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Als ebenso plötzlich als unerwartet am 24sten Februar 1833 der Kunstsinn in Hannover erwachte, mußte derselbe sich nur sehr notdürftig behelfen. Er fand zwar eine Menge Bilder, und darunter auch gewiß manche vortreffliche, er fand auch Künstler und darunter ausgezeichnete, aber mit seinem Hofstaat, den Kunstkennern, war es schlecht bestellt. Deren waren sehr wenige. Das Publikum empfand diesen Mangel sehr schmerzlich. Man wollte doch sein Geld für das Entree nicht umsonst ausgegeben haben, man wollte doch dafür ein Urteil, sei's ein eignes, sei's ein fremdes, mit nach Hause nehmen, und an wen sollte man sich nun halten? Die Zimmer der Kunstausstellung, in denen gerade der eine oder der andere der wenigen hier etablierten Kunstkenner die Leute belehrte, waren stets überfüllt, alles drängte sich heran, die Worte der Weisheit zu hören, aber die Zimmer faßten nicht alle, und es war wirklich traurig anzusehen, wie manche sich begnügen mußten, vor den Türen, oder wenn auch diese zu sehr besetzt waren, in den anderen Zimmern desselben Stockwerkes, vielleicht gar in einem anderen Stockwerke, die Honigworte zu erlauschen. Durch diesen Versuch nun, durch welchen jeder zum Kunstkenner werden kann, wird deshalb einem wirklichen und tief gefühlten Bedürfnisse abgeholfen.
Wozu die Kunst überhaupt da ist, weiß man nicht. Diese Frage ist schon oft aufgeworfen, aber nie genügend beantwortet worden. Die Kunst ist kein notwendiges Uebel wie die Arzneiwissenschaft, die Jurisprudenz, das Soldatentum und so viele andere Wissenschaften und Handwerke. Die Kunst, hat man wohl gesagt, ist ihrer selbst willen da. Das ist eine schöne Floskel, aber ohne Wahrheit. Der Mensch ist seiner selbst willen da, alles andere des Menschen wegen. Auch die Kunst. An der Kunst soll der Mensch Vergnügen haben. Nun kann man aber nicht jedes Vergnügen so gleich weg genießen, man muß alles erlernen, auch den Genuß. Kegelschieben, Whistspielen u. dgl. m. sind gewiß bedeutende Vergnügen, sie wollen aber erlernt sein. Ebenso der Kunstgenuß. Wer den erlernt hat, ist ein Kunstkenner, und wie die Kegel, die Whistkarten usw. zunächst nur für die da sind, die damit umzugehen wissen, die Kegel schieben und Whist spielen können, so ist die Kunst zunächst für den Kunstkenner da. Der königlich hannoversche Legationsrat und Geschäftsträger in Rom, A. Kestner, vindiziert in seiner Abhandlung: »Wem gehört die Kunst?«, Reimer in Berlin, 1830, 8, die Kunst gleichfalls als Eigentum des Kenners. Dieses interessante Werk eines Landsmannes beantwortet diese Frage ebenso geistreich als verständlich. Anm. d. Verfassers. Nun ist die Kunst aber viel schwerer als Kegelschieben, Whistspielen usw., deshalb glaube ich auch ein gutes Werk zu tun, wenn ich meine Mitbürger, für die ich zunächst schreibe, durch diesen Versuch zu wirklichen Kunstkennern zu bilden suche, sie also instand setze, von der bevorstehenden Ausstellung allen den Genuß zu haben, den man möglicherweise davon haben kann.
Mancher hat es bei der ersten Ausstellung gewiß sehr bedauert, daß er kein Kunstkenner war. Er trat schüchtern und ängstlich in die mit Bildern geschmackvoll dekorierten Zimmer. Er macht vielleicht auf Bildung Anspruch und muß daher ein Urteil abgeben. Ja, das Bild da oben in der Ecke gefällt ihm wohl, aber das ist so hoch gehängt – das kann nichts Gutes sein. Ein anderes hängt darunter in gutem Lichte. Das Bild ist gewiß nicht schlecht. Aber ein Urteil gibt man doch nicht ab, es könnte ein Kunstkenner in der Nähe sein und über die ungewaschene Kritik die Nase rümpfen. Dort aber hängt ein Bild, das man schon loben kann, ein Bild, das in gutem Rufe steht, das Kredit hat. Es find zwei Frauenzimmer von Overbeck. Ja, das muß schön sein. Der Overbeck ward auf vorjähriger Ausstellung viel, und namentlich laut bewundert, aber er gefiel den Leuten doch nicht so recht, es gehörte zum bon ton vor dem Bilde zu stehn, und weil dasselbe eben nichts enthielt, worüber man hätte urteilen können, dasselbe zu genießen, zu fühlen und zu empfinden, und es ward daher nicht leer vor dem Bilde von Beschauern, die, wie sie einander sagten, nicht von dem Bilde weg konnten. Zum Glück hing Poniatowski's Sturz in die Elster daneben, auf den man, um sich von den beiden ennüyanten Gestalten zu erholen, bisweilen einige verstohlene Blicke werfen konnte. Und so ging es mit vielen Bildern, die gelobt wurden, aber nicht gefielen. Und mit einigen Bildern war es umgekehrt. Die standen einmal in schlechtem Rufe, waren übel verschrien von den Kunstkennern, und sie gefielen doch den Leuten, und es ging mit ihnen wie mit einem schönen Mädchen, das in schlechtem Rufe steht. Die meisten Leute haben nicht den Mut, ihr Gefallen daran kundzugeben.
Dem nun soll durch dieses Büchlein abgeholfen werden. Wer dieses Büchlein gehörig gelesen und auswendig gelernt hat, kann keck vor den größten Kunstkenner hintreten und sein anch 'io sprechen. Die Mehrzahl der Leute war freilich auf voriger Kunstausstellung, wie überall im Leben, gleich mit ihrem: »Gut« und »Schlecht' und »Schön« und »Häßlich« bei der Hand, aber damit wollten sie nicht eigentlich ein Urteil, sondern nur ihr Gefallen oder Mißfallen aussprechen. Denn die meisten Menschen, man kann sagen fast alle, haben die Unart, beim Urteil über eine Sache nur ihrer Empfindung zu folgen. Sagen sie z. B. »das Bild ist gut«, und man würde sie nach dem Grunde dieses Urteils fragen, so werden die meisten sich so wenig wie Falstaff auf Gründe einlassen; geben sie einen Grund an, so ist es der, »das Bild ist gut, weil es mir gefällt.« Wem nun das Bild mißfällt, der kann es mit ebenso vielem Rechte schlecht nennen, und das arme Bild weiß also nicht, wie es daran ist. Das kommt bloß daher, weil die Leute insipider Weise statt eines Urteils nur ihre Empfindung, und zwar in Form eines Urteils gekleidet, geben. Richtiger heißt es: das Bild gefällt mir, oder es mißfällt mir. Denn sage ich: das Bild ist gut, so lege ich dadurch dem Bilde eine Eigenschaft bei; sage ich, es gefällt mir, so spreche ich nur die Empfindung, die es in mir erweckt, aus. Nun kann aber wohl ein Bild, das mir gefällt, einem andern mißfallen, aber ein Bild, das wirklich gut ist, kann nicht zugleich schlecht sein. Das ist den meisten Leuten nicht klar, und sie urteilen daher frischweg nach ihrem Wohlgefallen oder Mißfallen: das Bild ist gut, das Bild ist schlecht. Nicht so der wahre Kenner. Der weiß, wie sehr eine Empfindung täuscht, weiß, daß ein Bild gefallen und doch schlecht sein kann, und umgekehrt, und weiß, daß er seine ganze Autorität aufs Spiel setzt, wenn er vielleicht seinem Gefühle nach über ein Bild urteilte, und ein anderer vielleicht ebenso angesehener Kenner widerspräche dem. Der Kenner wird also nicht nach seiner Empfindung urteilen, sondern sucht die Gründe seines Urteils im Bilde selbst auf. Zum Beispiel: das Bild ist sehr braun, weil es sehr braun ist, muß viel Judenpech darin sein, weil viel Judenpech darin ist, muß das Bild aus der Düsseldorfer Schule sein, weil es aus der Düsseldorfer Schule ist, muß es gut sein; das Bild ist gut. Auf diese Weise gelangt der Kenner zur wahren Vollkommenheit, nicht bloß als Kunstkenner, sondern auch als Mensch. Er mißtrauet seinen Empfindungen und unterdrückt sie. So nannte er z. B. das braune Bild nach obiger Schlußrechte gut, und Braun mag der Edle vielleicht gar nicht leiden, er tragt z. B. lieber Blau oder eine sonstige Couleur, aber seine Selbstverleugnung geht so weit, daß er das braune Bild gut nennt. Da nun der Mensch, und namentlich der Christ, sich selbst also verleugnen soll, so kann man das Kennertum die Blüte der menschlichen Vollkommenheit nennen. Goethe, dem man wohl Mangel an Sittlichkeitsgefühl vorgeworfen, läßt doch der hohen Sittlichkeit der Kunstkenner Gerechtigkeit widerfahren. Wie Shakespeare, um die Tugend der Marina leuchten zu lassen, dieselbe in ein schlechtes Haus bringt, so führt Goethe seinen Kunstkenner in ein ebensolches, wo derselbe aber, gerade wie Shakespeares Marina, allen Anfechtungen zum Trotze, seine Tugend bewahrt. S. das Gedicht: Kenner und Enthusiast. Anm. d. Verfassers. Denn der Kenner stärkt sich immer mehr im Verleugnen seiner Empfindungen, sehr bald kommt er dahin, daß er nur urteilt und gar nicht mehr empfindet, und das ist die wahre Kennerschaft. Die bildende Kunst ist wie alle schönen Künste nur zum Beurteilen, nicht zum Empfinden. Es ist zwar gesagt, sie sei da, damit der Mensch Vergnügen an ihr haben solle. Aber nicht an der Kunst selbst soll der Mensch Vergnügen haben, sondern nur an der Beurteilung derselben. Urteilen soll man über die Kunst, und nur an diesem Urteile soll man Vergnügen haben. Kein wahrer Kenner wird über die Kunst selbst sich freuen, die ist ihm sehr gleichgültig, nur seiner Urteile wegen ist sie ja da, und über die freut er sich und hat Vergnügen an ihnen, nicht nur er selbst, sondern auch andere Leute. Das Empfinden ist eine Dummheit. Empfinden kann selbst das Vieh, beurteilen nicht. Empfinden kann jeder Bauer, er fühlt oder empfindet, daß Schläge weh tun, um über Schläge urteilen zu können, muß man schon eine höhere Stufe der Bildung erreicht haben. Alles Unheil in der Welt kommt von den Empfindungen, trauete man denen weniger und brauchte das Urteil mehr, so würden wenig dumme Streiche passieren und die Welt viel glücklicher sein. Und das ist durch Erlernung der Kennerschaft zu erreichen. Auch schon Ovid sagt, wie den Philologen Hannovers wohl vom Theatervorhange her bekannt sein wird, daß die Kunstkennerschaft den Menschen veredle:
Didicisse fideliter artes
Emollit mores nec sinit ess feros.
Treu die Künste gelernt zu haben verfeinert die Sitten und verscheucht alle Wildheit. Anm. d. Verfassers
Durch dieses Büchlein wird mancher, wie ich hoffe, zur Kennerschaft gelangen, und wenn ich auch nicht so kühn bin zu erwarten, daß die Welt gleich dadurch gebessert werde, so wird sich doch die Zahl der Kenner, namentlich hier am Orte, bedeutend vermehren. Und das ist schon ein großer Schritt. Ich freue mich schon im Geiste auf die rührenden Erkennungsszenen, die das auf der diesjährigen Kunstausstellung geben wird, wie da ein Kenner den anderen herausfinden wird. O, das ganze Publikum wird eine schöne freudige Gemeinde sein, lauter Kenner. Alle Monopole der Kennerschaft werden verschwinden, alle sind gleich vor der Kunst, alle Brüderkenner, jeder kann sich und die Bilder nach Herzenslust bewundern. Es ist schön und herzerhebend, zwei Kenner zu sehn, wie sie über ein Bild urteilen, und man kann wirklich bei der Gelegenheit vor dem menschlichen Geiste Ehrfurcht empfangen; es ist schön zu hören, wie einer das Urteil des andern ergänzt und motiviert, wie der eine mit Reflexen nachhilft, und der andere ihm dafür mit Lasuren unter die Arme greift, wie in diesem edeln Wettstreite der eine den andern mit Tinten überschüttet, und der ihm dafür mit einem breiten und saftigen Pinsel den Rücken deckt. Nicht mehr werde ich wie auf voriger Ausstellung solch einzelne Szenen erleben, sondern das ganze Publikum wird aus Kennern bestehen.
Um mich im voraus über einige Begriffe zu verständigen, bedarf es einiger Definitionen und Explikationen.
Ein Kunstkenner ist, wie ich oben gezeigt, also ein solcher, der sich auf Kunst und Kunstgenuß versteht. In der Regel ist Kunstkenner gleichbedeutend mit Kunstfreund oder Kunstliebhaber. Da zur guten Lebensart auch etwas Bescheidenheit gehört, Bescheidenheit aber überhaupt schon dazu gut ist, um desto größere Ansprüche zu machen; – wie denn Bescheidenheit eigentlich weiter nichts ist, als der bekannte Kniff, daß man, um einen recht weiten Sprung zu tun, wohl etwas zurückgeht, – so wird der Kunstkenner in der Regel sich selbst nur Kunstfreund oder Liebhaber nennen, in der Voraussetzung, daß die andern es doch wissen und anerkennen, daß er ein Kenner ist.
Verschieden vom Kunstkenner ist der Dilettant, ein solcher, der – aber bloß zu seinem Vergnügen, höchstens auch, wie Lesage sagt, zu anderer Leute Qual – die Kunst selbst ausübt. Man nennt einen solchen Dilettanten auch wohl Kunstliebhaber, wohl zu unterscheiden vom Kunstfreunde, welches einen bloßen Kenner, oder überhaupt nicht selbst ausübenden Freund der Kunst bezeichnet. Dieser Unterschied zwischen Kunst liebe und Kunst freundschaft läßt sich besser suhlen, als ich ihn durch Worte ausdrücken kann. Es ist damit etwa so, wie mit der bloßen Freundschaft im Leben, die in einer müßigen Neigung zu irgend einem Gegenstande besteht, während Liebe etwas Ausübendes und praktisches ist. Man distinguiert indessen nicht immer so scharf und nennt einen bloßen Kenner auch wohl Kunst liebhaber.
Der Dilettant ist also ein ausübender Freund der Kunst. In der Regel wird der Dilettant dabei auch Kunst kenner sein. So wie nun die Kunstkenner einige Verachtung gegen die Laien hegen, so hinwiederum die Dilettanten gegen die bloßen Kenner. Es gibt nur äußerst wenige Dilettanten der bildenden Kunst hier in Hannover, und es ist dies auffallend, da es so viele Dilettanten in den andern Künsten gibt. Obgleich das mit dem Mangel an Interesse für die bildende Kunst, der überhaupt bisher hier geherrscht hat, zusammenhängen mag, so wird es doch nur wenige Leute geben, die nicht in ihrer Jugend selbst das Zeichnen oder andere Teile der Kunst getrieben haben. Viele kenne ich, die haben es sogar bis zum Tuschen gebracht. Als sie auf Universitäten gegangen, oder als sie angestellt wurden, oder als sie sich verheiratet, haben sie es ausgegeben, und ihre letzte Arbeit hängt dann in der Regel unter Rahmen und Glas; auch verwahren sie noch ein Stück ganz echt chinesische Tusche. So verlassen sie die bildende Kunst im weiteren Verlaufe des Lebens, aber Flöte, Geige und andern musikalischen Jammer, den treiben sie noch. In andern Städten gibt es mehr Dilettanten der bildenden Kunst, wie denn z. B. in Berlin auf der letzten Ausstellung von sechs bis acht Dilettanten nur allein aus der Königlichen Familie sich Arbeiten befanden.
So wie nun die Laien von den Kennern, die Kenner von den Dilettanten, so werden diese wieder von den eigentlichen Künstlern über die Achsel angesehen.
Ein Künstler ist ein solcher, der von der Ausübung der Kunst ein Gewerbe macht. Diese Definition ist sehr weit, aber eine genauere zu geben fast untunlich. Man kann von vielen Zuständen keine rechte Definition geben. So ist es namentlich bei den sog. freien Künsten der Fall. Was ist ein Dichter? was ist ein Künstler? Eine Definition ist zu weit, eine andere zu eng. Die Juristen werden die scharfsinnigen Untersuchungen über den Begriff des Wortes meretrix kennen, und wie man diesen Begriff festzustellen pflegt. So ist es auch mit der Definition des Wortes: Künstler der Fall, und die eben gegebene paßt deshalb so ziemlich.
Was die Künstler des Königreiches Hannover insbesondere anbetrifft, so steuern dieselben in der fünften Klasse. Nach den verschiedenen Unterabteilungen der Kunst teilen sie sich wieder in mehrere Zweige, z. B. Maler, Bildhauer, Kupferstecher usw. –
Nach diesen notwendig vorauszuschickenden Explikationen über solche allgemeine Begriffe gehe ich zu meinem eigentlichen Zwecke über, nämlich eine klare und faßliche Anweisung zu geben, wie man ohne weitere Vorkenntnisse, und ohne von der Natur besonders begabt zu sein, in kürzester Zeit ein Kunstkenner werden kann.
Man hat bereits eine: »Kunst in drei Stunden Französisch, Englisch usw. zu lernen«, und nach denselben Prinzipien, auf welche diese schnelllehrenden Lehrbücher gebaut sind, will ich hier eine: » Kunst in drei Stunden ein Kunstkenner zu werden« liefern. Wie nun jene Lehrbücher keineswegs trockene, grammatikalische Studien oder halsbrechende philologische Untersuchungen bezwecken, sondern nur Phraseologien sind, in welchen die gewöhnlichsten und notwendigsten Phrasen des gemeinen Lebens auf eine heitere und faßliche Weise gesammelt sich befinden, wobei nur hin und wieder auf eine Eigentümlichkeit der Grammatik gerade dieser oder jener Sprache aufmerksam gemacht wird, so will auch ich hier keineswegs tiefsinnige Theorien über Kunst u. dgl., sondern einzig und allein eine sozusagen Kunstphraseologie, richtiger wohl Kunstkennerphraseologie liefern, eine Sammlung derjenigen Ausdrücke, Phrasen, Floskeln, Interjektionen und Gesten, die ganz allein den Kunstkenner ausmachen. Jener Schüler im Faust meint in seiner schülerhaften Unschuld, es müsse ein Begriff bei dem Worte sein. Das ist Torheit und wird niemand, am allerwenigsten von den Phrasen eines Kunstkenners verlangen. Es bedarf also eigentlich keiner Erklärung der Phrasen, die hier gegeben werden sollen; wo diese Phrasen jedoch so beschaffen sind, daß ein Begriff sich allenfalls damit verbinden ließe, will ich solchen genau angeben, mich auch, soweit bei meiner beschränkten Kenntnis dieser Gegenstände und bei dem Mangel an Hilfsmitteln hier am Orte es möglich, sowohl in philosophische als technische Details einlassen.
Um übersichtlicher zu verfahren, will ich eine kurze Auszählung und Betrachtung der einzelnen Zweige der Kunst voranschicken, die Phraseologie soll dann verschiedene, all' diese einzelnen Zweige der Kunst besprechende Phrasen enthalten. Man suche in dieser Übersicht weder Ordnung noch Vollständigkeit. Wer die haben will, wenigstens in höherem Grade, als er sie hier findet, nehme eines der vielen Bücher über diesen Gegenstand zur Hand, z. B. Sulzer's Theorie der schönen Künste ein Buch, Einen Kenner, der seine Urteile drucken läßt, nennt man wohl Kunstrichter. Anm. d. Verfassers. das in zugänglichster Form eine Masse Material enthält, deutlich und verständlich vorgetragen, nur schade, daß der darin durchgängig vorwaltenden Ironie wegen, beim Gebrauch desselben mit Vorsicht zu Werke gegangen werden muß.
Bemerken will ich hier noch zuvor, daß bei dieser ganzen Anleitung überall mehr die neuere und neueste Kunst in's Auge gefaßt worden ist als die der früheren Jahrhunderte (die antike lag ganz außerhalb des Planes). Obgleich ich weiß, daß gerade die Kunst früherer Jahrhunderte das Feld ist, in welchem die Kunstkenner sich vorzugsweise gern ergehen, so ist doch diese ältere Kunst weniger berücksichtigt, einmal weil, wenn das hätte geschehen sollen, ein wettläufiges Räsonnement über die Geschichte der Kunst, die verschiedenen Schulen usw. unvermeidlich gewesen wäre, und dann hauptsächlich, weil diese Schrift, zunächst hervorgerufen durch die bevorstehende Ausstellung, dergestalt besser die neueste Kunst wie zur Ursache und Gelegenheit, so auch zum Gegenstande und Zwecke haben sollte. Die Phraseologie wird jedoch, wenn auch nur einzelne, auf ältere Kunst bezügliche Phrasen enthalten, namentlich diejenigen Ausdrücke, welche die Kunstkenner nur oder vorzugsweise bei älteren Bildern anzubringen pflegen.
Die bildende Kunst teilt sich, wenn man die Baukunst nicht mitrechnet, die wenigstens außerhalb der Grenzen dieser Blätter liegt, in zwei Hauptzweige, die Bildhauerkunst und die Malerei.
Was die Bildhauerkunst (oder Plastik) sei, darf ich als bekannt voraussetzen. Sie stellt ihre Werke aus verschiedenen Massen dar, aus Stein, Metall, Holz, Ton, Wachs, Gips, Zucker usw. Obgleich es möglich ist, daß aus gleichen Stoffen gute und schlechte Bildwerke geformt werden, so läßt sich doch schon aus dem Stoffe, aus welchem sie bestehn, auf die Güte oder Schlechtigkeit der Werke mit einiger Sicherheit schließen, wobei Folgendes für den Kenner als Richtschnur dienen kann.
Bei Bildwerken aus Marmor kann man präsumieren, daß dieselben nicht schlecht seien, man kann sie deshalb ohne große Gefahr loben; bei Sachen aus Alabaster hingegen ist die Präsumtion für Schlechtigkeit. Sachen aus Gips sind in der Regel gut, weil schlechte Originale nicht abgegossen zu werden pflegen. Tadeln kann der Kenner jedoch nur alle die Gipssachen, von denen einzelne Teile, z. B. die Köpfe, in Draht hängen, desgleichen alle buntbemalten. Sachen aus Holz, namentlich ältere, sind zu loben, jedoch mit Vorsicht und so daß man sich den Rückzug deckt. Werke aus Metall (die von Silber ausgenommen) sind, namentlich wenn sie schon alt sind, und vorzüglich Sachen von Bronce, stets zu loben, auch kann man bei diesen einigen Enthusiasmus passend anzubringen.
Die Werke der Plastik sind in der Regel rund, so daß sie von allen Seiten der Natur gleichen; wenn man sie der Länge nach auseinanderschneidet, und die Hälften auf eine Fläche heftet, entsteht daraus das Relief, welches nach dem Grade seiner Erhabenheit von der Fläche entweder Haut- oder Basrelief ist.
Wie überhaupt ein bedeutender Unterschied zwischen antiker und moderner Kunst stattfindet, so ist namentlich der Unterschied zwischen antiker und moderner Plastik zum Nachteil der letzteren sehr fühlbar, ja es ist sogar, und nicht ganz ohne Grund, behauptet worden, die neuere (d. h. die christliche) Kunst, habe gar keine Plastik, und diese sei untergegangen mit der klassischen Nacktheit der alten Götter. Da eigentlich nur das Nackte Gegenstand der Plastik ist, und die christliche Religion und Kunst (und auch das jetzige Leben) nichts Nacktes kennt, so hat eine christliche Plastik etwas Widerstrebendes in sich. Eine Jungfrau Maria z. B., die nicht mehr Gewand an sich hätte als die mediceische Venus, würde gewiß sehr heterodor aussehen, und ich glaube nicht, daß jemals ein Künstler eine solche geliefert hat oder liefern wird. Indeß die Leute haben oft ganz absonderliche Ideen, und es ist wohl möglich, daß einmal irgend ein genialer Preuße eine dergleichen zu Markte bringt. Die Bildhauer des Mittelalters halfen sich bei diesem Streite des Christentums und der Plastik, wie sie konnten; in den Aposteln und Heiligen gaben sie oft schöne tüchtige Gestalten, wenn sie auch bisweilen römischen Senatoren sehr ähnlich sehen. Ihre Madonnen- und Christusgestalten find aber meist unbedeutend. Das rein Geistig-Göttliche widerstand der Darstellung durch Formen, da ja auch gerade das allein Geistig-Sprechende, das Auge, in plastischer Darstellung tot bleiben muß. Der gewaltigste Bildhauer der christlichen Kunst, Michel Angelo, hat in seinen Gestalten wenig Christliches, eher, wie mit Recht bemerkt worden, eine Annäherung an die finstere, zornige Religion des alten Testaments.
Neuere und neueste christliche Bildwerke sind in der Regel schlecht, so z. B. Danneckers vielbesprochener Christus, von dem doch viele tüchtige Leute, z. B. der Künstler selbst, soviel Aufhebens gemacht haben. Diejenigen Werke der neueren Plastik, die ihren Gegenstand der alten Mythologie entnommen haben, sind nur Nachahmungen antiker Kunst.
Über diesen Unterschied zwischen moderner und antiker Plastik und Kunst überhaupt ist Vieles gesagt und geschrieben worden, Gutes und Schlechtes; Schlegel hat manches Geistreiche darüber gesagt; Gemeint sind August Wilhelm v. Schlegels »Vorlesungen über Theorie und Geschichte der bildenden Künste«, Berlin 1827. Anm. d. Herausgebers. hier, wo weder Philosophie noch Geschichte der Kunst beabsichtigt worden, sei dieser Unterschied nur erwähnt.
Die Malerei, in der weitesten Bedeutung die Kunst, die Gegenstände mit Farben auf einer Fläche darzustellen, hat zur Basis das Zeichnen, die Kunst, die Umrisse der Gegenstände auf einer Fläche darzustellen. Weil nun auf diese Weise Zeichnung die Basis fast der ganzen Kunst ist, da sie auch zur Plastik notwendig, so wird der Kenner gut tun, von Zeichnung viel zu reden. Er muß dabei jedoch sich stets den Rücken decken. Das Zeichnen ist nämlich so verflucht schwer, daß selbst viele Künstler wenig oder nichts davon verstehen; und da solche äußerliche Merkmale, ob etwas gut oder schlecht gezeichnet, nicht anzugeben sind, so ist es gefährlich, mit dem Urteile über Zeichnung zu sehr ins Detail zu gehen. Wie zum Braten die Sauce, so gehört zum Wort: ›Zeichnung‹ das Wort: ›korrekt‹. Je nachdem nun ein Künstler Kredit hat oder nicht, spricht man von seiner korrekten oder inkorrekten Zeichnung. Auch ist ›brav‹ ein gutes Beiwort zur Zeichnung; es drückt im Munde des Kunstkenners eine holde Mittelmäßigkeit aus, die jedoch aus Rücksichten nicht ganz verworfen werden soll, etwa weil der Künstler bedeutende Verwandte, Beschützer, Empfehlungen oder ähnliche Eigenschaften hat. –
Die Malerei teilt sich in die eigentliche Malerei und jene vervielfältigenden Künste, die Kunst des Kupferstichs, des Holzschnitts und des Steindrucks. Die eigentliche Malerei zerfällt wieder nach dem Material, welches dabei benutzt wird, in verschiedene Arten, als Öl-, Glas-, Aquarell-, Gouache-, Pastell-, Fresko-, Email- usw. Malerei.
Eine andere Einteilung der Malerei ist die nach den dargestellten Gegenständen als Historien-, Genre-, Landschaft-, Portrait- usw. Malerei, und hierüber muß einiges gesagt werden.
Die Maler, von denen doch eigentlich die Malerei herkommt, haben wahrscheinlich nie daran gedacht, die Kunst auf diese Weise abzuteilen. Diese Einteilung ist vielmehr höchst wahrscheinlich eine Erfindung der Kunstkenner, die solche zu ihrer Bequemlichkeit, und um mehr Gegenstände ihres Urteils zu haben, aufgebracht haben. Gerade um scharfsinnige und geistreiche Ideen darüber anzubringen, sind diese Einteilungen sehr geeignet; wie manches Geistreiche läßt sich z. B. darüber sagen, welche Gattung vorzuziehen, welche höher stehe, zu welcher Gattung dieses Bild gehöre u. dergl. mehr.
Da nun diese Einteilung von den Kunstkennern herrührt, die Künstler sich niemals viel darum gekümmert, sondern lustig gemalt haben, unbesorgt, zu welcher Sorte ihr Bild gehöre, so weiß der Kenner oft wirklich nicht, zu welcher er ein oder das andere Bild rechnen soll, und daher kommt es denn, daß die Begriffe, die man mit diesen einzelnen Gattungen verbindet, äußerst schwankend sind, und eine Definition derselben sehr schwer ist.
Die Hauptgattung der Malerei ist die Historienmalerei. Nach dieser muß der Kunstkenner eine ungeheure Sehnsucht zu empfinden scheinen, und die Abnahme der historischen Bilder sehr bedauern.
Eine genaue Definition der Historienmalerei ist sehr schwer. Historienmalerei nach dem Begriffe, den man jetzt gewöhnlich damit verbindet, ist die Darstellung von Szenen aus der weltlichen oder geistlichen Historie und der Mythologie, man kann hinzusehen: in einer gewissen Größe.
So kurios dieser letztere Zusatz scheint, so ist derselbe doch notwendig. Denn viele Bilder nennt man historische, die, wenn sie in kleinerem Maßstabe entworfen wären, zu einer andern Gattung, nämlich zu den sogenannten Genrebildern gehören würden. So würde z. B. ein Schlachtstück mit lebensgroßen Figuren, namentlich wenn es eine bestimmte Schlacht darstellte, ein historisches Bild genannt werden; wären die Figuren nur 5 bis 6 Zoll hoch, wär's nur ein Genrebild. Die Absicht, die der Künstler gehabt hat, die Art der Ausführung kommt auch bei der Benennung oft in Betracht. Auf der vorjährigen Ausstellung waren zwei berittene Napoleons, der aufgehende auf dem Simplon, heruntergehende in Moskau. Der erste, eine Copie von Davids Bilde, Jacques Louis David (1748 – 1825), der bekannte Klassizist: eine Abbildung des von Detmold hier erwähnten Bildes, das im Museum zu Versailles hängt, findet man in Dr. Friedrich Haack: Die Kunst des XIX. Jahrhunderts (Lübke-Semrau, Kunstgeschichte, Bd. V, Eßlingen 1913, Seite 41) Anm. d. Herausgebers ist zwar zunächst ein Porträt verdient aber den Namen eines historischen Bildes, durch die ganze Komposition, den Maßstab, in dem es ausgeführt worden, und die Ausführung selbst. Das zweite Bild, von Adam, Gemeint ist der bekannte Münchener Soldaten-, Pferde- und Schlachtenmaler Albrecht Adam (1786 – 1862), der sich auf streng zeichnerischer Grundlage eng an das Naturvorbild hielt, in seiner Farbengebung von den alten Niederländern beeinflußt war. Anm. d. Herausgebers. ein Schimmel mit Napoleon, ist, obgleich es sich er weit historisch treuer gehalten ist als Davids Bild, doch kein historisches, sondern nur ein Pferdestück, höchstens ein Genrebild. Und nun läßt sich noch ein dritter Napoleon zu Roß denken, der lebensgroß und vielleicht in einer bestimmten Szene der Geschichte vorgestellt, mit Pulverdampf und Bajonetten und Adlern im Hintergrunde, doch nur als Porträt gelten könnte, weil er gerade Porträt sein soll, und das Porträt darin vorherrscht, was bei jenem Davidschen Bilde nicht der Fall.
Ganz vorzüglich rechnet man zur historischen Malerei die Darstellung von Gegenständen aus der heiligen Geschichte; und hierbei nimmt man es mit der Größe der Figuren auch nicht so genau, weil man heilige Gegenstände, wenn die Figuren klein sind, doch nicht zu den Genrebildern rechnen und auch in sonst keinem Fache unterbringen kann.
Zur Historienmalerei gehört ferner die Allegorie, ohne Unterschied der Größe, eben weil man auch die nirgends anders unterbringen kann. Weil wir nun an die heiligen Gegenstände nicht mehr glauben, derselben also nicht mehr wie früherhin im Leben bedürfen –; weil wir die Allegorie eben so wenig gebrauchen, da man jetzt alles platt heraussagt, so werden dergleichen Gegenstände der Historienmalerei wenig mehr gemalt. Ab und an kommt auch wohl noch ein Bild aus der heiligen Geschichte vor, das aber in der Regel, wenn nicht der Meister zu den sog. Nazarenern Nazarener nennt man die Maler, welche von dem Gesichtspunkte ausgehen, daß die Religion die alleinige Basis der Kunst sei, um die Kunst zu ihrer früheren Blüte zurückzuführen, ihre Bilder im Geschmacke jener religiösen Zeiten malen, und die, was ihnen an Kunst und Studium abgeht, durch Frömmigkeit oder wenigstens durch Katholizismus zu ersetzen suchen. Mehr über sie findet man im Konversations-Lexikon, auch gibt die Hannoversche Zeitung 1833, Nr. 60, S. 524 einige Nachrichten von ihnen. Anm. d. Verfassers. gehört, mehr zu Versuch und Studium, als um des Gegenstandes willen gemalt ist.
Da nun Darstellungen aus der wirklichen Geschichte das Unangenehme haben, daß sie, stellen sie Szenen vergangener Zeit dar, uns, wenn das Kostüm treu gehalten ist, zu fern liegen, (es müßte uns denn vom Theater her bekannt, also unhistorisch sein,) und da ferner Gegenstände aus der neuesten Geschichte wegen des durchaus unmalerischen Kostümes jetziger Zeit, das bei vielleicht lebensgroßen Figuren doppelt unmalerisch erscheint, der Darstellung widerstreben, so sind wir dahin gekommen, daß wir wirklich gar keine eigentliche Historienmalerei haben. Am Ende ist es auch überflüssig, dieselbe in's Leben zurückzurufen, und es ist wahrscheinlich nur Grimasse, wenn viele Kenner eine solche Sehnsucht nach derselben bezeigen. Wenn etwas untergeht, so ist das ein Zeichen, daß es untergehen mußte, weil seine Zeit vorbei ist.
Die Sehnsucht nach neuen historischen Bildern kommt mir gerade wie das (jetzt beinahe vergessene) Streben nach Wiedererweckung des Epos vor. Wir haben kein Epos, weil zum Epos Maschinerie gehört, und wir an die nicht mehr glauben; wie wir statt des Epos den Roman haben, so haben wir statt der Historienmalerei die Genremalerei.
Wenn nun auch diese Namen und Abteilungen für die Kunst selbst überflüssig sind, und sie sich nach wie vor in schönen Gebilden bewegen wird, mag ein Kenner sie sub ›Historienmalerei‹, ein anderer sie sub ›Genremalerei‹ einregistrieren, so sind diese Abteilungen und Benennungen doch aus oben angegebenen Gründen für den Kenner unentbehrlich und werden allen Anfeindungen zum Trotz fortbestehen.
Über diesen Unterschied zwischen Historien- und Genremalerei sagt Heinrich Heine in seinem Salon folgendes, welches ich hier anführe, weil dieser Unterschied darin eben so klar hervorgehoben ist, als die Unterscheidung selbst heftig getadelt wird, wobei der freche Revolutionär, der in seinem Wahnsinn mit kecker Hand an den allerheiligsten Institutionen rüttelt, nicht zu verkennen ist. Er spricht nämlich in diesem Buche S. 52 ff. bei Gelegenheit der Kritik eines Bildes von L. Robert Leopold Robert (1794 – 1835), französischer Bauernmaler. Anm. d. Herausgebers also: L. Robert heißt dieser Maler. Ist er ein Historien- oder ein Genremaler? höre ich die deutschen Zunftmeister fragen. Leider kann ich hier diese Frage nicht umgehen, ich muß mich über jene unverständigen Ausdrücke etwas verständigen, um den größten Mißverständnissen ein für allemal vorzubeugen. Jene Unterscheidung von Historie und Genre ist so sinnverwirrend, daß man glauben sollte, sie sei eine Erfindung der Künstler, die am babylonischen Turm gearbeitet haben. Indessen ist sie von späterem Datum. In der ersten Periode der Kunst gab es nur Historienmalerei, nämlich Darstellungen aus der heiligen Historie. Nachher hat man die Gemälde, deren Stoffe nicht bloß der Bibel, der Legende, sondern auch der profanen Zeitgeschichte und der heidnischen Götterfabel entnommen worden, ganz ausdrücklich mit dem Namen Historienmalerei bezeichnet, und zwar im Gegensatze zu jenen Darstellungen aus dem gewöhnlichen Leben, die namentlich in den Niederlanden aufkamen, wo der protestantische Geist die katholischen und mythologischen Stoffe ablehnte, wo für letztere vielleicht weder Modelle noch Sinn jemals vorhanden waren, und wo doch so viele ausgebildete Maler lebten, die Beschäftigung wünschten, und so viele Freunde der Malerei, die gern Gemälde kauften. Die verschiedenen Manifestationen des gewöhnlichen Lebens wurden alsdann verschiedene ›Genres‹. –
Die neuere sog. Historienmalerei bewegt sich in wenigen Vorwürfen. In Dresden und Berlin malt man sog. Akte, d. h. man kopiert zum Studium in der Akademie ein lebendes Modell in einer hübschen Stellung und schickt dann diese Studie unter irgend einem Namen in die Welt. Steht das Modell z. B. an einen Pfahl gelehnt, so läßt man ihm noch einen Pfeil aus dem Magen sehen und nennt es St. Sebastian; liegt das Modell am Boden, so ist es ein sterbender Held usw. Räuber, schlafende oder wachende, sind ebenfalls sehr gesucht, doch gehören nur (wie auch im Leben) die großen Räuber und Spitzbuben der Historie an, die kleinen hängt man unter die Genrebilder. Die Düsseldorfer Schule bringt Familienstücke, wenn auch nicht à la Iffland, sondern traurige Juden- und Königsfamilien. Die Münchner Historienmaler, namentlich unter Cornelius und H. Heß, Peter Cornelius (1783 – 1867) und Heinrich Heß (1798 – 1863), zum Unterschied von seinem Bruderpeter(1792 – 1871), dem »Griechenheß«, der Heiligen-Heß genannt. Anm. d. Herausgebers. üben die Freskomalerei, und müssen demgemäße, dem Volksleben ziemlich fernliegende Gegenstände wählen.
Die Historienmalerei und Genremalerei läuft aber, wie bereits mehrfach erwähnt, häufig dermaßen in einander, daß nur mit größter Mühe gesondert werden kann, was zu dieser oder jener Art gehört.
Genremalerei, Genrebilder, Genrestücke, wie man auch (ich glaube in Dresden) wohl übersetzt: Gattungsmalerei und Gattungsstücke, – was ist das?
Jede Definition ist schwer, zu der die Merkmale von vielen verschiedenen Einzelheiten, die oft nur wenig mit einander gemein haben, genommen werden müssen. So ist es mit der Historienmalerei der Fall, noch mehr mit der Genremalerei, überdies nennt der eine noch Historienmalerei, was der andere schon Genremalerei nennt.
Aus Universitäten kennt man Studiosen der theologischen, medizinischen und juristischen Fakultät; alle diejenigen, die zu keiner dieser drei Fakultäten gehören, sie mögen nun Metaphysik und Astronomie oder Fecht- und Reitkunst studieren, werden zur philosophischen Fakultät gerechnet. Ungefähr so ist es auch mit der Genremalerei. Alles was nicht historisches Bild, Portrait, Landschaft, Stilleben, Frucht-, Blumen- oder Tierstück ist, oder was nicht zu einer sonstigen bestimmten Klasse gehört, nennt man Genrebild.
Ganz vorzüglich rechnet man dahin jene heitere Szenen aus dem Volksleben, in welchen die Niederländer, wie Teniers, Jan Steen, Palamedes usw. so ergötzlichen Humor entwickeln, weshalb man solche Genrebilder auch oft Bilder im Niederländischen Geschmacke nennt, namentlich wenn sie komischer Natur sind. Zu der Genremalerei gehören jedoch auch die Schlachtstücke kleinen Formates.
Da, wie oben angedeutet, eine eigentliche Historienmalerei nicht mehr existiert, so ist die Genremalerei die jetzt vorzugsweise geübte Gattung der Malerei. Weil man zu ihr alle Darstellungen von menschlichen Figuren zählt, die nicht Portrait oder Staffage einer Landschaft sind, oder aber zu den wenigen eigentlichen historischen Bildern zu rechnen sind, so steht insofern die Genremalerei der Historienmalerei gewissermaßen gegenüber, weßhalb denn der Kenner fleißig über die Masse von Genrebildern jammern und damit die Sehnsucht nach historischen verbinden muß. Die Überschwemmung mit Genrebildern ist auch wahrlich sehr groß, und wie man jetzt alles Novelle nennt, wenn auch nur darin erzählt wird, wie jemand aus seiner Wohnung in ein Kaffeehaus geht und unterwegs in einen Rinnstein fällt, so werden jetzt die allerunbedeutendsten, insipidesten Gegenstände unter der Rubrik Genrebilder gemalt, und der Name muß alles entschuldigen.
Woher dieser Name kommt, weiß ich nicht; ich vermute, man nennt, wie den Hain lucus a non lucendo Lucus a non lucendo – der Wald heißt lucus, weil es darin nicht leuchtet (non lucet), dunkel ist. Nach Lact. Placidus zu Statius Achilleis 3, 197 ist ein Grammatiker Lykomedes der Autor des Wortspiels. Anm. d. Herausgebers. Genrebilder solche, die zu keinem bestimmten Genre gehören. Der Ausdruck ist neu, früher nannte man die meisten dahin gehörigen Bilder Konversations- oder Gesellschaftsstücke, und unterschied viele andere, die man jetzt dahin rechnet, durch besondere Namen, z. B. Bataillenstücke usw.
Was die Landschaftsmalerei sei, geht schon aus dem Namen hervor. Sie ist, wie A. Kestner in seiner Abhandlung: »Wem gehört die Kunst,« sagt: »in der Malerei das, was die Instrumentalmusik in der Tonkunst ist.« Man rechnet dazu auch die Architekturmalerei.
Die Landschaftsmalerei hat, wie der Name sagt, Landschaften, Gegenden zum Gegenstande, und diese sind entweder wirklich existierende Gegenden, deren Darstellung man Veduten nennt, oder von der Phantasie des Malers erschaffene.
Die Vedute ist die jetzt vorzüglich häufige Art der Landschaftsgemälde. Die älteren berühmten Landschaftsmaler, z. B. Claude le Lorrain, Poussin usw. malten fetten Veduten. In neuerer Zeit, namentlich seit Hackert, Philipp Hackert (1737 – 1807), der von Goethe so seltsam überschätzte Vertreter der Veduten- und Prospektenmalerei. Anm. d. Herausgebers. hat die Vedute so überhandgenommen, daß die komponierte Landschaft, zu der doch natürlich mehr Kunst gehört als zur Vedute, fast ganz verdrängt ist. Der Kenner hat dieses sehr zu bedauern und seine Sehnsucht nach komponierten Landschaften auszusprechen.
Der Hauptgrund, weßhalb jetzt fast nur Veduten und fast gar keine komponierte Landschaften gemalt werden, ist der, daß wie jetzt überall im Leben, so auch in der Kunst das Nützlichkeitsprinzip vorherrscht. Die wenigsten Bilder werden um ihrer selbst willen gemalt, die wenigsten um ihrer selbst willen bewundert und gekauft. Für die Kunst sind jedoch Jeremy Benthams Prinzipien Jeremy Bentham, britischer Rechtsgelehrter, bekannt als Begründer der Nützlichkeitsphilosophie, des Utilitarismus (1748 – 1832). Er schrieb zum Problem einer vernunftgemäßen Gesetzgebung » Introduction to the principles of moral and legislation« (1789, deutsch Köln 1833). Er wollte das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl auf dem Nutzen als Grundlage der Moral und des Rechts. Anm. d. Herausgebers. nicht sehr zuträglich. Eine Vedute findet immer Freunde, die komponierte Landschaft selten. Eine Vedute ist doch eine angenehme Erinnerung für den, der die dargestellte Gegend kennt, der vielleicht selbst an Ort und Stelle war. »Da in jenem Hause mit dem Vorbau habe ich logiert, es war ein hübsches Hausmädchen dort im Hause. Aber die Fensterladen warm damals noch nicht grün angestrichen. Dort jenen Turm habe ich auch erstiegen, zugleich mit zwei jungen rothaarigen Engländerinnen, von denen die eine ihr Album über das Turmgeländer hinunterfallen ließ. Ich holte es ihr wieder, weßhalb mich ihre dicke Mutter zum Tee einlud.« – Solche Erinnerungen hört man viel. Ein anderer hat Verwandte oder Freunde da wohnen, und für den hat die Vedute deshalb Interesse. Und wer noch nicht an Ort und Stelle gewesen, der lernt die Gegend jetzt kennen, und bereichert so seine geographischen Kenntnisse. Daß Heidelberg an einem Flusse liegt, über den eine große Brücke führt, wußte ich lange vorher, ehe ich mich an Ort und Stelle davon überzeugte. Mancher erspart durch eine Vedute sich die Reise; er sagt: »Was ich dort in natura haben kann, habe ich hier im Bilde und spare die Mühen und Kosten der Reise.« Andere aber, und zwar die Meisten, empfangen erst die Lust, die Reise zu machen. »Nächsten Sommer wollen wir, will's Gott, auch hin,« sagt der Mann zur Frau. – Seit Hackerts Zeit, wo die Anzahl der italienischen Veduten, und seit Schütz, Gemeint ist Christ. Georg Schütz. Goethe spricht in seiner »Reise am Rhein, Main und Neckar, 1814 und 1815« wiederholt von ihm. durch den die Rheinansichten so sehr zugenommen, sind die Reisen nach Italien und an den Rhein auch häufiger geworden.
So darf bei der Vedute der Maler eher auf Käufer rechnen, als bei der kombinierten Landschaft, bei der alle diese Erinnerungen, Hoffnungen usw. wegfallen. Was soll man mit einer Gegend, die doch nicht existiert? Wenn die kombinierte Landschaft nicht gut ist, ist sie gar nichts wert; die Vedute dagegen ist, ganz abgesehen vom Kunstwerte, des dargestellten Gegenstandes wegen, gesucht und geschätzt, sie hat, möchte man sagen, Bruchwert.
Obgleich in der weiter unten folgenden Phraseologie auch auf Landschaften Rücksicht genommen ist, so will ich doch gleich hier einige Wörter beibringen, welche der Kunstkenner bei Beurteilung von Landschaften viel braucht. Das sind erstlich die Gründe. Diese haben mit der Logik nichts zu schaffen, wie der Kunstkenner überhaupt nicht, sondern bedeuten Vorder- oder Vor-, Mittel- oder Hintergrund der Landschaft. Was das sei, wird man vom Theater her wissen. Sodann redet er viel von der Schönheit der Linien, der Massen, von der Beleuchtung, dagegen braucht er den Ausdruck Baumschlag selten, weil derselbe sehr bekannt und beinahe außer Mode ist.
Wie zur ganzen Malerei, so gehört vorzüglich zur Landschaftsmalerei Kenntnis der Perspektive. Mit dieser ist es gerade wie mit dem Zeichnen der Fall, sie ist sehr schwer, deshalb verstehen nur wenige Künstler etwas davon, Kunstkenner gar nichts. Da man aber doch nicht umhin kann, darüber zu urteilen, so decke man sich dabei den Rücken und rede nur im allgemeinen davon, z. B. daß sie zur Malerei sehr notwendig sei, und daß man sich vor Fehlern darin hüten solle. Es gibt Luft- und Linienperspektive. Luftperspektive ist die Veränderung der Farbe welche die Gegenstände, je nach dem Grade ihrer Entfernung vom Auge, erleiden. Ein in einer Landschaft fern am Horizonte liegender Berg z. B. wird in der Regel mehr oder minder blau erscheinen, wie das hiesigen Orts der Deister auch regelmäßig zu beobachten pflegt. Stellte nun ein Künstler einen solchen mit den Farben dar, die wir an ihm sehn, wenn er nahe vor unserm Auge liegt, so würde das ein Fehler gegen die Luftperspektive sein.
Wie die Luftperspektive die Veränderung der Farbe bezeichnet, hat die Linienperspektive die Veränderung der Linien zu bestimmen. Die Linienperspektive gerade ist es, die so schwer ist. Es gehören so verflucht positive Kenntnisse dazu. Darum bleibe der Kenner davon und hüte sich vor ihr. Im allgemeinen, wie gesagt, rede man etwas darüber, aber nur in sehr unbestimmten Ausdrücken; es verleiht einen bedeutenden Nimbus über Perspektive zu reden. Einige terminos technicos der Perspektive will ich hier beibringen: horizontale Linien, vertikale Linken, Augenpunkt, Horizont, Froschperspektive, Vogelperspektive, Da oben angegeben worden, die Luftperspektive bestimme die Veränderung der Farbe, die Linienperspektive die der Linien, so könnte vielleicht jemand auf die Idee kommen, die Frosch- und Vogelperspektive bezeichne die Veränderung der Frösche und Vögel. Das ist aber keineswegs der Fall, sondern diese Ausdrücke bedeuten etwas ganz anderes. Aus der Froschperspektive ist etwas gezeichnet, wenn der dargestellte Gegenstand höher ist als der Standpunkt des Zeichners und also auch des Beschauers; aus der Vogelperspektive, wenn umgekehrt der Darsteller (und Beschauer) höher stand, als der dargestellte Gegenstand. Anm. d. Verfassers. gerade Linien, schiefe dito usw. Damit hat man genug, und wer diese Ausdrücke gehörig zu gebrauchen weiß, wird schon für einen tüchtigen Kenner der Perspektive gelten. –
Eine vierte Hauptgattung der Malerei ist die Portraitmalerei. Unter allen Gattungen der Malerei ist diese fast zu allen Zeiten vorzugsweise begünstigt worden, aus leicht begreiflichen Gründen, auch wie Sulzer sagt, »darum weil diese Malerei ein sehr kräftiges Mittel ist, die Bande der Hochachtung und Liebe nebst allen anderen sittlichen Beziehungen zwischen uns und unseren Vorältern, und den daher entstehenden heilsamen Wirkungen auf die Gemüter zu unterhalten.«
Ein Portrait gut zu beurteilen ist sehr schwer. Über den Gegenstand, Kombination und dergleichen innere Beziehungen kann man nicht urteilen, denn das ist etwas gegebenes, um das der Künstler nicht umhin kann, dessen er nicht schuldig ist, das er nicht zu verantworten hat. Es bleibt also nur Beurteilung der Technik, und eine solche Kritik hat immer ihr Mißliches; man darf wenigstens nicht zu sehr in's Detail gehen. Der Kenner wird daher wohl tun, sich doch, soviel möglich ist, in jenen innern Beziehungen umher zu treiben, von malerischem und unmalerischem Kostüm u. dgl. zu reden, auch sich wohl etwas weiter über Kostüme zu verbreiten und z. B. zu bemerken, daß das Kostüm dem Portraitmaler oft sehr hinderlich sei, daß im 16. Jahrhundert die Maler es gut gehabt hätten, das Kostüm sei damals sehr kleidsam gewesen, meistens schwarz, weshalb das Hauptlicht auf den Kopf gefallen, jetzt aber sei es höchst unmalerisch usw. Auch kann man hier etwas über Fracks und Mantel und Blusenärmel anbringen.
Hüten muß sich der Kenner vor solchen Phrasen über eine Portrait, die alle Welt kennt und gebraucht. Nimmt er die in den Mund, so verläßt er gewissermaßen seine höhere Würde und wird nur ein ordinärer Mensch. Ich rechne zu diesen Phrasen namentlich jene Lobeserhebungen eines Portraits: »es träte zum Rahmen heraus, es wäre ordentlich sprechend ähnliche es kuckte einen überall an, wo man auch stände« u. dgl. m. Ost wird der Kenner freilich nicht umhin können, diese Ausdrücke zu gebrauchen, dann muß er sie aber stets neutralisieren, z. B. dadurch, daß er hinzusetzt: wie man zu sagen pflegt, oder dgl., als: »Ein vortreffliches Portrait! es tritt, wie die Leute wohl sagen, ordentlich zum Rahmen heraus!« usw.
So wie es nun sehr schwer ist, über ein Portrait ein gutes Urteil zu fällen, so ist es beinahe ebenso schwer, ein gutes Portrait zu malen. Das Portrait soll nicht bloß die äußere Gestalt, es muß die ganze Individualität einer Person uns vor Augen bringen. Es ist aber mit den gemalten wie mit den geschriebenen Schilderungen einer Person. Wie es deren sehr verschiedenartige gibt, z. B. die Schilderung durch Steckbriefe und eine andere wie sie Shakespeare oder ein anderer großer Dichter uns von einer Person gibt, so sind auch die Portraits sehr verschiedener Natur. Die gemalten Steckbriefe sind freilich die häufigsten. Eine besondere Abteilung der Portraits ist die in männliche und weibliche. –
Die übrigen Gattungen der Malerei seien hier nur ganz kurz erwähnt, so die Tiermalerei, früher vorzüglich in den Niederlanden heimisch, von der die jetzt sehr favorisierte Pferdemalerei ein Zweig ist.
Eine andere Art der Malerei ist die Darstellung von Gegenständen aus dem Pflanzenreiche, als Blumen- und Fruchtstücke. Ferner die sog. Stilleben, Bilder, auf welchen mehrere Gegenstände, aber nicht der Natur, also nicht z. B. Blumen und Früchte, sondern der Kunst, z. B. Instrumente irgend einer Art, musikalischer oder Maler-Apparat auf eine gefällige Art gruppiert, dargestellt sind. Diese Art Bilder ist jetzt sehr aus der Mode.
Zur Malerei im weiteren Sinne gehören auch jene vervielfältigenden Künste, nämlich Kupferstich, Steindruck und Holzschnitt.
Der Kupferstich (und Stahlstich) sucht durch Schatten und Licht die Wirkungen eines Gemäldes zu erreichen. Über die verschiedenen Arten der Kupferstecherkunst sehe man das Konversationslexikon nach. Zu den Kupferstichen gehören auch die sog. Radierungen, für die der Kenner, namentlich wenn sie von berühmten Künstlern, wie z. B. Rembrandt, Ruysdael, Waterloo usw. herrühren, ein ganz besonderes Tendre hegen muß, dessen Grad sich nach dem Rare, très-rare und extrêmement rare des Bartschschen Peintre-Graveur Adam Ritter v. Bartsch, Kupferstecher und Kunstschriftsteller (1757 – 1821). Sein Hauptwerk »Peintre-Graveur«, das auch von Goethe viel benutzt wurde, erschien Wien 1802 – 1821 in 21 Bänden; neue Ausgabe Leipzig 1866 – 1870. Trotz großer Lücken noch heute maßgebend für die Verzeichnisse der Kupferstichsammlungen und der Auktionskataloge. Anm. d. Herausgebers. abmißt.
Der Steindruck oder Lithographie, Kunstkenner schreiben auch wohl Lythographie, ist eine Erfindung neuester Zeit, zu welcher der einfache chemische Prozeß, daß Fett das Fett annimmt, aber das Wasser weder das Fett noch das Fett das Wasser, auf die allerscharfsinnigste Weise benutzt worden. Der Kenner darf nur wenig Wert auf den Steindruck als selbständige Kunst legen, muß vielmehr jammern, daß der Steindruck den Kupferstich gänzlich zu verdrängen drohe.
Der Holzschnitt, die älteste dieser drei Künste, wird dagegen vom Kenner mit besonderer Vorliebe begünstigt, doch gilt dies nur dem ältern Holzschnitte aus den früheren Jahrhunderten. Damals ward derselbe fleißig geübt, später verfiel er. Unger in Berlin machte im vorigen Jahrhundert einige Versuche, ihn wieder zu heben, dies ist aber erst in neuester Zeit durch Gubitz Fr. Wilh. Gubitz (1786 – 1870) Volksschriftsteller und Publizist, war zuerst Holzschneider und als solcher seit seinem 19. Lebensjahre Lehrer an der Kgl. Akademie bis an sein Lebensende. Er brachte in Deutschland die damals von Bewick in England wieder erweckte Xylographie zu neuen Ehren. Zusammen mit Joh. Friedr. Unger (1750 – 1804), der, seit 1800 als Professor der Holzschneidekunst in Berlin, nicht unbekannt ist durch die heute noch beliebte Unger-Frakturschrift. Anm. d. Herausgebers. und die Engländer gelungen, welche die ebenso einfache als langweilige Technik desselben vervollkommneten und erleichterten.
Nachdem nun auf diese Weise oberflächlichst eine gedrängte Übersicht des ganzen Feldes der Kunst zu geben versucht worden, eine Übersicht, die leicht aus den zugänglichsten Büchern, z. B. Konversationslexikon, ergänzt werden kann, komme ich zum eigentlichen Zwecke, nämlich einer Anleitung zur Kunstkennerschaft.
Wie ich bereits oben erwähnt, besteht dieselbe in einer Phraseologie als dem leichtesten Mittel, eine Sprache oder Wissenschaft schnell zu lernen. Die Kunstkennern ist aber keine Wissenschaft, sondern nur eine Sprache, ungefähr wie die ihr sehr ähnliche Kochemersprache, von der Pfister eine Phraseologie Pfister, Phraseologie der Kochemer-Sprache, –es ist nicht mehr festzustellen, welches Werk Detmold hier meint. Anm. d. Herausgebers. geliefert hat. Das Erlernen der Kunstkennerei hat aber wesentlich etwas vor dem Erlernen anderer Sprachen voraus. Wer nur durch eine Phraseologie z. B. Englisch lernt, wird diese Sprache nur sehr oberflächlich verstehen, den Geist derselben wird er gewiß nicht erfaßt haben. Mit der Kunstkennerei ist es ein anderes. Die besteht nur in Phrasen. Wer die nachfolgende Phraseologie also gehörig in succum et sanguinem vertiert hat, der ist ein Kunstkenner, so groß, so wahr er nur hier in Hannover, so groß er in Deutschland existiert. Tiefere mühselige Studien gehören nicht zum Kenner, nichts als Phrasen; besonderen Talentes bedarf es nicht dazu, nur einer flinken Zunge; es gehört nicht einmal Kopf dazu, nur etwas Gedächtnis; viel gesehen zu haben ist auch nicht nötig, er braucht nicht mehr gesehen zu haben als diese Phraseologie; nur blöde darf man nicht sein.
Ich habe einmal gelesen, der berühmte Vaucanson Jacques de Vaucanson, Mechaniker (1709 – 1782), Webmaschinenerfinder und Konstrukteur sonstiger Maschinen. Anm. d. Herausgebers. habe, außer seiner Ente, welche bekanntlich gegessen, verdauet und geschnattert wie eine natürliche Ente, auch einen Kunstkenner angefertigt, der ebenfalls wie jene Ente, zwar nicht verdauet, aber doch geschnattert, gerade wie ein natürlicher Kunstkenner. Derselbe war auf sieben Kunsturteile gesetzt, und soll so täuschend gemacht gewesen sein, daß ihn viele Leute nicht bloß für einen wirklichen, sondern auch für einen lebendigen Kunstkenner gehalten. Späterhin nach Vaucansons Tode soll sich derselbe emanzipiert, sogar den Titel Kommerzienrat und einen Orden erhalten, in bedeutendem Ansehen als Kenner gestanden haben und von niemandem für ein Automat erkannt worden sein. Ich glaube diese Geschichte nur teilweise.
Wenn man auch nichts als Phrasen zur Kunstkennerschaft gehören, so darf man doch nicht verächtlich auf ein Wissen blicken, das nur in Phrasen besteht; eine gute Phrase ist ein kostbar Ding. Ich könnte hier manches anführen zum Lobe guter Phrasen; ich will aber nur auf den Ausspruch eines unserer geistreichsten Landsleute, nämlich des ehemaligen Friedensrichters Robert Schaal Auf welche Persönlichkeit Detmold hier anspielt, konnte nicht mehr festgestellt werden. Anm. d. Herausgebers. hinweisen, welcher also lautet: »Gute Phrasen sind und waren sicher stets sehr empfehlenswert.«
Nun noch einiges über den Gebrauch dieser Phraseologie.
Sie enthält Phrasen aller Art, Phrasen mit Urteil und Phrasen ohne Urteil, Urteile mit Lob und Tadel und ohne Lob und Tadel, und Urteile mit Lob und Urteile mit Tadel, ausführliche und allgemeine, Empfindungen und Gefühle, – kurz, man wird nichts vermissen.
Ich hatte anfangs die Absicht sie in bestimmte Abteilungen zu ordnen, als lobende, tadelnde usw., es ist dies aber unterblieben, weil ich es für eine nützliche Aufgabe für den Scharfsinn des sich erst bildenden Kunstkenners halte, die Phrasen selbst zu sortieren und die einzelnen Klassen zu seinem Gebrauche herauszusuchen.
Es bedarf wohl nur eines Fingerzeiges, um darauf aufmerksam zu machen, daß aus den hier gegebenen Urteilen, da sie aus den stereotypen Phrasen und Ausdrücken bestehen, eine Unzahl weiterer Urteile von jedem Charakter zusammengesetzt werden kann. Wie man bereits eine Kunst hat, durch den Würfel Gedichte, Predigten und Tänze zu verfertigen, so würde es noch viel leichter sein, durch den Würfel Kunsturteile zu kombinieren. Andere mögen diese Ideen weiter ausführen, mir genügt es, darauf hingewiesen zu haben.
Da es manchem schwerfallen möchte, die folgenden Phrasen ganz oder zum Teil auswendig zu lernen, so kann man sie auch als Devisen für Bonbons besonders abdrucken lassen und dann durch zweckmäßige Anwendung dieser Bonbons, und indem man auf diese Weise das utile dem dulci verbindet, die Phrasen unvermerkt auswendig lernen.