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Darum sei ihm und seinen vorbildlichen Kretins der Vortritt gelassen.
Mythengestalten haben die Gabe zu wachsen, den ganzen Ablauf der Historie hin sich zu erneuern. Welche Züge konnten nun die Jahrtausende »Iwanuschka dem Dummkopf« hinzufügen? Bei der ununterbrochenen inneren Stagnation dieser essenzlosen russischen Masse eigentlich keine; die Vorhandenen versinterten lediglich zu Infantilismus: vergreister Unreife, mit ihren beiden wichtigsten Merkmalen: Exhibitionismus, der Entblößungssucht, und Koprophilie: Fäkalienwollust. Beides Orgasmusersatz dem Kretin. Wo in der russischen Literatur der neue Messias auftaucht, fehlen diese Züge fast nie, ja er besteht im wesentlichen aus ihnen, fordert diese pathologische Fixierung als Weltprogramm auch von der übrigen, voll erwachsenen Menschheit als erstes und oberstes Gesetz. Schleierlos gesprochen gehört der russische Allmensch in die infantile Pornographie. Ganz unverfälscht wieder bei Tolstoi, etwa als Standard-Idiot und Fäkalienschaufler Akim, der Held in »Macht der Finsternis«.
Akim: »tja, also ... ich habe also ... tja ... also, ich habe eine hübsche Arbeit ... hab' ich in der Stadt bekommen, nämlich ... eine passende Arbeit ... also ... tja«.
Matrjona (seine Frau): »'ne feine Arbeit, die Gruben reinigen. Als er neulich nach Hause kam, da mußt ich brechen, in einem fort brechen ...«
Akim: »das ist wahr. Im Anfang ist es so, tja, da benimmt's einem ... tja ... den Atem ... aber man arbeit' ... also sich ein, also das macht nichts.«
Nun das Weltbild des Allmenschen.
Akim: »tja, das sind Zeiten. Also ... tja. Ich hab' doch jetzt die Abtritte da in der Stadt gesehen ... alles glatt, wie poliert ... tja ... fein wie so'n Rostaurant herausgemacht. Ach Gott, und das alles zu nichts, zu gar nichts. Ach, Gott hat man vergessen. Jawohl vergessen hat man Gott. Wir haben Gott vergessen, verstehst du! Gott haben wir vergessen ...«
Dies die Koprophilie: Fäkalienwollust, wer sie ihm durch Wasserspülung entzieht, ist gottlos und böse. Daher Tolstois Wut und Kreuzzug gegen jede reinigende Kultur. Zum andern Teil besteht der Allmensch immer aus der zweiten infantilen Komponente: dem Exhibitionismus, der Aufzeigewollust. Nikita, der Sohn des Alten, hat mit Hilfe der Mutter seinem unehelichen Kind gleich nach der Geburt mit einem Brett den Kopf zerquetscht und es im Keller verscharrt. Nun, bei der Hochzeit der Geliebten, verlangt ihn plötzlich, jenes Verbrechen öffentlich vor den Hochzeitsgästen zu bekennen, außer sich selbst auch Mutter und Geliebte zugrunde zu richten, wozu er kein Recht hat. Die Mutter versucht ihn zurückzuhalten.
Akim (wehrt mit den Händen ab): »Halt, ihr meine Lieben, tja, halt, also.«
Gegen den Polizeiwachtmeister: »Du da, also, tja, die blanken Knöpfe. Tja, also, halt, laß nur tja, also tja, er will sprechen.«
Polizeiwachtmeister: »Du Alter, paß auf, misch dich nicht drein. Ich muß Protokoll aufnehmen.«
Akim: »Tja du, tja halt! Hörst mich? Laß du, tja, also, laß dein Protokoll. Hier tja, hier geht's um Gott ... ein Mensch will Buße tun, also und du, tja, mit deinem Protokoll ... Laß erst Gottes Sache zu Ende, also, dann also, kannst du tja, deins aufnehmen.«
Nikita: »Warten Sie, Herr Polizeiwachtmeister, lassen Sie mich zu Ende sprechen!«
Akim: ( in Verzückung) Sag', Kind, sag' alles aus ... tu Buße vor Gott ... Gott da! Gott da! Der ist es ...
Und wie Kinder ihren Schurz vor jedem Passanten hochheben, so klagt sich auch der alte Tolstoi in exhibitionistischer »Verzückung« jahrelang öffentlich aller Todsünden an, schwelgt vor allem Volk im »Bekennen«, »Buße tun«, »seine Blöße aufdecken«, und wie eben sonst noch infantiler Orgasmusersatz in der christlichen Terminologie heißt.
Beim Menschen kostbarsten Ranges sublimiert sich ein Überschuß seines entfalteten Eros zu allem, was Irdische je und je an Schönheit in die Sterne schrieben; alles vom Parthenon bis zur neunten Symphonie ist Vollerotik, transponiert in eine andre Tonart des Wunders oder des Genies. Der russische Allkretin, das Ideal vergreister Unreife, kann immer wieder nur seine infantil verkümmerte Erosform, eben jene heimliche Lust und Unart des »Schürzchen-Hebens« transformiert weiter lallen als ethische Forderung »alles aufzudecken«, »öffentlich seine Schuld zu bekennen« ... Dies kindische Laster wird im wörtlichsten Sinn – »apokalyptischer« Teil des Panslawismus; bei Tolstoi ganz offen, bei Dostojewski weit verschlagener.
»So ihr nicht umkehret und werdet wie die Kindlein« deutet sich die Muschikmessiade zum kategorischen Welt-Imperativ seelischen Schurzlüftens, denn auch die Seele hat ihre Schamteile, doch gerade diese, nur diese entschleiert ein Wohlgeratener nie ganz, auch in der liebsten Stunde nicht dem liebsten Menschen und erst recht nicht auf der Folter und schon gar nicht »vor allem Volk«. In der russischen Literatur hingegen wird so hartnäckig wie zudringlich »alles aufzudecken« rastlos angepriesen, dann erfolgt ganz automatisch jene wohlbekannte, allerdings recht infantile »Erlösung«.
In »Krieg und Frieden«, Tolstois berühmtestem Werk, stehen gleich zwei Leitidioten russischen Menschentums: der Generalissimus Kutusow, rinnäugig, senil schnaufend, unsauber und der Muschik Platon Karatajew wider die gedunsene Null Napoleon, diesen Jammerkerl, der sich, in Tolstois Augen das Nadir an Verworfenheit, den weißen Leib täglich – jawohl täglich – mit Eau de Cologne abreiben läßt.
Platon hingegen: »neben ihm (dem Grafen Pierre) saß zusammengekrümmt ein kleiner Mensch, dessen Anwesenheit Pierre zuerst an dem starken Schweißgeruch wahrnahm, der von ihm bei jeder Bewegung ausging.« Für Kenner russischer Literatur stets ein Zeichen, daß nunmehr die Zeit erfüllet und das Messianische nahe sei.
Schon dem Römer des sechsten, dem Araber des zehnten Jahrhunderts war ja dieses nationale Odeur aufgefallen: »bedeckt mit Kot und Schmutz erscheinen sie ohne alle Reinlichkeit in zahlreichen Volksversammlungen.« »Sie sind die unsaubersten Leute, die Gott geschaffen hat. Sie reinigen sich nicht, wenn sie ein natürliches Bedürfnis verrichten und waschen sich ebensowenig, wenn sie sich nächtlich befleckt, wie wenn sie wild herumlaufende Esel wären.«
So treu ist das Blut. Nur ahnten jene verblendeten Heiden noch nicht, mit welcher Andacht gewisse literarische Vorbeter des zwanzigsten Jahrhunderts den koprophilen Offenbarungen aus eben jener Emanation entgegenbeben würden, und deuteten sie einfach als mangelnde Stubenreinheit.
Platon Karatajew, der Allmensch, emaniert und betet: »Herr Jesus Christus, heiliger Nicola, Frola und Lawra, Herr Jesus Christus, heiliger Nicola, Frola und Lawra, Herr Jesus Christus, erbarme Dich unser und rette uns.« Oder er redet Spruchweisheit: »der Mensch denkt und Gott lenkt. Gott, laß mich schlafen wie ein Stein und morgen frisch wie'n Kuchen sein. Versprechen und Halten ziemt Jungen und Alten. Macht dir auch 'ne Krankheit Not, Gott schickt nicht sogleich den Tod.«
Dann folgt die exhibitionistische »Erlösungsphase« in Form von Fibelschund, eine Geschichte sechsmal in immer gleicher »Verzückung« wiederholt, wie ein »arger Bösewicht« in Sibirien schließlich »öffentlich seine Schuld bekennt«, damit ein Unschuldiger nicht länger für ihn die Strafe der Deportation verbüße. Alles klebt rundum von gezuckerter Kondensmilch frommer Denkungsart, wie sie heute sonst nur noch in Missionsanstalten eingedickt zu werden pflegt, zum Export nach besonders dunklen und anspruchslosen Breiten.
Auch bei dieses Platon Jünger, dem Grafen Pierre (Tolstoi selbst) bricht alsbald die russische Gottträgerschaft aus: »das wirre, von Läusen wimmelnde Kopfhaar hatte jetzt das Ansehen einer Mütze – – – Pierre blickte – – – nach seinen nackten Füßen, wobei er seine großen, dicken, schmutzigen Zehen hin und her bewegte, jedesmal wenn er sie ansah, lief über sein Gesicht ein Lächeln heiterer Befriedigung.«
Und nun sollte man vermeinen, erhübe sich doch endlich auch das, worauf es als Kriterium der Begnadung schließlich ankommt, die Apotheose der Verlausung, das, wozu sie als dichterische Folie dienlich war, nämlich jener taumelnde Lerchenwirbel herab vom Rand der Glorie; die Cantilene des Rosenrot, da der Seele das cherubimische Gefieder wächst zur Gottesbalz und Geistesüberfahrt in ein »gottförmig Wesen, wo der Mensch über Raum und Zeit ist – – in minniglicher Schauung vergangen – – von dem überwesentlichen Geiste begriffen in das, wohin er aus eigener Kraft nicht kommen könnte«, wie wir es an den Tauler, Eckhardt, Suso, Boehme erkannt: Mystikern, nicht Idioten.
Denn was sind »Einfalt«, »Armut«, »Aussatz« in der Sprache des Entrückten anders, als Hilfen zur Überdehnung des ekstatischen Spannbogens und besagen: wer in feurigen Zungen aus sich hervorsprechen gehört, dem verstammelt zu Einfalt alle Weisheit dieser Welt, und wer mit dem Kleid der Glorie angetan, dem wird auch holdester Leib das zur Vollendung in andere Dimension hinein Verlassene: ein armer und ausgesetzter Rest. Mystik selbst aber wurzelt in eben jenem »überwesentlichen Geiste«, nicht in Humusschicht auf Menschenhaut. Obwohl – nicht weil der Myste schmutzbedeckt, mag er vergottet sein. Den Grad der Erleuchtung einfach am Grad der Verlausung ablesen zu wollen, ist lediglich Gewohnheitsrecht derer, denen direktes Maß an Geistiges zu legen nicht gegeben ward.
Um jedoch bei der, nun einmal üblichen Symbolik für Minderbemittelte zu bleiben, so sind die Erleuchtungen im Falle des Grafen Pierre keineswegs derart, daß sie nicht noch ganz gut mit einem Fußbad hätten zusammenbestehen können. Er wird lediglich passiv guter Zuhörer und folglich allerseits beliebt, wie jeder russische »Held« nach der Läuterung, er sei von Dostojewski, Tolstoi, Ljeskow oder einem andern. Auch das hängt wieder aufs engste mit der Ursterilität alles Russentums zusammen; jener Unfähigkeit, schöpferisch zu strahlen, mit heroischer Magie neue Zielsetzung aus dem Nichts zu keimen als Gestalt, als verdichtete, sichtbar gewordene Qualität. Ist einer zum russischen Allmenschen avanciert oder retiriert, muß er sich daher von nun an möglichst ruhig verhalten, lediglich zuhören, damit man nichts mehr von ihm höre, sonst käme es ja unfehlbar heraus, daß ihm eigentlich gar nichts passiert, daß er Begnadung nur als Mimikry, Sado-Masochismus bei Dostojewski, Fäkalien und Aufzeigewollust bei Tolstoi hingegen reichlich als Selbstzweck getrieben und da wie dort sentimental versintert ist.
Auch bei des Grafen Pierre Frau, der einst hochnervigen, dunkelbeschwingten kleinen Natascha kommt rasch alles in rechte Ordnung und Tolstoisches Geleise. Nicht objektiv – als großer Künstler, einfach das Leben schildernd ohne eigenes Ja und Nein – vielmehr ein Dogmatiker, demonstrativ aufatmend und breit befriedigt, zeigt sein klobiger Finger sie uns nach wenig Ehejahren, salopp in der Sprache, mit Dragonerschritten nur gerne zu jenen hinstapfend, denen sie »in Nachtjacke und ungekämmtem Zopf« triumphierend »eine Windel mit einem gelben, statt eines grünen Flecks« entgegenschwenken konnte.
»Natascha hatte auch sofort alle ihre Reizmittel beiseite geworfen, von denen das wichtigste bei ihr der Gesang gewesen.«
Und nun wird schadenfroh bewiesen, dies sei nachahmenswert, vernünftig, ja einzig moralisch. Denn wie man auch nur ein Mittagessen zu sich nehme, so als Mann auch nur eine Frau, als Frau nur einen Mann. Natascha hatte den ihren, brauchte sich weiter um kein »zweites Mittagessen« bemühen, wozu also noch Anmut, Schönheit, Zucht, Form, Musik.
Endlich ist das Ziel dogmatisch vergreister Unreife erreicht, jeden Anspruch drohender Vollerotik und ihre Auswirkungen zu einer Art Mittagessen mit seinen bekanntlich problemlos bequemen Folgefunktionen restlos auf immer eingeschränkt zu haben.
Denn nichts haßt und fürchtet der Infantile oder in toten und schimpflichen Infantilismus Zurückgekrochene tückischer, als den holden und schrecklichen Herrn der Gestalt.
Antike Weisheit nennt ihn der Götter ernstesten und ersten, Eros, der mit seinen beiden gnadelosen Händen: Liebe und Haß in die Materie greift, ihr Oben und Unten, Rechts und Links einstrahlt in Adern aus weißheißem Blitz; der Augen aus dem Finstern zieht und Ohren aus der Stille ruft und Zungen aus der Stummheit bricht, mit denen das Chaos Ich sage, um diese Iche, zu Zucht und Bürde der Selbstvollendung entbrannt, nun so schön und genau, so gerade und rein wie möglich bis in ihre äußersten Enden zu geleiten. Denn jedes dieser kleinen Iche, am Band der Zeit entrollt, wird alles, was es weiß und kann, nur wieder in des holden und schrecklichen Herrn der Gestalt beiden gnadelosen Händen.
Abwehr und Wut des anerotischen, daher der Lustprämie nie teilhaften Tolstoi, ein Leben lang, gegen das durchnervt, durchnetzt, durchglutet, durchrüttelt werden in jede Faser hinein vom Anspruch dieser mitleidlosen Griffe, mündet ins Mucker- (oh, nicht Satyr-)Spiel von Jasnaja-Poljana, dem eine verdutzte Herde hereingefallener Zeitgenossen viel zu ernst, statt hell belustigt beigewohnt.
So retiriert Tolstoi in die grobe Trägheit seiner Bauernarbeit, in die Feigheit vollen Werkeltags, vor der weißen Drohung des unbarmherzigen Gestrahls und duldet, zurückgekrochen in messianischen Infantilismus, nichts mehr um sich, was wärmer als Dung und Nächstenliebe. Als früher Christ und kragenlos, in der bequemen Muschikbluse, läßt man alsdann, vom livrierten Lakaien, der allerdings der Gentlemanmühsal eines weißen Selbstbinders noch nicht entraten darf, dem »Herrn Grafen« die amerikanischen Interviewer melden.
Von je, schon in der »weltlichen Periode«, sitzt er vor allen Erosdingen so hilflos linkisch fehl am Ort, wie nach des Sohnes Schilderung am Klavier vor der Musik: »seine unentwickelten Finger gehorchten ihm nur schwer, so beugte er sich nach allen Seiten, schwitzte – – –«. Glinka, Schumann, Grieg, ein paar ganz leichte Sonaten, Märsche, belanglos mittlere Banalität, Mozart wahllos mitten inne und darum fehl am Ort, was eben »seine unentwickelten Finger« und Fähigkeiten gerade noch erfassen können, wird von hier aus zum Weltkanon des überhaupt Erlaubten. Was ihm zu schwer ist darf nicht sein, kommt in den Bann. Wagner natürlich, doch schon Beethoven, »weil er nur einer kleinen Anzahl Menschen verständlich sei und man bereits einigermaßen in der Musik bewandert, also seinen Geschmack verdorben haben müsse, um ihn zu verstehen, da seine Werke zu viel Gekünsteltes aufweisen.« Und wieder ausdrücklich von Beethovens Kunst wie von jeder entwickelteren Musik und Dichtung heißt es weiter, daß sie »ausschließlich auf falschen Wegen ruht, weder Bedeutung noch Zukunft hat im Vergleich mit jenen Forderungen, welche wir im Volke finden, völlig nichtig ist, ja lange nicht so gut wie etwa das Lied ›Wankja der Pförtner.‹«
Tschaikowsky, nach Erhalt dieses Muschikoeuvres, konnte nichts darin sehen »als Spuren einer naiven Unschönheit tölpelhaft ausgedrückt«, und enttäuscht von der persönlichen Bekanntschaft Tolstois, in dem er statt eines geistigen Riesen einen riesigen Muschik findet, dabei verbohrt und unduldsam, meidet der, am Weltwesen Geweitete von nun an sein einstiges Idol.
Daß ein Volk Beethoven ablehnt, zeugt also nicht etwa gegen das Urteil dieses Volkes, sondern umgekehrt, Beethoven hat sich an den Kanon »Wankja der Pförtner« zu halten, denn nach Tolstoi »darf ein Kunstwerk nur für schön gelten, entsprechend der Zahl von Leuten, die sich dafür interessieren«. »Kunst hat eine nützliche Arbeit zu sein, kein pflichtloser Genuß«, sonst wird sie so »schädlich und überflüssig wie die Pyramiden«. Welch trefflicher Vergleich. Das ist nicht mehr schlechthin Arroganz aus Ignoranz, wie bei vielen rohen Völkern, hier entpuppt sich bereits die notorische Bosheit des infantilen Idiotenideals. Denn wie an wichtigen Knotenpunkten zuweilen Krüppel – passive Wegelagerer – ihr Gebrest als Verkehrshindernis etablieren, so streckt der russische Allkretin seine Übelgeratenheit als Schlagbaum vor alle Höhenpfade jenseits des Zwecks, um, ungleich dem bescheideneren Kollegen, der nur einen Moment und einen Nickel kostet, alles was frei, kühn, hold in der Linie der Selbstvollendung zu fällen.
Es ist an dem: der einfach Unmusikalische hält sich friedlich still die Ohren zu bei Wellenzügen, die andere entzücken, wer aber aus seinem Defekt eine Mission ableitet, hält sie auch andern zu.
Natürlich aus »Nächstenliebe« für die »Idee der Menschheit«, wie alles ganz Gemeingefährliche und ganz gefährlich Gemeine geschieht auf diesem ausgekegelten Planeten.
Wer: ein Bestgeratener, dem strengen Lied seines Blutes horchend – gehorchend nach gespenstischem Kompaß gehen muß den Schöpferweg der Qualität, welcher stets heroisch, meist tragisch, notwendig irgendwie einzigartig, irgendwie unvermittelbar sich erweisen muß – als niemals noch gelebte Strecke der »Idee« – hat weder Begabung, Zeit noch Lust intolerant zu sein; auch Wichtigeres zu tun, als sich unaufgefordert als Warnungstafel vor fremde Wege aufzupflanzen, und wird deshalb lieblos genannt.
Nun zielt eine dumpfe Hoffart gegen jedes Unbeschwerte, durch neuen Rang Siegreiche, ja tiefster Todhaß Tolstois eben dahin, jene heroische, zugleich nie ganz nachahmliche, doch repräsentative Selbstentfaltung in die Spitzen der Evolution hinein, wo immer er sie nur wittert, beim Ausbrechen zu verklemmen, zu hindern, daß irgend etwas, irgendwo selber hell, hart, herrlich, feurig, hochgemut werde.
Das läßt ihn überall fanatisch auf Wertverminderung aus sein.
Darum: Reduktion von Taten auf Wohltaten!
Reduktion von Leid auf Mitleid!
Reduktion des Gesamtlebens auf Grobfütterung und Kälteschutz.
Vor allem aber Reduktion des Eros, des Herrn der Gestalt, auf primitivste Fortpflanzung, damit er, dort niedergehalten, zu formloser Libido verstumpfe, statt aus problemloser Zeugung heraus sich zu entfalten bis in ihren Gegensatz. Denn Gegensätze werden sie, von einer bedeutsamen Stufe an. Eros als Vollender der Wesen durch Liebe und Haß, lockt, täuscht, schmeichelt, hetzt, küßt, quält sie in unerkühntes Maß hinauf. Fortpflanzung hingegen, schiebt nach billiger Entspannung vorzeitig die Bürde der Selbstvollendung auf kommende Schultern, ja schafft Schultern zum Abladen. Was kühngewillt auf Erden, strebt daher von simpler Befruchtung weg, hinein in die sublime Folter des Eros, hindurch den voll entfachten Farbenbogen aller Sinne, der wahrlich nicht nur aus dem zahmen zuckerrosa Endchen Zärtlichkeit allein besteht, bis in den äußersten Aushauch der Kreatur, bis in die eigenen Enden »ohne Fehl und Bruch«, ohne vorzeitig »müde« zu werden der Idee, bis an jene geheimnisvolle Grenzscheide hin, wo die Phasen sich lautlos austauschen, die Involution beginnen kann und darf, der große Atem das so schön und genau, gerade und rein wie möglich beendete Geschöpf einsaugt aus Werdung zur Entwerdung, in erlauchte und überwesliche Zusammenhänge, aus denen nur noch bisweilen etwas wie äußerstes Nordlicht, wie Beglänztheit und Widerschein in die Region des Geschehens abtropft.
Ehrfurcht vor dem Eros, dem mitleidlosen Prinzip der Evolution, dem Bedränger, dem Jager jeder Kreatur bis in die Spitzen der Gestalt, ist daher Merkmal jedes Menschen, der von solchen Dingen etwas weiß, möge er selbst asketisch leben oder nicht; jene großgönnende, froh rücksichtsvolle Haltung gegen alles, was dinonysischem Ethos angetraut, nach heiligen Spielregeln, sich entzückt und sich zerreißt. Denn das ist schön und das ist wahr und darum nichts für Wehleidige.
Kein Inder wird zu Raja Yoga, dem königlichen Weg mystischer Meisterschaft als Chela (Jünger) angenommen, der nicht vorher mit erotischer Meisterschaft bevorzugt war. Denn nur sie hat gefordert das ganze lebendige Höchstwerk des Körpers und der Seele als ihr Instrument zugleich. Erfordert: Ekstase, Phantasie, Intuition, Genie an jeder Hautpore, in jedem Muskel Takt: der Essenz aller Wollust zu ihrem Ebenmaß und Meisterstück, das Kunst ist über allen Künsten: der vollkommenen Liebesnacht. Erst aus vollendeter Sinnlichkeit wächst der Chela ins Übersinnliche, der »Anfechtung« entreift, sonst wäre es noch Unzucht wider die Natur. Don Juan (nicht der Mozarts) könnte dereinst Chela werden, ein erotisch nie ausbewegter Plebejer, gleich dem heiligen Antonius, nicht.
Nur hier im Eros wird die Qualität des ganzen, unversteckten Ego fraglos offenbar, während hinter einem, von der organischen Persönlichkeit abgelösten, noch so erlauchten Werk als Paravent, Platz ist für allerhand Schäbigkeit. Nur Sein ist direktes Genie. Sein, an Haltung, Wesen, Stimme, Gebärde; Sein, als Strahler, Beleber, Erhöher hat stets das Primat vor dem Werk. Doch gibt es generös Mißratene zuweilen. Mit der Peterskuppel hat ihr Gestalter einen schiefen Wuchs überwältigend beglichen.
Auch der Buddhismus, Asiens »Neues Testament«, wiewohl weltumspannend erfühlt, daher auch etwas welthautdünn, flächlich, wortreich geraten, mißt man ihn an dem kompromißlosen Genie brahmanischer Größe, selbst dieser Buddhismus hat jene wissende Ehrfurcht vor dem Eros im Herzen seines Mythus stehen.
Denn wie der Embryo im Mutterschoß, als eindringliche Erinnerung der Natur, die ganze lebendige Reihe am eigenen Leib zu durchlaufen hat, ehe er aus seinem Gefängnis entlassen wird ans Licht, so geht Gotama Buddha, der Vollendete, vollkommen Erwachte, im Gehäuse seiner allerletzten Inkarnation noch einmal als Gatte durch die volle Sinnenliebe, ehe er sich ins Nicht-mehr-etwas: Nirwana genannt, auf immer entläßt.
Die indischen Rassen, als gesonderte Kasten, in ihrer Qualität bildenden Substanz, zart, stark, fast schlackenrein erhalten, verfügen eben über vorbildlichen Rang des Instinkts, der sie, beim Umschwingen in den Quietismus, eine völlig andersartige Haltung solchen Dingen gegenüber wahren läßt, abgesehen von der Würde, nie und unter keinen Umständen moralisch zudringlich zu sein. Es fehlt hier völlig jeder Eifer eines Geringeren, einen Höheren gewinnen, überreden zu wollen, daß er »in Gott« von ihm sich nicht mehr unterscheide. Ohne einladende Handbewegung wird vor dem Suchenden nur Pfad um Pfad entrollt.
Tolstoi, als Exponent messianischen Muschiktums, stößt nicht durch die Persönlichkeit hindurch ins Überpersönliche, durch vollendete Sinnlichkeit ins Übersinnliche. Er denkt nicht daran durch das Feuer zu brechen, speit nur darnach und drückt sich an ihm vorbei – am ganzen Weg der Qualität und Evolution vorbei – in eine Heilsmimikri hinab, die nichts ist als vierfüßiger Materialismus; täuscht die Dringlichkeit eines hypothetischen Endzustandes vor, wo für ihn und seine Russen noch kein Anfang war. Verwechselt Trägheit vor dem Start, mit Gelöstheit nach dem Ziel.
Auch er beginnt mit primitivster Fortpflanzung, doch als einzig noch gestatteter Erosfunktion, kapselt sie dann nach oben ab, um sich nun in eine Bewußtseinstrübung und Verarmung retour zu begeben, der in der organischen Reihe abwärts erst wieder die Bewohner eines Karpfenteiches sich nähern. Die sind in ihrem laulichen Element noch genügend undifferenziert, um Tolstoianer und christliche Kommunisten bleiben zu können. Da erscheint der »Ring der Notwendigkeit noch nie durch eine Person unterbrochen«, und das »entsetzliche Laster der Fleischeslust« durch die Gepflogenheit des Laichens zumindest distanziert.
Diese Distanz zwischen Weibchen und männlichem Trieb ersetzt Tolstoi in seinem Weltdogma menschlicher Ehe überaus glücklich durch die Forderung »der Christ dürfe, ohne Bewußtsein des Fallens in die Sünde, erst dann seine Ehe vollziehen, wenn er sehen und wissen kann, daß alle bereits vorhandenen Kinderleben in ihrer Existenz geborgen sind.«
Ist, gestützt auf diese statistischen Vorerhebungen, der Orgasmus, strikte auf Fortpflanzung abgezweckt, eingetreten, so dürfen mögliche Kinder ja nicht mit »sinnlicher Liebe geliebt werden«, sterben sie, »soll man nicht viel Aufhebens machen, vielmehr denken: »die verewigten Seelen gehen in den Himmel ein, für das tote Kind ist es besser, wenn es im Unschuldskleid stirbt als später in Sünden.« Und als Muster für Menschenmütter: »ein Küchlein verendet oder ein Kälbchen, dann gackert die Henne, die Kuh brüllt ein wenig und dann leben sie ruhig weiter.« Bleiben aber die Kinder am Leben, »müssen wir uns für ihre Ernährung andere Ziele vorschreiben, als einen schönen, gut gepflegten Leib. Es ist verwerflich ihr Wachstum zu unterstützen, und sie rein, weiß, gut genährt und schön zu machen, weil dies nur das fürchterliche geschlechtliche Laster und die Sinnlichkeit fördert«.
Wie anders weiß es die Aristie der Welt: niemand kann ohne Schönheitssinn moralisch sein. Schönheit ist sichtbar gewordene Ethik.
Sind ein Jüngling und eine Jungfrau, sei es auch bloß ein einziges Mal und zufällig, der Sünde erlegen, so dürfen sie bis ans Lebensende, wenn überhaupt, nur ausschließlich miteinander den Begattungsakt ausführen, ganz gleich ob sie sich lieben oder nicht. Man verwechsle dies nicht mit der katholischen Ehe, die ja eine Eroswahl verewigt. Hier aber hat der Eros bei der Bindung weder Sitz noch Stimme, ja geringere Sünde ist der Geschlechtsakt sine als con amore ausgeführt.
»Liebe zu einer bestimmten Person ist verwerflich, weil durch solch zweckloses Denken an einen Einzelnen ein Teil der Möglichkeit eingebüßt wird Gott und der Menschheit zu dienen,« wie die elastische Verlegenheitsphrase lautet, die durch vage Fassung Schalheit der Zielsetzung verbergen will; eine Weite vortäuschen, die nur Leere ist.
Dienen, womit? Durch welche Kraft, Vielfalt, Vollendung, wo und wie errungen, da die ganze Menschheit nur Mist schaufeln und »Wankja der Pförtner« singen darf? Alles soll die »Gnade« allein machen, womit Demutsdünkel sie bepackt?
Es ist im Grunde eben nur der alte Weltumarmungstrick der Minderwertigen gegen die Hochwertigen, den Dostojewski aber weit schlauer beherrscht, jener tückisch trunkene Bruderschrei: »jeder soll jedem dienen,« von dem längst und unlängst gesagt wurde, »daß von vornherein einleuchte, wem damit gedient sei und wer dabei das Geschäft mache.«
Denn sind die Dienenden, somit auch ihre Dienste einander ebenbürtig, ist der Bruderschrei sinnlos. Es bleibt sich dann völlig gleich, ob jeder jedem oder jeder sich selbst dient. Tönt er aber, wie stets und reichlich schrill, von den Mißlungenen her, entlarvt sich diese »Ethik von unten« als jener plumpe Übervorteilungsversuch, den das Recht von oben: »Vertrag gegen die guten Sitten« verstoßend nennt und durchschauend ablehnt.
»Das will eben mit dem Herzen erfaßt sein,« greint dann gekränkt die »Ethik von unten«, »sooft man sie – eben erfaßt, beim Brudergriff nach der Kehle jedes überragenden Lebens.«
Man erinnere sich hier, daß die Russen, infolge religiöser Sterilität, als einziges Volk der Weltgeschichte das, jeder Art fremde Christentum unbesehen annahmen, ohne jene starken Reservate des Blutes, die es überall sonst gezwungen hatten, auch über seine alexandrinische, später römische Umformung hinaus, noch sehr viel Wein in sein Wasser zu tun.
Man erinnere sich ferner – was ja hinlänglich bekannt – daß diese christliche Lehre, mit ihrer Umkehrung aller bejaenden Wertskalen, vom Judentum aus sich heraus erregt worden war; nicht zum eigenen Gebrauch, vielmehr ad usum jener untersten Schichten, die aus allen Rassen jederzeit niedersinken: vorzeitig »müde« gewordene Teile der »Idee«, Unterwertige, ausgebrannte Schlacken, Mischlinge, Zersetzungsprodukte. Solch Ausgeschiedene und Entleerte – Erniedrigte und Beleidigte, wie sie sich lieber nennen hören – sind von innen heraus zu verarmt an Qualität: jenem geheimnisvollen Zauber- und Werdestoff, um einen Abglanz noch im Blut zu spüren von dem, was sie irgendwo zu Dienern, somit Einbezogenen adeln könnte.
Diesem ewigen Draußen rebellierender Sklaven, ohne innere Imperative, gab das Judentum hier zum erstenmal eine einigende Formel in mythischer Einkleidung, als Dolchstoß von rückwärts gegen andrer Qualität. – Was daraus wurde, hat hier nicht Raum, denn es macht so ziemlich den Inhalt aller Bücher aller Völker unsres Weltteils durch zwei Jahrtausende aus.
Überall aber kämpfte die Qualität, oft bis zum Weißbluten, siegte oder erzwang Kompromisse, lebendiger und fruchtbarer als Sieg.
Nur bei den Russen stieß die jüdisch messianische Formulierung der negativen Wertskala auf gar keine Geistgestalt als Gegenwehr. Da holte die ganze sterile Rasse sich unbesehen, träg, was in andern Völkern nur ihre untersten Schichten, eben vorzeitig »müde« gewordene Teile der »Idee«, ausgebrannte Schlacken, Minderwertige, Zersetzungsprodukte als ihnen völlig adäquat empfanden und empfinden konnten.
Lediglich russische Seelen, nie ausbewegt in ethischen Stürmen, ohne schwärmerisch zürnendes Heimweh nach freien, selbstgezeugten Kosmogonien, blieben in ihrer Gesamtheit der Einstellung von unten kritiklos hörig. Aus dem Christentum heraus denken kann ja keiner, von Gogol bis Mereshkowskij. – Tolstoi vermeint, wie im Grunde jeder Russe, belege er moralisch eine Forderung aus dem Testament, bräche das Weltbewußtsein, überführt, ganz automatisch in die Knie.
Und so setzt bei ihm auf der ganzen Linie ein evangelientreuer Reduktionsterror ein: »den Menschen ist das Gesetz Christi gegeben, dem sie folgen sollen, und dieses Gesetz fordert die Vereinigung der Menschheit. Diese Einheit wird aber durch die Leidenschaft gestört. Von allen Leidenschaften die mächtigste ist die sinnliche Liebe. Wenn nun die Leidenschaften und ganz besonders die sinnliche Liebe aus der Welt geschafft sind, so vollzieht sich jene Vereinigung.«
Wieder die wohlbekannte Praktik einer Majorität von Mißratenen, durch Diktatur undifferenzierter Allesliebe, eine persönliche Liebeswahl, bei der sie nicht gewählt würden, zu verbieten, dagegen durch gleiche Anteilscheine an einer hypothetischen Gotteskindschaft die gesamte Liebesmenge obligatorisch anzufordern, um so Freies zu hindern, für Holdes ganz zu erglühen.
Es darf eben keine Auserwählung mehr geben.
Eros aber ist die Auserwählung und das unbestechlichste Bekenntnis zur Qualität, mit dem Natur zu bevorzugen vermag.
Hier ist am Schicksal der Kreatur seine eine, unmittelbar lebendige Verwachsungsstelle mit dem Drüben. Nur in der Scharf- und Schmerzsicht sinnlichster Verzückung steigt das abgründige Rätsel der Form zu seiner letzten erschütternden Bedeutung an und steht an seinem wahren Platz: Im Zentrum des Seins.
Wenn das Eros geweihte Geschöpf sich in die Magie der Gestalt stürzt, halten alle Gesetze gleichsam den Atem an, so nah ist das Geheimnis. Es leuchtet wie in einem Weltenbrennpunkt auf, im Umriß des geliebten Wesens, daß dieses sich so, gerade so, nur so abgrenzt von allem übrigen, da ist die Transzendenz am intensivsten.
Denn wer den Strom aufschäumend und zu Licht verwandelt will, der darf ihn nicht in planer Weite, er muß ihn in der Enge fassen. An den lebendigen Saum eines einzigen Menschen, an diesen einen, kleinen Umriß ist jetzt in qualvoller Verdichtung gepreßt, durch Rauschstoffe vertausendfacht, was sonst über tausend Wesen und Werke dahingetanzt oder, als gestaltlose Libido der Menschenliebe, sich verflacht, und ein hier bis ins Einzelnste getriebenes Gefühl schaut durch die begehrte Form, für einen Augenblick, unmittelbar in den Ursinn der Dinge.
Oft ist betont worden, jeder schreibe schließlich immer sich selbst. Ist das Einschränkung? Mit nichten. Einzig von der Vielfalt dieses Selbst wird es abhängen, ob unhörbar das »nur« mitschwingt: nur immer sich selbst.
»Wankja der Pförtner« als Weltkanon der Musik ergab sich aus Tolstois eigenen musikalischen Grenzen Wer etwa »Albert« schon für musikalische Offenbarung hält, sehe sich vergleichsweise etwa Romain Rolland oder Thomas Mann auf Musikalität hin durch und bestaune den Unterschied., entspringt etwa auch sein christliches Ehedogma eigener erotischer Begabung?
Er geizt nicht mit Details. Auch hier wird ja ein Mangel wieder einmal zur Mission erhoben, der sich übrigens in jedem seiner Werke schon ganz von selber bekennt, sollte der große Bekenner dies ausnahmsweise selbst zu tun einmal versäumt haben. Die Kreutzersonate ist sogar zweifach erotisches Selbstbekenntnis. Jede Äußerung des »Helden« Posdnyschew wird in einem Nachwort von Tolstoi noch einmal bekräftigt, erläutert, zur Endsumme eigenen Daseins geprägt, denn:
»Nicht umsonst hat die Natur die Einrichtung getroffen, daß die Liebe ekelhaft und schmachvoll sei und wenn dies nun wirklich der Fall ist, so soll man sie auch so bezeichnen.«
»Ich glaube wohl, daß diejenigen, welche die ganze Traurigkeit der Flitterwochen hinter sich haben und andern nur nicht die Augen öffnen, in derselben Lage sind. Ich habe es bei niemandem getan. Doch jetzt sehe ich wohl, warum man nicht die Wahrheit sagt. Die Flitterwochen bieten auch nicht die kleinste Freude. Im Gegenteil. Sie sind peinlich, beschämend, ekelhaft, töricht und vor allen Dingen langweilig, geradezu unsagbar langweilig. Die Sache verhält sich ähnlich wie mit einem jungen Menschen, der rauchen lernt. Er empfindet einen Reiz zum Brechen, schluckt den Speichel aber wieder hinunter und tut wie wenn es sehr angenehm wäre. – – – Doch je mehr ich mir, um zur Freude zu gelangen, Mühe gab, desto weniger kam ich zum Ziel, die ganze Zeit war häßlich, beschämend und war langweilig. Schließlich wurde sie mir sogar quälend und ich konnte sie nicht mehr ertragen – – – Die Gatten müssen sich zum Laster erziehen, um später Genuß daran zu finden.«
»Inwiefern Laster? Sie reden ja von der natürlichsten Sache.«
»Von der natürlichsten?« fragte er (Posdnyschew?) »Nein. Ich bin gerade im Gegenteil zu der Anschauung gekommen, daß dies wider die Natur ist – – – Natürlich ist das Essen, denn das bereitet Freude und ist eine angenehme und leichte Tätigkeit, der sich niemand zu schämen braucht. Diese Sache aber verletzt die Anständigkeit und Scham – – – sie ist nicht natürlich – – –«
Also nicht einmal mehr vom Rang eines Mittagessens, wie noch in »Krieg und Frieden«, ist jetzt die Liebe. Damals gebundener an Familie und Gesellschaft, jünger und eitler, retuschierte man noch ein wenig. Jetzt im Alter, als Prophet, aber sollen, ja müssen es alle zum Heil ihrer Seele hören, daß ihm, Tolstoi, sein Lebtag die Verdauung als Organlust in die Haut hinein mehr geboten hat, daß, was die Leute da aus Liebe machen, ihm, Tolstoi, eigentlich im Grunde immer nur Pein, verdrießliche Mühsal oder Langeweile bereitet und daher nicht sein darf. Denn er, Tolstoi, spricht immer die Wahrheit; was ihm derart odios und überflüssig dünkt, verstößt unbedingt wider die Natur, wird bei den Menschen nur noch künstlich im Gange erhalten von den verbrecherischen Ärzten, genau wie das mit andern unnatürlichen Lastern der Fall: Schnaps, Tabak, Opium.
»Raucher, Trinker sind ebenfalls Vergiftete, keine Normalmenschen mehr, und in derselben Weise ist ein Mann, der mit einigen Frauen zum Vergnügen Verkehr gehabt hat, nicht mehr normal, sondern für ewige Zeiten verderbt, ein Wüstling.«
Man sage nicht: »Senilität«. Alter hebt hier nur letzte Hemmungen auf. Alle fünfzehn Bände Tolstois bringen es zu keiner einzigen erotischen Szene. Schon in des Dreißigjährigen kleinem Roman: Familienglück, besteht dieses darin, daß der Mann seiner Frau die Liebe abgewöhnt; ihr Begehren durch Gebären austreibt.
Fast unbegreiflich nur mutet das Maß allgemein sinnlicher Unbildung an, die vermeint, einer Kreutzersonate kläglich ausgeschnittene Fabel könne in eroticis irgend binden oder lösen.
Weil ein Posdnyschew, dieser von oben bis unten nichtige, zugleich lederne und hemmungslose Subalterne, nicht einmal imstande ist, auf das elende Nachtlicht, das seiner amour de concierge leuchtet, aufzupassen, ohne daß es ihm Strohsack und Strohkopf ansengt, soll die ganze Welt sich gebunden fühlen, fürder im Finstern zu sein, auch jene des prachtvollen Wortes voll: wie sollte ich das heilige Feuer nicht ehren, wenn es mir auch Haus und Habe verbrennt.
Zum Prophetentum – auch das ist typisch russisch – fehlt hier und stets eben jedes weltgültige Maß.
Tolstois Kenntnisse sind die eines Kavallerieoffiziers, der plötzlich mitreden will. Enge und Ungeübtheit des Geistes zeigen sich weniger in mangelnder Fassungskraft, als in der blanken Unfähigkeit, wahllos Gelesenes dem Rang nach auszuwerten.
Gebe man einem Eingeborenen der Südsee den »Kürschner« in die Hand, alle Namen, auf die sein Finger zufällig tippte, könnten etwa zum Thema »Ästhetik« nicht fehler gegriffen sein, als Tolstois französische Autoritäten zu gleicher Materie in seiner Bannbulle gegen die Kunst.
Namen, die er verständnislos zitiert. Sie besagen ihm nichts, und er weiß nicht, was sie uns besagen, denn seine Stirne ist versiegelt aller Geistgestalt.
Er schreibt ganz ernst, ganz wirklich uns zur Belehrung hin, im Gegensatz zum Christentum enthielten alle übrigen Religionen, wie etwa die der Inder, Perser, Chinesen »nur rein äußerliche Vorschriften«: Upanishaden, Bhagavad ghita, achtfacher Pfad, Tao-te-King, Zend Awesta – rein äußerliche Vorschriften!
Man staunt in unermeßliche Gebiete der Unwissenheit hinein, die schon ein einziger Nebensatz enthüllt.
Es sagt alles für die Verköterung Europas und nichts für seine Würde, daß in ihm so weit Herabgekommene sich fanden, um in Jasnaja Poljana Gnade für Beethoven zu erwinseln, und zusammenbrachen in ihren verstörten Hundeseelen vor dem viereckig gestampften Nein.
Bei Reklamechefs und Auslagenarrangeuren aller Reußen gilt die Tradition, den Prediger aus dem Künstler Tolstoi herauszuschneiden, nach Ablösung dieses Hornbestandteiles verbliebe eitel Höhe und Vollendung, als ob, was hier fehlt, keine Zentralangelegenheit wäre; als duftete der äußerste Pfirsichflaum am lebenden Planeten nicht noch in jeder warmen Wurzel aus dem Geheimnis jenes glühenden Kerns heraus, der auch die Krater aufwirft und die Meere spaltet.
Alles Werk Tolstois aber ist in eine feuerlose Ebene plattgedrückt, auch bei prallster Steppensonne bringt er es von innen heraus nicht über zehn Grad Celsius und kommt auch bei gestrecktestem Galopp nicht aus dem seelischen Viervierteltakt. Eine fleischig unbewegliche Gesundheit, ohne Sublimierung, kulminiert in genauem Aug. Jedes Beschriebene ist durch akkurate Farbenkamera gesehen, auch stereoskopisch, was Tiefenwirkung gibt.
Von seinen unelastischen Gestalten geht kärglich Fluidum aus, ihr Rhythmus wechselt ungern. Wenig Spannungen, niemals Dämonie.
Es gibt im Gegensatz zu Dostojewski, wo kein Gras mehr wächst, reichlich Natur bei Tolstoi. Die Romane zerfallen meist in einen städtischen und landwirtschaftlichen Teil, auch ganze Freiluftgeschichten sind da die Menge. Es ist das eine gut und gern erlebte Natur, in der es ausgezeichnet regnet, schneit, wächst und überwintert. Ein jegliches riecht zu seiner Zeit und haargenau richtig. Die Luft bewegt sich als Sturm, und ein Gewitter (in der Karenina) ist mit Recht berühmt. Auch Tiere fürs Haus, Wild, Vögel, Fische sind da. Nur Flurgötter gibt es keine, und niemals »tönt es aus dem innersten Hain.«
Die russische Hofgesellschaft, im leicht überfrorenen Empire weit über ihre natürliche Lebensdauer konserviert, hat er mit dankenswerter Genauigkeit sippenweise abgeschildert, unterstützt durch einen trefflichen Stab von Onkeln und Tanten. Hier steht ein mehr ethnisches Verdienst breit und wohl gegründet.
Dem bekannteren der zwei großen Romane dieser Art wird sein Kerndefekt zum Verderb. Denn »Anna Karenina« hat eben das, wovor er sonst die Ohren flach macht und einen Haken schlägt: den Feuerstoff, zu innerstem Vorwurf. Und soll sexueller Aufrausch auch für das Urböse im Menschen stehen; um Reue, Qual und Untergang notwendig auf sich herabziehen zu können, muß er immerhin erst einmal da sein.
In seiner Hilflosigkeit magische Luststoffe an Gestalten zu erzeugen, probiert nun Tolstoi, durch allerhand heftiges äußeres Geschehen sinnfällig zu machen, daß diese zwei armen Leute, mehr beklagens- als verdammungswürdig, denn »die Rache ist mein, spricht der Herr« ganz fraglos dies gräuliche und unbequeme Ding in sich haben, das man Sexualität heißt. Wronsky könnte sich aber ebensogut anschließen, weil er etwa die Zinses-Zins-Rechnung nicht kapiert, als weil er Anna nicht bekommen soll. Später – die Vereinigung besteht, soweit man sieht, in gemeinsamen Mahlzeiten unter den Augen des Lakaien, in unfreiem, gequältem Tischgespräch, Herumreisen, sich porträtieren lassen, unter der schiefen Position leiden; schon gehen die Himmelsstrafen los, doch nicht eine flammende Sekunde lang war zu spüren, warum. Die ganze Tragödie der Karenina kreist um einen tauben Kern.
Durch den agronomischen und biographischen Teil des Romans mit Lewin (Tolstoi selbst) als Hauptfigur, geistern wieder die ominösen talentlosen Flitterwochen. Um so breiter, saftiger, demonstrativer geht es bei der grauenhaften Erstgeburt zu. Zola schildert dergleichen wie jedes große Naturgeschehen, Tolstoi ist es moralische Orgie, Sühne für den Ehevollzug: »der gesetzlichen Erlaubnis, mit einander ausschweifend zu leben«.
Dem Fehlen der Rauschstoffe im Blut entspricht, von der Psyche gesehen, das Fehlen der Phantasie. Dieser Mangel wird natürlich umgestülpt zum Wahrheitsdogma.
Gefragt, was er von Puvis de Chavannes halte, rief Tolstoi: »ich halte ihn für einen Idioten.« Er gab zu, kein einziges Bild dieses Malers zu kennen, wußte nur um einen Zyklus: Genoveva. »Wenn er eine Heilige malt, die er nie gesehen haben kann, muß das Bild eine Lüge sein. Die Kunst ist dazu da, die Wahrheit zu sagen. Eine ferne Begebenheit aus dem Kopf zu malen, bringt nicht nur keinen Nutzen, sondern ist ein verbrecherisches Unternehmen.«
So ahnungsloser Materialismus, dem die Begriffe Erscheinung, Wirklichkeit, Wahrheit als Probleme noch nie ernstlich auch nur aufzudämmern begonnen, dürfte außerhalb Rußlands im allgemeinen wohl nur noch bei Kindern unter zwölf Jahren und Schwachsinnigen gefunden werden, keinesfalls dort, wo Geistiges zu Frage steht.
Ein die Wahrheit Suchender, der den Menschen das Suchen überall dort verbietet, wo sie steht, als das tiefer Einbezogene, Hereinragende, als Zwischenreich durch das Belebung wandelt, als schönere Wirklichkeit, die Tatsachen nur umspült, um nie sie zu berühren, als das, wovon die Seele sich nährt, woraus die Weltaugen wachsen, um dann vor dem, der dieses alles hat und weiß, oder zumindest ahnt, in ergötzlicher Verkennung der Situation zu rufen: »ich halte ihn für einen Idioten.«
Wie dem Mangel an Rauschstoffen im Blut parallel geht der Mangel an Einbildungskraft, so fehlt auch seiner Geistigkeit der dämonische Trieb, jenes männlichste Hartwerden im Denken als unerbittlich elastischer Vorstoß einer Schöpferkraft bis in letztes Ziel.
Am Logos zu kurz und dumpf geraten, um selber Tiefes zu durchhellen, zu träg und dünkelhaft, um fremde Tiefe nachzuloten, bleibt die gerühmte »Größe«, wenn Größe heißt: gesenkten Eigensinns, engstirnig, hörnern und grollend gegenstehen dem, was, hoch und köstlich über ihn hinaufentfaltet, von jeher durch die freien Kontinente weht.
Tolstoi als Russe ist hier wahrhaft repräsentativ. Angehöriger und Höriger jener Nation, die ohne Schöpfung an Kult, Staat, Alphabet – auch niemals für eine Philosophie das Mark aufgebracht; nie einen einzigen Menschen zustande gebracht, auf den der Logos spermatikos sich gesenkt. Kühn, zuchtvoll, feurig, zäh genug, das Amorphe aufzureißen in neuen Rang und Geisterbau aus Phantastik und Präzision zugleich.
Durch dieses Verstocktsein in seichtesten Aberglauben an Tatsachen und Nützlichkeit, wird Tolstois eigene Wahrheit immer flacher. Gestalten dürfen ja nur abgezeichnet durch das Kunstwerk gehen. Da keine gesegnete Feuerweisheit ad majorem artis gloriam sie noch einmal rhythmisch aufwirft, sind die geistigen Spannungen gering. Er wird dort am besten, wo Temperamente keine Forderungen mehr erheben, nichts Dynamisches zu geschehen braucht. Wo die Zeit schon gestaut steht vor dem Tod, wie Wasser im Wehr vor dem Fall. Über zwei solchen Stellen liegt etwas vom großen Bleiben tiefer Kunst. Zum einen: in den paar Zeilen – gleich Sekunden – da die Karenina, schon unter den Rädern der Lokomotive, in die Zermalmung sinkt, zum andern: im Sterben des Fürsten André, aus Krieg und Frieden, wenn das Duell zwischen Tür und Tod vorbei und dieser hereingetreten ist, ein unzersprengbarer Ring aus Empfindungslosigkeit nach außen den Sterbenden versiegelt hat in die Weihe dieses, seines Sterbens.
Krieg und Frieden, das Standardwerk Tolstois, zeigt ihn auch sonst als Künstler wohl zum Besten. Es ist ein gut gefügtes Epos, ähnlich jenen weitläufigen Gebäuden, im unbestimmten Stil des Nach-Empire, wie man sie zuweilen in großen Provinzialstädten findet. Sie verdienen als kennenswürdig einen Stern, vielleicht sogar zwei. Man geht durch viele gut geteilte Räume, in den Fenstern steht eine dinglich-deutliche, nüchterne Landschaft, innen vorzügliche Familienporträts, beziehungsreich und sichern Griffs verteilte Generalstabkarten, Schlachtenbilder, eine zwergische Karikatur Napoleons aus schwammiger Masse zeigt unsaubern Daumenabdruck, dann noch mehr Familienporträts; man besieht alles gewissenhaft vom Anfang bis zum Ende, man geht wieder, objektiv befriedigt, und kommt nie mehr hierher. Es war wenig von seelischem Haften, nichts von neuer Heimat. Und nicht bricht aus kühnerem Aufriß tiefere Perspektive als eines weihevolleren Raums Zusammenschau.
Mereshkowski erzählt von Dostojewski im Vorwort zu dessen politischen Schriften: in der Kindheit, ganz allein einmal am Waldesrande stehend, hörte er plötzlich inmitten der tiefen Stille den lauten Schrei: »ein Wolf kommt« – und lief außer sich vor Schreck auf das freie Feld hinaus, geradeswegs zum pflügenden Bauer Marei, ergriff, um im vollen Lauf nicht zu fallen, hastig mit einer Hand die Pflugstange, mit der anderen klammerte er sich an den Ärmel des Bauern. Der beruhigte ihn: »geh doch, was für ein Wolf soll denn kommen? Ich werde dich schon nicht vom Wolf nehmen lassen – – Christus ist mit dir.« Und der Bauer bekreuzigte den kleinen Knaben mit seinen erdigen Fingern. In dieser Erinnerung ist das ganze religiöse Leben Dostojewskis enthalten. Mit dem kleinen Fedja wuchs auch der Bauer Marei, Beschützer vor dem Wolf, dem »Tier« und »Antichrist«, zu einem großen Gotträgervolk.
Der Zug mag lächelnd stehen als Symbol. Berühmte Russen laufen in der Kindheit vor einem eingebildeten »Tier« bereits schreiend davon, berühmte – Griechen etwa befreien im gleichen Alter die Menschheit schon von realen Bestien und Ungeheuern oder erwürgen als Wiegenkinder gar eine Schlange mit jeder Hand.
Diese, nie ausgeheilte kindliche Angstneurose kommt für das Schicksal freier Rassen wohl so wenig bindend in Betracht, wie die bereits aufgezeigten Komponenten an der Weltdiktatur »Iwanuschka des Dummkopfs«, als da waren: Sühneforderung von Dostojewskis eigenem, immer christlich-chronisch schlechtem Gewissen und Berserkerdogma seiner Ranküne: »– – auf Alldienstbarkeit gegründet – – damit es ein Ärgernis sei für die Starken dieser Welt – –. In Europa sind wir bloß Landstreicher.«
Von Belang dagegen ist, daß ihm kein »Bauer Marei« je gelingen will, so sehr hat er sich verschrieben an städtischer Intellektuaille.
Den penetrant eindeutigen Schweißgeruch am demonstrativ erdbeschmutzten Allkretin Tolstois bringt er, trotz aller Mühe, nicht zustande; schon Makar Iwanowitsch (Jüngling) verdunkelt ins stechend Popenhafte. Stets mischt sich Fragwürdigeres aus eigener Merk- und Innenwelt darein: Geruch nach Angst, Exaltation, flennenden lendemains, öligen Kutten. Seine Idioten geraten nicht mehr so klobig lehrhaft infantil, rutschen dafür ins süßlich Verschlagene, heimlicher so in ihrem werbenden Masochismus, zwar schlauer, doch geschmackloser sentimental.
Sitzen auch nicht von vornherein aus Bruderschaftsbrei gebacken da und reden Spruchweisheit: »Gott laß mich schlafen wie ein Stein und morgen frisch wie'n Kuchen sein –« oder donnern – also – tja – gegen englische Closets. Daß sie zu völlig neuen Menschen würden, wäre gewiß dringlich, doch fehlt leider jede Voraussetzung. Faktisch aufgezeigt werden sie nur in minderen Stadien, meist erst in jenem zweiten, nie geschriebenen Teil soll es besser werden mit ihnen, wenn inzwischen das – Allmenschliche, wie immer es ausfallen möge, aus ihnen herausgeläutert oder geeitert ist.
Vorläufig bleiben es eben doch nur aus Schweizer Heilanstalten auf Widerruf beurlaubte Schwachsinnige (Idiot), in die Kutte gesprungene Duellverweigerer (Sossima), schmollend niedergebrochene Cerebralmörder (Raskolnikow), frigide Anämische (Sonja) oder einfach Negative von Jünglingen (Aljoscha).
Gegen Tolstoi gehalten besagt dies als Tendenz: das Düngerdogma sinkt, der Demutsdünkel steigt.
Dostojewskis Verdorbenheit für schlichten Muschikismus zersplittert »Iwanuschka den Dummkopf« in eine Handvoll städtischen Zwitters in wenig erfreulichen Vorstadien, welche den neuen Menschen, als eben jenen alten Weichkopf, erst dereinst weltvorbildlich wieder aus sich gebären sollen.
Die schiefe Verhaderung dieser Situation, verglichen mit Tolstois klarem Kretinismus, liegt gegründet in dem, was Dostojewskis Größe ist und seine Lasterhaftigkeit zugleich, was er verherrlicht und was ihn dafür verknechtet hat: