben, in ein Gespräch ein. In solchen Gesprächen forschte ich bald nach diesem bald nach jenem, und fragte wohl nach dem, was öffentlich und im geheimen vor sich ging. Insbesondere redete ich gern mit Schiffsleuten und Soldaten vom Kriege, von berühmten Schlachten auf der See oder auf dem festen Lande, an denen der eine oder der andere von ihnen teilgenommen hatte. Von dem, was sie mir erzählten, vergaß ich niemals wieder etwas, so daß ich nach etlichen Jahren eine fast ebenso gute Nachricht von den Kriegen in Holland, von den bekanntesten Schlachten in Flandern und dergleichen geben konnte als nur irgendeiner, der dabeigewesen war. Und dies machte, daß diese alten Kriegsgurgeln und Pechfackeln auch überaus gern mit mir redeten und mir alle Geschichten erzählten, deren sie sich nur erinnern konnten, und zwar nicht nur von den damaligen Kriegen, sondern auch von denen zu Cromwells Zeiten, vom Tode Carls des Ersten und dergleichen. Hierdurch wurde ich, so jung ich auch war, ein rechter Geschichtskundiger. Und obgleich ich keine Bücher gelesen und auch niemals welche zu lesen bekommen hatte, so konnte ich doch eine hinlängliche Nachricht geben von dem, was geschehen war und was damals in der Welt vorging, besonders von denjenigen Dingen, von denen unser eigenes Volk betroffen wurde. Ich wußte die Namen eines jeden Schiffes der Flotte, desgleichen wer es befehligte, und alles dieses, als ich vierzehn Jahre oder nicht viel älter war.

Der Hauptmann Hannes geriet mittlerweile in eine böse Gesellschaft und lief von uns fort. Es verging auch eine gute Weile, ehe wir etwas von ihn. hörten, bis ich ungefähr nach einem halben Jahre soviel erfuhr, daß er unter eine Rotte von Kinderdieben oder Menschenräubern geraten war, die im Finstern den Leuten die Kinder wegfingen, ihnen den Mund zuhielten und sie in solche Häuser trugen, wo sich andere Räuber in Bereitschaft hielten, um solche abzunehmen und sie auf Schiffen nach Virginia zu bringen und daselbst zu verkaufen. Dies war ein Handwerk, wozu sich der Hauptmann sehr wohl schickte, besonders was die Gewalttätigkeit betraf. Denn wenn er ein kleines Kind in seine Klauen bekam, so pflegte er ihm den Atem zuzuhalten und bekümmerte sich nicht viel darum, ob das Kind erstickte oder nicht, wenn er es nur am Schreien verhindern konnte. Von dieser Rotte war nun zu der Zeit ein Bubenstück verübt worden, ich weiß nicht mehr, ob sie ein Kind sogar ermordet oder ihm nur sonst übel mitgespielt hatten. Vermutlich aber war es eines vornehmen Bürgers Kind gewesen und die Eltern hatten zu rechter Zeit Wind davon bekommen, so daß sie zwar ihr Kind gerettet aber in einem sehr üblen Zustand und fast halbtot wiedererlangt hatten. Ich war damals noch jung, und es ist zu lange her, als daß ich mich der ganzen Geschichte noch so genau erinnern könnte. Sie wurden aber alle abgefaßt und nach Newgate gebracht, der Hauptmann Hannes unter den übrigen, obgleich er noch nicht viel über dreizehn Jahre alt war. Welche Strafe die Schelme dieser Rotte bekamen, kann ich nicht sagen. Der Hauptmann aber, weil er noch ein Junge war, erhielt einen guten derben Stockschilling, indem ihn der Stadtschreiber wissen ließ, daß es nur aus Mitleid gegen ihn geschehe, wenn man ihn diesmal vom Galgen bewahrte. Wobei er ihm vorhielt, zumal ihm nicht viel Gutes aus den Augen sähe, daß er sich vor dem dreigiebeligen Gerüste oder dem Galgen wohl in acht nehmen sollte. So merkwürdig war des Hauptmanns Gesicht schon, als er noch jung war, und später mußte er sich dies noch bei manchen Gelegenheiten unter die Nase reiben lassen. Als er ins Stockhaus gesetzt war, hörte ich von seinem Unglück und ging daher mit dem Major hin, um ihn zu besuchen.

An dem Tage, als wir hingingen, sollte er gerade gestäupt werden und zwar, wie das Urteil lautete, auf eine recht derbe und nachdrückliche Weise. Sie kamen auch dem Urteilsspruch genau nach. Denn der Aldermann, der damalige Aufseher über das Stockhaus, hielt ihm erstlich eine scharfe Predigt, hielt ihm seine Jugend vor und wie schade es sei, daß ein solcher Junge am Galgen baumeln sollte, wie er sich dieses sollte zur Warnung dienen lassen, was für eine verruchte, gottlose Verderbtheit es sei, ehrlichen Leuten ihre armen unschuldigen Kinder wegzustehlen und dergleichen. Währenddessen gab ihm der Mann mit dem blauen Abzeichen eine ganz unbarmherzige Tracht und durfte nicht eher damit aufhören, bis der Aldermann mit dem kleinen Hämmerchen auf die Tafel schlug. Der arme Hauptmann stampfte und tanzte und schrie, als ob er am Spieße steckte. Ich muß gestehen, ich war halbtot vor Schrecken. Denn obschon ich als kleiner Junge nicht nahe genug herankommen konnte, um sehen zu können, wie mit ihm umgesprungen wurde, so sah ich ihn doch zuletzt mit seinem blutigen Buckel, der über und über voller Striemen und Eiterbeulen war, ich hätte bei diesem Anblick in die Erde sinken mögen. Es wurde mir schwarz vor den Augen, allein an solche Dinge gewöhnte ich mich später. Ich tat mein möglichstes, um den armen Hauptmann zu trösten, als ich wieder die Erlaubnis bekam zu ihm zu gehen. Allein die Sache war noch nicht ganz überstanden. Das schlimmste stand noch aus. Denn er sollte noch zwei solcher Zahlungen bekommen, ehe sie ihn auf freien Fuß setzen wollten. Sie stäupten ihm auch den Buckel so nachdrücklich aus, daß ihm die Lust zum Kinderrauben eine geraume Weile verging. Er geriet aber dennoch wieder in diesen verfluchten Handel und blieb dabei so lange, bis ihm nach etlichen Jahren das Handwerk gelegt wurde.

Diese scharfe Lektion, die dem Hauptmann gelesen wurde, machte auf mich und den Major, obgleich wir noch sehr jung waren, einen tiefen Eindruck, so daß wir sozusagen mitgezüchtigt wurden, obschon wir nicht an der Tat beteiligt waren. Es war ungefähr ein Jahr vergangen, als der Major von ein paar jungen Spitzbuben, die auch in der Glashütte nächtigten, hinweggelockt wurde, mit ihnen einen Spaziergang zu machen. Diese jungen Burschen paßten vortrefflich zusammen. Der Major war ungefähr zwölf Jahre alt, und der älteste von den zweien, die ihn anführten, war nicht über vierzehn Jahre. Ihr Vorhaben war, auf den Bartholomäimarkt zu gehen. Der Endzweck dieses Besuches aber war mit einem Wort gesagt: Taschendieberei.

Der Major verstand nichts von diesem Handel und sollte deshalb auch damit nichts zu tun haben. Sie versprachen ihm aber trotzdem einen Anteil davon. Also machten sie sich auf den Weg. Die zwei geschickten jungen Spitzbuben drehten ihr Ding so, daß sie um acht Uhr abends wieder zu unserm staubigen Nachtquartier in der Glashütte zurückkehrten. Dort setzten sie sich in einen Winkel nieder und bei dem Licht des Feuers in der Glashütte teilten sie ihre Beute. Der Major brachte die gestohlenen Sachen hervor, denn sobald sie einen Fund gemacht hatten, so gaben sie ihm alles, damit, wenn sie ergriffen würden, nichts bei ihnen gefunden würde.

Es war ein verdammt glücklicher Tag für sie. Der Teufel hatte seinen Segen dazu gegeben, daß sie eine solche Beute machten und einen jungen Menschen ins Spiel ziehen konnten, der vorher durch des Hauptmanns üble Vergütung abgeschreckt worden war. Die Beute, die sie am ersten Abend in diesem ehrlichen Gewerbe heimbrachten, war ein weißes Schnupftuch von einer Bäuerin, als sie nach einem Hanswurst gegafft hatte, darinnen waren drei Schillinge und eine Reihe Nadeln in einem Zipfel eingebunden; dann ein farbiges Schnupftuch aus eines jungen Bauern Rucksack, als er sich eine frische Pomeranze kaufte; zum dritten eine Frauenzimmertasche mit elf Schillingen und einem silbernen Fingerhut darinnen. NB. Sie vermißte ihre Tasche alsbald, weil sie aber den Dieb nicht sah, so beschuldigte sie einen Kerl, der etwas aufklauben wollte, und fing an zu schreien: Spitzbube! Spitzbube! Also fiel er dem gemeinen Pöbel in die Hände, aber weil er in der Straße bekannt war, so kam er, wiewohl nicht ohne Schwierigkeit, so doch mit einem blauen Auge davon. Viertens ein Messer und eine Gabel, die ein paar Knaben eben gekauft hatten und damit nach Haus gehen wollten: der junge Spitzbube, der sie stahl, erhaschte sie in dem Augenblick, als der Knabe sie gerade in den Rucksack steckte; fünftens ein kleines silbernes Büchschen, worin sieben Schillinge waren, welche eine Magd aus ihrer Tasche herausgezogen hatte, als sie sich die Puppenspiele ansehen wollte: da hatte der kleine Spitzbube mit der Hand hineingelangt und hatte es weggehascht, eben als sie es wieder einstecken wollte; sechstens ein anderes seidenes Schnupftuch aus eines ansehnlichen Herrn Tasche; endlich ein gedrechseltes Püppchen und einen kleinen Spiegel, den sie auf dem Jahrmarkt einem weggenommen hatten, der Spielsachen für Kinder feil hielt.

Diese Beute, die an einem einzigen Nachmittage oder Abende nur von zwei ganz kleinen jungen Spitzbuben nach Hause gebracht wurde, war gewiß außerordentlich, daher bildete sich auch der Major am folgenden Tage nicht wenig darauf ein. Er kam sehr frühe zu mir, der ich nicht weit von ihm lag, und sprach zu mir: Oberst Hannes, ich habe mir dir zu reden.

Nun, sprach ich, was ist es denn?

Ja, antwortete er, es ist eine Sache von Wichtigkeit, ich kann hier nicht davon sprechen.

Also gingen wir hinaus. Sobald wir in ein enges Gäßchen in der Nähe der Glashütte gekommen waren, fing er an und sagte: Sieh her: und seine Hand war ganz voll Geld.

Ich war voller Verwunderung darüber. Er steckte es wieder ein, zog aber seine Hand bald wieder mit den Worten heraus: du sollst auch etwas davon haben, und gab mir ein Sechsgroschenstück und einen Schilling von dem kleinen Silbergeld. Dies war mir sehr willkommen, da ich mir wohl auf meine vornehme Geburt als Edelmann viel einbildete, aber niemals vorher in meinem ganzen Leben einen Schilling Geld als mein eigen besessen hatte. Ich drängte ihn sehr eifrig mir zu sagen, wie er zu diesem Reichtum gekommen wäre. Denn er hatte als Anteil sieben Schillinge sechs Groschen an Geld, den silbernen Fingerhut und ein seidenes Schnupftuch bekommen, was für ihn, der sowohl wie ich seiner Lebtag keinen Schilling besessen hatte, ein Vermögen war.

Was willst du nun damit machen, Hannes? fragte ich.

Was ich damit machen soll? Zuerst will ich auf den Markt gehen und mir ein Paar Schuhe und Strümpfe kaufen.

Daran tust du recht, sprach ich, so will ich es auch machen.

Also gingen wir miteinander und kauften uns jeder ein Paar Strümpfe für fünf Groschen. Nicht das Paar für fünf Groschen, sondern beide für fünf Groschen zusammen, und es waren gewiß sehr gute Strümpfe, wohl noch viel zu gut für uns zu der damaligen Zeit. Uns mit Schuhen zu versehen, war viel schwieriger. Nachdem wir uns aber eine gute Weile danach umgesehen hatten, ehe wir passende für uns finden konnten, kamen wir endlich zu einem Schusterladen, der welche für uns hatte, und kauften hier zwei Paar für sechzehn Groschen. Wir zogen sie mit großer Freude alsbald an. Keiner von uns hatte je einen Strumpf an den Füßen gehabt. Ich fand mich recht davon erfrischt, daß ich ein Paar warme Strümpfe und ein Paar trockne Schuhe an den Füßen hatte. Dies waren wie gesagt Dinge, die ich seit langem nicht mehr gekannt hatte, und so fing ich auch wieder an, mich meines Adelstandes zu erinnern, der meine Gedanken viel beschäftigte.

Nachdem wir uns also herausstaffiert hatten, fing der Major wieder an und sprach: Höre doch, Oberst Hannes, du und ich haben unser Lebtage kein Geld in Händen gehabt und haben auch noch niemals eine gute Mahlzeit gegessen, wie wäre es, wenn wir irgendwo etwas essen gingen, ich bin sehr hungrig? Also gingen wir zu einem Koch im Rosmariengäßchen, wo wir uns stattlich auffahren ließen. Wir bekamen gekochtes Rindfleisch, Pudding, Semmeln und ein ganzes Maß starkes Bier, was alles in allem sieben Groschen kostete. Ich trage auch nach, daß wir beide eine überaus gute Rindfleischbrühe bekamen. Und was mich im Grunde meines Herzens am meisten freute, war, daß die Magd und der Junge, so oft sie an dem Tische, an dem wir saßen, vorbeigingen, uns fragten: Haben die Herren gerufen, belieben die Herren etwas? Dies tat mir ebenso wohl wie meine Mittagmahlzeit. Der Lord Mayor zu London, ja der größte Herr auf Erden könnte in seiner Einbildung nicht glücklicher sein, als ich es in meiner neuen Glückseligkeit war. Mit einem Wort: niemand, der früher im Elend gelebt hat, kann sich für glücklicher halten, als ich es damals tat. Und dabei hatte ich doch nicht mehr als achtzehn Groschen von der Beute bekommen!

In dieser Nacht freuten wir uns über unser Glück und schliefen zufrieden an unserm gewöhnlichen Orte, wo wir oben von der Wärme des Feuers der Glashütte bestrahlt wurden, aber uns dafür unten in der staubigen Asche herumwälzen mußten.

Diejenigen, welche die Anlage der Glashütten und die gewölbten Bögen kennen, wo die gläsernen Flaschen, wenn sie geblasen sind, allmählich hart werden, wissen gar wohl, daß die Stellen, wo die Asche hingeschüttet wird, und wo wir armen Jungen lagen, Höhlen in dem Mauerwerk sind, die so warm zu sein pflegen wie eine Badestube, so daß man unmöglich darin frieren kann, auch wenn die Glashütten in Grönland oder Novaja Semlja lägen. Demnach waren wir Jungen nicht nur sicher, sondern hatten es auch bequem, ausgenommen was die Asche anbelangt, die wir eben mit in den Kauf nehmen mußten.

Am andern Tage gingen der Major und seine Kameraden wieder aus und hatten abermals Glück und wurden von keinem Ungemach betroffen. Der Major Hannes wurde in sehr kurzer Zeit durch öftere Nachahmungen und Anweisungen ein sehr geschickter Taschenspitzbube. Er hatte auch manche Fehlschläge durchzumachen, auf die ich mich hier aber nicht weiter einlassen sondern wieder auf meine eigene Geschichte zurückkommen will, die doch die Hauptsache ist, die ich hier zu erzählen habe. Der Major verfehlte nicht, mich die Wirkungen seiner neuen Glückseligkeit alle Tage sehen zu lassen, und war so gütig, mir öfters ein paar Groschen und bisweilen sogar einen Schilling hinzuwerfen. Ich merkte, daß er anfing, Kleider auf seinen nackten Leib zu ziehen und das Aschenhaus zu verlassen, da er sich eine Stube gemietet hatte, doch darüber will ich noch bei einer andern Gelegenheit sprechen. Ja was noch mehr war, er fing an ein Hemd zu tragen, was weder er noch ich vor drei Jahren gewagt hätten.

Ich merkte aber all diese Zeit über, obgleich der Major so glücklich war, und seine Lebenslage sich so verbessert hatte, sich auch immer gegen mich freigebig und gütig erwies, daß er mich doch niemals aufforderte, mich in seine Gesellschaft zu begeben oder mit ihm auszugehen, wodurch ich hätte ebenso glücklich werden können wie er. Er empfahl mir nicht einmal das Gewerbe, das er trieb. Es gefiel mir nicht, daß er so mißtrauisch gegen mich war und so hinter dem Berge hielt. Soviel hatte ich aber doch von ihm erfahren, daß man dieses Geschäft das Beutelschneiden nannte, und ich dachte mir, daß es bei diesem ehrlichen Handwerk hauptsächlich auf eine gute Geschicklichkeit und eine geschwinde Hand ankäme und solches nicht allzu schwer zu erlernen wäre. Insbesondere dachte ich mir, es gäbe so viele Gelegenheiten, und das Bauernvolk, das nach London käme, sei so einfältig, so närrisch und so neugierig, gaffte überall herum und hielte Maulaffen feil, so daß es ein Handel wäre, der mit keiner gar zu großen Gefahr verknüpft und leichtlich zu erlernen wäre, wenn ich überhaupt nur ein wenig zu diesem Handwerk Geschick hätte. Der Teufel, der bei allen Gelegenheiten bereit ist seine List spielen zu lassen, räumte auch diese Schwierigkeiten aus dem Wege und vermittelte mir die vertrauliche Bekanntschaft des geschicktesten Beutelschneiders der ganzen Stadt. Und unsere Vertraulichkeit lief dahinaus, daß er, weil ich Neigung und Geschicklichkeit bezeigte, Sorge tragen wollte, daß ich in meinen Hoffnungen nicht getäuscht würde. Er übertraf die kleinen Beutelschneider, die herumliefen und Kleinigkeiten und Spielsachen auf dem Bartholomäimarkt stahlen, bei weitem. Er hatte wichtigere Dinge im Auge. Seine Absichten gingen auf nichts Geringeres als auf ansehnliche Geldsummen und Wechselbriefe hinaus. Er redete mir ernstlich zu, ich sollte mit ihm auf Kundschaft ausgehen, und wenn er mich geschickt genug dazu gemacht hätte, sollte ich für mich allein gehen und die Kunst selber betreiben, wozu er mir schon im voraus viel Glück wünschte. Gleichwie der Major Hannes mit seinem Lehrmeister ausging, nur um zuzusehen und das Erbeutete an sich zu nehmen und doch seinen Teil davon zu fordern, so wollte er mir, wenn er glücklich wäre, einen Teil davon geben, als wenn ich gleich dem Meister das Hauptwerk selbst verrichtet hätte. Und dies wäre, versicherte er mir, Brauch bei diesem Handwerk, um junge Anfänger anzuspornen. Denn hierbei sei nichts zu machen, wenn einer nicht ein Löwenherz und Greiffenklauen hätte.

Ich überlegte es mir eine gute Weile. Die Sache schien mir bedenklich und ich wendete die Gefahr ein, die dabei bestünde, und erzählte, wie es dem Hauptmann Hannes, meinem ältesten Bruder, gegangen wäre.

Ich merke wohl, sprach er, du bist feige und wer feige ist, schickt sich nicht für unser Handwerk, denn damit kann nur ein kühner und beherzter Mann zurecht kommen. Allein, da du das erstemal nichts dabei zu tun hast, so läufst du auch keine Gefahr dabei. Wenn ich gefangen werde, so geht das dich nichts an. Sie werden dich frei gehen lassen, denn es wird leicht zu beweisen sein, daß du mit dem, was ich ausgeübt habe, nichts zu schaffen gehabt.

Auf dieses Zureden hin wagte ich mich mit ihm hinaus. Da wurde ich denn bald gewahr, daß mein neuer Freund ein recht vornehmer Dieb und ein Beutelschneider ersten Ranges war, der weit höhere Ziele verfolgte als mein dummer Bruder, der Hauptmann Hannes. Er war ein gut Teil größer als ich. Denn obschon ich jetzt wohl mehr als sechzehn Jahre zählte, so war ich doch für mein Alter nicht groß. Was die Sache selbst betraf, so war mir dieselbe noch ganz unklar. Ich kam sehr jung zu dieser Zunft, verstand aber auch jetzt noch nichts davon und dachte, daß ich keine weitere Gefahr liefe als eingetaucht oder geplumpst zu werden, welches wir Einweihen oder Einweichen hießen, und daß damit alles überstanden wäre. Wir fragten nicht viel danach, ob unsere Lumpen ein wenig naß würden. Ich kam nicht eher dahinter, daß es ein Verbrechen sei, das mit dem Tode bestraft würde, als bis ein großer Kerl, ein Mann von unserer Gesellschaft, deswegen gehängt wurde. Und da befiel mich ein großer Schrecken, wie man alsbald hören wird.

Von meinem Lehrmeister überredet, spazierte ich nun hinaus mit ihm und hatte, soviel ich mich noch erinnere, keine üblen Absichten. Am ersten Tage führte er mich geradenwegs in die Stadt hinein, und nachdem wir auf der Wasserseite angelangt waren, auf den langen Platz beim Zollhause. Wir sahen nicht viel besser aus als Gassenjungen, ich sah noch am schlimmsten aus, denn mein Anführer hatte noch einen Hut, ein Hemde und ein Halstuch; was mich betraf, so war ich mit nichts dergleichen versehen. Seit dem Tode meiner Pflegemutter, was schon einige Jahre her war, war ich nicht so unhöflich gewesen, einen Hut auf den Kopf zu bringen. Mein Kumpan befahl mir, ich sollte ihn jederzeit im Auge behalten, aber nicht nahe an ihn herankommen, auch nicht tun, als ob er zu mir gehöre, bis er an mich heranträte. Und wenn eine Verwirrung oder ein Lärm entstünde, so sollte ich tun, als ob ich ihn nicht kennte und nichts mit ihm zu schaffen hätte. Ich kam seinen Anweisungen bis aufs kleinste nach, während er in alle Winkel hineinguckte, überall herumlungerte und seine Augen überall hatte. Ich sah unverwandt auf ihn, aber hielt mich jederzeit in gemessener Entfernung von ihm auf der andern Seite des langen Platzes, tat gleichsam als ob ich Nadeln suchte, las solche auch aus dem Staube auf und steckte sie auf meinen Ärmel, bis ich endlich vierzig bis fünfzig gute Nadeln beisammen hatte. Inzwischen hatte ich meine Augen beständig auf meinen Spießgesellen gerichtet, welcher unter der großen Volksmenge, die an der Tafel stand und bei den Zollbeamten, welche Freizettel ausschrieben, sich überaus geschäftig zeigte.


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