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Im linden Luftzug schwimmt mit irrem Schein
Des Nachtlichts Fieberflamme; und kein Laut
Verbirgt des Röchelns leises Nahn dem Ohr,
Das angstvoll ob dem bleichen Antlitz lauscht.
Still liegt der alte Berthold, tief gesenkt
Die heiße Wimper, und ein wirrer Schlummer
Hält ihm die halberloschnen Sinne fest.
Doch nun ein tiefer Atemzug; er wälzt
Das trockne Aug' empor: »Bist du's, mein Sohn?«
Und zitternd reicht der Jüngling ihm die Hand.
Ein wenig wendet mühsam noch der Greis
Das matte Haupt, dem schon die ersten Zeichen
Der kalten Perlen die Natur gesandt.
»Ist's denn so schwül?« haucht's durch den Vorhang auf
Und dann: »Das ist die Todesangst, mein Sohn!«
Gebrochnen Herzens hebt der Jüngling sich,
Und bei der Lampe ungewissem Schein
Gießt tröpfelnd er – ach, jeder Tropfen fällt
Versengend Feuer in die eigne Brust! –
Das Letzte, was der kämpfenden Natur
Furchtbar erfinderisch die Kunst erzeugte,
Von Todesangst der Todesangst geweiht,
Ein giftig Leben, ein belebend Gift,
Ein grausig Opfer, schaudernd dargebracht
Der schönsten aller Pflichten, so da heißt:
»Du sollst den Docht beleben, weil er glimmt!«
»O Vater«, spricht er bebend, »was da lebt,
Das mag gesunden! Gottes Macht ist groß!
Wo Odem, da ist Hoffnung!« – Langsam schlürft
Der Greis die Tropfen, und ein Lächeln will
Sich bilden um den krampfbewegten Mund:
»Du reichst mir Naphtha und sprichst Hoffnung aus?
Mein Kind, der Schmerz hat dein Gemüt verwirrt.
Du hast vergessen, was dein Vater war.
Wer fünfzig Jahr' den Pulsschlag hat belauscht,
Wer fünfzig Jahr' hindurch den Tod gesehen,
In tausendfachen Bildern dennoch immer
Sein unverkennbar Siegel führend... Sprich,
Schläft denn dein Bruder? Wo ist Theobald?«
Und stumm aus des Gemaches tiefsten Schatten
Schleicht, heißen Jammer im gesenkten Blick,
Dem langsam rollend sich die Trän' entwindet,
Ein bleicher Knabe, nah dem Jüngling schon,
Und hingesunken an des Lagers Rand,
In glühender Verzweiflung jeden Laut,
Den Todeslaut der Brust tief in sich saugend,
Sucht er vergebens in den teuren Mienen
Dem langgewohnten lieben Ausdruck auf.
Doch mählich den erstorbnen Gliedern kehrt
Ein fieberhaftes Sein; gefesselt liegt
Die Todesmacht, der Atmosphäre gleich,
Wenn hoch in ihr sich der Orkan erzeugt;
Der halbentflohne Geist schaut noch einmal,
Ein helles rotes Flämmchen, durch der Augen
Gebrochne Nacht, und durch das Antlitz zieht
Zum langen, langen Abschied einmal noch
Des Lebens zarter Schein. Tief saugt der Greis
Der Luft unschätzbar teures Kleinod ein.
Und also spricht er, immer hellern Lauts,
Wie ihm des Odems süße Wohltat kehrt:
»Ihr Kinder, laßt mich reden, und gedenke
Nicht deiner Kunst, mein Sohn! Du weißt es nicht
Und keiner, dem nicht also ist geschehn,
Wie furchtbar in dem schwirrenden Gehirn
Der schwindenden Besinnung letzte Kraft
Sich abquält um des Wortes Erleichterung,
Wie siedend der Gedanken wirrer Schwarm
Bald, nur in dumpfer Ahnung, Namenloses
Der kämpfenden Erinnerung versagend,
Bald sonst Unwicht'ges immer riesenhafter
Und immer schwerer in die Seele senkend
Vergebens die entflohne Stunde sucht.
Was wähnt' ich nicht versäumt! Wo ist es nun?
Mein Karl, dein Weg ist offen. Geh mit Gott!
Ich sorge nicht um dich, mein Sohn; sei treu
Ob deinem Bruder! Theobald! Mein Kind!
Komm näher mir, mein Kind! Du bist noch jung,
Und alle Macht, so Gott in meine Hand
Gelegt ob dich, ich übertrage sie
An deinen Bruder; wie du folgsam bist,
So hast du mich geliebt. Ihr Kinder, seid
Ja zart und treu mit dem Gewissen, hütet
Es vor der Zeit versteinernder Gewalt!
Was leicht verharscht das Leben, reißt der Tod
Als fressend unheilbare Wunde auf,
Ein Engel mag ob euren Schritten walten!
Die letzte Stund' ist schwerer als ihr denkt.
O betet, betet, Kinder: Hin ist hin!
Und meine Kraft ist hin! 's ist schrecklich! Ewig!
's ist schrecklich! Ewig, ewig! Betet, Kinder!
Ich kann nicht... weiß nicht... helft mir sinnen... Karl,
Schreib das Rezept – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – Die letzten Worte stößt
Der Greis nur mühsam aus der Brust; dann folgt
Ein dumpfes Murmeln, unaufhaltsam schnell,
Doch unverständlich. Seine dürren Arme
Schlingt er in Windungen ums bleiche Haupt.
Sein starrer Blick zeigt kein Bewußtsein des,
Was ihn umgibt. An seinem Lager sitzt
Sein Erstgeborner, auf den Sterbenden
Den trüben Blick geheftet: keine Muskel
Zeigt zuckend seinem Schmerz, die Träne nicht,
Doch weiß ist sein Gesicht wie Schnee, die Hand
Wie die des Toten starr und kalt. Nicht fern
Inmitten des Gemachs am Boden liegt
Der Knabe: unaufhaltsam strömt sein Weh
In glüh'nden Zähren; krampfhaft Schluchzen schüttelt
Die junge Brust; er windet sich, er stöhnt,
Dann springt er auf; ein fromm erzognes Kind,
Kniet er im Winkel, und sein wimmernd Flehn
Steigt Lavaströmen gleich empor, doch halb
Ist's Wahnsinn, halb ein kindlich treu Gebet.
Den Himmel möcht' er stürmen; alles will
Er, alles opfern: jede Jugendlust,
Will Jahre kranken, selbst das junge Dasein
Ist nichts um diesen Preis. O, hätt' er Macht,
Er wagt' es, Gott zu diesem Tausch zu zwingen!
So schwindet Stund' auf Stunde, Stern auf Stern
Schließt matt die Wimper, nur der Hesperus
Schaut nach der Dämmrung mit dem goldnen Auge
Verlangend aus. Da fährt ein scheuer Streif
Am Horizont empor, und höher steigt's
Und wirft die zarten Lichter ins Gemach
Des Jammers. Still ist's um des Kranken Bett:
Kein Röcheln, kein Geächz dringt durch die Spalten
Des weißen Vorhangs; und das dunkle Haupt
Fest eingedrückt den beiden Händen, scheint
Von tiefem Schlaf der Jüngling übermannt.
Aus jenem Winkel nur bricht oft ein Ton
Des Wimmerns, ein hervorgeschluchzter Laut
Die stumme Luft; noch unermüdet kämpft
Der Knabe um sein Liebstes im Gebet.
Doch wie das Morgenlicht die Stirn ihm küßt.
Da wird's ihm leichter; hat er doch gerungen
Mit jenem Glauben, der die Berge hebt.
Nicht sind die Arme ihm ermattet, nicht
Gewankt hat sein Vertrauen. So muß der Himmel
Sich ja erbarmen. Stillen Schrittes schleicht
Er durchs Gemach: „Mein Bruder! Schläfst du, Karl?
Du schläfst?“ So flüstert er. Da hebt das Haupt
Der Jüngling, schaut aus den verstörten Zügen
Ihn eisig an. Entsetzen faßt das Kind.
Zum Lager fliegt er, reißt den Vorhang auf,
Des Vaters Hand ergreift er, dann ein Schrei,
Ein mattes Taumeln, und zu Boden, schwer
Wie eine Säule, stürzt er. Weh[e], weh!
Wer seinen Vater hat, der bete still!
Ach, einen Vater kann man einmal nur verlieren! |