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Sie scheint das unerlässlichste aller Erziehungsmittel. Auf dem Gebiet der Strafe sind die markantesten Verfehlungen zu verzeichnen.
Unter den Strafarten spielen die Prügel noch immer eine Hauptrolle, eine wilde Sitte, auf die künftige Zeitalter wahrscheinlich mit demselben schaudernden Befremden zurückblicken werden, wie wir auf den Kannibalismus.
Das Prügeln ist aus der Reihe der Strafmittel zu streichen, abgesehen von kleinen Denkzetteln im ersten Kindesalter. Ein sehr schönes Wort sagt Ellen Key darüber: "Sobald sich das Kind an einen Schlag erinnern kann, ist es zu alt, um ihn zu empfangen."
Ich teile ganz ihren Abscheu vor diesem Erziehungsmittel.
Wahrhaft herzzerreißend sind die Sitten und Gebräuche, die das Proletarierkind von früh auf dem Stock überliefern.
Aus einer Gerichtsverhandlung erfahren wir von einem Knaben – er mag bös veranlagt gewesen sein –, der ein schweres Verbrechen beging (er warf das Kind seines Lehrherrn ins Wasser), um eine langjährige Gefängnisstrafe zu erhalten, bis an die Altersgrenze, die ihn vor der Einlieferung in das Zwangserziehungshaus sicherte, dessen Bekanntschaft er schon gemacht hatte. Das Gefängnis schien ihm eine Wohltat im Vergleich mit jenem Erziehungshaus, in dem er aufs furchtbarste verprügelt worden war.
In dem Buch von Ferrario über den italienischen Kinderhandel lesen wir schaudernd von dem An- und Verkauf von Kindern, von Eltern, die ihre Kinder um jeden Preis losschlagen, von den Käufern, die ihnen ein Los bereiten, das, wie Ferrario ausführt, ihnen nach nicht allzu langer Zeit nur die Wahl lässt zwischen Spital, Wahnsinn oder Zuchthaus.
Wir brauchen aber unser Mitleid nicht bis nach Italien zu schicken. In den Volksschulen des preußischen Staates wird unentwegt geprügelt.
"Ohne Prügel," sagte mir eine Lehrerin, "ist bei diesen Kindern nichts auszurichten. Sie sind ja auch von Hause aus so daran gewöhnt, daß es ihnen nichts ausmacht."
Wir lesen immer wieder in den Zeitungen von Lehrern, die Kinder – oft kränkliche und geistig verkümmerte – in barbarischer Weise gezüchtigt haben, und diese Gentlemen kommen vor Gericht mit einem Verweis oder einer leichten Geldstrafe davon, weil "sie ja das Leben des Kindes nicht gefährdet haben."
Und das sind wahrscheinlich dieselben Lehrer, die den Religionsunterricht erteilen, und den Kindern das Evangelium der Liebe verkünden, die darauf bezüglichen Sprüche ihnen aber mit dem Stock einbläuen.
Mir kommen, wenn ich von so Grässlichem höre, Gedanken an Lynchjustiz, von den Müttern der gemisshandelten Kinder zu üben an den – ich hätte beinah Kerlen gesagt, die mit den Fäusten erziehen. "Das Faustrecht" nannte einer unserer vornehmsten Universitätslehrer "die Ethik der muskulösen Dummköpfe."
Wenn Weiber überhaupt zu Furien werden können, warum werden sie es nicht bei solchen Gelegenheiten?
Wie? Ihr Mütter behauptet, eure Kinder zu lieben, und ihr lasst sie von fremden Menschen zu schanden hauen! Ihr duldet es, daß eure Lieblinge mit Wunden und Striemen bedeckt nach Hause kommen!
Sprecht mir nicht von Mutterliebe!
In einer landwirtschaftlichen Zeitung, die von der Erziehung der Bullen und der Füllen handelt, heißt es: Vor allem sei darauf zu achten, daß der Bullenknabe und –Jüngling fromm werde und bleibe. Deshalb müsse man ihn von Kindheit auf liebreich und freundlich behandeln und dürfe ihm ja keinen rohen Wärter geben; rohe Wärter und böse Bullen finde man immer beisammen. Und die Anweisungen zur Erziehung der Füllen: Nicht erschrecken, nicht necken, nicht reizen, nicht ärgern, nur freundlich und sanft anreden, streicheln, Zucker reichen, darauf liefe die Pferdepädagogik hinaus; beobachte man diese Regeln nicht, so bekomme man ein störrisches Pferd, das scheut, das nicht zieht, das ausschlägt und heißt. Und die Nutzanwendung lautete: "Wann werden sich die Menschenpädagogen, die Regierungen, die Behörden, die Schulmeister endlich einmal zur Höhe jener vernünftigen Humanität aufschwingen, auf der die Pferde-, Rindvieh- und Hundepädagogen und sogar auch die Dresseure in den Menagerien schon seit langem stehen!"
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